Cover

Der fliegende Schneider

Der fliegende Schneider

 

In einer kleinen Stadt lebte einmal ein Schneider, der war so arm, dass er sich die meiste Zeit von Wasser und Brot ernähren musste. Ja, und von Wasser und Brot, da kann man nicht dick werden, deshalb war der Schneider so mager, man musste schon zweimal hinsehen, wenn man ihn erblicken  wollte. 

So saß der Schneider tagaus, tagein auf seinem Schneidertisch und flickte die Kleider und Hosen für den bärtigen Bäcker, den dicken Metzger und den polternden Müller.

„Ei“, dachte er, „ich bin für größeres geboren, ich habe bei einem guten Meister gelernt.“ Zu gerne wäre er auf Wanderschaft gegangen. Deshalb machte er weit sein Fenster auf und schaute auf die Felder, die Wiesen und die Wälder und träumte davon, Leibschneider bei einem König zu sein.

Unser Schneider war vertieft in seine Träume und hatte gar nicht mitbekommen, dass der Müller die Treppe herauf polterte. Der Müller stieß die Tür auf, und ein Luftzug fegte durch des Schneiders Kammer. Vor Schreck hatte der Schneider vergessen sich am Tisch festzuhalten und der Wind wehte ihn glatt zum Fenster hinaus. Soviel er auch mit den Füßen strampelte und mit den Armen fuchtelte, er konnte sich nirgends festhalten.   

 Verdutzt schaute der Müller hinter ihm her, dann nahm er seine geflickte Jacke, die der Schneider auf dem Tisch gelassen hatte und stieg die Treppe wieder hinab.

 Unser Schneider indessen, flog hoch über die Felder und Wälder bis er ein kleines Königreich erreichte. Wild rudernd mit Armen und Beinen, gelang es ihm schließlich genau auf dem Marktplatz zu landen.

Da war reges Treiben und weil der Schneider gerade vom Himmel herunter kam verneigten sich alle vor ihm.

Zwei Hofdiener des Königs, saßen bei einem Humpen Bier und spielten Karten. Sie rissen ihre Augen weit auf, denn so etwas hatten sie noch nie gesehen. Schnell sprangen sie auf ihre Pferde, um dem König die Kunde zu überbringen.

Der König kam in seine goldene Kutsche, um den fliegenden Mann, vor dem sich sein Volk verneigte, auf sein Schloss zu holen. Freundlich lud er den Schneider ein, in sein königliches Gefährt zu steigen. Der fühlte sich sehr geehrt und ahnte nicht, dass ihm er König nicht gut gesonnen war. 

Den Schneider hatte der lange Flug hungrig gemacht und sein Magen knurrte jämmerlich. Da trieb der Kutscher die Pferde an, weil er glaubte ein wildes Tier wäre hinter ihm her.

„Sachte“, befahl der König, „es ist kein wildes Tier, es ist der Magen von Ihm, der vom Himmel gefallen ist.“

Der Schneider indessen, begann seine Kleidung glatt zu streichen, denn er wollte gut aussehen, wenn er mit dem König aufs Schloss kam.

In einer Hand hielt er immer noch die goldene Nähnadel, mit der er des Müllers Jacke genäht hatte. Die goldene Nadel war ein Geschenk seines Lehrmeisters er hatte ihm geraten die Nadel nie aus der Hand zu geben, denn sie sollte ihm zu Wohlstand verhelfen. Flugs steckte er die Nadel unter den Kragen an seinem Wams. In der anderen Hand hatte er noch seine Elle. Der König fragte neugierig: „Was macht Er mit dem Stock?“

  „Mit dem Stock, Eure Majestät, da messe ich die Entfernung, die ich in der Luft zurücklege“, flunkerte der Schneider und als der König die Schere sah, die an seinem Gürtel befestigt war, log der Schneider erneut: „Das ist mein Essgeschirr, damit schneide ich mein Brot und esse meine Suppe.“ Der König betrachtete das seltsame Ding und meinte dann: „Kein Wunder, ist Er so spindeldürr, da sind ja zwei Löcher in den Löffeln!“

Sie kamen an dem Schloss an. Der König schritt voraus und befahl dem Schneider ihm zu folgen. Sofort rief der König nach seinen Dienern, die sollten dem „vom Himmel gefallenen“ auftischen so viel er essen konnte. 

Während der Schneider 2 Hühnchen, einen Schinken und einen Kuchen verspeiste, schickte der König nach seinen Hofmarschall, dem Kriegsminister und dem Hofnarr.

