Fast zwei Jahre blieb ich in Ludwigsburg. Dort arbeitete ich als Serviererin. Zwischendurch besuchte ich meine Kinder in Griechenland. Inzwischen waren meine Kinder auch wieder bei mir, und sorgten dafür, dass ich immer wieder Schwierigkeiten hatte. Dann kam Stefan von seinem Wehrdienst zurück, und brachte unser Leben wieder vollkommen durcheinander.
Zusammen mit meinen zwei kleinen Kindern landete ich in dem Dorf, in dem mein Vater gewohnt hatte. Weil er sehr beliebt war, überließ mir eine Bauersfrau ein altes Fachwerkhaus, welches schon lange nicht mehr bewohnt war. Da ich nur wenig erspartes Geld hatte, durfte ich auf den Feldern die Miete abarbeiten.
Die Bäuerin warnte uns, ihren Mann nicht zu belästigen, denn er könnte keine Kinder leiden. Daran wollten wir uns halten.
Tina sprach schon wieder ganz schön deutsch, während Heinz sich keine Mühe gab, und immer und überall nur griechisch sprach.
Das Haus hatte mehrere Zimmer, Strom und ein WC, nur das Wasser holten wir in einem Brunnen. In Griechenland hatten wir das einfache Leben kennen gelernt, somit kamen wir auch hier bestens zurecht.
Wir hatten eine friedliche Zeit, bis Stefan plötzlich auftauchte.
Völlig durchgefroren ging ich über den Marktplatz. In den Häusern wurden gerade die ersten Lichter angezündet. Meinen Koffer konnte ich kaum noch tragen, so kalt waren meine Finger.
Zu der Zeit trugen die Frauen noch Röcke oder Kleider. Ich hatte einen pflegeleichten Plisseerock an, wegen der langen Bahnfahrt, eine Jacke aber keine Strümpfe. Als ich in Griechenland in den Zug stieg, war es warm. Woher sollte ich wissen, dass hier noch Winter war.
Meine Füße gingen automatisch dahin, wo ich zuletzt gewohnt hatte. Es war lächerlich zu glauben, dass mein Zimmer noch frei war. Jetzt stand ich vor dem Haus. Die Haustür war offen und ich setzte mich auf die Treppe im Flur. Hier schneite es wenigstens nicht.
Ich wartete und es dauerte eine Ewigkeit, bis sich im Hause etwas regte. Von ganz oben kamen schließlich zwei Griechen die Treppe herab gesprungen, an mir vorbei. Sie schienen zum Zug zu rennen. Dann regte sich etwas in der Hausmeisterwohnung. Die Frau kam nach einer Weile aus ihrer Wohnungstür, um aufs Klo zu gehen. Sie kannte mich noch und nahm mich anschließend mit in ihre Wohnung.
Freundinnen waren wir keine, sie war es die den Pullover nicht bezahlen wollte, den ich für ihr Kind gestrickt hatte. Aber sie gab mir warme Socken und eine Tasse Kaffee.
Sie wusste nicht, ob im Haus noch etwas frei war. Wenn ihr Mann käme, wollte sie ihn fragen. Nun erklärte ich ihr, dass ich nachher zu meiner alten Arbeitsstelle gehen wollte, um dort wieder zu arbeiten.
"Ja gut, aber da müssen Sie zuerst eine Wohnung haben, sich anmelden und eine Steuerkarte holen. Sonst wird das nichts“, klärte sie mich auf.
Langsam fühlte ich meine Finger wieder, und meine Füße und Beine waren zu meiner Verwunderung auch wieder zum Leben erwacht.
Frau Tutta legte mir eine Decke aufs Sofa und ich sollte mich zuerst mal ausschlafen. Denn ihr Mann war zur Nachtschicht und noch nicht zurück.
Ich schlief etwa zwei Stunden.Als ich aufwachte, kochte Frau Tutta Spaghetti mit Fenchelgemüse. Ihr Mann war inzwischen auch angekommen und nachdem ich am Essen teilnehmen durfte, gab er mir einen Schlüssel. Er hatte die Anmeldung für mich schon fertig gemacht und ich sollte nur noch unterschreiben. Damit sollte ich zur Stadtverwaltung gehen und mich anmelden. Danach konnte ich dann auch die Steuerkarte bekommen.
Ich wollte das Zimmer sehen, aber Herr Tutta schlug vor, dass ich erst meine Anmeldung erledigte. Er wollte mich sogar mit seinem Auto fahren, seine Freundlichkeit war mir unheimlich.
Also ging ich zu Fuß zum Rathaus und fuhr auch gleich zu meiner alten Arbeitsstätte. "Ich hatte ihnen doch versprochen, dass sie wieder kommen dürfen“, sagte die Abteilungsleiterin. Sie teilte mich gleich zur Frühschicht ein. "Fangen Sie gleich nach Ostern an“, bemerkte sie. "Ostern? Das war doch schon," erlaubte ich mir zu sagen. Sie nahm den Kalender und zeigte auf die rot eingezeichneten Feiertage.
Mir war es ein Rätsel, wie ich solange mit meinem wenigen Geld auskommen wollte. Strümpfe hatte ich mir auch schon gekauft. Ich fuhr enttäuscht zurück. Eine Fahrkarte musste ich ja auch kaufen, wenn ich täglich zur Arbeit wollte. Denn jeden Tag eine Einzelkarte, würde zu teuer werden. Vorsichtig klingelte ich wieder bei Frau Tutta. "Wo waren Sie denn so lange?", wollte sie wissen. "Ich habe meine Arbeitsstelle wieder“, antwortete ich.
Sie hatte schon die Anzeigen in der Zeitung durchgelesen und mir einiges angestrichen. Da war eine Wirtschaft ganz in der Nähe, die suchten eine Aushilfe zum Putzen für morgens, bei guter Bezahlung. Dahin ging ich sofort, denn wenigstens bis nach Ostern wollte ich das machen. Dann hätte ich etwas Geld für die Fahrkarte.
Natürlich bekam ich die Putzstelle zwei Stunden von sechs bis acht Uhr. Um acht Uhr würde die Wirtschaft aufgemacht dann käme der Chef und ich bekäme täglich zehn Mark.
Ich war zufrieden und kam zurück zur Hausmeisterwohnung. Jetzt wollte ich mein Zimmer sehen. Herr Tutta zögerte etwas, dann nahm er den Schlüssel und ging mit mir die Treppen hinauf. Ganz oben waren lauter winzige Zimmer unter der Dachschräge. Darin stand ein Bett und das war alles, mehr hätte auch nicht in das Zimmer gepasst. Im Flur war ein Waschbecken, für alle. Und eine Reihe Metall-Spinde, wo kein Schloss mehr da war. Eines sollte mir gehören.
Mir grauste bei dem Anblick. Dafür sollte ich fünfundzwanzig Mark bezahlen. Einer der asozialen Bewohner der Bretterbuden, kam über den Flur und verkündete lauthals, was ich in dem Zimmer machen dürfte und was nicht. Alles was ich tun würde, könnte der Nachbar genau hören. Außer schlafen war also nichts erlaubt. Hier konnte ich es nicht lange aushalten, dachte ich.
Ich ging noch einmal mit in die Hausmeisterwohnung, um meinen Koffer zu holen. Herr Tutta holte eine Flasche italienischen Wein und drei Gläser. Seiner Frau passte das nicht. Trotzdem trank ich ein Glas Wein mit und fragte, wo sie denn ihr Kind gelassen hatten. "Das ist in Italien bei meinen Eltern“, erzählte Herr Tutta, "meine Frau wird morgen für ein paar Wochen das Kind besuchen." Dabei schaute er mich so lüstern an, dass ich es vorzog in meine Bude hinauf zu gehen.
Herr Tutta wollte meinen Koffer hinauf tragen, aber ich duldete es nicht. "Wenn meine Frau morgen weg ist, dann kannst du bei mir schlafen“, raunte er mir zu. Widerlicher Kerl, dachte ich. Die ganze Nacht grübelte ich, wie ich aus diesem Loch heraus kam.
Der Wecker klingelte um halb sechs, und schon hämmerten die Nachbarn an die Wand. Ich wollte mich waschen, und es liefen schon zwei Männer auf dem Flur herum. Also zog ich mich an, ich würde Katzenwäsche machen und Zähne putzen, mehr war nicht möglich. Andauernd lief jemand aufs Klo, für mich gab es keine andere Möglichkeit, als unten das Klo im Flur zu benutzen. Jeder beschwerte sich, dass ich den Wecker benutzt hatte. Ich verschloss meine Tür und steckte das Steckschloss in das Schlüsselloch.
Dann ging ich die Wirtschaft zu putzen. Der Kochlehrling machte mir auf und zeigte mir, wo ich das Putzzeug fand. Er lachte und war froh, dass ich da war, sonst hätte er die Gaststube putzen müssen.
Wenigstens einer, der sich freute. Der Lehrling putzte in der Küche und hatte Musik an, die durch alle Räume schallte. Da machte das Putzen richtig Spaß. Als ich fertig war, und die Wirtschaft glänzte, kam er mit einer Tasse Kaffee und einem Brötchen. Ich konnte nicht anders als ihm mein Leid zu klagen. Zuerst lachte er über die Zustände dann schrieb er mir einen Namen auf einen Zettel.
Sein Arbeitskollege hatte seine Lehre beendet und einen Job in der Schweiz bekommen. Sein Zimmer sei sicherlich noch frei, denn der war gestern noch nicht abgereist. Es würde allerdings fünfundvierzig Mark kosten.
"Das kann ich abschreiben," sagte ich, woher sollte ich das Geld so schnell nehmen? "Der Monat hat schon angefangen, da wollen die keinen ganzen Monat mehr." Er versprach, in der Pause, sie sei von zwei bis drei Uhr, mit zu kommen. Er glaubte, dass sein Arbeitskollege bestimmt den Monat bezahlt hatte. Er hatte ihn oft besucht und kannte daher die Leute im Haus. Da sei es, wie in einer großen Familie, betonte er.
Er gab mir trotzdem den Zettel mit und ich las, es war wenige Häuser entfernt von dem, wo ich jetzt war. Von außen schaute ich mir das Haus an, und fand es sah sehr wohnlich aus. Es war ein großes Zweifamilienhaus, gepflegt und sauber und an der Haustür waren nur zwei Briefkästen. Daraus schloss ich: Das hier war keine Massenunterkunft, es stellte sich nur die Frage, ob sie mich wollten. Etwas beklemmt war ich schon, denn es gab massenhaft Leute, die ein Zimmer suchten. Vor allem solche, die "Geldgeschenke" machten.
Nicht weit von dem Haus, war eine Ruhebank unter mehreren Bäumen. Da würde ich auf den Kochlehrling warten, denn in mein Zimmer wollte ich jetzt auf gar keinem Fall. Ich war froh, dass ich die Bude im Dachgeschoss noch nicht bezahlt hatte, das Geld hätte ich ja nie zurück bekommen.
Mir wurde kalt, und ich zog es vor, jetzt doch ein wenig herumzulaufen. Langsam durfte es in Deutschland auch Frühling werden, denn ich hatte keine Wintersachen mitgebracht. Im nächsten Winter, wollte ich ja wieder bei meinen Kindern sein.
Bei dem Gedanken kamen mir die Tränen. Was Tina wohl dachte, wartete sie möglicher weise immer noch darauf, dass ich aus der Stadt zurück kam? Verstohlen holte ich mein Taschentuch aus der Tasche und putzte mir die Tränen ab.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis es endlich zwei Uhr war. Pünktlich war ich an der Wirtschaft und der junge Mann kam aus der Seitentür. "Hast Du schon gegessen?" fragte er lachend. "Ne ich habe ja keine Kochgelegenheit, und die zehn Mark von heute Morgen, kann ich ja nicht gleich verputzen." "Na dann komm mal mit, „ forderte er mich auf.
Er war wie ein Sonnenstrahl, und ich hatte den Eindruck, dass es ihm noch nie schlecht gegangen war. Er zog mich in ein Restaurant, wo er zwei mal Abo, für je drei Mark bestellte. Das Essen war gut und reichlich, und ich nahm mir vor, das Essen selbst zu bezahlen. Nach dem Essen bestellte er noch Kaffee. "Den kannst du dir ja auch nicht kochen“, stellte er fest. Als ich meinen Geldbeutel hervor holte, sagte er: "Kommt gar nicht in Frage."
Danach gingen wir los, nach dem Zimmer schauen. Eine sehr nette Frau öffnete die Tür als wir geklingelt hatten. Da sie den Kochlehrling kannte, bat sie uns ins Haus. Der junge Koch war heute Mittag abgereist, und die Putzfrau war noch nicht da. Danach könnte ich das Zimmer beziehen, es sei denn, ich hätte Zeit, es selbst sauber zu machen.
Und ob ich Zeit hatte. Ich putzte das Zimmer, den Korridor, und die Treppe bis hinunter vor die Haustür. Das gefiel meiner neuen Hauswirtin. Als ich das Putzzeug ablieferte, gab sie mir frische Bettwäsche und einen Haustürschlüssel und meinte: "Dann holen Sie mal ihre Sachen, das Zimmer ist übrigens für diesen Monat, noch von ihrem Vorgänger bezahlt. Er hat bei seiner Abreise gesagt: der Rest Miete ist für die Putzfrau."
Als ich in das andere Haus schlich, um meinen Koffer vom Dachgeschoss zu holen, kam wie durch Zufall, Herr Tutta aus seiner Wohnung. "Ach Du kannst in meiner Wohnung warten, bis ich von der Nachtschicht komme." Bot er mir hinterlistig an. "Nein danke, ich habe was besseres gefunden“, sagte ich schnippisch. "Ach ich habe noch was für Dich“, versuchte er mich zu locken. "Dann bring es, ich habe keine Zeit, „ war meine Antwort.
Er kam mit einem Pack Schallplatten, die ich als meine erkannte. "Da ist ein Paket gekommen als du in Griechenland warst. Es war auch ein Brief dabei, den hat meine Frau gelesen und weggeworfen," verriet er unsicher. Ich schaute die Platten an, es war höchstens die Hälfte von meiner Sammlung. "Und wo ist der Plattenspieler?" wollte ich jetzt wissen. Schnell antwortete er: "Da war keiner dabei." Er log, wusste ich, Waltraud hatte mir doch nach Griechenland geschrieben, dass sie alles an meine alte Adresse geschickt hatte. Aber ich rechnete schon damit, dass ich das Paket nicht bekommen würde.
Mit den Platten ging ich nach oben und holte meinen Koffer aus der Bretterbude. Alle versammelten sich auf dem Flur und glotzten mich an. Den Schlüssel von dem scheußlichen Zimmer, warf ich dem Hausmeister in seinen Briefkasten. Zum Glück hatte er keine Ahnung, dass ich ganz in der Nähe wohnte.
Manchmal hatte ich Glück, dachte ich bei mir und schloss die Haustür auf. Mein Zimmer war im ersten Stock im Flur. Gegenüber war ein kleiner Waschraum mit Toilette nur für mich. Dann war da noch eine Tür, die zu einer Wohnung führte, genauso wie im unteren Stock. Mein Zimmer war nicht verschlossen, und ich ging hinein.
Außer einem schönen Bett, hatte ich einen Tisch, zwei Stühle, einen 3-flügeligen Schrank mit Spiegel. Der Raum hatte ein schönes großes Fenster und ein Eckregal. Ich konnte es nicht fassen, es war sogar eine richtige Heizung unter dem Fenster, die war tatsächlich warm.
Endlich konnte ich meine Kleidung wieder aufhängen. Dinge, die sonst selbstverständlich waren, rührten mich zu Tränen. Meine wenigen Sachen waren schnell versorgt. Dann brachte ich mein kärgliches Waschzeug in den Waschraum. Heute würde ich mich noch in aller Ruhe gründlich waschen, nahm ich mir vor, denn mein Körper hatte es bitter nötig.
Ich musste nicht lange überlegen, und startete sofort die Aktion "Körperreinigung". mit frischer Wäsche unter dem Arm ging ich über den Flur in mein eigenes WC. Bei der Wohnungstür schaute ein junger Mann heraus. Als er sah, dass ich ins WC ging, sagte er: "Ich wollte gerade zu Ihnen, aber ich komme später noch schnell vorbei. Übrigens wenn sie mal baden möchten, dann kommen Sie einfach zu uns ins Bad."
"Danke“, entgegnete ich freundlich, "vielleicht ein anderes Mal." Durch meinen Kopf schoss der Gedanke: Ist das auch so ein Lustmolch wie der Tutta? Da werde ich auf jeden Fall nachher die Tür abschließen.
Der Wasserhahn hatte warmes und kaltes Wasser. Kaum zu glauben! Es kam auch warmes Wasser. Da konnte ich ja sogar meine Haare waschen!
Ich war sicherlich dreißig Minuten damit beschäftigt, allen Schmutz von mir abzuwaschen. Ja, das mit dem Bad war gar nicht so übel. Allein dafür, hätte sich die Fahrt von Griechenland nach Deutschland gelohnt.
Frisch und sauber wie schon lange nicht mehr, kam ich wieder über den Flur in mein Zimmer. Heute Nacht würde ich wie eine Königin schlafen, in dem frisch duftendem Bett. Schnell zog ich mein Nachthemd an, und wollte gerade ins Bett gehen, da klopfte es an der Tür.
Der Lustmolch, dachte ich und hatte schon einen derben Spruch auf Lager. Jetzt, da ich wieder sauber war, kam auch mein Selbstbewusstsein zurück. Also öffnete ich die Tür.
Da stand er wieder: Groß, schlank und blonde Locken. Ich holte Luft und wollte gerade loslegen, da begann er: "Wir sind ihre Nachbarn, meine Frau, und meine zwei Kinder." Jetzt sah ich die Frau und die Kinder, nette Leute dachte ich. Wir müssen ihnen noch was zeigen. Er machte seine Korridortür auf und zeigte auf einen großen Kühlschrank. "Den können Sie auch benutzen, die Korridortür ist nie verschlossen." berichtete er. "Also Türknauf drehen, und hineingehen, wenn sie nicht klingeln, stören Sie auch niemanden.
“Verwirrt fragte ich: "Stört es sie wenn mein Wecker um viertel nach fünf klingelt?" "Nein„, lachte er, "neben ihrem Zimmer ist die Küche, da schläft niemand. Wenn Sie sonst noch irgendetwas brauchen, fragen Sie einfach meine Frau." Die junge Frau entschuldigte sich für die Störung. Sie sah, dass ich müde war. Fast hätte ich vergessen mich zu bedanken, so überrascht war ich von dem Besuch. Wir wünschten uns gegenseitig "Gute Nacht“, und ich fiel todmüde ins Bett.
Als der Wecker klingelte, hatte ich noch nicht ausgeschlafen. Jetzt musste ich mich anziehen und zu meiner Putzstelle gehen, denn das war für mich wichtig. Später wollte ich mich zuerst ummelden und dann wieder ins Bett gehen. Irgendwann würde ich schon ausgeschlafen haben. Es musste wohl von der Zeitumstellung sein, denn Deutschland lag zwei Stunden in der Zeit zurück. Als ich damals in Griechenland ankam, war ich auch so müde. Nur damals konnte ich ausschlafen, was mir hier fehlte.
Draußen war es immer noch so kalt und bis ich in das Gasthaus kam, war ich dann doch wach. Jetzt kannte ich mich aus und ging gleich durch den Seiteneingang. Mein neuer "Freund" begrüßte mich in der Küche und weil er wusste, dass ich keinen Kaffee machen konnte, bekam ich gleich einen von ihm. Dazu ein Brötchen, wie gestern. "Dein Kaffee ist göttlich“, lobte ich ihn. "Ja Kaffee kann ich schon kochen“, sagte er belustigt.
Ich putzte die Wirtschaft und fand sogar zwei Mark. Heute war ich viel zu früh fertig, da nahm ich mir noch die Türen vor und wusch die gründlich ab. Die Türen waren ja die Arbeit der Serviererinnen, aber die würden sich freuen, wenn sie mal gründlich sauber waren, meinte der Chef. Er war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. "Morgen ist Karfreitag“, sagte er, "Wenn Sie möchten, können Sie zu Hause bleiben." "Wenn sie geöffnet haben, komme ich gern“, kam es spontan von mir. "Gut“, meinte er, "dann haben sie am Montag frei, da ist Ruhetag." Er zahlte mir meine zehn Mark aus und ich ging, meinen Putzeimer wegräumen.
Mein Freund stand an der Tür zu seiner Küche und fragte: "Hat alles geklappt?" "Ja alles bestens." Als ich das sagte, muss ich wohl gelächelt haben. "Du kannst ja schon wieder lachen“, jubelte er. Dann hatte er wieder einen Zettel für mich. "Geh mal dahin, die brauchen Saisonkräfte fürs Café im Park. Dann hättest du es nicht weit, und verdienen kannst du da auch gut."
Einen Augenblick überlegte ich, meine alte Arbeitsstelle war ja schon gut aber der Verdienst war schlecht. Da würde ich immer nebenher noch arbeiten müssen. Ich wollte auf jeden Fall dort hingehen. Als ich zur Tür hinaus ging, dachte ich, ist der Koch, oder ist er ein Engel?
Ich ging am Rathaus vorbei und holte mir eine Ummeldung. Dann ging ich ein paar Kleinigkeiten einkaufen. ein wenig zum Essen, einen Tauchsieder, mit passendem Topf, Kaffee und Haarshampoo. Nachher tat es mir leid, so viel Geld ausgegeben zu haben. In meinem Zimmer füllte ich mein Formular aus, soweit ich konnte, nahm meinen Pass mit, und klingelte bei dem Hauswirt. Er musste noch ein paar Zeilen einfügen und unterschreiben. Meinen Pass wollte er nicht sehen.
Nun musste ich wieder aufs Rathaus. Stefan hätte das alles in der halben Zeit erledigt, bei dem Tempo das er ständig vorlegte. Ich hatte Zeit, außer schlafen hatte ich heute nichts vor. Meine Ummeldung war schnell erledigt, und ich ging in die nächste Seitenstraße. Sofort fiel mir das Café auf. Über der Tür stand "Tanzcafé". Zögerlich öffnete ich die schwere Glastür.
Das Café war elegant und purer Luxus. Am Klavier saß ein Musiker und spielte: "Und mein Zug fährt durch die Nacht.“
Ich fühlte mich wie eine Maus, die Richtung Mausefalle schleicht. Die Leute in ihren Sesseln drehten ihre Köpfe zu mir. Die Kellnerin kam und fragte, ob sie mir helfen könnte. Da streckte ich ihr meinen Zettel hin und sagte: "Ich glaube, ich bin hier nicht richtig." "Doch, doch", die Serviererin bat mich an einen Tisch, und schob mir den Sessel zurecht. "Trinken Sie eine Tasse Kaffee?" fragte sie freundlich. Na dachte ich ob ich die hier zahlen kann? Also nickte ich ängstlich.
Sie kam mit einer Tasse Kaffee und einer Butterbrezel. Das Tablett stellte sie auf meinen Platz und sagte: "Das ist von der Chefin, sie kommt bald zu Ihnen." Alle Augen im Café waren auf mich gerichtet und ich gab mir Mühe, mich korrekt zu benehmen.
Nebenbei schaute ich mich um. Die Wände schienen auch seidene Tapeten zu haben, wie in dem Café in Bielefeld, in dem ich einmal mit Frau Lindemann war. Mit passender Kleidung konnte sich der Gast hier sicher wohlfühlen. An einer Tür, stand in goldenen Buchstaben "Privat". Die Tür öffnete sich und eine große, schlanke, sehr elegante Dame kam herein. Neben ihr ein kleiner Hund.
Zu kleinen Hunden hatte ich noch nie einen guten Draht. Das Fräulein, das mir den Kaffee serviert hatte, nickte in meine Richtung und die Dame kam auf meinen Tisch zu. Sie begrüßte mich freundlich und legte ein paar Kleinigkeiten auf den Platz neben mir. Es war ein Schlüsselbund, eine Schachtel Zigaretten und ein edles Feuerzeug. Dann bat sich mich noch um ein klein wenig Geduld, und ging ihre Gäste zu begrüßen.
Mir war ganz schlecht, vor lauter Angst. Würde sie auch noch freundlich zu mir sein, wenn sie wusste, was ich von ihr wollte? Sie kam schon wieder in meine Richtung. Graziös bewegte sie sich mit ihren hohen Absätzen, und dem ganz auf Figur geschneidertem Kleid. Kaum saß sie neben mir, brachte die Bedienung eine Frühstücksplatte und eine Kanne Kaffee. "Sie machen mir doch die Freude und frühstücken mit mir?", fragte sie mich mit einem strahlenden Lächeln. Mir war es peinlich, ich hatte ja schon eine Tasse Kaffee bekommen. "Na kommen Sie, etwas geht schon noch!" forderte sie mich auf.
Wie lange hatte ich schon keine richtige Butter mehr gegessen, frische Wurst und Schnittkäse von Kühen. Für mich gab es zwei Möglichkeiten, entweder ich aß etwas, oder ich fing an zu heulen. Schon landete ein halbes fertig belegtes Brötchen auf meinem Teller. Kaffee hatte sie auch eingeschenkt, gerade wollte sie mir Zucker in die Tasse werfen, da hielt ich meine Hand über die Tasse. "Na endlich, „ sagte sie "sie wissen ja was sie wollen, keinen Zucker!" Dann schob sie mir Milch zu.
Während sie das nächste Brötchen schmierte, fragte sie, wo ich denn zur Zeit arbeitete. Ich erzählte ihr von meiner Arbeit und vom Akkord wo ich schlechte Verdienstmöglichkeiten hatte. Von meinem täglichem Putzjob und von dem Koch, der mir ein Zimmer besorgt hatte.
Nun sei ich gekommen, um wegen der Saisonstelle zu fragen, im Schlosspark. "Ja gut“, kam es nachdenklich von ihr, "aber wir machen nicht vor Mai auf. Was machen Sie bis dahin?" "Weiter Spulen wickeln." war meine Antwort. "Nein, das machen Sie nicht!" kam es entsetzt von ihr. "Dann sind Sie verhungert bis ich Sie im Park brauche." Sie machte mir jetzt einen Plan. Bei meiner Firma sollte ich meine Steuerkarte abholen, die konnte ich dann zu ihr bringen.
Solange das Café im Schlosspark nicht offen hätte, soll ich täglich bei ihr Geschirr spülen. Sie hätte keine Spülmaschine, da sie nur gutes Porzellan hatte. Dazu wollte sie mich ordnungsgemäß anmelden, denn ich brauchte ja auch eine Krankenversicherung. Sie munterte mich auf, gleich meine Steuerkarte zu holen, denn morgen sei Karfreitag dann hätten alle zu. Wir sehen uns dann am Samstag um elf Uhr?" Sie drückte mir herzlich die Hand und machte wieder eine Runde von Tisch zu Tisch. Der Hund wich nicht von ihrer Seite.
Nach dem Kaffee zog ich meine Kinder um, und gab das geborgte Taufkleid und den Anzug, den Heinz getragen hatte zurück. Spät abends kam Stefan auch heim, er versicherte wunderbar gefeiert zu haben. Zwar hatte er ein wenig getrunken, aber ich konnte nicht behaupten, dass er betrunken war. Er war besonders freundlich und ging auch am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Jede Woche einmal backte ich Plätzchen. Wenn wir sonntags eine Kerze anzündeten, sangen wir Weihnachtslieder und aßen einen kleinen Teller voll von den Plätzchen. Ach, die Kinder freuten sich so auf das Fest und Tina fragte nach dem Weihnachtsbaum vom vorigen Jahr, ob wir den auch wieder aufstellten. „Ja, Tina, natürlich,“ versprach ich ihr.
Am Nikolaustag kam der Nikolaus zu den Kindern, die Nachbarin hatte ihn zu uns geschickt. Stefan sagte nichts dazu. Der Nachbar hatte ihm erklärt, dass man Familienfeste mit der eigenen Familie feiert. Er versprach sich zu bessern, komisch nur, dass ich die einzige war, die das nicht glaubte. Immer wenn er so freundlich war, passierte bald darauf etwas.
Gern hätte ich den Kindern etwas zu Weihnachten gekauft, aber Stefan hatte etwas gegen Geschenke. Ein paar süße Sachen, das sei genug, meinte er. So feierten wir Weihnachten ohne Geschenke und ich las den Kindern aus meinem dicken Märchenbuch vor. Da waren sie auch glücklich. Als ich später allein mit Lena in der Stube war, musste ich weinen, denn ich hatte mir das Fest so schön vorgestellt.
Stefan kam noch einmal ins Zimmer und fragte: „Wann schläfst du mal wieder in meinem Bett?“ „Wenn Lena nachts durchschläft“, gab ich ihm zur Antwort. So gingen auch die Weihnachtstage vorbei und wir mussten wieder zur Arbeit. In einer Nacht schlief Lena so schlecht und war die ganze Nacht am schreien, kann sein, sie bekam den ersten Zahn. Am Morgen dann war ich so müde, dass ich sagte: „Heute lege ich mich noch einmal ins Bett, ich bin tot-müde“ „Mach das“, sagte Stefan, „soll ich dann heute Mittag nicht zum Essen kommen?“ „Bis dahin bin ich lange auf, komm ruhig, ich habe Essen von gestern.“ Gab ich ihm zur Antwort.
Ich war ganz leise, um die Kinder nicht zu wecken und legte mich noch einmal schlafen. Es dauerte keine fünf Minuten, da war ich schon eingeschlafen. Tina und Heinz kamen aus dem Schlafzimmer und schauten zu mir ins Bett. Nun musste ich doch schon wieder aufstehen, die Kinder anzuziehen und ihnen Frühstück zu machen. Dann durften sie in der Stube spielen und ich bat sie nicht so laut zu sein. Sie gaben sich wirklich Mühe mich nicht zu wecken und ich schlief wunderbar. Plötzlich weckte mich Heinz: „Mama schnell, die Tina will dem Baby die Haare abschneiden.“ Vor Schreck sprang ich aus dem Bett und in diesem Augenblick fielen große Strähnen Haare auf den Fußboden. Sie hatten mir, da wo sie heran kamen die Haare abgeschnitten. Heinz hatte die Schere in der Hand, schob aber die Schuld auf Tina. Tina sah furchtbar aus, auch sie hatte einen neuen Haarschnitt. Bei Heinz fehlten nur an der Stirn ein paar Haare und Lena war unversehrt. Ich rannte zum Spiegel unmöglich, ein Teil der Haare waren noch lang ein Teil kurz.
Bei Hendichs auf dem Hof wohnte eine Familie. Die älteste Tochter machte eine Lehre als Friseurin. Ich passte den Briefträger ab, und bat ihn dem Mädchen zu erzählen was passiert war. Es war Montag und das Mädchen hatte frei. Er sollte sie bitten zu kommen, um alles ein wenig gerade zu schneiden. Bis zum Mittagessen war sie noch nicht da und Stefan wollte sich kaputt lachen über unsere Frisuren. Er wollte wissen wer das war. Heinz schob die Schuld auf Tina, und Tina behauptete sie sei es nicht gewesen. Ich sagte: „Eigentlich ist es auch egal wer es war, die Haare sind ab.“
Nach dem Essen kam das Mädchen und bemühte sich redlich aus den vorgeschnittenen Haaren, eine einigermaßen passable Frisur zu zaubern. Sie war ja schließlich noch Lehrling. Ich war ihr für ihre Arbeit dankbar. Meine Haare waren sogar ganz schön geworden. Nur die viel zu kurz abgeschnittenen Ponys der Kinder, die konnte sie auch nicht mehr retten. Als ich um vier zur Arbeit ging, kam mir ein Kollege im Gang entgegen und bemerkte: „Steht ihnen gut, die neue Frisur.“
Eine Woche später war Silvester. Unsere Nachbarin wollte gerne dass wir gemeinsam ins Neue Jahr feierten. Jeder machte etwas für das Silvester-Essen. Stefan passte das überhaupt nicht. Langsam fing er an mit ihnen zu streiten. Sie waren in seinen Augen schlechte Leute, weil sie nicht arbeitete und eine Bier-Verkaufsstelle hatte, wo fremde Männer sich eine Flasche Bier kauften oder auch zwei. Das gehörte sich nicht in seinen Augen. Trotzdem hatten wir einen ganz netten Abend. Der Mann hatte ein paar Raketen gekauft, die wollte er um Mitternacht zünden. Unsere Kinder hielten nicht durch bis 12 Uhr, sie wollten ins Bett.
Um Mitternacht war alles was in dem Dorf wohnte auf den Straßen vor ihren Häusern und zündeten Raketen. Ich ging auch mit vor die Tür und schaute mir das Feuerwerk an. Da zog Stefan plötzlich eine Pistole aus seiner Tasche und schoss damit ein paar mal in die Luft. Ich hatte gar keine Ahnung dass er so etwas hatte, aber er behauptete das sei keine richtige Pistole. Bei den umher stehenden Männern und Jugendlichen gab er an und zeigte das Teil jedem. Damit wollte ich nichts zu tun haben und ging ins Haus meine Küche aufräumen. Von nun an hatte ich richtig Angst vor ihm.
Weil das Wetter am Neujahrstag so schön war, ging ich mit den Kinder spazieren. Stefan war wieder in Vlotho und mich zog es zu Papas Grab. Er hatte Lena noch nicht gesehen und ich musste sie ihm zeigen. Tina fand das auch sehr wichtig, nur Heinz meinte: „Da ist es immer so langweilig.“ Da stand ich nun und klagte ihm still mein Leid.
Passend zu meiner Gemütsverfassung schob sich eine Wolke vor die Sonne. Wir machten noch einen kleine Umweg und gingen bei meinem Bruder vorbei, ihm und seiner Frau wünschte ich ein schönes neues Jahr. „Hast du geweint?“ fragte Hans. Ich sagte beschämt: „Ja, ich war auf dem Friedhof.“ Hans belächelte mich und fragte ironisch: „Und hast du Papa auch ein schönes neues Jahr gewünscht? Mensch Anneliese, der hört dich nicht mehr, der ist schon längst verfault.“ Ich hatte genug für heute, nahm meine Kinder und ging heim.
Den Ofen in der Stube heizte ich auch Hochtouren, denn das Wetter wurde langsam ungemütlich. Dann setzten wir uns alle auf mein Bett, und deckten uns mit einer Wolldecke zu. Heinz rief: „Au ja, Märchenstunde.“ Wir nahmen auch Lena in die Mitte, und die Kinder durften wählen welches Märchen heute an der Reihe sein sollte. Die Kinder hingen gespannt an meinen Lippen. Wie liebte ich solche Stunden! Abends verdarb uns nicht einmal Stefan die gute Laune.
Seit Neujahr sprachen die Vermieter nicht mehr mit uns, nicht einmal die Kinder durften zu Spielen zu ihren Buben. Ich überlegte was ich wohl falsch gemacht hatte. Einmal hörte ich Stefan auf dem Hof mit dem jungen Mann streiten. Er drückte sich ungefähr so aus: Ich bin ein kluger Mann und lasse mir von dummen Leuten nichts erklären. Vielleicht ging es um die Arbeit, ich fragte nicht. Am Ende bekam ich mit, dass wir im Frühjahr ausziehen sollten.
Jetzt wusste ich ja Bescheid, und ich fragte nicht nach. Nun würde ich mich auch nicht wundern, wenn wieder plötzlich ein Lastwagen vor dem Haus stand. Auf der Arbeit hielt ich Augen und Ohren offen, aber es war alles wie immer, Stefan stand täglich an seinem Arbeitsplatz.
Das Gesprächsthema in der Fabrik war ein Türke, er hatte seine letzten Arbeitstage und sollte groß verabschiedet werden, denn er ging in Rente. An dem Tag wollte er mit seiner Familie zurück in die Türkei und hatte alles für seine Abreise vorbereitet. Sie wollten mit dem Flugzeug heim fliegen. Die türkischen Gastarbeiter flogen seit kurzem vorwiegend mit dem Flugzeug, denn das ging schneller und war nicht so anstrengend als die lange Zugfahrt. Der Mann freute sich so auf die Heimat und alle hörten zu, wie er von der Türkei schwärmte. Dann war sein letzter Arbeitstag und um die Feierabendzeit wollten alle Kollegen und die Meister ihm ein Abschiedsgeschenk überreichen alles war geplant, Da passierte etwas unfassbares. Er brach zusammen und verstarb auf der Stelle.
Die Betriebsleitung kümmerte sich rührend um die Familie und sorgte dafür dass sie ihren Familienvater in einem Zinksarg mitnehmen konnten. Meine Gedanken beschäftigten sich einige Tage damit. Der Türke war sehr nett, warum traf es ihn? ….................?
Es vergingen wenige Tage und beim Mittagessen verkündete Stefan:“ „Packst du ein paar Sachen für die Kinder, und bringst die Kinder morgen nach Griechenland.“ Mir fiel vor Schreck der Löffel aus der Hand. „Du kommst dann sofort wieder zurück, bis Dienstag hast du Urlaub und am Mittwochabend musst du wieder zur Arbeit.
Ich versuchte das Unglück abzuwenden und sagte triumphierend: „Ich kann die Kinder gar nicht mitnehmen sie stehen ja nicht in meinem Pass. Überhaupt Lena, die steht nirgends im Pass.“ Er grinste hinterlistig und verriet mir nun: „“Ich habe alles ganz genau vorbereitet. Die Kinder reisen mit meinem griechischen Pass, den kannst du mitnehmen, ich habe ja noch einen Deutschen.“ Dann legte er alles auf den Tisch, den Pass, in dem auch Lena stand, das Geld für zwei mal Visa, und die Fahrkarte mit Fahrplan, ab hier.
"Nein nein," wehrte ich mich, "ich will meine Kinder nicht wieder nach Griechenland bringen." Seine Ader auf der Stirn war schon wieder da, und ich ging ein Stück zurück.
Er fuhr mich schroff an: „Wir undankbar bist du, ich arbeite wochenlang daran, dass du eine sorglose Reise hast, du musst nur in den Zug einsteigen.“ Ich beherrschte mich ruhig zu bleiben: „Es geht nicht um die Fahrt, ich möchte meine Kinder jeden Tag sehen und will nicht, dass sie wieder nach Griechenland gehen.“ „Fang nicht schon wieder an mich zu ärgern, du musst jetzt endlich zur Arbeit gehen und Geld verdienen. Wenn die Kinder weg sind, kannst du den ganzen Tag arbeiten.“ Dann fügte er noch hinzu: „Wir fahren die Kinder besuchen, sooft du willst.“
Es war zwecklos dagegen zu arbeiten. Er hatte wieder die Ader auf der Stirn und konnte jeden Moment zuschlagen. Schweren Herzens machte ich was er wollte und packte den Koffer für die Kinder.
Für mich brauchte ich nicht viel, da reichte meine Einkaufstasche. Weil ich die ganze Wohnung mit Tränen übersäte, fragte Tina: „Warum weinst du denn?“ Sie wollte mir ein Märchen erzählen, aber mir war nicht danach. Mir kam aber die Idee das Buch mitzunehmen für unterwegs, das würde den Kindern die lange Zugfahrt verkürzen. Stefan redete auf Heinz ein: „Du darfst wieder zu deinem Opa und deinem Pferd den Kitscho.“ Das wirkte und Heinz freute sich auf das Pferd. Na ja, bei den Kinder klappte es noch mit seinen Versprechungen. Die ganze Nacht richtete ich für die Reise. Wir brauchten etwas zum Essen und vor allem Lena brauchte das Fläschchen. Ich musste Wasser abkochen und in Thermosflaschen abfüllen, denn ich hatte keine Ahnung ob ich die Möglichkeit hatte im Zug ein Fläschchen zu machen. Zur Sicherheit nahm ich auch mein meinen geheimen Geldbeutel mit. Tina, Heinz und ich brauchten auch unterwegs etwas zum Essen. Ganz früh ging es los, und wir musste einige Male umsteigen, bis wir in den Zug von Amsterdam einstiegen.
Der Zug war längst nicht mehr so überfüllt, als noch vor ein paar Jahren. Wir fanden ein Abteil nur für uns. Immer wenn jemand in unser Abteil wollte, schreckten ihn die drei Kinder ab. So blieben wir dann auch allein.
Seit so viele Gastarbeiter mit ihren Autos in Urlaub fuhren, und einige sogar das Flugzeug nahmen, war die Fahrt im Zug richtig angenehm geworden. Das Service Personal kam regelmäßig, Ich hatte sogar die Möglichkeit heißes Wasser für Lenas Fläschchen zu bestellen. Auch die Putzfrau kam regelmäßig. Die Kinder genossen es ganz allein mit mir zu sein. Wir lasen „Nils Holgersson“ Die Kleinen hörten gespannt zu. Mir kam es vor, dass der Zug auch schneller geworden war. Wir kamen schon mittags in Thessaloniki an. Da bekamen wir auch gleich den Anschlusszug. Als wir in unserem Dorf den Zug verließen, wurden wir von mehreren Neugierigen zum Haus der Großeltern begleitet. Die Begrüßung war nicht freundlich. Niemand erwartete uns und niemand wollte uns. Meine Schwiegereltern sagten klar und deutlich: „Wir wollen die Kinder nicht!“ Damit hatte ich zwar nicht gerechnet, aber ich war so froh darüber, ließ mir aber nichts merken. Ich bat mir einen Brief für Stefan mitzugeben, denn er würde mir das nicht glauben. Meinem Schwiegervater erzählte ich, dass er so jähzornig sei und mich oftmals schlug. Er konnte es ja nicht glauben, aber gab zu, dass Stefan schon immer so leicht aus der Rolle fiel, wenn es nicht nach seinem Kopf ging. Ich versicherte ihm, dass ich mich beim nächsten Mal scheiden lassen würde. Er war erstaunt, denn in Griechenland waren es die Männer, die sich scheiden ließen. Meine Schwiegereltern waren schon in Ordnung und den Vorfall mit dem Geld, den erwähnte ich nicht mehr.
Im Haus hatten sie jetzt Strom und Wasser, aber sonst hatte sich nichts geändert. Die Mädchen waren jetzt auf der Uni und der Bruder mit seiner Familie wohnte immer noch da. Wir durften uns ausschlafen um am nächsten Tag wieder zurück zu fahren. Den Brief von Stefans Vater hatte ich schon in der Tasche. In unserem Zimmer war fast alles, wie es vorher war, sogar das Kinderbett stand noch aufgebaut dort. Ich wollte bei der Gelegenheit meinen Schnellkochtopf mitnehmen, den konnte ich nicht finden. Aber meine geschickte Handmühle zum Kartoffeln schneiden der reiben, die war noch im Schreibtisch. Natürlich würde ich die nicht hier lassen. Genau schaute ich noch einmal alles durch und fand zwei weiße Bettbezüge. Daran fehlte es mir immer. Jetzt wo Stefan auch da war, konnte ich nur bei gutem Wetter waschen und die gewaschene Wäsche abends wieder beziehen.
Morgens hatten wir es eilig, denn der Zug fuhr früher als sonst. Es schien so, als ob sich langsam hier eine gewisse Regelmäßigkeit eingespielt hatte. Aber das alles übertönende Grammophon spielte noch genau so laut und den ganzen Tag. Der Opa ging mit Heinz zum Pferd und wir waren reisefertig. Meine Schwiegereltern begleiteten uns zum Zug und halfen mir die Kinder, den Kinderwagen und den Koffer einzuladen. Die Oma fragte noch zum Schluss, ob ich jetzt traurig sei, dass sie die Kinder nicht dort behielten. Ich sagte nur: „meine Kinder habe ich gern bei mir.“ Als wir in Thessaloniki im Fernzug saßen, dachte ich: Glück muss man haben.
Ich war so dankbar mit meinen Kindern zusammen auf dem Rückweg zu sein. Nie zuvor war die Zugfahrt für mich so angenehm. Den Kinder las ich aus unserem Buch vor und hin und wieder schliefen wir ein paar Stunden. Erst als wir über die Grenze nach Deutschland kamen, fiel mir Stefan ein und ich bekam ein mulmiges Gefühl. Aber ich hatte ja den Brief, und auf die Wirkung verließ ich mich. In Frankfurt musste ich umsteigen. Die Gelegenheit nutzte ich die Räume des „Roten Kreuzes“ aufzusuchen. Dort wurde Lena gebadet, gefüttert und gewickelt. Ich hatte sie zwar im Zug auch immer gewickelt und gefüttert, aber zum Waschen war keine Gelegenheit. Ihr Popo war schon ganz rot. Dadurch verpasste ich zwar den Zug, den Stefan mir aufgeschrieben hatte, aber das war mir gleichgültig. Mir brachte man Kaffee und die Kinder bekamen Kakao.
Der Schalterbeamte stellte mir einen neuen Fahrplan zusammen, und ich nahm die Hilfe des Bahnhofpersonals in Anspruch und ließ mich zu meinem Zug begleiten. Warum hatte ich das nicht schon früher mal gemacht. Immer hatte ich mich allein abgequält. Bis Bielefeld konnte ich durchfahren, dann musste ich noch dreimal umsteigen. Den Kindern merkte man die Anstrengungen der Reise nicht an, aber ich war total erledigt.
Zögernd holte ich meinen Haustürschlüssel aus der Tasche und schloss die Haustür auf. Wir gingen hinein und Stefan war nicht da. Ich hatte ja schon Angst gehabt, dass er das Bett in der Stube schon abgebaut hatte. Aber es war alles, wie ich es verlassen hatte, auch die ungemachten Betten. Den Brief, legte ich auf den Tisch, dann brachte ich die Kinder ins Bett. Lena schlief so schön, die wollte ich dann später füttern. Da ich mich halb verhungert fühlte, suchte ich zuerst nach etwas Essbarem. Ich machte mir ein paar Spiegeleier. Danach fühlte ich mich wieder besser. Als Stefan spät nach Hause kam, merkte er nicht gleich dass ich die Kinder wieder mitgebracht hatte. Erst als er den Brief las, fragte er ungläubig ob ich wirklich die Kinder wieder da hatte.
Er schaute nach den schlafenden Kindern und schüttelte immer noch ungläubig den Kopf. Dass seine Eltern gegen ihn gewesen waren, konnte er nicht fassen.
Ich war froh, als er endlich ins Bett ging, ich konnte mich ja kaum noch auf den Beinen halten. Lena schlief lange und als sie Hunger hatte, war die Nacht schon fast herum. Als Stefan aufstand stellte ich mich schlafend und ließ ihn sein Frühstück selber machen. Er schnitt sich ein ein Stück Brot ab, mehr konnte ich nicht hören. Dann verließ er das Haus.
Heinz wurde als erster wach, er stand auf und suchte Kitscho, das Pferd. Ich dachte, er wäre gern in Griechenland geblieben. Wenn wir bei Hendrichs geblieben wären, hätte er im Traum nicht daran gedacht. Hier war es wirklich nicht schön, die Kinder hatten wenig Möglichkeit sich draußen unbeschwert zu bewegen. Soviel ich mitbekommen hatte, mussten wir ja bald umziehen. Stefan hatte kein Wort erwähnt, um die Wahrheit zu erfahren, wollte ich die Vermieterin fragen.
Es dauerte nicht lange, da war auch Tina wach und bei uns war alles wieder normal. Ich machte das Essen, heizte die Stube und erzählte nebenbei Geschichten. Nachher packte ich den Koffer wieder aus. Stefan kam zum Mittagessen. Er erklärte mir, dass er in den nächsten Tagen noch viel zu regeln hätte. Vielleicht handelte es sich da um seinen Sportverein, in dem er glaubte die wichtigste Person zu sein, es kann ja sein, dass er es auch war. „Ich will aber dass du nach der Arbeit zuerst nach Hause gehst, damit die Kinder nicht so lange allein sind.“ verlangte ich. „Ja bis um sechs bin ich hier, dann kommst du ja auch bald. Das war also geregelt, hoffentlich hielt er auch sein Versprechen.
Von unserer Vermieterin erfuhr ich dass wir zum ersten März ausziehen mussten. Wann er mir das wohl sagen wollte, fragte ich mich. Die kommenden Tage verliefen betont friedlich. Tagsüber freute ich mich über meine Kinder, und abends ging ich zur Arbeit. Es vergingen ungefähr acht Tage, da kam Stefan mit einer neuen Fahrkarte und Visa. Wieder war alles vorbereitet. Nein noch einmal die Fahrt, das wollte ich nicht machen. „Ja aber dieses mal werden meine Eltern die Kinder nehmen, ich habe alles geregelt.“ Ich hoffte, dass es nicht stimmte, denn irgendwann musste ihn ja mal das Geld ausgehen. Nun begann ich Ansprüche zu stellen. Für unsere Verpflegung verlangte ich genügend Geld, um im Zug das Essen kommen zu lassen. Dazu für jedes mal Umsteigen, Trinkgeld für einen Helfer. Ja, und einen Tag wollte ich mindestens in Thessaloniki bleiben ich, Da würde ich seine Schwestern besuchen. „Nein Anne das geht nicht, soviel Geld kannst du nicht ausgeben“, jammerte er. „Na gut, dann ist es besser du fährst selbst“, schlug ich vor. Er lächelte verächtlich und meinte: „Wie dumm du doch bist. Ich verdiene viel mehr wie du, da kann ich nicht einfach wegfahren.“
Als ich letztes Mal unterwegs war, hatte ich für mich und die Kinder fast fünfzig Mark ausgegeben. Dabei war ich noch sehr sparsam gewesen. So billig sollte er nicht davon kommen. Im Stillen war ich mir sicher, dass ich die Kinder wieder zurückbrachte, denn so schnell konnten doch seine Eltern ihre Meinung nicht ändern. Deshalb nahm ich alles nicht so ernst, und schaute es als eine Vergnügungsreise an. Ja ich machte ihm sogar Vorwürfe, dass er keinen Schlafwagen gebucht hatte. Also das fand er jetzt übertrieben, denn die Sitze im Zug seien alle zum Ausziehen und man konnte dort gut schlafen. Er trieb mich an, ich sollte packen, denn morgen ginge es früh los. Nun hätte ich ja gern vorher noch gewaschen, jetzt musste ich viel schmutzige Wäsche einpacken. „Lass die schmutzigen Sachen hier, die schicke ich später mit der Post. Das fand ich in Ordnung, denn die Kinder mit schmutziger Wäsche wegzubringen hätte mir nicht gefallen. Für seine Mutter steckte er 100.-- Mark in einen Briefumschlag, sie sollte für die Kinder Sachen kaufen. Mir gab er fünfzig Mark für unterwegs. Dann rückte er wieder seine griechischen Pass heraus, und den steckte ich in die Reisetaschen. Es gab damals schon Windeln zum Wegwerfen, die aber mit den Pampas von heute nicht zu vergleichen waren. Bei unserem ersten Aufenthalt musste ich die am Bahnhof kaufen. Als ich dann abends im Bett lag, überkam mich die Sorge, dass seine Eltern vielleicht die Kinder nun doch behalten möchten. Sie hatten aber so deutlich „nein“ gesagt, so glaubte ich fest daran, dass sie dabei blieben. Lena war in der Nacht unruhig, und ich nahm sie in mein Bett und hielt sie die ganze Nacht in meinem Arm. Um Vier Uhr musste ich aufstehen und richtete zuerst mich und dann die Kinder. Danach frühstückten wir noch einmal alle zusammen und Tina fragte: „Hast du das Märchenbuch dabei?“ Nein, das hatte ich vergessen. Ich packte es in meine Tasche, und Tina war zufrieden.
Die Kinder hatten langsam Übung was Zugfahren und Umsteigen betraf. Die Kofferträger auf den Bahnhöfen freuten sich, wenn sie statt Koffer zwei Kinder an den Zug bringen durften. Den Kinderwagen schob ich selbst und an den Treppen ließ ich mir helfen. Ich quälte mich nicht mehr ab. Wir erwischten ein sehr schönes Abteil für uns allein und richteten und gemütlich ein. Dieses Mal hatte ich eine Wolldecke mitgenommen, da ich ja weniger Kinderkleidung hatte. Aber die Sommersachen hatte ich alle dabei, denn es war ja jetzt schon warm in Griechenland. In Frankfurt hatte ich Windeln für Lena gekauft und eine große Dose Babynahrung.
Jedes Mal wenn wir an eine Grenze kamen, wollten die Zöllner in meinen Koffer sehen, weil sie im Pass gemerkt hatten dass ich vor wenigen Tagen die gleiche Strecke gefahren war. Sie schauten ganz genau auch die Taschen durch, und konnten nicht glauben, dass ich nichts schmuggelte. Inzwischen war ich so abgebrüht, dass ich auf den Koffer zeigte, wer hinein schauen wollte sollte ihn herunter holen. Danach zeigte ich mit dem Finger hinauf und sie mussten ihn widerwillig zurück stellen.
Zu den Mahlzeiten ließen wir uns das Essen bringen und nachts zogen wir die Sitze aus um zu schlafen. So kamen wir gut ausgeruht in Thessaloniki an. Am Bahnhof trafen wir jemanden der uns erkannte, aus dem Dorf. Er half bereitwillig die Kinder und den Koffer in den Zug zu heben.
In Herson war wie immer das gleiche Bild, viele Neugierige am Bahnhof, dazu die dröhnende Musik aus dem Lautsprecher. Wir gingen geradewegs zum Haus meiner Schwiegereltern. Das Haus war offen, aber es war niemand darin. Heinz rannte sofort in den Stall um Kitscho zu besuchen. Die Oma war dabei den Kuhstall sauber zu machen. Sie war aber bald fertig und kam mit Heinz ins Haus. Ich sollte die Kinder in ihr Zimmer bringen und die Sachen dazu. Dann nahm sie die kleine Lena aus dem Wagen und trug sie auf dem Arm durch die Wohnung. Ich merkte, Stefan hatte sie sicherlich mit Geld bestochen. Woher er bloß immer das Geld nahm? Ja, er verdiente ganz gut und gab nichts davon her. Da musste sich schon einiges angesammelt haben.
Abends kam dann für mich die Ernüchterung, sie wollten die Kinder jetzt tatsächlich dort behalten. Mein Kreislauf sackte vor Schreck ab. Ich musste mich eine Weile hinsetzen. Das hieß für mich, nur eine Nacht noch zusammen mit meinen Kindern. Dann würde ich Abschied nehmen müssen. Der Abschied fiel mir so schwer, er tat richtig weh. Noch einmal schlief ich mit Tina und Heinz im Bett und hielt sie fest im Arm. Die halbe Nacht weinte ich leise auf die Köpfe meiner Kinder.
Am Nächsten Morgen richtete ich mich für die Heimfahrt und tröstest mich damit, dass Stefan versprochen hatte, ich dürfte die Kinder so oft besuchen wie ich wollte. Hoffentlich hielt er sein Versprechen.
Als ich dann mit den Kindern frühstückte, bat ich Tina, weil sie die älteste war, den Kindern immer wieder von mir zu erzählen und die deutsche Sprache nicht zu verlernen. Ich versprach ihr, bald wieder zu kommen. Niemand sollte mich zum Zug begleiten, ich ging weinend zum Bahnhof.
In Thessaloniki besuchte ich Sophia und Ireni die in Studenten-Wohnheim wohnten. Ich musste fast durch die ganze Stadt. Die Zimmer teilten sich mehrere Mädchen, sie hatten nicht viel Platz für sich. Ireni schwänzte gleich die Vorlesung um sich mit mir zu beschäftigen. Später kam auch Sophia. Gemeinsam gingen wir durch die Stadt. Ich liebte die breite Straße mit den Geschäften auf beiden Seiten. Von hinten wehte ein kräftiger Seewind. Ireni hatte die Haare offen und sie flatterten immer vor ihrem Gesicht. Dazu kam, dass ich furchtbare Bauchschmerzen hatte. Wahrscheinlich hatte ich vom vielen Vorlesen zu viel Luft geschluckt. Ich hatte Blähungen. Leise machte ich mir nach und nach Luft und der Wind trieb meine Blähungen immer vor uns her. So dauerte es nicht lange bis Sophia böse wurde und schimpfte: "Was ist heute los in dieser Stadt, die ganze Straße stinkt." Zwar wußte ich genau woher der Gestank kam, aber ich verriet es nicht. Sophia spendierte noch einen Kaffee, gleich neben dem Bahnhof. Dann kam mein Zug, ich stieg ein, und es ging wieder zurück nach Deutschland.
Unterwegs hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. In meinem Abteil saß ein älterer Mann der scheinbar ein Türke war. Er konnte kein Deutsch und ich kein Türkisch, so war unsere Unterhaltung kärglich. Das kam mir gerade recht, denn ich hatte keine Lust mich zu unterhalten. In Belgrad nahm er sein Gepäck und ging in ein anderes Abteil. Danach stiegen mehrmals Pendler ein, die an der nächsten Haltestelle wieder ausstiegen. In Deutschland füllte sich der Zug, es waren Reisende zur Frankfurter Messe. Als ich dann mehrmals umsteigen musste, stellte ich fest, dass ich noch nie mit so wenig Gepäck, von einem Zug zum anderen geeilt war. Ich hatte nur eine kleine Reisetasche und die war nicht schwer. Am späten Nachmittag kam ich zu Hause an und kam in die einsame Wohnung. Die Kinder fehlten mir, ohne sie war es langweilig, in dem ohnehin dunklem Haus. Der Ofen war aus, und ich zog es vor gleich zur Arbeit zu gehen.
Als ich durch die große Halle ging, sah ich Stefan an seiner Arbeit. Er schien sehr konzentriert und sah mich nicht als ich in das Werkstattbüro ging. Nach einigen Minuten ging ich wieder zurück und die Treppe hinauf zum nächsten Büro. Das war hoch über der Halle und ich sah wie ein Kollege ihn an stupste und zu mir hinauf zeigte. Bald darauf erschien er unten an der Treppe und fragte: „Bist du allein zurück gekommen?“ Ich antwortete nur mit „ja“ und ging weiter zur Buchhaltung.
Einer der jungen Buchhalter brachte immer Strümpfe aus einer Strumpffabrik. Er fragte mich ob ich auch ein Paket wollte. Ich kaufte ein Paket für fünf Mark, denn Strümpfe waren damals noch teuer. Zuerst putzte ich die Büros, dann machte ich das Päckchen auf und schaute was darin war. Es war wie eine Wundertüte, man wusste nie was man bekam. Da waren lauter einzelne Strümpfe, ich sortierte sie und hatte mehr als zehn Paar die zusammen passten. Meiner Meinung nach hatte ich gut eingekauft.
Als ich nach Hause kam, war Stefan schon wieder dabei, das Haus zu verlassen. Er hatte sich verabredet, weil ich doch gesagt hätte ich wollte einen Tag bei seinen Schwestern bleiben, so hatte er erst morgen mit mir gerechnet. „Ich war bei deinen Schwestern aber die wohnen so eng, da mochte ich nicht über Nacht bleiben.“ Er hatte den Ofen angemacht und Spaghetti gekocht. Der Rest vom Essen war nicht viel, aber für mich reichte es. Im Schrank war auch nichts besseres mehr. Morgen wollte ich sowieso nach Vlotho fahren bei der Zigarrenfabrik vorbei gehen, vielleicht konnten sie mich dort gebrauchen. Auf dem Rückweg konnte ich dann einkaufen. Stefan schaute in das Paket und fragte was das gekostet hatte. „Gib mir mal fünf Paar, ich mache damit ein gutes Geschäft“, versprach er. Die Strümpfe verpackte ich paarweise und schrieb die Größe auf die Tüte.
Am nächsten Morgen legte mir Stefan zehn Mark auf den Tisch und bemerkte: „Kaufst du noch mal zwei Pakete, die lassen sich gut verkaufen.“ Nach einer Weile fragte er: „Guckst du heute nach Arbeit?“ „Vielleicht“, gab ich ihm zur Antwort, „jedenfalls fahre ich heute nach Vlotho. Übrigens, muss ich jetzt eine neue Wohnung suchen? Ich habe gehört wir müssen raus hier.“ „Das habe ich schon geregelt,“ sagte er beiläufig. „Unsere Firma richtet das Haus von Hendrichs und wenn die fertig sind können wir umziehen.“ Es war mir zwar ein Rätsel wie er das hin gedreht hatte, aber jetzt wusste ich Bescheid.
Zuerst machte ich Feuer im Herd, dann konnte ich in Ruhe Kaffee trinken. Ich stellte den Waschkessel auf den Ofen und füllte ihn mit Kochwäsche. Die viele Wäsche der Kinder, trieben mir wieder die Tränen in die Augen. Ach, ob sie mich schon vergessen hatten?. Bei Kindern geht das immer so schnell. Aber ich war mir sicher die Oma würde sie gut versorgen. Dort konnten sie im ganzen Dorf spielen, während hier vor dem Haus die Straße vorbeiführte. Der Briefträger riss mich aus meinen Gedanken. Er brachte das Geld, was ich monatlich von Jens bekam. „Waren Sie verreist?“ fragte er, „ich habe das Geld für sie aufbewahrt.“ Er war wohl der einzige der meinen Mann durchschaut hatte, und wusste wenn er das Geld annimmt, dann ist es weg. Der Postbote war zwar neugierig, aber sehr liebenswert.
Mit dem Bus fuhr ich nach Vlotho um nach einer Arbeitsstelle zu schauen. Als erstes ging ich zur Zigarrenfabrik. Meine Kolleginnen winkte und fragten: “Kommst du wieder?“ „Wenn euer Meister mich brauchen kann“, gab ich zur Antwort. Der Meister wusste, dass ich anpassungsfähig war und stellte mich wieder ein. Ich hätte sogar gleich bleiben können, aber ich versprach morgen früh um sieben anzufangen. Die Frauen freuten sich, weil ich immer so witzig war. Sie hatten das schon vermisst. Es konnte ja keiner wissen, dass mir der Spaß inzwischen vergangen war.
Auf dem Heimweg stieg ich beim Konsum aus dem Bus, ich musste einiges einkaufen. Dieses Mal wollte ich nicht wieder den schweren Karton heim schleppen, ich würde mir Zeit lassen und mit dem nächsten Bus weiter fahren. Wie immer hatte ich einen Einkaufszettel, denn ich hatte die Angewohnheit das Wichtigste zu vergessen. Als ich danach bezahlen wollte, fragte ich ob es sein könnte, dass ich bei meinem letzten Einkauf nicht bezahlt hatte. Da musste er seine Frau fragen, die machte immer die Abrechnungen. Nein, kam er zurück, die Kasse hätte immer gestimmt. Ich fragte noch einmal nach: „Wirklich?“ Der Kaufmann fragte, um wie viel es sich handelte und schaute noch einmal im Kassenbuch nach, aber da war alles in Ordnung. Er meinte, ich hätte wohl zwei Geldscheine gehabt, die aneinander gehangen waren. Das konnte allerdings auch gut sein. Also war der Fall geklärt und ich brauchte kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Nun nahm ich meinen Karton und fuhr mit dem nächsten Bus bis vor die Haustür.
Nun hätte ich ja normalerweise meine Putzstelle aufgeben können. Das wäre mir peinlich gewesen, weil die Betriebs-Handwerker ja gerade für uns das Häuschen renovierten. Also ging ich um vier, wie gewohnt zu Arbeit und erklärte dort meinem Vorgesetzten, dass ich ab morgen erst um halb sechs käme. Als ich ihm sagte dass ich jetzt noch eine feste Stelle hatte, ging er und brachte mir meine Arbeitspapiere. Die würde ich ja bei der anderen Stelle brauchen. Er wollte mir eine zweite Steuerkarte besorgen, Die Anforderung sollte ich bevor ich ging noch unterschreiben.
Ja daran hatte ich gar nicht gedacht, ich wäre glatt ohne Papiere zur Fabrik gegangen. Nun hatte ich den ganzen Tag Arbeit, da würde ich wenigsten nicht immer an meine Kinder erinnert, dachte ich. Stefan würde ich auch kaum antreffen, denn ich musste morgens zum Bus, und abends hoffte ich, war er beim Ringen, Boxen oder......?.
Stefan war noch zu Hause, als ich von der Arbeit kam. Er wartete auf die Stümpfe. Die musste ich aber erst sortieren. Manchmal waren drei gleiche Strümpfe dabei, dann schrieb ich auf die Packung: 3 Stück. Das wurde bei Stefan der große Renner. Drei gleiche Strümpfe, ein Paar und ein Ersatzstrumpf das war einfach genial. Wegen der Arbeit rügte er mich, ich hatte nicht einmal nach dem Lohn gefragt, und nicht geschaut ob ich was besser bezahltes fände. Um Streit zu vermeiden, versprach ich morgen zuerst nach dem Lohn zu fragen. Dann konnte ich ja immer noch nach etwas besserem suchen. Er schrieb mir vor, was ich verdienen müsste, und das Geld sollte ich gleich ihm geben. Ich kochte innerlich und wünschte mir, dass sie ihm beim Ringen das Genick brachen. Dann erklärte ich ihm, dass ich den ersten Monat keinen Pfennig hergeben wollte. Ich brauchte dringend ein paar Kleidungsstücke: Einen Mantel, Schuhe eine Jacke und einiges mehr. Er wollte das ja nicht einsehen und sagte: „ Das sehen wir dann.“
Von nun an ging ich morgens zur Arbeit und kam erst spät heim. Stefan sah ich kaum. Samstags machte ich die Wäsche und noch vor dem ersten März kam der Lastwagen und wir konnten umziehen. Das kleine Häuschen war wunderschön hergerichtet. Sogar das große Zimmer, war jetzt gerichtet. Stefan bestimmte gleich, dass dieses sein Schlafzimmer sei. „Ja“, sagte ich, „gerne.“ Er glaubte mir nicht, und hakte noch einmal nach, denn das Zimmer war richtig schön. Es hatte einen neuen Fußboden und das Dach war auch repariert. Mit Hintergedanken bestätigte ich noch einmal: „Ja das Zimmer steht dir doch auch zu.“ Stefan grinste und fühlte sich als Sieger. Ich hatte ihm schließlich kampflos das beste Zimmer überlassen. Das Zimmer war groß, und ich gab ihm auch die beiden gleichen Betten. Nur die besten Matratzen die nahm ich für mich. Mein Schlafzimmer machte ich wieder neben der Küche.
In der Küche und meinem Schlafzimmer lag jetzt ein Linoleum. Was leider immer noch fehlte, war fließendes Wasser. Das konnten die Arbeiter nicht verlegen, denn es war zu aufwendig.
Ich setzte eine strikte Regel: Er bekam den Schlüssel für sein Zimmer, ich den für die Küche, so konnte er mich nachts nicht stören und ich ihn morgens nicht. Weil ich ja jetzt noch früher aufstehen musste, denn hier hielt kein Bus.
In meiner Firma bekam ich jetzt die Aufsicht über zwei Maschinen. Die Maschinen mussten morgens vorgeheizt werden, das hieß, dass ich jetzt noch früher aufstand. Dafür bekam ich mehr Lohn und zwei Arbeitshosen umsonst. Stefan hatte keine Ahnung was ich jetzt verdiente.
Frau Hendrich schaute bei uns vorbei und als sie hörte dass die Kinder nicht mehr da waren, weinte sie. Sie fragte mich warum mein Mann allein in dem schönen Zimmer schlief. Ich konnte ihr erklären, dass ich jetzt morgens um fünf Uhr aufstehen musste, weil in der Frühe noch kein Bus fuhr. „Da müssen sie zu Fuß bis Vlotho laufen?“ Fragte sie entsetzt. „Ja“, antwortete ich, „abends nehme ich den Bus.“ „Gut, aber dann nehmen sie doch wenigstens den Fußweg über den Berg.“ Der fing hinter dem Hof an und führte über zwei Dörfer direkt in die Stadt. Ich wollte ihn gleich morgen ausprobieren. „Das können sie gar nicht verfehlen.“ Versicherte sie, und ich könnte viel Zeit einsparen.
Ihr Tipp war gut. Am nächsten Morgen ging ich sicherheitshalber eine halbe Stunde früher weg. Aber das wäre nicht nötig gewesen, denn der Weg war wirklich einfach zu finden. Schon auf dem Hügel, nach fünf Minuten, sah ich die Stadt. Der Fußweg schlängelte sich durch die Wiesen ,an einem kleinen See vorbei und zwei kleinen Ortschaften, direkt nach Vlotho. Ich musste mich bremsen, damit ich nicht viel zu früh in der Fabrik ankam. Ja, der Weg gefiel mir, kein Mensch war außer mir unterwegs. Kurz vor der Stadt setzte ich mich auf eine Bank und rauchte eine Zigarette, erst kurz vor sechs Uhr, ging ich das letzte Stück.
Vor mir ging ein Postbote. Auf den Straßenlaternen saßen Tauben. Ich hatte für alles ein Auge. Vor den Tauben hatte ich Respeckt, denn ich hatte gesehen, dass die Tauben ab und zu etwas fallen ließen. Der Gehsteig war breit genug, man konnte sehr gut ausweichen.
Meine Arbeit gefiel mir. Ich hatte zwei Maschinen laufen, eine mit edlen Zigarren. Die andere mit den ganz einfachen Zigarren, die vom Band direkt verpackt wurden. Kurz vor Feierabend machte ich die Maschinen aus und putzte die Schwämme und das Innenleben der Maschinen. Anschließend ging ich noch zu meiner Putzstelle.
So verging etwa eine Woche, dann brachte Stefan eine Freund mit, der auch Grieche war. Der nistete sich in Stefans Zimmer ein und ich glaubte schon er ginge nicht mehr. Die Handwerker hatten den Durchgang durch die Schlafzimmer zugemauert, und die Küchentür verschloss ich sehr gut, denn ich hatte immer noch den Sicherheitsschlüssel. So konnte Stefan weder auf meinem Herd kochen, noch konnte er von meinen Lebensmitteln nehmen. Er musste alles selber besorgen. Im Flur hatte er einen kleinen Kocher wo er ab und zu etwas zubereitete. Da ich mich überhaupt nicht um seinen Freund kümmerte, wurde es ihm zu viel und plötzlich war der Freund wieder verschwunden.
Am Monatsende erwartete er mein Geld. Es war Freitag und ich hatte mich mit einer Arbeitskollegin verabredet. Sie hatte ein Auto und holte mich nach dem Putzen ab und fuhr mit mir, zu mir nach Hause. Sie hatte einen Rock dabei, den ich ihr enger machen sollte. Stefan war zwar neugierig, ging dann aber wieder in sein Zimmer. Nachts blieb meine Kollegin bei mir und am nächsten Morgen sagte ich zu Stefan, dass ich jetzt mit meiner Freundin nach Herford zum Einkaufen fahren wollte. „Du weißt doch, ich brauche dringend einen Mantel und ein paar Kleidungsstücke ja und Schuhe, ganz notwendig.“ Wir stiegen ins Auto, und Stefan guckte verdutzt.
In Herford gingen von einem Kaufhaus zum anderen, ich war richtig im Kaufrausch. Erst als ich alles hatte, was ich mir vorgestellte, holte ich noch beim Schlachter einen schönen Braten für den Sonntag. Er sollte am Sonntag ein gutes Essen von mir bekommen, wenn er denn zu Hause war. Als wir aus dem Auto stiegen, trug meine Kollegin das Eingekaufte und ich trug den Braten in der Hand. Der fiel Stefan dann auch gleich auf. Ich sagte: „Finger weg, den gibt es morgen.“ Er fragte neugierig: „Was hast du eingekauft, Anne? Wie viel hast du ausgegeben?“ Nun war es aus mit meiner Geduld und ich schrie: „Ich habe alles das neu gekauft, was deine Schwestern mir in Griechenland abgenommen haben. Ich habe jahrelang für mich nichts gehabt.“ Stefan zügelte sich und fragte: „Und wer ist die da?“ Meine Kollegin log, ohne rot zu werden, ihm frech ins Gesicht. „Ich bin Karla Müller, die Frau vom Polizeikommissar aus Vlotho, ich bin die Freundin ihrer Frau. Sie sind Stefan Stefanidis? Den Namen habe ich irgendwo schon mal gehört, warten Sie, es fällt mir schon noch ein.“ Er verschwand in seinem Zimmer und meine Kollegin ging mit in meine Wohnung. Erst als es schon dunkel war, stieg sie durchs Fenster, setzte sich ins Auto und ließ es lautlos vom Hof rollen. Sie wollte am nächsten Tag noch mal schnell nachsehen ob alles in Ordnung war. Dann würde sie ihren Mann mitbringen, der natürlich nicht einmal Polizist war.
„Lügner müssen belogen werden“, hatte sie mir geraten.
Am nächsten Morgen machte ich Kaffee und setzte meinen Braten auf den Herd. So duftete der köstlich, als Stefan aufstand. Als ich nun auch noch Kaffee gekocht hatte, schien er zufrieden. Er schaute in den Topf und wollte wissen wann das Fleisch denn fertig sei. „Um zwölf vielleicht.“ War meine Antwort. Dann wollte er bis Mittag bleiben, dann müsste er zu seiner Freundin. Das war jetzt nicht so ernst zu nehmen, denn er wollte mich bestimmt eifersüchtig machen. Meine Gleichgültigkeit ärgerte ihn. Dann kam die seltsame Frage: „Wie viel Geld willst du haben, wenn du wieder mit mir schläfst?“ Typisch, dachte ich und antwortete: „Mit einem Mann, der mich schlägt und immer nur egoistisch ist, schlafe ich sowieso nicht, auch nicht für viel Geld.“ Er beteuerte, dass er mich bestimmt nicht mehr schlagen wollte und immer das machen würde, was ich möchte. „Ja gut, beweise mir das, und dann sprechen wir wieder darüber. Ich machte das Essen fertig und deckte den Tisch. Stefan war nicht in der Lage ein paar Gegenstände auf den Tisch zu stellen, wartete nur bis er seinen Teller voll hatte und aß dann. „Hast du etwas dagegen wenn ich jetzt zum Sport gehe?“ Fragte er und war schon fast zur Tür hinaus. Natürlich hatte ich nichts dagegen, ich konnte es gar nicht erwarten. In dem Augenblick fuhr meine Kollegin auf den Hof. Stefan beeilte sich wegzukommen.
Meine Bekannte wollte nur ihren Rock abholen, denn ich hatte noch von Hand den Saum fertig gemacht. Sie war froh, dass bei mir alles in Ordnung war. Danach musste sie wieder weiter, denn sie hatte ihre Kinder bei der Oma. Wir würden uns ja morgen wieder sehen.
Ich hatte Arbeit genug, denn alles was ich in der Woche nicht gemacht hatte, dass blieb mir für den Sonntag. So kam ich nicht auf trübe Gedanken.
Als ich zu meiner alten Firma fuhr, fühlte ich mich wie ein Verräter. Sie hatten mir die Arbeitsstelle wieder gegeben, und ich wollte sie jetzt nicht. Die Sozialstation hatte mir mehrmals aus der Not geholfen.
Mir war es peinlich als ich die nette Abteilungsleiterin bat, mir meine Steuerkarte zurück zu geben. Sie musste sie im Büro holen. Im Büro hatte man mir schon eine neue Rentenversicherungs-Karte besorgt. Ich bedankte mich, und auch für alles, was man für mich und meine Kinder getan hatte. Dann ging ich beschämt die Treppe hinunter. Erst als ich das Werkstor hinter mir hatte, konnte ich kräftig durchatmen.
Hinter mir heulte die Werkssirene, und die Arbeiter rannten zum Zug. Der war wieder brechend voll. Erst kurz vor Ludwigsburg ergatterte ich einen Sitzplatz. Fast wäre ich in die alte Hetze verfallen, warum? Auf mich wartete niemand.
Am Marktplatz sah ich den Kinderhort und ich dachte an meine Kinder.
Auf alle Fälle wollte ich Herrn Tutta nicht begegnen, drum änderte ich meine Richtung und kam von der anderen Seite an mein Wohnhaus.
Gegessen hatte ich heute genug. Ich hatte nur einen Wunsch: Frisch gewaschen in mein Bett und wenn’s geht, durchschlafen bis morgen früh, bis fünf Uhr fünfzehn. Also zog ich die Vorhänge zu.
Lange hatte ich nicht mehr so gut geschlafen.
Ausgeschlafen und vollkommen zufrieden ging ich zur Arbeit. Mein neuer Freund hatte heute frei, jemand anderes war in der Küche. Mein Traum vom Kaffee war ausgeträumt. Ich machte meine Arbeit räumte das Putzzeug weg und wartete auf den Chef. Der zahlte und schaute auf den Kalender. "Können Sie nächste Woche auch noch kommen?" Fragte er und tippte mit dem Kugelschreiber auf das Datum vom nächsten Samstag. "Da kommt meine Putzfrau wieder zurück, dann ist Ihr Einsatz beendet." "Ja“, versprach ich, "bis dahin komme ich."
Zwar war ich traurig, dass ich nur noch eine Woche hier arbeiten konnte, aber ich wollte mir heute ein kleines Mittagessen leisten. Ein bisschen meldete sich mein schlechtes Gewissen.
Ab morgen hatte ich ja die Arbeit in der Spülküche, und da würde ich ja vielleicht mittags etwas bekommen. Ob ich mir nicht doch einen kleinen Kocher kaufen sollte? Aber dann fehlte mir ein Topf mindestens, und eine Pfanne. Wenn ich dann im Herbst wieder nach Griechenland ginge, konnte ich es nicht mitnehmen.
Unschlüssig ging ich zuerst in mein Zimmer. In meinem Schrank hatte ich einen Rest Häkelgarn und eine passende Nadel dazu. Ich fing an ein Deckchen zu häkeln. Handarbeiten war immer schon meine Lieblingsbeschäftigung. Das änderte allerdings nichts daran, dass ich Hunger hatte. Nun schaute ich, was ich alles eingekauft hatte, musste aber feststellen: Das war nur fürs Frühstück. Brot, Margarine, Marmelade, Kaffee, Filtertüten und Dosenmilch, war alle was in meinem Regal stand.
Kritisch betrachtete ich mein Geld und beschloss, nun doch nach einer preiswerten Mahlzeit Ausschau zu halten. Nachdem ich mich frisch gekämmt hatte, zog ich den Rock an, den Maria mir in Griechenland genäht hatte und fand dazu einen leichten Pullover. Die großkarierte lange Jacke passte sehr gut dazu. Ich fand, so konnte ich gehen. In meine Handtasche steckte ich meinen Geldbeutel und ein Taschentuch. Dann nahm ich meinen Schlüssel und ging.
Systematisch streifte ich durch die engen Gassen. Die meisten Lokale hatten heute geschlossen. Dann entdeckte ich die Gaststätte in der ich mit dem Koch war. An der Tür stand: "Heute kein Abo-Essen." Daneben war die Tageskarte. Einige Fischgerichte machten mich noch hungriger. Die Preise waren im Rahmen des Möglichen.
Also machte ich die Tür auf. Ein Blick in den Gastraum verriet: Heute Mittag essen alle bei Mutti. Der Wirt kam aus seiner Ecke und brachte mir die Speisekarte. "Machen Sie den Kartoffelsalat selbst?" Wollte ich wissen. Der Wirt versicherte, der sei ganz frisch und die Kartoffeln noch ein wenig warm. "Dann nehme ich Goldbarsch-Filet mit Kartoffelsalat“, bestellte ich. "Ein Gläschen Weißwein dazu?" fragte der Wirt. "Nein danke, ich trinke nachher vielleicht noch eine Tasse Kaffee, ich bin heute nicht so durstig."
Es dauerte gar nicht lange, da bekam ich mein Essen. Die Portion war riesig, und dazu gab es noch gemischten Salat. Auf dem Teller waren zwei schöne Stückchen Fisch, ein Berg Kartoffelsalat und ein wenig Kräutersoße. Nicht besonders dekorativ, aber sehr lecker.
Der Wirt freute sich, dass ich alles auf aß und fragte, ob ich den Kaffee jetzt wollte. "Ja bitte, und dann zahle ich auch gleich“, entgegnete ich. Auf die Frage ob es mir geschmeckt hatte, antwortete ich mit "sehr empfehlenswert." Der Wirt fühlte sich geschmeichelt und mit einem "beehren Sie uns bald wieder“, begleitete er mich zur Tür.
Mein Selbstbewusstsein war enorm gestiegen. Mit Stefan hätte ich kein Wort mit ihm sprechen dürfen, so eifersüchtig war er. Seiner Meinung nach, unterhielt sich eine gute Frau nicht mit anderen Männern. Aber er war ja nicht da, und ich sollte einfach nicht so oft an ihn denken, ging es mir durch den Kopf.
Des samstags putzte ich zuerst die Wirtschaft, da traf ich ihn wieder, meinen Freund den Kochlehrling. Er hatte wieder Kaffee gekocht und meinte: "Gut siehst Du aus, hast du Dich gut erholt gestern?" "Bestens, und ab heute habe ich einen richtigen Arbeitsplatz" teilte ich ihm glücklich mit und fügte hinzu: "Aber ich komme noch bis Samstag“.
Daheim zog ich mich um und machte mich frisch, um meine Stelle als "Tellerwäscherin" anzutreten. Als ich pünktlich das Café betrat, zeigte die Chefin mir persönlich meinen Arbeitsplatz. "Auf Sie kann ich mich ja verlassen“, stellte sie fest. In der Spülküche zeigte sie mir was ich brauchte. "Das Wichtigste ist allerdings die Handcreme zum Schluss, nicht dass Sie morgen wunde Finger haben."
Wenn mittags das meiste Geschirr käme, dann würde ich Hilfe bekommen, versprach sie. Ab zwölf türmten sich die Teller und ich durfte das Geschirr nur einzeln in das Spülbecken nehmen, weil es so wertvoll war.
Da kam die Chefin selbst zum Abtrocknen. Sie kontrollierte mein Spülwasser und freute sich, dass es gut heiß war. Die meisten Frauen könnten nicht in heißes Wasser fassen, erklärte sie mir. Sie interessierte sich für meine Kinder, meinen Mann und für das Dorf in Griechenland. Sie wollte alles wissen. "Ich sehe schon, die Zeit bis wir im Park aufmachen, wird sehr unterhaltsam mit Ihnen." Bevor ich nach Hause ging, gab es täglich eine Mahlzeit, bis auf montags, da war Ruhetag.
Die Zeit war schön ich arbeitete gern in dem Café, aber dann war es Mai und die Parksaison wurde eröffnet. Die Chefin zahlte meinen Lohn aus und schrieb mir auf, was ich wo, dringend kaufen musste: Ein paar Sandalen mit Flussbett mehrere Servierschürzen, einen großen Geldbeutel und eine schwarze Umbindetasche für die Geldbörse. Dazu trug man einen schwarzen Rock und eine weiße oder schwarze Bluse.
Mir wurde schwarz vor Augen, ob mein Geld dafür überhaupt reichen würde? Miete musste ich ja auch bezahlen. Einen schwarzen Rock hatte ich und Blusen auch.
Auf meiner Einkaufstour richtete ich mich nach dem Zettel der Chefin. Schürzen kaufte ich zwar die billigsten aber gleich fünf, denn die musste ich zum Waschen geben, ich hatte ja keine Gelegenheit dazu. Am Ende war es doch nicht so teuer wie ich vermutet hatte. Ich kaufte mir dazu noch eine Strickweste in schwarz, denn es war morgens immer noch frisch.
Abends ging ich in den Waschsalon um meine Wäsche zu waschen. Ich hatte nur einen einzigen schwarzen Rock, den Plisseerock, den ich im Mädchenheim bekommen hatte. Der war schon lange nicht mehr gewaschen worden. Als ich mit meiner fertigen Wäsche heim ging, war es schon spät. Trotzdem konnte ich kaum schlafen vor Sorge, was mich morgen erwartete.
Um sieben Uhr hielt mich nichts mehr im Bett. Das erste was ich machte, war Kaffee kochen. Ohne ein gemütliches Frühstück würde ich nirgends hingehen. Alles was ich brauchte steckte ich in meine Tasche, zog die Strickweste über und nahm das Geld für die Miete in die Hand, um es gleich unten bei meinem Hauswirt abzuliefern.
Dann ging ich die Straße hinunter zum Schlosspark. Zwischen Tulpen und bunten Frühlingsblumen durch den Park, zur Arbeit zu gehen, war schon etwas ganz Besonderes. Da ich auf die andere Seite des Parks musste, hatte ich auch etwas davon.
Als ich ankam, wurde ich schon von einer jungen Frau und zwei Männern erwartet. Wir mussten die Gartenbestuhlung aufstellen. Die Männer schleppten Tische und Stühle herbei und wir beiden Frauen machten uns daran die Möbeln abzuwaschen. Nach der Terrasse war für heute Schluss. Es sah schon sehr gut aus. Die Wiese daneben würden wir morgen her richten. Die Männer gingen jetzt in die Küche um etwas zum Essen zu machen.
Mit Gästen rechnete niemand, aber wir hatten ja auch Hunger und den ganzen Vormittag gearbeitet. Meine Kollegin zog einen weißen Kittel an und ich stellte fest, sie war fürs Buffet zuständig. Mich fragte sie: "Wollen Sie nicht mal Ihre Schürze umbinden?" Sie stellte fest, dass ich vom Schleife binden gar keine Ahnung hatte und zeigte es mir. Dann reichte sie mir eine Kette mit einem Kassenschlüssel und einem Kugelschreiber daran. Das befestigte sie an dem schwarzen Täschchen. Sie reichte mir einen Block, und gab mir die Getränkekarte damit ich mir die Preise einprägen konnte.
Die Herren brachten das Essen. Es gab Schnitzel. Das war das, was es in den nächsten Monaten fast jeden Tag gab. Mal mit Pommes Frites, mal mit Spätzle oder mit Kartoffelsalat.
Der größere der Herren fing ein Gespräch an: "Wir haben uns ja schon einmal gesehen, im Café, da war ich am Klavier." "Genau, und der Zug fährt durch die Nacht." bemerkte ich. Er lachte ein wenig.
Beide Herren waren Kellner, der große hieß Gerd und der kleinere Fred. Sie würden zusehen, wenn ich die ersten Gäste bediente und mir dann sagen, was ich falsch gemacht hätte. So würde ich am schnellsten lernen. Der Andrang war nicht groß, bis jetzt war noch kein einziger Gast hier.
Gerd ging ans Klavier in der Eingangshalle des kleinen Sommerschlößchens und spielte. Wahrscheinlich war das seine Lieblingsbeschäftigung. Fred hingegen, schaute in den Park hinaus und hielt nach Gästen Ausschau.
Dann kam eine ältere Dame mit einem Krückstock. Fred hatte die schon erwartet. "Die gnädige Sau kommt." flüsterte er mir zu. Daraufhin weihte er mich schnell ein: "Sie ist eine verarmte Adelige, unbedingt mit "gnädige Frau" anzusprechen. Sie bestellt eine Tasse Kaffee, bekommt aber ein Kännchen zum Preis von einer Tasse. Dann bestellt sie noch eine Meringe mit Sahne, die Sahne bekommt sie auch umsonst." Er schickte mich los, die Dame mit Anstand zu bedienen.
Ich ging zu ihr und sagte: "Grüß Gott, gnädige Frau, was darf’s denn sein." Bringen Sie mir eine Tasse Kaffee und eine Meringe,---- mit Sahne" bestellte sie betont vornehm.
Nun kam Fred an die Kasse um mir den Vorgang zu erklären. Zuerst den Schlüssel in die "Drei" stecken. Dann tippen Sie den Preis und anschließend auf die passende Bezeichnung, in diesem Fall Kaffee und Gebäck. Wenn wenig los ist, reicht es wenn sie den Zettel auf den Teller legen und sagen was sie brauchen. Sollte viel Betrieb sein, müssen sie die genaue Bezeichnung auf den Zettel schreiben."
Jetzt wusste ich wie es funktioniert und gab meine Bestellung mündlich weiter. Inge, die Büffetfrau schimpfte vor sich her: "Bitte schön, gnädige Frau, sehr wohl gnädige Frau, danke sehr gnädige Frau, auf Wiedersehen gnädige Frau, leck mich am Arsch alte Sau." Sie entlockte mir ein Grinsen. Was hatte sie bloß mit der Dame? Ich servierte der Dame das Bestellte und sagte: "Bitteschön, gnädige Frau." Sie antwortete mit einem gedehnten "Danke". Mir fiel auf, dass sie immerfort an dem Rock ihres Kleides herum fummelte, der schien aus reiner Seide zu sein.
Eine rothaarige Dame setzte sich vorn an den ersten Tisch und hatte Aktenordner dabei, worin sie sofort zu blättern anfing. Ich fragte sie nach ihren Wünschen und sie sagte: "Ja, bringen sie mir einen Kaffee." Fred war in dem Augenblick nicht da, also schritt ich zu der Kasse und tippte 90 Pfennig und Kaffee. Den Kaffee brachte ich ihr. Fred kam zurück und teilte mir mit, dass die Küche jetzt geschlossen sei. "Warme Speisen gibt es nur bis zwei Uhr."
Ausgerechnet jetzt kam ein Ehepaar mit zwei Kindern. Als ich an den Tisch kam, fragte der Herr ob es noch etwas zum Essen gäbe. "Leider nur bis zwei Uhr“, teilte ich ihm mit, wollte aber auf sein Bitten noch einmal nachfragen.
Fred passte das nicht, versprach aber: Würstchen könnte er noch machen. Ich sollte sagen die Köchin sei schon weg. Die Leute waren damit zufrieden und gaben ihre Bestellung auf.
Die gnädige Frau winkte, sie wollte zahlen. Sie legte zwei Mark hin und bekam zwanzig Pfennig zurück, die sie gierig in ihrem Geldbeutel verschwinden ließ. Die rothaarige Frau, saß immer noch am Tisch über ihren Ordnern. Da dachte ich, es sei an der Zeit, sie nach einer weiteren Bestellung zu fragen, wenn sonst nicht viel los war.
Also ging ich zu dem Tisch, räumte die leere Tasse ab und fragte ob sie noch Wünsche hätte. Sie schaute über ihre Brille und sagte: "Nein danke, ich gehöre zum Haus." Nun fragte ich die Büffet-Inge, was das hieß. Die klärte mich auf, die Dame sei die Kusine der Chefin und sie sei Teilhaberein, sie müsse auch nichts zahlen. "Ja, aber den Kaffee habe ich in meine Kasse getippt," klagte ich. "Selber schuld“, kam es schnippisch von der Buffet-Zicke. Gerd, der immer noch am Klavier saß, unterrichtete mich, dass Inge ein launisches Weib sei, und man müsste bei jedem Wort aufpassen, was man zu ihr sagte.
Es war schon fünf Uhr, als die Chefin mit ihrem Hund vorfuhr. Sie schaute nach den Tischen und Stühlen und war zufrieden mit unserer Arbeit. Dann ging sie in die Küche und schaute dort nach dem Rechten. In der Eingangshalle standen lauter kleine Tische und Cocktail-Sessel. Dort setzte sie sich in einen Sessel. Die beiden Kellner setzten sich zu ihr. Die rothaarige Frau ging jetzt auch ins Haus und nahm ihre Akten mit.
