Nun waren die Sommerferien vorbei. Hannah ging in die zweite Klasse. Mein Mann und ich hatten gestritten, wer von uns das schöne Zeugnis von ihr unterschreiben durfte. Um sie brauchten wir uns nicht mehr zu sorgen, sie war Feuer und Flamme für die Schule. Helena war ganz verrückt in den Kindergarten zu dürfen, weil Tante Hilde, die Kindergärtnerin so nett war. Sie hatte Recht, sie war eine liebevolle Frau und machte jetzt ihr letztes Jahr vor der Rente. Da Sarah nicht mitging, musste täglich zweimal zum Kindergarten fahren.
Kaum hatte ich Helena im Kindergarten abgeliefert, kam Sarah zu mir. Das ärgerte mich, denn dann hätte sie ja auch in den Kindergarten gehen können.
„Was willst du denn hier, Helena ist nicht da“, machte ich einen Versuch sie los zu werden. Sarah schaute mich vorwurfsvoll an: „Mein Nutella-Brot!“ Also machte ich ihr das Gewünschte. Komisch, meine Kinder gehen nirgends hin, etwas zum Essen zu bekommen, die essen immer nur daheim, dachte ich. Wir waren von den Kapellenhöfen sowieso die „Ärmsten“, wir hatten keinen eigenen Hof und nur Kleinvieh. Die anderen hatten eigene Höfe und fuhren Mercedes, während mein Mann einen Japaner, und ich einen alten Gebrauchtwagen fuhr.
So ging es nun täglich, Sarah kam zum Frühstück zu mir. Dann schlich sie mir nach beim Eier sammeln, und wenn der große Milchwagen von ihrem Hof kam, ging sie heim zu ihrer Mutter.
Nun kam Sarah wie üblich um ihr Nutella-Brot zu bekommen. Es tat mir leid, dass ich ihr keines geben konnte und sagte: „Ich habe leider kein Brot mehr, aber wenn du von deiner Mama eine Scheibe Brot bringst, bekommst du dein Brot mit Schokoladen-Aufstrich.“ Die Kleine lief heim, um bald wieder ohne Brot zurück zukommen. „Meine Mama hat auch kein Brot“, berichtete sie.
Ich beschloss den akuten Brot-Notstand zu beenden und nahm Sarah mit in mein Auto. Nun machte ich, was ich erst mittags machen wollte, nahm gleich die Eier für den Bäcker und fuhr los. Da meine Nachbarin ja auch kein Brot hatte wollte ich ihr auch eines kaufen, und fuhr zuerst bei ihr über den Hof.
Frau Reck kam gerade aus ihrer Milchküche. Ich ließ das Fenster runter und rief ihr zu: „Ich fahre zum Bäcker, soll ich ihnen auch ein Brot kaufen?“ „Nein, ich habe Brot genug!“ Gab sie mir zur Antwort. Nun glaubte ich, aus der Haut fahren zu müssen, und fragte unwirsch: „Und warum haben sie dann Sarah keines gegeben, das Brot war doch für sie! Sie verlangt jeden Tag von mir ein Nutella-Brot.“ Das Ansehen der Nachbarin hatte jetzt gelitten, und ich wusste noch nicht, ob ich mit ihr noch einmal sprechen wollte.
Sarah kümmerte das jedoch wenig, sie kam weiterhin pünktlich jeden Morgen.
Es wurde Herbst, und wir sammelten die Äpfel auf und fuhren damit in die Mosterei. Wir hatten sehr viel Äpfel, soviel Most konnte mein Mann gar nicht trinke. Deshalb verkaufte ich einige Wägen voll. Da ich mit dem Anhänger nicht rückwärts fahren konnte, fuhr ich etwas weiter in die Mosterei, bei der man auf der einen Seite hinein fahren konnte und auf der anderen Seite wieder heraus kam.
Martin belächelte das. Er sorgte sich um mein Auto, und hatte Angst, dass ich mit ihm nicht durch den nahenden Winter käme. Er wollte für mich einen VW-Bus kaufen. Ich konnte mich dafür nicht erwärmen, und schob die Entscheidung auf. „Vielleicht fahre ich den Variant ja im Winter kaputt, dann kannst du mir den Bus kaufen“, sagte ich.
Ab und zu schrieb ich an Mutti. Sie hatte mir doch geschrieben, dass sie sich sehr einsam fühlte.
So schrieb ich ihr eines Tages, dass ich manchmal Heimweh nach Westfalen hatte. Immer, wenn ich längere Strecken fuhr, dachte ich daran, einfach Gas zu geben und Richtung Heimat zu fahren. Daraufhin lud sie mich ein, sonntags zum Kaffee zu kommen. Ja dachte ich, so schnell sind die 650 km nicht gefahren.
Es vergingen zwei Wochen, da rief sie an: „Wo bleibst du denn, ich hatte schon letzten Sonntag mit dem Kaffee auf dich gewartet. Weil du letzte Woche nicht gekommen bist, habe ich heute auf dich gewartet. Ich hatte extra Kuchen gebacken.“ Ich brauchte eine Weile, ihr klar zu machen, dass ich nicht mal schnell zum Kaffee zu ihr fahren konnte. Ich brauchte eine Übernachtungsmöglichkeit und außerdem hatte ich ja zwei kleine Kinder. „Du kannst doch die Kinder mitbringen, schlafen könnt ihr auch bei mir.“ Ihre Enttäuschung konnte ich ihr anhören. Sie tat mir leid und ich versprach ihr, im Frühjahr während der Ferien zu Besuch zu kommen. Im Stillen zweifelte ich daran, mein Versprechen einhalten zu können.
„Dann kaufe ich aber den Bus, vorher“, warf mein Mann ein. Ich wollte nicht, dass Martin das Geld, was er von seinem Onkel geerbt hatte, unnötig ausgab. „Dein Geld wird aufbewahrt“, erinnerte ich ihn, „irgendwann möchte ich, dass wir etwas eigenes kaufen!“ Martin ließ sich nicht beirren: „Der kostet doch nur 2000.-- Mark, die holen wir mit Zinsen wieder rein.“ „Ja vielleicht in zwanzig Jahren“, maulte ich, und begann meinen Traum vom eigenen kleinen Häuschen zu begraben.
Zu Martins Geburtstag kam Bernd für zwei Tage zu Besuch. Wir standen in der Küche und bereiteten das Essen für unsere Gäste vor. Hannah war mit Ulla unterwegs und Helena spielte mit den Katzen. Auf unserem Hof herrschte die gewohnte friedliche Stille. Da es ein schöner Herbsttag war, hatten wir die Haustür offen.
Plötzlich kam vom Hof her ein lautes Geschrei. Bernd ließ sein Messer fallen, drehte sich um und schrie vor lauter Schreck: „Bolle!“ Voller Panik rannten wir auf den Hof. Wir hatten mit allem gerechnet, z.B. eine Attacke vom Truthahn, Zwerghahn oder Gänserich.
Unsere Bolle stand mitten auf der kleinen Wiese vor dem Stall, und machte den Versuch ihren Katzen etwas vorzusingen. Sie quietschte aus lauter Lebensfreude. Musikalisch war sie anscheinend nicht. Bernd und ich schauten uns an, und mussten herzhaft lachen. Dann gingen wir erneut an unsere Arbeit.
Am Geburtstag waren dann wieder alle da. Auch Tina und Rainer mit dem Kleinen. Helmut war natürlich auch da, er wollte sich das Familienfest nicht entgehen lassen. Es amüsierte ihn ungemein, wenn die anwesenden Frauen ununterbrochen mit einander redeten. Wobei jede einzelne bemüht war, die andere an Lautstärke zu übertreffen. Von der Unterhaltung bekam man am meisten mit, wenn man nicht im selben Raum war.
Die wenigen anwesenden Männer, sagten vorsichtshalber nichts. Wenn die sich unterhalten wollten, gingen sie hinaus auf den Hof. Martins Bruder Toni, der nicht dabei war, war das Gesprächsthema Nummer 1. Er wohnte umsonst bei der Mutter, bezahlte kein Kostgeld und hatte auch noch ein Auto von ihr bekommen. Zu allem Überfluss sollte er auch noch das Haus bekommen. Alle hackten auf ihrer Mutter herum. Die meinte zu ihrer Entschuldigung: "Toni muss ja auch Geld sparen, damit er seine drei Geschwister später auszahlen kann."
Bernd schmunzelte in der Küche und zitierte: „Da werden Weiber zu Hyänen.“ Mein Mann hatte sich mit Helmut hinaus geschlichen. Sie versorgten die Tier und sortierten die Eier. Tina war mit Rainer und Alex auf dem Spielplatz. Sie schauten den friedlich spielenden Kindern zu.
Während wir das Abendessen anrichteten, erzählte mir Bernd indessen von seiner Arbeit, und seiner Chefin. Die wollte ihn von der Bundeswehr befreien lassen, sie wollte ihn nicht mehr gehen lassen. Bernd war die Chefin langsam lästig. Er hatte nun auch eine Freundin, von der seine Chefin aber nichts wissen sollte. Wenn er wieder zu Besuch käme, wollte er sie mitbringen.
So ging der Tag vorbei, und als alle gegangen waren, saßen wir am Tisch und teilten uns zu viert eine Flasche Wein. Helmut glaubte einen Gehörschaden davon zu tragen. Bernd bemerkte: „Tina hat es aber lange ausgehalten.“ Tatsächlich war sie bis zum Schluss geblieben.
Es war der 45. Geburtstag meines Mannes, und ich war mir ganz sicher, so schnell würde es bei mir keine Familienfeier mehr geben. Die nächsten Geburtstage würden wir allein, in aller Stille feiern. Bernd grinste: „Aber in zwei Jahren, hat Hannah Kommunion."
Dann lief wieder alles in geregelten Bahnen. Helmut mietete die Ferienwohnung an, und verbrachte dort ein paar Tage, mit einer seiner Freundinnen. Sarah kam weiterhin jeden Morgen, ihr Frühstücksbrot zu holen, und die Hühner legten jeden Tag ein Ei. Ilsabein, die Truthenne, sorgte jedes Jahr dafür, dass genügend Truthähne auf dem Hof die Sparziergänger erschreckten, besonders dann, wenn sie rote Socken an hatten. Die Gänse ersetzten den Wachhund und meldeten jeden, der von der Straße abbog. Ja ich liebte unsere kleine Farm und die Kinder waren hier glücklich.
Nun war außerhalb von unserem Weiler, im Wald, ungefähr fünfzehn Minuten von der kleinen Kapelle entfernt, das alte Forsthaus. Es war neu renoviert und seit einiger Zeit wieder bewohnt. Ein junges Ehepaar war dort eingezogen. Sie hatten zwei Kinder und einen riesigen Hund. Abends kamen die Kinder zum Milch holen zu Frau Reck. Sonntag morgens sah man die Kinder oft durch unseren Weiler streifen. Dann suchten sie immer nach Spielgefährten. Hannah und Helena wollten nicht mit ihnen spielen, weil die so eingebildet waren. Sie erzählten von ihren Eltern, die Lehrer waren, von Pferden und Reitstunden und vom Voltigieren. Niemand wollte sich mit ihnen anfreunden.
Die Kinder fädelten es geschickt ein, dass sie um die Mittagszeit an einem unserer Höfe landeten und setzten sich prompt zum Essen mit an den Tisch. Schon aus diesem Grund, spielten meine Kinder sonntags vormittags nicht mehr draußen. Die beiden „Forsthauskinder“, spielten oft stundenlang auf unserem Spielplatz. Es ging mir wirklich nicht um das Essen, aber ich wusste von den anderen Frauen, dass sie dann laufend kamen.
Nun fuhr eines Tages die Mutter auf den Hof. Ich konnte es nicht lassen, sie zu fragen warum ihre Kinder sonntags immer bei den Kapellenhöfen waren. Nun erklärte sie: „Sonntags gehen mein Mann und ich immer zum Reiten und anschließend gehen wir Essen. Wir kommen dann immer erst zum Kaffee zurück. Irgendwo müssen die Kinder ja bleiben!“
Sie war aber gar nicht der Kinder wegen gekommen, sondern wegen ihrem Hund. Weil ich ja am wenigsten Arbeit hätte, hatte sie daran gedacht, ihren Hund einen Tag bei mir lassen zu können. Ich fragte: „Und warum nehmen sie den Hund nicht mit?“ „Nein das geht leider nicht, wir haben eine Familienfeier in einem Schloss, da passt es nicht mit dem Hund. Aber die Kinder nehmen wir mit“, erklärte sie mir.
Einen Moment überlegte ich, dann sagte ich: „Ich habe keine Erfahrung mit Hunden, gucken sie mal an den anderen Höfen.“ Nein, da hatte sie schon gefragt, und es sei ja auch nur für einen Tag. Na, dachte ich, lieber den Hund als die Kinder. Dann holte sie ein Kalb von Hund aus dem Auto, einen Neufundländer, bestimmt der größte weit und breit.
Sie hatte Futter dabei und versicherte, dass es keinen lieberen Hund gäbe als ihn. Wenn ich mal nicht wüsste, was ich mit ihm anfangen sollte, dann wäre er im Auto gut aufgehoben, denn das sei sein absoluter Lieblingsplatz. Jetzt wollte sie den Riesen da lassen, morgen wenn sie nach Hause käme, versprach sie ihn abzuholen. Ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich da eingelassen hatte.
Zuerst bekam der Hund seine Schüssel voll Wasser. Danach kam er zu mir und putzte seine nasse Schnauze an meinem Rock ab. Dazu wedelte er vor lauter Freude mit dem Schwanz. Seine Augen konnte ich nicht sehen, vor lauter Haare die ihm im Gesicht herumhingen.
Wenn das mein Hund wäre, ich würde zuerst die Schafschererin rufen. Nachdem er mich vollgesabbert hatte, hob er ein Bein und begoss die gemalten Blumen an meinem Küchenschrank. Jetzt wurde ich ernsthaft böse. Ich schrie: „Du Riesenwildsau!“ Der Hund war beleidigt und verschwand unter dem Tisch, nachdem er sich mit dem Tisch auf dem Rücken, einmal um sich selbst gedreht hatte. Mir blieb nichts anderes übrig, als alles zerbrechliche weg zu räumen.
In der Hoffnung, dass der Hund jetzt eingeschlafen war, ging ich auf den Hof um meine Ziegen von der Weide zu holen. Dann rief ich Hannah und Helena und erzählte ihnen, dass der Hund aus dem Forsthaus bei uns im Esszimmer lag. Ja, den wollten sie immer schon mal aus der Nähe betrachten. Sie rannten also gleich ins Haus.
Es dauerte eine Weile, dann kamen die beiden zu mir in den Eierraum. „Da ist ja gar kein Hund“, sagten sie vorwurfsvoll. Meine Eier konnte ich morgen wiegen, jetzt musste ich schauen wo sich das Kalb versteckt hatte. Den großen Esstisch hatte der Hund vor die Tür gestellt. Ich nahm den Weg durch die Stube und der Hund war wirklich nicht da.
So ein großer Hund konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben, und ich wusste genau, die Tür zur Stube war vorher zu, jetzt war sie offen. Wo bitte schön war dieser Hund, so ein Riesentier, übersah man doch nicht! Ich räumte das Esszimmer auf und ging zurück durch die Stube um die Tür gut zu verschließen. Da sah ich im Augenwinkel einen großen schwarzen Teppich auf dem Sofa, der vorher nicht da war. Das Riesenkalb! Nun holte ich die Hundeleine und kaum hatte er die gesehen, sprang er von dem Sofa herunter und ließ sich anbinden.
Instinktiv lief ich mit dem Hund eine Runde, obwohl ich keine Ahnung hatte, dass man mit einem Hund „Gassi“ laufen musste. Wir gingen um die Weide, wobei er an jeden Zaunpfahl pinkelte. Als er merkte, dass wir auf dem Heimweg waren, garnierte er den Grünstreifen an der Straße mit einem Haufen.
Inzwischen war Martin auch zu Hause. Er sah mich kommen und fragte: „Ist das ein Bär?“ „Nein, ein Hund“, sagte ich etwas kleinlaut, denn der würde Martin sicher nicht gefallen. Hannah und Helena waren ganz begeistert als sie sahen, dass der Hund nun doch da war. Sie wollten den Hund zum Schlafen mit in ihr Zimmer nehmen. „Nein!“ rief ich entsetzt, „aber in dem Zimmer daneben, da steht eine alte Couch, da lege ich seine Decke darauf, da kann er schlafen.“ Mein Mann warnte uns: „Wenn das Haus heute Nacht zusammen bricht, ist der Hund schuldig.“
In der Nacht stand ich mindestens fünf mal auf und horchte an der Tür. Da schien alles ruhig zu sein.
Als ich morgens den Hund aus dem Zimmer holen wollte, war er nicht da. Ich fand ihn im Kinderzimmer vor Helenas Bett. Hannah behauptete die Tür nicht aufgemacht zu haben. Langsam fing ich an zu glauben, dass er Türen auf und zu machen konnte.
Nun kam er wieder an die Leine und ich nahm ihn mit, die Ziegen auf die Weide zu bringen. Als ich die Truthähne hinaus ließ, bekam er Angst, flüchtete und riss mich hinterher. Nun sperrte ich ihn in mein Auto, denn seine Herrin hatte behauptet, da gefiele es ihm am besten. Das Fenster machte ich etwas auf, nicht für den Hund, sondern für das Auto, damit es nicht so nach Hund stinken sollte. Dann ging ich die Hühnerställe auf machen und Eier sammeln. Ungefähr eine Stunde hatte ich Arbeit. Danach ging ich zum Wohnhaus hinüber, um das Kalb wieder aus dem Auto zu befreien.
Damit er eine ausreichende Liegefläche bekam, hatte ich vorher die hinteren Sitze umgekippt. Das war ihm aber anscheinend nicht genug, denn er hatte angefangen die vorderen Sitze selbst abzubauen. Den Bezugstoff hatte er schon entfernt, jetzt war er dabei die Polsterung heraus zu rupfen.
„Blödes Miststück!“ Ich nahm den Hund und sperrte ihn in den Garten. Dann ging ich Kaffee trinken. Wie sollte ich das Martin beibringen? Der würde sich furchtbar aufregen.
Zum Glück waren alle noch oben, es war ja Sonntag und Martin hatte heute auch frei. Aber lange würde er es im Bett nicht mehr aushalten, denn er war kein Langschläfer. So ging es mir durch den Kopf, dass vielleicht die Sitze aus dem Spielauto in mein Auto passen könnten. Das wäre eine Lösung, und der Schaden wäre nicht so groß, dachte ich.
Glücklich darüber, möglicher Weise die perfekte Lösung gefunden zu haben, streckte ich meine Beine aus, und trank die Kaffeetasse leer. Meine Blicke gingen unwillkürlich Richtung Küche. Da stand in der Küchentür das haarige Ungeheuer und blinzelte mich durch seine strubbelige Frisur an. Mit seiner Zunge leckte er sich ums Maul herum, als ob er Durst hatte.
Ich stand auf und gab ihm was zum Fressen und frisches Wasser. Er hatte wirklich Durst und wieder putzte er seine nassen Barthaare an meinem Rock ab. Seine Haare waren so lang, wie die meiner Heidschnucken. Mit der Hand fuhr ich ihm über den Kopf, und schaufelte seine Augen frei. Dankbar schauten mich zwei wunderschöne braune Augen an. Ich war kurz davor, mich unsterblich zu verlieben.
Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Martin kam und hinter ihm, Hannah und Helena. Mein Mann wollte wissen was es zum Essen gäbe, und die Kinder warteten auf ihren Kakao. Hannah hatte es eilig und bestrich für sich und Helena das Brot, wobei sie auch gleich die Tischdecke beschmierte.
Heute regten mich solche Kleinigkeiten nicht auf. Meinen Mann jedoch schon. „Lass doch“, sagte ich, „ die Decke war schon dreckig.“ Mich streifte ein dankbarer Blick von Hannah. Martin stand auf, um einen Rundgang durch die Ställe zu machen. Er kam gleich wieder herein und fragte: „Was ist mit deinem Auto passiert?“ „Vandalismus“, gab ich zur Antwort. Darauf mein Mann: „Das kommt davon, wenn man zu faul ist, das Auto in die Garage zu fahren.“
Helmut war immer noch da und pünktlich zum Mittagessen, kam er mit seiner Freundin herunter. Ich bat ihn Martin zum Essen zu holen, der im Eierraum am Sortieren war. Auch Helmut kam gleich zurück um zu melden, dass mein Auto demoliert war. Er glaubte mir das mit dem Vandalismus nicht und interessierte sich brennend für die Wahrheit.
Da er für jede Gelegenheit die richtige Lösung wusste, verlangte er von mir den Fahrzeugschein. Er kannte einen Autofriedhof, da würde er mit Sicherheit Sitze für mich finden. Sonst konnte er immer noch die Sitze aus dem Spielauto montieren, erklärte er. „Ich hätte jetzt eine Wolldecke darüber gelegt“, sagte ich. Nach dem Essen fuhr Helmut mit seiner Freundin los, um auf Schrottplätzen nach Sitzen zu suchen.
Er versicherte bis in zwei Stunden zurück zu sein, wir sollten mit dem Kaffee auf ihn warten. Er hatte gestern gesehen, dass ich Apfelkuchen mit Streusel gebacken hatte, den wollte er sich nicht entgehen lassen.
Er kam etwas spät zum Kaffee, weil er seine Freundin heimbringen musste. Die hatte sich den Ausflug anders vorgestellt. Das machte Helmut nichts aus, denn sie war ja schon ein paar Tage hier. Schon viel zu lange, wie Helmut feststellte. Jedenfalls hatte er ein paar schöne Sitze gefunden. Er hätte sie ja am liebsten sofort eingebaut. Ich wollte aber, dass die Frau sah, was ihr Hund angestellt hatte, wenn sie ihn abholte.
Sie kam erst am nächsten Morgen gleich um sieben Uhr und hatte es eilig, weil sie ja zur Arbeit musste. Ja wegen den Sitzen da käme sie dann noch, das wollte sie der Versicherung melden, versprach sie,- hielt es aber nicht. Mit tat der Abschied von dem Riesenkalb weh, ich hatte ihn ins Herz geschlossen.
Helena hatte ich nicht in den Kindergarten gebracht, aber bis ich die Schüler holen musste, war das Auto wieder in bester Ordnung.
Nachdem er fertig war mit dem Einbau, hatte er zu seinem großen Bedauern festgestellt, dass die Musterung der Sitze einen ganz winzigen Unterschied hatten. Mir fiel das nicht auf, Aber Helmut montierte einen Schaffellbezug auf den einen Sitz. Jetzt war er zufrieden. Gern hätte ich ihn aus Freude geküsst, aber das war bei Helmut nicht so angebracht. Er glaubte ohnehin, er sei für alle Frauen unwiderstehlich, drum ließ ich es lieber.
Er durfte sich etwas zum Essen wünschen, und wünschte sich: Reibekuchen. Die machte ich am nächsten Tag, und nicht nur Helmut freute sich darüber. Am nächsten Tag fuhr er wieder mal seine Kunden besuchen. Vier Tage wollte er wegbleiben, besorgt meinte er: „In der Zeit darf dem Auto nichts passieren.“ Wenn er zurück sei, wollte er das Auto von Martin für den Winter herrichten.
Für mich war der ganz normale Alltag wieder da. Wie ich es auch verdrängen wollte, immer wieder dachte ich an das Riesenkalb. Dann sah ich seine treuen braunen Augen, die mich so dankbar angesehen hatten. In Gedanken nannte ich den Hund liebevoll „Bärchen:“
Gerade hatte ich meine Ziegen gemolken, die schon wieder trächtig waren, und nur noch wenig Milch gaben. Die Milch wollte ich den Katzen bringen, die immer so fleißig Mäuse fingen. Mäuse hatte ich genug in der Futterkammer. Das Hühnerfutter schmeckte denen, und sie waren alle gut genährt. So ging ich über den Hof zum Katzen-Futternapf. Wie immer musste ich die Straße überqueren und guckte nach links und rechts.
Das konnte doch nicht wahr sein, da kam das Bärchen, und winkte mir von weitem mit seine Schwanz zu! Erfreut über das plötzliche Wiedersehen rief ich laut: „Bärchen!“ Da setzte sich der Koloss in Bewegung, und mit riesigen Sätzen kam er auf mich zugesprungen. Es schien mir, als wollte er mich umarmen, dabei warf er mich um. Die Ziegenmilch floss aus der Kanne und Bärchen schlabberte sie auf.
Dann war ich dran: Mit seiner Zunge leckte er überall, wo keine Kleidung meine Haut bedeckte. Zum Schluss lag er neben mir auf dem Boden und leckte mein Gesicht. Ich rappelte mich auf und ging in die Küche. Aus dem Kühlschrank holte ich dem Hund ein großes Stück Wurst. Am liebsten hätte ich ihm die Haare im Gesicht geschnitten, aber Martin hatte mir erklärt, dass Hunde mit langem Pony empfindliche Augen haben. Ich streichelte mein Bärchen und draußen hörte ich einen schrillen Pfiff. Bärchen stand auf und ging ohne Abschied zum Haus hinaus. Eine Autotür klappte zu, und dann sah ich ihn nie wieder.
Meine Kunden bestellten seit August schon wieder ihre Weihnachtsbraten bei mir. Im Dezember wollte ich wieder mit dem Schlachten beginnen. Ich sprach mich mit der Tagelöhnerin ab und richtete mich nach ihren Terminen. Zuerst musste ich Suppenhühner schlachten, hatte aber selbst kaum Hühner zum Aussortieren. Sie sahen alle noch so gesund aus und legten auch sehr fleißig.
Nun hatte ich einen Kollegen, der auch eine Hühnerfarm hatte, der aber Nudeln aus den Eiern fertigte. Immer wenn meine Eier nicht ausreichten, stellte er seine Nudelproduktion ein paar Tage ein, und brachte mir die Eier. Um die Osterzeit versorgte er mich auch jährlich mit Ostereier. Nun wollte er mir mit Suppenhühnern aushelfen, und war froh, dass er sie selbst nicht schlachten musste.
So fuhr ich abends zu seiner Farm um die Hühner abzuholen. Er war aus Oldenburg und adelig. Ich nannte ihn den Nudelbaron. Denn seine Nudeln waren die Besten im ganzen Kreis. Auf meinen Verkaufsfahrten hatte ich auch immer seine Nudeln dabei. Besonders interessant war sein Maultaschenteig. Den verkaufte er als Meterware. Der Teig war wie ein Ballen Stoff aufgewickelt.
Seine Farm war eine halbe Autostunde entfernt. Im Auto hatte ich zwei Hühnerboxen, mehr passten nicht hinein. Als ich sagte, dass ich fünfzig Hühner brauchte und sechzig wollte, lachte er und meinte: „Aber nicht in die zwei Boxen!“ Wir fingen dreißig Hühner, mehr wollte er nicht in die Boxen sperren, denn die Hühner waren ja auch Lebewesen.
„Die anderen dreißig, bringe ich ihnen morgen vorbei, wenn sie auch noch Nudeln brauchen, dann lohnt sich der Weg“, war sein Angebot. Ja, Nudeln konnte ich immer gebrauchen. Der Nudelbaron war ein sehr netter Herr, etwas älter als ich, schätzte ich. Seine Nudelfabrik war klein, aber blitzsauber. Dort arbeiteten zwei Frauen, die den ganzen Tag Nudelteig durch eine Schneidemaschine ließen. Das war oberschwäbische Handarbeit.
Ich selbst war ja kein Verehrer der Nundeln im Allgemeinen, aber meine Kunden liebten sie. Zumal ich ihnen erzählen konnte, den Betrieb gut zu kennen.
Bernd sollte zur Kommunion. Darunter konnte ich mir gar nichts vorstellen. Ich war evangelisch und hatte niemals Bekannte die katholisch waren. Zudem war ich hochschwanger, und wir warteten eigentlich täglich auf unser Baby.
In diesem Zustand wollte ich auf gar keinem Fall mit in die katholische Kirche. Auch nicht mit in die Wirtschaft, in der meine Schwiegereltern ein Festessen bestellt hatten.
Ich lud die ganze Verwandtschaft zum Kaffee trinken zu uns ein. Das freute meinen Mann und ich backte Kuchen und Torten. Während die anderen alle in der Kirche waren, deckte ich die Tafel. Zum Glück hatten wir einen großen Ausziehtisch und genügend Stühle.
Da nicht jeder bereit war, von meinem Kuchen zu essen, hatten alle Gäste Platz an dem Tisch.
Bernd sah gut aus, in seinem Anzug. Tina dagegen hatte immer noch nichts festliches zum Anziehen.
Während ich die Eltern und Geschwister meines Mannes bediente, hörte ich wie sie über Tina schimpften. Sie war mit in der Kirche und als die Kommunion-Kinder zum Altar vorgingen, um ihre Hostie in Empfang zu nehmen, war Tina die erste die beim Pfarrer war. Meine Schwiegermutter meinte zu wissen, dass es eine Todsünde war, Tina war ja nicht katholisch.
Auf unserem ersten Familientreffen lag also ein dunkler Schatten.
Martin war da recht zuversichtlich, und glaubte, dass sich seine Mutter und Geschwister bald beruhigen würden.
Seine älteste Schwester kam gleich in den nächsten Tagen und brachte mir ein Kinderbett, das war ein Familienbesitz. Martin war als erstes Kind darin gelegen, danach seine Geschwister und deren Kinder. Ich fühlte mich geehrt, dass man es mir anvertraute.
Nach Ostern war es dann soweit, unser Nachwuchs meldete sich unmissverständlich an. Ich machte Frühstück für alle, und Bernd und Tina wurden in die Schule geschickt. Heute sollten sie zum Mittagessen zur Oma gehen, bestimmte Martin. Tina war nicht begeistert, denn zu der neuen Oma, hatte sie noch kein freundschaftliches Verhältnis.
Die kleine Entbindungsstation hinter dem Krankenhaus, war ein "Kleinbetrieb“. Zwei Hebammen teilten sich die Arbeit, es war also immer nur eine anwesend. Da ich mich vorher nicht angemeldet hatte, brachte ich die diensthabende Hebamme ganz durcheinander. Sie füllte eine Anmeldung aus und fragte: "Und wann ist der Geburtstermin?" Meine Antwort kam zwischen zwei Wehen: "Jetzt!"
Weil ich aber nicht jammerte und schrie, brachte sie mich in ein Zimmer, in dem schon zwei Frauen lagen. Sie musste noch das Frühstücks-Geschirr wegräumen, dann wollte sie mich abtasten, ob ich überhaupt schon Wehen hatte. Kein Wunder, denn da lag eine Frau schon seit einer Woche. Ihr Kind war immer noch nicht da.
Dann kam sie, horchte und tastete meinen Bauch ab. Danach musste ich sofort in das Geburtszimmer. Mein Mann war inzwischen nicht mehr da, er wollte zur Arbeit gehen.
Es war schon sehr seltsam, ich hatte noch jedes Kind früh genug zum Mittagessen bekommen alle waren vor 11 Uhr geboren. Auch dieses Mal war das kleine Mädchen vor 11 Uhr auf der Welt. Jetzt musste ich noch warten bis mein Hausarzt kam, um zu sehen ob auch alles in Ordnung war. Das dauerte allerdings. Bis er kam, war es schon halb zwei. Ich hatte Hunger und es ärgerte mich, dass ich so lange in dem Raum warten musste. Die Hebamme hatte in der Zeit meinen Mann telefonisch zu seiner Tochter gratuliert. Der wollte sich auf den Weg machen.
Als er ankam und die Treppe hinauf ging, kam mein Hausarzt gerade die Treppe herunter. Der Doktor war in Eile und schaute er auf seine Armbanduhr.
Martin fragte: "Na Herr Doktor, was haben wir?" Der Arzt darauf trocken: "zwei!" Der Doktor meinte 2 Uhr, mein Mann glaubte Zwillinge zu haben. Er stürmte in den Flur, wo ich in einer Ecke an einem kleinen Tisch gerade mein verspätetes Mittagessen bekommen hatte.
Aufgeregt setzte er sich zu mir und wollte wissen: "Wo sind sie denn?" Mir war nicht klar wen er damit meinte. Nach kurzem Überlegen sah ich ihn zweifelnd an: „Sind die denn nicht bei deiner Mutter?“ Jetzt hatte ich ihn total verwirrt.
Die Hebamme hatte meinen Mann schon gesehen und kam mit der Kleinen auf dem Arm. „Ja und das zweite?“ Hörte ich meinen Mann fragen. Die Hebamme lächelte verhalten und fragte: „Reicht Ihnen ein Kind denn nicht?“ Nun schaute Martin sich unsere kleine Tochter an, und fragte, wie wir sie nennen sollten. Jetzt, da das Kind da war, wollte mir nichts einfallen.
Alle Namen, die mir durch den Kopf gingen, waren abgedroschen und viel zu häufig. Da fiel mir meine Tante ein, die im Rollstuhl so schöne Geschichten erzählt hatte, sie war Lehrerin und hieß Hannah. „Sollen wir sie Hannah nennen“, fragte ich meinen Mann. Die Hebamme fand den Namen ausgefallen. Martin bestimmte: „Dann nennen wir sie doch Hannah.“
Als sich Martin satt gesehen hatte, an unserem niedlichen kleinen Mädchen, wollte er jetzt seiner Familie die Botschaft überbringen. Seine Eltern wohnten gleich gegenüber vom Krankenhaus.
Sein Vater tat das, was er immer machte, wenn ein Enkelkind auf die Welt kam. Er organisierte die Taufe. Mich fragte niemand ob ich es wollte oder nicht. Gleich wurden Taufpaten bestellt, die selben, die Bernd schon hatte. Es waren sein jüngerer Bruder und eine Kusine, die in einer anderen Stadt wohnte. Als mir mein Mann davon erzählte, war ich nicht begeistert, denn ich wollte meine Kinder ja nicht katholisch taufen lassen. Meine Meinung war, ich kann nicht evangelisch sein und Kinder katholisch erziehen.
Für mich blieb noch übrig, bei der Hebamme ein schönes Taufkleid auszuleihen.
Ich durfte vom Arzt aus an der Taufe nicht teilnehmen. Dafür hätte ich ihn küssen können. Mir war wirklich nicht danach, mit fremden Leuten, in einer mir unbekannten Umgebung von allen angeglotzt zu werden. Ob die Hebamme mitging, weiß ich nun nicht mehr.
Lange dauerte es nicht, da bekam ich Hannah getauft zurück, und sie hatte schon wieder Hunger. Die Kleine hatte immer Hunger und wenn ich sie zum Stillen bekam, stürzte sie sich gierig auf ihre beiden Milchquellen. Man sollte es nicht glauben, mit ihrem zahnlosen Mund demolierte mir meine Brustwarzen. Ich konnte und ich wollte sie nicht mehr stillen. Dazu kam, dass ich beim Stillen auch immer Nachwehen bekam. Das war zu viel für mich, leise weinte ich in mein Kissen.
Da hatte die Hebamme ein Einsehen, sie kam mit einem Gerät zum abpumpen.
In den nächsten Tagen erholte ich mich. Wenige Tage später durfte Martin uns aus der Klinik holen. Ich war so glücklich wieder zu Hause zu sein. Tina war froh, nicht mehr zur Oma zum Essen zu müssen. Nicht weil es ihr nicht geschmeckt hätte, sondern weil sie sich bei ihr einfach nicht wohl fühlte. Laufend kamen andere Mädchen, die auch Oma zu ihr sagten. Zu denen war die Oma so nett, nur zu ihr nicht.
Ja, die Oma hatte schon ihre Lieblinge unter den Enkeln. An erster Stelle stand Bernd. Der genoss es sichtlich, dass Tina mit Oma nicht klar kam. Dem Bernd schob sie immer, wenn er ging ein wenig Geld zu. Wenn Tina das sah, bekam sie auch etwas, aber viel weniger als Bernd. Tina beschloss die Oma nicht mehr zu besuchen. Ich verstand sie und hielt zu ihr. Meine Schwiegermutter in Griechenland hatte keine Unterschiede gemacht, sie hatte alle Kinder gleich lieb.
Jetzt war ich wieder zu Hause, und mit mir die kleine Hannah. Jeder wollte sie auf den Arm nehmen und füttern, und Hannah war jederzeit bereit dazu.
Der Tagesablauf war bei uns immer genau geregelt. Morgens ging niemand ohne Frühstück aus dem Haus. Mein Mann hatte oft Frühdienst. Dann arbeitete er von fünf Uhr morgens, bis mittags um zwei Uhr. Ich stand immer als erste auf und war gewaschen und angezogen, wenn mein Mann ins Bad ging. Dann machte ich das Frühstück.
Martin war ein Morgenmuffel und bis nach dem Morgenkaffee besonders mundfaul. Nun hatte ich die Kaffeemilch vergessen und Martin rang sich das Wort „Milch“ ab. Ich öffnete meine Bluse und sagte: „Dann gib mal deine Tasse rüber.“ Augenblicklich war er hellwach, deckte seine Hand über die Tasse und schmunzelte sogar.
Nachdem ich ihm eines morgens sogar Honig aufs Auge schmierte, fanden wir beide einen Mittelweg. Martin sprach beim Frühstück nur ein paar Worte, das war: Honig, Butter , Milch usw. Nun lernte er das Wort bitte davor zu setzen. Damit gab ich mich zufrieden und die Probleme am Frühstückstisch waren beseitigt.
Tina und Bernd standen immer kurz vor sieben Uhr auf. Also konnte ich die Zeit nutzen, Hannah zu füttern, zu baden und anzuziehen. Danach kochte ich Kakao für die nächste Frühstücksrunde. Während die beiden noch am Tisch saßen, füllte ich Pausenbrote in die Dosen. Danach genehmigte ich mir noch eine Tasse Kaffee, während die Kinder zur Schule eilten.
Anschließend räumte ich den Tisch ab. Wenn ich nachts schlecht geschlafen hatte, war jetzt Zeit noch ein wenig aufs Sofa zu liegen, denn Hannah war im Augenblick auch versorgt.
Diese Stunde Schlaf tat mir gut, denn Hannah weckte mich jede Nacht zweimal. Ich brauchte keine Angst zu haben, dass ich nicht früh genug wach wurde. Spätestens um halb zehn forderte sie ihre nächste Mahlzeit. Danach kochte ich das Mittagessen. Spätestens um ein Uhr, gleich nach der Schule wurde gegessen. Mein Mann aß in der Kantine seiner Arbeitsstätte.
Nach dem Essen mussten Tina und Bernd die Hausaufgaben machen. danach durften sie zu ihren Freunden, mussten aber pünktlich um sechs Uhr, zum Abendessen zu Hause sein. Das wollte bei Bernd gar nicht klappen, und er verärgerte mich fast täglich.
Zur Strafe schickte ich ihn die ersten Male ohne Abendessen ins Bett. Das war keine Lösung, Er erzählte es seiner Oma, und die wiederum jedem, der ihr zuhörte.
Da besuchte mich Edeltraud, die älteste Schwester meines Mannes. Sie hatte ein ganz goldiges Kleidchen mit einem passenden Höschen als Geschenk dabei. Mit ihr trank ich Kaffee und sie erzählte, dass Bernd jeden Tag zur Oma ging und ihr sein Leid klagte. Alle würden Abendessen bekommen, nur er müsste hungrig ins Bett. Da könnte er nicht einschlafen vor Hunger und läge die ganze Nacht weinend im Bett.
Jetzt konnte mich die Oma gar nicht leiden. Sie behauptete, ich würde Tina besser behandeln als Bernd und außerdem würde ich „sprechen“.
Erstaunt schaute ich meine Schwägerin an: „Wieso? Jeder spricht, deine Mutter spricht doch auch, oder -?“ „Nein“, sagte meine Schwägerin, „Nur du sprichst, hochdeutsch, wir schwätzen. Wenn man hochdeutsch redet, dann spricht man, und wenn man schwäbisch redet, dann schwätzt man. Nur die eingebildeten sprechen.“ „Ich kann aber nur Hochdeutsch“, verteidigte ich mich.
Als sie gegangen war, dachte ich, dass es anständig von ihr war, mich zu informieren. Ich nahm mir vor, nicht mehr zur Schwiegermutter zu gehen. Da waren wir ja jetzt schon zu zweit.
Wir hatten inzwischen für den Fernseher ein Antennenkabel gekauft, und mein Mann hatte den Fernseher angeschlossen. Nun durften die Kinder „Flipper“ ansehen. Tina machte das täglich, und brachte dazu meistens ihre Freundin mit.
Mit Hannah im Kinderwagen ging ich nachmittags meistens zum Einkaufen. Oftmals gingen wir auch nur spazieren. Dann ging ich immer außerhalb von dem Ort, denn die Leute waren so neugierig. Sie versuchten unbedingt mit mir ins Gespräch zu kommen. Dann gaben sie nicht eher Ruhe bis sie wussten, woher ich kam und mit wem ich verheiratet war. Deshalb war ich in den Läden immer schnell fertig. Tina, die mit Thea immer durch den Ort streifte, kannte inzwischen fast jeder.
Dazu kam, dass ich ja keine Gesichter kannte. Ich kannte die Nachbarinnen, wenn sie vor der Haustür standen, wenn sie O-Beine, oder sonst etwas auffälliges an sich hatten. So kam mein Mann eines abends von einem Besuch bei seiner Mutter und berichtete: „Die Nachbarin von der Oma hat sich beschwert, dass du sie nicht gegrüßt hast.“ Von da an schränkte ich meine Stadtbesuche enorm ein. Zum Einkaufen ging ich jetzt nur noch einmal in der Woche, dazu nahm ich Tina mit. Die kannte schon viele Leute.
Hannah kam meistens auf den Balkon und ich nutzte die Zeit, die ich jetzt neu gewonnen hatte, zum Nähen. Von einem Großhandel hatte ich ein Paket Stoffreste gekauft, und Tina bekam so manches neue Kleidungsstück. Für Bernd nähte ich eine Hose. Das war die erste richtige Hose mit Taschen und allem Drum und Dran. Er liebte diese Hose, und zog sie gern an.
Aus Kunstleder nähte ich Tina eine dunkelblaue Jacke. Die war so schön, dass Theas Mutter mich besuchte, um zu fragen ob ich die gleiche Jacke auch für Thea machen konnte. Nun liefen die Freundinnen immer mit gleichen Jacken durch den Ort.
Mein Mann ging weiterhin mehrmals in der Woche seine Mutter besuchen, die ihn ausfragte und nebenbei reichlich mit Essen und Bier versorgte. Es passte mir nicht, aber ich dachte, dass es sich mit der Zeit von selbst einrenken würde. Nun fragte seine Mutter auch jeden Tag was ich denn gekocht hatte, denn kochen traute sie mir gar nicht zu.
Da hatte ich wieder einmal einen richtig guten Eintopf gekocht. Meine Schwiegermutter fragte nach dem Essen. Mein Mann dachte sich nichts Böses dabei und sagte: „Heute gab es Suppe.“ Das gab es aber jede Woche einmal. So erfuhr ich bei meinem wöchentlichem Großeinkauf, dass die Mutter meines Mannes überall erzählt hatte, bei uns gäbe es täglich nur Suppe.
Jetzt war das Maß voll!
Es regnete den ganzen Tag, und Tina und Bernd hatten mit mir gebastelt. Jeder hatte ein Wandbild gefertigt. Bernd einen Jungen und Tina ein Mädchen. Das Material war auch im Stoffpaket. Die Bilder waren beide gleich schön und wir waren alle stolz. Martin hätte die Bilder aufhängen sollen, aber er kam wieder mit reichlich Promille nach Hause. Nein mit mir konnte er das nicht machen!
Ich weiß nicht mehr was ich alles zu ihm sagte, aber er behauptete, nur eine Flasche Wein getrunken zu haben. Daraufhin stellte er eine Weinflasche neben sich, und sagte: „Jetzt schau doch mal die kleine Flasche an und dann mich, das ist doch gar nicht viel!“ Die Kinder lachten und gingen in ihr Zimmer. Sie hatten es richtig erkannt, heute wurde nichts daraus. Die Bilder wurden nicht mehr aufgehängt. Als ich dann berichtete was ich im Supermarkt erfahren hatte, stellte er selbst fest, dass seine Mutter mich gezielt angegriffen hatte. Er versprach diese Woche nicht mehr zu ihr zu fahren.
Nun hatte ich in der Firma, wo ich gearbeitet hatte, ein Bild abgepaust. Es waren die 7-Schwaben mit einem langen Speer, die sich auf einen erschrockenen Hasen stürzten. Als mein Mann dann von der Arbeit kam, fragte ich ihn ob er keine Lust hätte, das Bild als Intarsie herzustellen. Es gefiel ihm und er fing gleich damit an. Ich war beruhigt, jetzt würde er für lange Zeit beschäftigt sein und keine Zeit für seine Mutter haben. Die Kinder hatte ich angewiesen, täglich nach dem Bild zu schauen, und es in den höchsten Tönen zu loben.
Schon in der nächsten Woche rief seine verzweifelte Mutter an: „Martin, warum kommst du denn nicht mehr?“ Martin erklärte ihr, dass er an einem Bild arbeitete. „Wenn es fertig ist, zeige ich es Dir.“ Dann rief sie eine Woche später wieder an. „Ich bin noch lange nicht fertig“, erklärte er ihr. Sie fragte: „Hat dir deine Frau verboten, mich zu besuchen?“. Martin erklärte ihr, dass er nun eine Familie hätte, und die war hier.
Ich hatte den Krieg gewonnen!
Hannah wurde langsam größer. Eines Tages ließ ich mich von den Kindern überreden, mit ihnen an den Badesee zu gehen. Also bekam Hannah ihr schönstes Kleid an, das von Martins Schwester. Es war aus Batist und bei der Hitze gerade recht. Darunter hatte ich ihr eine Einmal-Windel angelegt, die natürlich noch längst nicht perfekt saß. Wir wollten uns einen richtig schönen Tag im Freibad machen.
Tina zeigte mir, wie schön sie schon schwimmen konnte. Bernd war natürlich noch besser im Wasser unterwegs. Nach einer Weile blieb Tina bei Hannah und ich konnte auch in den See. Danach hatte ich den Kindern Eis versprochen. Wir saßen am Tisch und hatten jeder einen Eisbecher vor uns, als Hannah plötzlich das Gesicht verzog. Ich ahnte was jetzt kam, hoffte aber, dass es nicht passierte.
Sie drückte und quälte sich. Da schoss es in ihre Hose, an den Hosenbeinen heraus auf mich, und in meine Hand, mit der ich sie festhielt. Tina und Bernd wollten sich kaputt lachen. Ich verschwand, gefolgt von vielen schadenfrohen Blicken, im Waschraum. Hannah schrie, weil ihr das Wasser zu kalt war, ich fluchte, weil mir von den Kindern keines half.
Schließlich schaffte ich es alles sauber zu putzen. Dann ging ich zum Kinderwagen um meine Kleidung zu holen. Die Großen waren schon wieder im Wasser und ich musste Hannah mit in die Umkleidekabine nehmen. Fertig angezogen legte ich sie in den Kinderwagen und ging heim. Das Schwimmbad habe ich danach nie wieder betreten.
Der Sommer ging vorbei und Hannah krabbelte schon durch die Wohnung. Des nachts schlief sie immer noch nicht durch, und als sie anfing zu zahnen, schrie sie den ganzen Tag. Deshalb fuhren wir mit ihr zu einer Kinderärztin. Ihr fehlte nichts. Die Ärztin meinte, sie wäre besonders musikalisch. Weil sie noch nicht singen könnte, würde sie eben schreien.
Einmal als Hannah wieder ununterbrochen schrie, gingen mir die Nerven durch. Ich ging zu ihr und schrie sie furchtbar an. Hannah schaute erschrocken und war auf der Stelle ruhig. Jetzt reichte es, wenn ich sie ernsthaft böse ansah, dann hörte sie auf mit dem Geschrei.
Da die Ärztin behauptet hatte Hannah sei musikalisch, sang ich ihr Kinderlieder vor. Dazu machte ich mit den Händen passende Bewegungen. Das gefiel ihr gut. Weil sie immer noch so großen Hunger hatte, nahm ich sie beizeiten beim Essen auf den Schoß. Alles was ihr nicht schaden konnte, durfte sie probieren.
Inzwischen war es Herbst und Martin hatte Geburtstag. Ich schickte Martin zu seiner Mutter, seine Eltern zum Geburtstag einzuladen. Dann backte ich einen Kuchen und eine Torte. Seine Eltern kamen tatsächlich zum Kaffee. Es war vor allem die Neugierde, die sie antrieb. Schließlich wollte seine Mutter sehen, ob es ihrem Sohn gut bei mir ging.
Martin zeigte die Möbeln die er gemacht hatte. Das Bild war ja auch fertig, und er zeigte es stolz seiner Mutter. Er hatte schon wieder ein neues angefangen „Rübezahl“. Statt stolz zu sein, auf ihren handwerklich begabten Sohn, glaubte sie ihm nicht, dass er es wirklich selbst gemacht hatte. Tina und ich räumten das Geschirr ab und brachten es in die Küche. Da kam der Opa zu mir und steckte mir fünfzig Mark zu. „Aber niemandem sagen!“ beschwor er mich. Das Geld konnte ich gut gebrauchen, denn mein Mann verdiente zwar nicht schlecht, aber drei Kinder kosteten ja auch. Ich verdiente ja schließlich nichts.
Meiner Schwiegermutter hatte meine gestickte Tischdecke so gut gefallen. Natürlich glaubte sie wieder nicht, dass ich die gemacht hatte. Ich versprach ihr, dass ich ihr zu Weihnachten auch eine machen wollte. Das gefiel meinem Mann. In meinen Stoffpaketen war immer alles drin was man brauchen konnte auch für die Oma fand ich noch einen passenden Stoff für eine Kaffeedecke. Die Blumensträuße zum darauf sticken, pauste ich von alten Bügelmustern ab.
Den Kindern kaufte ich nützliche Sachen zu Weihnachten und jeweils ein Teil zum Spielen. Was ich Tina kaufte, weiß ich nicht mehr, aber Bernd bekam eine elektrische Eisenbahn. Es war zwar keine Märklin, sondern eine ganz einfache. Er freute sich jedenfalls darüber. Mein Mann bekam ein Oberhemd. Mir hatte er ein schwäbisches Kochbuch gekauft. Wer ihm dazu geraten hatte, konnte ich nicht erfahren.
Wahrscheinlich hatte er mal wieder zu viel erzählt. Denn einmal hatte ich Kartoffelsalat gemacht, wie ich es gewohnt war, mit selbst gemachter Mayonnaise. Das kannte er nicht und hatte behauptet das nicht essen zu können. Meine Nachbarin gab mir dann das Rezept für schwäbischen Kartoffelsalat. Das gleiche war mir mit grünem Salat passiert, den ich immer mit Zitrone, Milch und Zucker angemacht hatte.
Wir hatten ein sehr schönes Weihnachtsfest. Mein Mann hatte einen Baum gebracht und ihn zusammen mit Bernd und Tina geschmückt. Mit den Kindern hatte ich Plätzchen gebacken es war also alles bestens. Die Oma hatte schon mehrfach angerufen, sie wollte, dass Martin und Bernd kämen, um das Weihnachtsgeschenk bei ihr zu holen.
Martin bestimmte schließlich, dass wir am ersten Weihnachtstag alle zu seinen Eltern gingen. So fuhren wir nachmittags los. Die Tischdecke hatten wir dabei. In eine Tüte hatte meine Schwiegermutter eine Flasche Wein, ein Paket Kaffee und für jedes Kind eine Tafel Schokolade gepackt. (Ich weiß das so genau, weil sich das in jedem Jahr, und zu jedem Anlass wiederholte.) Mein Mann bekam hundert Mark und Bernd, fünfzig Mark. Dann ging sie in die Küche um den Kaffee zu holen. Ich hörte wie sie ihre beiden Töchter fragte: „Muss ich den anderen auch was geben?“ Die jüngere Schwester meines Mannes sagte: „Das weiß ich auch nicht.“ Edeltraud schimpfte: „Wieso nicht, Tina ist doch jetzt auch dein Enkel.“ Ich wäre am liebsten wieder gegangen. Schließlich bekam Tina auch fünfzig Mark. Mir steckte mein Schwiegervater wieder etwas zu. Sie packte die Tischdecke aus und legte sie gleich auf den Tisch. Dann holte sie ihren Geldbeutel und wollte mir die Decke bezahlen.
Martins Mutter meinte immer, wir wären gar nicht richtig verheiratet, weil wir ja nicht kirchlich getraut waren. Als wir am Abend wieder gingen, wusste ich genau, dass ich das Haus so schnell nicht mehr betreten wollte.
Mein Mann kam eines abends von der Arbeit und brachte die Nachricht, dass er einen Garten gepachtet hatte. Jetzt machten wir Pläne, was wir alles in den Garten pflanzen wollten.
Martin machte einen Bauplan für ein Gartenhaus. Ganz toll, mit Fenstern und Blumengittern und Terrasse. Als er den Plan fertig hatte, fing er gleich an, im Keller die einzelnen Wände zu fertigen. Alle doppelwandig mit Isolierung dazwischen. Martin sägte, schraubte und hämmerte jeden Abend in seinem Keller. Wenn dann seine Mutter anrief um ihn zu sprechen, sagte ich jedes mal: "Martin ist im Keller." Sie fand das höchst seltsam.
Eines Tages kam sie mit dem Opa um sich davon zu überzeugen. Sie bezweifelte, dass er ganz allein ein Gartenhaus bauen könnte. Er bewies es ihr, und als der Frühling kam, stellte er mit Bernd zusammen das Häuschen auf. Alle Leute, die durch das Kirchgässchen kamen, bewunderten das wunderschöne Häuschen. Er war stolz, dass heißt wir alle waren stolz auf Martin. Vor jedes Fenster, und an das Geländer der Terrasse hängte ich Blumenkästen.
Nun verbrachten wir viele Stunden im Garten. Hannah spielte schon im Sandkasten und Tina und Bernd bekamen eine Schaukel. Hin und wieder halfen die beiden beim Pflanzen, aber sie hatten keine Lust dazu. Meistens war ich allein mit Hannah.
Eines Tages pflanzten mein Mann und ich Kartoffeln, und Hannah spielte im Sandkasten. Die großen Kinder spielten im Gartenhaus. Hannah die schon ein wenig laufen konnte, war im Sandkasten eingeschlafen. Niemand hatte es bemerkt. Plötzlich fing sie furchtbar an zu schreien. Martin und ich rannten zum Sandkasten und bemerkten die Bescherung. Eine große Ameisenfamilie, hatte die schlafende Hannah überfallen. Wir hatten einen Wasserhahn im Garten und ich begann die Kleine abzuwaschen. Danach war es besser, aber wohl fühlte sie sich scheinbar noch nicht. Bernd schickten wir in die Apotheke, um eine Salbe zu holen. Danach wurde es besser und Hannah war wieder zufrieden.
Wir liebten unseren Garten und waren oft da. Körbeweise schleppten wir Gemüse heim und ich kochte ein, und machte Sauerkraut und Fassbohnen. So holte ich die Unkosten vom Gartenhaus wieder heraus.
Hannah lief durch die Wohnung und mein Mann musste die Griffe an den Schränken abmontieren, damit sie nicht alles ausräumte. Sie war immer aktiv. Tatsächlich brachte sie es fertig, die Schranktüren auch ohne Griffe zu öffnen.
Zufällig traf Martin einen Freund, der Ingenieur war. Seine Frau war auch aus Westfalen. Dieter und Bärbel luden uns zum Essen ein. Sie hatte die gleichen Anfangs-Schwierigkeiten wie ich, und von ihr bekam ich ein paar wertvolle Tipps.
Da Dieter gerade ein Büro eröffnet hatte, bot es sich an, dass ich für ihn die Schreibarbeiten erledigte. Ich hatte ja eine tolle Schreibmaschine und konnte zu Hause arbeiten. Zunächst ging es darum Aufträge zu bekommen. Er brachte mir immer die Zeitung mit den Bauvorhaben und ich schickte Anfragen an die Bauherren.
Mit Mühe hielt er sich, seine Familie und seinen einzigen Angestellten, einen technischen Zeichner über Wasser. Dann passierte etwas Unfassbares. Wir zogen einen Großauftrag an Land. Eine riesiges Bauvorhaben bei München. Dieter plante genau und immer fehlerlos, und schrieb alles in einen Konzeptblock. Die ganze Planungsbeschreibung musste ich auf Matrizen schreiben. Das war zu der Zeit, die Möglichkeit der Vervielfältigung, jedenfalls bei ihm. Der Abgabetermin war kaum einzuhalten.
Martin ging jetzt nach der Arbeit zu Dieter und zeichnete die Wasser- und Heizungsleitungen in die Pläne und ich schrieb wie besessen die Matrizen. Der Abgabetermin rückte näher und am frühen Morgen um acht Uhr wollte Dieter nach München fahren um die Pläne abzugeben.
Martin und der Zeichner waren fertig und Dieter pauste die Pläne ab, um Mitternacht sollte ich mit dem Schreiben fertig sein. Ich war immer noch am schreiben als Dieter kam. Während ich bis vier Uhr arbeite, kontrollierte Dieter das geschriebene. Dann eilte er ins Büro um die vielen Abzüge zu machen. Ich war müde und legte mich ins Bett, um kurz darauf die Kinder für die Schule zu wecken.
Wie immer war ich schon wieder ordentlich angezogen. Den Rest Nachtruhe wollte ich auf dem Sofa nachholen.
Kaum waren Tina und Bernd aus dem Haus, da kam Dieter. Sein Auto wollte nicht laufen und er bat um Martins Auto, um damit nach München zu fahren. Mein Mann hatte nichts dagegen, und Dieter fuhr, um die Arbeit abzugeben.
Dieters Büro entwickelte sich gut. Es dauerte nicht lange, da brauchte er mich nicht mehr.
Ich zog Hannah an und gab ihr ein paar Spielsachen. Damit sollte sie im Wohnzimmer auf dem Fußboden spielen, während ich noch ein wenig schlafen wollte. Hannah spielte und schien zufrieden zu sein. Kurz darauf schlief ich ein.
Vielleicht hatte ich eine Stunde geschlafen, vielleicht waren es auch zwei. Da wurde ich plötzlich wach. Es hörte sich an, als ob die Balkontür zerschlagen wurde. Schnell sprang ich vom Sofa auf. Da saß die kleine Hannah quietschvergnügt auf dem Fußboden. Vor sich auf dem Teppich hatte sie zwei Kaffee-Service ordentlich aufgereiht. Kleine Teller schön in einander gestellt, ebenso die Kuchenteller und die Kaffeetassen diese immer zwei aufeinander. Mit einem kleinem Hammer schlug sie jetzt das Geschirr kaputt.
Ich rettete was noch heile war und hatte am Ende noch ein Service komplett, jedoch mit verschiedenem Muster. Die arme Hannah hatte Langeweile. Sie konnte nichts dafür, dass ich müde war. Deshalb sammelte ich die Scherben und brachte die Stube wieder in Ordnung.
Als es Frühling wurde, hatte ich den Wunsch, den Bodensee zu sehen. Denn ich hatte schon viel von der Schönheit der Gegend gehört. Weil mein Mann am Wochenende frei hatte, beschloss er nach dem Frühstück, mit uns an den Bodensee zu fahren. Wir sollten den See sehen. Tina und Bernd freuten sich auf den Ausflug und wir packten etwas zum Essen in eine Tasche. Für jeden nahmen wir noch ein Getränk mit.
Voller Erwartung stiegen wir in unseren Käfer. Tina und Bernd saßen hinten und ich mit Martin vorn. Hannah war zuerst bei Tina auf der Rückbank. Die Strecke war furchtbar kurvenreich und es ging auf und ab.
Mein Mann erzählte mit einem verschmitzten Grinsen: „An den Kurven haben die Straßenarbeiter immer eine Vesper Pause gemacht, dazu haben sie eine Flasche Bier getrunken. Danach haben sie die Richtung verloren. Na ja, so sah es tatsächlich aus.
Inzwischen war Hannah eingeschlafen. Wir kamen durch Friedrichshafen und Lindau, und immer wieder zeigte mein Mann nach links und sagte: Das ist der Bodensee.“ Wir warteten geduldig wann er anhalten würde.
Nach einer Weile merkte ich, dass es bergauf ging und wir wieder auf der Heimfahrt waren. Ich war stocksauer und fragte warum er jetzt wieder zurück fuhr. Darauf gab er zur Antwort: „Du wolltest doch den Bodensee sehen, und den habe ich dir gezeigt.“ Wir schluckten und waren uns sicher, dass wir uns beim nächsten Mal ganz deutlich ausdrücken wollten.
Nun hatte ich seit langer Zeit Schwierigkeiten mit meiner Schilddrüse. Mein Hausarzt schickte mich zu einem Spezialisten nach Biberach. Der Termin fiel auf einen Tag, an dem Martin nicht frei nehmen konnte. Dieter schickte mir seinen technischen Zeichner, er sollte mich mit dem Auto dorthin fahren. Die Großen waren in der Schule, und ich zog Hannah schön an und nahm sie mit. So fuhren wir los, in dem fast neuen Auto des Zeichners. Die Strecke war recht hügelig, und als es kurz vor Biberach bergab und gleich wieder bergauf ging, konnte Hannah ihr Frühstück nicht bei sich behalten. Sie spuckte das halbe Auto voll.
Der junge Mann war verzweifelt. Mit meinen Tempos konnte ich nicht viel ausrichten. Also breiteten wir eine Zeitung aus, über die Bescherung. Widerwillig behielt er die Kleine im Auto, als ich in die Praxis des Arztes ging. Auf dem Rückweg sprach er kein Wort. Vor unserer Wohnung ließ er sein Auto stehen und ging zu Fuß ins Büro. „Ich hole es heute Abend ab, bitte frisch geputzt und ohne Flecken!“ Mit diesen Worten verschwand er um die nächste Ecke. Nach dem Mittagessen putzte ich zwei Stunden an dem Auto herum. Er war zufrieden, als er es am Abend holte.
Bei schönem Wetter waren wir immer im Garten und wenn es regnete, dann nähte ich meistens. Bei meinen Stoffen fand ich einen dunkelroten Kunstlederrest. Der reichte gerade für ein niedliches Mäntelchen für Hannah.
Sie hatte früh Gefühl dafür, was schön war und was sie kleidete. Dann stand sie vor dem Spiegel und drehte sich davor. Keines meiner Kinder zuvor, konnte so früh und so gut laufen. Sie war immer auf den Beinen. Als ich in den Ferien ins Krankenhaus ging um meine Schilddrüse operieren zu lassen, war sie bei Tina und Bernd gut aufgehoben. Das Essen brachte mein Mann aus der Kantine. Sonntags besuchten mich alle im Krankenhaus. Als erste stürmte Hannah voraus. Sie wusste aber noch nicht, dass es Glastüren gab.
Durch die erste Glastür versuchte sie, durch die Scheibe zu laufen. Das war nicht gut, und ich hörte im Zimmer ihr Geschrei.
Eine Schwester kam angelaufen und brachte etwas zum Kühlen. Dann durfte Hannah kurz zu mir ins Bett. Nach wenigen Minuten jedoch, war sie wieder topfit
Nach ein paar Tagen, durfte mein Mann mich abholen. Daheim wartete eine Menge Wäsche auf mich. Damit fing ich gleich an. Am Sonntag bügelte ich die letzte Wäsche. Ich machte immer für jeden einen extra Stoß mit fertiger Wäsche. Dann musste jeder seinen eigenen Wäschestapel in seinen Schrank räumen. Für meinen Mann und Hannah versorgte ich die Wäsche.
Nun hatte nur Bernd seine Wäsche noch nicht geholt. Ich rief ihn und er kam, nahm die Wäsche und warf sie gleich wieder in die Wäschetruhe, in der wir die Schmutzwäsche sammelten. Als ich das sah, konnte ich nicht darauf verzichten, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Er schaute mich ein wenig verstört an, denn er hatte nicht geglaubt, dass ich ihn beobachtete.
Im Sommer waren wir wieder meistens im Garten. Hannah wuchs und war immer in Bewegung. Martins Schwestern und seine Mutter behaupteten, Hannah könnte nicht richtig laufen, sie hätte einen Watschelgang. Um das Gerede aus der Welt zu schaffen ging ich mit Hannah zum Arzt. Der meinte jedoch, das sei unbedeutend, verschrieb ihr aber ein paar Massagen. Hannah genoss die extra Streicheleinheiten bei der Masseuse. Ob sich aber nachher was geändert hatte, konnte man nicht feststellen.
Sie wollte jeden Tag spazieren gehen. Die fünf Minuten zum Garten waren ihr nicht genug.
So planten wir für den Sonntag einen Ausflug zur Quelle. Der Weg dahin, würde sicher eine Stunde dauern. Ich zweifelte, ob Hannah das schaffte. Mein Mann wollte sie notfalls tragen, denn sie war nur wenig gewachsen und trotz ihrem guten Appetits nicht schwer.
Wir gingen mittags los. Das Wetter war nicht zu warm, also richtiges Wanderwetter. Hannah trug das rote Mäntelchen und gab das Tempo an. Tina und Bernd hätten am liebsten Rast gemacht, aber Hannah lief immer noch wie ein Weltmeister. An der Quelle machten wir eine größere Pause. Die Kinder spielten an der Quelle und tranken das frische Wasser.
Danach machten wir uns wieder auf den Heimweg. Als wir zum Schluss an einem Gasthof vorbei kamen wollten Tina und Bernd gerne ein Eis. Also kehrten wir ein. Jedes bekam ein Eis, nur mein Mann trank ein Bier. Danach waren es noch zehn Minuten bis nach Hause. Hannah lief auch noch das letzte Stück. Ihre Leistung war, für ihr Alter bemerkenswert. Nun glaubte ich, sie hätte genug von Gewaltmärschen. Aber das war nicht der Fall.
Ich beschloss mit den Kindern ins "Blühende Barock" nach Ludwigsburg zu fahren. Sie sollten den Märchengarten sehen. Also plante ich die Fahrt mit dem Zug. Unsere Fahrt fiel auf Messetage und es gab Fahrkarten zum Tiefstpreis. Wir mussten in Ulm umsteigen in einen Eilzug. Versehentlich stieg ich mit den Kindern in den ICE. Ein toller Zug, dachte ich.
Der Schaffner kam um die Karten zu kontrollieren. "Sie sind im falschen Zug", bemängelte er. Mir war es echt peinlich, und ich bot an, bei der nächsten Haltestelle auszusteigen. "Der Zug hält ja erst in Stuttgart", antwortete der Schaffner und ging brummend weiter. Wir genossen die Fahrt im verbotenen Zug.
In Ludwigsburg zeigte ich den Kindern alles, war sehenswert war. Der Märchengarten, war noch genau so wie damals, als ich noch täglich hier durch ging. Hänsel und Gretel war das, wo sie am längsten verweilten. Jeder wollte einmal an der Tür rütteln, und das "Knusper, knusper Knäuschen" hören.
Wir gingen zum Mittagessen zu meiner früheren Chefin. Ich fragte den Ober, der neu hier war, wie es der Chefin ging. Kurz darauf kam sie und freute sich, mich und die Kinder zu sehen. Sie ließ den Kindern ein Eis kommen. Dann gingen wir noch zur Herzogschaukel, die war neu und anschließend wollte Bernd gern das Schloss besichtigen. Das machten wir auch, es war sogar sehr spannend. Tina konnte sich nicht erinnern, hier schon einmal gewesen zu sein.
Auf dem Rückweg schaute ich genau, damit wir nicht wieder in den falschen Zug stiegen. Martin holte uns am Zug ab. Wir hatten einen sehr schönen Tag.
Damit wir uns auch ab und zu etwas leisten konnten, übernahm ich wieder einen Bereich zum Zeitungen austragen. Das konnte ich ja schon, nur in Offenbach war der Bereich nicht so weitläufig. Ich übernahm die Zeitungen von einem alten Ehepaar, die das viele Jahre lang gemacht hatten. Die alten Leute legten Wert darauf, dass ich gut ausgebildet wurde. Also wurde ich von Ihnen eine Woche lang eingewiesen.
Am frühen Morgen musste ich antreten. Das erste was ich lernte war: Wie man die Werbung aus den Zeitungen herausschüttelt. „Dafür kriegen wir kein Geld, deshalb nehmen wir es auch nicht mit!“, sagte die Frau zu mir.
Dann wurde mir gezeigt, in welchen Briefkasten ich die Zeitung ganz hineinstecken sollte, und wo sie herausschauen durfte. „Ja, und unbedingt so hineinstecken, dass man sehen kann, um welche Zeitung es sich handelt.“ Erklärte mir der Mann. Ich lernte, welches Gartentürchen zu sein musste, und welches offen bleiben durfte. Auch welches Türchen besonders leise zugemacht werden sollte. Ach ja, im Schwabenland da nahm man es ganz genau. Bei den wichtigen Sachen machte ich mir Notizen.
Dann endlich glaubte das Ehepaar, mich allein mit den Zeitungen lassen zu können. Hin und wieder sah ich, dass sie nach kontrollierten. Das ließ aber mit der Zeit von selbst nach.
Wenn mein Mann morgens zur Arbeit ging, verteilte ich die Zeitungen. Bis die großen in die Schule mussten, war ich wieder daheim. Manchmal ging Tina oder Bernd mit, sie wollten im Notfall helfen können, falls ich mal krank wurde. Tina machte das sichtlich Spaß, denn sie machte mitten auf der Straße, am frühen Morgen Handstand. Das erzählten mir die Leute, als ich zum Einkaufen ging.
Auch Bernd ging ein paar mal mit, aber er nahm es nicht so genau, und entsorgte die übrig gebliebenen Zeitungen in einem Bach. Ihn konnte ich nur in der Küche gebrauchen, denn er aß nicht nur gern, er half auch gern beim Kochen.
Alles lief jetzt bestens und wir hatten auch ein paar Mark gespart. Mein größter Wunsch war im nächsten Frühjahr richtig zum Bodensee zu fahren. Dann plante ich auch einen Besuch auf der Insel Mainau. Bis dahin hoffte ich, dass Hannah ein wenig größer würde. Ich hatte Angst, dass wir sie zwischen den Blumen verlieren konnten.
Hannah wuchs langsam, hatte süße blonde Locken und war ein hübsches, aufgewecktes Kind.
Am Wochenende backte ich immer einen Kuchen. Das interessierte Hannah ganz besonders. Es dauerte nicht lange, da wusste sie genau, was in den Kuchen hineinkam. Ganz besonders bei dem Apfelkuchen. Dann wartete sie gespannt, bis der Teig in die Form kam, um die Schüssel aus zu lecken. „Davon bekommen kleine Kinder Bauchweh“, sagte ich und kaufte bei meinem nächsten Einkauf einen Teigschaber aus Gummi, den man im Volksmund „Kinderschreck“ nannte. Mit großen Augen schaute sie mir zu. Sie hatte jedes mal Angst, am Ende nichts zu bekommen. Zum Schluss gab ich ihr dann den Kinderschreck zum Ablecken. An dem war immer noch genügend Teig.
Wenn ich putzte, dann liebte sie es kleine Deckchen zu verteilen. Sie hatte ein Auge für alles Schöne.
Die beiden Großen schauten täglich „Flipper“, während Hannah sich für die Serie entschied, wo es um ein kleines Mädchen ging, die bei ihrem reichen Onkel aufwuchs. Der Butler kümmerte sich immer um das Mädchen, die hatte eine Puppe. Jedenfalls spielte Hannah immer nachher den Film nach. Zog sich ein schönes Kleid von Tina an und schmückte ihre Puppe mit Bändern. Ich glaube die Puppe hieß Mrs. Beasly und sie war dann Mrs. Karmicle. Jedenfalls so ähnlich. Das wiederholte sich täglich wenn ihre Serie kam. Es war ein Zeichen, dass sie nicht nur hinschaute, sie passte auch genau auf.
Zu Weihnachten bekam die Puppe von Hannah ein schönes langes Kleid. Sie selbst bekam einen dunkelblauen Puppenwagen. Bernd und Tina wünschten sich Fahrräder zu Weihnachten. Also fuhr Martin mit den Kindern in ein Kaufhaus, in eine andere Stadt. Sie kauften rote Klappräder. Vor lauter Freude über die neuen Räder, wollten sie die 14 km mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Martin erlaubte es ihnen. Gegen Mittag kamen sie bei uns an.
Tina stieg vom Fahrrad ab, und das Rad brach in der Mitte auseinander. Tina weinte, denn jetzt hatte sie kein Fahrrad. Mein Mann nahm das Fahrrad mit zu den Handwerkern in seinem Betrieb und die reparierten es schnell. So hatten beide zu Weihnachten ihr Fahrrad unter dem Weihnachtsbaum. Nur Tinas Rad konnte man jetzt nicht mehr zusammen klappen.
Toni, der Bruder meines Mannes heiratete, und es blieb uns nichts anderes übrig, wir mussten zu dieser Hochzeit gehen. Ich hatte einige Meter festlichen Stoff, schwarz mit rotem Muster und Glitzerfaden. Daraus nähte ich für meine zwei Mädchen und für mich Kleider. Bernd machte ich eine schwarze Hose. So waren wir gut angezogen. Unter den vielen wichtigen Gästen, gingen wir ganz unter. Nach dem Abendessen ging ich mit meinen Mädchen nach Hause. Mein Mann und Bernd blieben noch bis zum Schluss.
Es wurde wieder Frühling und Hanna war drei Jahre alt. Da wollte ich gern einen Ausflug zur Insel Mainau machen. Nun besprach ich das mit Martin. Dieses Mal wollte ich den See nicht nur im Vorbeifahren sehen. Ich wollte mit der Fähre zur Insel fahren, und dort mit den Kindern die schönen Gärten betrachten.
Wir machten uns am Sonntagmorgen auf den Weg. In einer Tasche hatten ein wenig zum Essen dabei und für jeden ein Getränk. Dann fuhren wir mit Martins VW wieder die kurvenreiche Strecke bergauf und bergab. Plötzlich wurde es Hannah schlecht. Mein Mann hielt an und ich sprang mit ihr aus dem Auto. Wir waren noch nicht ausgestiegen, da garnierte Hannah ihr Kleid mit der Speisekarte von gestern.
Das durfte doch nicht wahr sein. Zuerst versaute sie ihr Kleid, und dann uns den schönen Ausflug. Wir stiegen wieder ins Auto und waren ratlos. "Müssen wir jetzt umkehren?" Fragte Tina ängstlich. Mein Mann nachdenklich: "Kauf ihr ein neues Kleid, wenn wir in Meersburg sind, da sind die Läden auch sonntags offen."
In Meersburg ging ich mit Hannah ein Kleidchen kaufen. Tina und Bernd aßen in der Zeit, Eis in einem Straßencafé. Im dritten Laden fand ich genau das richtige: Ein süßes Dirndl rot weiß kariert mit blauen Paspeln und blauer Schürze. Hannah strahlte als sie in den Spiegel schaute. Da setzte die Verkäuferin ihr einen Strohhut auf, der genau dazu passte. Der Preis hielt sich wirklich im Rahmen. Wir verließen den Laden und Hannah fühlte sich wie eine Prinzessin.
Auf die Überfahrt mit dem Schiff, hätte mein Mann gern verzichtet, Er hatte Angst das Schiff könnte untergehen. Aber er überstand es. Dann gingen wir stundenlang durch die Anlagen auf der Insel und waren am Abend alle beeindruckt von der Blumenpracht und den Buchsbäumen, die zu Figuren geformt waren.
Wir hatten einen sehr schönen Tag.
Tina und Bernd wuchsen, und konnten nicht mehr gut in einem Zimmer schlafen. Wir suchten nach einer Wohnung mit mindestens zwei Kinderzimmern. Das erwies sich als besonders schwierig, Es sah so aus, als durfte man nur ein Kind haben , wenn man eine schöne Wohnung wollte.
Ich schaute jeden Tag in die Zeitung. Das einzige, was jede Woche angeboten wurde, war ein Landgasthof, mit einer Fünfzimmer-Wohnung. Wir schauten uns den Gasthof an. Die vielen Schlafzimmer gefielen mir gut. Ein Zimmer hatte sogar einen großen Balkon. Wir überlegten, ob wir es pachten wollten, denn da gab es unten neben dem Gastraum, ein Nebenzimmer und eine große Stube.
Schließlich einigten wir uns und pachteten die Wirtschaft. Die Besitzerin machte auf mich einen freundlichen Eindruck. Ihr Mann allerdings gefiel mir gar nicht. Die wohnten einen Stock über unserer Wohnung. Da die Gaststätte der Frau gehörte, dachte ich, würden wir klar kommen.
Noch saßen wir in unsere kleinen Wohnung und überlegten lange. Plötzlich hörten wir auf der Straße einen lauten Krach. Durch das Fenster sahen wir im Schein der Straßenlaterne, dass jemand auf das parkende Auto meines Mannes gefahren war.
Wir rannten auf die Straße und kein Mensch war zu sehen. Ausgerechnet heute konnte Martin nicht auf seinen Parkplatz fahren. Irgendein unverschämter Nachbar fuhr immer wieder auf seinen Parkplatz, den er nicht nur monatlich zahlte, sondern auch mit einem Schild gekennzeichnet hatte.
Der schöne alte Käfer, jetzt war er kaputt. Das ganze Auto hatte sich verschoben und der Motor war sicher auch nicht mehr ganz, denn der war beim Käfer hinten. Jetzt hatten wir kein Auto mehr.
Martin ging zur Polizei, aber die fanden den Übeltäter nicht. Für die Überreste seines Autos bekam er von seiner Werkstatt ein Fahrrad. Ich dachte, gut dass wir am Bodensee waren.
Den Umzug besorgte die Brauerei. Hinter dem Gastraum richteten wir unsere Stube ein. So konnten wir zusammen sitzen, solange niemand in der Wirtschaft war. Gemeinsam gingen wir dann an die Schlafzimmer, wenigstens die Betten mussten noch fertig werden. Am Abend war ich total erledigt.
Von dem Geld das ich für die Zeitungen bekam, hatte ich mir ein Mofa gekauft. Nun brachte ich morgens Hannah in den Kindergarten. Als ich sie das erste Mal wegbrachte, fiel mir auf, dass dort alle Türen offen waren. Ich fragte die Schwester: „Laufen die Kinder denn nicht weg, wenn alles offen ist?“ Die Schwester lächelte und meinte: „Ich sage den Kindern jeden Tag: "Wenn ihr weglaufen wollt, müsst ihr es mir aber vorher sagen.“ Ich mochte die Schwester, nur Hannah nicht. Irgendwie war Hannah anders als die anderen Kinder. Sie sagte einmal: „Die Schwester redet mit uns, als ob wir dumm wären.“ Tina brachte die Kleine wieder mit nach Hause, wenn sie aus der Schule kam.
An unserem Ruhetag gingen wir in unseren Garten. Den wollten wir in diesem Sommer noch bewirtschaften. Martin versicherte: „Das Gartenhaus, habe ich schnell abgebaut, das kann ich überall wieder aufbauen.“
Wir hatten das Gasthaus eröffnet, und weil es Frühling war, hatten wir im Hof ein paar Tische und Stühle aufgebaut. Die Gäste saßen gern draußen und brachten ihre Kinder mit.
Der Mann der Besitzerin mochte uns nicht, aber wir mochten ihn auch nicht. Die Gäste gingen, wenn er in der Gaststube auftauchte. Wenn er kam, hatte er immer schon mehrere Wirtschaften besucht und war immer betrunken. Jedes mal stritt er mit meinen Stammgästen, und verbreitete schlechte Laune.
Als er sah, dass meine Gäste gern im Hof saßen, spannte er eine Wäscheleine genau durch die Mitte. Da hingen immer riesige Unterhosen auf der Leine und niemand ging mehr in den Garten. Die Pfähle für die Leine hatte er einbetoniert. Als der Beton noch frisch war, ging mein Mann mit ein paar Freunden hinaus und rüttelten die Stangen solange bis sie wieder los waren. Normal war es unser Recht den Hof zu benutzen so stand es im Vertrag. Er betonierte seine Stangen wieder neu ein.
Ich fand es klüger den Hof wieder zu räumen. Nun stellte ich zwei Tische vor dem Eingang auf, für die, die doch lieber draußen saßen. Aber in der Nähe der Straße, wollte niemand so recht Gebrauch davon machen.
Nun stand in der Wirtschaft eine Musikbox. Das war damals üblich. Die gehörte aber der Besitzerin. Sie verlangte von mir, dass ich ihre uralten Platten abspielte. Ich hatte noch ein paar eigene Platten, und schrieb meinen Namen darauf. Dann war die Musikbox voll bestückt. Aber die Musik gefiel den Gästen nicht. Das Geld aus dem Automat wollte sie natürlich. Wenn sie zum leeren kam schob sie mir immer ein paar Mark zu. Ich drohte ihr, das Gerät in den Keller zu bringen und ein anderes in die Gastube zu stellen.
Sie erlaubte mir ein paar neue Platten zu kaufen. Die wollte sie dann in der Box platzieren. Einer meiner Gäste brachte einen Automaten-Betreiber. Von ihm kaufte ich moderne Schallplatten die schon benutzt waren, für eine Mark das Stück. Dann gab er mir einen Schlüssel, der an den Deckel passte, und ich konnte jederzeit die Platten austauschen. Jetzt waren meine jungen Gäste zufrieden.
Ostern war vorbei und Herr Wurst, so hieß der Mann der Hauswirtin, brachte 4 Schafe. Vor lauter Angst, dass ich vielleicht meine Tische und Stühle auf die Wiese stellte, ließ er die Wiese einzäunen. Dann sperrte er dort die vier Schafe ein. Ich hatte gar nicht vor, die Wiese zu benutzen. Deshalb war es mir gleichgültig. Meinen Gästen aber nicht, sie störte das Geblöke der Schafe.
In der Mainacht malten einige junge Männer die Schafe mit roter Lackfarbe an. Herr und Frau Wurst schrubbten an den armen Schafen herum, aber die Farbe wollte nicht abgehen. Sie erstatteten Anzeige. Ich hatte nichts gesehen, Martin auch nicht und meine Gäste hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Der Fall wurde also nie aufgeklärt.
Wir hatten ja Bernd in Verdacht, aber wie wir später von der Polizei erfuhren, war er anderweitig beschäftigt. Er war mit Helmut, einem Freund meines Mannes unterwegs. Im nächsten Dorf sägten die beiden in den Vorgärten, Tannenbäume um. Bernd war noch nicht straf-fähig und Helmut musste den Schaden zahlen.
Helmut, der Freund meines Mannes war öfters ein paar Tage bei uns. Wir hatten ja ein Zimmer, in dem niemand schlief, denn Tina hatte Hannah in ihrem Zimmer. Dieser Helmut hatte immer Blödsinn im Kopf. Ich sprach ihn stets mit „Sie“ an. Ich mochte keine Missverständnisse. So konnte ich ihn fortschicken, wenn er mir auf die Nerven ging.
Tina ging mit Hannah in die Stadt, um für mich zum Muttertag eine Überraschung zu kaufen. Sie taten sehr geheimnisvoll. Am Sonntag freute ich mich dann über eine kleine Torte und einem Blumenstrauß. Sie sagten: „Alles Gute zum Muttertag.“ Als mein Mann nach unten kam, hatte er nichts für mich. Tina erinnerte ihn: „Heute ist Muttertag.“ „Ja“, meinte Martin, “Da muss ich noch zu meiner Mutter.“ Ganz nebenbei wünschte er mir einen schönen Muttertag. Tina erklärte er, dass ich nicht seine Mutter sei.
Bei Bernd hatte ich nicht gerechnet, dass er daran dachte, denn ich war ja nicht seine Mutter. Zu meiner Überraschung kam Bernd mit zwei Figuren, die ich schon lange gesucht hatte. Ich besaß eine Figur, die eine Mutter auf einem Stuhl darstellte, die ihren Kinder vorlas. Da fehlten mir die Kinder, ein Mädchen und eine Junge. Die bekam ich von Bernd. Ich freute mich richtig darüber.
Inzwischen hatten wir einen Stammtisch, mit einigen jungen Leuten, die fast täglich kamen. Es war eine lustige Truppe. Die meisten waren Jungbauern aus den umliegenden Dörfern. Bis auf einen, der wohnte in der nächsten Stadt. Er kam fast täglich. Er war ruhig, immer freundlich und witzig, und wartete geduldig bis Tina sich sehen ließ. Dann ließ er sie nicht aus den Augen. Sie war inzwischen fast ausgewachsen, hübsch und „frühreif“ wie man das so nennt.
Tina war so verliebt in ihn, dass mir Angst und Bange wurde. Ich versuchte ihr das auszureden da sie doch wirklich noch viel zu jung war, sich zu verlieben. Tina war erst dreizehn, und Rainer sechsundzwanzig. Wenn er in der Gaststube saß, half Tina freiwillig Gläser spülen um ihn zu sehen. Schließlich hoffte ich, dass es nur eine kurze Schwärmerei war.
Die Stammtischrunde verabredete sich für den Vatertag. Sie planten zusammen zum Weiher zu wandern, dort wollten sie mit einem Boot zur Insel rudern, um da gemeinsam den Vatertag zu feiern. Mein Mann holte einen Kasten Bier aus dem Keller, und der Türke, so nannten wir ihn, hatte ein Kofferradio dabei. Vor dem Mittagessen waren sie schon wieder zurück.
Mein Mann ging sich umziehen. Ich fragte nicht was passiert war, denn sie würden es sicher bald erzählen. Die meisten waren nass bis auf die Haut, und einer nach dem anderen ging, sich umzuziehen. Als dann alle trocken waren, war die gute Laune wieder da. Bis auf den Türken, der mit dem Radio. Er schimpfte weil sein Gerät weg war. „Wo ist denn das Radio?“ fragte ich neugierig. Die anderen lachten: „Das spielt jetzt auf dem Grund vom Weiher.“ Ich bohrte weiter: „Warum hast du es nicht festgehalten?“ Die anderen lachten wieder und der Türke ging hinauf, er hatte oben ein Zimmer, neben dem Fremdenzimmer.
Jetzt erfuhr ich was los war. Ohne vorher auch nur einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben, waren die Männer so übermütig, dass sie schon bei der Bootsfahrt mit dem Boot gefährlich schaukelten. Dem Türken war da schon schlecht, und er hatte das Radio auf den Boden vom Boot abgestellt. Dann kamen sie an der Insel an. Ausgerechnet der größte und schwerste sprang sofort aus dem Boot. Als er absprang verloren die anderen das Gleichgewicht und fielen ins Wasser. Einer hielt den Bierkasten fest, aber niemand das Radio. Den Rest des Vatertags spielte sie Tischfußball, das war nicht so gefährlich.
Nun hatte ich auch ältere Stammgäste, die in dem kleinen Vorort wohnten. Die meisten jedoch waren darauf aus, viel Getränke für wenig Geld zu bekommen. So kam zum Beispiel am frühen Nachmittag ein alter Herr, den ich eigentlich gut leiden konnte. Er erzählte von der Zeit, als er noch Großbauer war. Sein Sohn hatte jetzt den Betrieb übernommen.
Er bestellte immer: „Ein Viertele, aber halber voll.“ Damit meinte er ein achtel Liter Wein, in einem Viertelliter-Glas. Ich schenkte einen achtel Liter in ein geeichtes Glas, und goss es um in ein großes Glas. Er schaute das Glas an und meinte: „Das ist aber knapp eingegossen, gieß auch noch ein wenig nach.“ Na ja, er kam immer wenn sonst niemand da war, da nahm ich es nicht so genau. Dann saß ich bei ihm am Tisch und strickte an einem Kleidchen für Hannah, rot mit blau und weißen Streifen. Nebenbei hörte ich seinen Erzählungen zu. Wenn er ging, zahlte er immer korrekt.
Schlimmer war es bei den Männern, die am Sonntag morgen zum Frühschoppen kamen. Die saßen oftmals bis zum späten Nachmittag, und tranken mehr als sie Durst hatten.
Sie wurden unverschämt und ausfallend, wenn es ans Zahlen ging. Einer trank immer mindestens elf Flaschen Bier, wollte am Ende aber nur sieben bezahlen. Obwohl ich die leeren Flaschen aufgehoben hatte, stritt er jedes Mal und versprach nie wieder zu kommen. Ein weiterer zahlte stets nach dem achten Glas Wein, dann bestellte er noch eines „zum Abgewöhnen“ und behauptete das hätte er schon mit gezahlt. Auch er hielt sein Versprechen nicht, nie wieder zu kommen.
Einer von Ihnen war immer ehrlich, er hatte wirklich nicht viel Geld, das wusste ich von seiner Frau, der ich öfters etwas zum Essen zusteckte. Wenn er zwei Bier trank, dann bezahlte er die auch.
Walter war der schlimmste von allen, er trank ein Bier nach dem anderen und hatte anscheinend immer einen Bierdeckel in der Jackentasche den er zum Zahlen austauschte mit vier Bier darauf. An einem Sonntag schickte ich meinen Mann mit an den Stammtisch, er sollte aufpassen. Das brachte gar nichts, bis die Männer gingen, hatte er selbst den größten Rausch und wusste nichts mehr. Der Fehler passierte mir kein zweites Mal.
Im Sommer kamen die Kinder um Eis zu kaufen. Die Eistruhe hatte ich auf dem Flur, weil es da kühl war. Da erwischte ich die Kinder von Walter, die sich durch die Hoftür in den Flur geschlichen hatten, und die größten Eispackungen stehlen wollten. Wie oft sie das schon gemacht hatten, wollten sie mir nicht verraten. Nun stellte ich die Truhe in die Stube. Da hatte ich sie immer im Blick.
Das Kleid für Hannah wurde fertig, und sie liebte es. Sie tänzelte vor dem Spiegel herum, und freute sich über den weiten Rock. So oft sie konnte zog sie es an, mir war es recht, denn dafür hatte ich es ja gestrickt. Wenn ich für Hannah ein Kleid nähte, dann machte ich auch immer die gleichen Kleider für die Patenkinder meines Mannes. Eine war jünger als Hannah und eine war älter. Die beiden freuten sich richtig darüber, und Edeltraud, die Schwester von Martin, begann sich mit mir anzufreunden.
Der junge Bruder von Martin, er hieß Toni, hatte eine sehr nette Frau. Die war auch evangelisch und nun hatte ich Verstärkung in der Verwandtschaft. Sie war bei meinen Schwiegereltern besonders beliebt, wahrscheinlich weil sie auf dem Rathaus arbeitete und immer alles erledigte, was anfiel. Aber sie bekam kein Kind, was sie sich so gewünscht hätten. Sie besuchte mich oft und nahm mir manchmal Hannah ab, die sie ganz ins Herz geschlossen hatte.
Bevor der Sommer zu Ende ging, machten wir an unserem Ruhetag einen Wandertag. Wir wollten zum Tiergarten. Hannah freute sich am meisten, denn sie war immer unermüdlich auf den Beinen. Mein Mann fragte Rainer, der in der dort in der Nähe wohnte welchen Weg wir gehen sollten. Rainer, der immer noch in Tina verliebt war, bot sich an mit zukommen. Ich hätte ihm das gern ausgeredet, aber mein Mann war froh über männliche Begleitung. Martin erzählte immer gern was er alles erlebt hatte. Mich erinnerte das an „Seemannsgarn“, und ich kannte die Geschichten schon alle.
So gingen wir durch die Felder, die kein Ende nehmen wollten. Und freuten uns schon darauf, am Tiergarten einzukehren und vielleicht ein Eis zu bestellen. Nach zwei Stunden kamen wir an. An der Pforte stand: „Heute geschlossen“. Außer Hannah waren alle sauer. Wir kehrten wieder um, und gingen fast den gleichen Weg heim.
Nur kamen wir jetzt in dem kleinen Ort an, der nicht weit von unserm Gasthaus war. Dort war auch eine Wirtschaft. Der Sohn der Wirtsleute gehörte zu unserem jungen Stammtisch. Da wollten wir jetzt einkehren. „Heute Ruhetag“, stand an der Tür. Na, dachte ich, jetzt sind es noch ungefähr drei Kilometer, die werden wir auch noch schaffen.
Wir wollten gerade umkehren, da kam der junge Mann über die Straße und schloss die Tür auf, um uns hinein zulassen. Natürlich bekamen wir etwas zu trinken und konnten uns ausruhen.
Tina trug nichts „Selbstgenähtes“ mehr, sie brauchte jetzt Hosen mit glockigen Hosenbeinen, so wie es die Sängerinnen bei ABBA trugen. Die kaufte sie in einem Modegeschäft. Eines Tages kam sie von der Schule und berichtete: Der Lehrer hatte ein Zentimeter-Maß mit in die Schule gebracht, und den Umfang des Hosenbeines gemessen, es waren 126 cm.
Meine größte Sorge war, dass sie beim Laufen über die Hose stolpern könnte.
Meine junge Schwägerin, die Ellen hieß, kam wieder einmal zu Besuch. Ihr erzählte ich von meiner Sorge um Tina. Sie wollte mit Tina etwas einkaufen, und sich mit ihr unterhalten. Schließlich war sie auch noch sehr jung, und glaubte mit ihr reden zu können. Das konnte sie auch, aber heraus kam das, was ich schon wusste: Tina wollte nur Rainer heiraten. Ellen meinte: „Ich weiß nicht, was er so besonders an sich hat, aber sie ist total verliebt.“
Der Sommer ging zu Ende und unser Garten war auch abgeerntet. Ich hatte mein Gemüse immer in dem Gasthaus verwertet und fror den Rest ein. Martin hatte den Garten aufgekündigt, es war jetzt zu stressig geworden. Mit Rainer und Bernd ging er das Gartenhaus abbauen.
Während sie die Hütte auseinander schraubten, hätten sie das Häuschen mindestens zehn mal verkaufen können. Aber Martin stellte die Einzelteile in die Garage denn er hatte ja zur Zeit kein Auto. Selbst wenn er eines kaufen wollte, in die Garage konnte man fast nicht hineinfahren. Die bessere Zufahrt hatte der Hausherr, der aber auch nur ein Mofa besaß.
Ich verstand Martin, dass er jetzt gerne wieder ein Auto wollte. Er musste ja jeden Tag zur Arbeit. Mit meinem Mofa wollte er nicht fahren, so fuhr er immer noch mit dem Fahrrad.
Dann kam ein Mann der redete wie ein Buch. Der hatte Geschichten auf Lager, die es gar nicht gab. Die jungen Gäste ließen ihn an den Stammtisch und lachten über seine Sprüche. Er quatschte solange an meinem Mann herum, bis der ihm einen alten Ford abkaufte. Der war zwar nicht teuer, aber das reinste Ungetüm. Er traute sich gar nicht damit zur Arbeit zu fahren.
Nun hatten wir einen ganz speziellen Gast, der war schwerbehindert. Und kam immer mit dem Taxi. Dann konnte er bis in die späte Nacht sitzen bleiben. Wenn er dann endlich heim wollte, ließ er wieder ein Taxi kommen und verschwand für ein paar Tage. Nun saß er wieder da und wollte nicht nach Hause.
Da bot mein Mann an, ihn heim zu fahren. „Komm nur mit, falls ich den Wagen noch schieben muss“, bat mich Martin. Wir fuhren an der Bahn entlang und als wir den Gast abgeliefert hatten, fuhren wir den gleichen Weg wieder zurück. Eigentlich nur den halben Weg, denn dann blieb das Auto stehen. Es war schon spät, und wir hatten keine Lust das Auto lange zu bitten, also ließen wir es stehen.
Am nächsten Tag baten wir einen Bauern, das Auto zu entsorgen.
Nun fanden wir es besser, ein neues Auto zu kaufen. Unsere Bank war zwar dagegen, aber schließlich konnten wir uns einigen, mein Mann kaufte ein japanisches Auto. Dazu brauchten wir nicht so viel Geld aufzunehmen. Am Ende waren alle zufrieden. Das Auto erwies sich als zuverlässig und bequem. Wir waren stolz auf unser neues Familienauto, denn alle hatten genügend Platz darin.
Trotz der Arbeit in der Gaststube, bereitete ich alles wie gewohnt auf Weihnachten vor. Mein Mann hatte für Hannah ein Puppenhaus gemacht, das strich ich schön an, malte jede einzelne Dachziegel auf und tapezierte die vier Zimmer. Rainer, der von Beruf Modellschreiner war, fertigte die Möbel an. Ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer, und Wohnstube. Für die Küche kaufte ich eine kleine Puppenküche, die genau da hineinpasste. Ich nähte kleine Vorhänge und bastelte Teppiche. Nur das Licht schafften wir nicht mehr vor Weihnachten. Als alles fertig war, hatten wir wieder ein richtiges Meisterwerk vollbracht. Ein zweistöckiges Puppenhaus mit vier Zimmer und Terrasse. Wir deckten es immer schön zu, Hannah hatte nichts gemerkt.
Die Freude war groß, als endlich Bescherung war. Von Ellen bekam sie auch noch die passende Puppe fürs neue Puppenhaus. Auch die Großen wurden beschenkt, aber ich glaube sie wollten sich ihre Geschenke selbst kaufen und bekamen Geld. Helmut, der Freund meines Mannes, kam über die Weihnachtstage zu Besuch. Mir passte es nicht, denn es war ein Familienfest. Am nächsten Tag hatten wir geschlossen, da kam auch Rainer, Tina war glücklich und ich sauer. Ich versicherte, dass ich im kommenden Jahr gleich die Wirtschaft offen lassen würde, denn wir waren doch nie allein.
Des abends wollte Tina gerne mit Rainer in Kino. Schließlich erlaubte ich es. Aber wie Mütter so sind, konnte ich nicht ins Bett gehen, bevor Tina zurück war. Drum saß ich unten in der Stube und wartete. Tina hatte ich den Schlüssel für die Eingangstür zur Wirtschaft mitgegeben. Vor der Tür war ein Windfang mit zwei Fenstern.
Endlich hörte ich Rainers Auto auf den Hof fahren. Als Tina nicht herein kam ging ich um nach ihr zu sehen. Da standen sie im Windfang und küssten sich. Sie erschraken als ich die Tür öffnete, und Tina haute versehentlich, mit dem Ellenbogen eine Fensterscheibe hinaus. Der Hausherr fragte am nächsten Tag wer die Scheibe zerschlagen hätte. Ich zuckte mit den Schulter und versicherte, nichts gesehen zu haben.
Silvester veranstalteten wir eine Party mit Tanz. Dazu hatten wir einen Musiker bestellt und Martin und Bernd holten die Bar aus dem Keller. Die kam ins Nebenzimmer. Ellen und Tina sollten an der Bar bedienen. Für Tina hatte ich das erste lange Kleid genäht in dunkelrot, sie sah sehr schön damit aus. Toni, der Bruder von Martin und Rainer verteidigten ihren Platz an der Bar den ganzen Abend. Ich hatte die Gäste im Gastraum zu bedienen. Die Musik war gut, um Mitternacht gingen einige auf den Hof und machten ein Feuerwerk. Dann löste sich die Gesellschaft langsam auf.
Plötzlich fing Toni an, sich mit Rainer zu streiten. Toni, der ohnehin leicht erregbar war, riss dem Rainer sein neues Hemd kaputt. Der war böse, denn er hatte es zu Weihnachten von seiner Mutter bekommen. Ich lief in die Wohnung und holte ihm ein Hemd von Martin. Als alle Gäste gegangen waren, bauten Martin, Bernd und Rainer die Bar wieder ab und brachte sie zurück in den Keller. Dann ließ ich Rainer im Gästezimmer schlafen. Er konnte unmöglich nach Hause fahren, denn er hatte mehr als genug getrunken.
Wie er es schaffte, trotzdem zu entwischen, war mir rätselhaft. Am Morgen war er verschwunden. Wahrscheinlich hatte Tina da ihre Finger mit im Spiel. Aber wie es im Leben so ist: „Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort.“
Nachmittags kam Rainer mit einem Fahrrad. Sein Führerschein war weg, ich dachte: Selber Schuld. Martin und ich glaubten nicht, dass Rainer täglich mit dem Fahrrad kommen wollte. Wir täuschten uns, Rainer kam täglich. Mir war es lieber, wenn die beiden spazieren gingen, anstatt immer in der Wirtschaft herum zu sitzen. Bei der Gelegenheit gab ich ihnen Hannah mit, so hatten sie eine Aufgabe. Sie setzten Hannah auf den Schlitten und machten täglich mit ihr eine Runde.
Dann gaben wir eine Faschingsparty. Der Musiker kam wieder und die Bar wurde aus Neue aufgebaut. In der Küche hatten wir einiges zum Essen vorbereitet. Wir hatten die Gaststube voll, auch Ellen war mit Tina an der Bar wie bei der letzten Party. Die Leute hatten alle Hunger und Bernd stand fast den ganzen Abend in der Küche. Ich stellte fest, er hatte Talent.
Bis um elf Uhr war es eine gelungene Party, dann kamen Frau und Herr Wurst, um die Stimmung zu verderben. Er stänkerte an dem Wein herum, obwohl es der gleiche war wie immer. Dann beleidigte er einige Gäste. Ich fragte freundlich, ob es nicht besser sei, wenn sie jetzt in ihre Wohnung gehen würden. Schimpfend und polternd gingen sie die Treppe hinauf. Er hatte mir versprochen mein Lokal nie wieder zu betreten. Ich hoffte, dass es keine leeren Versprechungen waren.
Als die Gäste gegangen waren, hatten wir noch einige Stunden Arbeit, bis wir auch Feierabend hatten. Rainer blieb dieses Mal im Gästezimmer. Helmut, der auch wieder da war, mietete das Fremdenzimmer. Die Kinder brauchten am nächsten Tag nicht in die Schule und Martin hatte auch frei. Nur ich musste wieder früh aufstehen, denn die Küche war noch nicht geputzt.
Rosenmontag und Faschingsdienstag waren für mich ruhige Tage. Da waren die Narren in der Stadthalle und beim Umzug.
Tina machte immer noch bei den Kunstrad-Fahrerinnen mit. Sie war also auch bei den Vorstellungen in der Stadthalle. Martin holte sie abends um zehn Uhr ab. Die ganze Stadt war stolz auf den Verein. Eine unserer Radfahrerinnen war Weltmeisterin geworden. Tina war nicht so ehrgeizig, sie machte nur bei der Pyramide mit. Da stiegen alle Radlerinnen auf zwei Fahrräder. Tina hing dann immer am Lenker. Nach dem Fasching wollte sie aufhören, denn sie war für die Rolle schon fast zu groß.
Ich nutzte die ruhigen Tage und rief meine Pflegemutter an, um mich zu erkundigen, wie es ihr ging. Sie klagte, dass sie so einsam sei und sich mit ihrer ehemaligen Lieblings-Schwester, nun gar nicht mehr vertrug. „Besuch mich doch mal“, bettelte sie. Nun versuchte ich ihr zu erklären, wie weit der Weg von hier aus sei. Da sie in wenigen Tage Geburtstag hatte, entschloss ich mich, ihr einen Blumenstrauß zu schicken. Den bestellte ich bei Fleurop. Mein Pech war nur, dass an ihrem Geburtstag auch Valentinstag war, denn das machte sich beim Preis bemerkbar.
Aschermittwoch war bei mir wieder viel zu tun, denn da gab es Schnecken und Froschschenkel. Das war seit langem Brauch in dem Landgasthaus. Bernd half mir, denn es wurde mir schlecht, ich musste immer an die armen Frösche denken. Wie die Leute so etwas essen konnten. –
Für den Rest des Monats war es ruhig bei uns, die Gäste hatten ihr Geld ausgegeben.
Tina hatte in diesem Jahr Konfirmation und ich begann mir Notizen zu machen.
Sie sollte ein schönes Fest bekommen. Die ganze Verwandtschaft wollten wir einladen. Ich fing also an die Wohnung gründlich zu putzen und bezog alle Betten frisch. Sogar die Fenster mussten dran glauben. Als ich so meine Arbeit machte, war es mir plötzlich, als ob sich in meinem Bauch etwas bewegte. Ich dachte an Blähungen und überlegte was ich denn gegessen hatte.
Abends kam Ellen und Martin und ich hörten Ellens Vorschläge an. Weil Tina keine Paten hatte, wollte Ellen ganz einfach die Stelle einnehmen. Sie bot sich an mit Tina ein Kleid einzukaufen, und zum Friseur sollte sie auch. Ich holte einen Zettel, um mir die Termine zu notieren. Da war es wieder da, in meinem Bauch bewegte sich etwas.
Ich ließ mich auf den Stuhl fallen und sagte: „Ich weiß nicht, ich glaube ich bin schwanger.“ Wieso glaubst du?“ Wollte Ellen wissen. Verunsichert kam es von mir: „Da hat sich eben was bewegt.“ „Nein,“ sagte Ellen, „das bewegt sich nicht so schnell.“ Jetzt hielt ich lieber meinen Mund, denn das wusste ich selbst.
Ellen schaue mich verstohlen an und fragte: „Wann hattest du denn Deine Regel?“ Das war ja das seltsame: "die hatte ich letzte Woche." „Dicker geworden bist du schon ein wenig, aber das kann wirklich nicht sein.“ Ellen war sich ihrer Theorie sicher.
Mein Mann gab auch seinen Senf dazu, und verärgerte mich vollends: „Du bist zu blöd zu wissen, ob du schwanger bist oder nicht.“ Ich war fast 38 Jahre alt, und wollte ganz sicher kein Kind mehr. Meine Laune war im Keller und ich hoffte, dass ich mich doch irrte.
Langsam ging es auf Ostern zu. Ellen hatte mit Tina ein schönes Jackenkleid gekauft, in schwarz und eine hübsche weiße Rüschenbluse. Dazu passende Schuhe und was ein junges Mädchen an so einem Tag gerne möchte. So brachte sie noch eine Halskette und ein Armband zum Vorschein. Hannah durfte auch beim Aussuchen helfen. Tinas Freundin Thea, hatte das gleiche Kleid gekauft nur in dunkelblau. Sie hatten gemeinsam Konfirmation.
Am Samstag hatte ich alle Hände voll zu tun, Bernd half mir dabei. Martin bediente die Gäste im Gastraum. Den Kuchen hatten wir beim Konditor bestellt und den Braten wollte uns die Metzgerin fertig vor dem Mittagessen liefern. So machten wir Nachtisch und bereiteten alles für die Salate vor. Wir waren sehr ehrgeizig und hatten vor, die Verwandtschaft zu beeindrucken.
Tina drohte an, nicht zur Konfirmation zu gehen, wenn Rainer nicht auch eingeladen würde. Wenn wir nicht schon alle eingeladen hätten, wäre jetzt die Feier ausgefallen. Ich regte mich furchtbar auf. Was sollten die Schwiegereltern und die ganzen Tanten davon halten? Ein Mädchen gerade 14 Jahre alt, lud ihren Freund zur Familienfeier ein. Ich fragte Ellen um Rat. Sie wusste aber auch keinen, wollte sich aber darum kümmern, die Schwiegereltern vorzubereiten.
Am Morgen der Konfirmation tauchte dann auch noch Martins Freund auf. Helmut hatte ein schönes Auto und wollte die fahren, die zu Fuß hätten laufen müssen. Ihn bat ich, Rainer zu sich zu nehmen, damit der nicht so allein als Fremder am Tisch saß. Es kam alles anders. Rainer setzte sich bei Tisch direkt neben Tina. Helmut setzte sich neben Martin und als Ellen und ich das Essen aufgetragen hatten saß ich am Ende zwischen Martin und Helmut. Ich hörte als meine Schwiegermutter zu ihren Töchtern sagte: „Guck da ist der Hausfreund auch da.“
Natürlich ärgerte ich mich darüber. Nach dem Essen gingen die meisten etwas nach draußen und wir hatten Zeit den Tisch für den Kaffee zu decken. Jetzt half Bernd auch wieder. Er konnte sehr fleißig sein, wenn er wollte. Später gab es noch kalte Platten zum Abendessen. Ich denke, es ist niemand hungrig nach Hause gegangen.
Martin zeigte noch allen unsere Wohnung, was ich unnötig fand. Aber ich hatte ja alles sauber. Als alle gegangen waren, war ich fix und fertig. Wir ließen alles stehen und liegen und gingen nach oben. Am nächsten Morgen halfen Tina und Bernd beim Aufräumen und spülen. Dann ging ich duschen und fuhr mit meinem Mofa zu meinem Hausarzt. Ich wollte jetzt wissen was los war. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich war wirklich schwanger oder ich hatte nervöse Zuckungen im Bauch.
Mein alter Hausarzt war in Rente gegangen, und ich hatte mir einen neuen suchen müssen. Der war ein väterlicher und immer freundlicher Mann. Er saß an seinem Schreibtisch und hörte mit zu, als ich berichtete was ich gemerkt hatte. Dann schaute er über seine Brille und ich glaubte, dass er jetzt schallend loslachte.
„Das haben wir gleich“, sagte er und bat mich auf die Liege, die im Raum stand. „Soll ich was ausziehen?“, fragte ich verwirrt. „Nein, lass mal Kindchen“, sagte er freundlich. Er brachte ein Stethoskop und hob meine Bluse ein wenig an. Nach ein paar Sekunden verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. „Mach mal den Bauch frei“, sagte er ganz ernst. Er horchte den Bauch ab und fragte: „Wann war die letzte Periode?“ Meine Antwort war: „Vor zwei Wochen.“ Er kratzte sich am Hals und überlegte.
Für den Arzt waren alle Patienten seine Kinder, drum sprach er auch jeden mit Du an. „Und wann hast du das zum ersten Mal gespürt?“ „Vor einer Woche oder zehn Tagen“, berichtete ich. Er fing an zu rechnen und nebenbei erfuhr ich, dass er so etwas ähnliches schon mal hatte. Den 25. Juni schrieb er in seine Kartei.
Ich fing an zu heulen und erzählte, dass ich ja eigentlich gar kein Kind wollte. „Mein Gott“, sagte er, „ son kleines Kindchen hat doch noch Platz bei Euch im Haus.“ Dann zeigte er mit den Händen und lachte: „Guck, ist doch nur so klein, und passt in jedes kleine Körbchen.“ Irgendwie wollte ich mich ja freuen, aber vielleicht später.
Ich fuhr nach Hause und war froh, dass wir heute Ruhetag hatten. Tina räumte ihre Geschenke in ihren Schrank. Sie hatte viele schöne Sachen bekommen. Sogar die Tante, die Patin von Bernd war, hatte ihr ein Geschenk gebracht.
Wir hatten noch genügend Reste vom Vortag. Da war ich gerade beschäftigt, das Mittagessen für uns zu richten. Tina kam in die Küche um die Schüsseln mit dem Essen zu holen. Ich erzählte ihr, dass ich schwanger war. Sie sagte nichts aber grinste schadenfroh. Da konnte ich es nicht unterlassen, ich musste ihr eine Backpfeife geben. Die saß gut und Tina fing gleich an zu weinen: „Ich bin doch nicht Schuld wenn du ein Kind kriegst!“ „Das nicht“, sagte ich, „aber schadenfroh grinsen brauchst du auch nicht!“
Mein Mann konnte es nicht fassen, dass ich im fünften Monat schwanger war und nichts gemerkt hatte. „So dumm kann doch kein Mensch sein.“ Bernd wollte mir gefallen und versicherte: „Ich freue mich!“ Hannah, die nicht wusste um was es ging meinte: „Dann freue ich auch!“ Damit war das Thema erledigt. Mit meinem Mann sprach ich einige Tage gar nicht. Er zog ins Gastzimmer und spielte den Beleidigten.
Ein paar Wochen lang sah es jetzt aus, als hätte er von unserer Ehe genug uns wollte „aussteigen.“ Abends saß er noch lange in der Wirtschaft mit Sanna, der schönen jungen Witwe aus dem Dorf. Die fühlte sich natürlich enorm geschmeichelt, und nahm ihn eines abends mit zu sich nach Haus. Wir nannten sie die Männer-Fresserin, denn sie hatte es auch auf Rainer abgesehen.
Tina war außer sich und als sie eines abends mit beiden Männern abschob, war Tina nicht mehr zu halten. Wir gingen hinterher und holten unsere Männer zurück. Das machte die Sache nicht besser, jedenfalls nicht für mich. Martin war jetzt noch widerwärtiger. Da hatte Tina mehr Glück, denn Rainer war unfreiwillig mit gegangen.
Nun fasste ich einen Entschluss: Für Martin machte ich den Kaffee und das Frühstück, bevor ich ins Bett ging, stellte es ihm auf den Tisch, und stand morgens nicht wie üblich auf. Ich strafte ihn mit Verachtung. Mittagessen bekam er nur, wenn er danach fragte. Das Abendessen musste er sich selbst machen. Ich machte sein Bett nicht mehr und seine Wäsche bügelte ich nicht. So wie es von der Leine kam, bekam er die Wäsche.
Jetzt musste ich mich um mich selbst kümmern. Auch wollte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, bald ein weiteres Kind zu bekommen.
Eines Tages kam Ellen und wir unterhielten uns lange. Sie wollte die Patenschaft übernehmen und bestand darauf mich durchzusetzen, und das Kind in der evangelischen Kirche taufen zu lassen. Auf gar keinem Fall, sollte ich mir alles vorschreiben lassen. Sie würde mich immer unterstützen.
Sie ging sogar so weit, dass sie vorschlug: „Wenn du das Kind nicht möchtest, gib es doch mir, ich würde mich sehr darüber freuen.“ Nein, das konnte ich nicht! Aber ich versprach ihr: „Du kannst das Kind öfters zu dir holen, aber hergeben werde ich es nicht.“ Ich schlug ihr vor, dass sie alle meine Kinder hin und wieder zu sich holen durfte, wenn sie Kinder so vermisste.
Ellen war jünger als ich, arbeitete bei der Stadt, kannte alle Leute und wusste alles. Niemals würde sie etwas ausplaudern, so konnte ich sicher sein, was wir miteinander sprachen, blieb auch unter uns. Sie wohnte direkt neben meinen Schwiegereltern, die doch so neugierig waren, aber von Ellen erfuhren sie nichts. Sie hatte die große Begabung unbemerkt auf ein anderes Thema zu wechseln. Nun stand sie mir zur Seite. Ich mochte sie.
Wenn ich dachte, jetzt könnte ich mich langsam auf mein Kind freuen und entspannen, da hatte ich mich getäuscht. Ellen hatte festgestellt, dass Tina immer noch griechische Staatsangehörigkeit hatte. Das musste ich jetzt dringend ändern. Ellen machte die Anträge für mich fertig und erledigte fast alles.
Bernd hatte nicht die richtigen Freunde. Wir er es schaffte, nachts aus seinem Fenster zu steigen um mit seinen Freunden Unheil anzustellen, war mir rätselhaft. Ich war total ahnungslos, was er nachts trieb, obwohl sein Zimmer direkt neben meinem war.
Hannah, schlich täglich durch alle Zimmer. Oftmals kam sie mit der schmutzigen Wäsche aus den Zimmern nach unten. Sie mochte keine Unordnung. Da entdeckte sie unter Bernds Bett ein Gewehr. Aus den Winnetou-Filmen hatte sie so etwas schon gekannt. Sie nahm das Gewehr, schlich auf den Flur und überraschte den ahnungslosen Herrn Wurst mit: „Hände hoch!“ Polternd und schimpfend kam er zu mir in die Küche herab. Er sei in dem Haus in Gefahr, wo kleine Kinder schon ein Gewehr hätten. Jetzt ginge er zur Polizei.
Ich sah das nicht so eng, denn ich glaubte es sei ein Überbleibsel von Fasching. Trotzdem ging ich hinauf um zu sehen, was Hannah in den Schlafzimmern trieb. Tatsächlich hatte sie ein richtiges Gewehr gefunden, mit dem sie sorglos hantierte. „Willst du uns unglücklich machen?“, schrie ich die Kleine an. Sie zeigte mir, wo sie es gefunden hatte. Und da war noch mehr Diebesgut. Ich war entsetzt.
Nun behielt ich sie bei mir in der Küche, wo ich etwas für die Mittagszeit vorbereitete. Durchs Fenster sah ich Herrn Wurst mit seinem Mofa zurück kommen. Gleich danach kamen zwei Polizisten. Die wussten, dass die Dinge im alten Forsthaus gestohlen waren. Aber es fehlten noch mehr Sachen. Ich hatte keine Ahnung mit wem Bernd nachts unterwegs war, da mussten sie ihn schon selbst fragen. Also fuhren die Herren wieder los, um Bernd an der Schule ab zupassen.
Nach der Befragung bei der Polizei, kam Bernd nicht nach Hause. Seine Schultasche fand man am städtischen Brunnen. Die brachte jemand zu meinem Mann in die Klinik. Als er später kam, und Bernd immer noch nicht da war, war Martin sich sicher, dass er nach Saulgau gelaufen war. Dort wohnte die Mutter, seiner leiblichen Mutter, also seine Oma. Die rief am Abend an und erklärte den „armen Bernd“ ein paar Tage bei sich zu behalten, er hatte Angst heim zu kommen. Vielleicht war das sogar gut, denn Martin hätte ihn windelweich geschlagen.
Am Sonntag brachte seine Oma ihn wieder zurück. Er bekam seine Tracht Prügel, wenn auch mit Verspätung. Tina und Hannah schrien lauter als Bernd.
In der Schule mussten die Kinder einen Aufsatz schreiben, was sie nach Beendigung der Schulzeit machen wollten. Die meisten in seiner Klasse hatten schon eine Lehrstelle. Sie berichteten davon. Die Lehrerin rief mich an und las vor, was Bernd geschrieben hatte: „Wenn ich aus der Schule komme, werde ich Lokus-Tieftaucher.“ Die Lehrerin war sehr erregt. Ich war mir sicher, dass Bernd nur nie sitzen blieb, um der Lehrerin ein weiteres Jahr, mit ihm zu ersparen.
Wegen einer Arbeitsstelle hatten wir uns keine Gedanken gemacht, denn seine Oma aus Saulgau hatte für ihn eine Lehrstelle gefunden. Die Woche über sollte er bei ihr wohnen. Am Wochenende zu uns kommen, wenn er das wollte. Ich mischte mich da nicht ein. Zu mir war Bernd immer nett und hilfsbereit.
Auch im Allgemeinen in der Stadt, bei den Hausfrauen war er als freundlicher Junge bekannt. Er grüßte stets freundlich, trug mancher Hausfrau die Einkaufstasche und ging Botengänge machen, wenn ihn jemand darum bat. Auch Ellen nahm ihn öfters am Wochenende mit. Das war allerdings plötzlich vorbei. Warum erfuhr ich nie. Bernd erzählte es nicht, und Ellen schwieg wie ein Grab.
Eines Tages rief mich eine Geschäftsfrau an, sie hatte Bernd angezeigt, er hatte einen Taschenrechner gestohlen. Ich fuhr sofort in den Laden und zahlte den Taschenrechner. Wie konnte ich nur so dumm sein. Bernd hatte den Taschenrechner schon wieder abgeben müssen und es folgte eine Gerichtsverhandlung. Die ganze Aufregung tat mir nicht gut.- Seine Oma ging gern mit ihrem „Bernie“ zur Gerichtsverhandlung.
Zu allem Überfluss fing Tina jetzt auch noch an zu nerven. Sie wollte auch von der Schule abgehen. Ich verstand sie ja, sie war so gut wie erwachsen, und die anderen Kinder in ihrer Klasse waren noch richtige Kinder. Genügend Schuljahre hatte sie ja absolviert.
Ich beriet mich mit Ellen, da mein Mann mit meinem Zustand immer noch nicht klar kam. Obwohl ihm die schöne Witwe langsam zu anstrengend wurde. Mein Mann war sehr sparsam mit Sex, weshalb ihn seine erste Frau ja auch verlassen hatte. Ich hatte immer viel Arbeit, mit meiner Familie und dem Gasthof. Deshalb konnte ich auch mal ein Jahr lang „ohne“ auskommen.
Ellen fragte Tina noch einmal genau was sie denn wollte. Tina war bereit eine Lehre zu machen, aber in die Schule wollte sie nicht mehr gehen. Langsam verließen mich meine Kräfte. Für mich waren die letzten Wochen einfach zu aufregend. Ellen nahm mir die Arbeit ab und schrieb an das Schulamt. Tinas Wunsch ging in Erfüllung, sie durfte die Schule mit dem Ende des Schuljahres verlassen. Nun suchte sie eine Lehrstelle, jetzt konnte ich ihr dabei nicht mehr helfen, denn es war schon längst Juni.
Ellen brachte das Kinderbett, was inzwischen wieder von der Schwester meines Mannes, gebraucht worden war. Meine Tasche hatte ich schon gepackt und ich war dabei, die Kinderwäsche zu waschen und zu sortieren. Zwar freute ich mich, machte mir aber gar keine Gedanken ob es wohl ein Mädchen oder ein Junge wurde. Auch hatte ich noch keinen Gedanken an einen Namen verschwendet.
Nun lag ich abends im Bett und grübelte: Ganz sicher würde es ein Junge werden, lieber wäre mir aber ein Mädchen. Aber ich hatte einfach das Gefühl: Es wird ein Junge. Ich würde ihn Gernot nennen, dachte ich. Warum ausgerechnet Gernot, konnte ich selbst nicht sagen.
Am 20. Juni wurde ich gegen Morgen wach. Die Wehen hatten eingesetzt. Die Abstände waren noch groß, immer alle sieben Minuten. Ich nahm meine gepackte Tasche und ging hinunter in die Stube, wo ich auf dem Sofa weiter schlief. Von da aus konnte ich dann unbemerkt verschwinden, wenn es dann so weit war.
Wie gewohnt stand ich auf, und es hatte sich nichts geändert, alle sieben Minuten Wehen. Also ließ ich mir nichts anmerken und richtete das Frühstück für die Kinder.
Es war gut, dass ich zu niemandem etwas sagte, denn es ging tagelang gleich weiter.
Dann verkürzten sich die Abstände auf konstant fünf Minuten. Morgen früh wollte ich in die Entbindungsklinik fahren. Ellen meinte auch, da würden sie mit einer Infusion die Geburt einleiten. Also fuhr ich um neun mit meinem Mofa los. Mein Mann hatte ein paar Tage frei, und ich sagte nur: „Ich fahre jetzt ins Krankenhaus, mach die Wirtschaft zu, oder lass sie offen.“
Dann kam ich an und klagte, seit Tagen Wehen zu haben, jetzt täte mir alles weh. Die Hebamme hielt Rücksprache mit meinem Hausarzt, und legte danach eine Infusion an. Es tat sich nichts, obwohl alle Voraussetzungen für eine Geburt da waren. Das Kind hatte auch schon eine stattliche Größe.
Die beiden Hebammen mühten sich abwechselnd, jede wollte das Kind zur Welt bringen. Nach mir, sollte die Klinik für immer geschlossen werden. Der Arzt besuchte mich und meinte, ich sollte noch ein paar Tage abwarten. Dann sollte ich übers Wochenende noch einmal heimfahren. Bis Montag wollte er sich etwas einfallen lassen. Länger konnten wir nicht warten, denn das Kind war schon sehr groß, und einen Kaiserschnitt konnte er hier nicht machen.
Eine alte Nonne kam mit einer Saugglocke. Die Hebamme schickte sie wieder fort: „Saugglocke nur im allerletzten Notfall!“ Sie kam später noch zweimal mit ihrem Ungetüm.
Nachmittags saß ich in der Klinik am Fenster und schaute auf den Hof und die Straße, neben der ein Fußweg verlief. Ich sah ein kleines Mädchen mit einem Puppenwagen und einem Strohhut. Genau wie Hannah, ging es mir durch den Kopf. Das Mädchen kam näher, es war Hannah. Schnell ging ich die Treppe hinunter und ging ihr ein paar Schritte entgegen. Mit dem Dirndl vom Bodensee und dem Hut, kam sie vollkommen selbstbewusst, allein zu mir. Sie war die einzige die mich besuchen kam. Ich freute mich riesig. Am Wegrand hatte sie einen Blumenstrauß gepflückt. Es war einfach rührend.
Gemeinsam trugen wir den Puppenwagen hinauf. Und mein Krankenzimmer wurde zum Spielzimmer. Die Hebamme freute sich die Kleine zu sehen, denn sie hatte ihr ja auf die Welt geholfen. Als es Abend war, hatte noch niemand das Kind vermisst. Sie war immer noch bei mir.
Ich wollte anrufen, dass man sie holen sollte, aber die Hebamme meinte: „Die sollen sich ruhig Sorgen machen, später hole ich ein Kinderbett.“ Schade, so weit kam es nicht. Bernd kam, um Hannah abzuholen. „Wusstest du, dass Hannah hier ist?“, fragte ich. Bernd lachte: „Ich habe sie doch mittags über die Straße gebracht.“ Ich sagte nur: „Morgen komme ich wieder heim.“
Samstag und Sonntag war ich wieder zu Hause und machte meine Arbeit in der Wirtschaft. Im Keller stand ein verwelkter Blumenstrauß. Tina erzählte den hatte Sanna gekauft.
Sie hatte Martin angewiesen, mit dem Blumenstrauß in die Klinik zu fahren, sobald das Kind da sei. Als es am zweiten Tag noch nicht da war, hatte Martin den Spruch losgelassen: „Jetzt ist sie auch noch zu dämlich zum Kinder kriegen.“ Von Männern war ich ja wirklich allerhand gewöhnt, aber Martin hatte ich nicht so eingeschätzt.
Am Montagmorgen erfuhr nur Tina von mir, dass der Arzt versprochen hatte, das Kind heute zu holen. Sie sollte die Wirtschaft zu lassen, riet ich ihr, denn Martin war heute mit Patienten unterwegs. Wenn das Kind dann da sei, wollte ich sie anrufen.
Ich fuhr wieder mit dem Mofa los, und machte einen Umweg durch die Felder. Der holprige Weg, dachte ich, würde das Kind überreden, nun doch von selbst zu kommen.
Das Kind war so richtig auf „Hotel Mama" eingestellt. Freiwillig wollte es nicht ausziehen. Das konnte nur ein Junge werden!
Pünktlich kam ich in der Entbindungsklinik an. Mein Arzt war in voller Montur und krempelte die Ärmel hoch. Ein wenig ängstlich war ich schon. Der Arzt lachte: „Jetzt werfen wir den kleinen Stubenhocker raus.“ Ohne vorher mein Kleid auszuziehen, sollte ich auf das Bett steigen. Die Hebamme zog mir noch schnell die Schuhe aus. Der Arzt erwähnte beiläufig: „Was wir jetzt machen, habe ich noch nie gemacht, soll aber funktionieren.“
Nach einem kurzen Augenblick war es schon passiert. Er hatte die Fruchtblase gesprengt. Die Wirkung war verblüffend. Während die Hebamme die Wehen überprüfte, suchte der Doktor seinen Siegelring. Hatte er den benutzt um die Blase zu sprengen? Aber wo war der? Trotz Wehen konnte ich es mir nicht verkneifen einen unanständigen Spruch aus der Reihe „Frau Wirtin hatte“, zu zitieren. Der passte irgendwie zur Situation. Mein Arzt lachte, und fand seinen Ring im Waschbecken.
Die Hebamme fuhr mich an und ermahnte mich, den Geburtsvorgang nicht zu unterbrechen. Das Kind war um zehn Uhr auf der Welt. Als der Arzt sagte: „Mann ist das eine Bolle“, hatte es seinen Spitznamen fürs Leben. „Ein Mädchen?“, fragte ich. Der Arzt zog seinen Kittel aus, gab mir die Hand, gratulierte und eilte in seine Praxis. Bis die Schwester mich und die Kleine versorgt und gewaschen hatte, war es wieder mal elf Uhr. Ich hatte immer noch mein Kleid an. Ich bekam ein großes Zimmer, mit nur einem Bett darin. Außer mir war auch niemand auf der Station.
Eine ganze Entbindungs-Klinik hatte ich für mich allein. Die Putzfrau kam einmal täglich und hielt mein Zimmer blitzblank. Eine Hebamme, die nur für mich und meine Bolle da war, die sich bei mir abmeldete, wenn sie ins Bett ging.
Dazu kam noch, dass in der Küche Silke eine Lehrstelle hatte, die meine Nachbarin war, als wir noch in der kleinen Wohnung wohnten. Ihr hatte ich damals ein wunderschönes Sommerkleid genäht. Aus diesem Grund, und weil sie mich mochte, wurde ich von ihr bestens versorgt. Sie war auch meistens mein einziger Besuch. In ihrer täglichen Mittagspause kam sie in mein Zimmer. Wir hatten unwahrscheinlich viel Spaß. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel gelacht.
Die Hebamme hatte bei Tina angerufen und mitgeteilt, dass wie ein Mädchen hatten. Sie kam mit Hannah, um die Kleine anzusehen. "Poh", staunte sie, "ist das ein Bolle! Und wie heißt sie?" Schmunzelnd sagte ich: "Bolle!"
"Du machst Witze!" Tina schaute mich entgeistert an. Hanna nahm die winzige Hand der Kleinen: "Guten Tag Bolle, ich bin Hannah."
Die Schwester kam mit dem Nachmittagskaffee und meinte nachhelfen zu müssen. „Der Arzt hat es Bolle genannt, sie heißt Helena!“ Wieso das denn, nenne sie doch Annefrid, wie die Sängerin von ABBA!“ Tina schaute mich vorwurfsvoll an. Ich klärte auf: „Erstens, nach Sängern und Schlagern soll man keine Kinder benennen, der Name ist meistens zu häufig. Helena hat etwas von Ellen, der Patentante und etwas von Lena, die ja leider in Griechenland ist.“
Hannah bot sich an, heim zu laufen und schnell den Puppenwagen zu holen. Sie wollte die niedliche Kleine gleich mit nehmen. Sie zeigte auf die Stirn von Helena, da war ein roter Fleck.
„Was ist das denn?“ Ich machte blitzschnell ein kleines Märchen daraus, und erzählte von einem Vogel-Baby das aus seinem Versteck nicht herauskommen wollte. Dann hat jemand es mit Wasser nass gespritzt und das Vögelchen flüchtete aus ihrem Nestchen. Dabei stieß sie in der Eile mit ihrem Kopf an einen dicken Ast. „Oh, arme Bolle“, kam es mitleidig von Hannah,.„Und wie geht es weiter?“ „Abwarten“, sagte ich geheimnisvoll.
Ich war so müde, weil ich schon lange nicht gut geschlafen hatte. Deshalb legte ich mich in mein Bett. Tina nahm Hannah und ging heim. Dann schlief ich bis das Abendessen kam.
Nein, im Bett wollte ich nicht essen, ich setzte mich an den Tisch und hatte richtig Hunger. Keinen Brotkrumen würde ich auf dem Teller lassen. So saß ich am Fenster und genoss die Abendsonne.
Silke ging über den Hof und winkte, sie hatte Feierabend. Da kam die Schwester mit Martin zur Tür herein. Sie hatte Helena auf dem Arm, und freute sich: „Der Vater will sein Kind bewundern.“ Es sah schon putzig aus, als er mit seinem großen Zeigefinger über die niedlichen kleinen Fingerchen streichelte. Natürlich kam auch von ihm die Frage: „Wie heißt sie denn jetzt?“ Etwas verhalten sagte ich: „Ich habe sie Helena genannt, wenn dir das nicht gefällt, der Doktor hat Bolle zu ihr gesagt.“ Martin gefiel der Name, und sagte zu der Kleinen: „Du bist ja ein niedliches Böllele, Helena.“
Nun wusste ich genau, dass Martin keine Blumen mitgebracht hatte, drum fragte ich die Hebamme, ob sie die Blumen schon ins Wasser gestellt hatte. Die meinte: „Ich habe keine Blumen gesehen.“ „Macht nichts“, sagte ich, „Ich kann mir morgen selbst welche kaufen, nebenan ist ja ein Geschäft.“ Martin merkte nicht, auf was ich anspielte.
Er blieb auch nicht lange und wollte seinen Eltern die Neuigkeiten übermitteln. Im letzten Moment fiel mir ein, die Taufe noch nicht planen zu lassen. Sein Vater sollte mit Ellen sprechen.
Als er gegangen war, bat ich die Hebamme die Kleine noch bei mir zu lassen: „Wir machen jetzt ein Schmuse-Stündchen.“ Kaum hatte ich Helena auf meinen Bauch gelegt, fühlte sie sich wie zu Hause. Sie legte ihr Ohr auf mein Herz und schlief ein. Sie schien ihre Wohngegend wieder erkannt zu haben.
Ich streichelte über ihre spärlichen Haare und ärgerte mich, dass sie einfach eingeschlafen war. Als die Schwester kam, schliefen wir beide. Sie brachte mir ein Fläschchen, denn ich hatte mich geweigert zu stillen. Noch einmal wollte das nicht mitmachen. Hannah hatte mir damals meine ganzen Brustwarzen ruiniert. So bekam Helena das Fläschchen von mir. Nebenbei konnte ich sie streicheln.
Sie machte einen zufriedenen Eindruck. Die Hebamme beteuerte: „Das ist ein ganz besonders ruhiges Kind.“
Am nächsten Tag, kam zuerst die „lustige Witwe“ mit einem Blumenstrauß. Sie wusste gut, dass ich sie nicht leiden konnte, trotzdem blieb sie länger als es mir lieb war. Silke brachte mir mittags ein Stück Torte. Ihr Besuch war mir lieber. Nachmittags wollte Bernd seine kleine Schwester sehen und nahm mein Mofa mit. Ich vertraute es ihm ungern an, und hatte das Gefühl es nie wieder zu sehen. In Gedanken versunken schaute ich ihm nach, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte.
Ellen kam am Abend und wir besprachen die Taufe. Die Feier wollten wir wieder in unserem Gasthof machen, dass hatte allen so gut gefallen. Sie hatte mir einen Kinderwagen besorgt, der schön, aber gebraucht war. Ich bat sie, mir einen Stubenwagen zu kaufen. Dann hatte ich unten in der Stube auch ein Bettchen für Helena.
Tina besuchte mich täglich. Edeltraud, die Schwester von Martin kam mit ihren drei Mädchen. Die Oma meinte, sie könnte warten bis zur Taufe, dann würde sie es ja sehen.
So verging die Zeit, und als nach einer Woche der Arzt zur Visite kam, gab er mir die Erlaubnis heim zufahren. Martin war um die Uhrzeit schon zur Arbeit, dachte ich. Darum nahm ich ein Taxi. Um so überraschter war ich, als sah, dass sein Auto vor der Wirtschaft stand.
Das hatte ich nicht bedacht, heute war Ruhetag und dann nahm mein Mann auch immer seinen freien Tag. Die ganze Woche war mein Mann in der Desinfektion tätig, danach machte er Sonntagsdienst auf einer Station, und am Montag hatte er immer frei.
Er kam gerade aus der Küche und hatte Essen gemacht. Schnitzel mit Pommes, das war das, was er am besten konnte. Er machte es in der Fritteuse, da konnte nichts schief gehen, wenn er nicht vergaß es heraus zunehmen. Tina und Bernd waren auch da, sie hatten Ferien. Danach ging Bernd in die Lehre zu einem Metzger und wollte bei seiner Oma wohnen.
Für Tina hatten wir noch nichts gesucht. Darum wollte ich mich aber jetzt kümmern. Hannah kam aus der Stube, wo sie mit dem Puppenhaus gespielt hatte. Sie freute sich am meisten, dass ich da war und das Baby mitgebracht hatte. Sie beschwerte sich, dass ihr Lieblingskleid in der Wäsche war, und der Papa es nicht waschen wollte.
Waschen war auch nichts für meinen Mann, nicht einmal Tina wollte ich damit beauftragen, denn ich trennte die Wäsche penibel in hell und dunkel, Wolle und Baumwolle. Meinem Mann passte es nicht, dass ich schon da war. Er war dabei eine ganz besondere Überraschung für mich zu machen und damit noch nicht ganz fertig..
Nach dem Essen ging er wieder in den Keller um weiter zu arbeiten. Ich war neugierig, und niemand verriet mir etwas. Hannah zählte an den Fingern ab und sagte: „Es hat vier Blumensträuße.“ Na damit konnte ich nichts anfangen. Er hatte vor zwei Jahren Küchenschränke für mich gemacht, da war an jeder Tür ein Blumenstrauß aufgemalt. Ich tippte auf einen kleinen Schrank, vielleicht wieder für die Küche?
In der Stube neben meiner Nähmaschine lag ein Brief, vom Amtsgericht. „Was ist das schon wieder?“, fragte ich. Bernd kam zu mir und beteuerte: „Da brauchst du dich nicht drum zu kümmern, das macht die Oma in Saulgau.“ Als er weg war, wollte ich es doch wissen und las ihn. Die Bundesbahn hatte ihn angezeigt, er hatte in einem Abteil eine Fensterscheibe zertrümmert. Bei mir dachte ich: Wenn sie ihn nur mal ein paar Wochen einsperren würden, vielleicht könnte er daraus lernen. Von einer Zugfahrt hatte ich gar keine Ahnung meines Wissens nach, war er nie mit dem Zug weg. Ich fragte ihn ganz freundlich, aber er wollte es mir nicht erzählen.
Als ich später Wäsche auf die Leine hängte, stellte ich fest, dass mein Mofa nicht da war. Auch auf meine Frage danach, bekam ich keine rechte Antwort. Das Mofa sei bei seinem Freund, der wollte daran eine Kleinigkeit reparieren. - Später musste ich feststellen, dass er es zu Schrott gefahren hatte, beim -Cross-Rennen im Wald.-
Bernd war ein richtiges Sorgenkind.
Am nächsten Tag hatte mein Mann sein Geschenk fertig. Helena und Hannah waren bei mir in der Stube, da hörte ich es auf dem Flur poltern. Ich wollte wissen, was passiert war, und rannte auf den Flur. „Nicht gucken“, schrie Martin und schlug die Tür zu. Also ging ich zurück in die Stube.
Das Stubenwägelchen, war ja ganz hübsch, aber es war nur das Gestell, mit einer Matratze. Das war mir für die Kleine nicht schön genug, Da musste noch rings herum eine Rüsche, und einen „Himmel“ brauchte es auch.
Ich suchte in meinen Resten, und fand mehrere Meter Perlon Stoff, mit Äpfeln bedruckt in drei Farbvarianten. Mit Kindermotiven hatte ich leider nichts. Für den Himmel nahm ich den Stoff mit weißem Grund und rund herum den roten. Ich nähte fleißig drauflos, denn noch hatte sich niemand in die Gaststube verirrt. Als alles fertig war, hatte ich noch ein paar kleine Stücke übrig, davon machte ich ein Kissen mit Rüschen zur Zierde. Jetzt hatte meine kleine Helena ein niedliches Bettchen auf Rädern.
Nun durfte sie ihren Stubenwagen einweihen, Hannah schaute gespannt zu. Aber Helena wollte sich nicht freuen, sie hatte Hunger und suchte aufgeregt in der Luft, mit ihren kleinen Händen. Sie suchte die Flasche.
Martin war immer noch auf dem Flur am hämmern und schrauben. Ich musste jetzt aber in die Küche das Fläschchen machen. Überfallartig stieß ich die Tür auf und eilte gegenüber in die Küche. Als ich mit dem fertigen Fläschchen zurück über den Flur kam, da sah ich was mein Mann für mich gemacht hatte: Einen sagenhaften Wäscheschrank. Im Augenblick hatte ich ja keine Zeit, aber den wollte ich genau betrachten, wenn Helena satt war. Die halbverhungerte Kleine verschluckte sich fast vor lauter Gier. Das erinnerte mich an Hannah, die auch immer Hunger hatte. Die ließ die Flasche keinen Moment aus den Augen.
Schließlich sagte sie scheinbar hilfsbereit: „Lass mal Mama, ich mache das schon, gib mir die Flasche.“ Liebevoll saß sie neben dem Baby und hielt die Flasche. Mehrmals schaute Hannah sich um, ob ich noch da war. Das macht sie gut, dachte ich und ging hinaus, den Schrank zu betrachten.
Ich hatte mir immer einen Wäscheschrank gewünscht, aber dass ich so einen schönen bekam, ahnte ich nicht. Er hatte zwei Türen und vier große Ablagen. Da hatte ich Platz für alles. In dem großen Fach unter den Ablagen war sogar noch Platz für Wolldecken.
Ich würde an die Zwischenböden Spitzen befestigen, dachte ich. Martin machte die Türen zu, und die waren in Kassetten-Form, auf die jeweils ein Blumengesteck gemalt war. Es war der schönste Schrank, den ich je besessen hatte. „Danke Martin“, jubelte ich. Er antwortete mit seinem legendären: „Schon recht.“
Als ich dann zurück in die Stube kam, strampelte Helena aufgeregt mit den Beinen. Ihre Hände hatte sie fast in den Mund geschoben. Daneben lag Hannah und trank ihre Flasche aus. „Was machst du denn da?“, fragte ich entsetzt. Sie ließ sich nicht stören und meinte nur: „Bolle ist satt, die will nichts mehr.“ Nun wickelte ich die Kleine frisch und machte eine neue Flasche. Natürlich war sie nicht satt. Hannah wollte nicht einsehen, dass nur das Baby eine Flasche bekam, sie behauptete sogar: „Du lässt mich jeden Tag verhungern.“ Keiner ahnte, dass das was ich jetzt machte, grundverkehrt war.
Ich holte eine zweite Flasche, und nun bekam Hannah auch ihre eigene Flasche. Es war ein lächerliches Bild, wenn die inzwischen fünf jährige Hannah neben Helena lag und ihre Flasche trank. Aber nicht genug, sie lauerte immer darauf, ob nicht noch ein Rest bei ihr übrig blieb.
Peinlich wurde es, wenn Hannah ihre Flasche mit in die Wirtschaft nahm. Das passierte immer wenn Bubi kam. Er gehörte zum Stammtisch der Jungbauern und war Hannahs Auserkorener. Sie hatte von Tina gelernt, dass man nicht früh genug den Mann fürs Leben finden konnte. Und das war Bubi. Wenn er also kam, nahm sie ihre Flasche, legte sich neben ihn auf die Eckbank und trank zuerst die Flasche leer. Wenn Hannah abends ins Bett sollte, ging sie nur, wenn Bubi sie ins Bett brachte. Er war ein liebenswerter Bursche und machte alles mit.
Ellen kam am Abend, und brachte ein Taufkleidchen für Helena. Am nächsten Sonntag sollte die Taufe sein. Wir hatten noch viel vorzubereiten. Die Einladungen übernahm sie wieder. Die ganze Verwandtschaft wurde eingeladen.
Es kamen nur wenige in die evangelische Kirche zum Taufgottesdinst, meine Schwiegereltern kamen zwar, schämten sich aber in der Kirche zwischen den evangelischen Leuten.
Nachher beim Mittagessen waren alle da. Ich machte wie immer ein reichliches Essen, später Kaffee und am Abend kalte Platten. Natürlich saß Rainer wieder neben Tina und unser Freund Helmut fehlte auch nicht. Trotzdem war es ein gelungenes Fest.
Martins Vater bestellte am Abend noch ein Familienfest bei uns. Einfach so, sagte er. Den wahren Grund nannte er nicht. Es sollte vor Weihnachten stattfinden.
Mein Mann und ich überlegten, die Wirtschaft aufzugeben, und nach einem kleinem Haus Ausschau zu halten. Also hatten wir für die nächsten Monate eine sinnvolle Freizeit-Beschäftigung.
Zuerst mussten wir uns um eine Lehrstelle für Tina kümmern. Ich schaute in die Samstagszeitung und das Wochenblatt. Es wurden nicht gerade haufenweise Lehrlinge gesucht. Überall wo ich anrief, hatten sie bereits einen Lehrling.
Zuerst versuchte ich es dort, wo ich als Kunde den Geschäftsmann kannte, aber die wollten Tina nicht einstellen. Zum Nähen hatte sie kein Talent. Also versuchte ich es bei der letzten Anzeige, wo ich noch nicht angerufen hatte.
Man suchte einen Lehrling zur Metzgerei-Verkäuferin. Das gefiel ihr ja nicht besonders, aber Tina war nicht so anspruchsvoll. Niemand wollte die Stelle annehmen, also fuhren wir zur Vorstellung.
Schon während der Fahrt kamen mir Bedenken. Bei uns war der Bahnhof so weit entfernt, da brauchte sie ja eine Stunde, und die Metzgerei war zwei Stationen, wobei sie auch noch für jede Station, einen anderen Zug nehmen musste. Das konnte nichts werden.
Die Metzgersfrau erwartete uns und mochte Tina sofort. Sie schaute das Zeugnis an, und meinte: „Ja gut, zum Rechnen haben wir ja eine automatische Waage. Und die Kasse zeigt den Betrag an, den sie kassieren muss. Sogar der Rückbetrag wird angezeigt. Da kann nicht viel schief gehen. Sie sollte drei Monate bei ihr eingelernt werden und dann in die Filiale in unserem Ort. Für die drei Monate sorgte die Metzgerin, für eine Unterkunft im Haus.
Das hörte sich nicht schlecht an. Tina war einverstanden und nahm die Stelle.
Als Tina ihrem Rainer am Abend berichtete, war der nicht begeistert. „Meine Frau braucht nicht zu arbeiten“, erklärte er erbost. Ich wollte keine Streit mit ihm und erwähnte: „Wenn ihr einmal verheiratet seid, dann kann sie ja aufhören mit der Arbeit.“
Tina begann ihre Lehre und Rainer fuhr täglich dorthin, um sie zu sehen. Mich wunderte es , dass ihre Chefin nichts sagte. Am Wochenende holte Rainer sie dann ab, und Tina hatte jedes mal ein schönes Fleischpaket dabei von ihrer Chefin.
Wir suchten nach einem neuen Heim für uns, denn das mit der Wirtschaft war nicht das richtige für zwei kleine Kinder. Außerdem hatte ich niemanden, der mir die Kinder beaufsichtigte, wenn ich in der Gaststube zu tun hatte. Bernd hatte auch seine Lehrstelle angefangen und wohnte bei seiner Oma. Einmal kam er noch, um bei mir ein paar Fleischmesser zu holen. Er nahm meine besten Messer mit, dann sah ich ihn lange nicht mehr.
Alle meine Stammgäste suchten eine Wohnung für uns. Wir besichtigten ein kleines Häuschen. Das war so klein, es war gerade recht für zwei Personen. Auch wenn Tina und Bernd zur Zeit nicht da waren, ein Zimmer sollten sie trotzdem haben.
Dann fanden wir eine Wohnung in einem sehr schönem alten Haus, in einer besonderen Wohngegend. Mir gefiel die Wohnung, sie hatte sechs Zimmer. Und wir wollten sie mieten. Die Dame des Hauses, sagte am nächsten Tag ab, wir gefielen ihr nicht. Am besten hatten mir die breiten Fensterbänke gefallen, denn ich hatte immer viele Blumen.
Es wurde wieder kälter und Winter. Wir hatten immer noch nichts gefunden. In Buchau hätten wir ein Haus kaufen können, für 90.000.-- Mark, aber wir hatten gar kein Bargeld und hätten Eigenkapital gebraucht. Auf die Idee den Bausparvertrag zu beleihen, sind wir nicht gekommen. Also suchten wir weiter. Wir hatten die Wirtschaft auch noch nicht gekündigt.
Dieses Jahr wollte ich auf jeden Fall noch durchhalten, denn ich hatte dem Opa das Fest versprochen. Ja und den Silvesterball, den wollte ich auch noch machen. Es wurde langsam kalt und als eines morgens ich in der Küche den Ventilator einschaltete, haute es mir am frühen Morgen die Sicherung heraus.
Es war noch warmes Wasser im Boiler, also spülte ich zuerst das Geschirr. Laut kreischend kam meine Vermieterin die Treppe herab und rannte an den Stromkasten. Zuerst machte sie ihren Sicherungskasten auf, dann ging sie an meinen. „Die Sicherung für den Boiler ist kaputt, haben sie keinen Ersatz?“ ,fuhr sie mich an. Sie stand da im Bademantel und war sichtlich gereizt.
Liebe Frau Wurst“, sagte ich betont freundlich, „was hat mein Boiler mit ihrem warmen Wasser zu tun? Oder baden Sie täglich auf meine Kosten?“ Jetzt hatte ich den Nagel auf den Kopf getroffen. Dafür hatte ich wirklich kein Verständnis. Jeden Morgen duschen, das konnte ich ja verstehen. Jeden Morgen baden, und abends duschen, das schien mir übertrieben, auf meine Kosten.
Als ich Martin davon erzählte, fuhr er einen Fachmann zu holen. Der klemmte alles an unserem Zähler ab, was nicht zu den, von uns angemieteten Räumen gehörte.
Herr Wurst kam um sich zu beschweren, und bekam alles an seinem Zähler angeschlossen. Er schimpfte wie ein Rohrspatz, aber es nützte ihn nichts. Schließlich drohte er mit einer Anzeige. Ich bat ihn, das nicht zu vergessen, denn dann bekäme ich ja noch eine Menge Geld heraus.
Lange Zeit kamen Herr und Frau Wurst nicht mehr in meine Gaststätte zum Einkehren. Das freute meine Gäste und mich.
Tina und Bernd waren jetzt die ganze Woche über nicht da, und ich war mit den Kindern allein. Meistens spielte Hannah mit ihrem Puppenhaus. Wenn Gäste kamen, die sie kannte, erzählte sie von unserer Bolle und fragte ob sie die mal holen sollte. Dann schleppte sie die Kleine durch die Wirtschaft. Jeder wollte natürlich Helena sehen.
Eines Tages waren wieder lauter junge Leute am Stammtisch und Hannah kam mit Helena dazu. Alle nahmen sie auf den Arm und sie war sehr geduldig. Bei jedem fühlte sie sich wohl. Einige hatten etwas zum Essen bestellt und ich war eine Weile in der Küche beschäftigt. Als ich zurück kam, waren alle so ruhig. Ich brachte das Essen an den Tisch und mir fiel auf, dass alle grinsten. Hannahs Augen verrieten, dass sie Blödsinn gemacht hatten. Ihre Augen schielten in Richtung Kleiderhaken.
Da hatten sie unsere Bolle mit einem Kleiderbügel an einen Haken gehängt. Ihr schien es sogar zu gefallen. Sie hing in der Ecke und guckte auf alle herunter und lachte. Den Kleiderbügel hatten sie durch die Träger der Hose geschoben. „Mensch, wenn da ein Knopf abreißt!“, schrie ich die Spaßvögel an. Hannah drohte ich, sie wieder in den Kindergarten zu bringen, wenn sie Helena nicht in der Stube ließe.
Nein in den Kindergarten wollte sie auf gar keinen Fall.
Ich war heilfroh, als Ellen fragte, ob sie Hannah ein paar Tage mitnehmen durfte. Sie wollte mit ihr in den nahegelegenen Tierpark. Hannah liebte Tiere und ich war mir sicher, dass es ihr gefallen würde. Jedenfalls konnte ich mich von ihrem „Tatendrang“ ein wenig erholen. Denn sie war immer in Bewegung. Helena dagegen war ein ruhiges Kind. Wenn sie genug zu Essen bekam und regelmäßig gewickelt wurde, hatte sie nichts zu bemängeln. Sie schlief viel und beschäftigte sich mit Kugeln, die an einem Gummiband befestigt waren.
Sonntags brachte Ellen, Hannah wieder zurück. Ellen hatte ihr ein Heftchen gekauft, in dem waren die meisten Tiere aus dem Tierpark. Die musste ich alle kennenlernen. Als ich sie alle kannte, ging sie mit dem Heftchen an den Stammtisch. Sie versprach jedem, ihn beim nächsten Mal mit zunehmen.
Am Montag machten Martin und ich, mit Hannah und Helena, noch einmal eine Wanderung. Es war schon recht herbstlich und wir hatten beide Kinder warm angezogen. Wir gingen durch den Wald und kamen in ein kleines Dorf. Im Dorfgasthaus kehrten wir ein. Draußen wurde es ungemütlich und wir beschlossen mit einem Taxi heim zufahren. Der Taxiunternehmer war ein guter Freund von Martin, und wir blieben noch zum Essen in der Wirtschaft. Die Wirtin machte das Fläschchen warm, und wir aßen auch gleich dort.
Hannah benahm sich vorbildlich beim Essen. Wir waren sehr stolz auf die Kleine. Es war schon dunkel, als wir nach Hause kamen. Das Wetter war ungemütlich, man konnte spüren, dass es jetzt Winter wurde. Der Taxifahrer sagte: „Es schmeckt nach Schnee.“ Ich fand das sehr komisch, aber am nächsten Morgen war alles weiß.
In der kommenden Woche planten wir das Fest für Martins Vater. Es sollte sein 70. Geburtstag gefeiert werden, hatte ich inzwischen erfahren. Ich wollte mir die größte Mühe geben, denn den alten Herrn mochte ich. Er redete nicht viel, war aber immer freundlich. Ellen besorgte die Einladungen und es kamen Tanten aus allen Winkeln, von denen ich gar keine Ahnung hatte. Der Opa hatte ja nicht mehr viele Verwandte, um so mehr hatte die Schwiegermutter. Sie luden alle ein. Martins Vater behauptete, dass sei sein letztes Fest, das er feiern würde. Er sah weder alt noch krank aus, drum glaubte ich ihm nicht.
Die weißen Tischdecken brachte ich zum Mangeln. Ich hatte ja selbst eine kleine Mangel, aber die war nur für den Hausgebrauch. Es sollte alles festlich sein. Darum besorgte ich Blumen für die Tische und eine Efeu-Ranke für jeden Tisch. Dann stellten wir die Tische aneinander zu einer großen Tafel.
Meine Metzgerin machte wieder den Braten, in ihrem Heißluftofen. Das war das letzte Mal, dass sie mich belieferte, denn sie machte ihre Metzgerei zu und zog zu ihrem Verlobten nach Brasilien. Schade, bei ihr brauchte ich nur zu sagen wie viele Personen erwartet wurden, und sie hatte immer die richtige Menge. Wie bei allen Festen gab es: Rinder- Schweine- und Kalbsbraten. Dazu verschieden Schüsseln mit Gemüse, Salate und Kartoffeln, Pommes und Spätzle.
Ein Koch aus einer anderen Gaststätte, opferte für mich seinen halben freien Tag, damit ja nichts schief ging. Tina und Bernd waren auch gekommen. Hannah belustigte mit ihrem munteren Wesen die ganze Gesellschaft. Tina hatte ihren Rainer wieder mit an der Tafel, was für die alten Damen doch recht anstößig war. Manchmal sah ich, dass getuschelt wurde.
Am Ende war es ein sehr gelungenes Fest. Und der Opa bezahlte die Rechnung. Dann schlich er mir nach, als ich das Geschirr abräumte, und steckte mir noch einmal 200.-- Mark zu. Ellen und Martin brachten einige Tanten mit ihren Autos nach Hause. Eine Tante versprach ihm als Lohn 10 Eier, die wir aber nie bekommen haben.
Bernd spielte schon lange nicht mehr mit seiner Eisenbahn. Ich fand die Schienen und in seinem Zimmer und gab sie Rainer. Der machte auf einer großen Spanplatte ein wunderbaren Eisenbahn Landschaft. Mit einem Berg, einem langen Tunnel und einem Bahnhof. Dazu kaufte ich verschieden Schilder und Schranken und noch eine Lokomotive mit Güterwagen.
Dann ging ich in das Zimmer von Bernd und suchte die Eisenbahn Waggons die er vor einigen Jahren bekommen hatte. Sie waren nicht mehr zu finden. Es war zu spät, noch einmal etwas nachzukaufen, denn Rainer brachte die Anlage erst am Heiligabend. Also bekam Hannah eine mickrige Eisenbahn, auf einer großen wunderschönen Platte. Trotzdem spielte sie mit Rainer wunderbar mit der Eisenbahn.
Das Weihnachtsfest war schön, wie jedes Jahr, nur Bernd fehlte. Er wollte Weihnachten bei seiner Oma bleiben, bei der auch seine richtige Mutter zu Besuch war. Ich verstand das ja, denn schließlich wohnte er ja auch bei ihr.
Zum Jahresende kündigten wir das Gasthaus, obwohl wir immer noch nichts anderes gefunden hatten. Wenn Helena zu laufen anfing, dann hätte ich dauernd zwei kleine Kinder in der Gaststube, das wollte ich nicht. Wir veranstalteten wie jedes Jahr den Silvesterball und später den Faschingsball. Dann kaufte ich nicht mehr viel Waren ein, und sorgte dafür, dass unsere Bestände abnahmen.
Tina war inzwischen eingelernt, und ging jetzt in die Filiale, an unserem Ort. Sie ging gern zur Arbeit. Ihre Chefin war auch mit ihr zufrieden.
Von der Schule bekam ich eine Einladung, Hannah für die Einschulung vorzustellen. Ich zog sie schön an und sie trug eine rote Strickweste, als wir zum Rektor in sein Besuchszimmer kamen. Er stellte Hannah einige leichte Fragen. Die erste beantwortete sie bereitwillig, dann wollte sie nicht mehr antworten. Ich bat sie, es hatte keinen Sinn, sie sagte nichts mehr.
Der Rektor meinte man sollte sie ein Jahr zurückstellen. Zum Schluss fragte er Hannah welche Farbe ihre Strickweste denn hätte. Hanna sagte „grün, das sieht man doch.“ Der Rektor hakte noch einmal nach: „Die ist doch nicht grün!“ „Doch“, sagte Hannah , „grün mit roten Blumen.“ Ich war zornig und nahm mir vor, ihr den Hintern zu versohlen. Der Rektor war auch nicht mehr freundlich als wir gingen. Er war dafür, Hannah ein Jahr zurück zu stellen. „Wenn sie die Kleine trotzdem in die Schule schicken, wird sie sicher sitzen bleiben“
Martin wartete mit dem Auto auf dem Schulhof. Vor Wut kochend stieg ich ein. Hannah krabbelte auf die Rückbank und war quietschfidel. Bei mir dachte ich: Das wird ihr noch vergehen, wenn wir zu Hause sind. Mein Mann wollte unterwegs wissen wie unser Besuch beim Rektor war.
Ich fand es besser nichts zu sagen, solange wir unterwegs waren. Martin fuhr an den Hintereingang und ich war richtig geladen. Hannah war überhaupt nicht dumm, sie konnte sogar schon ein wenig rechnen und schreiben, sie konnte ganze Bilderbücher erzählen und die Bilder erklären. Kurzum, ich verstand das nicht. Mit Farben hatte sie auch keine Schwierigkeiten.
Erst mal einen Kaffee machen, dachte ich. Martin kam mit Hannah in die Stube. Er fragte: „Na Hannah, wie war es denn in der Schule.“ „Der Arzt hat sie gemessen und gewogen und gemeint, sie sei zu klein für ihr Alter.“ Fing ich an zu berichten. Danach holte ich Luft und wollte zur Sache kommen. Hannah stand auf und fing an zu berichten. „Dann hat er mir drei Finger hingehalten und gefragt, weißt du wie viel Finger das sind? Danach kam noch mal so eine dumme Frage. Und dann hat er mich gefragt welche Farbe meine Strickweste hat. Jeder sieht, dass die rot ist, warum fragt er so dumm?“ Ich hielt meinen Mund, atmete tief und beschloss, sie doch in die Schule zu schicken.
Hannah hatte Recht, die Fragen waren zu leicht für sie. Den Hintern versohlte ich ihr nun doch nicht.
Langsam bekam ich Angst. Der 1. April kam immer näher, und wir fanden keine Wohnung. Wir hatten uns für den Notfall abgesichert. Mein Mann hatte sich nach einer Betriebswohnung erkundigt, die wir im Notfall vorübergehend beziehen konnten. Die sollte umgebaut werden und war zur Zeit leer. Nur aus diesem Grund konnte ich nachts noch schlafen.
Eines abends kam einer unserer jungen Stammtischfreunde. Der berichtete ganz beiläufig: „Ich wüsste euch was, aber ob ihr das wollt?“ Mein Mann wurde neugierig und fragte: „Wo, wie viel Zimmer?“ Wie viel Zimmer wusste er nicht genau, er schätzte: „Sechs oder sieben? Aber ohne Heizung.“ Nach und nach erfuhren wir, dass es sich um einen Bauernhof handelte. Mit zwei großen Wirtschaftsgebäuden, zwei große Wiesen und einem Garten.
Mein Mann war gar nicht so abgeneigt, und meinte:" Ideen würden uns da schon kommen." Martin war schon ganz euphorisch. Da wurde er gebremst, denn nun sagte unser Freund: „Einer der vier Kapellenhöfe, wollt ihr da wirklich hin?“ Wir waren kürzlich dort spazieren gegangen, uns gefielen die Höfe.
Ich fragte, zu wem ich gehen musste, um den Hof zu besichtigen und weil ich kein Mofa mehr hatte, verabredete ich mich mit Ellen zu einer Vorbesichtigung.
Gleich an der nächsten Kreuzung ging es steil den Berg hinauf. Nach drei gehörigen Kurven, kamen wir zu den Kapellenhöfen. Es waren vier, und jeder für sich. Ringsherum nur Wald und um die Höfe Wiesen und Felder. Zwei richtige Straßen führten durch das Dorf. In der Mitte, der Hof sollte es sein. Wir gingen zu einer alten Frau den Schlüssel abholen.
Sie war ganz freundlich zu uns und kam mit, um uns das Haus zu zeigen. Sie glaubte nicht daran, dass es jemand mieten wollte. Die Haustür sah ziemlich mitgenommen aus. Dann kamen wir in die Wohnung.: Eine Küche, die so groß war, wie die in der Gastwirtschaft, ein Bad, eine Toilette extra, mit Wasserspülung, eine große und eine kleine Stube.
Dann gingen wir in den ersten Stock: Drei große Schlafzimmer, eine große Toilette die genügend Platz für eine Dusche bot. Ich staunte, aber da war noch ein Stockwerk: Dort waren wieder drei Zimmer, allerdings mit einer schrägen Wand und ein großer Flur, wie in jedem Stockwerk. Die alte Frau zeigte nach oben: "Da ist noch ein großer Trockenboden."
Acht Zimmer und eine riesige Küche. Die Zimmer waren in gutem Zustand, nur die Fenster waren nicht die besten. Die Fußböden waren mit toten Fliegen übersät. Die Fliegen würde ich zusammen kehren und die Böden wischen, die Fenster sollte Martin richten, dachte ich. Den Schlüssel behielt ich, damit ich Martin das Haus zeigen konnte.
Tina arbeite jetzt in der Metzgerei am Ort. Morgens lief sie zu Fuß, und abends holte Rainer sie ab. Er hatte zum Glück seinen Führerschein wieder. Als sie abends heim kamen, vertrauten wir den beiden, Helena und die Gaststube an. Hannah durfte mit. Wir fuhren die steile „Steige“ hinauf. „Mein Gott“, sagte Martin, „da darf uns aber niemand entgegen kommen.“ Oben angekommen lag vor uns das verträumte „Nest“. Kein Mensch weit und breit. Wir fuhren direkt vor das Wohnhaus.
Hannah sah den Garten und war schon weg. Ich schloss die Haustür auf und mein Mann meinte: „Die fällt ja schier aus den Angeln.“ Dann gingen wir hinein. Hannah war auch schon wieder da. Es gefiel ihr durch die großen Räume zu rennen, denn die waren alle miteinander verbunden.
Das erste was mein Mann bemängelte war: „Die Stromleitungen sind aus dem vorigen Jahrhundert, die muss ich alle neu verlegen.“ Als wir die Treppe hinauf gingen,stellte er fest, dass die Treppe zwar sehr gut war, aber nicht gut verankert wurde. „Das unterbaue ich mit einem Stützbalken.“ Im ersten Stock fand er zwei Zimmer bestens in Ordnung, das dritte wollten wir vorerst nicht benutzen. Da war die Außenwand etwas feucht.
Im oberen Stock hatte er nichts auszusetzen. „Da können die beiden Großen ihr Zimmer haben“, sagte er. Dann stieg er auf den Dachboden. „Mensch!“ rief er herunter, „da sind lauter Wäscheleinen und an den Seiten stehen Vorfenster für alle Fenster, für den Winter!“ Dann ging er die Ställe ansehen: Ein Schweinestall, aufs modernste, eine große Stallküche, Ein Kuhstall für mindestens zwanzig Kühe, und ein Pferdestall. Da war eine Doppelgarage mit Montage-Grube und anschließend eine riesige Werkstatt. Außerdem mehrere Traktor-Garagen.
Heu- und Strohböden alle mit richtigen Treppen versehen. „Wahnsinn“, sagte Martin.
Gleich morgen sollte Dieter ihm die Planung für die Elektro-Installation machen. „Das mache ich alles selbst, bis auf den Anschluss an den Zählerplatz.“
Von der alten Frau holten wir die Telefon Nummer des Besitzers, den wollte ich heute noch anrufen. Als wir ins Auto stiegen, fragte Hannah: „Und wo ist jetzt die Kapelle?“ Martin zeigte auf den Wald: „Da, hinter den Bäumen, da gehen wir ein anderes Mal hin.“ Wir fuhren die steile Straße wieder hinunter, und mein Mann zündete das Licht an, er meinte das sei sicherer.
Tina wartete mir dem Abendessen auf uns, und Hannah berichtete. Sie vergaß nichts und plapperte munter drauflos. Nach dem Essen rief ich den Besitzer an. Er war tatsächlich froh, dass sich ein Mieter gefunden hatte. Die Pacht betrug 500.-- Mark, das war viel Geld. Er lieferte gleich einen Vorschlag mit, einige Wohnwägen unterzustellen, das brächte zusätzlich Einnahmen für uns.
Nun fingen wir an, den Umzug zu planen. Willy, der beim Kieswerk als Fahrer arbeitete, bot sich an mit seinem LKW die Fahrten zu machen. „Zwei Wägen voll, und wir haben alles da oben.“ War seine Meinung, er brauchte nur einen, der mit „anfassen“ konnte. Wir schlugen Bernd vor, aber der war ihm nicht zuverlässig genug. Rainer versprach auch zu helfen.
Von Martin war eine Tante gestorben, die hatte ihm ein schönes Schlafzimmer mit Wurzelfurnier vererbt, und einen Geldbetrag. Das kam uns natürlich sehr entgegen. Sie hatte mit ihrer Schwester zusammen einen Hof bewirtschaftet. Martin fragte die noch lebende Tante, ob sie ihm nicht das Vorkaufsrecht einräumen könnte.
Das kam aber nicht gut an. Erstens erzählte sie es jedem und zweitens fragte sie recht einfältig: „Ach, du willst mich beerben“ Wir ärgerten uns über ihre dumme Reaktion und Martin sagte nur: „Ich sagte kaufen und nicht erben!“ Sie hatte den Hof schon ihrem Nachbarn versprochen.
An den letzten Tagen verkaufte ich einen großen Posten Geschirr, Wein und Besteck. Dummerweise verkaufte ich auch meine tolle Kaffeemaschine. Ich hatte keine Ahnung, dass es so was Gutes nicht mehr gab. Wie konnte ich auch wissen, dass die neue Technik schöner und praktische wurde, aber der aufgebrühte Kaffee im Geschmack schlechter.
Am Ende der Aktion, hatte ich einen schönen Betrag eingenommen. Wir konnten umziehen.
Alles was ich an Kisten und Kartons fand, hatte ich gefüllt. Auch sämtliche Körbe und davon hatten wir viele, denn ein Onkel von Martin war Hobby-Korbmacher. Alles was sonst niemand wollte, bekam ich von ihm.
Morgens kam Willy mit dem Riesen-Fahrzeug. Außer Bernd, hatten wir noch zwei Helfer. Mein Mann brachte mich und die Kinder den Berg hinauf in unsere neue Behausung. Ich musste dafür sorgen, dass jedes Teil in das richtige Zimmer kam.
Wir hatten nichts in dem großen Haus, außer den Kinderwagen, in dem Helena lag. Eine Kiste mit Lebensmittel hatte mein Mann auf den Herd in die Küche gestellt. In der Küche stand eine Spüle und ein Topfrondell. Das war noch von den Leuten die vorher hier gewohnt hatten, Der Herd war sehr groß und heizte den Boiler im Bad für das Badewasser.
Hannah rief: „Mama guck mal, ein Karussell für meine Puppen!“ „Nein, Hannah das ist für Töpfe und Pfannen“, erklärte ich ihr. Sie fand es witzig, dass bei uns nun die Töpfe Karussell fahren durften.
Wir warteten lange, da kam der erste Lastwagen, vollbeladen mit Küchen- und Stubenmöbeln. Willy fuhr direkt vor die Haustür. Das erste was er ab lud war ein Teil meiner Küchenschränke. Er war auf der steilen Steige vom LKW gefallen und eine Tür war kaputt, sonst nichts. Die Schränke hatte Martin auch selber gemacht und die hielten was aus.
Der Fußboden in Küche und Flur, war klassisch mit schwarz weißen Fließen. Ich schob die Schränke an die Außenwand anschließend an das Topf-Karussell und ich hatte eine große Arbeitsplatte, und massenhaft Platz für mein ganzes Geschirr. Dann hatte ich in der Küche noch einen alten sehr schönen Küchenschrank, der kam an die andere Wand.
In den Schubladen war Platz für mein Besteck. Alles war in einem freundlichem Grün gestrichen. Die Türen waren mit Wiesen-Blumen bemalt. Meine Küche gefiel mir jetzt schon. Willy und seine Helfer, brachten die Möbeln für die Stube. Die kleine Stube sollte das Esszimmer werden. Da hinein kam der große Tisch, sechs Stühle, mein Schreibtisch und die Anrichte, mit dem Fernseher. In die große Stube stellten wir vorerst nur das Sofa.
Willy fuhr wieder los und ich begann die Kartons und Körbe auszupacken. Hannah half mir das Geschirr in die Schränke zu räumen.
Dann versorgte ich zwischendurch Helena, denn die hatte Hunger. Der kleine Elektro-Herd war noch nicht angeschlossen. Also suchte ich den Wasserkocher. Während ich die Flasche für Helena machte, fuhren die ersten Töpfe Karussell. Hannah konnte sich nicht satt sehen, wie sich die Töpfe drehten.
Als ich mit Helena aufs Sofa ging, um sie zu füttern, sah ich, dass Willy das Puppenhaus und die Eisenbahn in die große Stube gestellt hatte. Das brachte mich auf die Idee, vorerst ein Spielzimmer darin einzurichten.
Gegen Mittag kam Willy wieder. Er fuhr dieses Mal ganz an die Haustür und rief: „Mach mal im ersten Stock das Flurfenster auf!“ Ich öffnete das Fenster und als erstes kam Bernd durch das Fenster herein. Jetzt reichten sie die Schlafzimmerteile, direkt vom Wagen durchs Fenster. Da muss man erst mal drauf kommen, dachte ich.
Zuerst brachten wir alles für das Kinderzimmer, in das hintere Schlafzimmer. Danach kamen die Teile für unseren Schlafraum. Die Schränke und Betten waren alle zerlegt. Ob wir heute Nacht im Bett schlafen konnten, war noch nicht sicher. Zum Schluss luden sie die Zimmer für Tina und Bernd ab. Die kamen in den oberen Stock.
Ich hatte mit Kartons Feuer im Herd gemacht und einen Topf mit Würstchen aufgestellt. Jetzt hatten alle Hunger. Martin kam mit Tina in seinem Auto. Sie hatte noch alle Zimmer gefegt und das ganze Auto voll, mit Sachen, die wir in den Zimmern vergessen hatten. Martin und Bernd bauten die Schlafzimmer auf. Ich rief hinauf: „Zuerst alle Betten bitte!“ Mein Mann gab mir Recht, denn die Schränke konnte er auch Morgen noch zusammen bauen. Tina ging mit Hannah und Helena nach draußen. Sie wollte nicht, dass die Kinder im Weg herum standen. Das wären sie sicher nicht, denn hier war überall Platz genug.
Die alte Frau, die uns den Schlüssel gegeben hatte, kam den Weg herunter zu uns, sie war neugierig. Sie schaute die Küche an und meinte, die sei aber schön. Die Kinder sollten mit zum nächsten Bauern zum Milch holen. Dann wollte sie die Kapelle abschließen. Tina und Hannah gingen gern mit. Helena behielt ich bei mir, sie konnte noch nicht laufen.
Im unteren Stockwerk hatte ich bis zum Abend alles aufgeräumt. Tina machte das Abendessen, und ich ging hinauf zum Betten beziehen. In Hannahs Zimmer waren die beiden Etagenbetten nebeneinander und der Schrank. Einen Tisch und drei Stühle, hatte mein Mann an die Kindergröße angepasst. Die Mädchen waren glücklich über ihr neues Zimmer.
Ich bezog die Betten obwohl Helena noch im Kinderbettchen schlief. Das Kinderbett stand in unserem Schlafzimmer. Die Tür zu Hannahs Zimmer konnten wir offen lassen, dann war sie nicht allein.
Rainer hatte Tinas Zimmer schon fertig aufgebaut, es sah sehr schön aus. Tina hatte ihre Betten schon bezogen. Bei ihr brauchte ich nie nachzusehen, denn sie war ein sehr ordentliches Mädchen. Rainer sagte: „Die Wände werde ich isolieren, erst das eine Zimmer, dann die anderen beiden.“ Ich fand die Idee gut.
Für heute hatten wir genug gearbeitet, wir saßen noch ein wenig beisammen, dann gingen die Helfer. Einer der beiden hatte mir meinen Herd angeschlossen. Morgen wollte Willy noch einmal kommen und schauen, ob er helfen könnte.
Am nächsten Tag kam auch Helmut, der Industrie-Vertreter. Das war der, den meine Schwiegermutter als Hausfreund tituliert hatte. Er war, im gewissen Sinne, ja auch unser Hausfreund, aber die Betonung lag auf: Unser. Er konnte fast alles, und wenn er wollte, konnte er auch zupacken. Wenn er montags begann seine Kunden aufzusuchen, war er spätestens am Donnerstag fertig. Dann kam er zu uns. Wir hatten seit Jahren eine Schlafgelegenheit für ihn.
Gegen Abend besuchte er seine zahlreichen Liebschaften. Sein Lebensstil missfiel uns zwar, aber wir gewöhnten uns daran. Unsere Kinder mochten ihn alle, und er konnte sehr gut mit ihnen umgehen. So freute sich Hannah riesig, als sein Auto auf den Hof fuhr. Hannah führte ihn durchs Haus und er fand auch gleich ein Zimmer, das ihm gefiel.
„Habt ihr denn kein warmes Wasser?“, fragte er mich, als wieder unten war. Ich lachte: „Nee, so modern sind wir nicht.“ Er fasste nach meiner Hand: „Kommen Sie mal mit, ich zeige Ihnen was.“ Im ersten Stock, machte er die Tür zum großen Kloraum auf. „Gleich links, hinter der Tür, stelle ich einen großen Boiler auf, daneben eine Dusche und dann versorge ich das ganze Haus mit warmen und kalten Wasser.“ „Das ist ja ganz prima, aber was kostet das denn?“ Vor der Antwort hatte ich Angst, und ging die Treppe wieder hinab. Er kam mir nach, und meinte: „Mit 1000.-- Mark kriege ich das hin. Ich kenne genug Werkstätten, wo ich gute gebrauchte Sachen bekomme.“ Das Angebot war verlockend, aber er sollte mit Martin sprechen.
Willy wollte die Wirtschaftsgebäude sehen. Der moderne Schweinestall gefiel ihm. „Hier in die erste Box, da bringe ich Euch zwei Ferkelchen, die haben wir noch, von unserem letzten Wurf.“ Willy kam vom Bauernhof und kannte sich bestens aus. Er stieg in den Stall und überprüfte die Wassertränke. „Alles bestens“, murmelte er. Dann sah er eine Maus laufen und bestimmte: „Und eine Katze bringe ich heute noch, hier hat es Mäuse.“
Wir gingen zur nächsten Tür hinein. Da waren zwei große Waschbecken aber wirklich groß. Die waren gemauert und fassten jedes mindestens 50 Liter Wasser. Rechts und links davon gemauerte Arbeitstische. "Das ist ein Schlachtraum", wusste Willy.
Durch eine Tür, kamen wir in einen ebenso großen Raum. Da waren auch Spülbecken und eine große 4 m lange Ablage.
Wir machten ein großes Scheunentor auf, und waren jetzt ungefähr in der Mitte des Gebäudes. Es war eine Scheune mit Heuboden. Der Heuboden war so überdimensional, auf jede Seite hätte ein Vierfamilienhaus gepasst. An den Seiten waren Leitern. Die Tür wollte ich möglichst geschlossen halten, nicht dass die Kinder zum Spielen da hinauf stiegen. Daneben, wieder ein großes Tor. Der Raum hatte an der Rückseite eine kleine Tür nach draußen auf die Wiese. Hier war es fast gemütlich. Die Decke war nicht so hoch, da konnte man sicher etwas draus machen.
Der Rest in dem Gebäude waren: Garagen, Werkstätten. Ein hölzerner Anbau, so stellte es sich heraus, war ein „Zeughaus“ es hing voller Pferdegeschirr, und Sattelzeug. Ich machte die Tür wieder zu, hier bin ich nie wieder gewesen. Für heute hatte ich genug gesehen.
Das Haus war so gut wie eingerichtet. Helmut arbeitete wie besessen an den Wasserleitungen. Der Boiler stand schon und die Dusche war auch da. Martin arbeitete an den Stromleistungen. Dieter hatte ihm einen Plan gemacht. Er hielt sich genau daran, und legte auch gleich die Leitungen für eine Nachtspeicher-Heizung in den unteren Räumen.
Willy brachte die Katze und zwei Ferkelchen und einen Sack Futter dazu. Dann stellte er die Schaukel auf, für Hannah. Mein Mann hatte bestimmt, dass die Hälfte des Gartens Spielplatz für die Kinder werden sollte. Da wollte er auch das Gartenhaus wieder aufbauen. Die Hälfte des Gartens war für Gemüse immer noch mehr als genug.
Nun hatten wir zwischen den beiden Wirtschaftsgebäuden einen kleinen Acker, Ich war besessen darauf, hier Kartoffeln anzupflanzen. Zögernd ging ich zu dem Nachbarn, der mit dem Kuhstall, und fragte ob er mir den Acker pflügen könnte.
Ich hatte ja nicht daran geglaubt, aber schon am nächsten Tag war gepflügt und geeggt. Bei der Genossenschaft kaufte ich Saatkartoffeln. Dort hing ein Aushang von einem Geflügel-Großhändler. Den schaute ich mir an und dachte: Ach ja, sieben Hühner wären gar nicht schlecht. Das Datum schrieb ich mir auf. „Aber pünktlich sein, der ist nach einer Stunde wieder weg!“ Riet mir der Lagerverwalter.
In der Küche hatte ich den Herd angezündet, denn da hatte ich gerade keinen Strom. Martin hatte den Kühlschrank und den Gefrierschrank mit einem langen Stromkabel versorgt.
Hannah spielte draußen mit ihrem Roller. Es war einfach herrlich auf dem großen Hof. Ich nahm Helena mit in den Garten und wir testeten die Schaukel. Helena konnte man mit allem zum Lachen bringen und Hannah liebte alles, was sich bewegte. Willy meinte: „Wenn Dein Mann, hier einen Sandkasten baut, bringe ich den schönsten Sand.“ Ich hatte keine Sorge, wenn Martin mit dem Strom fertig war, würden die Kinder noch mehr Spielgeräte bekommen.
Gegen Abend nahm ich die Kinder mit in den Stall, zum Schweinchen füttern. Die waren ja ganz begeistert, die kleinen Tiere sahen ja noch richtig niedlich aus. Hannah freute sich: „Jetzt haben wir schon drei Tiere, zwei Schweinchen und eine Katze.“ Helena übte sich im Laufen um der Katze nach zukommen. Sie fiel öfters, aber das machte ihr nichts aus. Helena war nicht wehleidig. Wenn sie schrie, dann hatte sie Grund dazu.
Ich setzte Helena in den Kinderwagen und wollte zurück ins Haus. Wir gingen über sie Straße, die unser Wohnhaus mit Garten, von den Wirtschaftsgebäuden trennte. Von den höher gelegenen zwei Höfen, kam eine Frau und ein kleines Mädchen die Straße herab. Ich wollte nicht unhöflich sein, und wartete um „Grüß Gott“ zu sagen.
Die Frau, war in meinem Alter und Ulla ihr kleines Mädchen, fast so alt wie Hannah. Sie sagte: "Viel Kinder gibt es hier nicht, aber Ulla freut sich, wenn sie jetzt eine Freundin hat. Auch die Milchbäuerin hat ein kleines Mädchen, genau so alt wie Helena. Für Tina würde sich auch eine Freundin finden“,meinte sie. Die Frau hatte ja keine Ahnung, dass Tina nur ihren Rainer sah, und keine Freundin wollte. Hannah und Ulla gingen zur Schaukel und wir setzten uns auf die Viehtränke, die auf unserem Grundstück stand.
Sie erzählte, dass sie Flüchtling war, und hierher kam und in dem Haus gewohnt hat, in dem wir gerade einzogen. Die alte Frau, die mir den Schlüssel gegeben hatte, war hier die Bäuerin. Die beiden oberen Höfe gab es damals noch nicht, Nur zwei, den Milchbauern und den Hof hier. Sie hatten Schweine und Kühe.
Als die beiden Söhne der Oma verheiratet waren, baute jeder seinen eigenen Hof. Der untere mit Pferdepension, der obere hatte eine Junghennenaufzucht. Die Oma zog mit, zu dem Sohn, der die Pferde hatte. Von da an stand der Hof hier unten leer. Jetzt freute sie sich, dass wir eingezogen waren. Mit der Frau verstand ich mich sofort.
Ich nahm sie mit ins Haus und zeigte ihr die Einrichtung. Sie war froh, dass ich das Topf-Karussell so gerne behalten hatte. Als sie sah dass, mein Mann die Stromleitungen erneuerte, meinte sie nur: „Der Besitzer wird Ihnen das aber nicht bezahlen. Der ist geizig,“ Genau genommen, hatte ich es auch nicht erwartet. Schwaben waren gutmütig, solange sie den Geldbeutel nicht herausholen mussten. Nun musste sie heim, sie musste ihre Junghennen füttern. Ulla durfte noch etwas bleiben.
Drei Tage lang pflanzten Tina und ich Kartoffeln. Mein Mann bedauerte es, nicht helfen zu können, weil er noch nicht fertig war mit den Stromleitungen. Dann kam Dieter, der Ingenieur er machte die Endmontage am Zählerplatz. Die Wände waren jetzt versaut und ich glaubte, tapezieren zu müssen.
„Nein“, sagte Dieter, „dein Mann will noch isolieren, wegen der Elektro-Heizung.“
Hannah spielte jetzt täglich mit Ulla, und Helena machte fleißig Laufübungen. Sie wollte auch gern nach draußen. Martin war mit den Arbeiten im Haus fertig, und kaufte einen Balken, mit dem er die Treppe abstützte. Dann war sein Urlaub um, und er musste wieder zur Arbeit. Tina ging auch wieder in die Metzgerei. Ihre Filialleiterin nahm Tina morgens mit, denn sie wohnte eine Viertelstunde von uns entfernt. Das war nicht schlecht.
Bernd war auch wieder bei seiner Oma. So war ich jetzt, mit meinen beiden Kleinen den halben Tag allein. Wenn das Wetter es zuließ, nahm ich sie mit in den Garten und machte dort ein Beet nach dem anderen. Ich ließ mir Zeit dabei, denn was ich nicht gepflanzt bekam, brauchte ich im Herbst nicht zu ernten.
Martin bestellte einen Arbeitskollegen, unsere Wiesen zu mähen und beim Heu zu helfen. Der kam mit dem modernsten Traktor und war blitzschnell fertig mit mähen. Einmal wendete ich das Heu von Hand, wie früher. Das Wetter war gut und am anderen Tag war das Heu fertig. Mit dem Ladewagen des Nachbarn war es schnell geholt. Er fuhr von der Wiese aus auf den Heuboden und lud es ab. Da wir massenhaft Platz hatten, musste ich es nicht zur Seite räumen.
Am Dienstag erinnerte ich meinen Mann an den Geflügel-Großhändler. Da wollte ich unbedingt hin. Kurz nach ein Uhr, fuhren wir in die Stadt. Der Geflügel-Großhändler stand tatsächlich genau an der angekündigten Stelle. Das Kennzeichen am Auto war Versmold. Der war ja von Norddeutschland! In seinem LKW hatte er mehrere kleine Hühnerställe. Ich wollte sieben weiße Leghorn.
Er packte sie in einen Karton. Meine Augen konnten sich nicht satt sehen, „Geben Sie mir bitte noch fünf Gänseküken und fünf Entenküken“, bat ich und mein Mann schaute mich fragend an. „Die brauchen aber Auslauf“, meinte der Händler. „Platz haben wir genug“, mischte sich Martin ein. „Da hätte ich noch Puten“, sagte der Händler, „die gibt es heute billiger, ich habe noch kein einziges verkauft davon. Die fressen die Brennnesseln um das Haus herum.“ Für drei Mark das Stück, waren die fast geschenkt. Wir nahmen zehn Stück.
Er schrieb unsere Adresse auf, und wollte das nächste Mal bei uns vorbei kommen. Mein Mann hatte gar nicht so viel Geld dabei. Aber ich hatte 100.-- Mark eingesteckt, und das reichte gut. Wir sollten den Küken eine Wärmelampe in den Stall hängen, ein paar Tage lang, damit sie sie nicht frieren. Wir fuhren mit den gefiederten Hausgenossen heim.
Für die kleinen Küken hatte ich genau den richtigen Platz. Im Schweinestall waren noch viele Boxen frei. Die Hühner brachte ich in den Stall, der meiner Meinung nach kuschelig war. Zum Einstreuen nahm ich Heu, denn Stroh hatte ich ja keines.
Den Hühnern stellte ich zwei Blechschüsseln in den Stall. Eine für Wasser und eine für Futter, das ich noch gar nicht hatte. Helena wollte die kleinen Küken anfassen, das fand ich nicht gut. Also stellte ich ihr einen Hocker hin, da konnte sie über die kleine Tür schauen. Ulla lief zu ihrer Mutter und erzählte was ich gekauft hatte. Sie kam mit dem Auto zu mir, was mich doch sehr wunderte.
Der Kofferraum war offen. Sie lud eine schwarze Kunststoffkiste aus und holte daraus ein Huhn nach dem anderen insgesamt waren zwölf. „Ach hätte ich die Hühner bei Ihnen kaufen sollen?“, fragte ich und es war mir peinlich. „Nein“, sagte sie, „ich verkaufe keine Hühner, ich habe eine Lohnaufzucht. Die Hühner gehören mir nicht. Aber die Hühner, die einen kleinen Fehler haben, zum Beispiel ungleichmäßige Beine oder wenn sie Hähnchen sind, die verkaufe ich zum Schlachten das Stück für eine Mark.“ Sie meinte, dass ich die aber ruhig laufen lassen konnte, Eier würden die auch legen.
Es waren auch zwei Hähne dabei. Dann packte sie aus, einige Hühnertränken, einen Eimer Futter und als ich sagte, dass ich eine Lampe brauchte, da wollte sie mir auch eine leihen. Sie schaute sich den Stall an und meinte: „Nester sollte ihr Mann bauen, und eine Stange zum sitzen für die Hühner.“ Mein armer Mann, jetzt hatte er schon wieder viel Arbeit.
Der Hausbesitzer kam zu Besuch. Er wollte seine neuen Pächter kennen lernen. Beiläufig registrierte er, dass wir die gesamte Stromversorgung erneuert hatten. Er sah unsere Nachtspeicher Heizung, und genehmigte uns neue Fenster im Erdgeschoss. Er war so geizig und schämte sich nicht zu klagen: „Was mich das wieder kostet.“
Ihm gehörte früher einmal der halbe Ort, wenn er kein Geld hatte, wer dann? Die neue Haustür, fand er sehr gut, aber die konnte er nicht auch noch bezahlen. Zu meinem Mann sagte er: „Sie können alles renovieren oder umbauen, es darf mich aber nichts kosten.“ Für die beiden Mädchen nahm er sich noch etwas Zeit, Dann fuhr der „komische Kauz“ wieder weiter.
Die Mutter von Ulla machte mich darauf aufmerksam, dass ich Hannah für die Schule anmelden sollte. Alle Kinder hier auf dem Kapellenberg, gingen nach Aulendorf in die Schule.
Da hier aber kein Schulbus vorbeikam, war der „Schülerfahrplan“ genau geregelt. Wir vier Mütter mussten alle Schülerfahrten übernehmen. „Ja aber ich habe doch gar keinen Führerschein“, gestand ich beschämt. Maria, die Mutter von Ulla runzelte die Stirn: „Das geht ja gar nicht, einen Führerschein brauchen sie hier oben schon.“ Bis ich den hätte, müsste mein Mann alle Nachmittagsfahrten übernehmen.
Ich hatte nie den Wunsch, einen Führerschein und ein Auto zu besitzen. Martin meinte aber, dass es sehr hilfreich wäre. Nun meldete ich Hannah zur Schule an und mich zur Fahrschule. Dieses Mal stellte keiner „dumme Fragen“ an Hannah. Die Frau im Sekretariat, bemerkte nur, dass sie aber sehr klein sei. Hannah sagte „altklug“: „Ich wachse langsam.“
Ab jetzt ging ich mehrmals in der Woche zur Fahrstunde. Dem Fahrlehrer gefiel es, dass es zu uns so steil bergauf ging. „Das ist eine perfekte Übungsstrecke für die Fahrschüler.“ Ob der Fahrlehrer schon einmal eine Schülerin hatte, die sich so dumm anstellte? Hin und wieder vergaß er seine gute Erziehung und fauchte mich an.
Als wir wieder mal von Saulgau die kurvenreiche Strecke, bergauf und bergab fuhren, schrie er: „Jetzt fahren sie mal ein bisschen schneller, wir werden ja von Radfahrern überholt.“ Den Rest der Fahrt heulte ich nur noch. Am gleichen Tag rief ich den Besitzer der Fahrschule an, und beschwerte mich über seinen unverschämten Angestellten. „Kein einziges Mal, werde ich zu dem wieder ins Auto steigen.“
Wir hatten Theorie Prüfung und ich wurde dazu abgeholt. Dieses Mal musste ich nicht fahren, ich saß hinten und vorne saß wieder der gleiche Lehrer. Von meiner Apothekerin hatte ich mir ein leichtes Beruhigungsmittel geben lassen. So füllte ich meine Bögen in aller Ruhe aus, und bestand die schriftliche Prüfung. Unterwegs, lästerte der Fahrlehrer über die Fehler die gemacht worden waren. Zu mir drehte er sich um und sagte: „Sie haben gar keinen Fehler gemacht.“
Helmut war inzwischen gekommen und mit meinem Mann auf der Wiese. Sie schlugen Pfosten in den Boden und umzäunten ein Stück Wiese für die Hühner. Ich war der Meinung, dass der Zaun nicht hoch genug war. „Das ist nur für den Anfang“, sagte mein Mann,„später machen wir das zwei Meter hoch.“ Er erklärte mir, dass er im Wald einen „Stangenteil“ kaufen wollte. Da wären dann die Pfähle billiger, als im Sägewerk. Ich konnte mir ja nicht vorstellen, was ein Stangenteil war. Aber Martin kannte sich sehr gut aus.
Die beiden wollten jetzt eine Pause machen und verlangten Kaffee. Hannah spielte geduldig mit Helena vorm Haus. „Wann backen wir wieder Kuchen“, wollte Hannah wissen. In letzter Zeit, war ich gar nicht dazu gekommen. Also versprach ich: „Morgen.“
Helmut wollte wissen wie die Prüfung gelaufen war. Stolz sagte ich: „Gut, ich habe bestanden.“ Helmut darauf: „Dann gehen wir nach dem Kaffee ein Auto kaufen.“ Das kam jetzt ein bisschen plötzlich. Auf meine Frage: „Brauche ich denn ein Auto? Wir haben doch eines“, versicherte Martin, dass ich hier oben schon ein eigenes Auto brauchte. Nach dem Kaffee schlich ich mit den Kindern ins Spielzimmer und räumte dort ein wenig auf. Ich dachte: Jetzt ein Auto kaufen, unser Geld wird immer weniger.
Helena war froh, dass ich sie von ihren feuchten Windeln befreite. Es wurde Zeit, dass ich mich wieder mehr um die Kinder kümmern konnte. Die vermissten mich oftmals stundenlang nicht, denn die Enten, Gänse und Puten waren schon schön gewachsen und rannten auf dem Hof herum. Martin kam ins Zimmer um mich aufzufordern, mit Helmut mitzufahren. Er wollte in der Zeit im Garten arbeiten und die Kinder mitnehmen. „Kauf auch ein gutes Auto!“, riet er mir noch. „Und was darf es kosten?“, fragte ich. Darauf meinte Martin nur: „Was es kostet!“
Helmut fuhr mit mir in ein kleines Dorf, wo ein junger Mann gebrauchte Autos verkaufte. Ein roter Opel-Kadett, schien nicht schlecht zu sein. Helmut sah sich das Auto genau an und nach einer Viertelstunde hatten wir das Auto für 500.-- gekauft. „Was besseres bekommen Sie nicht für das Geld“, versicherte der junge Mann. Morgen würde er es für mich anmelden, und es anschließend bringen. Ich hatte doch noch überhaupt keinen Führerschein, warum also die Eile?
Hannah hatte ihren ersten Schultag. Ich brachte sie zur Schule und ging mit ihr in die Klasse. Die Lehrerin war nicht die Jüngste, aber sie schien mir sehr nett zu sein. Dort lag auf jedem Platz eine Tafel Schokolade. Am ersten Tag hatten sie nur eine Schulstunde. Also wartete ich vor der Schule bis Hanna wieder herauskam. Dann nahm ich ihren Ranzen und wir gingen den weiten Weg zu Fuß wieder nach Hause. Hannah hätte jeden Tag laufen können, ihre Ausdauer war grenzenlos. Helena war in der Zeit bei Ulla. Als ich die abholte, bekam ich den genauen Stundenplan, wann und wo ich welchen Schüler abholen musste. Wir hatten zwei Schulen in dem Ort.
Zwei Fahrstunden hatte ich noch, dieses Mal bei einem anderen Fahrlehrer. Der war eigentlich bei der Bundeswehr, und half manchmal aus. Er war höflich und nicht so ungehobelt wie der andere. Als die Prüfung kam, nahm ich wieder eine von meinen „Wunderpillen“. Ich war die Ruhe selbst, das wunderte sogar den Fahrlehrer, der am Prüfungstag wieder der „Unhöfliche“ war.
Bei den vielen Straßen mit rechts vor links, half mir der Fahrlehrer, indem er an den Kreuzungen mit seiner Fußspitze das Gaspedal nach oben drückte. Das fiel dem Prüfer nicht auf, und ich machte alles richtig. Weil es gerade Mittag war, musste ich den Prüfer zum Essen in ein Kaufhaus fahren. Auf dem riesigen Parkplatz, klappte dann auch das rückwärts Einparken. Der Prüfer hatte Hunger, und ich meinen Führerschein.
Außer mir hatten noch zwei junge Leute die Prüfung bestanden. Wir verabredeten uns für den Abend in einem Tanzlokal. Den Tag wollten wir feiern. Martin brachte mich in die Stadt. Wir feierten bei einem Glas Wein, oder zwei, und gingen danach gemeinsam die Straße Richtung Ortsausgang. Plötzlich sagte das junge Mädchen: „Jetzt haben wir drei einen Führerschein und sind zu Fuß unterwegs.“ Ich musste lachen, denn ich hätte ja mein Auto nehmen können, statt mich fahren zu lassen. Daran hatte ich gar nicht gedacht.
Hannah und ich backten einen Apfelkuchen. Das war zu der Zeit ihr Lieblingskuchen, denn sie wusste genau was hineinkam und konnte alles schon mit einem Messbecher abmessen. Sie war ganz stolz darauf. Sorgfältig schabte sie die Schüssel aus, und sorgte immer dafür, dass am Ende viel auf dem Kinderschreck zurückblieb, den sie dann andächtig ableckte. Helena hatte keine Chance den Kinderschreck zu erwischen solange noch Teig daran war. Morgens und mittags bekam Helena noch eine Flasche mit Milchbrei ähnlicher Flüssigkeit. Mittags lag Hannah dann neben ihr auf dem Sofa und bettelte, bis Helena ihr die Flasche gab.
Unsere Hühner waren richtig fleißig. Als ich die ersten Eier aus dem Nest holte, eilte ich sofort in die Küche und machte Spiegeleier davon. Ich glaube das waren die besten, die wir jemals hatten. Nun hatten wir inzwischen schon etwa fünfzig Hühner. Von Maria hatte ich beim Ausstallen ihrer Aufzucht noch einige Hühner bekommen, die zu klein waren oder sonst irgendetwas hatten. Bei mir waren alle Hühner willkommen. Zweimal am Tag sammelte ich die Eier und verpackte sie in Schächtelchen.
Mein Mann nahm die Eier mit in die Klinik, und verkaufte sie dort an die Kollegen, die ganz wild darauf waren. In der Stadt machte ein „Tante Emma Laden“ zu. Ich kaufte eine Waage, bei der man den Preis einstellen konnte, und zwei Kühltruhen. Sowie eine Gefriertruhe. Mein Mann staunte wozu ich das denn brauchte. Das wusste ich jetzt auch noch nicht so genau. Aber wir hatten ja zwei Schweine im Stall und einkochen wollte ich die nicht.
Ich kaufte eine Diätwaage um die Eier zu wiegen. Jetzt konnte ich sie nach Größen sortieren. Denn die Frauen in der Klinik guckten schon immer in die Schachteln ob sie nicht so viel kleine Eier bekamen. Als Maria die Waage sah, sagte sie: „Sie brauchen eine Eierwaage, da zeigt es gleich die Größe an. Ich glaube ich weiß, wer eine hat.“ Ein paar Tage später brachte sie mir die geeichte Eierwaage.
Hin und wieder, kamen jetzt auch Kunden, um direkt auf dem Hof Eier zu kaufen.
Mein Mann kaufte einen alten Traktor, mit einigem Zubehör und einem Gummiwagen. Zwar brachte ich das Ding nicht zum Laufen, aber Martin und Tina schon. Damit konnten wir die Kartoffeln ernten und das Holz aus dem Wald holen. Man konnte damit sogar die Wiesen mähen und Heu machen. Aber meistens kam jemand zum Mähen zu uns, wir hatten ja Freunde.
Die Gänse und Puten waren auch schon groß und liefen ums Haus herum. Sie machten ein Mords-Geschrei, wenn jemand auf unseren Hof fuhr. Wo wir auch waren, auf unserem Gelände, den Alarm der Gänse hörten wir immer.
Eines Abends kam ein Lehrer zu uns. Er hatte einen großen Karton dabei. Seine Schüler hatten ihm eine Gans zum Geburtstag geschenkt. Ich fragte ihn was ich damit sollte. „Kann Ihre Frau die Gans nicht schlachten?“ Er machte den Karton auf und wurde verlegen: „Schauen Sie mal die Gans an, wie lieb die guckt.“ Da musste ich ihm Recht geben.
Kurzum ging ich in meinen Eierraum und holte einen roten Geflügelring. Den machte ich ihr an den Fuß, und fragte: „Wir heißt sie denn?“ Das war ihm jetzt schon wieder peinlich: „Wir haben sie Amanda genannt.“ „Schön“, sagte ich, „Hannah, bring Amanda in den Stall.“ Mit einer Brotrinde lief Hannah los und Amanda trottete hinterher.
„Wie lange soll ich das Tier für sie behalten?“ Fragte ich den Lehrer. Der wollte die Gans nicht zurück: „Vielleicht darf ich sie mal besuchen“, meinte er und wollte einen Sack Futter bezahlen. „Nein, die Gänse fressen was draußen wächst, da will ich nichts für. „Aber Sie können sicher sein, die wird nicht geschlachtet, dafür hat sie den Ring am Fuß.“
Der Lehrer hatte fast nicht mit soviel Verständnis gerechnet, aber Amanda war dankbar, und ab sofort unsere Lieblingsgans. Es dauerte nicht lange, da fand sie unter meinen Gänsen, ihren Traummann, den nannten wir Martin. Fortan sah man sie immer zu zweit.
Die Enten waren auch sehr schön geworden. Es waren Flugenten, also keine weißen, sondern bunte, grün und schwarz. Auch da hatte sich ein Paar gefunden, die unzertrennlich waren. Die Ente machte ein Nest und legte jeden Tag ein Ei. Hannah hatte den Film gesehen: Die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Deshalb hieß die Ente: Gertrud.
Helmut und Martin hatten einen riesigen Hühnerhof gebaut, zwei Meter hoch. Im Hühnerstall waren an einer Seite viele Stangen zum sitzen für die Hühner. Helmut hatten Wassertränken aufgehängt, die sich automatisch füllten. Zum Schluss kaufte ich zwei Futterautomaten. Was fehlte, waren jetzt noch braune Hühner. Die wollte ich kaufen, sobald der Geflügelhändler wieder kam.
Die Fahrten mit den Schülern klappten vorbildlich. Die ersten Fahrten am Morgen übernahmen die Frauen, von den „oberen Höfen.“ Die hießen Kleinbrot. Die Milchbäuerin übernahm die Fahrt um elf Uhr, und um zwölf war ich dran. Hannah fuhr immer mit dem zweiten Auto und kam meistens um elf Uhr mit Frau Reck, der Milchbäuerin. Einmal in der Woche hatte sie um zwölf aus.
Da stand ich dann an der Schule und wartete auf sie. Gespannt schaute ich auf die Scheibe in der Tür, durch die man die Schüler schon sehen konnte, bevor sie die Tür aufmachten. Alle Kinder kamen herausgestürmt. Dann kam eine Zeitlang nichts. Dann wurde die Tür, wie von Geisterhand geöffnet, und heraus kam unser kleiner Gartenzwerg, Hannah.
Sie war so klein, dass man sie durch die Glasscheibe nicht sehen konnte. Einmal fragte ich sie: „Warum kommst du immer so spät?“ Hannah antwortete darauf, „Ich gucke immer noch einmal ob ich nichts vergessen habe, bis dahin haben alle anderen ihre Jacken, und ich muss nicht mehr suchen.“
Zu meinen festen Eierkunden gehörte eine Großbäuerin. Sie hatte immer Feriengäste und selbst nicht so viele Eier. Als ich ihr die Eier brachte, fragte sie. „Wollen Sie nicht ein Pony?“ Ich schaute sie erstaunt an, und meinte, dass ich mir so etwas nicht leisten konnte.
Nun erzählte die Frau, dass sie bald auswandern wollten, mit allem was sie hatten. Alle Kühe , Pferde und Traktoren sollten mit in die Staaten. Auch der ganze Hausstand. Nur das Pony wollten sie nicht mitnehmen. „Sie haben doch Platz, mein Mann wird es ihnen bringen.“ Begeistert war ich nicht von der Idee. Mein armer Mann würde ja wieder einzäunen müssen. Ihren Pfau hätte ich lieber genommen.
Sie zahlte die Eier und holte ihren Geldbeutel, wie immer aus der Gefriertruhe. Bei ihr bekam ich immer eisgekühltes Geld. Einmal fragte ich sie: "Warum haben sie ihr Geld immer eisgekühlt, haben Sie Angst es wird schlecht?" Da musste sie lachen: "Nein, ich habe immer fremde Menschen im Haus, und alle Türen offen. In der Gefriertruhe hat noch nie jemand nach Geld gesucht."
Der „Auswanderer“ kam am Abend mit einem kleinen dunkelbraunem Pferd. Das sollte ein Pony sein. Na ja, dachte ich: bevor du zum Metzger gehst, nehme ich dich. Willy war gerade bei uns er half das Pony abladen und brachte es in das leere Wirtschafts-Gebäude. In einem Kälberstall versorgte er es mit Wasser und Stroh. Der Bauer wendete sein Auto, und ich fragte wie das Pony heißt und was ich bezahlen sollte.
Er stieg noch einmal aus, kratzte sich unter seinem Hut und meinte: „Das ist der Kimmel, lassen Sie mal, der lässt sowieso niemanden reiten.“ Willy sagte: „So einen habe ich auch noch im Stall, den bring ich Samstag. Es kann ja sein, dass die beiden sich mögen, denn Ponys sind nicht gern allein."
Die ersten Tage wollte ich Kimmel im Stall lassen, damit er sich an uns gewöhnen konnte. Weil er so scheu war, ging Hannah ein paar Mal in den Stall und sprach mit ihm. Scheinbar hat sie die Tür dann nicht richtig zu gemacht. Nun war das Pony zwar scheu, aber nicht dumm. Als wir mit dem Abendessen fertig waren, ging ich, die Stalltüren zu schließen. Kimmel war nicht mehr da. Zuerst suchten wir das Gebäude ab, wo außer ihm noch niemand wohnte. Dann fuhren wir mit dem Auto die Gegend ab um den Ausreißer zu finden. Schließlich kamen wir erfolglos nach Hause.
Ich verfluchte den Gaul, und ärgerte mich, ihn genommen zu haben. Um neun Uhr kam die Oma von Kleinbrots. Sie hatte die kleine Kapelle im Wald, hinter unseren Höfen, abschließen wollen. „Da steht ein junges Pferd in der Kapelle, gehört das Ihnen?“, fragte sie. Willy ging mit Hannah den Kimmel aus der Kapelle zu holen.
Mein Mann mochte zwar Tiere, hatte aber einen Heidenrespekt vor ihnen. Darum fasste kein einziges Tier an. Er hatte Angst, gepickt oder gebissen zu werden. Nicht einmal Eier wollte er aus den Nestern holen. Da befürchtete er, die Hühner könnten ihre Eier verteidigen.
Der Spielplatz war nun auch fertig. Die Schaukel hatten wir ja schon in unserem früheren Garten. Unseren Kindern sollte es aber an gar nichts fehlen. Deshalb hatte er einen geräumigen Sandkasten gebaut und einen Kletterturm. Der war zweistöckig und hatte oben eine Aussichtsplattform.
Die Kinder liebten den Turm. Darauf konnten sie alles überblicken. Außer einem stabilem Gitter außen herum, waren da oben auch noch zwei Sitzbänke für die Kinder. Sogar die Leiter hatte an beiden Seiten einen Handlauf. Was mein Mann machte, war immer einwandfrei durchdacht und sicher. Aus einem alten Strommasten hatte er eine Wippe gebaut, für vier Kinder. Unser Gartenhaus war auch wieder aufgestellt. Es war ein Paradies für Kinder.
Als Helena ein Jahr alt war, wollte Hannah, dass sie bei mit ihr im Kinderzimmer schlief. Sie wollte jetzt nicht mehr allein sein. Nach der ersten Nacht meinte Hannah: „Bolle stinkt, die soll aufs Klo gehen, und nicht immer die Windel voll machen.“ Ich bemühte mich schon seit einiger Zeit darum, und tagsüber klappte es schon manchmal. Jetzt unterstützte Hannah mich bei meinen Bemühungen, denn Hannah liebte Sauberkeit. Sie hielt auch das Zimmer immer sauber, wobei es in den Schränken oftmals schlimm aussah.
So stand sie morgens vor dem Spiegel und probierte ein Kleidungsstück nach dem anderen an. Sie wollte immer schön aussehen. Dann kam sie zu mir in die Küche, drehte sich einmal im Kreis und fragte: „Passt das?“ Ich musste jetzt schauen, ob die Farben zusammen passten. Einmal hatte sie ein blaues Kleid an und eine grüne Strumpfhose. Da ließ ich den Spruch los: „Grün, blau Zigeunerfrau.“ Den Spruch vergaß sie nie. Von da an wollte sie den grün, blau, karierten Schottenrock nicht mehr anziehen.
Hannah hatte in der Schule von ihrem Spielplatz erzählt, So mache die Lehrerin mit ihrer Klasse einen Schulausflug. Bei uns sollten die Kinder rasten. Weil das Wetter schön war, kaufte ich für jedes Kind ein Eis. Hannah durfte das Eis verteilen. Sie machte dann mit der Klasse eine Führung durch unsere „Farm“. Ich bemerkte, dass die Lehrerin Hannah nicht besonders mochte. Warum, sah ich später im Zeugnis.
In dem Zeugnis stand: Hannah bemüht sich nicht, sich am Unterricht zu beteiligen. Sie stört und pfeift während der Schulstunden.- Mir war, als hätte ich einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Hannah konnte zu Hause alles, sogar Kuchenbacken. Was sie sagte, hatte Sinn und Verstand, warum tat sie uns das an?
Ich verlangte von ihr, die Schulbücher heraus zu holen, sie sollte schreiben. Sie schrieb schön und alles richtig. In Mengenlehre kannte ich mich nicht aus, aber das Ergebnis konnte sie richtig ermitteln. Auch lesen konnte sie ganz ordentlich. „Warum machst du denn immer Blödsinn in der Schule?“ Wollte ich von ihr wissen. Hannah fand das nicht komisch: „Wenn ich es doch schon kann, brauche ich doch nicht mehr lernen!“
Zu gern hätte ich ihr den Hintern versohlt, aber sie schaute mich immer so lieb an, wenn ich die Hand hochhob. Ich konnte sie nicht schlagen. Deshalb versuchte ich es mit betteln. Mir zu Liebe, sollte sie doch bitte der Lehrerin zeigen, was sie konnte.
Nein, der wollte sie gar nichts zeigen. Im Gegenteil sie wurde jetzt ganz verstockt, und gab der armen Lehrerin nicht einmal mehr Antwort, wenn sie gefragt wurde. Die wiederum beachtete Hannah nicht mehr, und tat als ob sie gar nicht da war. Die Quittung für ihr Benehmen schrieb sie ins nächste Zeugnis. Hannah blieb sitzen, und sollte sich bei her Sonderschule anmelden, hieß es.
Tina ging jeden Morgen zur Arbeit. Sie klagte nicht und schimpfte auch nicht über die Arbeit. Da kam eines Tages Dieter, der Ingenieur mit seiner Frau. Die wusste zu berichten, dass Tina an ihrem Arbeitsplatz schlecht behandelt wurde. Die Filialleiterin scheute sich nicht, Tina vor allen Kunden zu rügen, alles nachzuwiegen und ständig an ihr herum zu nörgeln.
„Nehmen Sie das Mädchen da weg, die bekommt ja Minderwertigkeit-Komplexe.“ Nein, quälen musste sich Tina nicht. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie nur: „Ich wollte euch nicht enttäuschen, darum habe ich nichts gesagt.“ Nun beschlossen wir, Tina nicht weiter in die Metzgerei zu lassen. Sie konnte auch daheim bleiben, denn sie wollte ja sowieso so früh wie möglich heiraten. Rainer freute sich darüber, denn er wollte ja gar nicht, dass sie zur Arbeit ging.
Nun wollte Tina doch lieber die Schule zu Ende bringen und ging, um sich an der Schule anzumelden. Der Schulrektor war nicht begeistert, denn sie war doch nun bedeutend älter als ihre Mitschüler. Trotzdem ging sie nun wieder zur Schule. Sie lief immer zu Fuß und ließ sich nicht von uns Frauen fahren. Wie lange sie jetzt durchhielt, kann ich nicht mehr sagen, aber es war kein Jahr.
Rainer isolierte die Wände im oberen Stockwerk. Er machte das ganz genau. Die Zwischenräume, zwischen den Isolierplatten spachtelte er dick aus. Mein Mann meinte er solle es glatt spachteln. „Nein“, widersprach Rainer, „das wird später glatt geschliffen.“ Mein Mann schimpfte: „Der lässt sich nichts sagen.“ Dann fing Rainer an zu schleifen. Er schliff tagelang, und das ganze Haus war voll mit weißen Staub.
Martin, glaubte sich einmischen zu müssen, verkündete laut sein Missfallen. Rainer warf seine Schleifmaschine in die nächste Ecke und machte nichts mehr. Wenn Tina achtzehn würde, wollte er für sie ein Zimmer in der Stadt suchen, bei uns sollte sie nicht bleiben. Ich hatte das Gefühl, dass Rainer und Martin nie Freunde werden konnten.
Rainer kam lange Zeit nicht mehr. Im Geheimen hatte ich gehofft, dass es aus war. Willy kam jetzt öfters, denn er hatte auch ein Auge auf Tina geworfen. Tina konnte sich jedoch nicht für ihn erwärmen. Ich machte die Zimmer fertig und mein Mann räumte sie ein. Sie bekam ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. In dem geräumigen Flur richteten wir ihr eine Küche ein. Durch Zufall fand sie eine neue Arbeitsstelle. Sie war jetzt in einem Lebensmittelmarkt tätig. Nun war, wie ich glaubte, wieder alles in Ordnung.
Samstags nachmittags rief mich die Oma von Bernd aus Saulgau an: „Holen sie ihren Bernd sofort ab. Ich gehe jetzt einkaufen, wenn ich zurückkomme, will ich ihn nicht mehr sehen.“ Ich hatte keine Ahnung, wo diese Frau in Saulgau wohnte. Martin hatte aber Dienst und ich rief ihn an. Er beschrieb mir, wo ich Bernd finden konnte. Leider hatte er keine Möglichkeit Bernd selbst abzuholen. Immer wenn ich weg musste, packte ich meine Kinder ins Auto. Sie sollten möglichst nicht allein bleiben. Dann fuhr ich los. Als ich in die Straße einbog, stand Bernd mit seinen Sachen schon auf dem Gehsteig.
Wir luden seine Sachen ein und fuhren nach Hause. Es war nichts aus Bernd heraus zu bekommen,
Ich hatte keine Ahnung, warum seine Oma ihn nicht mehr sehen wollte. Auch seine Lehrstelle hatte die Oma kurzerhand gekündigt. Wir fuhren dorthin, um seine Papiere zu holen.
Der Meister reichte mir die Unterlagen und sagte: „Die anderen Sachen behalte ich, er hat mir genug kaputt gemacht. Versuchen Sie´s doch mal mit ihm auf dem Bau, da passt er besser hin.“
Zuhause drückte ich ihm eine Mistgabel in die Hand, stellte einen Schubkarren neben den Schweinestall und sagte: „Vielleicht kannst du mal den Stall ausmisten.“ Damit er die Schweine nicht verletzte, sperrte ich die vorsichtshalber in eine andere Box. Mit Helena ging ich zu den Hühnern, um die Eier aus den Nestern zu holen. Dann ging ich die Eier sortieren.
Ich war keine fünf Minuten bei der Arbeit, da kam Bernd. „Die Mistgabel ist durchgebrochen. Kann ich jetzt aufhören?“ Nun wollte er die Eier wiegen. „Nimm deine Finger weg, sonst habe ich am Ende nur kaputte Eier“, schrie ich ihn an.
Als ich mit den Eiern fertig war, fuhr ich mit ihm zum Maurer. Der nahm ihn schließlich als Handlanger. Ich bat ihn alles zerbrechliche von ihm fern zuhalten. Der Maurer lachte: „Den werde ich schon an die Arbeit stellen.“
Bernd wollte ein Fahrrad haben, um damit zur Arbeit zu fahren, aber er hatte alle unsere Räder schon kaputt gemacht. Ein neues Mofa hätte ihm sehr gut gefallen. „Wenn du Geld hast, kannst du dir eines kaufen, sonst fahr mit dem Bus. Von uns aus, bis zur Bushaltestelle im Dorf, war es sicher eine halbe Stunde. Ich weckte ihn früh genug, damit er den Bus nicht verpasste.
Das ging auch einige Tage gut, doch als es morgens regnete kam er nicht aus dem Haus. Er fand keine Regenjacke. Schweren Herzens gab ich ihm meine Regenjacke, die war nicht nur ganz dicht, sondern auch sehr schön. Ich legte ihm ans Herz, die Jacke unbedingt am Abend wieder zu bringen. Er schaute auf die Uhr und sagte: „Den Bus erreiche ich nicht mehr. Entweder du fährst mich, oder ich bleibe hier.“ Nein, fahren wollte ich so früh noch nicht!
Ich gab ihm den Roller von Hannah und sagte: „Fahr mit dem Roller, den Berg hinunter bist du dann schnell. Unten stell ihn bitte an die Böschung, ich nehme ihn mit, wenn ich zum Bäcker fahre.“ Er sauste mit dem Roller los und kam noch früh genug an den Bus. Den Roller hatte er wie verabredet abgelegt, den lud ich ins Auto. Die Regenjacke bekam ich nie zurück.
Einmal in der Woche musste er zur Berufsschule. Sein Lehrer war öfters Gast bei uns, im Landgasthof. Er erinnerte sich an Bernd, als er ihn sah. Kurz darauf hatte er für Bernd eine Lehrstelle als Koch, in einem renommierten Hotel in Stuttgart. Zwar hatte ich Bedenken, dass es gut ging, aber ich dachte, dass könnte ihm gefallen. Bernd hatte immer gern in der Küche geholfen. Er fuhr zur Vorstellung, und die Chefin stellte ihn gerne ein. Jetzt hieß es wieder Koffer packen. Ich brachte ihn zum Bahnhof, und bat ihn, an seinem freien Wochenende zu kommen.
Die Ponys hatten eine schöne eingezäunte Weide und einen windgeschützten Unterstand. Nur bei richtig schlechtem Wetter holten, wir sie von der Weide in den Stall.
Willy hatte uns noch einen Wurf Ferkel gebracht, damit es im Winter im Stall nicht so kalt wurde. In den übrigen Boxen hatten sich Gänse und Enten breit gemacht. Die Puten übernachteten in der Scheune. Die meisten waren Truthähne, aber eine Pute hatte ein Nest und legte täglich ein Ei.
Eine Familie hatten eine Schildkröte abgeliefert, weil sie ihnen lästig geworden war. Mein Mann baute einen Auslauf für sie, aber sie fühlte sich nicht wohl bei uns und war eines Tages verschwunden.
Mehr Glück hatten wir mit Zwerghühnern. Die hatte eine Familie in ihrem Garten in der Stadt. Den Nachbarn hatte das nicht gefallen, so brachten sie die kleinen Hühner zu uns. Zwei davon waren wunderschön. Sie waren pechschwarz und hatten statt einem Kamm rote Kugeln auf dem Kopf. Das sah aus wie eine Krone. Wir nannten sie König und Königin. Das dritte Zwerghuhn war bunt und hatte einen kleinen Kamm.
Willy lud Tina ins Kino ein. Als er sie heimbrachte meinte er: „Mit Tina kann man nicht ausgehen, die spricht die ganze Zeit von ihrem Rainer.“ Der hatte sich schon lange nicht mehr sehen lassen. Von Willy erfuhren wir, dass Tina sich sehr wohl laufend mit ihm traf, aber er hatte einen Unfall. Ihm war nichts passiert, aber sein Auto hatte den Unfall nicht überstanden. Nun hatte er noch kein neues Auto, und traf Tina abends, bevor sie heimkam.
Tina ging morgens früh zur Arbeit und füllte die Gemüseabteilung auf, bevor die Kunden kamen. Ihre Arbeit machte sie gern und sie war immer pünktlich. Als sie eines Morgens in den noch dunklen Laden kam, sah sie aus Versehen ihre Chefin mit ihrem Liebhaber. Sie waren am Küssen und darin wiederum total vertieft. Die Leidtragende war Tina, sie wurde noch am selben Tag entlassen. Die fadenscheinige Begründung war: Tina sei Ausländerin und hatte keine Arbeitserlaubnis.
Darüber war ich so verärgert, dass ich am nächsten Tag ihren Chef aufsuchte. Ich hatte die Staatsangehörigkeits-Urkunde von Tina dabei. Der Chef kannte ja nicht den wahren Grund, der plötzlichen Entlassung. Er behauptete: „So eine Bescheinigung kann ich an jeder Straßenecke für ein paar Mark kaufen. Ich will keine Ausländer in meinem Betrieb.“ Tina hatte mich gebeten ihre Gesundheitssandalen mit zubringen, also verlangte ich die. Und sagte: „Tina muss nicht unbedingt arbeiten, und bei Ihnen erst recht nicht!“
Als Rainer, vergebens in der Stadt auf Tina gewartet hatte, ließ er sich am Sonntagmorgen von seiner Schwester, zu uns auf den Kapellenberg fahren. Tina war glücklich und Rainer wurde am Abend von seiner Schwester wieder abgeholt. Ein paar Tage später bekam er sein neues Auto und jetzt kam er fast täglich Tina zu besuchen. Martin wollte nicht mit ihm sprechen, ihm lag die Schleiferei von Rainer noch auf dem Magen. Sie gingen sich aus dem Weg. Manchmal fuhr sie mit mir zum Eier ausliefern, oder blieb mit den Kindern zu Hause.
In der Stadt hatte ein kleiner Zirkus sein Zelt aufgebaut. Ich beschloss mit den Kindern dorthin zu gehen. Es war eine sehr dürftige Vorstellung. Der Besitzer bat die Besucher die Tiere noch anzusehen, denn er sei auf jede Mark angewiesen. Wir waren die einzigen Besucher der Tierschau. Der Mann klagte, er wisse nicht, wie er die Tiere durch den Winter füttern sollte.
Er zeigte uns drei afrikanische Zwergziegen und jammerte: „Die habe ich zwar, aber anfangen kann ich nichts damit, wissen Sie niemanden der die brauchen kann?“ Ich sagte: „ Kein Mensch braucht so was, aber was wollen Sie dafür?“ Er wollte 100.-- Mark. Die Tiere waren richtig schön. „Also gut, bringen Sie die Ziegen auf meinen Hof“, sagte ich zu ihm. Da wollte er mir auch noch ein Lama andrehen, aber Lamas wollte ich sicher nicht, die spucken und das ist unanständig.
Am Abend kam er mit den Ziegen. Die sperrte ich in die Box, in der vorher die Ponys waren. Als Sonderspende durfte der Mann seinen Anhänger mit Heu füllen, denn davon hatte ich mehr als ich je brauchen konnte. Das freute ihn besonders.
Mein Martin war ganz stolz auf unsere Farm. Er hatte auch Grund dazu, denn er hatte ja viel Arbeit da hinein gesteckt. Die Zäune, die er für die Tiere gemacht hatte und der Spielplatz, waren nicht nur praktisch, sie waren schön und alle aus Holz bis auf den Hühnerhof, da war rings um die Pfähle Maschendraht gespannt.
Nun lud er die Verwandtschaft zu seinem Geburtstag ein. Wir backten Kuchen und machten eine Torte. Hannah machte natürlich ihren Apfelkuchen. Hannah und Helena rissen sich gegenseitig den Kinderschreck aus der Hand, ich ärgerte mich, nur einen zu besitzen.
Martin hatte seine Eltern und seine Geschwister eingeladen. Die Gesellschaft war also überschaubar. Die Kinder, von seiner ältesten Schwester, konnten nicht genug kriegen von dem Spielplatz. Hannah wollte bei meiner Schwiegermutter punkten und prahlte: "Oma, den Apfelkuchen habe ich gebacken.“ „Unsinn“, fuhr Oma die Kleine an, „so kleine Kinder können doch keinen Kuchen backen.“ „Ich schon“, beteuerte Hannah. Nun erklärte sie der Oma genau wie sie es gemacht hatte. „Den wird vielleicht Tina gemacht haben“, sagte sie abweisend zu Hannah.
Ich merkte, dass Hannah fast am weinen war, und munterte sie auf, den anderen Kindern das Puppenhaus zeigen. Da stürmten die Kinder die Treppe hinauf, denn das Puppenhaus stand im ersten Stock auf dem Flur, neben meinem Wäscheschrank.
Die neugierigen Schwestern meines Mannes, gingen jetzt durch alle Zimmer. Sie ließen es sich nicht nehmen, in jeden Schrank zu schauen. Als sie wieder am Tisch saßen hörte ich wie die ältere meinen Mann fragte: „Wer hat denn die kleine Wohnung ganz oben?“ Martin sagte Tina wohnt dort.
Dann drehte sie sich zu den anderen und erzählte sichtlich erstaunt: „Das müsst ihr gesehen haben, die Schränke von Tina picobello, alle Wäscheteile wie abgemessen, da könnt ihr ein Lineal anlegen.“ Da freute sich mein strapaziertes Mutterherz. Ich war stolz auf meine Kinder.
Am Abend musste ich den Kindern meiner Schwägerin versprechen, dass sie wieder kommen durften. Nachdem Martin, alle durch die Ställe geführt hatte, fuhr der Besuch wieder ab. Der Opa gab mir für die Kinder 100.-- Mark. Das freute mich ich versprach ihm, dafür Hannah ein Fahrrad zu kaufen.
Bernd hatte ein paar Tage frei und kam zu uns zu Besuch. Ich kannte ihn zuerst gar nicht, als er zur Tür herein kam. Er war aufs Feiste gekleidet. Alles neu, von Kopf bis Fuß. Er trug einen guten schwarzen Wollmantel, einen Anzug mit Krawatte und tolle Schuhe. Das konnte er ja noch gar nicht verdient haben!
Seine neue Reisetasche stellte er auf die Treppe, und fragte: „Habe ich oben noch ein Zimmer?“ Natürlich war sein Zimmer noch oben. Er ging hinauf und kam etwas legerer wieder herab. Helena nahm er auf den Arm, und Hannah sollte ihm die Tiere zeigen. Er brauchte lange, bis er alles gesehen hatte. Als er wieder herein kam, fragte er ob man auf den Ponys auch reiten könnte. „Um Himmelswillen, du wirst mit deinen zwei Metern nicht auf so ein kleines Tier steigen wollen“, fragte ich erschrocken. Bernd stellte fest: "Das Graue ist ja nicht so klein. Da sollte man doch drauf reiten können."
Ich war mir sicher, er hatte es bereits ausprobiert und war froh, dass ihm nichts passiert war. Abends erzählte er, dass es ihm in Stuttgart sehr gut gefiel. Seine Chefin kümmerte sich ganz rührend um ihn und hatte ihn total neu eingekleidet, ganz nach dem Geschmack der Dame. Mit ihr besuchte er Opern und zu Konzerte.
Bernd war groß, und sah gut aus, und er hatte einen weiteren Vorteil: Er konnte sich gut benehmen, war höflich und freundlich. Seiner Chefin muss das gefallen haben.
Bernd blieb ein paar Tage, dann fuhr er wieder zurück nach Stuttgart. Ich brachte ihn mit dem Auto zum Bahnhof. Unterwegs lobte er mich: „Du fährst gut, mit die würde ich ans Ende der Welt fahren.“ Noch nie hatte jemand meine Fahrkünste bewundert. Es tat mir gut.
Schon am kommenden Tag, merkte ich, dass meine Fahrkünste gar nicht so gut waren. Ich musste Eier ausliefern, und wollte den Weg abkürzen. Deshalb fuhr ich am Güterbahnhof vorbei, wo die Straße nicht geteert war. Im Auto hatte ich Helena, Hanna und Tina, Dann fuhr ich durch ein Matschloch und blieb stecken. So sehr wir uns auch plagten, wir bekamen das Auto nicht aus dem Dreck heraus.
Tina ging zum nächsten Telefon und rief Hilfe herbei. Mit einer Stunde Verspätung setzten wir unsere Tour fort. Meine Liebe zu dem roten Kadett hatte Schaden genommen, das Auto selbst nicht.
Eines Tages, knickte ich mit meinem Fuß um. Hannah war dabei, wir wollten gerade Eier sammeln. Mir tat der Fuß so weh, dass ich mich auf einen Holzbalken setzen musste. Sie sagte besorgt:“ Bleib sitzen, ich komme gleich wieder.“ Ich konnte auch im Augenblick nicht aufstehen.
Nach einer Weile kam Hannah zurück. Sie hatte ihre weiße Schürze umgebunden und auf dem Kopf saß das Käppchen auf mit dem roten Kreuz. Den kleinen Arztkoffer hatte sie in der Hand. Das war ein Geschenk von Willy, der bei den Sanitätern war. Zuerst horchte sie mein Bein ab. Dann klebte sie dort, wo es am meisten weh tat ein Pflaster hin.
Ich beteuerte: „Es ist schon viel besser.“ Dabei hatte ich mich nur an den Schmerz gewöhnt. Mir war bewusst, dass ich ein paar Tage brauchte, um wieder flott auf den Beinen zu sein.
Zwei Tage später musste ich auf meine Eiertour. Die Kleinen ließ ich bei Tina. Beim Fahren hatte ich die größten Schwierigkeiten, denn ich hatte Mühe, die Kupplung durch zu treten. Am späten Nachmittag fuhr ich wohl behalten auf den Hof zurück.
Ich parkte das Auto direkt vor dem Wohnhaus. Als ich zum Schluss die Kupplung trat, um zu bremsen, bekam ich einen stechenden Schmerz im Knie, dass ich vor Schreck die Kupplung los ließ. Das Auto machte einen Satz, genau vor die Hauswand. Jetzt hatte ich genug, ging ins Haus, holte einen Krankenschein und wollte sofort zum Arzt gehen. Auf dem Rückweg wollte ich mir die Beule aus dem Auto machen lassen. Tina sollte den Mechaniker anrufen und mich anmelden. Mein Mann war an der Weide am arbeiten. Er sollte die Beule am Auto nicht sehen, also fuhr ich gleich wieder los.
Gas und Bremse funktionierten, aber die Kupplung nicht. Das Auto heulte laut, als ich vom Hof fuhr. Nun war es doch besser, dass ich zuerst das Auto behandeln ließ, bevor ich zum Doktor ging. Mit wenigen Handgriffen, hatte der junge Mann das Auto wieder in Ordnung gebracht. Die Dalle hatte er wieder herausgezogen. Es fiel kaum auf.
Vati hätte jetzt gesagt: „Wenn man nicht hinguckt, dann sieht man es nicht.“
Jetzt war es höchste Zeit, zum Arzt zu gehen. Mein Hausarzt war gar nicht da, ich musste zur Vertretung. Das hatte mir gerade gefehlt. Mein Arzt verstand mich immer so gut, und jetzt sollte ich zu einem fremden gehen? Ich kam ins Wartezimmer, da war niemand. Also setzte ich mich auf einen Stuhl und wartete. Nach wenigen Minuten erschien der Doktor in der Tür, zum Sprechzimmer. Vom Wesen her, hätte es der Bruder von meinem Arzt sein können. Er war genau so nett, und sagte auch „Du“ zu mir. Ich klagte ihm mein Leid, und er griff zur Spritze. Vor lauter Angst fing ich an zu zittern. „Ach“, sagte er, „Das tut doch nicht so weh.“ Danach sollte ich noch etwas sitzen bleiben. In der Zeit ließen die Schmerzen nach.
Beim Abendessen meinte Martin: „Wenn du so, mit heulender Kupplung durch die Gegend fährst, dann ist dein Auto schnell kaputt.“
Hannah war in der Schule und Helena und ich waren mit dem Auto unterwegs. Während wir die Kunden belieferten, fing es an zu schneien. Der Schnee lag mindestens 10 cm hoch. Jetzt hatte ich Angst den Berg wieder hinauf zu fahren. Die Taxifahrerin, bei der ich die letzten Eier ablieferte meinte: „ Sie haben so gute Reifen, damit kommen sie gut nach Hause. Aber wenn sie die Steige nicht fahren wollen, dann fahren sie doch über die anderen Dörfer. Da ist es längst nicht so steil. Aber denken sie daran, bei Ihnen da oben, hat es doppelt so viel Schnee.
Helena hatte sich inzwischen mit dem Papagei unterhalten, der einen erstaunlichen Wortschatz besaß. Nun setzte ich sie wieder ins Auto. Wir sollten losfahren, denn ich musste ja auch noch die Schüler holen. So machte ich einen großen Umweg, um möglichst eben auf unseren Berg zu gelangen.
Helena war schon eingeschlafen. Da kam ich an eine Abzweigung, an deren Anfang eine kurze steile Steigung war. Ein Wegweiser verriet mir: Kappenhöfe 3 km. Ich bog von der Hauptstraße ab, kam ins Rutschen und hing mit dem vorderen Kotflügel an drei morschen Pfählen über einem Bach. Da ich keine Ahnung hatte, wie lange die Pfosten hielten, stieg ich aus und nahm Helena aus dem Auto. Hier würde ich warten bis mein Mann von der Arbeit heimfuhr. Da Martin die Steige nicht mochte, kam er immer hier vorbei. Die Schulkinder mussten heute laufen. Die hatten ihre Anweisungen für den Notfall. Das hier war ein Notfall.
Wenn das Auto abstürzt, dachte ich, kann ich es wegwerfen. Es sah jetzt schon ganz mitgenommen aus. Wir liefen ein wenig hin und er, um keine kalten Füße zu bekommen, und es schneite immer noch.
Das Dorf, das unmittelbar vor uns lag, hatte fünf Häuser. Ein normales Wohnhaus am Ende des Dorfes, das andere waren Bauernhöfe. Ich überlegte ob ich dort um Hilfe bitten sollte.
Da sah ich einen Mercedes die Hauptstraße entlang kommen. Ich hätte es nicht gewagt, das Auto anzuhalten. Ein alter Herr saß am Steuer und bog auch in den Seitenweg ein. Geschickt fuhr er haarscharf um mein querstehendes Auto herum.
Als er die steile Stelle hinter sich hatte, hielt er seinen Wagen an. Nun kam er zurück und grüßte freundlich. „Oh ja“, sagte er, "wo wollen Sie denn hin?“ Er wusste noch nicht, dass ich im Nachbardorf wohnte. Bereitwillig gab er mir genaue Anweisungen: Ich sollte ins Auto sitzen und rückwärts fahren. Während ich fuhr, schob er das Auto in die richtige Richtung.
Als ich dann auf dem rechten Weg war, riet er mir: „Fahren Sie im Winter mit zwei Steinplatten im Kofferraum, und nie ohne einen Eimer Splitt und eine Schaufel. Dann kann nichts mehr schiefgehen.“ Er stieg wieder in sein Auto und ich konnte ihm nicht genug danken. Helena und ich fuhren jetzt das letzte Stück in unseren Weiler. Jetzt hätte ich sofort die Schüler holen müssen, aber Ullas Mutter fuhr bei uns vorbei und rief: „Ich hole die Kinder ab.“
Heute würde ich nirgends mehr hinfahren. Nach dem Essen kamen die Räumfahrzeuge und machten alle Straßen frei. Hinter den Fahrzeugen kam Martin, er hatte keine Schwierigkeiten.
Den ganzen Winter über funktionierte der Winterdienst einwandfrei, wir hatten ab morgens fünf Uhr freie Straßen.
Wir kauften einen Adventskranz, und fingen an, uns auf Weihnachten zu freuen. Ich begann die Weihnachtsgeschenke einzupacken und versteckte sie in meinem Kleiderschrank. Dann kam für uns das große Weihnachtsgeschäft. Eine Tagelöhnerin kam um die Enten, Gänse und Puten zu schlachten. Unser Schlachtraum war gut eingerichtet, ich hatte sogar eine Rupfmaschine.
Die Frau war es gewöhnt Geflügel zu schlachten und kam gut voran. Natürlich ging ich ihr zur Hand. Unter einem Wasserkessel hatte ich Feuer gemacht, deshalb war es nicht zu kalt. Die Puten, waren zum größten Teil Truthähne und waren riesig. Mir war es ein Rätsel, wie man so ein großes Tier in den Backofen kriegte.
Die Tagelöhnerin, Resi arbeitete wie besessen. Ich musste aufpassen, dass sie meine Lieblingstiere nicht auch abschlachtete. Von allen, wollte ich ein Pärchen behalten. Die Gans Amanda, und ihr Liebhaber Martin, sollten auf jeden Fall am Leben bleiben. Die Pute, die mir immer nachlief, durfte sie auch nicht schlachten. Ich hatte sie Ilsabein genannt. Sie legte jeden Tag ein Ei. Die Zwerghühner sowieso nicht, sie legten zwar kleine Eier, aber fast täglich. Die Ente Gertrud, die immer Eier gelegt hatte, und ihren Enterich, hatte ich auch in Sicherheit gebracht.
Ich ging meine Bestellliste durch, und hatte noch ein paar Tiere übrig, für die, die vergessen hatten zu bestellen. Das Weihnachtsgeschäft lief bestens. Im nächsten Jahr wollte ich Baby Puten kaufen, die waren kleiner. Manche Leute erschraken als sie die riesigen Vögel sahen.
Resi blieb noch zum Abendessen, und machte Andeutungen, dass sie am Heiligabend ganz allein in ihrem großen Haus war. Sie war eine sehr einsame alte Frau, die schon ganz jung Witwe wurde. Aber ich wollte sie auch nicht zu Weihnachten. Drum sagte ich: „Bei uns ist es Weihnachten immer so unruhig, aber am 1. Weihnachtstag, können Sie zum Essen kommen.“ Sie wäre den weiten Weg sogar zu Fuß gelaufen, aber ich wollte sie abholen. Ihr Gesicht hellte sich auf, sie freute sich.
Bei meiner Familie kam die Einladung nicht gut an, denn niemand mochte die „Schlachter-Resi.“ Sie war launisch aber sehr fleißig.
Martin war froh, dass er Dienst hatte. Wir hatten einige Perlhühner geschlachtet, die vom Geschmack her, eine Delikatesse waren. Jeder sollte ein halbes bekommen. Also ging ich noch einmal in die Rupfküche und holte drei Perlhühner, damit meine Kunden sie mir nicht vor der Nase weg kauften. Dann fuhr ich Resi nach Hause. Sie hatte mindestens sechs Zimmer in ihrem Haus, jedoch benutze sie nur die Küche, die war groß, und da hatte sie auch ihr Bett. In der Küche war es unordentlich und schmutzig, aber warm.
Bei uns hatte es ihr gefallen, und sie versuchte immer wieder, sich für den nächsten Tag anzubieten, um beim Verkauf zu helfen. Nein, das konnte ich meiner Kundschaft nicht antun. Jeder im Ort kannte die Schlachter-Resi. Außerdem war Tina ja da, wir würden das gut schaffen.
Martin hatte heute frei, und so konnte Tina mit den Kleinen im Haus bleiben. Ich stand früh auf. Bis die Kunden kamen, wollte ich auf jeden Fall gefrühstückt haben. Danach musste ich die Eier aus den Nestern holen und wiegen, denn mancher würde zu seinem Weihnachtsbraten auch noch Eier kaufen wollen. „Die Eier wiege ich“, bot sich Martin an, „ich mache dann auch gleich die Türen auf.“
Kaum hatten wir die Tiere versorgt und die Eier geholt, da kam das erste Auto auf den Hof gefahren. Es war Dieter, er hatte noch die Auswahl und suchte sich den größten Truthahn aus. Der war so schwer, dass meine Waage das nicht erfassen konnte. Von meinen Schweinen bestellte er auch eines, das wollte er nach Weihnachten. Um ein Uhr waren wir fertig mit dem Verkauf. Wir hatten kein einziges Tier mehr. Im nächsten Jahr, müsste ich mehr Küken kaufen.
Nach dem Mittagessen machten wir die Stube sauber und schlossen sie ab, damit das Christkind kommen konnte. Dann backten wir Kuchen für Weihnachten. Die Kinder mussten auch helfen und kleine Arbeiten verrichten, damit sie nicht auf die Idee kamen, durch die andere Seite in die Stube zu gelangen. Von dort aus, schlich Martin in die Stube und stellte den Weihnachtsbaum auf. Schließlich schickte ich Hannah mit Helena in ihr Zimmer hinauf, sie sollten sich schön machen fürs Christkind. Das konnte jetzt bis zu einer Stunde dauern, denn Hannah war sehr wählerisch, wenn es ans Ankleiden ging.
In der Zeit brachte ich die Geschenke in die Stube, und holte das Fahrrad für Hannah aus dem Versteck. Helena bekam ein Dreirad. Für Tina hatte ich Aussteuer gekauft, weil sie ja nur ans Heiraten dachte. Und Bernd wollte nicht kommen, er gab an, Dienst zu haben. Mir selbst, hatte ich einen langen warmen Schal gestrickt. (Den trage ich heute noch, nach 35 Jahren.) Mein Mann bekam wie immer eine große Pralinenschachtel. Dazu etwas nützliches, wie Socken oder Handschuhe. Unsere Geschenke waren nicht so wichtig. Der Anblick der strahlenden Kinder, war Geschenk genug für uns.
Hannah kam mit Helena die Treppe herunter. Sie stellten sich in die Küche, und Hannah fragte: „Passt das?“ Ich war überrascht, sie waren beide schön angezogen. Helena hatte das rote Strickkleid an von Hannah. Das passte sogar, denn Helena war im Gegensatz von Hannah von Natur aus groß. Hannah trug ein 3-teiliges Kleid, das ich ihr genäht hatte: Dunkelblauer Stufenrock, rote Bluse und dunkelblaues Bolero. „Schön“, sagte ich, „jetzt kann das Christkind kommen.“ Hannah wusste, dass es zuerst Abendessen gab, drum holte sie die Teller aus dem Schrank.
Mein Mann war in der Stube fertig und hatte die Tür leise aufgeschlossen. Sie ging mit den Tellern in die Stube und rief: „Das Christkind war schon da!“ „Aber Essen müssen wir noch, bevor wir den Baum anzünden.“ Ich musste die Kinder bremsen. Denn wenn sie sich über die Plätzchen hermachten, würden sie nichts anderes mehr essen. Die Kinder schielten immer hinter den Baum, Aber mein Mann hatte eine Wolldecke über die Räder gelegt. Als ich den Tisch abräumte, machte Martin die Beleuchtung an. Hannah wusste: ohne Weihnachtslied, gibt es keine Geschenke, also fing sie gleich an zu singen.
Wir hatten einen schönen Abend, Die Kinder waren glücklich und Tina bekam noch Besuch von ihrem Rainer. Mir fehlte der Kirchgang am Heiligabend.
Vor drei Jahren war ich das letzte Mal vor der Bescherung in der Kirche. Martin und die Kinder waren dabei. Hannah war damals vier Jahre alt. Während der Predigt hatte sie sich davon geschlichen. Der Pfarrer baute plötzlich in seine Predigt ein: „Wem gehört denn das kleine Mädchen mit dem roten Mäntelchen? Das ist gerade zur Tür hinaus.“ Ich lief ihr nach, und sie meinte: „Ich wäre schon wieder gekommen, aber ich habe das Klo gesucht.“
Am 1. und am 2. Weihnachtstag hatte Martin Dienst. Er ging früh zum Haus hinaus und bat mich dafür zu sorgen, dass Resi abends wieder weg war. Ich versorgte meine Tiere und machte Frühstück für die Kinder. Tina zeigte mir stolz den Ring, den sie von Rainer bekommen hatte. Hannah und Helena wollten ihre Räder ausprobieren. Sie durften in die Scheune. Da war nur noch das Putenpärchen, ein Heuhaufen und eine Menge Platz. Hier konnten sie fahren.
Ich bereitete das Essen vor: Perlhühner aus eigenem Stall, Gemüse aus unserem Garten und Kartoffeln, die wir selbst angebaut hatten. Dazu wollte ich noch Spätzle machen, für Resi und meinen Mann. Die Eingeborenen hier in dieser Gegend, waren nicht begeistert von Kartoffeln, die wollten Spätzle. Als die Perlhühner im Backofen waren fuhr ich los, Resi zu holen.
Die hatte ihr uraltes Sonntagskleid an und einen furchtbar altmodischen Hut. Ich nahm an, sie hatte seit dem Tod ihres Ehemannes, kein einziges Kleidungsstück gekauft. Und das musste fast fünfzig Jahre her sein. Resi hatte scheinbar schon lange kein richtiges Essen mehr gehabt, man merkte ihr an, es schmeckte ihr. Jeder hatte ein halbes Perlhuhn auf seinem Teller, und als Helena nicht mehr wollte, nahm sie es ihr mit Freuden ab.
Wann ich denn wieder was zum Schlachten hätte, wollte sie wissen. „Im Februar bekomme ich Hähnchen, von der Nachbarin. Wenn es sich lohnt, kannst Du gern wieder kommen“, machte ich ihr Hoffnung.
Nach dem Kaffee, hatte Resi genug. Sie wollte zu Fuß nach Hause laufen. Als ich sie aber wegbringen wollte, blieb sie noch eine Stunde. Auf dem Heimweg gab sie mir dann genaue Anweisungen: Ich sollte sie zuerst nach Hause fahren, dann wollte sie sich umziehen. Danach käme sie mit ihrem Milchproben-Köfferchen und ich sollte sie ins nächste Dorf fahren. Zurück wollte sie dann laufen. Na ja, meine Gutmütigkeit kannte keine Grenzen.
Als Silvester vorbei war, schlachteten wir unser Schwein und auch gleich das von Dieter. Dafür kam ein richtiger Hausschlachter. Martin hatte ihn bestellt. Wir arbeiteten zwei Tage lang und machten auch Wurst. Mit dem Fleisch füllte ich meine Gefriertruhe. Dieter holte abends seinen Anteil ab, bis auf die Schinken und die Würste. Die musste ich mit in meinen Räucherschrank hängen.
Nun machten wir es uns gemütlich, denn wir hatten zur Zeit kaum noch Arbeit. Hannah wollte gerne einen Poncho, aus roter Wolle, gehäkelt, mit blauen und weißen Streifen. Dazu hatte ich jetzt Zeit. Täglich probierte sie den an, sie hatte genaue Vorstellungen davon.
Dann im Februar, brachte Frau Kleinbrot die Hähnchen. Sie hatte dieses Mal in der Aufzucht besonders viele Hähnchen. Also sagte ich der Schlachter-Resi Bescheid. Wir schlachteten am Faschings-Samstag. Es war so kalt, wir mussten einen Gasofen anmachen, sonst hätten wir die Finger nicht bewegen können. Hannah half auch, und machte die Mägen sauber. Nebenbei kamen laufend Kunden um die Hähnchen zu kaufen. Resi wollte auch zwei Stück, und hatte schon Angst am Ende keine mehr zu bekommen.
Spät am Nachmittag waren wir fertig. Und putzten die Rupfküche. Dann lud ich sie wieder zum Abendessen ein.
Wir hatten alle Hunger, denn mittags hatte ich nur eine Suppe gekocht. Resi war besonders hungrig. Mit vollem Mund sagte sie zu meinem Mann: „Jetzt mach mal den Fernseher an, da kommt „Fasnet.“ Mein Mann behielt die Ruhe: „Erst wenn wir mit Essen fertig sind.“ Bei uns gab es kein Fernsehen während der Mahlzeiten, und sonst auch nur wenig. Hannah durfte eine Sendung ansehen, das war „Die rote Zorra.“
Resi wurde unruhig, und bereute es überhaupt heute gekommen zu sein. Nach dem Essen schaltete mein Mann den Fernseher an. Sie machte keine Anstalten mehr, nach Hause zu wollen.
Die Sendung lief, und Resi stierte in den Fernseher. Nachdem sie die Kinder angeschrien hatte: „Jetzt haltet doch mal euren Mund!“, gingen Hannah und Helena gern ins Bett. Auch mein Mann bekam sein Fett ab. „Wenn Du die Gosch nicht halten kannst, kannst Du auch ins Bett gehen!“ Ich hatte schon lange genug, aber Resi hielt es immer noch aus.
Sie fragte: „Habt ihr denn keinen Wein im Haus? Oder wenigstens ein Bier?“ Ich wollte wegen ihr keinen Wein aufmachen und bedauerte: „Ich muss Dich doch noch heimfahren.“ „Mach den Wein auf, ich schlafe heute Nacht bei Euch!“ Da ging ich den Wein holen, den sie zuerst musterte. Jetzt hatte sie es sich mit mir verdorben. Die nächsten Vögel würde sie nicht mehr schlachten, das war sicher!
Zum Glück wollte sie am Sonntagmittag in die Stadthalle. Sie blieb bis nach dem Essen und hatte es dann plötzlich sehr eilig. In der Hetze vergaß sie ihre zwei Hähnchen.
Langsam wurde es Frühling, und die Kinder freuten sich, endlich wieder auf dem Hof spielen zu können. Hannah und ihre Freundin Ulla erkundeten jeden Winkel auf unserem Hof. Helena fuhr mit dem Dreirad, und Minka, die Katze war immer bei ihr.
Oftmals brachte Frau Reck, die Milchbäuerin ihre Kleine zu uns, die war genau so alt wie Helena. Sie hieß Sarah, und die beiden kamen sehr gut miteinander aus. Sie bauten eine Falle, mit einem Brett und einem Bindfaden daran, da wollte sie jedes vorbei kommende Tier mit einfangen. Ich hatte Angst um die Zwerghühner, die anderen Tiere waren groß genug um das auszuhalten. Also verbot ich ihnen, die Zwerghühner zu fangen.
Gertrud, die Ente hatte ein Nest gebaut und verteidigte ihre Eier, indem sie sich daraufsetzte, wenn ich in den Stall kam. Ich ließ ihr die Eier und hoffte, dass sie die auch ausbrütete. Bald darauf, sah man sie nur noch abends schnell etwas vom Hühnerfutter zu fressen, dann trank sie bei den Ziegen und schon sauste sie wieder in ihr Nest.
Auch die Pute tat sehr geheimnisvoll und der Truthahn schlug mit den Flügeln, wenn jemand zu nah an das Nest kam. Die Zwerghuhn-Königin, hatte ich schon tagelang nicht mehr gesehen. Da hatte ich Angst, dass der Fuchs sie geholt hatte, denn sie war abends auch nicht im Stall zu finden.
Als ich morgens die Ziegen auf die Weide bringen wollte, hatte die „Gretel“ zwei Junge bekommen.
Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Ich ließ die Mutter mit ihren Zicklein im Stall, denn ich hatte Angst, dass „Hans“ der Bock denen etwas antun könnte. Martin machte ein kleines Gehege direkt auf der Wiese vor unserem Haus. Jetzt konnte die Mutter mit ihren Jungen direkt vor unserer Haustür grasen. Wenige Tage später hatte auch „Liesel,“ die andere Zwergziege ein Junges. Der arme Hans war jetzt allein in dem großen Gehege. Aber nicht lange, denn er schrie so lange, bis wir alle wieder zusammen grasen ließen. Hans tat niemandem etwas.
Helena hatte die größte Freude an den kleinen Ziegen, sie konnte stundenlang zusehen.
Eines Abends saßen wir zusammen in der Stube, als das Telefon klingelte. Ich ging ans Telefon und verstand zuerst kein Wort. Plötzlich glaubte ich Stefans Stimme zu hören, und fragte verärgert was er von mir wollte. Dann sagte die Stimme auf griechisch zu mir: „Nein nicht Stefan, hier ist Heinz.“ Er rief vom Bahnhof aus an.
Zum Glück hatte ich das Griechisch noch nicht ganz verlernt, und bat ihn unbedingt am Bahnhofs- Ausgang zu warten. „Ich komme mit einem roten Auto, in fünf Minuten.“ Meinem Mann sagte ich, dass ich schnell zum Bahnhof musste, um Heinz zu holen. Er hatte keine Ahnung, wen ich damit meinte.
Nun fuhr ich den Berg hinab zum Bahnhof, es wird wohl länger gedauert haben als fünf Minuten, Dann fuhr ich an die Eingangstür vom Bahnhof, und da war niemand. Gerade wollte ich mir einen Parkplatz suchen, da kam er. Unverwechselbar, er sah genau aus wie Stefan, als ich den kennen lernte. Ich hatte ein Gefühl zwischen Liebe und Hass. Er stieg ins Auto, und küsste mich zur Begrüßung und lachte wie Stefan. Bei mir wollte keine Freude aufkommen, "was will der hier?", dachte ich.
Martin hatte sich schon Gedanken gemacht, wer Heinz sein konnte. Als ich auf den Hof fuhr, stand er vor der Tür. Er begrüßte Heinz sehr freundlich, und auch die Kinder waren glücklich, endlich den „großen Bruder“ kennen zu lernen. Tina kam herbei, und die beiden lagen sich in den Armen und weinten vor Freude. Heinz konnte kein Wort deutsch, und Tina hatte griechisch total vergessen. Ich sorgte dafür, dass Heinz etwas zum Essen bekam. Dann wollte ich die Tiere versorgen und die Ställe zumachen.
Heinz bat mich, doch zu warten, er wollte auch mit. Dann verschlang er sein Brot und ging mit mir über den Hof. Ihn interessierte jedes Tier, er wollte wissen wie es auf deutsch heißt, und ob es einen Namen hatte. Wir kamen zu der brütenden Ente. Er hätte zu gern gewusst wie viele Eier im Nest waren. Ich hatte selbst keine Ahnung. Zum Schluss machten wir den Hühnerstall zu. Die Ponys blieben draußen. Er war begeistert von unserer kleinen Farm.
Am Abend kam Tinas Rainer, und wie saßen noch ein paar Stunden bei einer Flasche Wein. Tina zeigte Heinz das Zimmer von Bernd, da konnte er sich einrichten. Heinz fragte: „Wann stehst du morgens auf?“ „Oh, ich stehe früh auf, denn Martin muss um fünf Uhr zur Arbeit“, sagte ich, „aber du kannst ruhig ausschlafen.“
Nun hatte ich die Angewohnheit mich morgens gleich anzuziehen, bevor ich das Frühstück machte. Ich fand es unfair, wenn mein Mann zur Arbeit fuhr, und ich noch im Nachthemd war. Das machte dann den Eindruck, dass ich nochmal ins Bett gehen würde. Wenn ich ganz müde war, legte ich mich manchmal des mittags aufs Sofa.
Wir saßen beim Frühstück und Martin meinte: „Dein Heinz ist aber ein netter Bursche.“ Ich gab ihm Recht, war aber immer noch misstrauisch, ob er nicht von seinem Vater geschickt war. Ihm traute ich alles zu, nur nichts Gutes. Martin fuhr zur Arbeit. Wie immer schaute ich ihm nach, bis sein Auto im Wald verschwand. Dann ging ich zurück zu meinem Kaffee.
In aller Ruhe trank ich meinen Kaffee, bevor ich dann auch an die Arbeit gehen wollte. Da kam Heinz in die Stube und setzte sich zu mir. „Was machen wir heute?“, wollte er wissen. Ich erklärte ihm den voraussichtlichen Tagesablauf. Schnell trank einen Kaffee und aß ein Brot dazu. Er fragte ob ich ein paar Scheiben Wurst für ihn hätte. Ich holte ihm die Wurst. Er packte sie zwischen zwei Brotschnitten. Kaum hatte er gegessen, da stand er auf und sagte: „Gehen wir jetzt arbeiten!“ „Nein, das musst du nicht“, hielt ich ihn zurück, „das kann ich allein.“
Zuerst ließ ich die Ziegen auf die Weide. Das kleinste Zicklein nahm Heinz gleich auf den Arm und trug es auf die Weide. Er kannte sich gut zurecht mit Tieren. Wir fütterten die Schweine und gingen dann zu den Hühnern. Bis ich die Stalltüre geöffnet hatte, war der erste Korb schon voll mit Eiern. Mit zwei vollen Körben gingen wir in den Sortierraum. Heinz war ganz wild auf das Eier Sortieren. Er machte es sorgfältig, und mit viel Freude. So ging ich zurück, ins Wohnhaus und sorgte dafür, dass Hannah pünktlich in die Schule konnte.
Hannah lief schnell in den Eierraum, ihr großer Bruder gefiel ihr sehr. Ich versprach ihr: „Du kannst ruhig in die Schule gehen, Heinz ist danach immer noch hier.“ Er hatte das scheinbar verstanden, nickte und sagte „ja“. Als ich Helena auch angezogen hatte, nahm ich sie mit, um zu sehen, wie weit Heinz mit dem Sortieren der Eier war. Kontrollieren brauchte ich ihn nicht. Was er wissen wollte war: Was nach drei kommt, also, wie drei vier und fünf auf deutsch hieß. „Das sind deutsche Eier, sie verstehen nicht, wenn ich griechisch sage: Du bist Klasse drei.“ Er lachte schelmisch, und ich sah in seine strahlend blauen Augen. Wenigstens die Augen hatte er nicht von Stefan.
„Ich muss jetzt mal in die Stadt, Da will ich mir eine Auto ansehen, willst du mit, oder bleibst du hier?“ Warum ich fragte weiß ich nicht, natürlich wollte er mit. Nach einem Blick auf meinen Tagesplan, lud ich noch 200 Eier ins Auto, für den Lebensmittelmarkt in der Stadt. Heinz wollte alle Türen zumachen, aber das durfte er nicht, die Tiere mussten überall ein und ausgehen können. Wir schlossen den Eierraum ab und das Wohnhaus. Dann fuhren wir los.
Als wir im Ort angekommen waren, schlief Helena schon wieder auf der Rückbank. Ihr Hobby war es, im Auto zu schlafen. Heinz sprang aus dem Auto und machte den Kofferraum auf. "Bekommen die alle die Eier?" wollte er wissen. Als ich ja sagte , schnappte er den Stoß und trug ihn hinein.
Inhaberin rechnete mit mir ab und fragte lachend: „Haben Sie jetzt einen Lakai?“ „Das ist mein Sohn aus Griechenland“, gab ich ihr zur Antwort. Sie schaute ihn noch einmal an und bemerkte: „Das sieht man, er hat Ihre Augen.“
Wir fuhren weiter zur Autowerkstatt. Ich hatte ein Auto gesucht, mit mehr Kofferraum und mit einer Anhängerkupplung, Denn wir hatten einen Anhänger in Aussicht, der zwar gebraucht, aber so gut wie neu war.
Der Chef in der Werkstatt hatte, wie er meinte, für mich genau das richtige gefunden. Es war ein VW-Variant, schneeweiß, mit Standheizung und Schiebedach zum kurbeln. Weiß passte mir gar nicht, aber die Schaltung war „Automatik“ und die Heizung versprach einen warmen Winter. Der Preis war auch gut. Heinz fragte, ob ich das kaufen möchte. Als ich bejahte, schaute er sich alles genau an, auch den Motor. Ich dachte, er wird nicht viel davon verstehen. Schließlich war er auch dafür, das Auto sei gut. Der Händler wollte das Auto anmelden, und mir meinen roten Kadett abnehmen. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag.
Helena schlief immer noch als wie die Steige hinauf fuhren. Voller Tatendrang erkundigte Heinz sich: „Und was machen wir jetzt?“ „Essen kochen und um 12 Uhr Kinder holen“, gab ich ihm zur Antwort. Weil er aber schon wieder nach einer Arbeit suchte, bat ich ihn, den Ziegen und Ponys Wasser zu bringen, da es so warm war. Helena lief ihm nach.
Ich ging in die Küche das Essen zu machen. Plötzlich kam er in die Küche gerannt: „Guck mal was ich gefunden habe.“ Ich ging vor die Tür, und die Königin-Zwerghenne kam mit einer Schar Küken stolz über den Hof. Wo sie gebrütet hatte, wusste niemand. Der kleine Gockel lief hinterher und als wir uns näherten, plusterte er sich mächtig auf. Jetzt schien er mir richtig angriffslustig.
„So klein, und schon richtig angezogen“, bestaunte Heinz die kleinen Küken. Hannah kam schon von der Schule und fand die Zwerghuhn-Familie zu niedlich. Nun musste ich ihnen erklären, dass sie sich vor dem Gockel in Acht nehmen sollten. Sie sollten die Küken nicht anfassen. So ein Zwerghuhn-Gockel war ja ein schönes Tier, aber wenn er Küken bewachte, zu allem entschlossen.
Hannah durfte den Tisch decken, und ich fuhr zur Schule die Kinder zu holen. Nach dem Essen ging ich wieder Eier sammeln. Heinz wollte die wieder sortieren. Vorher meinte er das Auto putzen zu müssen, wenn ich es doch morgen hergeben würde. Er wollte wissen wo ich mein Auto so verbeult hatte. Als er dann fertig war, sah das Auto gar nicht mehr so schrottreif aus. Ich sollte es doch behalten, denn wenn er den Führerschein hätte, dann würde er sich darüber freuen. „Nein“, sagte ich, „wenn du den Führerschein hast, dann kann ich dir so ein Auto ohne Beulen kaufen.“ Er gab nach und meinte nur: „Oder so.“
Als mein Mann von der Arbeit kam, fragte er ihn: „Was machen wir jetzt?“ Martin wollte gern, dass ich die Schweine verkaufte, ich sollte den Schlachter anrufen. Für uns wollte er noch ein Ferkel nehmen, aber sonst nicht. Er hatte Recht, das Schweinefutter war so teuer, und für die Schweine wurde nicht viel gezahlt. Die Schweine machten viel Dreck, die Arbeit lohnte sich nicht. Da hatte Martin einen zweiten Hühnerstall geplant. An dem wollte er anfangen. Der Schlachter holte die Schweine immer am Wochenende, wenn die Preise am tiefsten waren. Solange musste Martin sich gedulden.
Tina war am packen, sie wollte ausziehen, denn Rainer hatte eine kleine Wohnung unten in der Stadt gefunden. Ich hatte aufgehört mich zu sträuben, es war ja zwecklos. Sie hatte ihre Wohnung oben immer ganz sauber. Ich hatte keine Bedenken, dass sie mit ihrem kleinen Haushalt nicht fertig werden konnte. Also ließen wir sie ausziehen.
Wie allen Müttern, tat es mir weh, als sie mit ihren Sachen zur Tür hinausging. Einmal in der Woche wollte ich ihr Eier vorbei bringen, dann konnte ich sehen ob es ihr gut ging.
Heinz konnte sich am Abend schon ganz notdürftig mit Martin unterhalten. Mir schien es, dass bei Heinz, langsam die deutsche Sprache, aus der Erinnerung zurück kam. Wenn ich nicht mehr jedes Wort übersetzen musste, war mir auch geholfen. Mein griechisch war auch nicht mehr so gut.
Martin wollte Heinz zeigen, wie der neue Hühnerstall aussehen sollte. Sie gingen in den Schweinestall, wo die letzten vier Schweine auf ihre Abholung warteten. Heute bekamen sie noch einmal einen Trog voll Gras. Das schmeckte ihnen. Mein Mann und Heinz waren ganz euphorisch, sie wollten gleich morgen am hinteren Stallende anfangen Nester zu bauen. Jetzt musste ich aber die beiden bremsen: „Solange Gertrud am Brüten ist, wir hier nichts gemacht.“ Beide waren enttäuscht. Das war mir jetzt egal, lange konnte es jetzt nicht mehr dauern bis die Küken schlüpften. Solange wurde nicht gehämmert und gesägt.
Heinz holte die Ziegen in den Stall, brachte die restlichen Eier und sortierte sie. „Wenn du so weitermachst, werde ich arbeitslos“, stöhnte ich, „für heute machen wir Feierabend.“
Am nächsten Tag holten wir das Auto und gleich danach den Anhänger. Endlich musste ich nicht immer meine Nachbarn fragen, wenn ich mal etwas transportieren wollte, und das kam oft vor. Denn Martin brauchte laufend Draht oder Zaunpfähle.
Nachmittags fuhren wir Eier aus, heute waren die Haushalte dran. Da kamen wir dann auch zu meiner Schwiegermutter, und zu den Tanten meines Mannes. Die Kinder nahm ich mit, und Heinz wollte natürlich auch dabei sein. Überall musste ich ihn als meinen Sohn aus Griechenland vorstellen. Heinz freute das, aber die Tanten und die Oma gar nicht. „Jetzt drücken auch noch die von Griechenland in unsere Familie rein“, sagte die Oma am Telefon zu ihrer Schwester.
Martin hatte schon begonnen die Balken für den neuen Hühnerstall zu zusägen. Ich warnte ihn die Ente nicht zu vertreiben. Da hatte Heinz die glorreiche Idee, den anderen Hühnerstall zuerst sauber zu machen. Das war in Ordnung, dabei konnte er die Gertrud nicht verscheuchen.
Der Freitag war immer mein freier Tag, da machte ich das Haus sauber und holte die Kinder von der Schule. Am Samstag dann, gingen wir mit den restlichen Eiern auf den Markt. Wenn ich dann noch irgendwas hatte, wie Kartoffeln oder Suppenhühner, nahm ich das auch mit. Freitags kamen auch immer die meisten Kunden, die ihre Eier auf dem Hof holten.
Die brachten meistens ihre Kinder mit, und die liefen gleich zu den Ziegen. Dann war es Zeit, für Hannah. Sie nannte alle Namen und erzählte den Kindern, welches Kitz zu welchem Muttertier gehörte. Sie hatte für jedes Kitz einen Namen. Ich erinnere mich, dass eines Dagobert hieß.
Heinz arbeitete unverdrossen an der Reinigung den Hühnerstalls. Als alles sauber war, wollten wir neu einstreuen. Heinz stieg auf den Heuboden um einen Ballen herabzuwerfen. Da sah er von oben aus das Nest der Truthenne, die ich Ilsabein genannt hatte. Sie hatte sich hinter dem losen Heu und Stroh, ganz in der Ecke der Tenne ihr Nest gebaut.
Er war wirklich sehr fleißig, und was er auch anfing, er machte alles gut. Wir räumten das Handwerkszeug auf und Gertrud, die Ente, kam aus dem Schweinestall gelaufen. Sie rannte in den Hühnerstall, fraß ein paar Schnabel voll von dem Hühnerfutter. Dann lief zurück an den Wassertrog dort trank und spritzte sich nass. Nass lief sie zurück in ihr Nest und setzte sich wieder auf ihre Eier. Wir machten die Ställe zu und Feierabend.
Martin hatte Bereitschaftsdienst und die Kinder gingen nach dem Essen ins Bett. Da hatte ich Zeit, mich mit Heinz zu unterhalten. Die Tatsache, dass er meinem „Verflossenen“ so ähnlich sah, hatte ich inzwischen verdaut. Wir sprachen über die Großeltern und Lena, die jetzt auch Telefon hatten und riefen dort an. Das war keine gute Idee, denn wir hatten nicht an die Zeitverschiebung gedacht. Der Opa kam ans Telefon und hörte sich ganz verschlafen an. Er war sogar etwas erbost, dass wir ihn geweckt hatten. Es tat uns leid, wir wollten ein anderes Mal anrufen.
Am Samstag Morgen machten wie die Stalltüren auf, und Gertrud hatte acht kleine Entenküken. Stolz kam sie mit ihnen auf den Hof. Ich holte einen Behälter mit Kükenfutter, und platziere es auf dem Hof. Heinz führte die Ziegen auf die Weide und als ich die Scheune aufmachte, stand Ilsabein auch schon vor dem großen Tor mit ihrer Kinderschar. Sie hatte zwölf junge Puten.
Als die Kinder gefrühstückt hatten, belud ich mein Auto und fuhr auf den Markt, um die restlichen Eier der Woche zu verkaufen. Als erstes ging ich immer auf die andere Straßenseite, in den Lebensmittelmarkt. Da gab ich meinen Einkaufszettel ab. Wenn ich dann alles verkauft hatte, holte ich meine Bestellung in dem Laden ab.
Ich freute mich nun endlich nach Hause zu können, und hoffte, dass den vielen Küken nichts passiert war.
Ich fuhr direkt vors Haus, und brachte das Eingekaufte ins Haus. Helena und Hannah waren in der Stube. Sie hatten die Küken bewundert, und mussten vor dem Zwerggockel flüchten. Der kleine Hahn hatte die Oberaufsicht übernommen. Wenn sich jemand den kleinen Küken näherte, plusterte er sich mächtig auf und sprang senkrecht in die Höhe, bis zu einem Meter hoch. Dabei waren seine eigenen Jungen schon aus dem Gröbsten heraus.
Das wollte ich mir ansehen. Also holte ich das Leergut aus dem Auto und ging in den Eierraum. Hinter mir fühlten sich die Kinder sicher. Der Gockel schrie mich zwar an, aber sonst passierte nichts. Heinz war dort am Eier sortieren und sagte: „Der winzige Hahn spinnt, er ist eine Gefahr für ganz Deutschland.“ Ich musste lachen über seinen Spaß. Dann ging ich zurück um das Essen zu machen.
Der Gockel erwartete vor der Tür vom Eierraum. Zuerst ließ er mich vorbei und verneigte sich ganz seltsam vor mir. Die Kinder rannten zum Haus hinüber. Ich ging ganz normal da schrie Hannah: „Pass auf, er springt dich an!“ Ich schaute mich um, und der Gockel stand drei Meter hinter mir und schaute mich an. Dann ging ich wieder ein paar Schritte und blieb wieder stehen und schaute mich erneut um. Der kleine Hahn stand wieder hinter mir. Als ich danach weiter lief, hatte er mich eingeholt, sprang mir an die Beine und pickte mich. Heinz lachte schadenfroh ,und die Kinder waren schon im Haus.
Ich war mir sicher, Martin würde das nicht gefallen.
Es war das schönste Frühlingswetter und gut warm. Nach dem Mittagessen fing Hannah an, sich umzuziehen. Sie kleidete sich ganz in rot. Zu allem Überfluss zog sie dann auch noch den roten Poncho an, den ich ihr gehäkelt hatte. Auf die Haare band sie ein rotes Kopftuch, dann sagte sie: „Fertig.“ Ich fragte erstaunt: „Ja wo willst du denn hin?“ Sie darauf selbstbewusst: „Jetzt bin ich die rote Zorra, ich gehe zu meinen Abenteuern.“ „Gut, aber dann brauchst du doch auch eine Bande!“, entgegnete ich teilnahmsvoll. „Ja schon“, sagte Hannah bestimmt. „Helena, sie ist meine Bande.“ Die beiden zogen ab, Hannah ging vor und Helena musste hinterher laufen. Um dem Gockel zu entgehen, ging sie durch den Garten und von da aus gleich auf die Obstbaumwiese, Richtung Ziegenweide. Der kleine Zwerghahn beachtete sie gar nicht, da war er scheinbar nicht mehr zuständig.
Stundenlang spielten die beiden Mädchen ihr „Rote Zorra Spiel“, Heinz schaute ihnen eine Weile zu, er wollte sich vergewissern, dass sie keinen Blödsinn machten. Zu mir sagte er: „Die Phantasie von Hannah kennt keine Grenzen.“
Als Martin ausgeschlafen hatte, denn er hatte eine unruhige Nacht in der Klinik, ging er mit Heinz den zweiten Hühnerstall bauen. Sie bauen als erstes die Stangen zum Sitzen für die Hühner, die wir auf nächste Woche bestellt hatten. Der Metzger hatte die letzten Schweine geholt. Wir wollten nur noch ein Schwein für uns selbst kaufen. Dafür brauchten wir keinen so großen Stall mehr.
Martin und Heinz hämmerten und klopften, die Ente mit ihren Jungen störte das gar nicht. Als es Abend war, hatten sie die meiste Arbeit gemacht.
Den Sonntag wollten wir alle faul sein und nichts tun, außer Tiere hinauslassen und Eier sammeln. So machten wir es auch. Ich kochte, und Hannah sah mir zu. Heinz und Helena versorgten die Tiere und die Eier. Mein Mann hatte endlich mal wieder Zeit zum Zeitung lesen. Bis zum Essen kamen Heinz und Helena. Sie hatten einen großen, bunten Blumenstrauß auf der Wiese gepflückt. Hannah holte sofort eine Vase. Ich fand den Strauß so schön, dass ich ihn in die Stube stellte.
Martin hätte es gefallen wenn Heinz für immer geblieben wäre. Aber das wäre auch schwierig gewesen. Denn dann, hätte ich ihm einen Lohn zahlen müssen, Krankenversicherung und Rentenversicherung. Soviel verdiente ich aber mit meinen Hühnern wirklich nicht. Außerdem hatte Heinz nie eine Bemerkung gemacht, dass er gerne bleiben möchte. Die Möglichkeit, dass er als mein Sohn bei uns blieb, bestand schon. Dann musste das aber rechtlich geregelt werden, und dazu hätte Stefan, der Vater von Heinz zustimmen müssen. Den wollte ich aber um gar nichts bitten!
So blieb Heinz noch ein paar Wochen, wir hatten eine schöne Zeit.
Als er dann eines Tages wieder wegfahren wollte, fuhr ich mit ihm in die Stadt um ihn in einem Herren-Bekleidungshaus, einzukleiden. Er bekam von mir seine erste, echte Levis-Jeans und ein passendes Hemd. Er war darüber sehr glücklich und versicherte, beim nächsten Besuch, Lena mit zubringen.
Eines morgens brachte ich ihn zum Bahnhof. „Ich rufe an, wenn ich wieder in Griechenland bin“, versprach er. Hannah und Helena waren traurig als Heinz weg war, denn sie mochten ihn lieber als Bernd.
Ein paar Tage später rief er an. Nun wusste ich, dass er gut angekommen war. Danach muss er wohl meine Telefon Nummer verloren haben.
In dem neuen Hühnerstall hatten wir braune Hühner. Die Küken von Ilsabein waren schon ganz schön gewachsen und wir hatten dazu dreißig Babyputen gekauft. Gertrud hatte immer noch ihren Stammplatz in der Futterrinne und die Jungen waren schon fast ausgewachsen. Der Zwerghahn verfolgte uns nicht mehr, denn es gab nichts mehr, was er verteidigen musste.
Martin hatte von einem Arbeitskollegen drei Heidschnucken bekommen, die zwar sehr schön waren, aber auch besonders scheu. Die Tiere waren sehr genügsam, sie grasten auf der Weide und im Stall bekamen sie Wasser und Heu. Außer hin und wieder einen Leckstein aus Mineral-Salzen brauchte ich für sie nichts zu kaufen.
Zu den Zwergziegen hatte ich ein paar normale Ziegen gekauft, zwei braune und eine weiße. Die weiße war eine Milchziege. Sie hieß Schnucki. Das musste so sein, denn die Kinder hatten den Film Heidi gesehen. Einen weißen Ziegenbock hatten wir auch, den nannten wir Fritz.
Zweimal im Jahr mähten wir die große Obstbaumwiese und machten Heu. Als wie wieder einmal gemäht hatten, war mein Mann zur Arbeit und ein Gewitter kam auf. Das Heu war schon fertig und ich wollte nicht, dass es noch einmal nass wurde. Also harkte ich das Heu in Reihen und weil ich den Traktor nicht fahren konnte, nahm ich mein Auto und hängte den Anhänger daran. Ich fuhr dann direkt die Hocheinfahrt hinauf in die Tenne. Dort lud ich den Anhänger ab. Dann schob den von Hand wieder nach draußen, denn rückwärts fahren, mit einem Anhänger konnte ich auch nicht.
Ich war noch nicht ganz fertig mit meiner Heu Einfuhr, da kam mein Martin. Aber jetzt brauchte ich den Traktor auch nicht mehr. Wir schafften es bevor das Gewitter los ging und mein Mann behauptete: „Das war ja wohl die kurioseste Heuernte die ich je erlebt habe.“ Als dann der Regen in einen allgemeinen Landregen überging, fand er es sogar gut, dass ich mir zu helfen wusste.
An meinem Geburtstag lud ich Bernd ein und Tina, die ja nun nicht mehr bei uns wohnten. Ich wollte sooft wie möglich, die Familie zusammen haben. Bernd kam einen Tag vorher und übernahm das Kochen an meinem Geburtstag. Hannah und Helena pflückten die schönsten Blumen auf den Wiesen. Darüber freute ich mich ehrlich, und die Kinder waren stolz, dass ihre Blumen auf dem Tisch standen.
Helmut, der sich immer noch zur Familie zählte, war auch gekommen. Er brachte an diesem Tag die Ziegen auf die Weide, hatte aber wieder nichts als Unsinn im Kopf.
Wir hatten immer die Haustür offen, wenn des Wetter schön war. Die Küchentür stand das ganze Jahr offen, damit man immer sah wenn jemand auf den Hof kam. So deckte ich gerade den Tisch, als ich hinter mir Schritte hörte, die sich nach Holzschuhen anhörten. Ich hörte meistens an den Schritten, wer über den Flur kam, und so tippte ich auf die Schwester von Willy, die immer Holzschlappen trug. Erst als ich ein kräftiges Schnauben hinter mir hörte schaute ich mich um.
Da stand das Pony „Kimmel“ hinter mir, in der Stube. „Mensch!“ fuhr ich Helmut erschrocken am: „werden Sie auch mal erwachsen?“ Der lachte und sagte: „Kimmel will gratulieren, die anderen Tiere kommen dann auch noch.“ „Ach nee, lassen Sie mal, jetzt wird zuerst gegessen, dann gehe ich die Tiere besuchen.“ Die beiden schob ich den Flur hinaus, und war froh, dass Kimmel nichts fallen ließ.
Wir stellten fest, Bernd konnte schon sehr gut kochen, was er uns vorsetzte war lecker. Tina und Rainer waren auch zum Essen da, Sie eröffneten uns ihre Hochzeitspläne. Ihr kleines Bäuchlein war mir schon längst aufgefallen. Ich wartete darauf, dass sie es von selbst ansprach. Rainer wollte nur eine ganz kleine Hochzeit: Er, Tina und seine beiden Trauzeugen. Ein Trauzeuge war Rainers Vater. Wir kamen in seinem Plan nicht vor. Nun war es so, dass ich seine Eltern schon einmal gesehen hatte, und auch die Schwester von ihm. Mit ihnen konnte ich aber nicht warm werden. Tina meinte, es läge an meiner direkten Art, das würde den Leuten nicht gefallen.
Nun wusste Rainer, dass er ohne meine Zustimmung und Unterschrift nichts erreichte.
Aber warum hätte ich mich dagegen stellen sollen? Tina hatte schon seit vier Jahren beteuert, dass sie niemand anderes heiraten wollte als ihren Rainer. Also hatte ich vier Jahre Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Inzwischen hatte ich es akzeptiert und nicht einmal das Gefühl, dass sie einen Fehler machte. Im Juli sollte die Hochzeit stattfinden. Ich versprach ihr, ein hübsches langes Kleid dafür zu nähen.
Bernd reiste am Abend wieder ab und versicherte mir, dass es ihm im Hotel in Stuttgart gut gefiel. Er wollte seine Lehre auf jeden Fall beenden. Nun hatte ich den Eindruck, dass aus ihm vielleicht doch noch etwas werden konnte. Wir hatten jedenfalls Grund zur Zuversicht.
Hin und wieder vermietete ich die Wohnung, ganz oben an Feriengäste. Vor allem wenn sie Kinder hatten, kamen sie gern zu uns. Da kam ein junges Ehepaar mit einem kleinen Sohn, ungefähr so alt wie Helena. Die beiden spielten den ganzen Tag zusammen und Helena hoffte, dass der kleine Nicki für immer bei uns bliebe. Als seine Eltern mit Nicki abreisten, hatte Helena ihren ersten „Liebeskummer“. Die beiden Kinder saßen im Flur auf dem Schuhschränkchen und weinten Krokodilstränen. Helena war tagelang traurig. Da brachte ich sie zu Tina, die ja mehr Zeit hatte. Tina und Rainer machten mit ihr einen Ausflug. Als sie wieder heim kam, war ihre Trauer vorbei.
Bei Tina hatte ich den Eindruck, dass sie sich manchmal langweilte, aber wenn ihr Kind mal da war, würde sich das gleich ändern. Sie hätte Helena gern noch ein paar Tage behalten, aber die war glücklich wieder hier zu sein. Die Tiere hatten ihr sehr gefehlt, vor allem die Katze, die sie Minka nannte. Wenn sie mit der Katze spielte, kam es schon vor, dass sie zu spät aufs Klo ging. Ich versuchte es ihr anzugewöhnen, früh genug zu kommen, wenn sie musste. Jetzt im Sommer war es ja nicht so schlimm, aber wenn der Winter kam, wäre ja nicht nur die Unterhose nass, sondern auch die Strumpfhose. So kam sie oft zu mir in die Küche, und wackelte ganz seltsam mit ihrem Popo. Auf meine Frage: „Musst du aufs Klo?“ antwortete sie: „Nein, ich wackle nur.“ Meine Drohung, nicht mehr mit Minka spielen zu dürfen, nahm sie nicht so ernst.
Weil Tina so jung war, musste ich mit Rainer in die Kreisstadt aufs Landratsamt. Wir wurden einzeln befragt, warum Tina so früh heiraten wollte. Was diese Befragung für einen Sinn hatte, wollte mir nicht einleuchten. Sie wollte herausfinden, dass Tina nicht gezwungen wurde. Vielleicht ging es darum, weil Tina Stefanidis hieß und sie mit der Hochzeit die deutsche Staatsangehörigkeit erreichen wollte. Die hatte sie aber schon lange. Ein zweiter Grund wäre vielleicht die Aussteuer-Versicherung. Aber Rainer war nicht scharf auf die 10.000 Mark. Niemand fand etwas anstößiges, und die beiden konnten heiraten.
Tina und ich suchten in der Modezeitung ein Kleid aus, für die Trauung. Wir fanden ein besonders hübsches langes Kleid. Da sie es nicht so festlich wollte, nahmen wir einen königsblauen Stoff für das Kleid. Für die Ärmel und die breite Schleife, die im Rücken gebunden wurde, nahmen wir einen gemusterten Stoff. Er war beige und hatte große Blumen, die farblich genau zu dem anderen Stoff passten. Beim Nähen gab ich mir besonders viel Mühe und es wurde wunderschön.
Einen Tag vor ihrer Hochzeit ging ich aufs Rathaus um die Papiere zu unterschreiben. Jetzt brauchte ich bei der Eheschließung nicht dabei zu sein. Ich brachte Tina das Kleid und wir stellten fest, dass sie keine passenden Schuhe dazu hatte.
Am nächsten Morgen brachte ich ihr früh genug, von mir ein paar Schuhe. Als wir noch die Schuhe anzogen, kam Rainer mit den Trauzeugen, sie abzuholen. Wir gingen gemeinsam die Treppe hinunter und als ich zu meinem Auto ging, fand ich einen glänzenden Glückspfennig. Den ob ich auf und ging zurück zu Tina, die gerade von Rainers Vater einen schönen Blumenstrauß bekam. Ich gab ihr den Pfennig, den sie in ihren BH steckte. Gerade hörte ich wie ihr Schwiegervater sagte: „Du bist aber ein schönes Bräutle!“ Mein Mutterherz schlug vor Freude darüber, einen Purzelbaum.
Nach der Trauung gingen sie zum Mittagessen mit den Trauzeugen. Danach hatte ich die beiden eingeladen. Wir wollten dann noch ein wenig feiern. Für die Nacht hatte ich Tinas altes Zimmer hergerichtet und ihr mein schönstes Nachthemd aufs Bett gelegt. Es war ein pink farbiges Negligee, mit schwarzer Spitze. Das Brautpaar genoss den Tag. Und ich verwöhnte sie. Dann fuhr Tina mit ihrem Mann wieder in ihr eigenes kleines Reich. Ich schaute ihnen nach und hoffte, dass sie glücklich wurden.
Die Schulferien begannen, und jetzt war die Sorge um Hannah wieder da. Vergebens hatte ich gehofft, dass die zweite Hälfte des Schuljahres, für Hanna besser gelaufen war, als die erste Hälfte. Das Zeugnis war wie ich es befürchtet hatte.- „Nicht versetzt“ stand unter dem Zeugnis. Dazu die dringende Empfehlung Hannah in die Sonderschule zu schicken. Ein Begleitschreiben gab die Kontaktperson an, die wir aufsuchen sollten.
Wir nahmen den Termin wahr, den man uns anbot, und ich bestand darauf, dass mein Mann uns begleitete. Der Pädagoge der sich mit uns unterhielt, war nicht so überzeugt davon, dass Hannah eine Sonderschule aufsuchen sollte. Er riet uns, Hannah das Schuljahr wiederholen zu lassen. Sie würde dann auch eine andere Lehrerin bekommen. Dann sei es nach einem halben Jahr immer noch früh genug, für die Hilfsschule. - Einen Versuch war es wert.
Ständig grübelte ich, an was es denn liegen konnte, dass Hannah daheim alles konnte und wusste, und in der Schule so mangelhafte Leistungen brachte. So konnte ich nicht anders, als ein Lehrerpaar anzusprechen, als sie zu mir zum Eierkauf kamen. Bei dieser Lehrerin war Tina ein paar Jahre lang in die Schule gegangen.
Ihr Mann unterhielt sich mit Hannah. Sein freundlicher Blick und die Lachfältchen um den Augen, gefielen ihr. Bereitwillig antwortete sie auf seine Fragen. Der Lehrer war der Meinung, dass Hannah ein kluges Mädchen sei. Er wollte eine Lehrerin anrufen, die voraussichtlich die erste Klasse übernahm. Sie war eine junge Lehrerin, und eine Freundin seiner Gattin.
Wenn es wieder nicht klappte, dann könnte ich Hannah in die andere Schule schicken, zu seiner Frau, die auch wieder die erste Klasse unterrichten sollte. Das hätte ich schon gern gemacht. Aber sie hätte durch das nächste Dorf zum Bus gemusst, und der Weg führte durch einen kleinen Wald. Das wollte ich vermeiden. Also entschloss ich mich, es noch einmal in ihrer alten Schule zu versuchen. Da wo alle Kinder der Kapellenhöfe zur Schule gingen. Zudem kam jetzt auch ihre Freundin Ulla in die Schule, und die hielten zusammen wie Pech und Schwefel.
Aber jetzt waren zunächst Sommerferien. Und die sollten die Kinder genießen. Die besten Ideen beim Spielen, kamen immer von Hannah.
Sarah, die kleine Freundin von Helena kam morgens als erste zu uns. Sie legte großen Wert darauf, bei uns zu sein, wenn Hannah und Helena aufstanden. Nun das hatte seinen Grund, denn Tina hatte immer Schoko-Nuss-Creme gekauft. Seit dem stand der leckere Brotaufstrich immer beim Frühstück auf dem Tisch.
Als Sarah das erste Mal bei uns war, hatte ich sie gefragt ob sie auch ein Brot mochte mit Schokoladencreme. Sie hatte das als eine Dauer-Einladung empfunden, und war seitdem immer pünktlich zum Frühstück bei uns. Ich mochte Sarah und sie gehörte einfach dazu. Ihr Vater hatte für uns auch schon mehrmals gemäht und gepflügt.
Anschließend kam Ulla, und dann gingen die vier zum Spielen nach draußen. Wenn das Wetter mal nicht so gut war, spielten die Kinder mit dem Puppenhaus, das ja jetzt oben im Flur stand. Eines Tages machte Hannah in der keinen Puppenküche Feuer an. Als die keine Küche anfing zu brennen, holte sie Wasser im gegenüber liegenden Bad und löschte das Feuer. Keines der Kinder petzte, ich merkte erst einige Tage später, als ich einen Blick ins Puppenhaus warf, dass die Küche schwarz vom Feuer war. Das verwunderte mich ein wenig, weil meine Kinder ganz selten etwas kaputt machten.
Es blieb mir nicht erspart, den Kindern jetzt das Buch vom Struwwelpeter zu kaufen. Sie waren doch sehr beeindruckt, als sie sahen was so mit einem Streichholz alles passieren kann.
Die Kinder ginge wieder einmal Blumen pflücken. Nun hatte Hannah die Idee, Ullas Mutter einen Blumenstrauß zu bringen. Sie gingen also mit ihrem großen Blumenstrauß zuerst zu Ullas Mutter. „Ach nein“, sagte Ullas Mutter, „so eine große Vase habe ich ja gar nicht!“ Danach gingen sie zur Oma Kleinbrot. Die hatte immer eine Dose mit Bonbons neben der Haustür. Sie gab ihnen ein paar Bonbons und meinte: „Nehmt die Blumen nur wieder mit, ich habe selbst so viel Blumen.“
Jetzt blieb noch Frau Reck, die Mama von Sarah. Als Frau Reck die Blumen sah, schlug sie vor, die Blumen den Kühen zu geben. Helena und Sarah waren traurig. Und kamen zu mir in die Küche. Helena hatte Tränen in den Augen und fragte: „Mama ist der Blumenstrauß nicht schön?“ Ich nahm die Blumen und sagte: „Doch, die sind wunderschön.“ Dann nahm ich eine Vase und stellte sie hinein. Später fragten meine Beiden: "Mama, magst du die Blumen wirklich, die wir immer pflücken?" Ich musste nicht lügen, denn ich liebte sie, die Blumensträuße von den Wiesen.
Frau Kleinbrot brachte wieder eine große Anzahl Hähnchen, die sie nicht gebrauchen konnte. Es waren ungefähr fünfzig und ich überlegte ob ich nach einer anderen Geflügel-Schlachterin schauen wollte. Dann dachte ich, dass ich es auch ganz gut allein konnte. Hannah wollte die Mägen putzen.
Morgens besuchte ich Tina und brachte ihr ein paar Eier. Tina hatte oft Langeweile, und bot sich an, zu helfen. Sie kam tatsächlich mit und half tapfer. Hannah hielt auch durch, bis kein Magen mehr zum Putzen war. Ich war wieder einmal stolz auf meine Mädchen.
Die Sommerferien waren vorbei. Hannah ging jetzt zusammen mit Ulla, noch einmal in die erste Klasse. Sie machte sich auffallend gut. Die neue Lehrerin war ein Glücksgriff für Hannah. Sie gestaltete den Unterricht abwechslungsreich und verstand es, die Kinder zu begeistern. Hannahs Leistungen waren sehr gut, ich hatte Angst, dass sie mit der Zeit wieder in den alten Trott verfallen würde.
Wenn ich meine Eiertour machte, wollte Hannah jetzt immer mit. Sie wollte auch Eier verkaufen . Des samstags kam sie mit auf den Markt, und wollte am liebsten alle Eier allein verkaufen. Sie lernte nebenbei rechnen, was ihr überhaupt nicht schwer fiel.
Einmal jede Woche fuhr ich die Runde mit den „kleinen Kunden“. Das waren Haushalte auf den Dörfern, die 10- 30 Eier kauften. Ich hatte eine Glocke die ich ein paar mal läutete. Danach kamen die Hausfrauen ans Auto. Ganz zum Schluss von der Tour fuhren wir zur Martins Tante, die sich immer freute wenn sie uns sah. Auf dem Rückweg hielten wir immer bei Martins altem Onkel an, der einen Bauernhof hatte, ihn aber nicht mehr bewirtschaftete.
Er war so geizig, dass er regelmäßig 10 Pfennig zu wenig hatte. Er mochte Hannah, weil sie ihn immer so freundlich anlachte. Hannah hatte aber auch so ein herzliches Lachen an sich, allein deshalb musste man sie mögen.
Wenn wir nach Bad Waldsee fuhren, belieferten wir eine Pension, mit 360 Eiern. Auf dem Rückweg fuhren wir immer zur Tante Anni, die wohnte am Bahnhof. Sie bekam auch immer eine größere Menge, denn alles was am Bahnhof wohnte, holte die Eier bei ihr. Tante Anni war nicht verwandt zu uns, sie war ganz einfach die Tante, und die Kinder liebten sie.
An der Straße, vor dem Bahnhof hing ein Kaugummi-Automat. Die Kinder, die immer mit zu Tante Anni wollten, waren es gewohnt hier eine Kaugummi-Kugel zu bekommen, in der auch immer eine Überraschung war. Also stieg ich hier aus, holte immer zwei Kugeln heraus und gab sie den Kindern, die auf der Rückbank saßen.
Jedes mal bekamen sie die Kugeln nicht auf, und gaben mir nach einander die Kugel vor, damit ich sie aufbeißen sollte. Eines Tages brach mir dabei ein Zahn ab, und das gerade vorn wo es jeder sehen konnte. Schließlich wurde die Angelegenheit teuer. Fortan verzichteten die beiden auf ihre Kaugummi-Kugeln.
Im Oktober feierten wir Martins Geburtstag und ich lud ein. Auch Martins Eltern waren wieder gekommen Martins Vater kam mir seltsam vor. Er begrüßte uns und auch Hannah, wusste aber ihren Namen nicht mehr. Als Helena über den Hof kam, fragte er erstaunt: „Da ist ja noch ein Kind, gehört das auch dir?“ „Aber sicher, das ist Helena die Jüngste“, erwiderte ich. Er gab mir 100.-- Mark für Helena.
Ich zeigte ihm das Fahrrad, das ich von seinem Geld für Hannah gekauft hatte. Er meinte ich soll der Kleinen auch eines kaufen. Natürlich war Helena noch viel zu klein für ein Fahrrad aber ich dachte, ich kann es ja noch zwei Jahre aufheben. Wenn er das nächste Mal kommen würde, wollte ich es ihm auf jeden Fall zeigen.
Der Opa mochte das Geschwätz nicht, in der Stube. Er wollte mit mir in den Garten und den Enkelkindern auf dem Spielplatz zusehen. Da saßen wir in der Herbstsonne vor dem Gartenhaus und er fing an mir aus seiner Jugend zu erzählen. So kannte ich den Opa gar nicht!
Er wollte mir ein Erlebnis erzählen, das er noch nie jemandem erzählt hatte. Ja klar, die konnten ja auch alle nicht zuhören. Das sah man in der Stube, alle redeten durcheinander, und keiner hörte zu.
Ich nahm mir die Zeit und hörte zu. Die Sippschaft im Haus war bei Tina in den besten Händen. Tina war zwar hochschwanger, hatte aber keinerlei Beschwerden.
„Gut, dann erzähl mal, ich habe Zeit.“ Ermunterte ich ihn. Opas Gesicht hellte sich auf, endlich konnte er reden, und was er noch nicht wusste, niemand würde ihm dazwischen sprechen. Nachdem er mich um eine Zigarette gebeten hatte, begann er:
„Ach, ich war noch so jung, als ich meine Frau kennen lernte. Ich besuchte sie jede Woche mindestens einmal. Der Weg war weit, zuerst musste ich durch einen Wald, in dem es Wildschweine gab. Und danach war ich noch mindestens eine Stunde unterwegs. Meine Liebste wartete schon auf mich, und wir saßen dann in der Stube, bewacht von ihrer Mutter, die uns nie aus den Augen ließ. Wenn es zehn Uhr war, musste ich mich von ihr verabschieden. So bestimmte es ihre Mutter, und ich machte mich auf den langen Heimweg. Dann war es immer schon dunkel.
Eines abends, es war im Herbst, und ziemlich stürmisch. Die Wolken jagten vor dem Vollmond her. Und ich musste wie jedes Mal zuerst am Friedhof vorbei. Die Friedhofsmauer war endlos lang und mich grauste es jedes Mal, auch ohne Vollmond und Sturm. Nun erreichte ich die Friedhofsmauer und ich hörte ein seltsames Geräusch. Mal war es weg, kurz darauf war es wieder da. Es hörte sich an wie eiserne Ketten, die jemand hinter sich her schleifte. Hinter der Mauer vermutete ich den leibhaftigen Teufel. Ich hatte furchtbare Angst.
Das große Tor war einen Spalt offen. Vorsichtshalber ging ich auf die andere Straßenseite. Da kam durch das eiserne Tor, ein großer Hund hervor, er zog eine lange Kette hinter sich her. Ich kannte ihn, es war der Hund vom Schmied.“ Hier endete seine Erzählung. Er freute sich, dass ich ihm zugehört hatte.
Sein seltsames Verhalten und das Bedürfnis mir etwas zu erzählen, beschäftigte meine Gedanken tagelang.
Gleich am nächsten Tag bestellte ich das Fahrrad für Helena, sie sollte es ja noch nicht bekommen, aber ich dachte den Opa würde es freuen. Nach wenigen Tagen kam das Fahrrad an. An dem Tag hatte ich meine Verkaufstour in der Stadt, Dort belieferte ich einige Geschäfte, darunter auch die Mühle. Bei der netten Müllerin nahm ich dann meistens gleich kleine Mengen Spezialfutter mit, für Jungtiere oder Salz-Lecksteine für Ziegen und Heidschnucken. Auch für die neuesten Stadtnachrichten war die hübsche Müllerin zuständig.
In ihrer Mühle hatte sie einen kleinen Aufzug, der an Seilen ging. Es war lustig zuzusehen, wie sie den Aufzug bediente, indem sie am Seil zog. Gerade mit diesem Aufzug, schwebte sie von oben herunter und lachte mir freundlich zu. Sie nahm mir die Eierpalette ab, und während sie zahlte sagte sie: „Ihr Schwiegervater ist bis vor wenigen Minuten vor meiner Tür auf dem Bänkle gesessen, ihm war nicht so gut. Wenn sie sich beeilen, dann können sie ihn vielleicht noch ein Stück mitnehmen.“
„Ja“, sagte ich, „ich wollte sowieso zu ihm.“ Als ich in mein Auto stieg, wollte ich noch wissen, welchen Weg er genommen hatte. „Am Sportplatz lang“, rief sie mir nach.
Da gab es unendlich viel Möglichkeiten, oben am Sportplatz, unten vorbei, oder vor oder nach dem Platz abbiegen.- Die vielen kleinen Gassen führten alle zu der Straße, in der er sein Haus hatte. Ich fuhr den Weg, den ich zu Fuß gegangen wäre. Ich sah ihn nirgends. So fuhr ich zu ihm nach Hause um dort auf ihn zu warten.
Unterwegs schaute ich in jede Gasse, der Opa war nicht zu sehen. Beim Taxi-Unternehmen fuhr gerade ein Krankenwagen weg. Dort standen auch ein paar Leute, ich hielt an um den Krankenwagen nicht zu behindern. Dann fuhr ich weiter. Gegenüber vom Krankenhaus fuhr ich auf den Hof von meinen Schwiegereltern.
Ich wusste die Oma war nicht zu Hause. Sie fuhr jeden Morgen in die nächste Stadt, zu ihrer jüngsten Tochter, um auf deren Sohn aufzupassen, der so alt wie Hannah war. Ihre Tochter kam dann in unsere Stadt um im Krankenhaus zu arbeiten. Mittags war sie dann immer beim Opa und kochte Grießbrei für ihn. - Ein Zustand der mir nicht in den Kopf gehen wollte.-
Nun saß ich im Auto und wartete auf den Opa. Mir wurde langsam die Zeit knapp weil ich ja die Schüler von der Schule holen musste. Da machte die Schwester von Martin die Haustür auf, sie wartete auf den Opa, der Grießbrei sei fertig. Schnell gab ich ihr die Eier für die Oma. „Sag einen Gruß“, rief ich ihr zu, und fuhr gleich Richtung Schule.
Ich war spät dran und gab richtig Gas. Fünf Kinder sollte ich abholen und alle standen an der Kreuzung zum Kapellenberg. Die Großen machten eine dumme Bemerkung. Ich hielt das Auto an und fragte freundlich: „Will hier jemand aussteigen?“ Niemand sagte mehr ein Wort und, keiner wollte aussteigen.
Als ich vors Haus fuhr, hörte ich das Telefon läuten. Hannah, die schon zu Hause war, ging ans Telefon und rief: „Mama du sollst mal kommen.“ Martins jüngste Schwester war am Telefon, die Grießbrei-Spezialistin. Schluchzend berichtete sie, der Opa sei gestorben. Er sei nicht zum Mittagessen gekommen. Statt dessen hatte vom Krankenhaus jemand Bescheid gegeben. Mich bat sie alle Geschwister zu benachrichtigen. Sie selbst wollte jetzt erst die Oma holen, die doch in ihrer Wohnung auf den Jungen aufpasste.
Zuerst rief ich meinen Mann an, dann seine ältere Schwester und die Frau seines Bruders. Dann alle Geschwister seiner Mutter, und zum Schluss den einzigen Bruder den der Opa noch hatte. Die Arbeit hätte ich mir sparen können, denn meine Schwiegermutter rief alle noch einmal an.
Ich machte meine Arbeiten auf unserem Hof. Die Kinder begriffen nicht, dass Opa jetzt tot war, denn er war gerade noch zu Besuch bei uns. Als Martin kam, meinte er, wir sollte für eine halbe Stunde zu seiner Mutter fahren, und schauen wie es ihr ging. Also fuhren wir am Abend zu ihr, nachdem wir unsere Tiere alle versorgt hatten.
Bei ihr war die ganze Stube voll mit Verwandten und Nachbarn. Sie kam sich sehr wichtig vor, der Mittelpunkt zu sein und bewirtete alle mit Bier. Das war auch etwas, was ich nicht leiden konnte. Sobald jemand zu ihr kam fragte sie: "Magst ein Bier?"
Dass alle mit dem Auto da waren, und nachher leicht angesäuselt heimfuhren, bedachte sie nicht. Wie oft war mein Mann mit einem kleinen Rausch, vom Besuch bei seiner Mutter, heimgefahren.
Nun saßen alle in der Stube, jeder erzählte etwas und keiner hörte zu. Das übliche Bild. Sie ging ganz auf, in ihrer Rolle als Hauptperson, und forderte alle auf, sich in der Küche zu bedienen. Alle wussten etwas über Opas Tod zu berichten, obwohl niemand dabei war. Die Grießbrei-Köchin versicherte immer wieder, dass sie mit dem Grießbrei auf ihn gewartet hatte. Martin rutsche es versehentlich heraus: „Der Vater hatte die Nase voll von deinem Brei, deshalb ist er lieber vorher gestorben.“ Oh je, da hatte er was angestellt.
Die junge Frau brach in Tränen aus und schluchzte. Ich ging zu ihr und versuchte sie zu beruhigen: „Du kennst doch deinen Bruder, der schwätzt oft dumm raus.“ Da saß ich neben ihr und wir weinten als einzige im Raum. Plötzlich guckte sie mich an und fragte: „Warum weinst du eigentlich? Der Opa mochte dich doch überhaupt nicht!“ Mein Mann stand auf, sammelte seine Kinder und nahm mich an der Hand. „Komm wir gehen, uns braucht niemand hier.“
Wir hatten den Eindruck als ob wir nur gestört hatten. So schnell wollten wir nicht wieder kommen. Aber zur Beerdigung mussten wir auf jeden Fall erscheinen.
Wir durchforsteten unsere Kleiderschränke und stellten fest, dass wir keine passende Kleidung hatten, für die Beerdigung eines nahem Verwandten. Wir hatten das Geld noch, das wir für die letzten Schweine bekommen hatten. Das wollten wir für Notfälle aufheben. Jetzt war der Notfall da. Am nächsten Tag fuhren wir zum Einkaufen. Zuerst legte ich Wert darauf, dass mein Mann gut angezogen war. Er würde am Friedhof neben seiner Mutter stehen müssen, um allen Leuten die Hand zu geben. Wichtig war auf jeden Fall ein Mantel, denn es war lausig kalt. Am Ende unseres Einkaufs waren wir zufrieden.
Die kleine Friedhofskapelle war brechend voll. Mein Schwiegervater war durch seinen Beruf bekannt und bei allen Leuten beliebt. Auf dem Friedhof waren viele Patienten, die ihm das letzte Geleit geben wollten. Die Trauerfeier auf dem Friedhof schien nicht enden zu wollen. Anstandshalber hielt ich durch, bis der letzte Friedhofs-Besucher kondoliert hatte. Meine Schwiegermutter hörte nicht auf zum Leichenschmaus einzuladen. Mich lud sie nicht ein. Ich wollte nach Hause zu meinen Kindern. Niemals würde ich jetzt etwas essen. Ich wusste, dass meine Kinder auch Hunger hatten. Mein Mann ging mit zum Essen.
Martin blieb nicht so lange, dann kam er auch. Er hatte allerhand zu berichten. Seine Mutter hatte verraten wie das Testament ausfallen würde und so gab es schon Streit unter den Geschwistern. Während die sich stritten brachte mein Mann seine Mutter heim. Dort leerte sie ihre Tasche aus, und zählte das viele Geld, was sie von den Trauergästen bekommen hatte.
Vor lauter Aufregung der letzten Tage, war sie selbst noch nicht zum Trauern gekommen. Sie hatte noch keine Träne geweint. Ich sagte: „Das kommt noch, wenn sie wieder allein ist, dann wird ihr der Opa sicher fehlen.“ Der hatte sich immer nützlich gemacht im Haus und Garten, hatte stets eingekauft und das Geschirr gespült.
Es dauerte wenige Tage, da rief sie das erste Mal an; „Martin soll mich besuchen kommen, mir ist es langweilig.“ Immer wenn er dann zu ihr fuhr, war seine Mutter gar nicht allein, sie hatte immer Besuch. Ein Nachbar zum Beispiel, kam täglich, weil er dort zwei oder drei Flaschen Bier umsonst trinken konnte. Eine Nachbarin war auch ständig bei ihr, sowie ihre Töchter mit ihren Kindern.
Ich besuchte sie einmal in der Woche, wenn ich ihr Eier brachte. Da ich kein Bier trank, bot sie mir auch nie etwas an.
Nach einiger Zeit, stellte mein Mann die Besuche bei seiner Mutter ein, mit der Begründung, daheim Arbeit genug zu haben. Wir konzentrierten uns wieder auf unser kleines Reich. Ich suchte einen Ersatz, für die Schlachter-Resi. Martin hatte da eine Adresse zu der ich fuhr. Außer, dass ich mich nach ihrem Kalender richten musste, brachte die Frau auch noch ihre eigenen Messer mit. Sie war nicht so hektisch wie die Resi, die Arbeit ging aber genau so schnell. Ganz nebenbei wurde ich unterrichtet über alles, was ich wissen musste, (oder auch nicht).
Wir arbeiteten zwei Tage, nachher war meine Rupfküche wieder blitzblank. Beim nächsten Schlachten wollte sie unbedingt wieder dabei sein. Bei mir hatten ihr besonders die Rupfmaschiene und die großen Spültische gefallen. „Da macht das Schaffen richtig Spaß“; sagte sie, als ich sie heimfuhr.
Jetzt machten wir die letzten Vorbereitungen fürs Weihnachtsfest und nebenbei holten die Kunden ihre Bestellungen zu Weihnachten ab.
Tina hatte inzwischen einen Sohn bekommen. Rainer hatte ein kleines Häuschen gefunden, in dem sie nun wohnten. Nun hatte sie Arbeit genug. Mit ihrer Schwiegermutter hatte sie ein ganz besonders gutes Verhältnis. Von ihr lerne sie Rezepte aus der schwäbischen Küche und wurde eine gute Hausfrau.
Ihre Schwiegermutter lud sie oft zu einem Einkauf ein. Dann ließ sie sich es nicht nehmen zu bezahlen. So konnte Tina es sich leisten einen Führerschein zu machen. Das war auch nötig, denn das kleine Häuschen, das sie gemietet hatten lag sehr abgelegen. Zu Weihnachten hatten wir sie und ihre kleine Familie eingeladen. Wir hatten ein sehr schönes Weihnachtsfest.
Am zweiten Weihnachtstag schickte uns die Kurverwaltung ein paar Leute zum Übernachten, denn in der Stadt waren alle Betten belegt. Die Besucher waren aus Hamburg und wollten vor der Abreise gern frühstücken. Also richtete ich den Tisch und musste nur noch zum Brötchen holen den Berg hinunter. Währenddessen sollte Sarah zu ihrer Mutter gehen und ein Päckchen Butter holen. Die Milchbauern bekamen jeden Monat einige Päckchen Butter für den Hausgebrauch, und Frau Reck hatte immer zu viel.
Ich kam mit den Brötchen zurück, und Sarah war immer noch nicht mit der Butter da.
„Ach“, sagten die netten Gäste, „auf eine Viertelstunde kommt es nicht an.“ Sie warteten geduldig, schnitten sich ihre Brötchen auf und schauten aus dem Fenster, ob die Kleine noch nicht um die Ecke käme. „Da kommt sie“, sagte eine Frau, „gucken Sie mal was die da macht.“ Ich konnte es nicht fassen, da kam Sarah in aller Gemütlichkeit auf unser Haus zu.
In der Hand die Butter, die sie aufgemacht hatte und mit dem Finger ordentlich davon schleckte. Ein Viertel der Butter hatte sie aufgegessen. Ich war entsetzt, aber eine er Damen meinte: „Geben Sie her, wir sind nicht so eigen, die Kleine ist ja richtig niedlich.“ Ich schnitt das abgeschleckte weg und legte die Butter auf den Teller.
Hannah, die jeden Tag dafür sorgte, dass Helena gut angezogen war, kam eines morgens mit ihr in die Küche. Wie jeden Tag stellte sie sich in die Mitte des Raumes und wartete darauf, dass ich ihre Kleider begutachtete. So schaute ich auch dieses Mal genau hin. „Und warum hat Helena Söckchen an?“, fragte ich erstaunt, „es ist Winter!“ Hannah bestimmte: „Sie darf eben heute nicht nach draußen! Stumpfhosen sind keine mehr da.“
Das konnte nicht wahr sein, wir hatten eine Unmenge Strumpfhosen, für die beiden Mädchen.
Im Augenblick war ich mir nicht ganz sicher, ob ich die letzte Wäsche vielleicht auf dem Dachboden vergessen hatte, Also stieg ich auf den Trockenboden. Da hing kein Wäschestück mehr auf der Leine. Auf dem Rückweg ging ich schnell ins Kinderzimmer, um mich zu überzeugen dass da wirklich keine Strumpfhose mehr im Schwank war. Alles war ordentlich aufgeräumt, und das Fach für Helenas Strumpfhosen war leer.
Seltsam, dachte ich und füllte die Waschmaschine. Aber da waren auch nur ein paar in der Schmutzwäsche. Nun hatte ich aber auch noch andere Arbeit, und die wollte ich jetzt machen. Helena musste im Haus bleiben, was ihr nicht besonders gefiel. Deshalb ließ ich ihr die Katze ins Haus.
Während sie mit der Katze spielen durfte, ließ ich die Ziegen hinaus. Es hatte noch nicht geschneit, und da konnten die noch einmal auf die Weide. Die Hühnerställe machte ich immer auf, die Hühner durften selbst entscheiden ob sie hinaus wollten oder nicht. Die große Scheune war jetzt wieder fast leer. Da waren die Zwerghühner, die Pute Ilsabein, die Gans Amanda und Gertrud die Ente. Natürlich mit ihren Hähnen und Erpeln.
Nachdem ich die Eier sortiert hatte, ging ich ins Haus zurück. Helena spielte brav mit ihrer Katze und schaute mich traurig an, dass sie nicht hinaus durfte. Sarah war schon heim gegangen, weil Helena im Haus bleiben musste. „Kannst du nicht noch mal schauen, ob du eine Strumpfhose findest?“, bettelte die Kleine. Also gingen wir gemeinsam in ihr Zimmer. Ich machte bei der Gelegenheit die Betten und schaute darunter. Aber da hatte ich am Freitag erst gewischt. Ich überlegte wo die Hosen sein könnten.
Vielleicht hatte Hannah die Strumpfhosen in einen anderen Schrank gepackt. Sie half mir immer beim Wäsche wegräumen. Es war nichts zu finden. „Nein“, sagte Helena, „die sind in meinem Schrank. Also machte ich den Schrank wieder auf und schaute unter jeden Wäschestoß. Ich hatte keine Zeit mehr, schließlich musste ich kochen.
Gerade wollte ich den Schrank zumachen, da stieg mir ein widerliches Düftchen in die Nase. Dem Geruch nachgehend, schaute ich unter die Wolldecke die unten im Schrank schön zusammen gelegt lag. Mich traf der Schlag.
Die Hosen zog ich aus dem Schrank und wickelte sie in die Wolldecke, die ja nun auch stank. Ich war geladen. Sollte ich ihr den Hintern versohlen? Ich musste tief Luft holen und ging Essen kochen. Helena schlich sich zu mir in die Küche. Sie stand traurig neben mir, und schaute mich mit ihren blauen Augen fragend an. Dann kam ein leises: „Bist du böse auf mich?“ Wie konnte ich meiner kleinen süßen Bolle böse sein, wenn sie mich so lieb anschaute?
Wer war nur auf die Idee gekommen, die nassen Strumpfhosen im Schrank zu verstecken. Es hatte keinen Zweck nach zu fragen, die Mädchen würden sich nicht gegenseitig beschuldigen. Hannah traute ich es gar nicht zu, sie war pingelig. Aber Helena zur Liebe würde sie sagen: Wir waren es beide.
Als die Wäsche gewaschen war, hängte ich sie um den Herd, damit sie schneller trockneten. „Du darfst nach draußen, wenn die erste Hose trocken ist, versprach ich ihr. Dann fuhr ich, die Kinder von der Schule holen.
Als ich unterwegs war, kam mir die Idee: Vielleicht konnte Helena ihre Strumpfhosen ja schon selbst an- und ausziehen. Dann wusste Hannah wirklich nichts davon. Ich würde es testen, sobald das erste Stück getrocknet war. Bis dahin gab es Mittagessen, und ich machte meine Arbeit auf dem Hof. Helena war damit beschäftigt die Hosen regelmäßig zu drehen, damit sie besser trockneten, wie sie meinte.
Dann war es soweit. „Kannst du mal gucken ob die trocken ist?“, fragte Helena und hielt mir eine Hose hin. Schnell tat ich, als ob ich im Augenblick wirklich keine Zeit hatte, ihr die Hose anzuziehen. „Ja, die ist trocken, aber im Moment kann ich dir gar nicht helfen, kannst du das schon allein?“
Sie fing an die Strumpfhosen genau zu betrachten. Und redete mit der Hose: „Fußspitzen nach vorne, und das ist der Hintern der kommt nach hinten.“ Es dauerte eine Weile, und sie kam und fragte: „Richtig?“ Dieser kleine Schelm, machte in die Hose wann sie wollte, und tauschte die dann selbst aus. Wobei sie es mit der Unterhose scheinbar nicht so genau nahm, denn nicht bei jeder Strumpfhose, war eine Unterhose dabei.
Helenas Hosen kamen in eine verschließbare Schublade, nun musste sie fragen, wenn sie eine wollte. Somit glaubte ich die richtige Lösung gefunden zu haben.
Ich hatte nur nicht bedacht, dass Hannah ein kluges Mädchen war. Nachdem ich die Schublade verschlossen hatte, nahm ich den Schlüssel und legte ihn auf den Wäscheschrank im Flur.
Hannah nahm ein kleines gelbes Eimerchen und füllte Wasser hinein. Dann kam sie zu mir und fragte ob ich ihr einen Lappen geben könnte. „Wofür brauchst du den denn?“, fragte ich und gab ihr einen weichen Lappen. Hannah meinte daraufhin: „Stinkebolle soll den Schrank auswaschen der stinkt!“ Mich wunderte, dass Hannah das nicht früher gerochen hatte. „Doch, sagte sie ein wenig ärgerlich, die stinkt immer, und macht laufend in die Hose. Die soll im anderen Zimmer schlafen!“
Unter der übermäßig strengen Aufsicht ihrer Schwester, putzte Helena weinend den Schrank aus. Als ich dann das Bett ins nächste Zimmer schieben wollte, schluchzten beide. Die eine wollte nicht ohne die andere schlafen. Also ließ ich das Bett stehen und schob Hannahs Bett unter das Fenster. „Dann kannst du das Fenster aufmachen, bevor du erstickst“, scherzte ich.
Ich ging an meine Arbeit, denn morgen war ja wieder auf große Eiertour. Am Vormittag hatte ich die Läden und die Stadttour und am Nachmittag waren die Kunden auf den Dörfern dran. Da wollten die Kinder immer mit, weil sie dann die Glocke läuten durften.
Im Eierraum bereitete ich alles vor, so dass ich am nächsten Tag nur noch einladen musste. Die Kinder spielten bei den Ziegen im Stall, denn es war lausig kalt draußen. „Wir haben alle Ziegen sauber gebürstet“, erzählte Helena, „damit die kleinen Ziegenbabys saubere Mütter haben, wenn sie auf die Welt kommen.“ Das fand ich eine gute Idee, und schickte Helena aufs Klo, damit sie sich nicht wieder nass machte.
Unwillkürlich dachte an meine eigene Kindheit. Auch ich war immer so beschäftigt, dass ich ständig vergaß aufs Klo zu gehen, sehr zum Leidwesen meiner Mutter.
Morgens belud ich mein Auto mit acht Eier Paletten und machte zwei Stapel, damit sie in den Kurven nicht umkippten. Helena kam auch mit und machte es sich auf der Rückbank bequem. Für sie lag immer eine Wolldecke und ein Kissen auf den Sitzen, denn sie liebte es im Auto zu schlafen. Die Straßen waren schneefrei, deshalb fuhren wir die Steige hinunter.
Als wir aus dem Wald kamen, musste ich eine Vollbremsung machen, denn gerade kam ein Auto rückwärts aus einer Seitengasse. Helena lag schon auf der Rückbank, sie rollte nach vorn und lag zwischen den vorderen und den hinteren Sitzen, schön geschützt durch ihre Wolldecken.
Durchs Auto flogen 60 Eier. Sie landeten überall, besonders auf der Gangschaltung. Der ganze Schlitz der Automatik war voll mit Eigelb. Natürlich war auch Eiweiß in der Schaltung, das sah man nur nicht so deutlich. Ich schaute nach den Eierstößen, sechs Paletten waren noch heil, nur die beiden obersten waren jetzt leer.
Mit einem Handtuch und einer Zeitung, die ich im Auto hatte, verschmierte ich den Dreck gleichmäßig und sammelte die Eierschalen auf. Helena war schon wieder auf ihre Rückbank geklettert. Schließlich setzte ich meine Tour fort. Zusätzliche Wünsche konnte ich heute nicht erfüllen, schließlich fehlten mir ja 60 Eier.