Die kamen eiligst und versammelten sich im großen Thronsaal. Der König lief unruhig hin und her und betonte zum wiederholten Mal: „Mein Volk hat sich vor dem Fliegengewicht verneigt!“

„Sehr übel, sehr übel, Majestät“, sagte der Hofmarschall und kratzte sich hinter dem Ohr.

 „Das ist ein Angriff auf Eure Majestät!“, schrie der Kriegsminister. „Ich werde die Armee zusammen trommeln!“

„Wenn Er doch fliegen kann“, meldete sich der Hofnarr zu Wort, „dann soll Er doch wieder fortfliegen und für immer verschwinden.“ „Das ist ein guter Rat, Hofnarr“, lobte ihn der König und der Hofmarschall jubelte: „Und das kostet uns keinen Heller!“

Der Kriegsminister, allerdings gab zu bedenken: „Ja und was machen wir mit ihm, wenn er gar nicht fliegen kann?“ „Dann sperrt ihn 99 Tage ein in den Kerker und am 100. Tag soll es eine Gerichtsverhandlung geben“, schlug der Hofmarschall vor. Majestät war einverstanden und ließ den spindeldürren Grashüpfer rufen. 

Der König setzte sich auf seinen goldenen Thron und rechts und links standen der Kriegsminister und der Hofmarschall. Die Diener brachten einen kleinen Tisch und einen Stuhl, da sollte der Gast, der vom Himmel gefallen war, Platz nehmen. Dann mussten die Diener den Saal verlassen, damit das Volk nicht erfahre, was der König mit dem Fremden vorhatte.

 Der König hob das Zepter, und der Schneider trat ein.

„Nehme Er Platz“, gebot ihm der König. Unser Schneider wäre nicht Schneider gewesen, wenn er sich auf den Stuhl gesetzt hätte. Mit einem Sprung war er auf dem Tisch und setzte sich darauf. „Ich sehe, in dem Land, woher Er gekommen ist, hat man ganz eigene Sitten“, stellte der König fest, „aber mach Er es sich bequem!“ Der Schneider rückte unruhig hin und her, ihn drückte sein voller Bauch, er hatte noch nie so viel gegessen wie gerade zuvor.

 Nun verkündete der Hofmarschall: „Majestät hat beschlossen, dass Er, da er ja scheinbar fliegen kann wie ein Vogel, sich sogleich in die Lüfte erhebe und davon fliege, weit über die Grenzen seines Reiches.“

Der Hofnarr klatschte dreimal in die Hände und rief: „Los, los.“

Der Schneider bemerkte jetzt sehr wohl, dass man ihm hier bei Hof nicht wohl gesonnen war und verlangte: „Wenn Seine Majestät die Fenster und die Türen weit öffnen lässt, damit der Wind durchzieht, dann will ich wohl aus Euerm Reich verschwinden.  

 Der König ließ Fenster und Türen öffnen, obwohl er Durchzug so gar nicht vertrug. Er fing auch gleich an zu niesen. „Hatschi“, verzweifelt suchte er nach einem Taschentuch. Da kam der Hofnarr mit einem Tüchlein und reichte es dem König. Das Schnupftuch jedoch flog mit dem Wind zum Fenster hinaus, nur unser Schneider nicht.

So sehr sich der Schneider drehte und wendete, der Wind ließ ihn auf dem Tisch sitzen. „Ei“, dachte der arme Wicht, „ich habe zu viel gegessen, nur ausgehungerte Schneider können auch fliegen.“ Auch wollte er keinesfalls die Schere, die goldene Nadel und die Elle zurücklassen.

So machte er ein jämmerliches Bild und der König flüsterte seinem Kriegsminister und seinen Hofmarschall etwas ins Ohr. Sofort wurde nach dem Kerkermeister gerufen der schubste den armen Schneider in den Kerker hier sollte er jetzt bei Wasser und Brot 99 Tage warten, bis er vor Gericht gestellt würde.

An diesem Tag würde es ein Volksfest geben. Das Volk sollte wählen, ob er nun gehängt, geköpft oder vom Pöbel, mit Mistgabeln aus dem Reich vertrieben werden sollte. 

Nun hatte der Schneider viel Zeit zum Nachdenken und jede Nacht hatte er fürchterliche Träume. 

In

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Cover: Rigor Mortis. Bilder Manuela Schauten, Foto Schloss: Schloss Aulendorf
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2014
ISBN: 978-3-7396-1054-2

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /