Der Wocheneinkauf
Der Donnerstag ist ohne Frage,
für mich einer der schwersten Tage.
Mein Mann schnappt sich die Leergutflaschen,
und ich den Zettel und die Taschen.
„Hast du das Geld auch nicht vergessen?“
Fragt, er und schreitet los indessen.
Und in der Tiefgarage dann,
da fangen die Probleme an.
Rechts ein Pfosten, ringsum Mauern,
raus zukommen, das kann dauern.
Dreimal vor und dann zurück,
Der Pfosten steht noch, welch ein Glück.
Dann streif ich schnell die linke Mauer,
„Wieder ´n Kratzer“, ich bin sauer.
Mein Mann steigt zu, ich seh ihn grinsen:
„ich werd´ es nachher überpinseln.“
Die Auffahrt heute ohne Plage,
Da hatt´ ich auch schon schlechte Tage.
Beim Supermarkt, hol ich den Wagen,
Mein Mann, der darf das Leergut tragen.
Ich stürze mich jetzt auf die Waren,
Jetzt will mein Mann den Wagen fahren.
Schnell lässt er noch das Leergut rollen,
Den Bon, den muss ich selber holen.
Ich greif zum Kaffee und schau dann,
mir meinen Einkaufszettel an.
Martin ist schon ums Eck gegangen,
um an die Bonbons zu gelangen.
Ich schlepp zwei Sprudel durch den Laden,
Wo ist er denn mit meinem Wagen?
Ich schau mich um , und seh im Spiegel,
er kauft gerade Schokoriegel.
Mit Keks und Sachen, die zum Naschen,
füllt er die ersten Einkaufstaschen.
Ich geh den Gang zurück nach hinten,
um Margarine aufzufinden.
Und gleich noch Öl, das gibt’s daneben,
Senf, Brühe, mehr kann ich nicht heben.
Mein Mann, beim Wein jetzt angekommen,
hat eine Flasche Rotwein genommen.
Er schaut alle Angebote an,
Ein Glück, dass er nichts brauchen kann.
Dann findet er zwei Schälchen aus Blech.
„was willst du damit?“ frag ich ihn frech.
„Die nehmen wir mit, die sind ja nicht teuro,
die kosten ja nur pro Stück einen Euro!“
Bevor ich anfange lauthals zu schrein,
legt er sie in den Wagen hinein.
Ich laufe den Gang lang und hole Spinat,
da kauft er gerade Kartoffelsalat.
„Was soll ich damit, der schmeckt doch bescheiden“,
Widerspruch kann mein Mann gar nicht leiden.
Und jetzt erst Recht er kauft wie besessen,
Schupfnudeln und Leberspätzle, zum Essen.
Weißwürste und Brühwurst und Leberkäse,
Wurstsalat und Aufschnitt-Auslese.
Auch Käse kauft er am Stück und geschnitten,
Mir ist, als hätt ihn der Teufel geritten.
Ich kaufe Fisch, in der Theke ganz unten,
Jetzt hat er die Bananen gefunden.
Er packt 14 Bananen in seinen Wagen,
und ich muss die Kartoffeln hertragen.
Ein Kopfsalat und ein paar Tomaten,
Martin will Paprikaschoten zum Braten.
Schnell noch Kaffeemilch und dann ab zur Kasse,
Da sieht er Lebkuchen, ich denke: „Na Klasse“
Zwei Päckchen davon wandern aufs Band,
was das wieder kostet, da bin ich gespannt.
Ich zücke die Karte, die Kassiererin sagt:
„Das macht Neunundsechzig Euro und acht.“
Jetzt will mein Mann jedoch noch zum Bäcker,
Er findet die Zimt-Wecken sind da so lecker.
Ne Bretzel auch bitte, zum Mittagessen,
und zwei Stückchen Kuchen, nicht vergessen.
Ein Stückchen vom Zopf und ein Brot bitteschön,
fünf Brötchen von gestern, macht 10 Euro 10.
Mir reichts, ich bin sauer, jetzt laden wir um,
Danach muss der Einkaufswagen noch rum.
„Mach du das, ich hab wie das geht, ganz vergessen,
in der Zeit kann ich den Zimtwecken essen.
Zu Hause pack ich das Zeug auf nen Wagen,
mit dem kann ich direkt in die Küche rein fahren.
Und dann kommt das Beste, wie immer zum Schluss,
weil ich das Auto jetzt einparken muss.
Ich weiß wie das geht, ich bin ja nicht dumm,
Fahr vor und zurück, nur jetzt andersrum.
Die Kratzer bemalt mein Mann dann wie immer,
Wenn er fahren müsste, dann wär es noch schlimmer.
Der Hundegeburtstag
Unsere Retriever-Hündin Anja, hatte Geburtstag. Sie wurde ein Jahr alt. Um ihr einen schönen Nachmittag zu machen, trafen wir uns mit Anjas Freund „Feger“, und dessen Frauchen am Waldrand. Dort waren große Wiesen und die Hunde konnten nach Herzenslust rennen. Die Wiesen wurden von einem Bach getrennt. In den Wasser konnten sie planschen und trinken, wenn es ihnen beim Herumtollen zu warm wurde. Sie jagten über die Wiesen und wir schauten von einer Bank aus, dem lustigen Treiben der beiden Hunde zu.
Auf der schmalen Straße sah ich von Weitem ein rotes Auto kommen. „Oh je“, sagte ich, „Da kommt der Förster. Mein Mann und das Frauchen vom Feger wollten mir nicht glauben. Als das Auto näher kam, meinten sie: „Die Hunde sind ja nur auf den Wiesen und nicht im Wald, was soll er schon dagegen einzuwenden haben.“
Inzwischen kam das Auto um die Kurve gefahren, und wie auf Kommando sprang im gleichen Augenblick ein Reh aus dem Graben. Es sprang mit großen Sprüngen dem Wald zu.
Auch den Hunden war das nicht entgangen. Ich pfiff meiner Anja, und sie drehte auf der Stelle um. Das war durchaus nicht üblich, denn Anja folgte zwar aufs Wort, aber nicht aufs Erste. Rein zufällig folgte sie meinem Pfiff und kam zu uns an die Bank, wo ich sie anleinen konnte. Feger hingegen ignorierte die Rufe seines Frauchens und verfolgte das Reh noch eine Weile, bis er es nicht mehr sehen konnte.
Es folgte eine lange Strafpredigt des Försters. Dann wollte er die Folgsamkeit der Hunde überprüfen. Weder Anja noch Feger reagierten auf seine Befehle. Da zückte er ein Notizbuch, und da unsere Bekannte mit dem Fahrrad da war, schrieb er unsere Autonummer auf. Es sei eine Leichtigkeit unsere Adresse herauszufinden, meinte er. Wenn wir ihm noch einmal auffielen, wollte er Anzeige erstatten.
Wir fielen nicht mehr auf.
Daheim wartete auf unserem Hund noch ein ganz besonderer Leckerbissen, ein Schweineöhrchen.
Mein Mann und ich zogen vor drei Jahren in eine „altersgerechte Wohnung“. Ich hatte schon längere Zeit Schwierigkeiten, mit den Treppen in unserem Haus. Hier waren alle Zimmer auf einer Etage, die Wohnung fast neu und modern gestaltet. Besonders freuten wir uns über 2 große überdachte Terrassen, umringt von einem kleinen Garten mit Blumen und Sträuchern. Sogar eine kleine Liegewiese, gehört zu unserer Wohnung.
Wie es so in den neuen Wohnhäusern ist, wurde auch unsere kleine Wohnung mit drei Rauchmeldern ausgestattet. Sie zieren die Decken in der Wohnstube und in unseren beiden Schlafzimmern. Beide Schlafzimmer sind so klein, dass man normale Ehebetten in keinem aufstellen kann.
Da mein guter Ehemann, jede Nacht ein Schnarchkonzert gibt, liegt es auf der Hand, dass jeder sein eigenes Zimmer bekommt.
Tagsüber verbringe ich viel Zeit am Schreibtisch, während Martin, mein Mann, sämtliche Programme des Fernsehers testet. Die Pausen dazwischen füllt er, gewohnheitsgemäß, mit einem Nickerchen aus.
Schon am Nachmittag, werde ich laufend von einem schrillen Pfeifton gestört. Auf meine Frage: „Weißt du woher das Pfeifen kommt?“, behauptet er, nichts gehört zu haben.
Als ich abends in der Küche das Abendessen vorbereite, pfeift es erneut, und es hört sich zum Greifen nah an. Mit einer Leiter, die ich aus Platzspargründen im Gästeklo aufbewahre, untersuche ich nun die Küche genau. Ich finde es logisch, dass die Küche mit so einem Rauchmelder ausgestattet sein könnte. Denn ich habe schon oft gehört, dass sich auf dem Herd, durch heißes Fett, ein Feuer entzündet hat.
Auch ohne Leiter ist es offensichtlich, dass hier in der Küche, sich nichts an der Decke befindet, außer einer überdimensionalen Leuchte. Trotzdem mache ich den „Affen“, Leiter rauf und Leiter runter, mit dem Ergebnis: Nichts!
Nach dem Abendessen kommt ein Film im Fernsehen, den mein Mann extrem leise eingeschaltet hat. Mit großer Konzentration verfolge ich den Film, und vergesse eine Weile die lästige Pfeiferei. Erst als er sich plötzlich ins Bett verzieht, schalte ich den Fernseher ab.
Jetzt höre ich es wieder, die Abstände sind kürzer geworden und das Pfeifen lauter. Genervt greife ich wieder zur Leiter, und moniere die Rauchmelder in der Stube und meinem Schlafzimmer ab. Einer muss ja der Übeltäter sein. Vorsichtshalber nehme ich die Batterien heraus und lege sie daneben.
In der Hoffnung, dass jetzt Ruhe ist, gehe ich ins Bad, um mich für die Nacht zu rüsten. Da pfeift es schon wieder. Mein prüfender Blick an die Decke, bestätigt meine Vermutung: Nichts!
Ich schleiche in das Schlafzimmer, meines leise schnarchenden Ehemannes und warte auf das nächste Pfeifen. Das lässt lange auf sich warten, und ich beschließe ins Bett zu gehen.
Kaum habe ich mich bequem und schlafgerecht gebettet, ist es wieder da. Ich springe verärgert aus dem Bett, nehme die Leiter und montiere den Rauchmelder, im Schlafzimmer von Martin ab. Als ich den demontieren will, stelle ich fest, der kann es nicht gewesen sein, da fehlt ja die Batterie! Es gibt nur eine Möglichkeit, ich höre Pfeifen, was es gar nicht gibt. Mit diesem Gedanken gehe ich zu Bett.
Kaum liege ich bequem, da geht es wieder los. In Gedanken sehe ich eine Maus hinter dem Kleiderschrank, und eine Grille, die sich vielleicht unter dem Bett versteckt hat.
Trotz inzwischen fortgeschrittener Stunde versuche ich, meinen Verstand zu betätigen. Nach einer Weile beschließe ich, aus allen Uhren die Batterie zu entfernen. Vorher noch ein letzter Versuch, ich ziehe die Bettdecke über den Kopf.
Zwecklos, es bin dem Wahnsinn nahe, und stehe auf, die Uhren lahm zu legen.
Inzwischen hat Martin vorläufig ausgeschlafen. Er geht in die Stube um das Nachtprogramm einzuschalten. Fünf Minuten leiste ich ihm Gesellschaft und erkläre ihm warum drei Rauchmelder auseinandergebaut auf dem Stubentisch liegen. Dann trinke ich ein wenig, nutze die Zeit, noch einmal ins Bad zu gehen, dann verschwinde ich wieder Richtung Bett. Die Uhr, an der ich vorbei komme zeigt mir wie spät es ist. Ich bin stocksauer, es ist zwei Uhr vorbei.
Nun bin ich ein Mensch, der nicht gern auf Schlaf verzichtet. Ich bin fest entschlossen, das Pfeifen jetzt zu ignorieren. Die Decke bis über die Ohren gezogen, bekomme ich gerade mit, wie mein Mann in die Abstellkammer geht, um eine Flasche Sprudel zu holen.
In diesem Augenblick ertönt erneut der Pfeifton. Martin kommt in mein Zimmer und freut sich: „Ich habe den Übeltäter! In der Abstellkammer ist auch ein Rauchmelder!“
Ungläubig stehe ich wieder auf und schaue in die winzige Abstellkammer. Tatsächlich, da hat ein übereifriger Handwerker so ein Ding montiert. Noch einmal mache ich den „Affen“ und steige auf die Leiter. Als 4 auseinander gebaute Geräte auf dem Stubentisch liegen, pfeift nichts mehr.
Ich schlafe danach gut, aber viel zu wenig, und montiere nach dem Frühstück die Rauchmelder ordnungsgemäß, mit neuen Batterien.
Es war im Winter, und es hatte geschneit. Die Äste an den Bäumen hingen voll mit frischen Schnee. Nachdem es in der Nacht einen kräftigen Frost hatte, konnten wir sicher sein, dass der Schnee auch liegen blieb.
Dann regnete es plötzlich. Ein kräftiger Regenschauer ging nieder und ich hielt es für notwendig den Gehsteig zu streuen. Auf dem Bürgersteig war eine dicke Eisschicht. Sonst fiel mir nichts Besonderes auf.
Helena wollte in die Stadt und die Einkäufe erledigen. Kurz danach kam sie wieder in Haus, legte den Einkaufzettel auf den Tisch und verkündete: "Mein Auto ist von einer Glasschicht umgeben, ich kann nicht weg." Ich reichte ihr die Flasche mit dem Enteiser. Helena lachte: "Das hat gar keinen Zweck, das musst Du gesehen haben."
Wir gingen gemeinsam auf den Hof. Ich staunte, ein Auto eingehüllt von einer fingerdicken, glasklaren Eisschicht.
Wir nahmen den Hund und gingen Richtung Wald. Selbst unser Hund rutschte einmal auf dem Glatteis aus. Dann erreichten wir den Wald. Da es schon dunkel war, konnten wir nicht ahnen, wie unser Wald verzaubert war. Am Waldrand blieb unser Hund plötzlich stehen und bellte.
Ich ärgerte mich, weit und breit, kein Mensch, was hatte er nur schon wieder? Kaum hatte ich zu Ende gedacht, da krachte ein Ast vom Baum herunter. Helen und ich schauten uns verdutzt an. "Das ist ja gefährlich, hier am Waldrand", bemerkte Helena. "Glaubst Du der Hund hat das vorher gemerkt, und deshalb gebellt?", fragte ich. Helena hatte auch keine Ahnung. Es war uns unheimlich im Dunkeln und wir kürzten unsere Runde für heute ab.
Am Sonntagmorgen machten dann Helena und ich uns auf, um eine richtig schöne Runde im Wald zu laufen. Schon auf dem Weg kamen wir aus dem Staunen nicht heraus. Jeder Grashalm, jeder Zweig, und jede Beere waren von Eis eingehüllt. Sie glitzerten in der Morgensonne wie reine Kunstwerke aus Kristall.
Bald erreichten wir den Wald. Es waren einige Kurgäste unterwegs, und alle staunten über das Glitzern. Es war auch einmalig, wie die Sonne durch die Zweige schien und alles zum Strahlen brachte. Hinter uns ging eine Gruppe Gäste aus der Klinik. Unser Hund blieb wieder stehen und bellte laut. Wir sagten zu den Leuten, sie sollten lieber auch stehen bleiben. Einer der Männer wollte dennoch weiter gehen. "Sat", unser Hund bellte wieder und in diesem Augenblick brach ein großer Ast von dem Baum ab, und krachte mitten auf den Weg.
Wir waren ganz beeindruckt von dem "Zauberwald". Nach dem Mittagessen überredeten wir meinen Mann mit uns zu kommen. Helena nahm ihren Fotoapparat mit, sie meinte: "Wer weiß, ob wir das noch einmal erleben."
Nach einem langen Sparziergang durch den märchenhaften Tannenwald, kehrten wir am späten Nachmittag glücklich heim.
Der Zauber war leider nach wenigen Tagen vorbei.
In der Schule sitzen die Kinder der 6. Klasse und warten auf das Erscheinen ihrer jungen Lehrerin. Heute steht „Diktat“ auf dem Plan, und das bei der Hitze.
Rolf, genannt das „Großmaul“, steht auf und geht zur Tafel. Er nimm ein Stück Kreide und quietschend entstehen die Sätze: „Wir protestieren! Keine Klassenarbeit! Wir fordern Hitzefei!“ Die Mädchen kichern und die Buben verabreden sich schon zum Schwimmen.
Da geht die Tür auf und die hübsche Lehrerin huscht in einem luftigen Sommerkleidchen herein. Sie duftet nach frischem Deo, und wenn die Sonne nicht schon seit Stunden am Himmel stünde, würde man sagen: "Die Sonne geht auf"
Schwerfällig erheben sich die Schüler. Mit einem herzlichen Lachen kommt von Frau Müller: „Bleibt sitzen“, und ein aufmunterndes: „Schönen Morgen Kinder!“
Dann schreitet sie zur Tafel, nimmt den Schwamm in die Hand. Alle denken, jetzt putzt sie die Tafel ab und verteilt die Diktathefe. Nein,es kommt anders. Frau Müller fragt nicht, wer hat das geschrieben, denn das weiß sie längst. Sie liest laut: „Wir protestieren! Kinder, das ist unschön, das putzen wir aus. Keine Klassenarbeit! Ihr habt Recht dafür ist es viel zu warm.“ Sie nimmt ein Stück Kreide und unterstreicht den Satz. Daneben schreibt sie o.k. „Kommen wir zum dritten Satz“, fährt sie fort: Wir fordern Hitzefrei!“
„Klingt gar nicht schön“, meint die Lehrerin, putzt das mittlere Wort weg und schreibt „möchten“ an die freigewordene Stelle. Dann unterstreicht sie den Satz und schreibt dahinter: Nach der 2. Stunde!
Die Mädchen können sich ein „Juhu“ nicht verkneifen, während die Buben durch „Knurren“ ihrem Unmut kundtun. Frau Müller lässt sich nicht beeindrucken und beginnt mit dem Unterricht. Sie möchte den Schülern erklären, wie bei so einem schwülen Wetter ein Gewitter entsteht. Genau, und mit allen Einzelheiten bemüht sie sich, die Luftströme sowie das Aufeinandertreffen der kalten und der schwül-warmen Luft zu erklären.
Die Jungen hören überhaupt nicht zu, sie sind in Gedanken schon im Freibad. Die Mädchen scheinen vom Geruch der verschwitzen Kleidung ganz benommen. Die Lehrerin bemüht sich, und niemand hört zu. Doch Ella, die kleinste in der Klasse, von allen nur der „Frosch“ genannt, sie ist höchst interessiert und lauscht gebannt dem Vortrag von Frau Müller.
„Dort, wo die warme Luft aufsteigt, und mit der kalten Luft zusammentrift, entsteht durch die, sich abkühlende Luft eine Wolke, die ganz schnell immer mehr anwächst. Zuerst ist sie weiß, dann grau und zum Schluss bedrohlich schwarz. Spätestens dann entstehen die ersten Blitze.“ Erklärt unermüdlich die Lehrerin vor einer desinteressierten Klasse.
Endlich ertönt die Schulglocke. Es dauert keine Minute, da ist das Klassenzimmer leer, bis auf Ella. Frau Müller räumt das Pult auf und Ella kommt zaghaft nach vorne. „Darf ich Sie noch etwas fragen?“, kommt es schüchtern von ihr. Das herzliche, aufmunternde Lächeln der hübschen, jungen Frau macht Ella mutig: „Haben Sie schon einmal gesehen, wenn ein Gewitter entsteht?“
Die Lehrerin macht ihre Tasche zu und setzt sich auf ihren Platz. Ella gefällt ihr, und sie hat es nicht eilig. „Hol Dir einen Stuhl, ich werde es Dir erzählen.“
Die Kleine kann es nicht glauben, Frau Müller will ihr etwas erzählen, nur ihr ganz allein!
„Als ich so klein war wie Du, da war ich genau so schüchtern und alle Kinder lachten mich aus. Aber ich habe auch immer gut aufgepasst, wenn die Lehrer etwas erklärten. Und da war es wie heute so heiß. Wir erfuhren vom Gewitter und wie es dazu kommt. Alle Kinder gingen danach zum Schwimmen, nur ich musste zu Hause bleiben, weil meine Mutter krank war. Aber ich durfte im Garten spielen.
Immer wieder schaute ich zum Himmel, ob da nicht vielleicht ein Gewitter käme, aber der war strahlend blau und weit und breit nicht die kleinste Wolke zu sehen. Direkt über unserem Garten flog ein roter Milan und kreiste unentwegt. Dabei stieg er immer höher in den Himmel hinauf und wurde optisch immer kleiner. Dann tat mir mein Genick weh, von dem ständigen Hinaufschauen und ich ging eine Runde Schaukeln.“ Frau Müller machte eine Pause und schaute Ella fragend an: „Was meinst du? Ein Eis wäre doch jetzt toll, oder?“
„Ja schon“, sagt Ella gequält, „aber ich habe nur noch 20 Pfennig.“ Die Lehrerin schmunzelt und meint: „Komm, wir gucken was wir dafür bekommen.“
Die beiden verlassen das völlig ausgestorbene Schulhaus und gehen langsam Richtung Eisdiele.
„Was magst Du denn gern?“, erkundigt sich Frau Müller. „Schokoladeneis, und wenn es keines gibt, dann nehme ich eines mit Nüssen.“ „Magst Du auch Erdbeereis?“, hakt die junge Frau nach. „Nein, Erdbeere und Zitrone mag ich nicht so gern.“ Die Lehrerin gibt der Kleinen Ihre Tasche und bittet sie einen schönen Platz auszusuchen, sie will derweil das Eis holen.
Ella findet einen Platz unter einem Sonnenschirm und rückt erwartungsvoll auf ihrem Stuhl hin und her. Nein nicht wegen dem Eis, sie hat ja nur Geld für eine Kugel, sie will die Geschichte weiterhören.
Frau Müller kommt mit zwei großen Eisbechern an den Tisch. Sie sieht wie Ella ganz verlegen wird. „Das gibt es doch gar nicht für 20 Pfennig!“, klagt Ella.
„Schau Ella, die Schule ist aus, ich bin jetzt gar nicht Deine Lehrerin, ich bin einfach nur die Frau von nebenan, die Dich zum Eis eingeladen hat. Denk nicht so viel, genieß Dein Eis.“ Sagt sie nun ein wenig streng, und fügt hinzu: „Außerdem willst Du doch wissen wie es weitergeht?“
Das Gesicht des Mädchens hellt sich auf, und schon beginnt Frau Müller mit ihrer Erzählung fortzufahren.
„Also ich saß in meiner Schaukel, die am Kirschenbaum hing. Ich hatte furchtbar Durst, und mir fiel meine Mutter ein, die im Bett lag und sicher auch durstig war. Aus dem Keller nahm ich eine Flasche Johannisbeer-Saft mit, die trank ich gemeinsam mit meiner Mutter an ihrem Bett. Mutter stöhnte: „Ach wenn es doch nur regnen könnte!“
Nun versprach ich ihr hinauszugehen und erst zurückzukommen, wenn die ersten Wolken am Himmel wären. Schnell öffnete ich das Fenster und ließ den Rollladen herunter.
Als erstes fiel mir der Milan ein, ob er noch da oben segelte? Ich suchte den Himmel ab, aber der war nicht zu finden, statt dessen eine kleine weiße Wolke, die sah aus wie eine Gänsedaune. Ob das stimmte was der Lehrer uns erzählt hatte, dass die Wolke immer größer und dann grau und dann schwarz wird? Ich suchte mir einen Platz, an dem ich besser sehen konnte.
Als ich dann hinaufschaute, da war die Wolke schon doppelt so groß. Nun konnte ich förmlich beobachten, wie die Wolke ständig größer und dicker wurde. Aber ich konnte nicht glauben, dass einfach nur aus dem Nichts, ein Gewitter entstehen könnte. Fasziniert beobachtete ich das Schauspiel. Wie in einem schlechten Traum wuchs die Wolke mit Riesenschritten an und wurde dunkelgrau. Wahnsinn! Genau wie es der Lehrer beschrieben hatte, nur dass kein Blitz zu sehen war. Immer noch schien die Sonne und immer ruhiger wurde es um mich. Kein einziger Vogel wagte mehr einen kleinen Piep, mir war unheimlich zumute.
Drohend lag die Wolke wie ein Ungeheuer direkt über uns. Da kam mir die Idee das Fenster im Schlafzimmer meiner Mutter vorsichtshalber zu schließen. Ich ging also zum Hintereingang. Fast war ich im Haus, da peitschte ein Blitz durch die Luft, und gleichzeitig ein ungeheuerlicher Donnerschlag. Meine Füße wollten sich vor Schreck nicht mehr bewegen. Dann hörte ich meine Mutter nach mir rufen und ich riss mich zusammen. Hoffentlich ist Mutter nichts passiert, schoss es mir durch den Kopf. Zum Glück, ihr war nichts passiert, ich schloss das Fenster und schon wieder blitzte es. Als der Donner verhallte, hörten wir Krankenwagen und Feuerwehr.“
Frau Müller und Ella haben ihren Eisbecher leer gegessen. „Möchtest Du noch eine Limo? Dann lasse ich mir eine Tasse Kaffee bringen“, fragt die junge Frau. Ella ist das ganz peinlich, denn ihre Mutter hat nicht viel Geld, und sie ist zu Bescheidenheit erzogen. Aber ihre Augen verraten, dass eine Limo willkommen ist. Zögerlich fragt Ella: „Geht die Geschichte denn noch weiter?“
„Ja, ein bisschen kommt noch“ erfährt sie. Ella starrt unentwegt auf den Himmel, nicht dass es hier auch plötzlich blitzt. Sie kann beruhigt ihre Limo trinken, denn es ist weit und breit kein Wölkchen zu sehen.
Als nun auch die Lehrerin ihren Kaffee bekommen hat, erzählt sie weiter:
„Nun verrate ich Dir zuerst mein Geheimnis: Ich habe furchtbare Angst vor einem Gewitter und meine Mutter auch. Ich half ihr also aus dem Bett, denn sie wollte nicht mehr liegen bleiben. Dann half ich ihr in eine Jacke damit sie sich nicht erkältete. Zwischendurch blitzte es fortwährend. Meine Mutter stellte fest, dass das Gewitter nicht mehr direkt über uns war. Trotzdem kauerten wir ängstlich in der Küche. Dann wieder ein kräftiger Blitz, und ich glaubte ihn gehört zu haben. Gleich darauf ein Donnerschlag. „Es kommt zurück“, glaubte meine Mutter zu wissen. Es vergingen höchstens zwei Minuten, da hörten wir wieder die Sirenen der Rettungswägen, sie fuhren zum Ort hinaus. Wir schauten zum Fenster hinaus: Sanitäter, Feuerwehr und Notarzt, alle sausten an unserem Haus vorbei.
Der Arzt aus dem Haus gegenüber fuhr jetzt auch den vielen Autos nach, die zur Stadt hinaus fuhren. Mit großem Getöse kam ein Hubschrauber. Die Bäume in unserer Straße bogen sich unter ihm. Nachher stellte ich fest, dass der Efeu an unserem Haus vom Wind des Hubschraubers abgefallen war. Dann landete er hinter den Häusern am Sportplatz.
„Oh je“, sagte Mutter, „da ist was Schlimmes passiert.“ Den Eindruck hatte ich inzwischen auch.
Unser Nachbar, der gegenüber wohnte, kam von seinem Einsatz zurück. „Frag doch mal, was denn passiert ist“, bat Mutter mich. Also ging ich auf seinen Hof, wo er gerade seine Warnlampe auswechselte. „Was ist denn passiert?“ fragte ich ihn.
Was ich nun erfuhr, konnte ich nicht glauben! Wie war es möglich, dass eine so kleine Wolke so großes Unheil anrichten konnte. Der Mann war in Eile, er musste jetzt weiter zum See. „Da sind 2 Buben verschwunden, die waren mit einem Boot auf dem See, ja und auf dem Sportplatz hat der erste Blitz gleich drei Spieler getroffen. Zwei werden in eine Klinik geflogen und einer ist tot.“
Ich erzählte meiner Mutter was passiert war und berichtete von der kleinen weißen Wolke, aber ich hatte den Eindruck, sie hat mir nicht geglaubt.“
Ellas Limoflasche ist leer und der Kaffee auch. Ella hat gespannt zugehört. Alles was sie sagen kann ist: „Unglaublich!“
„Komm, gehen wir heim, es ist Mittagszeit und am Horizont zieht ein Gewitter auf. Du weißt meine Mutter hat Angst vor dem Gewitter.“ Die Lehrerin nimmt ihre Tasche und geht noch mit, bis zum Marktplatz. Da trennen sich die zwei ungleichen Freundinnen.
Ella kommt heim und ruft: „Mama es zieht ein Gewitter auf.“
Frühling
Wir saßen auf unserer Lieblingsbank und überlegten, was wir in den Ferien noch unternehmen könnten. Margot liebte es, mit mir kleine Ausflüge zu machen. Dank meines wunderbaren Vaters, kannte ich die schönsten Stellen in unserer Umgebung.
Ich holte tief Luft, denn Margot konnte sehr anstrengend sein. „Gut“, schlug ich vor, „fahren wir mit dem Fahrrad zum Seerosenteich.“ Sie fragte nicht wo der ist und wie weit es ist, nein sie war gleich hellauf begeistert. „Also gut“, sagte ich, „morgen nach dem Mittagessen.“
Kaum war ich mit dem Essen fertig, da kam sie auch schon mit ihrem roten Fahrrad auf den Hof gefahren. Mutti ermahnte uns: „Kommt nicht so spät zurück, es wird früh dunkel.“ Sie reichte uns je einen Apfel, falls wir Durst bekämen, dann fuhren wir los Richtung Wald.
Heute kam uns der kleine Wald besonders groß vor, denn erst ganz am Ende führte ein kleiner Pfad durchs Dickicht. Dann ging es auf dem schmalen Weg weiter zwischen Wiesen und Felder.
„Mensch“, stöhnte Margot, „da ist weit und breit kein Teich!“ Nun stieg ich vom Fahrrad ab und schob es zu einer großen Holzbank, die aus einem Baumstamm gezimmert war.
„Machen wir Pause?“, kam es erwartungsvoll von Margot. Sie ließ sich neben mich auf die Bank fallen. Dann riss sie die Augen weit auf und rief: „Ist er das?“
Ja das war er.
Genau von der Bank aus konnte man den kleinen See betrachten, der rings mit Holunderbüschen und hohem Schilf umsäumt war. Nur von dieser Seite konnte man an den See heran. Rechts im Schilf lag ein Ruderboot, es war an einem kurzen Steg angebunden. Das Boot roch nach frischer Farbe. Aus dem Schilf kamen Enten mit ihren Küken, sie machten die ersten Schwimmversuche.
„Sind die süß!“, jubelte Margot und wollte am liebsten eines mit der Hand einfangen.
„Lass das“, bat ich sie, „da ist es sumpfig!“ Ausnahmsweise hörte sie auf mich, denn Margot konnte schon sehr temperamentvoll sein. Wir liefen zu dem kleinen Steg, der noch nach frisch geteertem Holz roch und standen umringt vom Schilf, direkt auf dem Teich.
Lachend lauschten wir dem Quak-Konzerzt der Frösche, und sangen aus vollem Hals: "Heut ist ein Fest bei den Fröschen am See..."
Mit Spannung beobachteten wir Fische, die an die Oberfläche kamen und Mücken fingen. Wenn sie wieder abtauchten, hinterließen sie zauberhafte Ringe auf der Wasseroberfläche.
Ungefähr in der Mitte des Teiches, konnte man sie sehen, die Seerosen. Große grüne Blätter schienen zu einem kleinen schwimmenden Teppich zusammengefügt zu sein. Darauf dicke rosa farbige Knospen. Margot behauptete: „Die sind weiß, nicht rosa!“ Nun war es besser ich gab nach, denn sie war im Begriff in das Boot zu steigen, um die Seerosen aus der Nähe zu betrachten.
„Das ist Privateigentum, das darf man nicht nehmen“, hielt ich sie zurück.
Zu unserer großen Freude, kam jetzt ein Storch geflogen. Mit seinen langen Beinen stolzierte er durchs seichte Wasser und füllte seinen Kropf mit Fröschen und kleinen Tieren, die sich am Ufer aufhielten. Dann klapperte er mehrmals mit dem Schnabel und flog zu seinem Nest zurück. Margot staunte: „Ein Storch und der war ganz nah, das glaubt mir niemand!“
Wir gingen zur Bank zurück, und aßen genüßlich unseren Apfel. Mit dem Blick auf den Teich, verfielen wir in unsere gewohnten kindlichen Träumereien.
In der Mitte schien das Wasser im Teich blau zu sein, und die Sonne brachte alles zu einem geheimnisvollen Strahlen. Da wo das Wasser flach war, am Ufer, spiegelten sich die Holunderbüsche mit ihren süß duftenden weißen Blüten. Hier war das Wasser im Teich dunkelgrün. "Schade, dass die Seerosen noch nicht blühen", seufzte ich in die Stille.
„Wir können doch noch einmal wiederkommen“, meinte Margot erwartungsvoll. „Ja sicher im Sommer, wenn die Seerosen blühen“ versprach ich leichtsinnig.
Wir machten uns auf den Heimweg und schafften es bis nach Hause, bevor die Sonne unterging.
Sommer
Es vergingen viele Sommer, ich war inzwischen erwachsen und hatte vier Kinder.
Vati und Margot waren schon lange gestorben und so hatte ich den Seerosenteich nicht mehr besucht.
Eines Tages lud ich meine Kinder zu einer kleinen Radtour ein. Die beiden Großen hatten schon Jugendräder, die Kleinen fuhren noch mit Kinderrädern, da durfte es nicht so weit gehen. Mir ging der kleine Teich mit den Seerosen nicht aus dem Kopf. Jetzt war Sommer und da müssten sie doch blühen.
Wir machten uns auf den Weg und ich fand den kleinen Pfad, der durch das Unterholz führte und dann durch die Wiesen. Es hatte sich kaum etwas geändert. Das Dickicht um den Teich erschien mir noch dichter, und die duftenden Blüten waren verblüht. Die Bank war etwas verblichen, aber so schön wie damals im Frühjahr.
Den Steg hatte jemand mit einigen neuen Brettern ausgebessert, und mit grüner Holzschutz-Farbe gestrichen.
In Ufernähe lag das Boot, auch hier waren ein paar Stellen ausgebessert.
„Fahren wir mit dem Boot?“, fragten meine Kinder erwartungsvoll. Ich hatte keine Zeit, meinen Gedanken nachzugehen, ich musste aufpassen, dass von eifrig spielenden Kleinen, niemand im Sumpf versackte. Sie freuten sich über die Enten, die auf dem Teich schwammen und ich hielt Ausschau nach den Seerosen.
Das Wasser war leicht gekräuselt und blitzte in der warmen Sommersonne.
Da mitten auf dem Teich, ein Teppich mit rosa farbigen, großen Blüten, die von den tellerförmigen Blättern getragen wurden. Ein wunderschöner Anblick.
Und am anderen Ufer, ich konnte es nicht glauben eine Storchenfamilie. Die Kinder waren hellauf begeistert. Unentwegt holten die stolzen Vögel etwas zum Fressen aus dem Teich. Zwischendurch das Klappern der Schnäbel. Es hatte sich nichts geändert, nur die Jahreszeit. Noch einmal genoss ich das idyllische Bild, bevor ich mit den Kindern den gleichen Weg zurückfuhr.
Herbst
Ach wie die Zeit vergeht. Wieder sind viele Jahre an mir vorbeigezogen. Die Kinder sind alle nicht mehr bei uns, sie haben ihre eigenen Familien. Ich hatte einen Schäferhund, mit dem ich täglich einen Spaziergang machte. So kam es eines Tages, dass ich mit meinen Enkeln und dem Hund wieder auf dem Weg zum Seerosenteich war. Es war Oktober und ein herrlicher Herbsttag.
Wir gingen den schmalen Weg durch den Wald. Den Weg konnten wir fast nicht mehr finden, er war total zugewachsen. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass ich vor vielen Jahren vielleicht die Letzte war, die hier mit den Kindern durchfuhr.
Der Hund ging voran, danach die Kinder und ich hinter ihnen passte auf, dass die Kleinen nicht über die Brombeeranken stolperten. Endlich erreichten wir die Wiesen, die die Bauern noch einmal gemäht hatten.
Dann kamen wir an der Bank an, an manchen Stellen sah man auch ihr das Alter an. Sie war schon lange nicht gestrichen worden. Auch das Boot war nicht mehr heil, es standen ein paar Zentimeter Wasser darin. War der Angler auch nicht mehr gekommen?
Die Seerosen waren verblüht, aber die Blätter waren noch grün. Wir beobachteten die Fische, die ihre Kringel auf die Oberfläche machten. Statt Störchen waren Raben am anderen Ufer. Ein paar Enten schwammen auch im Schilf. Die Kinder warfen kleine Steinchen ins Wasser und freuten sich, dass auch die Ringe aufs Wasser malten, die immer größer wurden.
Mein Hund, der wasserscheu war, ging vorsichtig zum Saufen an den Teich. Peinlich achtete er darauf, dass sein Fell nicht nass wurde. Die Kinder warfen dem Hund ein Stöckchen ins Wasser und glaubten, dass er jetzt ins Wasser ginge um es zu holen.
Ich stellte fest, auch im Herbst ist der Seerosenteich wunderschön. Die Sonne stand schon recht tief, und das Wasser färbte sich grau. Wir mussten aufbrechen.
Die Kleinen wollten sich nicht trennen. „Wenn wir nicht gleich gehen, werden wir im Dunkeln noch im Wald sein!“, sagte ich besorgt.
Das wirkte, denn in der Dunkelheit im Wald ist nicht gerade das, was Kinder lieben.
Es war dunkel als wir heimkamen und als meine Tochter ihre Kinder abholte, erzählten sie aufgeregt von unserem Ausflug. Meine Tochter erinnerte sich und sagte: „Da war ich auch, als ich so klein war wie ihr.“
Winter
Inzwischen lebt mein Schäferhund nicht mehr. Ich habe noch einmal einen Hund, er ist ein Retriever. Wir machen täglich unsere Runden und oft komme ich an dem kleinen Pfad vorbei, der zum Seerosenteich führt. Er ist inzwischen ganz zugewachsen, da ist kein Durchkommen mehr.
Nun sind wir beide nicht mehr die Jüngsten und ich beschließe an einem schönen Wintertag, mit dem Auto bis an den Waldrand zu fahren, um dann den Weg über die Wiesen zu nehmen.
Geschneit hat es noch nicht, aber auf den Büschen und den Gräsern liegt Raureif. Vorsichtig kommt ein Reh aus dem Wald und sucht ein paar Grashalme. Sicherheitshalber leine ich den Hund an, nicht weil ich ihm misstraue, sondern um nicht aufzufallen, falls ein Jäger kommt.
Dann kommen wir an den Teich. Die Ränder sind von einer dünnen Eisschicht überzogen. Ich setze mich auf das, was noch von der Bank übrig ist, ein morsches Stück Holz.
Der Hund testet das Eis und erschrickt, wenn es unter seinen Pfoten einbricht. Im Schilf ragen dunkelbraune Kloben in die Höhe, und rechts, da wo das Boot festgemacht war, ein paar Reste des alten Kahns. Der Steg ist auch zusammen gebrochen. Das morsche Holz liegt zwischen dem Schilf. Wie eine Hand, die um Hilfe ruft, ragt ein wenig von dem Paddel aus dem Wasser.
Meine Augen suchen die Seerosen, natürlich ist da nichts, außer ein paar dunkelbrauner Blätter. Während mein Hund das Wasser nicht scheut und fröhlich darin planscht, lasse ich noch einmal alles an mir vorbei ziehen,
Mein erster Besuch hier, mit meinem Vater, war wohl der lustigste. Er wusste so viel zu erzählen. Ihm konnte ich immer zuhören, auch wenn ich das, was er erzählte schon kannte. So kam auch damals der Spruch: "Die Sonne sandte ihre Strahlenspitzen, hinunter bis auf des Meeres Grund." - Es fing so romantisch an, und passte so gar nicht zu ihm, er war kein Romantiker. Dann verzogen sich seine Lippen zu einen spitzbübischem Lächeln und er fuhr mit seinem Sprüchlein fort: "Die Fische fangen an zu schwitzen, oh Sonne treib es nicht so bunt."
Danach war ich mit Margot hier. Von fern glaube ich ihr Lachen zu hören. Margot war immer in Bewegung, und laufend krank. Sie fand 4-blättrige Kleeblätter ohne danach gesucht zu haben und Steine die die Form eines Herzens hatten. Wie habe ich geweint, als ich an ihrem Grab stand.
Als ich mit meinen Kindern hier war, ach wie schnell sind sie gewachsen und ausgeflogen. Danach mit dem Schäferhund und den Enkelkindern. Sie waren richtige Draufgänger, jetzt sind sie auch erwachsen. Um meinen Schäferhund habe ich lange getrauert, bis ich mich entschloss noch einmal einen jungen Hund zu nehmen.
Ich schrecke aus meinen Gedanken auf, mein Hund ist nass und steht vor mir. „Ja, du hast Recht, wir müssen heim.“ Ich stehe von dem Holzstück auf, und meine alten Knochen knacksen. Noch einen letzten Blick auf den halb zugefrorenen Teich und dann nichts wie nach Hause in die warme Stube. „Ach Anja“, sage ich zu meinem Hund, „solche Ausflüge sind nichts mehr für uns.“
Während wir durch die Wiesen stampfen, schaue ich noch ein paarmal zurück, zum Seerosenteich.
Im Anschluss an meinen Laden, war das Bastelzimmer. Dort stand ein extra großer Tisch, und zwölf Stühle. Mindestens einmal in der Woche hatten wir dort eine Bastelstunde. Meistens waren es Kurgäste die daran teilnahmen. Einige davon sind mir in Erinnerung geblieben:
Eine Frau war total farbenblind. Ich wunderte mich über ihre eigenwilligen Farbzusammenstellungen bis sie mir dann gestand, dass sie nur schwarz weiß sehen konnte.
Eine Afrikanerin kam jeden Tag und malte ein Seidentuch. Sie arbeitete so hastig, dass sie jedes mal ein Glas mit Farbe umwarf. Zu ihr sagte ich am dritten Tag: „Wenn Sie morgen wieder kommen, werde ich eine Putzfrau bestellen.“ Witzig fand sie es nicht, aber sie riss sich danach zusammen.
Vor Weihnachten und zum Muttertag kamen Kinder, die etwas Besonderes für ihre Mütter machen wollten. Eine junge Mutter fand es angebracht, ihre Kinder einmal wöchentlich zum Basteln zu bringen. Die Kinder wollten immer wieder Eichhörnchen nähen. Ich konnte sie nicht überreden etwas anderes zu machen. Als sie genug davon hatten kamen sie nicht mehr.
Nun saßen wir wieder in fröhlicher Runde, alles nette Damen aus der Kurklinik. Wir plauderten über Missgeschicke die uns schon mal passiert waren. So kam es, dass ich erzählte, wie ich mit meinen Kinder und dem VW-Bus am Hermannsdenkmal war.
Auf dem großen Parkplatz hatte ich das Auto geparkt. Als wir zurückkamen konnte ich das Auto nicht aufschließen. Ich hatte ein blauen Bus und an allen Fenstern blau-weiß-karierte Vorhänge. Das war doch mein Auto, die Vorhänge, die Farbe des Busses alles stimmte bis auf das Nummernschild, das war nicht meines. Verzweifel drehte ich mich um und in der nächsten Reihe, stand noch einmal das gleiche Auto. Hier handelte es sich dann aber tatsächlich um meinen Bus.
Eine Rheinländerin, sie war eine echte Frohnatur, lachte herzhaft. Sie sagte: „Wenn ich jetzt erzähle, was mir passiert ist, dann glaubt mir das kein Mensch!“
Die Dame, sie hatte blonde Locken und was immer sie sagte, bei ihr war alles komisch. Man musste ihr nur zugucken beim Reden, das war schon Unterhaltung genug.
„Wir hatten unseren Hochzeitstag, und ich hatte Rolf, meinem Mann versprochen, früh nach Hause zu kommen. Mein Mann ist Architekt, und hat sein Büro in unserem Haus. Ich arbeite schon seit langem in einer Kanzlei. Weil es mir dort gefällt, habe ich nie daran gedacht mit der Arbeit aufzuhören. Ja vielleicht, wenn wir Kinder gehabt hätten. Aber das hatten wir immer aufgeschoben, zuerst war es das Haus, für das wir gearbeitet haben, dann war es das Büro von Rolf.
Eines Tages war es schon zu spät für Kinder, seitdem haben wir einen Hund. Es ist ein niedlicher Rauhaardackel und der heißt Puzzi. Puzzi ist den ganzen Tag bei meinem Mann und er freut sich riesig wenn ich abends heimkomme. Denn dann machen wir alle zusammen, einen großen Sparziergang an den Rhein.
Heute hatten wir etwas Besonderes vor. Mein Mann wollte mich in ein Nobelrestaurant führen zu einem Abendessen bei Kerzenschein. Deshalb ging er vorher allein mit dem Hund spazieren.
Als ich gerade aus dem Büro verschwinden wollte, kam mein unromantischer Chef mir entgegen. „Frau Fröhlich, hier ist noch eine dringende Akte, abtippen und heute noch zur Post. Keine Widerrede, kommen sie morgen eine Stunde später.“ Weg war er und mir war zum Heulen.
Zuerst rief ich bei Rolf an, aber der war jetzt mit dem Hund weg. Ich sprach auf den Anrufbeantworter und dachte: „Hoffentlich hört er ihn auch ab.“ -Er hörte ihn nicht ab.
Als ich dann endlich die Tür zur Kanzlei abschloss, war es schon dunkel. Aber für einen Besuch im Nobelrestaurant, ist es nie zu spät. Dachte ich, und überlegte wie alle Frauen, was ziehe ich denn an. So kam ich dennoch gut gelaunt, mit meinem kleinen Flitzer, auf den Hof gefahren.
Mein Mann erwartete mich und war stocksauer! „Du hast unsere kleine Feier vergessen“, fuhr er mich an. Vorwurfsvoll und beleidigt sagte er: „Ich hatte alles so schön geplant, jetzt hast Du alles versaut. Das ist doch wirklich das Letzte!“
Rolf war so stinkig, jetzt konnte ich nur meinen letzten Trumpf aus dem Ärmel ziehen, der hatte noch jedes Mal geholfen: „Lieber Rolf“, begann ich ganz vorsichtig, „vergiss das Nobelrestaurant, lass uns in die Altstadt fahren und Haxen mit Sauerkraut essen.“ Über sein Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln, genau das, was ich an ihm so liebe.
„Worauf warten wir noch?“ Mit diesen Worten nahm er den Hund an die Leine, denn der hatte schon verstanden wohin es ging. Altstadt und Haxen, waren für Puzzi Zauberwörter, die verstand er.
Das Praktische an der Sache war, niemand musste sich extra umziehen.
Zielstrebig schritt Rolf mit dem Hund auf mein kleines Auto zu: „Wir nehmen doch Dein Auto?“
Das war in Ordnung, denn in den engen Gassen der Altstadt, konnte das Auto nicht klein genug sein. Ich stieg am Fahrersitz ein und er platzierte den Hund hinter unseren Sitzen. Wie immer kam von meinem Mann die Frage: „Benzin hast Du aber schon genug.“ Mit dem Finger zeigte ich auf die Tankanzeige, der Tank war fast voll. Rolf lehnte sich in seinen Sitz zurück und schaute zum Seitenfenster hinaus, um keinesfalls den Eindruck zu erwecken, mir auf die Finger zu sehen.
Auf dem Parkplatz stand Auto an Auto, weit und breit war keine Lücke auszumachen. Laufend kamen neue Autos auf den Platz gefahren, die wie wir suchend durch die Reihen fuhren. Mein Mann entdeckte einen Platz, der für mein kleines Auto gerade ausreichend war. Erleichtert parkte ich ein. Rolf holte den Hund aus dem Auto und ich schloss ab. Puzzi zog wie besessen an der Leine. Rolf bemerkte: „Heute gibt es sicher die Haxen zum Sonderpreis, bei dem Ansturm.“
Das Lokal war brechend voll. Der Kellner kannte uns und den Hund und winkte. Ganz in der Ecke am großen Tisch auf der Eckbank waren noch zwei Plätze. Da hatte der Hund auch genügend Platz. Normal mochten wir den großen Tisch nicht, denn nicht alle waren begeistert einen Hund unter dem Tisch zu haben. Wir zwängten uns auf die beiden Plätze und setzten Puzzi unter den Tisch. „Bleib bei Fuß“, ermahnte ich ihn, denn Puzzi war ein folgsamer Hund.
Beim Kellner gab mein Mann die Bestellung auf: „Zwei Radler bitte und zwei mal Haxen mit Sauerkraut.“
Der Kellner brachte die Getränke und schleppte Teller mit Haxen durch die Gaststube, nur wir warteten schon länger als dreißig Minuten. Wir fingen an unser Getränk einzuteilen, denn normaler Weise tranken wir immer nur eine Radler. Rolf meinte: „ wenn er das Essen bringt, bestelle ich noch eine Radler, Haxen ohne Radler schmeckt doch nicht.“ Als der Kellner vorbei lief, fragte mein Mann höflich: „Haben Sie unser Essen vergessen?“ „Nein“, antwortete der Kellner, „Kommt sofort.“
Alle um uns herum kämpften mit ihren Haxen. Der Duft stieg nicht nur uns in die Nase, auch Puzzi wurde langsam ungeduldig. Bisher hatte er sich damit begnügt, meine Füße blitzblank zu lecken. Auch meine Schuhe waren vom Straßenstaub gereinigt. Jetzt wollte er nicht länger warten und biss mir energisch in den Zeh.
Mir rutschte ein:„ Aua“ heraus und alle am Tisch schauten mich mitleidig an. Ein dicker Herr, schob gerade seinen halbvollen Teller zur Seite. Ich zeigte mit dem Finger auf sein Fleisch und fragte: „Kann ich das bitte haben?“ Der grinste mich verächtlich an und sagte: „Ja gerne, was müssen Sie für einen Hunger haben!“ Alle am Tisch lachten, keiner konnte hören, dass ich betonte, dass nicht ich, sondern mein Hund nicht mehr warten konnte.
Auf eine Serviette legte ich die mit reichlich Fleisch bestückte Haxen und legte sie meinem Hund unter den Tisch. Für Puzzi war jetzt die Welt in Ordnung. Er fraß vergnüglich unter dem Tisch und als wir endlich auch gegessen hatten, wickelten wir unser Fleischreste in eine Serviette und forderten Puzzi auf, mit uns das Lokal zu verlassen. Er wollte den Knochen nicht zurück lassen, also nahm mein Mann den auch noch mit.
Geduldig wartete Rolf, bis ich das Auto aufgeschlossen hatte. Dann setzte er Puzzi hinter unsere Sitze, den angefangenen Knochen davor. Die beiden Reste von uns wickelten wir in eine Papierserviette und legten sie auf die Rückbank. Mein Mann fand es so lustig, was der Mann gesagt hatte: „Was müssen Sie für einen Hunger haben.“ Er lachte die ganze Zeit albern, während ich am Zündschloss herum stocherte. Als Rolf merkte, dass ich Schwierigkeiten hatte, schaute er dezent zum Fenster hinaus. „Wann hast Du denn den Außenspiegel montieren lassen?“ Rolf schaute verdutzt auf den offensichtlich neuen Spiegel. Plötzlich war ich hellwach: „Außenspiegel? Welchen Außenspiegel, ich habe keinen auf der rechten Seite.“ Rolf deutete mit dem Finger zum Seitenfenster hinaus. Tatsächlich, da war ein Spiegel, aber ich hatte keinen! Jetzt war mir klar, warum ich den Schlüssel nicht in das Zündschloss bekam.Das war gar nicht mein Auto! Mein Mann kam aus dem Lachen nicht mehr heraus. Wie zwei Autodiebe stiegen wir schnell aus, nahmen den Hund und schlossen die Türen ordnungsgemäß wieder ab. Nix wie weg von dem fremden Auto. Wir suchten die Reihen durch und wunderten uns wie viele Autos vom gleichen Hersteller und in der selben Farbe hier auf dem Parkplatz standen. Schließlich hatten wir es gefunden. Wir stiegen schnell ein, und setzten den Hund wieder nach hinten. Als ich daheim auf den Hof fuhr, sprang er aus dem Auto und machte mir die Garage auf. Ich fand es schon alles komisch, aber Rolf war heute besonders albern. Er holte den Hund aus dem Auto und fragte: „Wo sind denn die Knochen?“Jetzt war es um mich geschehen. Ich sagte lachend: „In dem Auto, auf dem Parkplatz.“ Zum Ausklang des Abends, tranken noch ein Glas Wein und malten uns aus, wie der Mensch, dem das Auto gehörte wohl schauen wird, wenn er die Knochen in seinem Auto findet. "
Alle hatten gespannt zugehört, und ganz die Zeit vergessen. Die Damen packten zusammen und beeilten sich, das Abendessen nicht zu verpassen. Die Gesellschaft hörte man noch lange lachen, bevor sie zur Klinik abbogen.
Kurz nach unserer Hochzeit, zogen Tina und ich zu meinem Mann nach Oberschwaben. Wir brauchten einen ganzen Tag, um die Wohnung wohnlich einzuräumen. Danach ging mein Mann am Abend aus, um seine Mutter zu besuchen. Die war extrem neugierig und nach jeder Flasche Bier, die sie Martin vorsetzte, wurde er gesprächiger.
Mitternacht war schon vorbei, als zuerst seine Bierfahne, dann Martin die Wohnung betrat. Pfui Teufel, Bier, so ein ekelhafter Geruch! Ich fing an, ihm Vorwürfe zu machen.
Er beteuerte überhaupt nicht betrunken zu sein, und wollte jetzt den Flur und die Treppe putzen. Wir hatten gar keine Kehrwoche die hatte meine Nachbarin.
Mein Mann ließ sich nicht beirren und füllte den Eimer voll Wasser. Nebenbei erfuhr ich, dass die nette alte Dame von nebenan, ihm in der vorigen Woche nach geputzt hatte. Sie hatte behauptet die Ecken waren nicht sauber. Inständig bat ich ihn es zu lassen, da er offensichtlich einen Rausch hätte.
„Nein“, widersprach mein Angetrauter, „ich hatte nur so furchtbaren Durst, vom Möbelrücken.“ Mit dem randvollen Eimer ging er nun ins Treppenhaus. Er kippte die erste Hälfte vor die Wohnungstür der Nachbarin, und den Rest die Treppe hinunter. Dazu klingelte er an ihrer Wohnungstür und rief: „Jetzt Rosa, kannst du gucken, ich habe die Treppe geputzt.“
Danach verschwand er im Bett, und es dauerte keine zwei Minuten, da schnarchte er schon.
Nachdem ich das Wasser im Flur und Treppenhaus aufgeputzt hatte, schlief ich in der Stube auf dem Sofa.
Seinen Durst hatte er für ungefähr eine Woche gelöscht. Dann muss es wohl im Krankenhaus einen anstrengenden Tag gegeben haben. Mit total ausgetrockneter Kehle, kehrte er auf dem Heimweg in einem Wirtshaus ein. Dort setzte er sich zu den letzten trauernden Hinterbliebenen, eines Leichenschmauses. Es war noch reichlich Wein auf den Tischen. „Komm Martin, hilf uns austrinken, wir schenken dem Wirt nichts!“
Dank des unwahrscheinlichen Durstes meines lieben Ehemannes, leerte sich Flasche um Flasche. Als alles aufgeräumt war, machten sich die Helden des Tages auf ihren Heimweg.
Da ich immer auf meinen Mann wartete, damit er nie ohne Abendessen ins Bett musste, hörte ich ihn die Treppe herauf stolpern. Er hatte Schwierigkeiten das Schlüsselloch zu finden, das sich zu drehen schien.
Nachdem er erfolgreich die Jagd nach dem Schlüsselloch beendet hatte, kam er in den Hausgang getorkelt. „Du bist ja schon wieder total betrunken!“ Fuhr ich ihn entsetzt an.
Mein Martin, fest überzeugt, eine gute Tat vollbracht zu haben, war zutiefst beleidigt. „Dann bringe ich mich jetzt um!“, sagte er deprimiert.
Ich half ihm aus seiner Anzugjacke und öffnete die Knöpfe seines Oberhemdes. Während ich die Jacke und das Hemd, auf den Bügel ins Schlafzimmer brachte, platzierte er sich vollkommen nackt auf dem Fußboden in meiner winzigen Küche. In der Hand hielt er mein größtes Fleischmesser. „Mach mein Messer nicht schmutzig!“, schrie ich ihn an.
Mein Mann war nicht der Selbstmörder-Typ. Ich wusste, er wollte mich ärgern und freute sich köstlich wenn ich mich aufregte. Schnell hob ich das Messer auf und fragte, wohin ich denn stechen sollte.
Das gefiel Martin nicht, er stand auf und meinte: „Dann springe ich eben aus dem Schlafzimmer-Fenster.“ Als er in Schlafzimmer taumelte, rief ich ihn nach: „Zieh dir was an, draußen ist es frisch, nicht dass Du dich noch erkältest!“ Durch die offene Tür, sah ich, dass er tatsächlich nackt im offenen Fenster saß. Da zog ich es vor, die Tür zu schließen. Wenn er wirklich hinaus springen wollte, wir wohnten im ersten Stock, und unten war eine Wiese.
Ich wartete, bis er schnarchte und ging aufs Sofa zum Schlafen.
Am nächsten Tag zog ich es vor, die Nacht mit keinem Ton zu erwähnen. Zwar stimmte es nicht, aber ich behauptete dass es mir völlig „Wurst“ war, ob er sich mit dem Saufen, oder mit dem Brotmesser umbrachte. Von da an hatte mein Martin immer seltener Durst.
Jetzt trinken wir an Sonn- und Feiertagen, zu den Mahlzeiten ein Gläschen Wein, ganz gleich ob wir Durst haben oder nicht.
Eine Torte zum Muttertag
Helena war 8 Jahre alt und in der zweiten Schulklasse. Hannah war fünf Jahre älter. Ihr Hobby war Kuchen backen.
Ihre ersten Kuchen waren Apfelkuchen, aber das war vor fünf Jahren. Jetzt backte sie Torten, zu jedem Anlass. Sie hatte sich auf Buttercremetorte spezialisiert. Den Boden kaufte sie beim Bäcker und dann ließ sie ihrer Phantasie freien Lauf. Helena war immer dabei und musste ihr zur Hand gehen.
Nun war Muttertag und ich sollte unbedingt ausschlafen, denn das gehörte bei uns zum Muttertag dazu.
Mein Mann hatte Sonntagsdienst und ich stand auf um ihm das Frühstück zu machen. Als er das Haus verlassen hatte, ging ich brav wieder ins Bett um meine Mädchen nicht zu enttäuschen.
An Schlaf war nicht mehr zu denken, denn ich war es gewohnt früh aufzustehen. So wälzte ich mich hin und her und wartete darauf, dass die Kinder mich "weckten."
Endlich durfte ich aufstehen. Als ich im Bad war, schaute Helena durch den Türspalt und sagte: "Der Kaffee ist fertig." Dann wartete sie gespannt auf mich. Wir gingen gemeinsam in die Stube, wo sie den Tisch für mich gedeckt hatten.
In einer Vase stand ein Blumenstrauß aus unserem Garten. Daneben eine Mocca Torte, wunderschön, garniert mit Schokoladen-Bohnen.
Mir kamen fast die Tränen, wie viel Mühe hatten sie sich da gegeben! Hannah schenkte den Kaffee ein und gemeinsam legten sie mir ein Stück Torte auf den Teller. Auch Hannah und Helena nahmen von der Torte und wir hatten ein festliches Frühstück. Ich lobte die Torte, und Hannah betonte, dass ihr Helena dabei geholfen hatte.
Gemütlich beendeten wir unser Frühstück und die Kinder liefen das Geschirr abzuräumen.
"Schmeckt dir die Torte?" fragte Helena. "Ja, die ist richtig köstlich", betonte ich noch einmal lobend. Helena hatte so ein seltsames Grinsen im Gesicht und hakte noch einmal nach: "Und die Schokobohnen? Waren die auch gut?" "Aber sicher, ich hatte noch nie so eine leckere Torte", versicherte ich mit Nachdruck.
"Die Schokobohnen waren alle weiß angelaufen, aber weil heute kein Geschäft offen hat, um neue zu kaufen, haben wir die ganzen Schokobohnen einzeln abgelutscht." Wusste Helena zu berichten. Hannah schaute mich ängstlich fragend an. Ich musste schmunzeln und mutmaßte: "Vielleicht schmeckt die Torte ja deshalb so lecker."
Als mein Mann vom Dienst heim kam, tranken wir gemeinsam Kaffee, über die Herstellung der Torte wurden nun nicht mehr gesprochen.
Die Pralinenschachtel
Mein Mann isst für sein Leben gern Pralinen. Deshalb bekam er die schönsten Pralinen zu jedem Anlass.
So war es auch an seinem Geburtstag. Mein Mann wurde fünfzig Jahre alt und ich bereitete ein Fest vor, zu dem ich alle seine Verwandten einlud. Alle hatten ein Geschenk für ihn, aber an Pralinen hatte niemand gedacht. Zum fünfzigsten Geburtstag schenkten sie etwas Ausgefallenes. So bekam er ein Sparschwein mit fünfzig Markstücken, einen riesigen Vesperteller, und viele nützliche Dinge.
Enttäuscht schaute sich mein Mann um und vermisste die gewohnte Pralinen-Schachtel.
Ich hatte mir für diesen Tag viel Mühe gegeben, Torten und Kuchen gebacken. Aber an Pralinen hatte ich nicht gedacht. Helena half mir beim Spülen, danach mussten wir das Abendessen richten. Sie war bereit eine Schachtel zu kaufen, und lief zum nächsten Geschäft. Dort erstand sie die schönste Geschenk-Packung, die sie gleich einschlagen ließ.
Versehen mit einer großen Schleife, schmuggelten wir das Prunkstück an den hintersten Rand des Tischchens, auf dem die Geschenke langen. Mein Mann war abgelenkt und hatte es nicht mitbekommen.
Der letzte Gast blieb bis Mitternacht. Kaum war er gegangen, begann Martin die Geschenke alle wegzuräumen. Plötzlich sah er die Pralinen. Seine Augen glänzten: „Da sind ja auch Pralinen“, jubelte er. Er entfernte das Geschenkpapier und gab mir die Schleife. Da mein Mann „eingeborener“ Schwabe ist, sagte er: „Die kannst du noch einmal gebrauchen.“ Dann ging er mit der Packung die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Dort hatte er in seinem Schrank zwei uralte dicke Winterpullover, die er gar nicht mehr trug. Die waren das geeignete Versteck für die Pralinen. Hier sollten sie sicher ein paar Monate lagern, da mein Mann die Angewohnheit hatte, Pralinen-Schachteln erst dann zu öffnen wenn er dazu in Stimmung war - und dann konnte dauern. Jeder in der Familie kannte jedoch sein Versteck.
Hannah kam immer vor Weihnachten in Urlaub. Sie machte eine Lehre im Allgäu in einem großen Hotel. Es war ihr letzter Ferientag, und ich hatte mich mittags ein wenig hingelegt, weil ich sie noch ins Allgäu fahren wollte.
Plötzlich ging die Schlafzimmertür auf, Hannah kam herein, machte den Schrank von meinem Mann auf, holte einen Stuhl und stieg hinauf. Mit einem Griff holte sie die Pralinen-Schachtel hervor.
Verzweifelt bat ich sie, die Schachtel nicht aufzumachen. Es hatte keinen Zweck. „Ich fahre heute wieder weg, und ich will jetzt eine Praline“, eröffnete sie mir. Geschickt schob sie das Cellophan-Papier von der Schachtel. Dann klappte sie den Deckel auf und nahm die schönste Praline, die direkt in der Mitte steckte. Danach schob sie die Cellophan Hülle wieder darüber und legte die Packung dahin, von wo sie sie genommen hatte. Sie räumte den Stuhl auf und verschwand mit der Praline.
Hannah war zwar nicht die jüngste meiner Töchter aber die Kleinste und Lebhafteste.
Wie lange Zeit inzwischen verstrichen war, weiß ich nicht mehr.
Eines Abends kam mein Mann ins Schlafzimmer. Er holte die Pralinen-Schachtel aus dem Schrank und sagte: „Ich habe ja noch was Gutes für uns.“
Ich war gespannt was er jetzt sagen würde. Als Martin den Deckel von der Schachtel öffnete, schimpfte er entsetzt: „Guck dir das an, da fehlt doch tatsächlich eine Praline in der Packung.“ Dann sah er den Packzettel; auf dem stand die Adresse, bei der man reklamieren konnte. Er gab mir den Zettel und war fest entschlossen sich bei der Firma zu beschweren. Nun stand aber auf dem Zettel das Verfallsdatum. Das war schon längst verstrichen.
Vorsichtig fragte ich nach, ob es denn nicht möglich wäre, dass da jemand eine Praline herausgenommen hätte.
"Unmöglich", sagte mein Mann, "Die Schachtel war Original verschlossen."
"Wenn du deine Pralinen nicht immer so lange aufbewahrst, kannst du im Notfall auch reklamieren." Damit beendete ich das Thema.
Als wir nach Jahren wieder ein Fest zu feiern hatten, erzählte mein Mann die Geschichte den Gästen. Hannah und ich brachten die Wahrheit ans Licht, die mein Mann aber nicht glauben wollte. Aber ab da achtete mein Mann peinlich genau darauf, das Verfallsdatum nicht mehr verstreichen zu lassen.
Texte: Anneliese Koch
Bildmaterialien: Bild Seerosen-Teich: Manuela Schauten, Cover, eigenes Foto
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2013
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