Zuhause fuhr ich in die Scheune und putzte mit warmen Wasser, das Auto so gut es ging. Danach musste ich die Schüler holen.
Bevor wir auf die Nachmittagstour fuhren, putzte ich noch einmal den Schlitz von der Gangschaltung. Da konnte ich aber nicht richtig hinein kommen. Weil es so kalt war, hatte keines der Kinder Lust mit ihren kleinen Fingerchen nach zu helfen.
Danach lud ich die Eier ein. Jetzt war ich klüger geworden, die Eierpaletten kamen in passende Kunststoffboxen. Ein zweites Mal würden mir die Eier nicht um die Ohren fliegen. Wir fuhren auf die Dörfer, Hannah läutete mit der Glocke und die Hausfrauen kamen ans Auto.
Dann erinnerte die Kleine: „Jetzt kommt noch die Tante Walli und der Onkel Franz.“ Ich fuhr zu Tante Gertrud. Die mochten die Kinder nicht so gern, sie war so streng. Aber den Onkel Alfred, den mochten sie gern. Er saß in der Küche und machte einen Korb. „Ach, für die kleine Hannah habe ich einen schönen Einkaufskorb“, sagte er und reichte ihr einen kleinen Henkelkorb. Mich fragte er: „Brauchst Du auch einen Korb?“ Als ich nickte, ging er in den Keller und brachte für mich einen schönen Einkaufskorb, und für Helena auch noch einen Kleinen.
Tante Gertrud passte das nicht so recht, man sah es ihr an. Da holte ich meinen Geldbeutel und wollte die Körbe bezahlen. Onkel Alfred wollte das Geld nicht. Tante Gertrud legte das Geld für die Eier auf den Tisch, ich zog es vor, das Geld liegen zu lassen.
Als wir zur Tür hinaus gingen, sagte Hannah wieder : „Und jetzt Tante Walli und Onkel Franz.“ Tante Gertrud glaubte sich einmischen zu müssen und sagte gerade heraus: „Tante Walli ist doch letzte Woche gestorben.“ Ich hätte sie ohrfeigen können, weil ich den Kindern das jetzt schonend beibringen wollte. Wir bedankten uns noch einmal und fuhren zu Onkel Franz. Er wohnte mit seinem Knecht, für den es gar keine Arbeit mehr gab, allein in dem großen Haus.
Als wir kamen, freute sich der alte Onkel, er mochte Hannah doch so gern. Ihm brachte ich die Eier gleich in die Speisekammer. Heute bezahlte er, ohne zu feilschen. Dann griff er noch einmal in seinen Geldbeutel und gab Hannah fünfzig Pfennig. Ich glaubte nicht richtig zu sehen, auch Hannah staunte. „Danke Onkel Franz“, sagte sie und küsste ihm auf die Backe. Der Onkel war glücklich und wir mussten leider wieder gehen.
Draußen schüttelte sich Hannah und sagte: „Der Bart vom Onkel ist kratzig.“ Als ich Martin abends von den fünfzig Pfennig erzählte, sagte er: „Oh je, dann lebt er nicht mehr lange.“ Mein Mann hatte Recht. Das war unser letzter Besuch bei Onkel Franz.
Die nächsten Tage waren die kältesten vom ganzen Jahr. Ausgerechnet bei der Kälte, bekamen die Ziegen ihre Kitzle. Alle Ziegen bekamen ein oder zwei Junge, nur die Heidschnucken wollten sich nicht vermehren.
Die Kinder hatten ihre helle Freude an den Jungtieren und gaben jedem einen Namen. Ein schneeweißes Kitz nannten sie "Schneeweißchen.
Dann begann die Faschingszeit, und Hannah entpuppte sich als wahre Faschings-Nudel. Wie alle kleinen Mädchen wollte sie eine Prinzessin sein. Helena war bescheiden, sie hatte da noch keine Wünsche. Wir gingen zu den Umzügen und die Kinder sammelten fleißig Süßigkeiten. Wir konnten uns kaum warm halten bis der Umzug vorbei war, so kalt war es immer noch.
Über eine Stunde hatten wir das Auto auf dem Parkplatz stehen. Als wir dann heim fuhren, schaltete das Auto nicht mehr in den dritten Gang. Ich konnte nur noch im ersten und zweiten Gang fahren. Das war auf den Landstraßen nicht so günstig. Meine Hoffnung war, dass es im Frühjahr wieder funktionierte.
Wenn Hannah in der Schule war, spielte Helena mit ihrer Freundin Sarah im Ziegenstall. Sie kam immer noch pünktlich zum Frühstück, und bat um ihr Schoko-Creme-Brot. Dann spielten sie stundenlang im Stall bei den kleinen Ziegen und mit Minka der Katze. Minka war auch ganz dick geworden, sie wollte uns wahrscheinlich auch mit einer Schar junger Kätzchen beglücken.
Ich arbeitete im Eierraum, und sah wie die beiden Mädchen hinüber zum Wohnhaus gingen. Auf dem Weg dorthin schauten sie sich immer um, ob ich sie nicht beobachtete. Zuerst ging ich in den Stall und sah nach ob die Kitzle alle wohlauf waren. Ihnen ging es gut, da hatten sie nichts angestellt. Dann ging ich ihnen nach ins Haus. Dort kam ich gerade noch früh genug um vier kleine Beine die Treppe hinauf laufen zu sehen. Zwei der Beine waren nackt. Jetzt war ich aber gespannt, was Helena anstellen würde, um an eine frische Strumpfhose zu kommen. Also schlich ich ihnen nach.
Im Kinderzimmer ging sie schnurstracks auf die Kommode zu. Sarah musste anfassen, gemeinsam zogen sie die kleine Schublade mit den Taschentüchern heraus. Dann holte Helena eine Strumpfhose aus der abgeschlossenen Schublade heraus. Ich hatte genug gesehen und schlich zurück an meine Arbeit. In dem Augenblick klingelte das Telefon, und ich setzte mich zum Telefonieren an den Schreibtisch. Das war in dem Zimmer, genau unter dem Kinderzimmer. Plötzlich polterte es über mir ganz fürchterlich. Ich beendete das Gespräch und rannte die Treppe hinauf. Die beiden Mädchen saßen auf dem Fußboden und heulten. Die Schublade war ihnen auf die Füße gefallen.
„Ja, seht ihr“, sagte schadenfroh, „kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort!“ Sie jammerten noch eine Weile, dann spielten sie im Flur am Puppenhaus. Bis Sarah heimging war der Schmerz vergessen.
Langsam wurde es Frühling. Gertrud, die Ente, Ilsabein, die Truthenne und die kleine Zwerghennen-Königin waren am Brüten. Das Nest der Zwerghenne war wieder nicht aufzufinden. Weit weg konnte sie nicht sein, denn sie musste ja immer ans Fressen und ans Wasser. Aber niemand von uns bekam sie zu Gesicht. Ich dachte, sie wird schon auftauchen, wenn sie ihre Küken hat.
Täglich brachte ich meine Ziegenherde auf die Weide. Die kleinen Böckchen hatte ich so gut wie verkauft, ich wollte nur die weiblichen Tiere behalten. So hatte ich in diesem Jahr wieder ein wenig Verdienst an den Ziegen. Aber die Tiere waren einfach schön und Weide hatten wir genug. Die beiden Ponys waren auch wieder auf ihrer Wiese. Die Kinder spielten auf ihrem Spielplatz und Minka die Katze war plötzlich ganz mager geworden. Irgendwo musste sie ihre Jungen versteckt haben.
An einem schönen Frühlings-Morgen, saß Helena allein im Sandkasten und spielte. Da kam die Katze zu ihr, und Helena streichelte sie ausgiebig. Sie kam mit der Minka in die Küche und fragte: „Kann ich für Minka ein Stückchen Wurst bekommen? Die ist so dünn und hat Hunger.“
Ich schnitt ihr ein Stück Wurst in kleine Streifen und gab sie ihr mit. Helena fütterte die Katze mit der Wurst und ich stellte noch ein Schälchen mit Wasser hinaus, denn ich dachte, sie wird wohl auch Durst haben. Aber Minka war schon wieder verschwunden. Helena war traurig. Jetzt erklärte ich ihr, dass die Katze kleine Kätzchen hatte, die sie nicht so lange allein lassen wollte. Das verstand sie und baute weiter an ihrer Sandburg.
„Warum bist du denn heute allein? Wo ist Sarah?“, fragte ich Helena. „Frau Reck hat Sarah mitgenommen, zum Schuhe kaufen“, wusste sie zu berichten. Ich wollte gerade ins Haus gehen, da kam die Katze vorsichtig, ums Haus herum. Im Maul trug sie ein Katzenkind. Sie ging direkt zu Helena in den Sandkasten, legte das kleine Kätzchen vor ihre Füße, und ging das nächste zu holen. Sieben kleine Katzenkinder hatte sie ihrer Freundin Helena in den Sandkasten gebracht. Die spielte liebevoll mit der Katzenfamilie.
In den nächsten Tagen kam Minka und brachte ihren Kätzchen, sooft Helena allein im Sandkasten spielte. Bis die Kleinen eines Tages hinter der Katzenmutter herliefen.
Hannah bekam ihr Zeugnis. Der Halbjahres-Bericht war sehr gut ausgefallen. Dafür sollte sie eine besonders schöne Geburtstagsfeier bekommen, nahm ich mir vor. Vor Ostern rissen sich die Kunden wieder um unsere Eier. Da bekam ich Hilfe von Frau Kleinbrot. Sie hatte wieder eine große Menge Junghennen aufgezogen. Die Abholung hatte sich verzögert und die Hennen fingen an Eier zu legen. Eimerweise brachte sie Kükeneier. Meine Kunden fanden die kleinen Eier besonders schön, als Ostereier.
Mein Mann hatte die Wiese vor dem Stallgebäude abgesperrt. Dort liefen die Pute, die Ente und die Zwerghenne stolz mit ihren Küken herum. Meine Kunden sollten vor dem Wohnhaus parken, um die kleinen Tiere nicht zu gefährden. Die Gans hatte wieder nicht gebrütet. Vielleicht war ja Amanda gar kein Weibchen, oder Martin kein Erpel. Bei Gänsen ist das nicht so leicht festzustellen.
Ab Ostern ging es dann wieder ruhiger zu. Tina holte Helena für ein paar Tage. Sie wollten in die Berge fahren, und Helena durfte mit. Tinas Kleiner saß schon im Sportwagen und lachte ständig. Es war ein liebes Kind.
So war ich tagsüber mit Hannah allein. Frau Kleinbrot hatte wieder Hähnchen zum Schlachten gebracht und Hannah half mir dabei. Hannah konnte sehr fleißig sein und hatte Ausdauer. Am Samstag ging sie mit auf den Markt und erzählte jedem der ein Hähnchen kaufte: „Das Mägele habe ich geputzt, ich habe beim Schlachten geholfen.“ Ach ja meine Hannah war ein liebenswertes Mädchen, nur mit dem Wachsen hatte sie es nicht eilig, Helena war schon fast so groß wie sie.
Als Tina, Helena wieder brachte, hatte die Kleine viel zu erzählen. Sie hatte Berge gesehen, die bis zum Himmel hinauf reichten und Kühe, die einfach so umher liefen. Ja und die vielen Blumen, auf den Wiesen. Sie behauptete, dass die Margeriten dort, gelb blühten. Wenn sie wieder in die Berge fahren würde, dann wollte sie mich ganz sicher mitnehmen.
Tina wollte gern ein wenig dazu verdienen, und sie fand eine Stelle als Badeassistentin im Kurhaus, für ein paar Stunden am Nachmittag. In der Zeit sollte ich den kleinen Alex zu uns nehmen. Für mich war das kein Problem. Ich fuhr Tina ins Kurhaus und nahm den Kleinen gleich mit. Wenn ihr Rainer abends Feierabend hatte, sollte er das Kind bei mir holen und Tina von ihrer Arbeitsstelle gleich mitnehmen.
So hätte Tina etwas dazu verdient, und sich hin und wieder einen Wunsch erfüllen können. Das ging aber nur wenige Tage gut, Rainer war dagegen, denn er wollte nicht, dass seine Frau zur Arbeit ging. Also musste Tina die Stelle wieder aufgeben. Ich fand es schade, denn das kleine Häuschen lag weit ab von der Stadt, und sie hatte den ganzen Tag niemanden, mit dem sie reden konnte.
Bei uns war das ganz anders, bei uns war immer was los. Hanna hatte Geburtstag und sie lud außer Ulla, zwei Mädchen ein, aus ihrer Klasse. Die Mütter brachten die Kinder und waren sehr angetan, von dem Spielplatz meiner Kinder. Als die Väter am Abend kamen, wären die Kinder gern noch länger geblieben. Aber sie konnten ja wieder kommen, wenn sie wollten. So begann der Mai und ich plante meinen Geburtstag. Ich wollte Bernd und Tina einladen. Vielleicht auch die Oma, damit sie auch mal aus dem Haus kam.
Helmut würde sicher auch wieder da sein, denn er vergaß meinen Geburtstag nie. Ich wollte nur zum Kaffee einladen und höchstens noch ein kleines Abendessen herrichten.
Bernd konnte nicht kommen, er versprach, mich später ein paar Tage zu besuchen.
Der erste, der zu meinem Geburtstag erschien, war unser „lieber Hausfreund Helmut.“
Er kam morgens um neun. Während ich noch die Eier sortierte, machte er ein tolles Frühstück. Helena brachte einen Wiesen-Blumenstrauß. Ich fühlte mich verwöhnt. Helmut sah aus, als ob er in der Nacht gar nicht geschlafen hatte, trotzdem strotzte er vor Unternehmungslust. Das Mittagessen wollte er heute auch machen, ich sollte einen richtig schönen Tag haben.
Nun hatte ich ja für den Nachmittag Kuchen gebacken, aber Helmut hatte eine Torte beim Konditor in der Stadt bestellt, und die sollte ich nach dem Mittagessen abholen. „Ein Geburtstag ohne Torte, ist kein Geburtstag!“, erklärte Helmut mir. Er selbst musste auch mittags noch einmal fort, zu einem Kundenbesuch.
Ich überlegte ob ich die Kinder mitnehmen sollte, aber Helmut meinte, er könnte noch fünfzehn Minuten bleiben, und dann wäre ich ja bald wieder zurück. Er hatte Recht. Die Kinder konnten gut eine Viertelstunde allein bleiben. So fuhr ich also gleich los. Mein Auto schaltete nun überhaupt nicht mehr und ich fuhr im ersten Gang die Allee entlang zur Stadt. Auf halber Strecke gab das Auto seinen Geist auf. Es gelang mir gerade noch, das Auto auf den Parkplatz zu lenken.
Alle Versuche den Motor noch einmal zu starten, waren erfolglos. Eine Möglichkeit war in die nächste Wirtschaft zu gehen und eine Autowerkstatt anzurufen. Da die Wirtschaft nur wenige Minuten entfernt war, machte ich mich auf den Weg. Ich kam gerade vom Parkplatz auf die Allee, als Helmut auf dem Weg zu seinem Kunden vorbei brauste.
Das konnte doch nicht sein, der musste mich doch gesehen haben, dachte ich. Jetzt hätte ich heulen können.
Helmut hatte mich gesehen und bei dem Gasthaus gewendet. „Was ist los?“, fragte er lachend, "tanken vergessen?"
„Ich vergesse nie zu tanken!“, entgegnete ich gereizt. „Der Motor ist ausgegangen und läuft nicht mehr.“ Er stieg ins Auto und es tat sich nichts. Er musste schnell in die Stadt, und ich könnte mich im Auto ausruhen, schlug er mir vor. Die Torte wollte er auch mitbringen. „Aber Ihre Schwiegermutter muss ich nicht abholen?“, fragte er und fuhr los. Es dauerte eine Viertelstunde, da kam er zurück. Ich staunte: „Mensch, das ging aber schnell.“ „Ja“, bestätigte er, „Ihr Mann bringt die Bestellung nachher mit, wenn er Feierabend hat, er kommt um vier Uhr.“
Helmut versuchte noch einmal den Motor zu starten, aber zwecklos. Nun hängte er mein Auto an seines und meinte: "Vielleicht kann ich es daheim, wieder zum Laufen bringen." Helmut gehörte zu den wenigen Männern, die alles konnten und alles wussten, aber nicht laufend damit prahlten. Daheim stellten wir das Auto in die Garage, denn zuerst sollte Geburtstag gefeiert werden.
Mit Hannah deckte ich den Tisch. Nebenbei setzte ich das Kaffeewasser auf. Dann kam Martin mit seiner Mutter. Ihre Geschenke sahen immer gleich aus. Ein Päckchen Kaffee, eine Flasche Wein, eine Tafel Schokolade für jedes Kind, und fünfzig Mark. Mich freute es trotzdem.
Oma wurde schon ungeduldig, denn ich hatte den Kaffee zwar fertig, wartete aber noch auf Tina, Rainer und den keinen Alex. Den hatte Oma ja auch noch nicht gesehen. Ob es sie überhaupt interessierte? Endlich kam Rainer auf den Hof gefahren. Jetzt konnten wir anfangen. Martin und Helmut unterhielten sich über mein Auto. Helmut hatte keine große Hoffnung das Auto wieder zum Laufen zu bringen. Oma hörte neugierig zu und fragte: „Dann hat deine Frau jetzt kein Auto mehr? Wie bringt sie denn dann die Eier weg?“
Von meinem Mann hatte ich Vorwürfe erwartet. Um so mehr staunte ich, dass er die Schuld ausschließlich auf die Vollbremsung im Winter schob. An der war ich aber nicht Schuld. Ich hätte die Eier abdecken müssen, das war allerdings mein Fehler. Oma lauschte gespannt. Als Martin sagte, dass ich so schnell wie möglich ein Auto brauchte, mischte sie sich ein: „Ich kaufe deiner Anneliese kein Auto.“ Mein Mann versicherte, gar nicht auf die Idee gekommen zu sein.
Schließlich rückte sie mit der Nachricht heraus von ihren verstorbenen Schwestern eine größere Geldsumme bekommen zu haben. Für Toni, Martins jüngeren Bruder, hatte sie gerade ein Auto gekauft. Mein Mann wurde hellhörig und wollte wissen, warum sie ihm denn ein Auto gekauft hatte, da er doch schon umsonst bei ihr wohnte. Der konnte doch sein Auto selbst bezahlen. Sie erzählte nun, dass er ja auch für sie unterwegs war, er hatte ein halbes Pfund Butter kaufen sollen. Dann sei er deshalb nach Biberach gefahren. Dort hatte er dann auch noch getankt. Mein Mann schüttelte den Kopf, 2x30 Kilometer für ein halbes Pfund Butter, Wahnsinn.
Ja, sie wollte jedem ihrer Kinder ein paar tausend Mark abgeben. Aber sie musste vorher alle anderen fragen, was die dazu meinten.
Das Gesprächsthema gefiel mir nicht, und ich stand auf um Eier zu sammeln, und die Tiere in den Stall zu bringen, Plötzlich standen alle auf bis auf Oma, sie wollten alle im Stall helfen. Helmut sagte zu Martin: „Aus dem weißen VW, mache ich jetzt für die Kinder ein tolles Spielauto, das dürften die Kinder dann bunt anmalen und darin Autofahren spielen.“ Die Kinder waren begeistert. Sie suchten eine Stelle aus, wo das Auto geschützt stand und von allen Seiten zugängig war. Dann begann er alles auszubauen, was für die Kinder, oder die Umwelt schädlich sein konnte. Hannah und Helena schauten gespannt zu. Ich machte meine Arbeit, denn darauf konnte ich mich verlassen, was Helmut machte, das machte er immer sorgfältig. Martin blieb anstandshalber im Haus bei seiner Mutter. Die bedauerte nur, dass mein schönes Auto, jetzt für die Kinder zum Spielen sein sollte.
Nach dem Abendessen brachte mein Mann seine Mutter nach Hause. Ich hatte mir meinen Geburtstag ruhiger vorgestellt und nahm mir vor, am Sonntag noch einmal zu feiern, aber nur mit meinem Mann und den Kindern.
Helmut blieb über Nacht in der Ferienwohnung. Er wollte das Spielauto fertig machen. Morgens saß er an meinem Schreibtisch und telefonierte seine Kunden ab. Alle gaben ihre Bestellungen telefonisch durch. Er versicherte, im nächsten Monat wieder persönlich vorbei zu kommen. So verschaffte er sich Freizeit bis am Montag.
Ich hatte heute meine Tour nach Waldsee und wusste noch nicht, wie ich dahin kommen wollte. Die Schüler musste ich ja auch abholen. Zu Helmut sagte ich: „Jetzt gehe ich zu Frau Kleinbrot, und frage ob sie die Kinder holt.“ „Quatsch“, winkte Helmut ab, „Mein Auto ist doch nicht kaputt, entweder nehmen Sie meines, oder ich fahre!“ „Ja, dann fahren Sie bitte“, entschied ich mich.
Helmut holte die Schüler und fuhr anschließend mit dem Auto vor den Eierraum. Nun ahnte ich, dass die Eiertour gerettet war. Um die Mittagszeit rief Martin an. Ich sollte um siebzehn Uhr auf dem Parkplatz vom Krankenhaus sein, ein Kollege von ihm hätte ein Auto für mich. Dreihundert Mark sollte ich mitbringen. „Das will ich aber sehen“, meinte Helmut, „das kann ja nichts Rechtes sein!“ Helmut sollte ruhig mitkommen, denn vom Auto kaufen hatte ich keine Ahnung.
Zuerst fuhren wir nach Waldsee, das passte Helmut genau in seinen Plan. Dort besuchte er schnell eine seiner zahlreichen Freundinnen. Er war schon ein sehr bemerkenswerter Mann. Er sah gut aus, war schlank und groß und das Wichtigste: Er unwahrscheinlich höflich und charmant. Kein Wunder, alle Damen mochten ihn.
Danach fuhren wir zu Tante Anni, als wir am Kaugummi-Automat vorbei kamen, verzichteten Hanna und Helena auf die Kugel. Sie hatten jetzt eine neue Spezialität. Das waren Überraschungseier aus Schokolade.
Wir hatten Zeit genug die Kinder nach Hause zu fahren, um danach auf den Parkplatz zu fahren, und das Auto für 300.-- Mark anzuschauen. Die Kinder durften in der Zeit in dem Spielauto spielen. „Und wenn die Kinder die Autotür nicht mehr auf bekommen?“,glaubte ich fragen zu müssen. „Das kann nicht passieren“, behauptete Helmut, „die Stöpsel von der Verriegelung habe ich ausgebaut, und zur Not, können sie zum Fenster hinaus.“
Wir kamen an dem Parkplatz an, und wurden von einem jungen Mann erwartet. Was er anzubieten hatte, war auch ein VW-Variant, Nicht so gut ausgestattet wie mein anderes Auto, ohne Schiebedach, mit normaler Schaltung und hellbeige. Helmut fuhr eine Rund und beschloss: „Nehmen Sie das Auto, ich werde es super herrichten.“ Das Auto war noch angemeldet, ich musste es nur ummelden. Der junge Mann gab mir die Papier und Helmut verlangte eine ausführliche Quittung, damit ich den Kauf auch nachweisen konnte. Ich fuhr mir dem neu erworbenen Auto gleich heim, und Helmut kam hinterher. Martin war schon zu Hause, er hatte das Auto schon gesehen. „Das Auto ist gut im Schuss“, bemerkte er, und freute sich, dass ich jetzt so billig an ein Auto gekommen war.
Helmut schwärmte beim Abendessen, wie er ohne großen Aufwand das Auto in den allerbesten Zustand bringen könnte. Ich unterbrach ihn: "Donnerstag hab ich Tour am Nachmittag, und Freitag und Samstag brauche ich es am Vormittag.“ Er meinte daraufhin: „Aber Montag und Dienstag brauchen Sie es nicht, wenn ich die Kinder hole.“ Nun wunderte ich mich doch langsam, wieso Helmut tagelang bei uns blieb. Hatte er kein Zuhause mehr? Ich traute mich nicht, etwas zu sagen und wollte das meinem Mann überlassen.
Nach dem Essen bat er um einen Haustürschlüssel, er wollte seine Lieblings-Freundin in Ravensburg besuchen. Ich wäre doch sehr erstaunt gewesen, wenn er so ganz ohne Frauen ausgekommen wäre.
Als Helena und ich am Morgen die Ziegen hinaus ließen, kam Helmut auf den Hof gefahren. Er wollte nur schnell eine Tasse Kaffee, und dann ging er gleich an mein Auto. Das Auto fuhr er auf die Montagegrube und dann hörte man ihn nur schmirgeln, scheuern und bürsten. „Wenn ich fertig bin, ist das Auto fast neu“, versprach er mir. Als ich das viele Werkzeug sah und die Teile, die am Rand der Grube lagen, überkam mich die Angst, dass ich das Auto vergessen konnte.
Mittags war das Auto wieder einsatzbereit, und am nächsten Tag, arbeitete er nachmittags weiter. Hin und wieder verlangte Helmut ein paar Mark und kaufte ein Ersatzteil. So ging es fast eine Woche lang. Dann hatte ich ein wunderbares Auto.
Helmut kümmerte sich nun wieder um seine Kunden. Als er ging meinte er: „Grüßen Sie Martin von mir, ich komme in ein paar Tagen wieder.“ Ich holte Luft, denn so fleißig er sein konnte, so sehr fiel er mir auch auf die Nerven, wenn er immer wieder von seinen Freundinnen erzählte. Zwei von ihnen hatte ich inzwischen kennen gelernt. Hilda, seine Lieblingsfreundin, hatte er einmal mir zu uns gebracht. Sie war ein „Dauerzustand“, zu ihr ging er immer wieder zurück, und war scheinbar auch willkommen bei ihr.
Die andere, war Kundin von mir. Als sie ihre Eier bezahlte, öffnete sie eine kleine Kasse, auf der ein grüner kleiner Frosch klebte. Genau diesen Frosch hatte er mir einmal abgebettelt. Ich erkannte ihn wieder und fragte, wie sie an den Frosch gekommen sei. Sie erzählte mir ihr Geheimnis von einem Liebhaber. „Und der heißt Helmut?“, fragte ich. Entgeistert schaute sie mich an. Dann sagte ich: „Keine Sorge, er ist zwar mein Freund, aber nicht mein Liebhaber.“
Die Sommerferien rückten immer näher. Als die Kindergärtnerin wieder einmal Eier holte, meldete ich Helena im Kindergarten an. Nach den Sommerferien durfte sie vormittags kommen. Sie freute sich jetzt schon darauf und erzählte es jedem. Für mich hieß es, dass ich nun jeden Tag zweimal mehr die Steige hinabfahren musste. Ihre Freundin Sarah hatte noch keine Lust mit zu gehen.
Es waren nur wenige Tage bis zum Ferienbeginn, und Hannah freute sich schon riesig darauf. Auf meine Frage, was sie denn so toll an den Ferien fände, sagte sie: „Da kann ich den ganzen Tag spielen und abends ein wenig länger auf bleiben.“ Das waren ja kleine Wünsche, die Hannah da hatte.
Wir saßen beim Abendessen, da klingelte das Telefon. Ich hasste es mit vollem Mund ans Telefon zu gehen. Heinz meldete sich. „Mama, ich bin am Bahnhof, kannst du kommen, Lena ist auch da.“
Ich legte auf und sagte zu meinem Martin: „Heinz ist am Bahnhof, er hat Lena mitgebracht.“ Hannah und Helena rannten zum Auto, sie wollten unbedingt dabei sein. Mein Mann blieb daheim. Wir fuhren zum Bahnhof und mir blieb wenig Zeit nachzudenken. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie fast zwei Jahre alt, und das war ja schon 13 Jahre her.
Mein Herz klopfte und ich hielt am Bahnhof an. Da standen die beiden direkt vor dem Eingangstor. Heinz kam schnell mit Lena ans Auto, sie hatten beide einen Rucksack dabei. Ich machte den Kofferraum auf und lud die Sachen ein. Lena begrüßte ich kurz, sie stieg hinten ein, und Heinz setzte sich zu mir auf den Beifahrersitz.
Hier war Parkverbot und ich musste schnell wieder wegfahren. Hannah machte inzwischen Lena klar, dass sie Hannah sei, „und die Kleine ist Helena.“ Ich dachte, wie gut dass wir zu Helena nie Lena gesagt haben. Heinz riss mich aus meinen Gedanken: „Hast du ein neues Auto?“ „Nicht neu, gebraucht, das andere läuft nicht mehr“, erklärte ich ihm. Er wollte wissen, ob ich einen Unfall hatte. „Nein“, sagte ich, „Notbremsung im Winter.“
Er hätte es gern genau gewusst, aber ich musste ja erst mein griechisch wieder in Gang bringen. Nun kamen wir zu Hause an. Ich fuhr vors Haus und mein Mann kam, und holte die Rucksäcke ins Haus.
Heinz tanzte zur Begrüßung vor Freude mit mir durch die Küche. Dann nahm ich Lena in den Arm, sie war kühl und zurückhaltend. Kein Wunder, sie konnte mich nicht kennen.
Lena war fast so groß wie ich, hübsch und trug ihre dunklen Haare schulterlang. Sie hatte braune Augen. Außer ihr hatte keines meiner Kinder braune Augen. Martin holte noch ein paar Scheiben Brot, denn er ahnte, dass die beiden nach der langen Fahrt Hunger hatten. Heinz aß was auf dem Tisch stand, Lena dagegen war wählerisch.
Sie vermisste das typisch griechische auf dem Tisch: Schafskäse, Oliven und Wasser. Ich stellte beiden ein Glas Wasser auf den Tisch und holte Tomaten aus dem Kühlschrank. Schließlich nahm sie ein Brot und eine Tomate. Ich bemerkte wie Heinz mit ihr schimpfte. „Lass mal“, sagte ich, „morgen könnt ihr einkaufen, was ihr essen wollt.“
Heinz und Lena gingen hinauf in die Ferienwohnung, sie wollten sich ausschlafen. Martin fand, Lena sei ein reizendes Mädchen. Ich war da geteilter Meinung, sie hatte schon Minuspunkte bei mir. Wenn ein Tisch reichhaltig gedeckt ist, und man da nichts zum Essen findet, da fehlt es an Charakter. Mein Mann bemühte sich einzulenken: „Sie ist ja auch gerade erst angekommen.“
Nun war es besser nichts mehr zu sagen, ich wollte abwarten, was der nächste Morgen bringen würde. Wir räumten die Stube auf und gingen schlafen, denn mein Mann musste wie immer früh aufstehen. Zwei Tage noch, und dann hatte Hannah auch Ferien.
Martin fuhr noch vor fünf Uhr zur Arbeit. Wenn er so früh wegfuhr, hatte er um zwei Uhr Feierabend. Danach konnte ich dann meine Eiertour auf die Dörfer machen.
Ich saß noch eine Weile am Frühstückstisch und grübelte, was ich zum Essen kochen sollte. Schließlich entschied ich mich für Eintopf. Lena konnte im Garten schauen, welches Gemüse ihr schmeckte. Nachmittags, nach der Eiertour, wollte ich dann mit ihr zum Einkaufen fahren.
Nun ging ich und machte die Ställe auf. Den Ziegen nahm ich einen Eimer Wasser mit auf die Weide und stellte ihn in die Halterung im Schatten. Heute konnte es heiß werden, die Sonne gab jetzt schon ihr Bestes. Da sah ich Heinz, wie er mit Wasser zu den Ponys ging. Er hatte nicht vergessen, wie der Tagesablauf bei uns war.
„Warum schläfst du nicht mehr?“, wollte ich von ihm wissen. Er lachte: „Nein, ich bin Frühaufsteher.“ Wie ein Wiesel eilte er von einem Stall zum anderen öffnete die Türen und fing an die Eier einzusammeln. Mit einem Korb ging ich in den zweiten Hühnerstall, und sammelte dort die Eier ein. Als ich in den Eierraum kam, war er schon am Sortieren. Er war gut gelaunt und fragte: „Hast du keine andere Arbeit?“ „Nein“, sagte ich, „das hier ist meine Arbeit.“ Heinz meinte: „Dann geh dich ausruhen, wenn ich hier fertig bin, komme ich zum Frühstück.“
Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, ich musste meinen Tagesablauf ändern. Damit fing ich gleich an, und füllte am frühen Morgen schon die Waschmaschine. Dann ging ich in die Küche und machte Frühstück für Heinz. Er mochte alles was ich auf den Tisch stellte. Heute machte ich ihm weich gekochte Eier, und stellte den Toaster auf den Tisch. Während ich auf ihn wartete, richtete ich das Pausenbrot für Hannah. Dann kam Heinz und freute sich aufs Frühstück.
Zuerst lief ich die Treppe hinauf um Hannah zu wecken, die eilte mit ihren Kleidern unter dem Arm hinunter und fragte: „Ist Lena noch da?“ „Ja sicher“, sagte ich, „aber die schläft noch, du kannst mit Heinz frühstücken.“ Hannah bekam ihren Kakao und ihr heißgeliebtes Nutellabrot.
Dann ging sie ins Bad und wusch sich, um sich danach anzukleiden. Ihre Sandalen drückten schon wieder, und ich machte die Riemchen so weit wie es ging. Nun passten sie wieder, und ich war froh darüber. Es lohnte sich nicht, jetzt noch Sandalen für Hannah zu kaufen, der Sommer war ja fast zu Ende.
Frau Kleinbrot hupte, und Hannah rannte zum Auto. Heinz wollte wissen, ob er jetzt die Ställe sauber machen durfte. „Wenn du unbedingt willst, dann mach es“, gab ich ihm zur Antwort.
Ich begann Kartoffeln zu schälen für den Eintopf. Als Lena immer noch nicht aufgestanden war, ging ich in den Garten und entschied selbst was ich kochte. Sie war auch zum Mittagessen noch nicht unten. Heinz ging hinauf, um zu sehen, warum sie nicht herunter kam.
Er kam ohne sie zurück. „Lena hört Musik vom Tonband und will jetzt noch nichts essen.“
Bei der Oma in Griechenland gab es auch keine festen Zeiten für die Mahlzeiten. Also machte ich mir nichts daraus.
Nach dem Essen luden wir die Eier ein, die ich am Nachmittag brauchte. Dann gingen Helena und Heinz noch einmal hinauf, um Lena zu holen. Sie kam widerwillig, hatte ein verwaschenes geblümtes Hängekleid an, das aussah wie eine Kittelschürze. Dazu trug sie total ausgelatschte Filzschlappen. Ich musterte sie beiläufig und dachte: Für die Dorfkundschaft heute geht es gerade noch, aber im Lebensmittelmarkt würde ich mich mit ihr schämen müssen.
Ich fragte sie: „Hast du keine anderen Schuhe?“ Daraufhin antwortete sie etwas, was ich nicht verstand, denn sie redete schnell, wie ein Wasserfall. Heinz erklärte ihr, dass man mit mir langsam sprechen sollte. Schließlich ging sie hinauf und kam mit „Flip-Flops“ zurück, die damals hier in Deutschland noch kein Mensch trug. „Zufrieden?“, fragte sie hochmütig. Ich verkniff mir eine Bemerkung.
Als Martin nach Hause kam, fuhren wir los. Lena saß hinten mit den beiden Mädchen, Heinz saß vorn bei mir. Läuten durfte Hannah. Heinz wusste noch genau vom vorigen Jahr, wo wir anhalten sollten. Während Heinz jedes Mal aus dem Auto sprang und den Frauen die Eier in ihre Schächtelchen packte, interessierte sich Lena nur dafür wie viel Geld ich in die Kasse legte.
Als wir die Tour beendet hatten, fuhren wir zum Einkaufen. Das war mit Lena mehr als peinlich. Sie fasste alles an. Bei den Gewürzen war kein Glas, was sie nicht in der Hand gehabt hatte. Als ihr dann bei dem Gemüse die fünfzehnte Aubergine endlich gefiel, bat ich Heinz ihr zu sagen, dass wir nicht jeden Tag zum Einkaufen gingen. Sie sollte also mehr als nur ein Teil einkaufen.
Bei den frischen Kräutern, die in Blumentöpfen waren, zupfte sie Blätter ab, zerrieb sie zwischen den Fingern, roch und leckte daran. Die Verkäuferin wollte wissen, was sie denn suchte. Lena konnte es nicht erklären. Ich kannte das Wort auch nicht. Heinz wurde ungeduldig mit ihr, und sie nahm Knoblauch und Oliven. Dann holte sie Quark aus dem Kühlfach und dachte, es sei Ziegenkäse.
Wir zahlten an der Kasse. Ich nahm mir vor, sie nie wieder zum Einkaufen mit zunehmen.
Heinz wäre gern bei meiner Schwiegermutter vorbei gefahren, mir war die Lust dazu vergangen. Außerdem bekam die morgen ihre Eier, sie gehörte zur Stadttour.
Wir kamen zu Hause an und Lena begann zu brutzeln. Das Sonnenblumenöl gefiel ihr nicht, sie wollte Olivenöl. Heinz versprach ihr morgen eines zu bringen. Wir hatten abends noch Eintopf vom Mittagessen. Ob Lena nun etwas gegessen hatte, fragte ich nicht.
Am nächsten Tag war Lena noch nicht herunter gekommen, deshalb fuhr ich mit Heinz und Helena in die Stadt, die Geschäfte zu beliefern. Im Lebensmittelmarkt lieferten wir fünf Paletten große Eier ab. Heinz besorgte das Olivenöl und nahm eine Kiste Gemüse aus dem Mittelmeerraum mit. Danach gingen wir zum Metzger, und Heinz suchte ein paar Fleischstücke aus und etwas Hackfleisch. Danach fuhren wir noch bei meiner Schwiegermutter vorbei.
Heinz freute sich, sie wieder zusehen. Sie hingegen schien nicht begeistert zu sein. „Ja die Lena möchte ich gern einmal sehen“, beteuerte sie. Dann berichtete sie, dass sie von dem Spielauto erzählt hatte. Ihre Nachbarn und Bekannten hatten gesagt, es sei verboten ein altes Auto auf dem Hof aufzubewahren und gefährlich, wenn die Kinder damit spielten. Ich sagte nur: „In dem Auto ist nichts was gefährlich sein könnte.“
Wir fuhren heim und staunten, dass Lena schon aufgestanden war. Stolz zeigte sie mir die Küche, die sie gründlich sauber gemacht hatte. Ich war entsetzt, die schönen bemalten Küchenschränke hatte sie gescheuert, so dass die Wiesenblumen an den Türen, verblasst waren. Schnell fing ich mich wieder ein. Martin würde sie wieder nach malen, er malte gern. Also lobte ich sie, weil sie so fleißig war.
Nun packten wir aus, was wir für sie eingekauft hatten. Ich gab ihr Gefrierdosen für das Fleisch, die sie sorgfältig beschriftete. So konnte sie sich etwas zum Essen machen, wann immer sie wollte.
In Griechenland konnte ich auch nicht alles Essen, was auf den Tisch kam. Deshalb hatte dort auch für mich und die Kinder gekocht. Dort konnte ich mich nicht an die unregelmäßigen Mahlzeiten gewöhnen. Genau genommen, ich fing an sie zu verstehen. Heinz meinte aber, dass sie wenigstens einmal am Tag, gemeinsam mit uns essen sollte.
Es war höchste Zeit, das Mittagessen zu machen, denn es war schon spät. Ich kochte in meiner Not ein Suppenhuhn im Schnellkochtopf. Daraus machte ich eine gute Hühnersuppe mit Reis und natürlich reichlich Hühnerfleisch. Lena nahm auch davon, zwar nicht zur Mittagszeit, irgendwann am Nachmittag als sie Hunger hatte.
Heinz machte die Hühnerställe sauber, und die Kinder spielten auf dem Spielplatz. Da fuhr ein Polizeiauto auf unseren Hof. Zwei Polizisten stiegen aus und kamen ins Haus. „Es ist uns gemeldet worden, dass sie ein Schrottauto hinter dem Haus stehen haben. Das ist verboten!“, erklärte mir einer der Polizisten. Ich führte die beiden Beamten hinter den Stall und zeigte ihnen das Spielauto. Ärgerlich sagte ich: „Wenn sie an dem Auto etwas finden, was gefährlich oder umweltschädlich ist, werde ich das Auto verschrotten.“
Die beiden Herren nahmen das Auto genau unter die Lupe und stellten fest: „Da ist nichts zu bemängeln, und es sieht sogar noch gut aus.“ Ich hatte nichts anderes erwartet und verabschiedete die Polizisten mit den Worten: „Das Auto ist vom Fachmann als Spielauto umfunktioniert worden. Wir wollen unsere Kinder beschäftigen und nicht umbringen.“
Das Polizeiauto fuhr vom Hof und Martin kam gerade heim. Er wollte wissen, was denn die Polizei bei uns gesucht hatte. „Deine Mutter hat vielleicht zu viel erzähl, sie waren wegen dem Spielauto hier.“, war meine Antwort.
Ich hatte noch Wäsche auf der Leine die ich abnehmen musste, in der Zeit ging Martin ins Haus um sich umzuziehen. Als ich danach in die Küche kam, war Lena dabei für meinen Mann das Essen warm zu machen. Das hatte ich gar nicht erwartet, und ging gleich daran die Wäsche zusammen zu legen.
Martin meinte beim Essen: „Wenn Lena kein ordentliches Kleid dabei hat, dann kauf ihr doch morgen eines, wenn du vom Markt kommst. So kannst du mit ihr ja nirgends hinfahren.“ Er hatte Recht, aber ich wollte Heinz fragen, ob das alles ist, was sie zum Anziehen hat. Wenn ich Lena mit auf den Markt nehmen wollte, dann musste sie ja schon früh aufstehen. Ich glaubte, dass war keine gute Idee.
Martin ging jetzt zu Heinz um ihm zu helfen, damit der Stall fertig wurde, bis die Hühner von draußen kamen.
Beim Abendessen holte Lena den Quark, den sie als Ziegenkäse gekauft hatte. Sie war enttäuscht als sie merkte das es nicht das war, was sie wollte. Da machte ich ihr ein Brot mit Quark und Schnittlauch und es schien ihr zu schmecken.
Dann nahm ich Lena mit in mein Schlafzimmer und suchte nach einem Kleid für sie. Ich fand einen roten Latzrock, der mir schon lange nicht mehr passte. Der war so schön, deshalb hatte ich ihn noch nicht weggeworfen. Dazu gab ich ihr eine schwarze Bluse. Das sah gut aus und passte ihr auch. Wenn sie also morgen mit möchte, dann sollte sie das anziehen, bat ich sie. Jetzt meldete sich Hannah: „und ich, darf ich nicht mit auf den Markt?“ „Aber sicher“, beruhigte ich sie, „du darfst natürlich auch mit.“
Morgens war Hannah schon munter, den Markttag wollte sie sich auf keinem Fall entgehen lassen. Heinz kam auch zum Kaffee und meinte: „Lena braucht noch eine Weile.“ Das machte nichts, denn wir gingen zuerst die Tiere hinauslassen.
Dann luden wir die Eier in das Auto ein. Inzwischen war Lena auch unten. Sie brachte den Rock und die Bluse zurück, mit der Begründung, dass ihr meine Auswahl nicht gefiel. Ich fragte sie, ob ich ihr ein Kleid kaufen sollte. Sie wollte wissen, ob sie es selbst aussuchen dürfte. Heinz lachte und antwortete für mich: „Natürlich kannst du dein Kleid aussuchen und anprobieren.“
Lena trug das Kleid, was sie bei ihrer Anreise an hatte. Es war aus einem luftigen Baumwollstoff hatte bunte Blumen auf weißem Grund. Auch ein Hängekleidchen. Ihre Kleider sahen aus wie Umstandskleider, in der Art würde ich hier sicher nichts finden.
Helena blieb bei ihrem Papa daheim und wartete auf ihre Freundin. Heinz, Lena und Hannah kamen mit mir auf den Markt. Ich schickte Hannah und Lena zum Äpfel kaufen, damit sie mich nicht bei der Arbeit behinderten. Danach machten die zwei einen Schaufenster-Bummel. Wir verkauften in der Zeit die Eier, und zeitweise standen die Leute bei uns Schlange. Das war jeden Samstag so, und meistens hatten wir um 11 Uhr kein einziges Ei mehr.
Pünktlich um elf Uhr fuhren wir in die Boutique. Die hatten die schönsten jugendlichen Kleider. Lena wurde nicht müde in die Kleider zu schlüpfen. Zwei Dirndl-Kleider hätten mir sehr gut gefallen. Aber nein, ein Kleid mit einer Schürze: Niemals! Immer wieder zog sie ein rotes Kleid mit kleinen Tupfen und Schulterfrei, mit Spaghetti-Trägern an. Heinz meinte: Das Kleid sei unschicklich. Aber ausgerechnet das Kleid sollte es sein. Ich bemerkte: „Da brauchst du aber auch passende Schuhe dazu.“ „Na gut“, räumte sie großzügig ein, „dann nehme ich die auch noch.“ Ich zahlte das Kleid und schaute ängstlich in meinen Geldbeutel. Im Notfall hatte ich ja noch Geld in der Eierkasse.
Also fuhren wir zum Schuhgeschäft. Die arme Verkäuferin tat mir im Stillen leid, sie würde Überstunden machen müssen. Es hielt sich im Rahmen, denn schon das vierte Paar Schuhe gefielen ihr. Heinz konnte seine Kritik nicht bei sich behalten und fragte: „Wo willst du die denn anziehen? Bei uns im Dorf?“
Besser wäre es gewesen wenn er nichts gesagt hätte, denn jetzt mussten noch rote Sandalen her. Ich schaute auf den Preis und schickte Heinz ans Auto, zwanzig Mark aus der Kasse zu holen. Lena war zufrieden mit ihrem Einkauf . Heinz konnte sich nicht beruhigen, denn weder das Kleid, noch die teuren Schuhe konnte sie im Dorf tragen.
Auf dem Heimweg fragte Heinz: „Was macht Tina, wie geht es ihr? „Morgen werden wir zu Tina fahren, sie ist umgezogen und hat einen kleinen Sohn“, erzählte ich.
Mein Mann machte fast jeden Sonntag Sonntagsdienst, auf seiner Station, weil er die Woche über einen anderen Bereich verwaltete. Deshalb hatte er immer montags frei. Ihm gefiel es so, und wir hatten uns daran gewöhnt, dass Martin nur selten sonntags zu Hause war.
Am Sonntag fuhren wir ohne ihn, Tina zu besuchen . Ich hatte vorher angerufen aber nicht verraten, wen ich mitbrachte. Ja, die Überraschung war mir gelungen, und die Freude riesig.
Tina holte Fotos die sie zusammen anschauten, Heinz hatte auch ein paar in seiner Brieftasche. Da saßen sie am Tisch, und konnten sich nicht unterhalten. Tina konnte kein griechisch mehr. Bis auf ein paar unanständige Wörter, die normaler Weise kein Mädchen ausspricht, hatte sie alles vergessen. Lena redete wie ein Otto-Motor und wurde nur von Heinz verstanden. Sie vermied es, ihr Gehirn mit deutschen Wörtern zu belasten. Auch die Englisch-Kenntnisse die sie vom Gymnasium her hatte, wollte sie nicht antasten. Sie hatte ihren National-Stolz.
Der kleine Alex, gefiel Lena und sie hatte ihn immer auf dem Schoß. Rainer hingegen widmete sich meinen beiden Kindern, wobei ihm Hannah die liebste war.
Heinz erweiterte täglich seine Deutsch-Kenntnisse. Er hatte meine Eigenschaften, war immer anpassungsfähig und zuverlässig. Lena hatte, wie ich schließlich feststellte, das Wesen von Sophia, der älteren Schwester ihres Vaters.
Mit Rainer wollte ich einen Ausflug planen, damit Heinz und Lena auch noch etwas mehr zu sehen bekamen, als die Kapellenhöfe. Rainer hatte keine Lust, und meinte: „Ja wenn ich Urlaub hätte, dann vielleicht“. Und Tina schloss sich dem an: „Rainer fährt die ganze Woche zur Arbeit, sonntags ist Familientag.“ Na gut, dann musste ich eben allein fahren. In diesem Fall würde das Ziel, die Insel Mainau sein. Da war ich schon zweimal und dort kannte ich mich ein wenig aus.
Montag hatte Martin frei und ging mit Lena zur Kapelle. Von dort aus hatte man eine wunderbare Aussicht. Dort rasteten sie auf einer Bank und genossen die schöne Aussicht. Mit einem angebrachten Fernrohr konnten sie die Alpen sehen. Man konnte dort auf einer Tafel ablesen, welchen Berg man gerade bestaunte.
Mein Mann und Lena verstanden sich ohne Worte. Martin sprach sowieso nicht viel und wenn, dann schwäbisch. Die Unterhaltung lief ungefähr so: Lena zeigte auf etwas und sagte „Oh“, und mein Mann antwortete dann wahrscheinlich, mit „Ja ja“, oder „so so.“ Lena muss es auf jeden Fall gefallen haben, denn sie hat dreißig Jahre später noch davon erzählt.
Die Woche über war Heinz darauf bedacht, mir alle Arbeiten vor der Nase weg zuschnappen. Als ich mich beschwerte, lachte er und meinte: „Jetzt bin ich da und du hast Urlaub.“ So nutzte ich die Zeit, und nähte wieder Kleider für meine Mädchen. Es waren rote Kleider, mit Stufenröckchen und mit Spitzen verziert. Ich hatte gehofft, dass Lena sich vielleicht fürs Schneidern begeistern konnte. Nein, statt dessen spielte sie mit Hannah und Helena auf unserem Spielplatz.
Eines nachmittags, brutzelte sie wieder etwas zum Essen. Sie hatte die Pfanne mit Olivenöl auf dem Elektroherd heiß gemacht. Nebenbei hatte sie ein Tonband mit griechischer Musik laufen. Deutsche Musik gefiel ihr nicht, das sei die schlechteste auf der Welt, hatte sie mir erklärt. Genau wie die deutsche Sprache, darin gab es zu viele „A“
Nun war ich froh, dass Martin Betriebsausflug hatte. Die meisten Männer nahmen ihre Frauen mit. Martin hatte das immer sehr geschickt vermieden. Ich bat ihn Lena mit zunehmen, damit sie etwas von Deutschland zu sehen bekam. Da nahm er sie tatsächlich mit. Heinz sorgte dafür, dass sie früh genug aufstand.
Sie zog ihr neues Kleid an und die Sandalen dazu. Mein Mann hatte immer eine Tüte beim Ausflug dabei, in die er ein paar Socken und einen Schirm steckte. Ich steckte Lenas Flip-Flops dazu, weil die Sandalen neu waren und ich Angst hatte dass sie mit der Zeit drückten. Dann bekam sie noch eine Strickweste, weil es morgens so frisch war. So fuhren die zwei ab und Heinz sagte: „Welch Glück für Deutschland.“ Ich schaue ihn erstaunt an, und er sagte: „Hab ich von Dir gelernt, du sagst das manchmal.“
Nun wusste ich aus den Vorjahren, dass mein Mann bei Betriebsausflügen, gern mal ein oder mehrere Flaschen Bier mehr trank als er vertrug. Hoffentlich machte er das heute nicht, wünschte ich im Stillen.
In Abwesenheit von Lena, hatten wir auch einen schönen Tag. Nach unserer Eiertour gingen wir in die Weiher-Gaststätte um einen richtig guten Eisbecher zu bestellen. Während wir unser Eis löffelten, kam Hannah auf die Idee Boot fahren zu wollen. „Ja, warum eigentlich nicht?“, fragte Heinz, und ich ging ein Boot bestellen.
Dann ruderten wir eine Stunde lang auf dem kleinen See herum. Schwäne und Enten begleiteten uns. Die Kinder genossen es, und wir gingen sogar auf das kleine Inselchen, obwohl dort neuerdings ein Schild stand: „Betreten verboten.“ Die verbotenen Dinge sind immer die schönsten, stellten meine beiden Mädchen fest. Hannah wollte gerade durch die Büsche streifen, als ich feststellte, dass hier auf dem Inselchen überall Enten und Schwäne kleine Häuschen hatten.
Es war nicht richtig, diese Idylle zu stören. Wir stiegen wieder ins Boot und fuhren ganz langsam wieder zum Ufer. Wir hatten einen schönen Tag. Zu Hause warteten wir gespannt, auf die beiden Ausflügler.
Ich hatte befürchtet, dass sie mit einem Taxi heimkamen, aber nein, mein Mann fuhr mir Lena, im eigenen Auto auf den Hof. Er war voll fahrtüchtig und fuhr sauber in die Garage. Helena und Hanna stürmten hinaus. Sie glaubten, Martin hätte ihnen etwas mit gebracht. Er brachte nie etwas mit, wenn er einen Ausflug machte.
Lena erzählte Heinz, was sie erlebt hatte und Martin berichtete stolz, wie er um seine hübsche Begleitung bewundert worden war. Er hatte sie kurz als seine Tochter vorgestellt. Wir stellten fest: Die beiden hatten einen schönen Tag. Als ich ihn auf seinen, für Ausflüge doch recht seltene Nüchternheit ansprach, meinte er: „Ich habe nur Apfelschorle getrunken, schließlich kann ich mich nicht betrinken, wenn ich eine hübsche junge Dame dabei habe. Aber den nächsten Ausflug mache ich wieder allein.“
Martin hatte wieder Dienst am Sonntag, somit erklärte er mir, wie ich zum Bodensee fahren sollte. „Fahr über Mochenwangen, das ist für dich einfacher. Dann kommt ihr an Salem vorbei, das ist ein bekanntes Internat. Du kannst nach Meerburg oder Friedrichshafen fahren. Von da aus nehmt ihr die Fähre.“ Riet er mir. Hannah legte ich die Kleider bereit, die ich genäht hatte, und Lena bat ich die Sandalen anzuziehen. Wir freuten uns auf unseren Ausflug.
Als mein Mann zur Arbeit fuhr, versorgte ich sofort meine Tiere und sammelte die Eier. Heinz war schon wieder unterwegs und brachte Wasser auf die Weiden. Wir vergewisserten uns, dass alles gut versorgt war und schlossen den Eierraum zu. Sarah und Ulla wären zu gern mitgefahren, aber das ging nicht, weil Rainer ja nicht mitkam. Wenn wir zwei Autos gehabt hätten, dann hätte ich sie mit genommen.
Wir richteten das Frühstück und meine Mädchen kamen alle gut angezogen die Treppe herab. Heinz lief noch schnell hinauf um eine frisches Polohemd anzuziehen. Ich betrachtete Hannah, und Helena und kämmte noch einmal durch die Haare. Dann schaute ich Lena an, sie hatte wieder sie weiße Strickweste von mir übergezogen. Dann schaute ich auf die Füße, sie hatte die ekelhaften Filzschlappen an. Ich rügte sie und verlangte, dass sie Schuhe anziehen sollte. Ja das würde sie gleich machen, versprach sie.
Mir taten meine Finger weh, vor lauter Angst, so weit war ich mit dem Auto noch nie gefahren. Ich ließ mir nichts anmerken, und trank meinen Kaffee in aller Ruhe. Lena ihre seltsamen Essgewohnheiten beachtete ich schon gar nicht mehr. Hauptsache, sie aß überhaupt etwas. Dann holte ich das Auto und wir brachten etwas zum Essen und ein paar Flaschen Sprudel in den Kofferraum. Für Hannah legte ich ein paar Handtücher auf die Rückbank, für den Fall, dass sie sich wieder übergeben wollte.
Noch einmal erinnerte ich Lena an die Schuhe. Dann richtete ich meine Handtasche mit Deo, Sonnencreme, Geldbeutel und schaute ob ich Ausweis und Führerschein hatte. Heinz schaute, dass die Mädchen bequem im Auto saßen und dann fuhren wir los.
Die Strecke war wenig befahren und Hannah sang hinten im Auto. Helena war nicht so musikalisch, aber sie bemühte sich, auch mit zu singen. Heinz und Lena stellten fest, dass wir überall Wälder hatten. In Griechenland mussten sie weit fahren bis sie an den nächsten Wald kamen. Um zehn Uhr kamen wir nach Meersburg.
Wir fanden einen Parkplatz und jeder trank noch einmal aus seiner Flasche. Dann gingen wir zum Anlegeplatz und warteten auf das Fährschiff. Wir standen alle an einem Geländer und schauten in den Bodensee. Plötzlich sagte Lena: „Mama guck mal meine Schuhe.“ Ich sah ihre furchtbaren Filzpantoffeln. Nein, so konnte ich unmöglich mit ihr auf die Blumeninsel fahren!
Natürlich hätte ich ihr hier in einem Geschäft Schuhe kaufen können, aber das wollte ich nicht. Ich hatte ihr schon zwei Paar gekauft und Heinz sollte auch noch etwas bekommen, bevor sie wieder abreisten. „Lauf barfuß“, zischte ich zornig, und nahm die Pantoffeln die ich in meine Handtasche steckte. Die Passagiere des Schiffes guckten neugierig. Es sah auch sehr komisch aus, ein fast elegantes Kleid und keine Schuhe. Es war mir egal, sollten sie lachen!
Hannah und Helena gingen voraus und bewunderten die schönen Blumen. Die kleinen Buchsbäumchen waren zu Tierfiguren geschnitten und Hannah war immer die erste die das Tier erkannte. Langsam vergaß ich den Ärger mit den Schuhen. Am Schloss auf der Terrasse bestellte ich etwas zum Essen. Die Mädchen wollten nur eine Suppe und danach ein Eis. Heinz und ich verzichteten aufs Eis, dafür nahmen wir ein Schnitzel mit Beilagen. Als wir später auf die Fähre warteten, wusch Lena ihre Füße im Bodensee. Es war nun doch noch ein sehr schöner Tag.
Auf der Rückfahrt bekam Lena ihre Lieblingsschlappen zurück.
Mein Mann war schon zu Hause, als wir vors Haus fuhren. Hannah musste ihrer Freundin berichten und Helena ging zu Sarah. Lena pflegte ihre Füße und Heinz und ich sammelten zuerst die Eier ein, und anschließend die Ziegen. Heinz fragte mich, warum ich eigentlich keinen Ziegenkäse mache von den vielen Ziegen. Zwar hatte ich zwei Milchziegen, die ich täglich melken musste, aber von Käse machen, hatte ich keine Ahnung.
„Wenn ich das nächste Mal komme, weiß ich wie man Käse macht“, versprach er. Ich sagte nicht, dass ich es nicht wissen wollte.
So verging die Ferienzeit und zum Abschluss wollten die Kinder noch einmal Boot fahren. Wir fuhren also wieder zum Weiher. Als ich mit den Augen schon nach einem freien Parkplatz Ausschau hielt, kamen wir über ein kleines Brückchen. Lena schrie auf griechisch: „Da ist eine Schlange über die Straße geschlängelt.“ Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte. In ihrer Not, sagte sie es auf englisch. Da verstand ich Schnecke, oder meinte sie Schlange? Hier gab es nur selten Kreuzottern meistens waren es Blindschleichen. Also dachte ich nichts und fuhr auf den Parkplatz.
Nein Lena wollte nicht aussteigen! Da holte ich für alle ein Eis, und wir fuhren wieder zurück.
Tina nahm Lena und Hannah mit zum Badesee, und ich fuhr mit Heinz ins Bekleidungshaus. Ihn wollte ich auch wieder einkleiden, bevor er mit Lena nach Griechenland zurück fuhr. Er nahm wieder eine Jeans und eine passende Jacke. Dann kauften wir etwas zum Grillen, denn am letzten Tag wollte Heinz für uns alle Grillen. Martin hatte einen gewaltigen Grill gekauft, schmiedeeisern mit Kamin. Er sah fast aus wie ein kleines Backhaus.
Wir richteten allen her, für unsere abendliche Grillparty. Die Kinder durften ihre Freundinnen einladen und Lena gab sich Mühe, den großen Tisch im Gartenhaus zu decken. Heinz zündete die Holzkohlen an und begann mit den Vorbereitungen bis die Kohlen glühten.
Lena und ich waren noch dabei Salate zu machen, als langsam Wolken aufzogen. Normaler Weise, schafften es die Gewitter nicht den Berg herauf zu kommen, sie drehten meistens ab. Aber wenn sie doch bis auf den Berg kamen, dann entlud es sich richtig. Wir brachten den Salat hinaus, und ich hoffte noch immer, das Gewitter würde den nächsten Ort beglücken.
Aber nein, das Gewitter kam mit Riesenschritten direkt auf unseren friedliche Weiler zu.
Heinz hatte schon das erste Fleisch auf den Grill gelegt. Das Gewitter war bedrohlich nah. Schnell rannte ich auf die Weide, um die Ziegen zu holen. Die Hühner und das andere Federvieh gingen von selbst in den Stall, Die Ziegen warteten schon am Tor, dann rannten sie los und ließen mich im Regen allein laufen. Lena hatte alles wieder ins Haus getragen, und Heinz rief, ich sollte mit anfassen und den Grill tragen helfen
Niemand ahnte wie groß meine Angst war. Ich fasste den Grill an seinen Haltegriff und wir nahmen ihn vor die Haustür, da war eine kleines Regenschutzdach. Wir hatten gerade losgelassen, da gab es einen fürchterlichen Schlag. Wo genau der Blitz hineingeschlagen hatte, konnten wir nicht feststellen, wahrscheinlich in den Grill. Heinz stand an der offenen Haustür und grillte weiter.
Der „Duft“ zog durch die unteren Räume. Wir hatten trotz anschließendem Dauerregen das volle Grillvergnügen.
Am nächsten Morgen hieß es Abschiednehmen. Lena musste wieder in die Schule, und Heinz zum Militär. An Lena und ihre Gewohnheiten hatte ich mich gewöhnt. Sie waren mir beide jederzeit wieder willkommen. Meine Mädchen und ich vergossen einige Tränen. Heinz und Martin begnügten sich damit leicht wässerige Augen zu haben. Dann brachten wir sie zum Zug. Mein Auto hatte ich regelgerecht geparkt, deshalb gingen wir alle mit auf den Bahnsteig. Wir hatten keine Ahnung ob, oder wann wir uns wieder sehen konnten.
Nun waren die Sommerferien vorbei. Hannah ging in die zweite Klasse. Mein Mann und ich hatten gestritten, wer von uns das schöne Zeugnis von ihr unterschreiben durfte. Um sie brauchten wir uns nicht mehr zu sorgen, sie war Feuer und Flamme für die Schule.
Helena war ganz glücklich in den Kindergarten zu dürfen, weil Tante Hilde, die Kindergärtnerin so nett war. Sie hatte Recht, sie war eine liebevolle Frau und machte jetzt ihr letztes Jahr vor der Rente. Da Sarah nicht mitging, musste täglich zweimal zum Kindergarten fahren.
Kaum hatte ich Helena im Kindergarten abgeliefert, kam Sarah zu mir. Das ärgerte mich, denn dann hätte sie ja auch in den Kindergarten gehen können.
„Was willst du denn hier, Helena ist nicht da“, machte ich einen Versuch sie los zu werden. Sarah schaute mich vorwurfsvoll an: „Mein Nutella-Brot!“ Also machte ich ihr das Gewünschte. Komisch, meine Kinder gehen nirgends hin, etwas zum Essen zu bekommen, die essen immer nur daheim, dachte ich. Wir waren von den Kapellenhöfen sowieso die „Ärmsten“, wir hatten keinen eigenen Hof und nur Kleinvieh. Die anderen hatten eigene Höfe und fuhren Mercedes, während mein Mann einen Japaner, und ich einen alten Gebrauchtwagen fuhr.
So ging es nun täglich, Sarah kam zum Frühstück zu mir. Dann schlich sie mir nach beim Eier sammeln, und wenn der große Milchwagen von ihrem Hof kam, ging sie heim zu ihrer Mutter.
Nun kam Sarah wie üblich um ihr Nutella-Brot zu bekommen. Es tat mir leid dass ich ihr keines geben konnte und sagte: „Ich habe leider kein Brot mehr, aber wenn du von deiner Mama eine Scheibe Brot bringst, bekommst du dein Brot mit Schokoladen-Aufstrich.“ Die Kleine lief heim, um bald wieder ohne Brot zurück zukommen. „Meine Mama hat auch kein Brot“, berichtete sie.
Ich beschloss den akuten Brot-Notstand zu beenden und nahm Sarah mit in mein Auto. Nun machte ich, was ich erst mittags machen wollte, nahm gleich die Eier für den Bäcker und fuhr los. Da meine Nachbarin ja auch kein Brot hatte wollte ich ihr auch eines kaufen, und fuhr zuerst bei ihr über den Hof.
Frau Reck kam gerade aus ihrer Milchküche. Ich ließ das Fenster runter und rief ihr zu: „Ich fahre zum Bäcker, soll ich ihnen auch ein Brot kaufen?“ „Nein, ich habe Brot genug!“ Gab sie mir zur Antwort. Nun glaubte ich, aus der Haut fahren zu müssen, und fragte unwirsch: „Und warum haben sie dann Sarah keines gegeben, das Brot war doch für sie! Sie verlangt jeden Tag von mir ein Nutella-Brot.“ Das Ansehen der Nachbarin hatte jetzt gelitten und ich wusste noch nicht, ob ich mit ihr noch einmal sprechen wollte.
Sarah kümmerte das jedoch wenig, sie kam weiterhin pünktlich jeden Morgen.
Es wurde Herbst, und wir sammelten die Äpfel auf und fuhren damit in die Mosterei. Wir hatten sehr viel Äpfel, soviel Most konnte mein Mann gar nicht trinke. Deshalb verkaufte ich einige Wägen voll. Da ich mit dem Anhänger nicht rückwärts fahren konnte, fuhr ich etwas weiter in die Mosterei, bei der man auf der einen Seite hinein fahren konnte und auf der anderen Seite wieder heraus kam.
Martin belächelte das. Er sorgte sich um mein Auto, und hatte Angst dass ich mit ihm nicht durch den nahenden Winter käme. Er wollte für mich einen VW-Bus kaufen. Ich konnte mich dafür nicht erwärmen, und schob die Entscheidung auf. „Vielleicht fahre ich den Variant ja im Winter kaputt, dann kannst du mir den Bus kaufen“, sagte ich.
Ab und zu schrieb ich an Mutti. Sie hatte mir doch geschrieben, dass sie sich sehr einsam fühlte.
So schrieb ich ihr eines Tages, dass ich manchmal Heimweh nach Westfalen hatte. Immer, wenn ich längere Strecken fuhr, dachte ich daran einfach Gas zu geben und Richtung Heimat zu fahren. Daraufhin lud sie mich ein, sonntags zum Kaffee zu kommen. Ja dachte ich, so schnell sind die 650 km nicht gefahren.
Es vergingen zwei Wochen, da rief sie an: „Wo bleibst du denn, ich hatte schon letzten Sonntag mit dem Kaffee auf dich gewartet. Weil du am letzten Sonntag nicht gekommen bist, habe ich heute auf dich gewartet. Ich hatte extra Kuchen gebacken.“ Ich brauchte eine Weile, ihr klar zu machen, dass ich nicht mal schnell zum Kaffee zu ihr fahren konnte. Ich brauchte eine Übernachtungsmöglichkeit und außerdem hatte ich ja zwei kleine Kinder.
„Du kannst doch die Kinder mitbringen, schlafen könnt ihr auch bei mir.“ Ihre Enttäuschung konnte ich ihr anhören. Sie tat mir leid und ich versprach ihr, im Frühjahr während der Ferien zu Besuch zu kommen. Im Stillen zweifelte ich daran, mein Versprechen einhalten zu können.
„Dann kaufe ich aber den Bus, vorher“, warf mein Mann ein. Ich wollte nicht, dass Martin das Geld, was er von seinem Onkel geerbt hatte, unnötig ausgab. „Dein Geld wird aufbewahrt“, erinnerte ich ihn, „irgendwann möchte ich, dass wir etwas eigenes kaufen!“ Martin ließ sich nicht beirren: „Der kostet doch nur 2000.-- Mark, die holen wir mit Zinsen wieder rein.“ „Ja vielleicht in zwanzig Jahren“, maulte ich und begann meinen Traum vom eigenen kleinen Häuschen zu begraben.
Zu Martins Geburtstag kam Bernd für zwei Tage zu Besuch. Wir standen in der Küche und bereiteten das Essen für unsere Gäste vor. Hannah war mit Ulla unterwegs und Helena spielte mit den Katzen. Auf unserem Hof herrschte die gewohnte friedliche Stille. Da es ein schöner Herbsttag war, hatten wir die Haustür offen.
Plötzlich kam vom Hof her ein lautes Geschrei. Bernd ließ sein Messer fallen, drehte sich um und schrie vor lauter Schreck: „Bolle!“ Voller Panik rannten wir auf den Hof. Wir hatten mit allem gerechnet, z.B. eine Attacke vom Truthahn, Zwerghahn oder Gänserich.
Unsere Bolle stand mitten auf der kleinen Wiese vor dem Stall, und machte den Versuch ihren Katzen etwas vorzusingen. Sie quietschte aus lauter Lebensfreude. Musikalisch war sie anscheinend nicht. Bernd und ich schauten uns an, und mussten herzhaft lachen. Dann gingen wir erneut an unsere Arbeit.
Am Geburtstag waren dann wieder alle da. Auch Tina und Rainer mit dem Kleinen. Helmut war natürlich auch da, er wollte sich das Familienfest nicht entgehen lassen. Es amüsierte ihn ungemein, wenn die anwesenden Frauen ununterbrochen mit einander redeten. Wobei jede einzelne bemüht war, die andere an Lautstärke zu übertreffen. Von der Unterhaltung bekam man am meisten mit, wenn man nicht im selben Raum war.
Die wenigen anwesenden Männer, sagten vorsichtshalber nichts. Wenn die sich unterhalten wollten, gingen sie hinaus auf den Hof. Martins Bruder Toni, der nicht dabei war, war das Gesprächsthema Nummer 1. Er wohnte umsonst bei der Mutter, bezahlte kein Kostgeld und hatte auch noch ein Auto von ihr bekommen. Zu allem Überfluss sollte er auch noch das Haus bekommen. Alle hackten auf ihrer Mutter herum. Die meinte zu ihrer Entschuldigung: "Toni muss ja auch Geld sparen, damit er seine drei Geschwister später auszahlen kann."
Bernd schmunzelte in der Küche und zitierte: „Da werden Weiber zu Hyänen.“ Mein Mann hatte sich mit Helmut hinaus geschlichen. Sie versorgten die Tier und sortierten die Eier. Tina war mit Rainer und Alex auf dem Spielplatz. Sie schauten den friedlich spielenden Kindern zu.
Während wir das Abendessen anrichteten, erzählte mir Bernd indessen von seiner Arbeit, und seiner Chefin. Die wollte ihn von der Bundeswehr befreien lassen, sie wollte ihn nicht mehr gehen lassen. Bernd war die Chefin langsam lästig und er hatte nun auch eine Freundin, von der seine Chefin aber nichts wissen sollte. Wenn er wieder zu Besuch käme, wollte er sie mitbringen.
So ging der Tag vorbei, und als alle gegangen waren, saßen wir am Tisch und teilten uns zu viert eine Flasche Wein. Helmut glaubte einen Gehörschaden davon zutragen. Bernd bemerkte: „Tina hat es aber lange ausgehalten.“ Tatsächlich war sie bis zum Schluss geblieben.
Es war der 45. Geburtstag meines Mannes, und ich war mir ganz sicher, so schnell würde es bei mir keine Familienfeier mehr geben. Die nächsten Geburtstage würden wir allein, in aller Stille feiern. Bernd grinste: „Aber in zwei Jahren, hat Hannah Kommunion."
Dann lief wieder alles in geregelten Bahnen. Helmut mietete die Ferienwohnung an, und verbrachte dort ein paar Tage, mit einer seiner Freundinnen. Sarah kam weiterhin jeden Morgen, ihr Frühstücksbrot zu holen, und die Hühner legten jeden Tag ein Ei. Ilsabein, die Truthenne, sorgte jedes Jahr dafür, dass genügend Truthähne auf dem Hof herumliefen.
Die jungen Truthähne erschreckten die Spaziergänger, besonders dann, wenn sie rote Socken an hatten. Die Gänse ersetzten den Wachhund und meldeten jeden, der von der Straße abbog. Ja ich liebte unsere kleine Farm und die Kinder waren hier glücklich.
Nun war außerhalb von unserem Weiler, im Wald, ungefähr fünfzehn Minuten von der kleinen Kapelle entfernt, das alte Forsthaus. Es war neu renoviert und seit einiger Zeit wieder bewohnt. Ein junges Ehepaar war dort eingezogen. Sie hatten zwei Kinder und einen riesigen Hund. Abends kamen die Kinder zum Milch holen zu Frau Reck.
Sonntag morgens sah man die Kinder oft durch unseren Weiler streifen. Dann suchten sie immer nach Spielgefährten. Hannah und Helena wollten nicht mit ihnen spielen, weil die so eingebildet waren. Sie erzählten von ihren Eltern, die Lehrer waren, von Pferden und Reitstunden und vom Voltigieren. Niemand wollte sich mit ihnen anfreunden.
Die Kinder fädelten es geschickt ein, dass sie um die Mittagszeit an einem unserer Höfe landeten und setzten sich prompt zum Essen mit an den Tisch. Schon aus diesem Grund, spielten meine Kinder sonntags vormittags nicht mehr draußen. Die beiden „Forsthauskinder“, spielten oft stundenlang auf unserem Spielplatz. Es ging mir wirklich nicht um das Essen, aber ich wusste von den anderen Frauen, dass sie dann laufend kamen.
Nun fuhr eines Tages die Mutter auf den Hof. Ich konnte es nicht lassen, sie zu fragen warum ihre Kinder sonntags immer bei den Kapellenhöfen waren. Nun erklärte sie: „Sonntags gehen mein Mann und ich immer zum Reiten und anschließend gehen wir Essen. Wir kommen dann immer erst zum Kaffee zurück. Irgendwo müssen die Kinder ja bleiben!“
Sie war aber gar nicht der Kinder wegen gekommen, sondern wegen ihrem Hund. Weil ich ja am wenigsten Arbeit hätte, hatte sie daran gedacht ihren Hund einen Tag bei mir lassen zu können. Ich fragte: „Und warum nehmen sie den Hund nicht mit?“ „Nein das geht leider nicht, wir haben eine Familienfeier in einem Schloss, da passt es nicht mit dem Hund. Aber die Kinder nehmen wir mit“, erklärte sie mir.
Einen Moment überlegte ich, dann sagte ich: „Ich habe keine Erfahrung mit Hunden, gucken sie mal an den anderen Höfen.“ Nein, da hatte sie schon gefragt, und es sei ja auch nur für einen Tag. Na, dachte ich, lieber den Hund als die Kinder. Dann holte sie ein Kalb von Hund aus dem Auto, einen Neufundländer, bestimmt der größte weit und breit.
Sie hatte Futter dabei und versicherte, dass es keinen lieberen Hund gäbe als ihn. Wenn ich mal nicht wüsste, was ich mit ihm anfangen sollte, dann wäre er im Auto gut aufgehoben, denn das sei sein absoluter Lieblingsplatz. Jetzt wollte sie den Riesen da lassen, morgen wenn sie nach Hause käme, versprach sie ihn abzuholen. Ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich da eingelassen hatte.
Zuerst bekam der Hund seine Schüssel voll Wasser. Danach kam er zu mir und putzte seine nasse Schnauze an meinem Rock ab. Dazu wedelte er vor lauter Freude mit dem Schwanz. Seine Augen konnte ich nicht sehen, vor lauter Haare die ihm im Gesicht herumhingen.
Wenn das mein Hund wäre, ich würde zuerst die Schafschererin rufen. Nachdem er mich vollgesabbert hatte, hob er ein Bein und begoss die gemalten Blumen an meinem Küchenschrank. Jetzt wurde ich ernsthaft böse. Ich schrie: „Du Riesenwildsau!“ Der Hund war beleidigt und verschwand unter dem Tisch, nachdem er sich mit dem Tisch auf dem Rücken, einmal um sich selbst gedreht hatte. Mir blieb nichts anderes übrig, als alles zerbrechliche weg zuräumen.
In der Hoffnung, dass der Hund jetzt eingeschlafen war, ging ich auf den Hof um meine Ziegen von der Weide zu holen. Dann rief ich Hannah und Helena und erzählte ihnen, dass der Hund aus dem Forsthaus bei uns im Esszimmer lag. Ja, den wollten sie immer schon mal aus der Nähe betrachten. Sie rannten also gleich ins Haus.
Es dauerte eine Weile, dann kamen die beiden zu mir in den Eierraum. „Da ist ja gar kein Hund“, sagten sie vorwurfsvoll. Meine Eier konnte ich morgen wiegen, jetzt musste ich schauen wo sich das Kalb versteckt hatte. Den großen Esstisch hatte der Hund vor die Tür gestellt. Ich nahm den Weg durch die Stube und der Hund war wirklich nicht da.
So ein großer Hund konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben, und ich wusste genau, die Tür zur Stube war vorher zu, jetzt war sie offen. Wo bitte schön war dieser Hund, so ein Riesentier, übersah man doch nicht! Ich räumte das Esszimmer auf und ging zurück durch die Stube um die Tür gut zu verschließen. Da sah ich im Augenwinkel einen großen schwarzen Teppich auf dem Sofa, der vorher nicht da war. Das Riesenkalb! Nun holte ich die Hundeleine und kaum hatte er die gesehen, sprang er von dem Sofa herunter und ließ sich anbinden.
Instinktiv lief ich mit dem Hund eine Runde, obwohl ich keine Ahnung hatte, dass man mit einem Hund „Gassi“ laufen musste. Wir gingen um die Weide, wobei er an jeden Zaunpfahl pinkelte. Als er merkte dass wir auf dem Heimweg waren, garnierte er den Grünstreifen an der Straße mit einem Haufen.
Inzwischen war Martin auch zu Hause. Er sah mich kommen und fragte: „Ist das ein Bär?“ „Nein, ein Hund“, sagte ich etwas kleinlaut, denn der würde Martin sicher nicht gefallen. Hannah und Helena waren ganz begeistert als sie sahen, dass der Hund nun doch da war.
Sie wollten den Hund zum Schlafen mit in ihr Zimmer nehmen. „Nein!“ rief ich entsetzt, „aber in dem Zimmer daneben, da steht eine alte Couch, da lege ich seine Decke darauf, da kann er schlafen.“ Mein Mann warnte uns: „Wenn das Haus heute Nacht zusammen bricht, ist der Hund schuldig.“
In der Nacht stand ich mindestens fünf mal auf und horchte an der Tür. Da schien alles ruhig zu sein.
Als ich morgens den Hund aus dem Zimmer holen wollte, war er nicht da. Ich fand ihn im Kinderzimmer vor Helenas Bett. Hannah behauptete die Tür nicht aufgemacht zu haben. Langsam fing ich an zu glauben, dass er Türen auf und zu machen konnte.
Nun kam er wieder an die Leine und ich nahm ihn mit, die Ziegen auf die Weide zu bringen. Als ich die Truthähne hinaus ließ, bekam er Angst, flüchtete und riss mich hinterher. Nun sperrte ich ihn in mein Auto, denn seine Herrin hatte behauptet, da gefiele es ihm am besten. Das Fenster machte ich etwas auf, nicht für den Hund, sondern für das Auto, damit es nicht so nach Hund stinken sollte.
Dann ging ich die Hühnerställe auf machen und Eier sammeln. Ungefähr eine Stunde hatte ich Arbeit. Danach ging ich zum Wohnhaus hinüber, um das Kalb wieder aus dem Auto zu befreien.
Damit er eine ausreichende Liegefläche bekam, hatte ich vorher die hinteren Sitze umgekippt. Das war ihm aber anscheinend nicht genug, denn er hatte angefangen die vorderen Sitze selbst abzubauen. Den Bezugstoff hatte er schon entfernt, jetzt war er dabei die Polsterung heraus zu rupfen.
„Blödes Miststück!“ Ich nahm den Hund und sperrte ihn in den Garten. Dann ging ich Kaffee trinken. Wie sollte ich das Martin beibringen? Der würde sich furchtbar aufregen.
Zum Glück waren alle noch oben, es war ja Sonntag und Martin hatte heute auch frei. Aber lange würde er es im Bett nicht mehr aushalten, denn er war kein Langschläfer. So ging es mir durch den Kopf, dass vielleicht die Sitze aus dem Spielauto in mein Auto passen könnten. Das wäre eine Lösung, und der Schaden wäre nicht so groß, dachte ich.
Glücklich darüber, möglicher Weise die perfekte Lösung gefunden zu haben, streckte ich meine Beine aus, und trank die Kaffeetasse leer. Meine Blicke gingen unwillkürlich Richtung Küche. Da stand in der Küchentür das haarige Ungeheuer und blinzelte mich durch seine strubbelige Frisur an. Mit seiner Zunge leckte er sich ums Maul herum, als ob er Durst hatte.
Ich stand auf und gab ihm was zum Fressen und frisches Wasser. Er hatte wirklich Durst und wieder putzte er seine nassen Barthaare an meinem Rock ab. Seine Haare waren so lang, wie die meiner Heidschnucken. Mit der Hand fuhr ich ihm über den Kopf, und schaufelte seine Augen frei. Dankbar schauten mich zwei wunderschöne braune Augen an. Ich war kurz davor, mich unsterblich zu verlieben.
Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Martin kam und hinter ihm, Hannah und Helena. Mein Mann wollte wissen was es zum Essen gäbe, und die Kinder warteten auf ihren Kakao. Hannah hatte es eilig und bestrich für sich und Helena das Brot, wobei sie auch gleich die Tischdecke beschmierte.
Heute regten mich solche Kleinigkeiten nicht auf. Meinen Mann jedoch schon. „Lass doch“, sagte ich, „ die Decke war schon dreckig.“ Mich streifte ein dankbarer Blick von Hannah. Martin stand auf, um einen Rundgang durch die Ställe zu machen. Er kam gleich wieder herein und fragte: „Was ist mit deinem Auto passiert?“ „Vandalismus“, gab ich zur Antwort. Darauf mein Mann: „Das kommt davon, wenn man zu faul ist, das Auto in die Garage zu fahren.“
Helmut war immer noch da und pünktlich zum Mittagessen, kam er mit seiner Freundin herunter. Ich bat ihn Martin zum Essen zu holen, der im Eierraum am Sortieren war. Auch Helmut kam gleich zurück um zu melden dass mein Auto demoliert war. Er glaubte mir das mit dem Vandalismus nicht und interessierte sich brennend für die Wahrheit.
Da er für jede Gelegenheit die richtige Lösung wusste, verlangte er von mir den Fahrzeugschein. Er kannte einen Autofriedhof, da würde er mit Sicherheit Sitze für mich finden. Sonst konnte er immer noch die Sitze aus dem Spielauto montieren, erklärte er. „Ich hätte jetzt eine Wolldecke darüber gelegt“, sagte ich. Nach dem Essen fuhr Helmut mit seiner Freundin los, um auf Schrottplätzen nach Sitzen zu suchen.
Er versicherte bis in zwei Stunden zurück zu sein, wir sollten mit dem Kaffee auf ihn warten. Er hatte gestern gesehen dass ich Apfelkuchen mit Streusel gebacken hatte, den wollte er sich nicht entgehen lassen.
Er kam etwas spät zum Kaffee, weil er seine Freundin heimbringen musste. Die hatte sich den Ausflug anders vorgestellt. Das machte Helmut nichts aus, denn sie war ja schon ein paar Tage hier. Schon viel zu lange, wie Helmut feststellte. Jedenfalls hatte er ein paar schöne Sitze gefunden. Er hätte sie ja am liebsten sofort eingebaut. Ich wollte aber, dass die Frau sah, was ihr Hund angestellt hatte, wenn sie ihn abholte.
Sie kam erst am nächsten Morgen gleich um sieben Uhr und hatte es eilig, weil sie ja zur Arbeit musste. Ja wegen den Sitzen da käme sie dann noch, das wollte sie der Versicherung melden, versprach sie,- hielt es aber nicht. Mit tat der Abschied von dem Riesenkalb weh, ich hatte ihn ins Herz geschlossen.
Helena hatte ich nicht in den Kindergarten gebracht, aber bis ich die Schüler holen musste, war das Auto wieder in bester Ordnung.
Nachdem er fertig war mit dem Einbau, hatte er zu seinem großen Bedauern festgestellt, dass die Musterung der Sitze einen ganz winzigen Unterschied hatten. Mir fiel das nicht auf, Aber Helmut montiete einen Schaffellbezug auf den einen Sitz. Jetzt war er zufrieden. Gern hätte ich ihn aus Freude geküsst, aber das war bei Helmut nicht so angebracht. Er glaubte ohnehin, er sei für alle Frauen unwiderstehlich, drum ließ ich es lieber.
Er durfte sich etwas zum Essen wünschen, und wünschte sich: Reibekuchen. Die machte ich am nächsten Tag, und nicht nur Helmut freute sich darüber. Am nächsten Tag fuhr er wieder mal seine Kunden besuchen. Vier Tage wollte er wegbleiben, besorgt meinte er: „In der Zeit darf dem Auto nichts passieren.“ Wenn er zurück sei, wollte er das Auto von Martin für den Winter herrichten.
Für mich war der ganz normale Alltag wieder da. Wie ich es auch verdrängen wollte, immer wieder dachte ich an das Riesenkalb. Dann sah ich seine treuen braunen Augen, die mich so dankbar angesehen hatten. In Gedanken nannte ich den Hund liebevoll „Bärchen:“
Gerade hatte ich meine Ziegen gemolken, die schon wieder trächtig waren, und nur noch wenig Milch gaben. Die Milch wollte ich den Katzen bringen, die immer so fleißig Mäuse fingen. Mäuse hatte ich genug in der Futterkammer. Das Hühnerfutter schmeckte denen, und sie waren alle gut genährt. So ging ich über den Hof zum Katzen-Futternapf. Wie immer musste ich die Straße überqueren und guckte nach links und rechts.
Das konnte doch nicht wahr sein, da kam das Bärchen und winkte mir von weitem mit seine Schwanz zu! Erfreut über das plötzliche Wiedersehen rief ich laut: „Bärchen!“ Da setzte sich der Koloss in Bewegung, und mit riesigen Sätzen kam er auf mich zugesprungen. Es schien mir, als wollte er mich umarmen, dabei warf er mich um. Die Ziegenmilch floss aus der Kanne und Bärchen schlabberte sie auf.
Dann war ich dran: Mit seiner Zunge leckte er überall, wo keine Kleidung meine Haut bedeckte. Zum Schluss lag er neben mir auf dem Boden und leckte mein Gesicht. Ich rappelte mich auf und ging in die Küche. Aus dem Kühlschrank holte ich dem Hund ein großes Stück Wurst.
Am liebsten hätte ich ihm die Haare im Gesicht geschnitten, aber Martin hatte mir erklärt, dass Hunde mit langem Pony empfindliche Augen haben. Ich streichelte mein Bärchen und draußen hörte ich einen schrillen Pfiff. Bärchen stand auf und ging ohne Abschied zum Haus hinaus. Eine Autotür klappte zu und dann sah ich ihn nie wieder.
Meine Kunden bestellten seit August schon wieder ihre Weihnachtsbraten bei mir. Im Dezember wollte ich wieder mit dem Schlachten beginnen. Ich sprach mich mit der Tagelöhnerin ab und richtete mich nach ihren Terminen. Zuerst musste ich Suppenhühner schlachten, hatte aber selbst kaum Hühner zum Aussortieren. Sie sahen alle noch so gesund aus und legten auch sehr fleißig.
Nun hatte ich einen Kollegen, der auch eine Hühnerfarm hatte, der aber Nudeln aus den Eiern fertigte. Immer wenn meine Eier nicht ausreichten, stellte er seine Nudelproduktion ein paar Tage ein, und brachte mir die Eier. Um die Osterzeit versorgte er mich auch jährlich mit Ostereier. Nun wollte er mir mit Suppenhühnern aushelfen, und war froh, dass er sie selbst nicht schlachten musste.
So fuhr ich abends zu seiner Farm um die Hühner abzuholen. Er war aus Oldenburg und adelig. Ich nannte ihn den Nudelbaron. Denn seine Nudeln waren die Besten im ganzen Kreis. Auf meinen Verkaufsfahrten hatte ich auch immer seine Nudeln dabei. Besonders interessant war sein Maultaschenteig. Den verkaufte er als Meterware. Der Teig war wie ein Ballen Stoff aufgewickelt.
Seine Farm war eine halbe Autostunde entfernt. Im Auto hatte ich zwei Hühnerboxen, mehr passten nicht hinein. Als ich sagte dass ich fünfzig Hühner brauchte und sechzig wollte, lachte er und meinte: „Aber nicht in die zwei Boxen!“ Wir fingen dreißig Hühner, mehr wollte er nicht in die Boxen sperren, denn die Hühner waren ja auch Lebewesen.
„Die anderen dreißig, bringe ich ihnen morgen vorbei, wenn sie auch noch Nudeln brauchen, dann lohnt sich der Weg“, war sein Angebot. Ja, Nudeln konnte ich immer gebrauchen. Der Nudelbaron war ein sehr netter Herr, etwas älter als ich, schätzte ich. Seine Nudelfabrik war klein, aber blitzsauber. Dort arbeiteten zwei Frauen, die den ganzen Tag Nudelteig durch eine Schneidemaschine ließen. Das war oberschwäbische Handarbeit.
Ich selbst war ja kein Verehrer der Nundeln im Allgemeinen, aber meine Kunden liebten sie. Zumal ich ihnen erzählen konnte, den Betrieb gut zu kennen.
Eine Kusine von Martin, die in der Nähe des Kindergartens mit ihrem Mann wohnte, wartete morgens dort auf mich. Ich kannte sie eigentlich gar nicht. Das einzige was ich von ihr wusste war, dass sie sie von den verstorbenen Tanten genau so viel geerbt hatte wie mein Mann. Sie stand also dort und fragte, ob sie vielleicht beim Schlachten helfen sollte, sie sei den ganzen Tag allein, und wir wären doch verwandt. „Ja, das wäre schon gut, aber ich weiß nicht, ob ich dich bezahlen kann.“
Die Verwandten meines Mannes arbeiteten in der Regel nicht umsonst. Diese allerdings wollte nur ein wenig Familienanschluss, und Abwechselung aus ihrem Alltag. Sie wollte gleich mitkommen, aber ich sollte sie noch schnell zu Hause vorbeifahren, sie wollte einen Kittel mitnehmen. Mit ihr schlachtete ich die fünfzig Suppenhühner. Im Gegenzug erfuhr ich viel von den verstorbenen Tanten, bei denen sie als Kind oft war.
Von ihr lernte ich, wie man einen Zwetschgen-Kuchen macht, ohne den ganzen Backofen zu verschmutzen. Sie hatte viele, wertvolle Tipps für einen schwäbischen Haushalt. Am Abend brachte ich sie wieder heim. Wenn ich einverstanden wäre, wollte sie wieder kommen. Von nun an war sie immer beim Schlachten dabei. Ich stellte fest, sie war eine nette Verwandte.
Als ich am Samstag, die Suppenhühner ins Auto geladen hatte, es waren fünf Paletten, war das Auto schon fast voll. Die Eier musste ich auf die Rückbank stellen. Die Zwischenräume füllte ich mit Nudeln aus. Meinen Klapptisch, den ich immer dabei hatte, konnte ich nirgends mehr unterbringen. „Ich sage doch schon lange: Das Auto ist zu klein wann begreifst du das endlich!“ Während mein Mann schimpfte, zwängte er den Tisch oben auf die Hühner-Paletten. Hannah stieg zu mir ins Auto, und wir fuhren auf den Markt.
Die Hühner vom Nudelbaron waren besonders fleischig. Sie schienen keine Not gehabt zu haben. Es war kalt und ich schickte Hannah mit dem Einkaufszettel in den Lebensmittelmarkt, damit sie sich ein wenig aufwärmen konnte. Dann fing es auch noch leicht zu regnen an und ich war froh, als ich früher als sonst alles verkauft hatte.
Bei Glatteis war ich kein Held den Berg hinauf. Ausgerechnet heute, hatte ich den Eimer mit Splitt wegen Platzmangel, aus dem Auto genommen. Ich ging schnell zum Fleischstand auf dem Markt und kaufte für die kommende Woche Wurst und Fleisch. Dann holte ich Hannah mit dem Einkauf aus dem Laden ab. Die Ladeninhaberin lobte Hannah, sie war ihr zur Hand gegangen. Ja meine Hannah konnte man überall gut leiden, sie hatte ein ganz bezauberndes Lächeln an sich.
Wir stiegen ins Auto und ich fragte: „Wie kommen wir nach Hause? Die Steige fahre ich jetzt nicht. Es ist spiegelglatt.“ „Lass uns den Schulweg nehmen, also über Aulendorf“, schlug Hannah vor. Das war natürlich der weiteste Weg, aber dort war es nicht so steil, und da gab es auch keine Kurven. Also fuhren wir nach Aulendorf.
Dort bogen wir ab auf die Straße, die ich täglich mit den Schülern fuhr. Da, wo die letzten Häuser standen, und die Straße am steilsten war, stellte sich mein Auto quer. Von oben herab kam meine Nachbarin, Frau Kleinbrot. Sie brachte ihr Auto am Randstein zum Stehen. Dann schaute sie mich an: „Wollen Sie rauf oder runter?“ Ich zeigte nach unten. Mit einem Schubs drehte sie auf der glatten Straße mein Auto in Richtung: „Zurück“. Vorsichtig fuhr ich im ersten Gang wieder zur Hauptstraße.
Wir fuhren ganz zurück in die Stadt, vorbei am Markt, wo wir losgefahren waren. Nun versuchten wir unser Glück bei dem Dorf, wo ich mit meinem roten Auto, schon einmal über dem Graben gehangen war. Kurz bevor ich abbiegen musste, kamen wir an eine Bushaltestelle, mit Wartehäuschen. Dort brachte ich das Auto zum Stehen. Dann ging ich an die Streugutkiste und schaufelte mit meinen Händen Splitt in die Kurve. Ein paar Minuten später hatte ich den Kampf gewonnen und fuhr durch den Wald, von den anderen Seite nach Hause.
Martin holte das Leergut aus meinem Auto und bruddelte vor sich hin. Er hatte ja Recht, das Auto war einfach zu klein. Aber zugeben, wollte ich das jetzt auf keinem Fall . Als ich die folgende Woche zum Tanken fuhr, rief mich der Meister der Werkstatt, er wollte mir etwas zeigen.
Dann machte er mich mit dem VW-Bus bekannt, den mein Mann seit Wochen für mich ausgesucht hatte. Es gab verschiedene Möglichkeiten die Sitzbänke mit wenigen Handgriffen zu verändern, oder ganz herauszunehmen. Ich hätte ihn sofort mitnehmen können. Das andere Auto glaubte der Meister verkaufen zu können. „Nein, den Variant behalte ich auf jeden Fall, vielleicht brauche ich ihn noch.“ So schnell mochte ich mich von meinem „Freund“ nicht trennen.
Martins Kusine, war um einiges älter als wir, darum nannte ich sie Tante Helene. Sie teilte die Arbeiten in dem Schlachtraum so auf, dass für mich nur noch das Verpacken und wiegen übrig blieb. Die beiden Frauen arbeiteten sauber und verstanden sich prächtig. So hatte ich Zeit in der Vorweihnachtszeit.
Für die Kinder nähte ich wieder gleiche Kleider. Dabei stellte ich fest, dass Helena schon fast so groß wie Hannah. Tante Helene wollte am letzten Schlachttag nach der Arbeit eine „anständige Kaffeestunde“, wie sie sich ausdrückte. Nun hatte ich aber keinen Kuchen. Die Tante schlug vor: „Schick doch Hannah zum Bäcker, die kann das schon!“ Ja , Hanna war begeistert und stolz, dass die Tante ihr das zutraute. Sie richtete sich und Helena, denn ohne sie wollte sie nirgends hingehen.
Sie hatten die gleichen gefütterten Ledermäntel, und Tante Helena bemerkte: „Wie Mutter und Tochter.“ Sie bekam den kleinen Einkaufsrolli, den ich früher mal für Tina gekauft hatte. Ich bemerkte: „Ist das nicht zu anstrengend? Die müssen den Berg ja auch wieder hoch.“ „Kinder laufen leichter bergauf“, versicherte Tante Helene.
Nachdem Hannah versprochen hatte, unten an der Straße, ganz genau nach den Autos zu schauen, ließ ich sie gehen. Es dauerte gar nicht so lange, da kamen sie mit den Kaffeestückchen wieder zurück. Hanna war ganz stolz, und meinte, sie hätte auch noch das Brot kaufen können. Nein das war nicht nötig, denn morgen würde ich das ja selbst holen.
Bevor die erste Kundschaft zu mir auf den Hof kam, fuhr ich ganz früh zum Bäcker. Der Bäcker kaufte bei mir immer alle Eier, die einen Sprung hatten. Die nannten sich „Knickeier“ und dem Bäcker war es gleich ob das Ei vor Gebrauch heile war oder nicht. So brachte ich ihm vier Tablett Eier und wollte im Laden das Brot und den Zopf kaufen. Da lachte mich die alte Bäckersfrau ganz besonders freundlich an. „Ist was nicht in Ordnung?“, fragte ich erstaunt.
Die Bäckersfrau erzählte nun: „ Gestern kam Hannah mit der Kleinen in den Laden. Ich begrüßte sie: Na, wer kommt denn da? Darauf hin sagte Hannah: Ich bin die Hannah vom Kapellenberg, und dies hier ist meine kleine Tochter.“ Dieser Spruch hatte im Dorf für allgemeine Heiterkeit gesorgt. Ich wünschte schöne Weihnachtstage und fuhr heim, um noch schnell zu frühstücken.
Helmut hatte die Eier schon gesammelt und gewogen. Er fütterte die Tiere in den Ställen, denn bei der Kälte wollte außer ein paar ganz winterharte Hühner, niemand hinaus. Mein Mann lief immer hinter Helmut her, es war ihnen anzusehen, sie heckten was aus. Als Helmut über den Hof kam, sagte ich: „Schicken sie mir bitte Hanna her, einer sollte mir schon helfen.“
Hannah kam voller Eifer und brachte gleich Tragetaschen mit, die ich im Laufe des Jahres immer sammelte. Hannah war mir eine große Hilfe. Geduldig holte sie Nudeln aus dem Regal und verpackte Eier in die mitgebrachten Schachteln der Kundschaft. Wir hatten bis nachmittags zu tun, und achteten nicht darauf, was Martin und Helmut trieben. Meine Hoffnung war: Dass der Weihnachtsbaum stand.
Hanna und ich räumten auf und schlossen den Verkaufsraum ab. Wir mussten dringend etwas zum Essen machen. Helena und Sarah spielten mit dem Puppenhaus Ich machte Würstchen heiß, und holte den Kartoffelsalat aus dem Kühlschrank. Sarah schickte ich heim, denn sie sollte nachsehen ob bei ihr, das Christkind schon da war.
„Ja“, jubelte Sarah, „zu mir kommt heute ja das Christkind!“ Sie nahm ihre Jacke und rannte heim. Helena zupfte mich am Rock und schaute mich mit ihren großen blauen Augen an: „Gell Mama, zu uns kommt das Christkind auch?“ Ich war mir nicht sicher, ob der Baum überhaupt schon stand und sagte voller Zuversicht: „Sicher kommt es auch zu uns.“ Die Esszimmertür war nicht verschlossen und da war es alles anderes als weihnachtlich.
Das Frühstücks-Geschirr stand noch auf dem Tisch. Hannah half mir abräumen und dann deckte sie auch noch den Tisch. Damit wir endlich was zum Essen bekamen. Sie wollte Martin und Helmut rufen, aber ich fand, sie hatte schon genug gemacht. Die beiden Männer waren alt genug, sie hätten schon längst die Würstchen heiß machen können. Die Kinder waren noch am Essen, da schlich ich vom Flur aus in die Stube um zu sehen wie weit mein Mann mit dem Weihnachtsbaum war. Der stand im Christbaumständer und war noch nicht geschmückt.
Das Fest wollte heute nicht so recht in Gang kommen. Ich ging zurück ins Esszimmer und sagte: „Wenn ihr gegessen habt, müssen wir den Weihnachtsbaum schmücken, das Christkind hatte keine Zeit dafür.“ Meine Mädchen waren davon ganz begeistert, und gleich zur Stelle.
Hannah wusste sehr gut, wie der Baum aus zusehen hatte. Nachdem ich die Lichterkette befestigt hatte, Ging ich zu meinen Tieren, denn auch die mussten heute versorgt werden. Martin und Helmut gingen ins Haus, entweder trieb sie der Hunger an, oder war ihnen der Weihnachtsbaum eingefallen.
Ich ging hinauf und holte die Geschenke für die Kinder und das, was ich für Martin gekauft hatte. Wenn Helmut da war, bekam er nur einen Teller Plätzchen, so hatten wir es immer gehalten, denn er kam meistens unangemeldet und hatte selten etwas dabei. Außerdem gingen wir davon aus, dass er Geld im Überfluss hatte, was bei uns nicht der Fall war. Während die Kinder gespannt warteten, dass die beiden Männer mit dem Essen fertig wurden, deckte ich den Gabentisch.
Helmut lief schnell an sein Auto und brachte ein paar Päckchen. Für Hannah hatte er ein dickes Märchenbuch und für Helena ein Memory-Spiel. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, und es war mir schon peinlich, als er noch einmal zum Auto ging. Für Martin und mich brachte er Geschenkpackungen, wie er sie zu Weihnachten an seine Kunden verteilte. Martin war ja auch Kunde bei ihm, denn er machte immer die Bestellung für das Krankenhaus. Etwas bedrückt war ich nun schon, dass ich für ihn gar nichts hatte.
Mein Mann stand auf, um die Lichterkette anzuzünden und läutete das Glöckchen. Hannah und Helena probierten sofort die neuen Kleider an. Helmut macht ein Foto und mein Mann packte sein Päckchen aus. Ich hatte ihm einen Pullover mit passender Strickweste gekauft. Das war genau nach seinem Geschmack. Sorgfältig legte er die Sachen wieder zusammen und schob seine Pralinen-Schachtel darunter. Die Pralinen würde er sicher nicht vor Ostern essen, die kamen nachher unter seine Pullover in den Schrank.
Da lagen übrigens auch noch die Pralinen von seinem Geburtstag. Er konnte seine Süßigkeiten unwahrscheinlich lange aufheben. Wenn er sie dann aber aufmachte, dann teilte er sie immer mit mir. Obwohl ich gar nicht so wild auf Schokolade war. Allein wollte er sie nicht essen.
Ich begutachtete das Geschenk von Helmut, und weil er ja nichts bekommen hatte, sagte ich: „Sie dürfen bestimmen was es morgen zum Essen gibt. Er überlegte einen Augenblick und wünschte sich Truthahn. Es passte mir überhaupt nicht, denn so einen Vogel hatte ich noch nie gebraten. Trotzdem ging ich hinüber in den Verkaufsraum und holte einen Truthahn aus der Kühltruhe. Das Vieh war von stattlicher Größe. Damit hätte ich die ganze Verwandtschaft satt bekommen.
Als ich wieder zurück kam, meinte mein Mann ungeduldig: „Da liegt noch ein Briefumschlag auf deinem Platz, willst du den nicht aufmachen?
Das war mir bisher nicht aufgefallen. Ich machte den Umschlag auf, und war nicht besonders überrascht. Der Inhalt war, oh Wunder, Fahrzeugpapiere für den, von meinem Mann auserkorenen VW-Bus. Na ja, Martin hatte ja Recht, vielleicht hätte ich ihn schon längst nehmen sollen. Ein Auto als Weihnachtsgeschenk, da würde sicher mancher Luftsprünge machen. „Mein altes Auto gebe ich aber nicht her!“ Bestimmte ich mit Nachdruck. „Ja gut“, meinte Martin, „dann melden wir das ab und stellen es in die Garage.“ Helmut wollte es dann noch extra zum Aufbewahren herrichten, damit es auch schön bleibt.
Jetzt musste ich mir anstandshalber noch eine Jacke überziehen, und das gute Stück bewundern. Wir machten also am späten Abend einen Familienausflug in die Garage. Die war ja sehr groß, und ganz hinten hatten sie beiden Männer den Wagen stehen. Mit einer Rolle rotem Krepppapier hatten sie eine Schleife darum gebunden.
Es war schon sehr rührend, Ich machte ihnen die Freude und setzte mich hinein. Martin machte die Schiebetür auf und Hannah und Helena setzten sich auf die hintere Bank. „Da ist es gemütlich drin“, sagte Hannah, „Kannst du da noch ein paar Kissen machen?“ „Ja“, mischte sich Helmut ein, „und blau-weiß karierte Vorhänge, das würde gut zum Geschäft passen.“
Genau, das war es, ich nahm mir vor, diesem Bus meine ganz persönliche, Note zu geben. Ich wollte blau-weiße Vorhänge an die Fenster machen und für jeden Sitz ein Kissen . Dieser VW-Bus, sollte einmalig aussehen.
Nachdem ich jetzt besichtigt und Probe gesessen hatte , galt meine Sorge dem Festtagesbraten. Meine Abendlektüre waren Kochbücher, und die nahm ich, als ich hinaufging mit ins Bett.
Ich entschied mich den Vogel gleich morgens in den Ofen zu schieben, denn mit einem Truthahn dieses Ausmaßes konnte ja kein Kochbuch-Autor gerechnet haben. In einem der Bücher stand die Bratzeit richtet sich nach der Größe des Vogels. In einem anderen ging man von dem Gewicht von 5 kg aus, darüber konnte mein Truthahn ja nur lachen.
Da mein Mann die Feiertage über Dienst hatte, löschte ich das Licht und dachte: Ich werde den Braten schon fertig bekommen.
Als mein Mann morgens zur Arbeit fuhr, schaute ich nur schnell nach meinen Tieren. Dann würzte ich den Truthahn und legte ihn auf das Rost im Backofen. Das Bratblech hatte ich mit Wasser gefüllt und ganz nach unten geschoben. Im Kochbuch stand: In die Mitte des Backofen schieben. So ein Witz, es kam nur die unterste Schiene in Frage. Der Backofen war fast zu klein, oder der Vogel zu groß. Da ich aber keine Angst haben musste, dass der beim Backen größer wurde, machte ich beruhigt den Ofen zu und ging an meine Arbeit in die Hühnerställe.
Trotz Kälte wollten die Hühner nach draußen, ich konnte sie nicht verstehen, drinnen war es schön warm. Also machte ich die Türen auf, sammelte die Eier und fing an zu sortieren. Gestern Abend hatte niemand mehr sortiert, so hatte ich doppelte Menge. Eine Kundin tauchte auf und glaubte, dass ich heute zum halben Preis verkaufen wollte. Das wenige was ich noch übrig hatte, war schon eingefroren, und war für die Kunden zu Neujahr gedacht. Schließlich entschied sie sich für zwei Perlhühner. Sie glaubte zwar, dass die viel zu teuer waren, war aber später so begeistert davon, dass sie immer wieder kam, um Perlhühner zu kaufen.
Nach einer Stunde war ich noch am Eier wiegen. Ich dachte, jetzt dringend mal nach dem Truthahn schauen zu müssen, als Helmut kam und berichtete, dass der Vogel sich prächtig machte und jetzt schon gut duftete. Er hatte den Backofen ein wenig niedriger geschaltet, dann bliebe der Vogel saftiger. Er schien mehr davon zu verstehen wie ich. „Haben Sie auch Rotkohl?“ fragte er.
„Ja“,sagte ich, „wenn ich fertig bin, fange ich damit an.“ Die Ziegen wollte Helmut versorgen, dann käme er in die Küche um beim Essen kochen zu helfen. Ich ging in die Küche und konnte mich darauf verlassen, dass Helmut die Tiere gut versorgte.
Der Bratenduft stieg mir in die Nase, es roch wirklich köstlich. Also machte ich mich an den Rotkohl. Den großen Topf stellte ich auf den Kohleherd, den ich im Winter immer an hatte. Helmut bestand darauf, dass ich den Kohl mit dem Wasser in das der Truthahn tropfte, dünsten sollte. Wir gossen das Wasser auf den Kohl und stellten frisches Wasser unter den Puter. Ich schälte Äpfel und Kartoffeln und zum Schluss machte ich noch Spätzle für meinen Mann. Helmut würzte ordentlich mit Rotwein und ich war schon vom hinsehen ganz betrunken. Plötzlich fragte Helmut: „Haben Sie überhaupt einen Teller, wo der Truthahn drauf passt?“ Nein, eine Servierplatte in der Größe hatte ich natürlich nicht.
Helmut schaute in alle Schränke dann fand er ein kitschiges Serviertablett aus Metall. Das Tablett hatte Martin bei seinen Tanten mit genommen, als das Haus ausgeräumt wurde. Martin meinte es sei zu schade zum Wegwerfen. Das spülte ich jetzt schön sauber. Während die Kinder den Tisch deckten, schälte ich Orangen, die kamen noch als Deko auf das Tablett. Hannah und Helena hatte ihre neuen Kleider an und Helmut meinte, ich sollte doch für mich auch mal so ein schönes Kleid nähen. Ja, wenn ich mal Zeit hätte, könnte ich das wirklich mal machen.
Jetzt musste nur noch Martin kommen, dann konnten wir gleich essen. Ich konnte es gar nicht erwarten, so gut roch alles. Martin hatte bis vier Uhr Mittagspause, so konnten wir ganz in Ruhe essen. Den Truthahn schnitten wir nur auf einer Seite an, damit er morgen auch noch gut aussah. Das Essen war köstlich. Helmut versprach, Silvester einen großen Zander zu bringen. Mein Mann, der kein großer Freund von Fisch war, konnte sich darauf nicht freuen.
Die Forsthaus-Kinder schlichen ums Haus, sie hatten scheinbar noch nirgends was zum Essen bekommen. Hannah und Helena wollte ihnen ihre Geschenke zeigen, aber spielen mochte sie mit ihnen nicht. Die Kinder taten mir leid. Draußen war es lausig kalt und da ich den Tisch schon abgeräumt hatte rief ich sie herein. Ich hatte Essen im Überfluss und füllte ihnen zwei Teller.
Das Mädchen war etwas jünger als Hannah und der Junge war kleiner als Helena. Sie aßen ihren Teller leer, und als der Junge fragte, ob es auch Nachtisch gäbe, überhörte ich das ganz einfach. Schließlich war Weihnachten, und ich hatte noch zwei Eis im Gefrierschrank. Meine Kinder hätten das kalte Eis nicht gewollt. Die beiden nahmen es dankend an.
Helmut kam in die Stube und fragte die Kinder: :“Na, hats geschmeckt?“ Die Kinder nickten. Mir reichte das ja, aber Helmut vermisste ein deutliches „Danke“! Er begann den Kindern einen Vortrag zu halten, wobei es ausschließlich ums Benehmen ging. Als die Kinder genug gehört hatten, schlichen sie langsam Richtung Ausgang und logen, jetzt nach Hause zu müssen. Ich wusste genau, niemand erwartete die Kinder jetzt.
Nun machte ich mir Gedanken, ob es ein Fehler war, die Forsthaus-Kinder so gut zu bewirten. Ihnen hatte es geschmeckt und sie würden bestimmt bald wieder kommen.
Am zweiten Feiertag besuchten wir Tina. Hannah und Helena, wollten ihre neuen Kleider zeigen. Die Kinder spielten mit dem kleinen Alex, der ja nun auch schon ein Jahr alt war. Ich hatte Tina von meinem Truthahn mitgebracht, denn ich konnte ihn nicht noch einmal auf den Tisch stellen. Den Rest wollte ich von den Knochen ablösen und vorerst einfrieren. Später konnte ich Ragout oder Geflügelsalat davon zubereiten.
Ich nahm mir vor, nie wieder so einen großen Vogel zu braten. Für mein Leben lang hatte ich jetzt genug davon gegessen. Dazu kam noch, dass ich Stunden brauchen würde um den Backofen wieder sauber zu putzen. Tina und Rainer hörten gespannt zu, als ich von dem großen Vogel erzählte, sie amüsierten sich köstlich. Ihr Weihnachts-Essen war wesentlich unkomplizierter.
Nach Weihnachten verabschiedete sich Helmut, er wollte zu Silvester zurück sein, mit einem Zander.
Nun musste ich meine erste Fahrt mit dem blauen Bus allein machen. Ich hatte gar kein gutes Gefühl dabei, zumal es jetzt auch angefangen hatte zu schneien. Meine Eier musste ich erst am Nachmittag wegfahren, bis dahin hatten die Straßenarbeiter die Straßen ganz sicher geräumt. Helena kam zuerst in die Küche, sie war sauber und warm angezogen. Ihre Kleidung passten immer farblich perfekt zusammen dafür sorgte Hanna, sie hatte einen sehr guten Geschmack. Sie wusste genau, was farblich zusammen passte und was nicht. Dazu war sie auch noch ein wenig eitel, war witzig und hatte immer ein verschmitztes Lächeln im Gesicht.
Ich freute mich auf ein gemütliches Frühstück mit den beiden und machte Kakao und für mich einen frischen Kaffee. Helena stand wieder neben mir und sagte: „Ich habe Hunger.“ „Ja, mein Schatz, es gibt sofort Frühstück,“ vertröstete ich sie und schmierte nebenher ihr Nutella-Brot und gleich das für Sarah, die ja sicher gleich kommen würde. Helena wurde ungeduldig und ließ wieder den Spruch los, den sie schon öfters als geheime Waffe angewandt hatte: „Du lässt mich jeden Tag verhungern.“ „Ach Gott, du armes Kind!“ bedauerte ich sie, und brachte Kakao und Kaffee an den Tisch.
Mittags beluden wir das Auto und fuhren die Eier nach Waldsee. Die Kinder freuten sich schon auf Tante Anni, die immer die letzte war, wenn wir von Waldsee kamen. Der Bus ließ sich gut fahren, und ich stellte fest, dass ich mich schnell an ihn gewöhnen konnte. In dem Auto saß man auch höher und ich hatte viel bessere Übersicht. Zugeben wollte ich es ja nicht, aber der Bus gefiel mir.
So fuhr ich ganz zum Schluss durch die Stadt, um blau-weiß-karierten Stoff zu kaufen. Die Verkäuferin schaute mich dumm an, als ich den ganzen Ballen kaufte. Aber der Bus hatte einige Fenster, und auf die lederbezogenen Sitzbänke wollte ich Sitzkissen machen, und außerdem noch ein viereckiges kleines Federkissen, auf jeden Platz. Wenn schon ein blau-weißes Auto, dann richtig!
Wir kamen zu Hause an, und Martin war froh, dass ich mit dem Auto zurecht kam.
Er baute die Sitzbänke so um, dass die vordere Sitzbank rückwärts fuhr und die hintere schob er ganz nach hinten. Nun hatte ich in der Mitte viel Ladefläche. Den Schülern würde das sicher gefallen, denn durch die Schiebetür, konnten sie bequem ein- und aussteigen.
Helmut kam am Silvester-Vormittag und hatte tatsächlich einen großen Zander dabei. Er behauptete er hätte ihn im Ilmensee geangelt. Ob er ihn wirklich geangelt hatte oder gekauft, war nicht sicher. Der Fisch war auf alle Fälle frisch, das konnte man sehen. Helmut machte ihn im Backofen und zeigte mir, wie man einen Zander zubereitet. Der Fisch war köstlich und schmeckte wider Erwarten sogar meinem Mann.
Natürlich war er nicht so mächtig wie der Truthahn zu Weihnachten, aber wir wurden alle satt. Am Neujahrstag erlaubte ich mir ein Mittagsschläfchen. Während der Zeit, hatte Helmut wieder nichts als Blödsinn im Kopf. Er band den Schlitten hinter sein Auto, und setzte die Kinder darauf. Dann fuhr er mit ihnen querfeldein über Wiesen und Felder. Die Kinder erzählten später, dass sie mehrmals vom Schlitten gefallen wären, aber es sei trotzdem ganz lustig gewesen. Ich konnte dazu nur sagen: „Helmut, Sie haben Einfälle wie Schweinställe!“
Dabei störte mich eigentlich nur die Tatsache, dass die Kinder die ganzen Auspuffgase abbekamen. Als Helmut nach sich nach Neujahr für längere Zeit verabschiedete, waren die Kinder sehr traurig. Er musste zu seiner Firma nach Norddeutschland, zu Büroarbeiten und Abrechnungen. Bis Ostern wollte er zurückkommen, versprach er Hannah. Meinem Mann versprach er, die Reifenwechsel dann an unseren Autos zu machen. Helmut war mir ja oft eine große Hilfe, aber jetzt war ich froh mich von ihm erholen zu können.
Eines morgens hatten die ersten Ziegen ihre Kitzle bekommen. Ich konnte es nicht verstehen, warum die Ziegen immer ihr Kitz in der Nacht bekamen. Dabei wäre ich ihnen gern zur Seite gestanden. Nein, wenn ich in den Stall kam, waren die Kleinen schon immer trocken geleckt und tranken munter an den Milchquellen.
Leider hatten wir wieder eine Totgeburt zu beklagen. Die Ziege jammerte, weil sie ihr Kitz nicht zum Aufstehen bewegen konnte. Sie tat mir leid, das Kitz wäre so schön gewesen, ganz schwarz. Bei den Zwergziegen dagegen kam das gar nicht vor, die Jungen waren immer wohlauf.
Weil der Schnee nicht schmelzen wollte, konnten wir die Ziegen lange nicht auf die Weide bringen. Sie mussten im Stall bleiben.
Ich fing an Vorhänge in meinen Bus zu nähen, das sah schön aus, vor allem von innen. Danach machte ich Polster auf die Sitzbänke und viereckige Kissen, ich dachte dabei vor allem an unsere Bolle, die unterwegs immer so gern schlief. Vielleicht konnte ich es ja mal einrichten und mit den Kindern zu Mutti nach Westfalen fahren. Wie sehnte ich mich nach echten Bockwürstchen und Butterkuchen.
Oft hatte ich versucht einen Butterkuchen zu backen, ich konnte es einfach nicht! Mal war er zu trocken, dann wieder zu fest oder zu dunkel. Was ich da falsch machte, habe ich nie erfahren.
Abends saßen wir in unser warmen Stube. Mein Mann las den Gemeinde-Anzeiger, den wir jede Woche bekamen. Plötzlich sagte er: „Pass mal auf, ich lese dir was vor: Älteres Ehepaar sucht Fahrer/Fahrerin, mit Auto nach Lemgo/Externsteine, Gründonnerstag bis Ostermontag.- Ist das nicht in Westfalen?“ „Das ist in Lippe“, bemerkte ich, „aber nicht weit von Mutti.“ Ich wollte auf jeden Fall anrufen, obwohl ich Bedenken hatte meinen Mann so lange allein zu lassen. Ich hatte zwei Milchziegen, die täglich gemolken wurden. Martin konnte keine Ziegen melken.
Am nächsten Tag rief ich die Telefon-Nummer an, aus der Anzeige. Die Leute taten so, als ob sich die Autofahrer um diesen Job rissen. Am Mittwoch sollte ich aber vorbeikommen und meine Töchter mitbringen, die ich mitnehmen wollte. Sie müssten ja die Menschen kennen lernen, mit denen sie möglicher Weise, mitfahren wollten. Seltsame Leute, dachte ich.
Mutti rief ich jetzt noch nicht an, denn sie sollte sich nicht unnötig Hoffnung machen. Martin hingegen war wild entschlossen, dass ich über Ostern fahren sollte, mit oder ohne Mitfahrer. Er hatte noch genug Urlaub und den beantragte er über die Ostertage. Er machte den Eindruck als hätte er Reisefieber, dabei fuhr er doch gar nicht mit. Außerdem waren noch mehr als vier Wochen Zeit bis dahin. Ostern war in diesem Jahr spät im April, und meine Kundschaft musste ich beliefern bevor ich verreiste.
Am Mittwoch fuhr ich mit Hannah und Helena zu dem Ehepaar. Die empfingen mich sehr freundlich. Sie machte einen netten Eindruck auf mich, bei ihm hatte ich kein gutes Gefühl. Er hatte etwas herrschsüchtiges an sich. Zudem verlangte er genaue Auskunft, über unsere Vorfahren und Herkunft. Er würde mit niemanden fahren, der nicht rein arischer Rasse sei, erklärte er mir. Er sei der Anführer der Goten und wollte zu deren Feierlichkeiten, an die Externsteinen, die alle vier Jahre stattfinden würde. Er sei sehr wichtig und ohne ihn ginge nichts. Überall standen Ordner herum mit seltsamen Beschriftungen, der Mann erinnerte mich unwillkürlich an die Hitlerzeit.
Er erkundigte sich nach unserem Fahrzeug, und als er hörte, dass ich einen Bus hatte, war er hell begeistert, denn dort war es nicht so eng, wir im normalen PKW.
Er konnte nur mir zwei Krücken laufen und außer dem normalen Gepäck musste auch sein Nachtstuhl mit. Nun hatte ich mich ja fast entschlossen die Fahrt zu machen, sagte aber zu den Leuten: „Ich werde es mir überlegen und mich im Dorf nach ihnen erkundigen, wir nehmen auch nicht jeden mit.“ Um sie so richtig auf die Folter zu spannen, wollte ich mich am Samstag melden.
Begeistert war ich nicht gerade, als ich heimkam. Martin hörte zu was ich zu berichten hatte und meinte: „Ruf mal Tante Helene an. Bevor die gebaut haben, wohnten die im Umspannwerk, und da hat der komische Kauz auch gewohnt.“ Fünfzehn Minuten später kam Tante Helene mit ihrem Mann auf den Hof gefahren. Ja von dem Alarich da konnte sie ein Lied singen. Der Onkel wusste viel zu berichten, aber das Beste war die Geschichte von den Gewittern.
Nun sind Umspannwerke von Gewittern besonders beliebt, zumal in diesem Fall auch noch eine Bahnstrecke vorbeiführte und ein Weiher in der Nähe war. Es gab kein Gewitter was sich nicht hier richtig austobte. Während Tante Helene alle Fenster zu machte und vor Angst zitterte, machte Alarich seine Balkontür weit auf.
Dann trat er mit einem langen weißem Hemd auf den Balkon. Wenn es blitzte, streckte er beide Arme zum Himmel hinauf, wenn dann der Donner grollte, verbeugte er sich tief. Dazu rief er immer die gleichen Sätze, die niemand verstand, weil ja jeder Fenster und Türen geschlossen hatte. Als ich sagte, dass ich mit ihnen zu den Externsteinen wollte, meinte der Onkel: „Dann passt mal auf, dass ihr in kein Gewitter kommt.“ Tante Helene meinte die Frau sei ganz in Ordnung und wenn die mit fuhr, brauchte ich nichts zu befürchten, die hatte ihn im Griff.
Mein Mann redete mir zu, ich sollte doch die Gelegenheit wahrnehmen, nur mit dem Ziegen melken, da müsste ich mir etwas einfallen lassen. Ich fing an Pläne zu schmieden, was ich meinen Kindern denn noch zeigen wollte, wenn wir in meine Heimat fuhren. Auf jeden Fall, den Rattenfänger von Hameln, sollten sie sehen. Deshalb erzählte ich ihnen, die Geschichte vom Rattenfänger, damit sie vorbereitet waren.
Wir hatten immer noch vier Wochen Zeit und das Wetter wurde frühlingshaft. Die Ziegen kamen wieder auf die Weide. Helena lockte die Kitzle von der Wiese und sperrte sie in den Hühnerhof. Zwar wunderte ich mich warum die Ziegen so unruhig waren, dachte jedoch, das sei die Freude, weil sie wieder draußen waren. Ich sortierte die Eier und richtete alles für die Eiertour am Nachmittag.
Frau Reck kam zu mir in den Eierraum, sie versprach mir, die Ziegen zu melken wenn ich über die Ostertage nicht da sei. Damit hatte ich nicht gerechnet, und war froh darüber. Als sie ging, sagte sie: „Da stehen Spaziergänger an ihrem Hühnerhof und lachen sich kaputt, was haben sie denn im Hühnerhof?“ „Nichts“, sagte ich und als ich weder Helena noch Sarah auf dem Hof sah, ging ich lieber mal nachsehen.
Sie hatten wieder allen kleinen Ziegen Puppenkleider angezogen, mit passenden Hütchen und Strümpfen. Die armen Tiere wollten zu ihren Müttern und hüpften zwischen den Hühnern herum. Ich wollte ja kein Spaßverderber sein, aber bevor die großen Ziegen aus ihrer Weide ausbrachen, wurde es jetzt höchste Zeit die Kleinen zurück zubringen. Die Mädchen mussten die Zicklein wieder ausziehen und auf die Weide bringen. Als Entschädigung durften Helena und Sarah im Bus mitfahren zum Schüler abholen.
Ich wartete bis zwei Wochen vor unserer Abreise, dann rief ich bei Mutti an. Zu früh wollte ich nicht anrufen, nicht dass sie vier Wochen vorher schon den Kaffee kochte. Wir konnten Freitag, Samstag und Sonntag bei ihr bleiben. Aber ich sollte ein Klappbett mitbringen, sie hatte ja nur noch zwei Betten. Das war kein Problem, denn davon hatte ich zwei.
Meine Kundschaft bereitete ich darauf vor, ihre Eier früh genug einzukaufen. Die Ziegenböckchen holte in der letzten Woche vor Ostern der Metzger ab. Die weiblichen Tiere behielt ich vorerst, denn die konnte ich, wenn ich wollte, das ganze Jahr über verkaufen. Von denen trennte ich mich nicht so gern.
Das Wetter war ganz herrlich, und ich legte lauter Frühjahrs-Kleider bereit. Für jeden eines für unterwegs und ein besonders schönes in den Koffer. Dazu für jeden eine Strickweste. Instinktiv legte ich noch zwei Wolldecken ins Auto, falls jemand unterwegs schlafen wollte. Dann kam der Mittwoch und das Reisefieber hatte uns schon gepackt.
Ich musste noch eine große Eiertour machen, und dann das Auto richten, denn sehr früh wollten wir losfahren. Als wir von der Tour zurückkamen, war Helmut wieder da. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn jetzt war meine Farm gerettet. Mein Mann hatte ja vor allen Tieren Angst, sogar von Mäusen. Ich hatte ihm schon angewiesen die Ziegen solange zu den Heidschnucken zu sperren, denn bei denen war ein Spalt der Tür Tag und Nacht offen. Da hätten die Ziegen allein ein und ausgehen können. Aber nun war ja Helmut da und der hatte vor nichts Angst. (Höchstens vor den Ehemännern der Freundinnen.)
