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Die Probefahrt

 

Wir wohnten in einem Kurort, und da bot es sich an, einen Fahrradverleih zu eröffnen. Mit unseren eigenen Fahrrädern. Die wurden verkehrssicher hergerichtet und vermietet. Dann kauften wir gebrauchte Fahrräder, und es dauerte nicht lange, da konnten wir auch neue Fahrräder kaufen.

Die Kurgäste hatten unterschiedliche Wünsche. Manche wollten normale 3- oder 5-Gang- Räder, andere dagegen verlangten Trekking oder Rennräder. Wenn die Räder dann zurück gebracht wurden, Mussten sie total überholt werden. Danach machten wir eine Probefahrt, um die Gangschaltungen zu überprüfen.

Wir, das waren Helena und ich.

Es war ein schöner Sommertag, ich trug ein leichtes Dirndl aus Baumwollbatist,  und Helena ein Top und eine weiße, kurze Hose.

So gingen wir auf den Hof, um die Fahrräder zu holen, die mein Mann bereitgestellt hatte. Ich bekam das 5-Gang- Rad ohne Rücktritt, mit dem Markennahmen „Orkan“.

Unsere Tour führte uns immer weiträumig um die Stadt herum. Bei schönstem Wetter kamen wir auf die Straße, die bergan durch den Wald führte. In der Ferne hörten wir Donner. Noch waren wir nicht an der höchsten Stelle angekommen und Helena meinte: „Wenn auf der anderen Seite des Berges ein Gewitter ist, kürzen wir den Weg ab. Dann fahren wir durch den Wald nach Hause. Wir bedachten nicht, dass der Waldweg auf der anderen Seite des Berges war.

Das Ende des Waldes hatten wir erreicht, und bisher keinen Tropfen Regen abbekommen. Die letzten 20 m mussten wir absteigen, und schieben, der Weg war zu steil. Das Gewitter war jetzt schon ganz nah. An der höchsten Stelle war eine Bushaltestelle, mit einem Wartehäuschen. Da wollten wir uns auf die Bank setzen und das Gewitter abwarten.

Die letzten fünf Meter goss es wie aus Kübeln.

Es blitzte und krachte und auch der Sturm mischte ordentlich mit. Wir waren ja schon nass, aber der Wind trieb den Regen in unseren Unterstand. Die Straße sah aus wie ein Fluss und das Wasser rauschte den Berg hinab ins nächste Dorf.

Von überall wurden wir nass. Hinter uns kam der Regen die Böschung herunter vor uns umspülte das Wasser von der Straße unsere Füße. Wir saßen auf der Bank, wie zwei Häufchen Elend und wünschten nur, dass das Unwetter weiterzog. Aber zurück wollte es nicht, und voraus war der Berg.

Ich schaute mich um, da war noch ein hoher Baum in der Nähe. Nun hoffte ich, wenn der Blitz hier einschlagen wollte, dass er dann in den Baum schlug. Zwei Stunden lang tobte das Gewitter um uns herum. Meine Angst wollte ich nicht zeigen, denn Angst ist ansteckend.

Helena fror, in ihrem Top. Ich band meine Dirndl-Schürze ab und gab sie ihr. Sie band die über die Schultern.

Es war schon nach 22.00 Uhr, das Gewitter hatte sich ausgetobt, aber es regnete immer noch. Auf der Straße war es noch gefährlich nass, dazu stockdunkel. Die Gewitter-Reste tobten jetzt rund um das Umspannwerk im Tal. Und da mussten wir vorbei, wenn wir nach Hause wollten. „Und wenn wir doch durch den Wald fahren?“ Fragte Helena nachdenklich. In diesem Augenblick tauchte ein Auto auf. Der Gutsverwalter war losgefahren um seine Weiden ab zufahren. Die Rücklichter von unseren abgestellten Fahrräder hatten ihn auf uns aufmerksam gemacht.

Er kannte uns, denn er war ein guter Bekannter meines Mannes. „Ich würde Euch gern nach Hause fahren, aber die Fahrräder kann ich nicht einladen, ich habe ein Kalb im Kofferraum.“ Wir sollten noch 30 Minuten warten, „dann wird’s Wetter besser und vielleicht kommt dann der Mond. Ich werde bei Euch Bescheid sagen, dass Euch nichts passiert ist.“ Er fuhr weiter und ich hätte heulen können. Zu Helena sagte ich: „Eigentlich sind wir ja schon nass bis auf die Haut, da könnten wir ja ruhig losfahren.“ Aber welchen Weg? Die Straße hinab am Waldrand vorbei, würden wir ca. 30 Minuten brauchen, aber da war das Umspannwerk, da blitzte es immer noch. „Ja“, Helena zeigte die Straße hinunter, „An der Weide können wir abkürzen. Da hängen wir das Gewitter ab.“ Auf der Straße floss aber noch das Wasser. Gefährlich mit unseren schmalen Rennradreifen. Ich hatte Angst.

Wieder kam ein Auto. „Jetzt kommt Papa und holt uns“, freute sich Helena vergebens.

Ein Polizeiauto hielt vor unserem Unterschlupf. „Mensch habt Ihr Glück gehabt“, sagte einer der beiden, „da schlägt der Blitz jedes Jahr einmal ein.“ Einer der beiden hatte eine Thermoskanne mit Kaffee dabei, den bekamen wir. Ich hoffte, dass die beiden uns nach Hause brachten. „ Wir können Euch leider nicht mitnehmen, unten am Wald liegen Bäume auf der Straße, wir haben Werkzeug im Auto. Ihr könnt nur über den Berg zurück fahren, oder unten über die Hauptstraße, nicht durch den Wald und nicht am Wald entlang.“ Den Kaffee hatten wir getrunken, wir gaben die Kanne und die Becher zurück und die Polizisten fuhren wieder los.

Weil wir den Weg durch den Wald nicht fahren sollten, hatten wir uns entschieden: Wir fuhren durch den Wald. Den Waldweg kannten wir, und jeden Baum und jede Kurve. Wir hätten die Polizisten um eine Taschenlampe bitten sollen, denn der Mond kam nicht, es regnete immer noch ein wenig. Wir waren uns sicher, in 15 Minuten würden wir zu Hause sein.

 Mit gemäßigten Tempo fuhren wir den steile Waldweg hinab. „Pass auf“, rief ich der vorausfahrenden Helena zu, „jetzt kommt die Waldkreuzung!“ Helena schrie „halt!“ Sie hatte abgebremst, also bremste ich auch. Auf dem Weg lagen mehrere Bäume. Genau hier, gingen drei Wege ab, den linken unteren mussten wir weiter. Aber wir mussten zuerst die Räder über die Bäume tragen. Zu dumm, dass es damals noch keine Batterielampen gab, für die Fahrräder. Wir plagten uns redlich, und die Zeit verging. Als wir die Baumstämme überwunden hatten, hatten wir die Richtung verloren. Wir irrten durch den stockdunklen Wald, bis wir an eine Stelle kamen, die wir kannten. Jetzt mussten wir wieder umdrehen und kamen erneut an die umgefallenen Bäume. Nein nicht noch einmal. Wir beschlossen, um die Bäume herum zugehen. An die tiefen Löcher, die die Baumwurzeln in den Waldboden gerissen hatten,  hatten wir nicht gedacht. Mir war zum Weinen, Helena ging es sicher genau so. Als wir losfuhren, waren wir durch und durch nass, jetzt waren wir voller Matsch. Plötzlich hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen und nach einigen Metern sahen wir, das war der rechte Weg.

Fünf Minuten später waren wir daheim. Mein Mann sah uns an und unser jämmerlicher Anblick hielt ihn davon ab, die schmutzigen Fahrräder zu beklagen. „Was haben wir heute mitgemacht“, jammerte ich. „Wieso heute,“ meinte Helena, „das war gestern.“ Wir duschten und fielen todmüde ins Bett.

 

 

Impressum

Bildmaterialien: Titelbild Book Rix
Tag der Veröffentlichung: 08.06.2013

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