Er ließ es sich nicht nehmen, das Auto noch genau anzusehen. Dann legte er mir einen Gummihammer neben den Motor. „Was soll ich denn damit?“ fragte ich ihn erstaunt. Er erklärte mir, dass der Motor, sobald ein Sandkörnchen im Benzin sei, vielleicht nicht laufen wollte. „In dem Fall wirkt ein Schlag mit dem Gummihammer Wunder. Nehmen Sie ihn mit, er braucht ja keinen Platz.“ Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln, aber Helmut kannte sich mit Autos aus.
Abends erklärte er mir noch die Fahrstrecke, damit ich nicht ganz ahnungslos abfuhr. Leider konnte ich mich nicht mehr konzentrieren, und hörte nur ganz nebenbei, dass er mir das „Jordanei“ genau erklärte. Das war weit und breit, der erste Kreisverkehr. Ich hätte zuhören sollen, aber ich wollte ins Bett, denn ich musste um drei Uhr in der Frühe aufstehen. Als ich hinauf ging, bestellte ich den Telefon-Weckdienst, weil ich Angst hatte zu verschlafen.
Pünktlich um drei Uhr läutete die Telefon Glocke. Das hörte sogar Hanna, und die weckte Helena. Die war noch müde und Hanna meinte: „Du kannst ja im Bus gleich weiter schlafen.“ Mein Mann war auch aufgestanden und wollte sehen, dass wir gut wegkamen. Zuerst wurde ausgiebig gefrühstückt. Dann machte ich noch ein paar Brote für unterwegs, denn Kinder haben immer Hunger. Sie bekamen auch ein paar Flaschen Sprudel ins Auto.
Dann fragte Mein Mann: „Habt ihr alles?“ Für Mutti hatte ich ein Päckchen Eier, Suppennudeln und ein Suppenhuhn. „Was ist mit Geld?“ fragte mein Martin. Ich schaute in den Geldbeutel und hatte 150,-- Mark dabei, der Tank war voll, und ich war der Meinung, dass ich nicht mehr brauchte. Dann fuhren wir vom Hof, den Berg hinunter, geradewegs zu Alarich und seiner Frau.
Die hatten die Haustür schon weit offen, und das Gepäck stand vor der Tür. Ich sollte schon mal einladen, der Alarich saß noch auf dem Nachtstuhl, und die mussten beide mit. Die Frau beteuerte alles im Griff zu haben. Helena schlief schon wieder und Hannah hatte sie zugedeckt. Hannah versicherte nicht müde zu sei. Dann kamen die Fahrgäste aus dem Haus. Sie schob ihren Alarich ins Auto auf den Beifahrersitz. Dann lief sie noch einmal ins Haus, um zu kontrollieren, dass sie auch alle Fenster zu hatte. Zum Schluss schloss sie noch einige Türschlösser zu, und als sie ins Auto stieg fragte Alarich: „Ist die Herdplatte aus?“ Sie stieg noch einmal aus, schloss auf und ging nachsehen. Dann kam sie, schloss gewissenhaft ab und stieg ins Auto.
Wir fuhren soeben zum Dorf hinaus, da teilte mir der Alarich mit, dass wir jetzt zuerst nach Biberach mussten. Eine Fabrikbesitzerin musste auch mit. Normal kannte ich den Weg nach Biberach, aber den durfte ich nicht fahren. Ich sollte über das Joordanei, denn nur die genau geplante Fahrroute stand unter der Obhut den großen Wotan. Ihm durfte auf keinem Fall etwas passieren, deshalb über das Jordanei. In dem Kreisverkehr sagte er bei der dritten Ausfahrt: „Hier ab!“ Ich fuhr an der besagten Stelle ab und ließ mich anweisen wo es weiterging, und kam nach wenigen Minuten wieder ans Jordanei. Das gleiche ging noch zweimal so. Da riss mir der Geduldsfaden, ich fuhr zum Jordanbad, welches hell beleuchtet war.
Dort ging ich an die Pforte und fragte wie ich zu dieser gewissen Firma kam. Schnell erklärte mir die Dame den Weg, und ich fuhr jetzt die richtige Abfahrt aus dem Kreisverkehr. Bei der Villa der Fabrik hielt ich auf dem Parkstreifen an. Ich musste aussteigen und an der Straße, neben dem Tor, an der Glocke läuten. Dann kam ein Diener und brachte das Gepäck der gnädigen Frau. Als er alles verstaute kam die Dame und brachte ein Kofferradio, das musste auch noch mit. Danach half er der Dame in meinen Bus und legte eine Decke über ihre Beine. Mit: „Wünsche gute Fahrt, Gnädige Frau,“ verneigte er sich und ging zurück in die Villa. Na, dachte ich, die wird die Fahrt sicher gut bezahlen.
Nun war Ulm, die nächste Stadt die ich anpeilte. Ungefähr zwanzig mal hämmerte mir der Alarich ein: Aber vor Ulm gleich in die Spur Richtung Stuttgart einordnen. Die A7 war damals noch lange nicht fertig, wir konnten erst bei Würzburg auf die A7. Als wir Ulm hinter uns hatten, war die nächste Sorge von Alarich, ja die Abfahrt Richtung Würzburg nicht zu verpassen. Aber vorher verlangte er eine Pinkelpause. Also fuhren wir auf einen Parkplatz.
Er achtete genau darauf, dass jeder die Pause nutzte und jagte auch die Kinder zum Pippi machen. Die gnädige Frau wollte sich bei der Gelegenheit,von dem Wohlergehen ihres Radios überzeugen. Ich sollte den Kofferraum öffnen. Während die Dame an dem Radio herum fummelte, saßen die anderen alle auf ihren Plätzen, bereit zur Weiterfahrt. Ich stieg vorn ein und wartete, dass die Dame wieder einstieg.
„Sie können den Kofferraum wieder zumachen“, sagte sie als sie einstieg. Ich stieg aus, machte den Kofferraum zu und startete zur Weiterfahrt. Wir schienen die einzigen auf der Autobahn zu sein, und ich gab richtig Gas. Nach wenigen Minuten ging das Radio an. Mich hätte es ja gar nicht gestört, denn es war nicht laut eingestellt. Alarich jedoch störte es ungemein, und ich musste auf den nächsten Parkplatz fahren.
Dort machte ich wieder den Kofferraum auf und die gnädige Frau schaltete das Radio aus. Ich saß schon wieder auf meinem Platz und wartete, dass sie sagte: „Den Kofferraum können sie wieder schließen.“ Aber sie stieg ein und sagte nur „Wir können weiterfahren.“ Nach wenigen Metern bemerkte Alarich, dass es zog. „Der Kofferraum ist offen“, fauchte er mich an. „Halten Sie sofort, bevor mein Radio hinausfällt“ jammerte die Gnädige. Da weit und breit niemand auf der Autobahn war, fuhr ich auf den Pannenstreifen, stieg aus machte die Klappe zu, stieg wieder ein und fuhr weiter.
Alarich wurde ausgefallen und polterte: „Das Anhalten auf dem Pannenstreifen, ist verboten!“ Dann erfuhr ich, dass er vor vier Jahren mit dem Taxi gefahren war und die Fahrt war einwandfrei. Ich schlug vor, beim nächsten Rastplatz ein Taxi zu rufen, damit er sicher an sein Ziel kam. Jetzt waren alle bemüht, „gut Wetter herzustellen.“ Hannah sang mit Helena: „Spinn spinn meine liebe Tochter...“ Meine Kinder waren einmalig, sie wussten mich bei Laune zu halten. Mit ihnen fuhr ich zur Mutti, die anderen waren eine lästige Nebensache.
Alarich rauchte wie ein Schlot neben mir, da steckte ich mir auch eine Zigarette an, um beim Luftverpesten behilflich zu sein. Mein Bus hatte vorn auf jeder Seite ein kleines Drehfenster, eine ganz tolle Einrichtung, das konnte ich die ganze Zeit offen haben ohne, dass es hinten zog.
Unser Alarich war schon ganz unruhig, und schaute auf die Schilder, damit wir die Abfahrt nach Würzburg nicht verpassten. Das war damals noch ein Umweg. Die A7 war zu der Zeit nur halb fertig. Als wir dann auf derrichtigen Autobahn waren und Richtung Kassel fuhren, zeigte der Alarich zum Himmel hinauf zu einer kleinen Wolke. Er behauptete, das sei eine Gewitterwolke, in der sein Wotan steckte. Die Damen auf der Bank hinter mir, hatten bereits Hunger. Sie fragten meine Mädchen ob sie denn keinen Hunger hätten, die meinten bescheiden, sie hätten ja Brote dabei.
Vor Kassel sollte ich auf den Rastplatz fahren. Bis dahin gab ich noch einmal richtig Gas. Wir waren nicht schlecht in der Zeit. Zuerst fuhr ich an die Tankstelle, denn mein Tank war fast leer. Die Rechnung zahlte die Frau vom Alarich. Dann parkte ich. Nachdem die Gnädige sich überzeugt hatte, dass ihr Radio noch da war und sogar funktionierte, gingen wir in die Raststätte. Eines der billigsten Essen war Bockwurst mit Kartoffelsalat. Alarich bestellte für alle. Die Bockwürste waren köstlich. Ich wusste damals nicht, dass das die letzten richtigen Bockwürste sein sollten in meinem Leben. Wenn ich es geahnt hätte, dann hätte ich noch mal eine bestellt.
Die gnädige Frau bezahlte die Rechnung. Die Kinder hatten ihre Teller auch sauber leer gegessen, wieder ein Grund stolz auf sie zu sein.
Jetzt ging es weiter, durchs Sauerland. Die nächste Stadt, durch die ich sollte war Paderborn. In Paderborn fand er aber nicht das richtige Hinweisschild, ich musste wieder fragen. Den Ort in den er wollte, war unweit der Externsteine. Um vier Uhr wollte er da sein, aber wir kamen mit Verspätung an. Auf dem Hotelparkplatz lud ich das Gepäck aus, und zwei Hotelangestellte trugen alles hinein, bis auf den Nachtstuhl.
Unser Gepäck hatte ich noch im Kofferraum, ich würde es selbst holen, wenn ich mein Zimmer gesehen hatte. Den Nachtstuhl würde ich ganz sicher nicht in das Hotel tragen! Ich wartete. Schließlich kam ein Page und richtete vom Alarich aus, wir sollten in das Café kommen. Höflich fragte er nach meinem Gepäck. Als ich auf den Nachtstuhl zeigte, nahm er den und trug ihn ins Hotel. Hannah und Helena frisierte ich schnell, dann gingen wir in das Café.
Für mich bestellte Alarich Kaffee und für die Kinder heiße Schokolade mit Sahne. Jeder bekam ein Stück Bienenstich. Das waren Stücke, mit dem jeder Kranke wieder gesund geworden wäre. Ich konnte es kaum bewältigen. Hannah und ich mühten uns redlich, Helena schaffte es nicht. Alarich eröffnete den Krieg gegen Helena, und bombardierte sie mit Beschimpfungen aller Art. Sie war seiner Meinung nach schlecht erzogen, und das was er bezahlen würde, das sollte aufgegessen werden.
Nun hatte er mich ehrlich erzürnt. Ich ging an das Kuchenbuffet und verlangte die Rechnung für mich und die Kinder. Der Ober sollte dem freundlich Alarich ausrichten, wir zahlten unser Essen selbst.
Danach gingen wir zur Anmeldung, um unseren Schlüssel für das Zimmer zu holen. Dort erfuhren wir, dass wir kein Zimmer hier im Haus hatten, sondern zum Übernachten nach Bad Meinberg mussten. Wir bekamen einen Zettel mit der Adresse und ich war froh, dass wir unser Gepäck noch im Auto hatten. So ging ich noch einmal am Tisch des Alarichs vorbei, legte ihm die Quittung für unseren Kaffee und Kuchen hin und fragte, wann ich ihn und die beiden Damen, wieder abholen sollte.
"Montag Morgen um zehn Uhr", polterte er mich an. Die Kinder waren schon aus dem Hotel geflüchtet und wartete am Ausgang.
Wir atmeten auf und fuhren nach Bad Meinberg. Die Pension wo wir unser Zimmer haben sollten, fanden wir auch gleich. Wir bekamen ein schönes Zimmer und weil wir Hunger auf was herzhaftes hatten gingen wir einen kleinen Bummel machen. An einer Imbissstube kauten wir für jeden eine Rostbratwurst. Wir waren ja jetzt schon im Land der leckeren Würste. Die Kinder schliefen wunderbar, mir kam die Nacht endlos vor, ich rannte mindestens zehn mal zur Toilette und schlief erst ein, kurz bevor der Wecker klingelte.
Die Pensionswirtin hatte den Frühstückstisch gerichtet. Mit mehreren anderen Gästen, frühstückten wir. Unser Platz war auf dem Sofa. Alle waren sehr freundlich zu uns, und der Kaffee weckte mich schließlich voll auf.
Der Wirtin teilte ich mit, dass ich bis Sonntagabend nicht im Hause sei, und am Montag früh abreisen wollte. Ich nahm unsere Reisetasche und wir fuhren ab zur Mutti.
Das Wetter war strahlend und den Kindern bläute ich unterwegs ein, dass sie sich gut benehmen mussten. Hannah sollte sagen: „Ich bin Hannah und das ist Helena, dürfen wir Oma zu dir sagen?“ Die Straße war jetzt auch geteert, und ich hielt unter den alten Lindenbäumen, die schon immer dort standen. Wir stiegen aus und klingelten.
Sie hatte sicher schon am Fenster im Wohnzimmer gewartet, nun öffnete sie die Tür. Mir schien es, als ob sie noch kleiner geworden war. Ansonsten hatte sie eine gute Figur, trug wie die Königin von England ein lindgrünes Kostüm und hatte leicht rosarote Haare. Die sie nicht mehr auf ihren Federhalter wickelte, sondern sie waren kurz geschnitten und toupiert.
Mutti, ganz anders als ich sie kannte. Ich stand einen Augenblick wie versteinert, Hannah rettete die Situation. Sie ging auf Mutti zu, schob Helena vor sich her, gab ihr die Hand, machte brav einen Knicks und sagte: „Grüß Gott, ich bin Hannah, das ist Helena , dürfen wir Oma zu dir sagen?“ Mutti schnappte nach Luft, es hatte ihr die Sprache verschlagen. Dann kam es ein wenig unsicher: „Guten Tag, natürlich dürft ihr mich Oma nennen. Jetzt kommt mal rein, habt ihr denn schon gefrühstückt?“
In der Hoffnung Butterkuchen zu bekommen, antwortete ich: „Eine Kleinigkeit, können wir schon essen. Unter der Kaffeemütze stand eine Kanne Kaffee, den sie vor Stunden scheinbar schon gekocht hatte, Stutenbrot, Butter und Marmelade standen auf dem Tisch. Da rutschte es mir raus: „Hast du denn gar keinen Butterkuchen?“ „Nein“, erwiderte sie, „ich bin ja immer allein, da backe ich nicht mehr, außerdem habe ich Diabetes, und da darf ich das nicht mehr essen.“ Enttäuscht aß ich von dem Rosinenbrot, was den Kindern ausgezeichnet schmeckte.
Nachdem wir den Tisch abgeräumt hatten, wollte ich die Nudeln, das Suppenhuhn und die Eier holen. „Warte“, sagte sie, „ich komme mit, ich möchte dein Auto anschauen.“ Sie ging einmal um das Auto herum und bemerkte, dass es wie neu aussähe. Dann wollte sie es von innen sehen. „Das ist aber ein richtig schönes Auto“, sagte sie, und es sah aus als ob sie es auch so meinte. Wir brachten die Sachen ins Haus, und ich fragte ob ich den Garten anschauen durfte. Also machten wir eine Gartenbesichtigung. Das hätte ich besser nicht machen sollen.
Wir gingen durch den Flur, die Treppe hinab und durch den Stallanbau, wenigstens hier war noch alles beim Alten. Dann machte sich die Hoftür auf. Es war, als ob mich der Schlag traf. Meine Erinnerungen, meine Kindheitsträume, alles was mir einmal lieb war, war nicht mehr da! Kein einziger Obstbaum stand mehr im Garten, nicht einmal das Zwergobst, was ich mit Vati liebevoll angepflanzt hatte.
Der riesige Garten hatte sich in einen olympischen Rasen verwandelt, durch den sich ein Gartenweg schlängelte. Das Schweinehöfchen war abgerissen, keine Kirschen keine Johannisbeeren, keine Äpfel und Birnen. Alles Rasen. Neben dem Weg standen ein paar vereinzelte Blumen.
Die Spargelbeete waren verschwunden und was mich am meisten schmerzte: Mein Lieblingsbänkchen war auch nicht mehr da. Vorm Haus, der Vorgarten, war allerdings fast unverändert, bis auf die Bank an der Mauer, wie hatten Vati und ich diesen Platz geliebt. Die Enttäuschung war mir ins Gesicht geschrieben und Mutti meinte verlegen: „Ach ich habe alles eingesät, das war mir zu viel Arbeit. Meine Schwester Anni, die oben wohnt, will auch nichts machen im Garten.“ Na ja, den Garten wollte ich nun nicht mehr betreten, nahm ich mir vor.
Zurück in der Küche, fingen wir gemeinsam an, das Mittagessen zu bereiten. Mutti hatten einen Topf mit Brühe aufgesetzt und wollte eine Nudelsuppe machen, mit den Nudeln von mir. Zaghaft, mit zwei Fingern holte sie ein paar Nudeln aus der Tüte schaute mich an und fragte. „Mehr?“ „Ja , ich würde sagen noch drei mal soviel, sonst findest du vor lauter Suppe die Nudeln nicht.“ wies ich sie an. Bei jeder „Prise Nudeln“ schaute sie mich fragend an. Hannah musste darüber lachen. Nun weiß ich leider nicht mehr, ob es außer Suppe noch etwas gab. Sie klagte nebenher, dass sie kaum noch sehen konnte, obwohl sie die Augen operieren ließ.
Nach dem Essen bot Hannah an, das „Schwäbische Eisenbahnlied“ zu singen. Ich fand das jetzt nicht so passen, denn es war Karfreitag, und Mutti duldete an solchen Feiertagen normaler Weise nur fromme Lieder. „Lass doch die Kinder singen, so schlimm ist das doch nicht!“, lenkte Mutti ein.
Andächtig lauschte sie dem Lied, obwohl sie nicht alles verstand. Dann sangen die Kinder Muttis Lieblingskinderlied: „Klaus ist in den Wald gegangen“. Sie sang mit und freute sich, dass ich es den Kindern beigebracht hatte. Wir unterhielten uns über manche Sachen von früher. Wenn ich ein Thema anschnitt, was ihr nicht passte, sagte sie: „Ach, das weiß ich gar nicht mehr.“ Sie wunderte sich, dass ich nichts vergessen hatte. An den Fliederstock, den sie immer auf dem Küchenschrank liegen hatte, konnte sie sich auch überhaupt nicht mehr erinnern. Andere Sachen, die für sie angenehm waren, wusste sie noch ganz genau.
Wie magisch angezogen ging ich an Vatis Schublade. Mutti schaute mir auf die Finger. Die Schublade war fast wie früher. Die Mundharmonika, die Querflöte, die Okarina und sogar der Kamm von Vati waren noch da. Gespannt schaute Mutti was ich machte. „Kann ich vielleicht die Okarina haben? Als Andenken an Vati?“, fragte ich, ohne jemals damit zu rechnen, dass sie "ja" sagen könnte. Mutti antwortete darauf: „Aber ja, wenn du die gerne möchtest.“
Mutti erzählte von ihren Kuraufenthalten auf Sylt, wohin sie jedes Jahr fuhr. Wenn es die Krankenkasse nicht bezahlte dann zahlte es die Wohlfahrt. Das passte zu ihr, mir wollte sie damals die Zuzahlung nicht bezahlen, als ich dringend in die Kur sollte. Das war wieder etwas, woran sie sich gar nicht erinnern konnte.
Wir kochten Kaffee und sie hatte eine Erdbeertorte gemacht mit Erdbeeren aus dem Glas. Ich sollte sie in der Speisekammer holen. Auf der Torte waren einige Schimmelflecken, die kratzte ich schnell mit dem Fingernagel ab. Also ihre Back- und Kochkünste waren ihr scheinbar abhanden gekommen.
Nach dem Kaffee, gingen wir auf den Friedhof. Ich hatte das Bedürfnis Vatis und Margots Grab zu besuchen. Das hatte ich mir für jeden Besuch fest vorgenommen. Im Blumenladen kaufte ich für jeden drei rote Rosen. Vati war schon war schon mehr als zwanzig Jahre tot, und bald wollte sie das Grab aufgeben, denn sie wollte nicht in das gleiche Grab. Ich verstand es nicht, er war doch immer gut zu ihr. Ich stellte die Rosen in die Vase auf Vatis Grab und stellte fest, das sie es sehr schön pflegte. Dann ging ich die paar Schritte zum Grab von Margot. Mutti meinte: „Ist das Grab denn noch da? Margot ist doch schon so lange tot.“ Das Grab war noch da und liebevoll gepflegt. Ihre Familie hatte sie noch nicht vergessen.
Für einen kurzen Augenblick sah ich sie vor mir. In meinem Kopf hörte ich sie lachend sagen: „Wenn du mich nirgends finden kannst, dann bin ich hier auf der Bank.“ Und genau hier stand einmal ein Baum und um den Baum war eine Bank gebaut. Ich weinte, wie schon lange nicht mehr. Nun begriff ich Vatis Worte auch. Als ich mich einmal beklagte, dass Margot keinen Augenblick ruhig sitzen bleiben konnte, sagte Vati: „Lass sie nur, sie lebt schneller.“
Auf dem Rückweg flossen immer noch die Tränen. Wir kamen an einem großen Spielplatz vorbei und Hannah und Helena, wollten dort noch ein wenig spielen. Ich fragte Hannah ob sie denn von da aus zur Oma fände. Hannah lachte und erklärte mir den Weg zur Mutti ganz genau. Er war ja auch nicht weit.
Mutti und ich gingen inzwischen nach Hause. Kaum waren wir angekommen, kam Frau Lindemann. Sie hatte von Mutti erfahren, dass ich über Ostern kam, und jetzt wollte sie mich auch gerne sehen. „Kennst Du mich noch?“ , fragte sie. Natürlich erkannte ich sie nicht, am Gesicht sowieso nicht, am Gang hätte ich sie vielleicht erkannt, aber sie war inzwischen gehbehindert. Sie nahm mich in den Arm und sagte: „Ich bins, deine Freundin Frau Lindemann.“ Nun fiel ich ihr um den Hals. „Schade“, fügte sie hinzu, „dass ich ausgerechnet über Ostern verreise, ich hätte gern ein Stündchen mit dir geplaudert.“ Später begleitete ich sie bis zu ihrer Haustür und versprach, bei meinem nächsten Besuch gleich bei ihr zu klingeln. - Als ich nach Jahren wieder kam, war sie leider schon gestorben. -
Ich ging zurück ins Haus, und die Sonne war verschwunden, es war windig geworden und Wolken jagten über den Himmel. Na, das schöne Wetter wird doch jetzt nicht vorbei sein, dachte ich. Mich fröstelte und ich holte meine Strickweste aus dem Gepäck. Hannah und Helena kamen angerannt. „Es fängt an zu regnen“, wussten sie zu berichten. Mutti machte die Heizung an, sie hatte jetzt auch eine Speicherheizung. Dann richteten wir das Abendessen.
Oben in der Wohnung war reges Treiben. Nun wusste ich zwar, dass Tante Anni, die Lieblingsschwester von Mutti da oben wohnte, aber ich dachte sie lebt dort allein. Fragend schaute ich zur Decke. Mutti klärte mich auf: „Tante Anni hat Besuch.“ Gern hätte ich Tante Anni gesehen, aber Mutti sah es nicht gern. Also deckte ich den Tisch. Da klingelte es an der Korridor-Tür. Mutti meinte ich sollte mal nachsehen.
Es war Tante Alma, bei der ich ein paar mal zu Besuch war. Sie hatte einen Bauernhof mitten im Wald. Sie wollte nur guten Tag sagen. Tante Alma war nicht unbedingt meine Lieblingstante so war die Begrüßung auch nicht so herzlich. Anstandshalber begleitete ich sie bis ans Auto, welches auf der Straße auf sie wartete. Da sie ganz in schwarz gekleidet war, wagte ich es nicht, mich nach dem Onkel zu erkundigen.
Später, als wir beim Abendessen saßen, schaute noch eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern zur Küchentür herein. Das musste eine der vielen Töchter von Tante Anni sein. Auch die blieb nicht lange. Ich merkte sehr wohl, dass das Verhältnis zu Muttis Verwandtschaft zerrüttet war.
Nach dem Essen klappte ich für Gudrun das mitgebrachte Bett auf, und wir gingen früh schlafen, denn Mutti machte einen müden Eindruck.
Muttis Schlafzimmer stand noch so da, wie vor 25 Jahren. Es waren Möbeln aus Eiche, mit reichhaltigen Schnitzereien. Ihr Vater hatte es ihr als Mitgift gekauft, dazu 3-teilige Schlaraffia-Matratzen, alles von bester Qualität. Früher sollten die Möbeln ein Leben lang halten.
Sie schlief immer noch in dem gleichen Bett, neben der Küchentür. Helena und ich durften in Vatis Bett schlafen. Ich konnte nicht schlafen. Die Matratzen und das Rost darunter, waren total durch gelegen. Die ganze Nacht lag ich wach im Bett. Zeit genug nachzudenken.
Meine Gedanken gingen zurück in meine Kindheit. Schon früh ließ Mutti mich die ganze Wohnung putzen. Dazu gehörte auch das Elternschlafzimmer. Wenn Mutti dann in den Garten ging, um Gemüse zu ernten, fühlte ich mich sicher. Meinen ganzen Zorn gegen sie, entlud ich dann in ihren Betten. Ich hüpfte und sprang in ihren Betten, bis ich meine Aggressionen abgebaut hatte. Jede vierte Woche musste ich die Matratzen aus den Betten nehmen, und die Betten gründlich putzen. Mit dem Putzen war ich schnell fertig, die übrige Zeit wurde gehüpft. Dabei hat sie mich nie erwischt, aber das Ergebnis konnte ich in dieser Nacht spüren.
Ja Mutti hatte immer an mir etwas auszusetzen. Ich revanchierte mich mit solchen Nicklichkeiten. Jetzt tat sie mir leid, dass sie im Alter in so schlechten Betten schlafen musste. Kurz überlegte ich, ob ich ihr ein neues Bettrost und neue Matratzen kaufen sollte. Dann fiel mir ein, dass ich mein Bett immer pfleglich behandelt hatte, ich wollte ihr vorschlagen das Rost und die Matratzen auszutauschen. So grübelte ich die ganze Nacht. Während alle anderen gut zu schlafen schienen.
Kurz bevor ich am Morgen aufstand, zog ich Bilanz: Die letzte Nacht, zu Hause auf dem Kapellenberg hatte ich schlecht geschlafen, vor Angst morgens zu spät aufzustehen. Die zweite Nacht in Bad Meinberg, hatte ich zwar gut geschlafen, war aber mindestens zehn mal aufs Klo gesprungen. Heute Nacht war die schlechteste, ich hatte gar nicht geschlafen. Zwei Nächte hatte ich noch bis zur Heimfahrt, In der kommenden Nacht, so nahm ich mir vor, wollte ich mit einer Schlaftablette nachhelfen.
Mutti stand als erste auf und ging ins Bad, um sich zu waschen und anzukleiden. Als sie meiner Meinung lange genug dort verbracht hatte, klopfte ich vorsichtig an die Tür, um sie dort abzulösen. Sie war schon gewaschen, stand aber in Unterwäsche im Bad und machte Kniebeugen. Ihre Knochen knackten beängstigend und ich fragte erschrocken: „Was treibst du denn da?“ Sie daraufhin selbstsicher: „Kniebeugen, das siehst du doch, ich mache jeden Morgen zehn.“
Mach das ruhig, dachte ich. Solange ich sie kannte, hatte sie sich angeblich vor Schmerzen nicht bewegen können, jetzt machte sie Kniebeugen, mit ausgestreckten Armen. Sie war schon über 80 Jahre alt. Danach zog sie wieder ein bonbonfarbiges Jackenkleid an, und toupierte ihre Haare. Der rosarote Stich in ihren Haaren, gefiel ihr nicht so gut. "Da hat mir Elfriede die Haare gefärbt, mit einem neuen Mittel aus der Kosmetikfabrik, in der sie in der Forschung arbeitet", erzählte sie mir bereitwillig.
Als kurz darauf Hannah und Helena ins Bad kamen, hätte man es eigentlich, wegen Überfüllung schließen müssen. Aber Mutti ging hinaus, um Kaffee zu kochen. Den brauchte ich jetzt dringender als je zuvor. Der Kaffeeduft zog durch die Etage und wir saßen bald darauf am Frühstückstisch. Den Kindern hatte sie wieder Kakao gekocht, und denen schmeckte es. Sie benahmen sich immer gut bei Tisch und machten mir keine Schande. Mutti reichte mir die Kaffeekanne mit der Warnung, der Kaffee sei nicht so stark, das könnte sie nicht mehr vertragen.
Ich stellte nach dem ersten Schluck fest, das das Gesüff den Namen „Kaffee“ gar nicht verdient hatte. „Muckefuck“ hätte eher als Bezeichnung gepasst. Klaglos trank ich den, mit reichlich Wasser „verlängerten“ Kaffee, und sann nach einer Ausrede schnellstens das Haus zu verlassen um an der nächsten Ecke einen „anständigen“ Kaffee zu kaufen. Je mehr ich daran dachte, um so deutlicher schwebte vor meinen Augen ein Stück Butterkuchen. Ja, Kaffee und Butterkuchen, das würde mir den Tag jetzt retten.
Das mit dem Kaffee trinken in den Bäckereien, war zu der Zeit noch nicht so verbreitet. Ich hatte in der Ringstraße eine etwas größere Bäckerei gesehen, und hoffte nun inbrünstig dort auch einen Kaffee zu bekommen. So fragte ich Mutti, ob es ihr Recht sei, wenn ich jetzt mit den Kindern zum Schlösschen ging. Das kleine Schlösschen in dem kleinen Wald, wo man sich nicht verlaufen konnte. Ich hatte es immer das Märchenschloss genannt und die alte Dame die dort wohnte, war für mich die Märchenfrau. Immer wieder hatte ich sie besucht, und sie wusste die schönsten Märchen, die noch niemand kannte.
Mutti wusste, dass ich das Schlösschen liebte und meinte: „Ja, geht nur, danach gehen wir dann einkaufen.“ „In dem Fall, nehme ich das Auto“, sagte ich. Genau das hatte ich nicht gewollt, denn der Weg zum Schlösschen war nicht weit. Aber genau in eine andere Richtung wie die Bäckerei. Sie würde mir wie früher nachsehen und dann sagen, ich hätte sie belogen, wenn ich in die falsche Richtung loslief. Mit dem Auto konnte ich schnell einen Umweg fahren. Zu Fuß und ohne Kaffee, würde ich den Umweg nicht verkraften. Wir fuhren los, nachdem ich Mutti versprochen hatte, nachher auch noch den Flur zu wischen. Sie mag es schon sehr seltsam gefunden haben, dass ich am frühen Morgen mit den Kindern zum Schlösschen wollte. Aber sie konnte mir keine Vorschriften mehr machen und das tat mir gut.
So fuhr ich zunächst Richtung Schlösschen,bog dann zweimal ab und hielt an der Bäckerei. Draußen war es frisch und ich nahm die Kinder mit hinein. Während ich einen Butterkuchen für mich und 2 Überraschungseier für die Kinder, an den Stehtisch brachte, lief der köstlich duftende Kaffee in die Tasse.
Langsam regten sich die Lebensgeister bei mir wieder.Ich überlegte, wie ich von diesem köstlichen Butterkuchen so viel wie möglich, so frisch wie es ging mit nach Hause nehmen konnte. Die nette Bäckersfrau hatte schließlich ein Einsehen. Morgen, um zehn Uhr durfte ich an der Haustür klingeln. Dann wollte sie ein Blech von dem köstlichen Kuchen in einen, mit Frischhaltefolie ausgelegten Karton, für mich bereit halten. Der Kaffee und die Aussicht auf den Kuchen hatten mich wieder topfit gemacht. Ich bezahlte, und fuhr mit meinen Mädchen zum Schlösschen.
Dort besichtigten wir von außen das halb verfallene Haus und ich erzählte von der Märchenfrau, die die Kinder die Hexe nannten. Die Bank stand noch vor der Tür, und jemand hatte die sauber gemacht. Wir setzten uns darauf und ich erzählte meinen Kindern das Märchen von Mettwürstchen und Mäuschen. Gespannt hörten sie zu. Dann fuhren wir schnell wieder zur Oma, denn es wollte einfach nicht warm werden. Wir hatten nur Strickwesten dabei.
Mutti wartete schon, sie wollte zum Einkaufen. Aber mit dem Auto wollte sie nicht, sie beteuerte: „Ich brauche nicht viel.“ Nicht weit entfernt von ihrem Haus, gab es einen Supermarkt. Sie kaufte wirklich nicht viel, an was ich mich erinnere, waren drei Tafeln Diätschokolade.
Dann wollte sie weiter zum Schlachter. Für das Abendessen kaufte sie Aufschnitt. Ich konnte es nicht lassen ein paar Mettwürstchen für zu Hause einzukaufen. Mutti schaute mich fragend an. „Das gibt es bei uns nicht, und ich habe so großen Appetit darauf.“ Sagte ich zu meiner Entschuldigung.
Eine junge Frau, die auch im Laden war, fragte von wo ich kam. „Ja, die Gegend kenne ich, da schmeckt jede Wurstsorte gleich, das hält da ja kein Mensch aus“ , sagte sie und fügte lachend hinzu: „Wenn ich da wohnen müsste, würde ich glatt Vegetarierin werden.“ In Muttis Blick war ein kleiner Anflug von Mitleid zu erkennen. Nun war es Zeit, dass wir nach Hause gingen, ich hatte ihr doch versprochen den Flur zu wischen.
So nahm ich gleich den Putzeimer, während Mutti dem Eintopf noch den letzten Schliff gab. Sie hatte Schnippelbohnen gekocht, das war von allen Eintopfgerichten mein Lieblingsessen. Hannah war froh, dass es keinen Grünkohl gab, wegen dem Märchen von vorher. Mutti beruhigte sie: „Grünkohl gibt es nur im Winter.“ Ich machte mich an den Flur. Und putzte gründlich, auch unter den Rohrsesseln. Die Treppe von oben putzte Tante Anni. Sie winkte mich heran und flüsterte als sie mich bedauerte. „ Ich wohne hier jetzt ein paar Jahre, und Mutti streitet laufend mit mir. Wie hast du es nur 12 Jahre ausgehalten bei ihr?“ Ich wollte sie noch fragen wie es ihr ging, da kam Mutti über den Korridor.
Schnell machte ich die Haustür auf, und putzte außen die Treppe hinab. „Das Essen ist fertig, kommst du bald?“, fragte Mutti. „Ja gleich“, versprach ich, „ich muss nur noch das Stück zum Hinterausgang.“ Tante Anni ging mit ihrem Putzeimer zum Hinterausgang und wischte für mich das untere Stück. Dann winkte sie mir. Wieder wagte sie nur zu flüstern. Wir machten die Tür zu und wuschen die Putzlappen aus.
„Vorige Woche hat sie behauptet ich hätte ihren Holzrechen gestohlen, dabei habe ich den von zu Hause mitgebracht.“, flüsterte die Tante. Ich flüsterte zurück: „Sie hatte nie einen Holzrechen.“ Tante Anni darauf: „Jetzt hat sie ihn mir weggenommen und versteckt.“ Tante Anni“, sagte ich, „ich habe das alles 12 Jahre mitgemacht, mir hat nie jemand geglaubt oder geholfen. Aber wenn es dich beruhigt, ich glaube dir.“
Meinen Eimer hatte ich ordentlich sauber gemacht und den Putzlappen darüber gehängt. Kurz nahm ich die Tante in den Arm und stellte fest, sie war immer noch eine sehr schöne Frau. Mutti konnte sich herausputzen wie sie wollte, Tante Anni brauchte keine gefärbten Haare und keine pastellfarbigen Kleider, die war von Natur aus schön.
Als ich in die Küche kam, traf mich ein strafender Blick von Mutti. Zu meiner Entschuldigung sagte ich: „Ich mag Tante Anni, mir hat sie nichts getan.“ Gern hätte ich mehr gesagt, aber ich wolle ja vielleicht noch einmal wiederkommen.
Das Essen lobte ich und behauptete: „Deine Schnippelbohnen sind immer noch die besten.“ Sie lachte verlegen und meinte: „Deinetwegen habe ich extra kein Öhrchen mitgekocht.“ Na Gott sei Dank, dachte ich und hörte in meinem Kopf, wie sie die Knochen in ihrem Mund vergewaltigte. Wir räumten den Tisch ab und ich spülte die Teller und die Löffel. Hannah trocknete ab. Dann wollte sie ein Mittagsschläfchen machen. Das war jetzt günstig und ich schlug vor, dass sie sich ausruhen sollte, denn ich konnte in der Zeit mit meinen zwei Mädchen in den Märchenwald nach Melle fahren. Das kam ihr scheinbar sehr gelegen. Ich versprach bis um vier Uhr zurück zu kommen.
Wir fuhren also los, es war nicht weit. Die Straße nach Melle war auch neu, und ich wunderte mich, wie schnell wir da waren. Meine Gedanken gingen zurück. Als junges Mädchen war ich die Strecke einmal mit dem Mofa gefahren. Damals war es heiß, aber ein frischer Wind kam von vorn. Ich muss wohl dem Mund offen gehabt haben. Plötzlich hatte ich etwas im Hals. Nachdem ich geräuspert und gehustet hatte spuckte ich einen gehörigen „Karpfen“ über meine linke Schulter. Dort wurde ich aber gerade von einem jungen Mann überholt.
Er saß auch auf einem Mofa und hatte sein gesteiftes Hemd, vorn offen. Mein „Karpfen“ hing in seinem üppigen Brusthaar, und er war bemüht seine Haare von der Beschmutzung zu befreien. Mein „Karpfen“ hing jetzt an seinen Fingern. Damals konnte ich mich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen. Der junge Mann fand das nicht so toll, deshalb habe ich dann meinen Ausflug abgebrochen und bin wieder zurückgefahren. Zwanzig Jahre muss ich damals gewesen sein, kurz bevor ich mit meiner Freundin zusammen ein Zimmer in Bad Oeynhausen mietete.
Inzwischen fuhr ich auf den Parkplatz beim Märchenwald. Wir waren die einzigen die Gebrauch von dem Platz machten. Erwartungsvoll stiegen wir aus und gingen den Weg hoch, Richtung Kassenhäuschen. Das war verschlossen. Die Eröffnung war erst am ersten Mai und nicht, wie ich glaubte zu Ostern. Trotzdem gingen wir hinein. Aber es war alles so gut aufgeräumt, das man nichts ansehen konnte. Als es dann zu regnen anfing, beschlossen wir umzukehren.
Kurz vor unserer Elsestadt, bog ich ab und hatte vor, mit den Kindern noch das Moor zu besuchen. Die Straße war aber ganz neu, machte einen Bogen und als wir durch einen Tunnel kamen, wusste ich nicht mehr wo ich war. In der Hoffnung irgendetwas bekanntes zu entdecken fuhr ich immer weiter ins Ungewisse.
Hier hatte ich so lange gelebt, und jetzt hatte ich mich verfahren. Ich wendete das Auto, und fuhr die gleiche Strecke zurück bis in die Stadt. Dort suchte ich einen Parkplatz, den ich bestimmte wieder finden würde und ging mit meinen Mädchen die Bahnhofstraße entlang. Die Zeit bis vier Uhr musste ich irgendwie überbrücken. In einem Café, bestellten wir ein großes Eis, obwohl was warmes besser gewesen wäre. Wir ließen uns Zeit und ich versprach den Kindern, morgen aber wirklich einen tollen Ausflug mit ihnen zu machen.
Langsam bummelten wir zurück zum Auto und fuhren zu Mutti.
Sie hatte wieder Kaffee gekocht, und ihrem Erdbeerkuchen auf den Tisch gestellt, der gestern schon Schimmelflecken hatte. Da der Kuchen schon auf dem Tisch stand, machte ich sie darauf aufmerksam, dass da Schimmel darauf war. Also nahm ich ein Messer und entfernte den Schimmel. Sie sah so schlecht, dass sie es nicht gemerkt hatte.
Sie hatte inzwischen auch einen Kühlschrank und ich gab ihr den Rat, den auch zu benutzen. Wir aßen trotzdem alle ein Stück und auch die Kinder meckerten nicht. Nach dem Kaffee kam mein Vetter Helmut der Maler. Ihn kannte ich von früher, mit ihm hatte ich die Wohnung damals renoviert, als ich hinauf ins Dienstmädchen-Zimmer zog. Vati hatte ihn immer „den Pinselmatador“ genannt.
Helmut brachte eine Schüssel Kartoffelsalat. Er war der einzige der noch regelmäßig nach Mutti schaute. Er fuhr sie auch mit dem Auto, wenn es notwendig war. Seine Ähnlichkeit mit Vati war verblüffend. Das war der Grund warum ich ihn gut leiden konnte. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum er es als einziger mit ihr aushielt. Er schaute alle paar Tage nach Mutti. Sie würde es nicht wagen mit ihm zu streiten, denn dann wäre niemand mehr zu ihr gekommen.
Helmut überredete mich mit ihm zum Einkehren zu gehen. Schließlich ließ ich mich darauf ein und ließ Hannah und Helena bei der Oma. Sie hatte ein Spiel, das nannte sie „Stöpselspiel“. Das war im Prinzip wie Halma, nur das Brett, auf dem man spielte hatte Löcher. Das wäre also auch ein tolles Spiel für unterwegs gewesen. Sie spielte also mit den Mädchen und wir gingen in die nächste Kneipe, die war zwei Häuser entfernt. Helmut bestellte ein Bier und ich trank ein Glas Rotwein. Nun erfuhr ich von dem Streit mit Tante Anni und ihren Töchtern.
Helmut hätte die ganze Nacht durch erzählen können. Wenn jemand nach mir fragte, dann würde sie immer behaupten sie wisse nicht wo ich sei. Sie hatte immer noch Angst, dass ihre vielen Schwindeleien aufflogen, die sie über mich verbreitet hatte. Er bat mich doch mal wieder zu kommen. Auch erzählte er, wie sie immer so glücklich war, wenn sie Blumen von mir bekam.
Leicht angesäuselt gingen wir zurück. Mir kam es vor, als ob ich von einem Glas Wein einen Vollrausch hatte. Ich trank selten Alkohol, drum stieg er mir auch gleich in den Kopf. Helmut dagegen hatte mengenmäßig das dreifache. Beim Erzählen hatte ich den Eindruck Vati vor mir zu haben. Er hatte den gleichen Humor und seine trockenen Witze mehrten sich, je mehr Flüssigkeit er aufnahm. Wir lachten noch, als wir in die Stube kamen. Mutti hatte es eilig ins Bett zu kommen und Helmut verabschiedete sich.
Von dem Wein konnte ich gut schlafen, so war ich endlich wieder richtig ausgeruht am Ostermorgen. Noch vor dem Frühstück ging ich Ostereier verstecken. Mutti hatte auch ein wenig für die Kinder. Darunter auch je eine Tafel Diätschokolade. Nach dem Frühstück durften Hannah und Helena die Osternester suchen. Mutti achtete gewissenhaft darauf, dass sie die Seite von Tante Anni nicht betraten. Sie behauptete: „Die Tante mag das nicht, die Hälfte vom Garten gehört der Tante.“ Meine Kinder befolgten die Anweisungen und suchten nur auf der Seite von Oma.
Nachher packte ich unsere Sachen ins Auto, und fuhr zuerst zur Bäckerei um den bestellten Butterkuchen abzuholen. Die Bäckersfrau hatte ihn gut verpackt, und ein paar Stückchen vom Vortag schenkte sie mir, für unterwegs. Wir wollten bis zum Essen bleiben und dann den Rattenfänger besuchen. Helmut kam um elf Uhr und brachte das fertig gekochte Essen. Es gab Rinderbraten.
Nach dem Essen fuhren wir gleich los. Als wir die Weser erreicht hatten fuhr ich schnell zuerst nach Minden um den Kindern den Kaiser Wilhelm zu zeigen und die Schleuse. Gebannt stand Hannah auf der Brücke und schaute die Schleuse an. Genau wie ich vor vielen Jahren, war sie fasziniert von dem System. Ich musste sie mehrmals bitten weiter zukommen, denn wir wollten noch nach Hameln.
Als wir dort auf dem Marktplatz ankamen, schlug es drei Uhr. Ich war mir sicher, dass der Rattenfänger jede Stunde aus dem Turm kam. Aber er kam nicht. Wir warteten eine halbe Stunde, es war zwecklos. Eine Dame berichtete uns, dass der Rattenfänger nur um 12 Uhr mittags mit den Kindern aus dem Turm kam. Ich war enttäuscht. Es wollte aber auch gar nichts klappen. Zum Aufwärmen gingen wir in den Wienerwald. Dort bestellte ich Pommes frites für die Kinder. Anschließend fuhren wir zurück nach Bad Meinberg, wo wir ja ein Zimmer hatten.
Die Pensionswirtin begrüßte uns gleich im Hausflur: „Der Herr Alarich hat angerufen, Sie sollen in sein Hotel kommen, sobald Sie hier ankommen.“Jetzt mussten wir also nach Horb, fragen was der Alarich wollte. Die Kinder machten lange Gesichter, als es jetzt noch zum Alarich ging. Den aber hatten sie nicht gerade liebgewonnen. Ich versprach, dass sie nichts essen mussten und wir bald wieder gehen wollten. Meine Mädchen hatten schon früh gelernt, dass es im Leben nicht immer nach ihrem Willen ging. Somit akzeptierten sie es und stiegen wieder ins Auto ein.
Wir kamen in Bad Horb an und fanden auch gleich einen Parkplatz am Hotel. Ein Page kam auf uns zu geschritten und trieb uns zur Eile an, der Herr Alarich sei schon sehr ungehalten. Ich war mir sicher, heute wollte ich ihm meine Meinung kundtun. Er saß an dem gleichen Tisch wie am Donnerstag. Wir sollten uns setzen. Helena jammerte: „Ich kann aber jetzt nichts essen.“ „Kinder sprechen nur, wenn sie gefragt werden“, polterte Alarich. Hannah grinste unverschämt und Helena rutschte ganz an mich heran.
In dem Augenblick kam seine Gattin und die Dame aus Biberach, mit einem Begleiter. Trotzdem entlud sich über mich ein Donnerwetter. Er musste schon lange auf mich gewartet haben und begann: „ Wieso haben Sie keine Telefon Nummer hinterlassen wenn sie sich aus der Pension entfernt haben? Wieso haben Sie das Zimmer nicht geräumt während sie weg waren? Ich kann doch nicht für ein Zimmer bezahlen, in dem niemand geschlafen hat!“
Seine Vorwürfe wollten kein Ende nehmen. Als er Luft holte, sagte ich: „Gut, dann wünsche ich Ihnen noch eine schöne Nacht, ich fahre mit meinen Kindern jetzt nach Hause.“ „Wie, was? Nach Bad Meinberg?“ fragte er vertaddert. Ich stand auf und nahm meine Kinder und sagte: „Nein, nach Kapellenberg.“ Seine Frau jammerte: „Siehst du, was du jetzt wieder angestellt hast!“ Beide Frauen versuchten mich zu beschwichtigen und wollten doch so gern mit den Kindern noch zum Hermannsdenkmal. Ja das hatte ich mir ja auch vorgenommen. Also ließen wir den „Poltergeist“ sitzen und gingen zu meinem Bus, um den Hermann zu besuchen.
An der Hoteltür gesellte sich noch ein weiterer Herr zu uns, der anscheinend ein Freund von Alarichs Frau war. Ich wollte das gar nicht so genau wissen. Die Kinder rückten zusammen, und es war genügend Platz für alle. Dann fuhren wir hinauf zum Denkmal.
Wir parkten das Auto und stellten fest, dass auf dem Platz immer noch ein Haufen Autos standen, obwohl es jetzt schon nach fünf Uhr war. Ein Stück gingen wir noch den Berg hinauf. Dann stand er vor uns. Die Kinder staunten. Einer der Herren stieg mit den Kindern auf die Aussichtsplattform.
Als sie wieder unten waren, machte ich das, was mich schon als Schülerin so fasziniert hatte. Ich stellte mich mit den Kindern vor das Denkmal und bat sie an der Schwertspitze vorbei die Wolken anzusehen. Nach einer Weile sollten sie den Hermann anschauen. Da war es wieder, es sah aus, als ob er nach vorn herüber kippte. Helena schrie: „Der fällt um!“ Das war genau was ich erwartet hatte, und ich musste lachen.
Am Kiosk kauften die Herren für uns ein paar Andenken und wir machten noch mehrere Fotos. Es wurde immer kälter und wir hatten noch vor, auf der anderen Seite die Externsteine zu besichtigen. Wir kamen auf den Parkplatz und marschierten geschlossen zu meinem Bus. Ich konnte den Bus nicht aufschließen und war kurz vorm Verzweifeln. Noch einmal machte ich einen Versuch und brach den Schlüssel fast ab, dann ging ich verzweifelt um den Bus.
Meine blau-weißen Vorhänge, die Farben an dem Bus, das war doch mein einmaliger Bus. Wie sollte ich jetzt nach Hause kommen? Ich ging noch einmal ums Auto. Das Nummernschild mit KA???? Ich hatte BC am Auto. Dieses war nicht mein Auto! Die Herren hielten Ausschau und da war er mein Bus, in einer anderen Reihe. Diese Autos waren wie Zwillinge, dazu noch die gleichen Vorhänge, und dann noch auf dem gleichen Parkplatz. Reiner Zufall. Ich hatte mir eingebildet, dass mein Bus einmalig war.
Wir lachten noch, als wir auf den Parkplatz bei den Externsteinen fuhren. Meine Mädchen waren ganz begeistert von den riesigen Steinen und als ich sagte, dass man zum einen Stein hinauf, über die Brücke und auf der anderen Seite wieder hinunter konnte, da liefen sie gleich los. Die in den Fels gehauenen Treppenstufen waren feucht und glatt. Ich ging mit, die Stufen hinauf. Hier war Helena die schnellste. Hannah ging vorsichtig, sie hatte Ledersohlen, ich auch.
Als wir oben an der Brücke waren, grauste mir. Ich wollte nicht über die Brücke und auch nicht mehr zurück. Ich war starr vor Höhenangst. Hannah ging es nicht viel besser. Helena war schon in der Mitte der Brücke und lachte. Sie wollte auf jeden Fall, auf der anderen Seite wieder hinab. Hannah und ich krochen rückwärts auf allen Vieren, wie zwei Krebse die Treppe wieder hinunter. Helena erwartete uns unten. Sie war der Held des Tages.
Die Herrschaften von der Gotenbewegung, erklärten uns nun die Geschichte der Steine. Auch den Sinn, des alle vier Jahre stattfindenden Treffens. Hannah hörte interessiert zu. Langsam schlenderten wir wieder zurück zu unserem Bus. Die Frau vom Alarich erklärte, dass um acht Uhr heute Abend der neue Führer gewählt wurde, denn ihr Mann hatte abgedankt. Morgen früh sollte ich um neun Uhr da sein. Damit wir nach Hause fahren konnten. Ihren kauzigen Mann wollte sie später noch „glatt bügeln“. Ich dachte: Auch das werde ich noch überleben. „Morgen“, sagte Hannah, „habe ich Geburtstag.“ Wir fuhren in unsere Pension und schliefen sehr gut.
Am nächsten Morgen hatte nicht nur Hannah Geburtstag, es hatte auch geschneit. Ich hätte weinen können. Nicht nur, weil wir nichts warmes zum Anziehen hatten, sondern ich hatte auch einen Heidenrespekt vor dem Fahren im Schnee. Wir packten alle Sachen zusammen, dann gingen wir zur Frühstücksrunde. Hannah hatte eine Kerze auf ihrem Tisch stehen, Alarichs Gattin hatte die gestern noch bestellt. Alle sangen der Kleinen ein Geburtstagsständchen. Wir frühstückten ausgiebig dann mussten wir Abschied nehmen.
Die Kinder stiegen ins Auto um sich in die Decken zu kuscheln und ich startete den Motor, der nicht laufen wollte. Nach mehrmaligem Versuch fiel mir der Gummihammer ein. Ich fand es lächerlich und klopfte damit auf den Motor. Dann raffte ich mich auf, noch einen Startversuch zu machen. Die Pensionswirtin bot sich an einen Mechaniker zu rufen. „Einmal versuche ichs noch“, sagte ich, drehte den Schlüssel im Zündschloss und das Auto lief. Wir kamen an einer Tankstelle vorbei und ich tankte mein Auto voll. Von Mutti hatte ich beim Abschied 50 Mark bekommen, damit zahlte ich an der Kasse.
Mit meinem Geld war ich gut fertig geworden, was jetzt noch in meinem Geldbeutel war, war nur Kleingeld. Ich hätte auf meinen Mann hören, und mehr Geld einstecken sollen. Wir hielten am Hotel und die Pagen warteten schon mit dem Gepäck. Alarich knurrte: „Können Sie nicht pünktlich sein?“ Als ich erzählte, dass das Auto nicht wollte, meinte er, es wäre doch besser gewesen ein Taxi zu nehmen. „Ja, machen Sie das, nächstes Mal“, antwortete ich. Darauf sagte Alarich: „Für mich war es das letzte Mal.“ - Womit er dann auch Recht hatte. -
Alle stiegen ins Auto, und ich überzeugte mich, ob alle gut saßen und Nachtstuhl und Radio gut versorgt waren. Den Damen reichte ich eine Wolldecke von mir und wir fuhren los. Die Heizung in meinem Bus funktionierte gut und je näher wir an die Autobahn kamen, um so weniger wurde der Schnee.
So kamen wir um die Mittagszeit auf die A7. Da waren wir nach Alarichs Meinung ja schon spät dran. Ich sollte mehr Gas geben, er wollte um fünf Uhr zu Hause sein. Dann müsste er auf den Nachtstuhl. „Warum fahren Sie nicht zum Tanken?“Herrschte er mich an. „Ich werde später tanken“, sagte ich, im Augenblick habe ich noch genügend Sprit.“ Auf was er hinaus wollte war mir klar, wenn der Tank noch fast voll war, wäre die Tankrechnung nicht so hoch. Ich legte ihm meine Rechnung vom Morgen hin und meinte er könnte die ja bezahlen. „Das habe ich nicht bestellt, und das bezahle ich nicht.“ War seine schroffe Antwort. Also würde ich erst kurz vor Ulm tanken. Auf der Autobahn war reger Betrieb.
Massenweise Busse und die Lastwagen sorgten für zähflüssigen Verkehr. Die linke Spur gehörte den Dränglern und Rasern. Immer wieder hetzte Alarich, ich sollte die Lastwägen überholen. Die Bahn war teilweise zweispurig, und durch die Raser war ein Überholvorgang sehr riskant. Kurz bevor ich Richtung Würzburg abbiegen musste, sollte ich unbedingt noch einen LKW überholen. Danach war die Abfahrt Richtung Würzburg vorbei. Wir waren unterwegs, Richtung Frankfurt, oder Stuttgart.
Kaum hatte ich den LKW überholt, da sah er durchs Seitenfenster, dass wir vorbei waren. An ein ständiges Gebruddel hatte ich mich schon gewöhnt. Ich erklärte ihm, dass ich nicht einen LKW überholen kann, und gleichzeitig auch noch nach rechts abbiegen. Er müsste sich vorher überlegen was er denn wollte. Diese Strecke hatte er seinem Wotan nicht mitgeteilt, und deshalb musste ich so schnell wir möglich auf die Straße Richtung Würzburg. Am nächsten Rastplatz fuhr ich von der Autobahn ab und ging in die Tankstelle um mir Rat zu holen. Der erklärte mir genau wie ich wieder auf die richtige Strecke kam.
„Wollen sie denn nicht tanken?“ Drängelte wieder der Alarich. „Nein“, dieses Mal wurde ich deutlicher: „Eine Tankfüllung auf der Hinfahrt und eine auf der Rückfahrt, war ausgemacht, also werde ich tanken, wenn der Tank fast leer ist.“ Seine Frau hatte das verstanden. Wir fuhr ein paar Kurven und waren wieder auf der richtigen Strecke. Ich hatte Hunger und Hannah reichte mir ein belegtes Brot. Beim Frühstück hatten alle für uns Brote gemacht, weil wir noch eine weite Fahrt vor uns hatten.
Helena meinte verkünden zu müssen, dass Hannah Geburtstag hatte. Die Dame aus Biberach sagte: „Ja herzlichen Glückwunsch, dann muß ich dir wohl was schenken.“ Sie machte ihren Geldbeutel auf und holte 10 Mark heraus, die sie der Kleinen nach hinten reichte. Hannah bedankte sich artig. Und da ich hoffte, dass sie uns später zu einer Mahlzeit einladen wollte, bedankte ich mich als Mutter noch einmal. Die Fahrt verlief zügig. Bis wir an die schwäbische Alb kamen.
Da ging nichts mehr. Hinter dem langen Tunnel war Schnee gefallen und hatte die ahnungslosen Autofahrer überrascht. Es war schon vier Uhr, als es weiterging. Und wir hatten noch eine Stunde bis Ulm und von da aus musste ich mit einer weiteren Stunde rechnen bis nach Hause. In Ulm füllte ich meinen Tank, und die Frau von Alarich bezahlte die Tankrechnung. Er quengelte, er musste dringend auf den Topf. Ich schlug vor ihn auf dem Parkplatz auf seinen Nachtstuhl zu setzen. Die Frau jedoch meinte, er könnte es noch gut eine Stunde aushalten.
Nun blieb mir nichts anderes übrig als ordentlich Gas zu geben, damit mir der Alarich nicht das Auto verpestete. In Biberach fuhr ich bei dem Herrenhaus der Dame vor, und der Diener kam angesprungen. Er hatte seit einer Stunde auf die Ankunft seiner Herrin gewartet. Ich wartete vergeblich auf ein Trinkgeld und bekam einen warmen Händedruck. Nachdem ich mich überzeugte, dass sie alles mitgenommen hatte, machte ich die Klappe zu und fuhr das letzte Stück Richtung Heimat. Alarich war ganz ruhig geworden, er rauchte eine Zigarette nach der anderen zwischen drein stöhnte er leise.
Als wir in seinem Dorf ankamen bat seine Frau, schnell aussteigen zu dürfen um die Milch beim Bauern zu holen. Danach fuhren wir vor seine Haustür. Sie schnappte sich ihren Alarich und ich brachte den Nachtstuhl hinterher.
Während er auf dem Stuhl thronte, brachte ich ihr Gepäck in die Stube. Sie lud uns ein, noch etwas zu trinken, aber wir hatte ja nur noch fünf Minuten den Berg hinauf. Ich fuhr rückwärts aus der Einfahrt und streifte einen Zierstrauch. Nun hatte ich zu guter Letzt auch noch ein paar Kratzer an meinem, so gut gepflegten VW-Bus. Zu Hause musste ich nur noch aussteigen, alles andere erledigte Martin für mich.
Wir hatten furchtbaren Hunger und aßen das, war Hannah noch in ihrer Tasche hatte, die Brote vom Frühstück. Dann fiel mir der Butterkuchen ein. Dazu machte ich einen Kaffee. Als Krönung des Tages gab es zu später Stunde Kaffee und Butterkuchen. Mir war es gleich, ob ich danach schlafen konnte oder nicht.
Am nächsten Tag erfuhr mein Mann alle Einzelheiten unserer Reise. Ich brachte den Film zum Entwickeln und am Nachmittag feierten wir Hannahs Geburtstag gebührend, mit Helena, Sarah und Ulla.
Dann rief die Dame aus Biberach an und behauptete, dass ich ihre Wolldecke noch in meinem Auto hätte. Am meisten regte es mich auf, das sie, die im Überfluss lebte einer Wolldecke nachtrauerte. Ich hatte sie wirklich nicht, denn meine Wolldecken waren alle gleich braun-beige, und nicht blau-grün. Sie wies mich an, mein Auto noch einmal genau zu durchforschen. Die Arbeit konnte ich mir sparen.
Der Nachmittag verging und als wir abends beim Essen saßen, rief Helmut an, der Maler. Er könnte es ja nicht glauben, aber die Mutti behauptete dass ihr Sparbuch, seit unserer Abreise verschwunden sei. Dabei hätte mir Mutti doch 50 Mark geschenkt. Langsam fühlte ich mich, als ob die alten Zeiten wieder aufgetaucht waren. Einer warf wir vor, eine Decke gestohlen zu haben, der nächste behauptet ich hatte das Sparbuch geklaut. Ich sagte zu meinem Vetter: „Das Sparbuch habe ich nicht! Sag der Mutti, dass ich sie nie wieder besuchen werde!“ Dann legte ich den Hörer auf, und war stinke-sauer.
Mein Mann sah meinen Unmut und fragte: „Und? Hast du es?“ Von ihm hatte ich mehr Vertrauen erwartet. Da nahm ich meine Tasse und warf sie haarscharf an seinem Kopf vorbei an die Wand. Martin, dem immer schon das nötige Feingefühl fehlte, warf seine Tasse hinterher und dazu auch noch den Teller. Die Kinder glaubten jetzt sei Polterabend und machte es nach. Helmut, der wie meistens auch da war, schrie uns an: „Aufhören!“
Helmut hörte zu wie ich erzählte, dass ich immer beschuldigt worden war, etwas gestohlen zu haben. Und das ich einmal das Geld aus dem Versteck von Mutti genommen hatte, was meine Tanten mir geschenkt hatten. Damals hatte ich mir Schmuck gekauft, sie hatten mir alles wieder abgenommen und in das Geschäft zurückgebracht. Außer die Ohrringe, die hat sie mir fast aus dem Ohr gerissen. Seitdem trage ich fast keinen Schmuck mehr. "Ich bilde mir ein, dass Schmuck unglücklich macht. Als ich das erste Mal geheiratet habe, kauften wir Eheringe. Dieses Mal habe ich darauf verzichtet."
Helmut meinte: „Vergessen Sie es, das wird sich von selbst aufklären.“
Helena lernte Fahrradfahren und bekam hinten auf das Fahrrad einen Korb. Da sah man sie jetzt mit Katzen und Ziegen umherfahren.
Die Dame von Biberach rief an, ihre Decke hatte sie im Hotel vergessen, sie war ihr mit der Post nachgeschickt worden. Helmut, der Pinsel-Matador hatte Muttis Wohnung auf den Kopf gestellt und das Sparbuch gefunden. Jetzt könnte ich ja mal wieder zu Besuch kommen, meinte er. Aber das konnte dauern. Die Sache musste ich erst verarbeiten. Ich überlegte lange ob ich ihr, ihren Muttertagsstrauß schicken wollte oder nicht. Den Strauß schickte ich ihr, obwohl ich gekränkt war. Jedoch nachtragend war ich eigentlich nicht.
Wir blieben noch ein paar Jahre auf unseren kleinen Farm. Dann kauften wir ein kleines Haus und zogen dort hinein. Viel zu schnell wurden meine Kinder erwachsen. Sie lernten einen Beruf und eines nach dem anderen zog aus, um eine eigene Familie zu gründen.
Mutti besuchten wir noch zweimal. Dann fuhr ich mit Helena und Bernd zu ihrer Beerdigung. Sie starb mit 103 Jahren.
Bildmaterialien: Cover: eigenes Foto mein Enkel mit Häschen
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2013
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