Um sechs Uhr kam die Chefin und rechnete meine Kasse ab. "Wir rechnen jetzt ab und dann können Sie Feierabend machen. Morgen müssen Sie wieder Tische und Stühle schleppen.“ Von meinen Einnahmen zog sie zehn Prozent ab, das andere Geld musste ich abliefern. Es war eine traurige Ausbeute am ersten Tag. Ab jetzt sollte ich um zehn Uhr kommen und ab Pfingsten um neun Uhr. Dann finge die Hochsaison an. Für das Stühle putzen zahlte sie mir fünf Mark extra, das sollte ich aber niemandem sagen.
Inzwischen kamen Gäste und setzten sich in den Pavillon. "Jetzt sind die Kellner dran“, erklärte sie, "die arbeiten abends und helfen wenn am Tage Hochbetrieb ist." Dann hatte sie noch etwas für mich. Sie holte ein Päckchen aus dem Auto mit acht Servierschürzen. "Die können sie gleich hier in den Schrank legen, die sind gewaschen und gebügelt. Sie können die behalten, ich brauche sie nicht mehr." Daraufhin ging sie wieder an ihren Tisch zurück. Ich räumte die Schürzen auf und machte Feierabend.
Der Heimweg führte mich wieder durch den wunderschönen Park. Da machte ich einen kleinen Umweg und schaute im Märchengarten vorbei. Ach, wenn ich meinen Kindern das zeigen könnte, dachte ich.
Alles war so schön, nur der Verdienst heute, war der reinste Hungerlohn. Vielleicht wird es ja noch besser, dachte ich und ging früh schlafen.
Am nächsten Morgen ging ich um zehn Uhr zur Arbeit. Wir stellten die Tische und Stühle auf die Wiese. Platz für viele Gäste, die hoffentlich bald kommen würden.
Als wir die Arbeit fertig hatten, machten die beiden Kellner wieder etwas zu Essen in der Küche. Ich band eine saubere weiße Schürze um, und wartete auf Gäste. Zuerst kam die rothaarige Frau wieder mit ihren Ordnern und belegte den gleichen Tisch wir am Vortag. Als sie kam, erkannte ich sie nicht gleich wieder, weil ich mir ja keine Gesichter merken kann.
Vereinzelt kamen ein paar Ausflügler und bestellten Kaffee und Kuchen. Auch die "gnädige Frau" erschien wieder, sie erkannte ich an ihrem Krückstock. Als am Abend die Chefin meine Kasse abrechnete, waren die Einnahmen schon etwas höher als am Tag vorher.
Je schöner das Wetter wurde, um so mehr Gäste kamen. Im Park war ein wunderschöner Märchengarten, der wurde natürlich vorwiegend von Familien mit Kindern besucht. Die wollten um die Mittagszeit meistens Essen bestellen. Die Kellner zeigten mir, wie man mehrere Mahlzeiten auf einem mal serviert, und ich konnte fünf Teller gleichzeitig tragen.
Meine Arbeit gefiel mir und niemand hatte an mir etwas auszusetzen. Bis auf die Buffetfrau, die war an manchen Tagen unausstehlich. Abends spielte meistens eine Tanzkapelle. Die war sehr beliebt und es kamen Gäste aus der Stadt zum Tanzen in den Park. Zwei der Musiker hatten indische Frauen. Die waren sehr hübsch und trugen Saris aus Seide. In der Regel hatte ich Feierabend wenn die Kapelle aufbaute. Wenn jedoch ein Fest war, blieb ich auch bis zum Schluss.
Mit meinem Verdienst konnte ich sehr gut auskommen. Ich kaufte mir ein paar hübsche Kleidungsstücke, damit ich nicht jeden Tag mit dem gleichen Rock herumlaufen musste. Hin und wieder schickte ich fünfzig Mark an meine Kinder in Griechenland. Immer wieder versuchte ich etwas Geld für den Winter zur Seite zu bringen, aber dann kamen Regentage und da verdiente ich so gut wie nichts. Eines Tages kam mir der Zufall zu Hilfe.
Jeden Morgen, bevor wir zur Arbeit kamen, fegte ein Rentner die Terrassen, stellte alle Stühle wieder ordentlich an die Tische und brachte die leeren Getränkekästen ins Lager. Danach füllte er die Theke mit vollen Kästen wieder auf. Obwohl er für die Kisten eine Sackkarre hatte und hinterher duschen konnte, hatte er jeden Morgen etwas zu schimpfen und drohte täglich mit Kündigung.
Die Chefin konnte das nicht mehr mit anhören und fragte mich, ob ich keine Lust hätte morgens zwei Stunden früher zu kommen. Wenn ich die Arbeit von "Otto" übernehmen würde, könnte ich täglich die zehn Mark bekommen. Hinterher hatte ich die Möglichkeit zu duschen und mich umziehen. Das fand ich gar nicht schlecht, denn so würde ich mein Geld für den Winter doch noch zusammen bekommen.
Die Arbeit von Otto machte ich gern. Als die Chefin mir meine zehn Mark gab, hatte ich meinen Spitznamen weg: Von nun an nannten mich alle nur noch Otto. Da ich meinen Namen ja schon öfters ändern musste, machte es mir überhaupt nichts aus. Dazu bekam ich auch noch den Schlüssel von meinem Vorgänger, und damit konnte ich durch jedes Tor im Park. Wenn ich es eilig hatte, konnte ich abkürzen. So kam ich jeden Tag direkt an den Flamingos vorbei. Die hatten Tina immer so gut gefallen, weil sie unentwegt auf der Stelle tanzten.
Wenn ich abends in mein Zimmer kam, ging ich immer sofort ins Bett. Ich war jeden Tag total erledigt. Morgens kochte ich dann Kaffee und ging nie ohne Frühstück aus dem Haus. In meine Tasche packte ich mir frische Wäsche in eine Plastiktüte. Pünktlich um sieben Uhr, ging ich dann täglich zur Tür hinaus. Dann ging ich wie bei einem Spaziergang durch den Park. Vorbei am großen Schloss mit dem schönen Springbrunnen, geradewegs durch den Märchengarten. Dort lachte Rapunzel von ihrem Turm herunter.
Bei Hänsel und Gretel konnte ich nie vorbei gehen, ohne an der Türklinke gerüttelt zu haben. Dann kam vom Haus innen die Stimme: Knusper, knusper Knäuschen. Danach überquerte ich ein winziges Bächlein. Rechts und links waren zwei Bäume aus denen Wasser spritzte wenn man hindurch wollte. Ich hatte es zu einem Sport gemacht, so zu laufen, dass ich nicht nass wurde. Anschließend schloss ich ein Gartentürchen auf und ging über die Flamingowiese. Wenn ich aus dem Gehege wieder heraus kam, waren es nur noch wenige Meter bis zu meiner Arbeitsstelle.
Schon beim Fegen fand ich meistens mein erstes Trinkgeld, das gab mir den Anreiz keine Ecke auszulassen. Danach leerte ich die Abfallbehälter, versorgte das Leergut und füllte den Tresen auf.
Um die Zeit waren die Gärtner mit ihren Arbeiten rund um das Café fertig, und zogen gemeinsam weiter von Blumenbeet zu Blumenbeet. Jetzt war es Zeit für mich zu duschen. Anschließend zog ich meine saubere Wäsche an und steckte die schmutzige in meine Plastiktüte, die ich dann in meine Tasche steckte. Als letztes ging ich in den Gastraum des kleinen Sommerschlosses, wo wir unsere Schränke hatten.
Die Schränke waren nie abgeschlossen und wurden allgemein von jedem benutzt. In einem großen offenen Fach hingen unsere Jacken und Strickwesten und unten war ein Fach für unsere Taschen. Darein stellte ich auch täglich meine Tasche. Wir wären niemals auf die Idee gekommen, dass jemand an unsere Taschen ging, oder gar etwas stehlen könnte. In diesem Betrieb vertraute jeder, jedem. Das Betriebsklima konnte nicht besser sein.
Ich ging hinaus um auf die ersten Gäste zu warten. Die trafen auch nach und nach ein. Zum Ausruhen war jetzt keine Zeit mehr. Gerd spielte wieder am Klavier und Bernd saß einsatzbereit, um im Notfall auszuhelfen. Wenn der Betrieb zunahm, war er der erste, der mir ein paar Tische abnahm.
Nach dem Mittagessen kam wie täglich, die gnädige Frau. Wie jeden Tag bediene ich sie freundlich. Die Sonne schien gut warm, und ich stellte ihr einen Sonnenschirm neben ihren Stuhl. "Danke", sagte die Dame und zog ihr Kleid so hoch sie konnte. Ich hatte den Eindruck, dass sie keine Unterhose trug. Deshalb erlaubte ich mir die Bemerkung: "Gnädige Frau, Ihr Rock ist hochgerutscht." Sie schaute mich verächtlich an, dann kam ein lang gezogenes: "Das weiß ich." Da ich gerade etwas Zeit hatte, setzte ich mich zu Bernd und erzählte es ihm. Der lachte. Nun erfuhr ich, dass die Dame am Tag zuvor, abends beim Tanz war. Da sei sie von Tisch zu Tisch und hatte sich von jungen Männern ein Getränk zahlen lassen.
Abends wollte sie dann, dass sie jemand heimfuhr, weil sie aber alle kannten, waren die Männer blitzschnell verschwunden. Schließlich hatte die Chefin bestimmt, dass Bernd sie heimfahren sollte. Unterwegs hatte sie ihm schon den Beifahrersitz nass gepinkelt. Vor ihrer Wohnung hatte sie dann gebeten: "Junger Mann, würden Sie mich bitte noch bis an die Tür begleiten?" Er hatte sie dann bis vor die Wohnungstür begleitet, und prompt kam die Frage: "Junger Mann, wollen Sie nicht noch ein Glas Wein mit mir trinken?" Dabei hatte sie ihn so gierig angesehen, dass er die Flucht ergriffen hatte. Auslachen wollte ich ihn nicht, aber ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.
Meine Sorge galt jetzt den Gästen, wenn sie die Stufen herauf kamen, konnten sie bei der gnädigen Frau in den "7. Himmel" gucken. Obwohl es mich nichts anging, es war mir peinlich.
Die Chefin fuhr vor mit ihrem Hund, ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube es war ein Rauhaardackel. Als erstes zahlte sie mir meine zehn Mark aus, das war immer das erste was sie machte, danach ging sie ins Haus. Dort setzte sie sich mit ihrer Kusine und Gerd an einen Tisch. Bernd brachte ihnen Eis.
Die drei am Tisch, mussten ein spannendes Gesprächsthema gehabt haben, denn der Hund langweilte sich und streifte auf Spurensuche, durch den großen Gastraum. An unserem Schrank, fand er genau das, was er suchte, nämlich meine schmutzige Unterwäsche in der Plastiktüte. Er zerrte den Reißverschluss auf und holte mein Unterhöschen aus der Tüte. Die soeben erlegte Beute, brachte er seinem verdutzten Frauchen an den Tisch.
Da es sich offensichtlich hier um ein Damen-Bekleidungsstück handelte, rief die Chefin nach mir. Ich betrat den Raum und erkannte sofort mein Wäschestück. Mein Gott, dachte ich, ist das peinlich! Meine Chefin hingegen wirkte sehr betreten, und bat mich die Unterhose bitte wegzutragen, denn es schiene so, als ob sich gestern beim Tanz ein Pärchen hier herum getrieben hatte und den Schlüpfer zum Schluss hier vergessen hatte. Ich räumte die Hose so weg, dass ich mein Eigentum nach der Arbeit mitnehmen konnte. In Zukunft wollte ich die Tüte mit der schmutzigen Wäsche verknoten. So etwas sollte mir nicht noch einmal passieren.
Am nächsten Tag wiederholte sich die ganze Unterhosen-Komödie, obwohl ich die Tüte verknotet hatte. Der Unterschied zum Vortag war nur, dass es dieses Mal keinen Tanz gab. Wir sollten nun unseren Rock anheben und beweisen, dass wir unseren Schlüpfer an hatten. Ich unterzog mich als Erste der Höschen-Kontrolle. Die Buffetfrau, die Köchin und sogar die Kusine der Chefin folgten meinem Beispiel. Auf meinem Kopf spürte ich die ersten grauen Haare wachsen. Beim nächsten Mal, nahm ich mir vor, wollte ich dem Hund die Gurgel umdrehen.
Noch niemals zuvor, hatte ich meine Schmutzwäsche so sorgfältig verpackt, wie am nächsten Morgen. Ich nahm zwei Plastiktüten. Die erste Tüte verknotete ich und steckte sie in die zweite Tüte, die ich ebenfalls verknotete. das ganze verschnürte ich mit einem Wäschegummi. Dann legte ich es in meine Tasche und machte den Reißverschluss zu. Der Hund würde mir nicht noch einmal meine Hose durch das Sommerschloss tragen. So fühlte ich mich sicher und machte meine Arbeit.
Nachmittags kam meine Chefin persönlich zu mir und bat mich mit zukommen. Ihr Hund war dabei mein sorgfältig verschnürtes Päckchen aufzureißen. Sie sagte nichts, sie schaute mich nur fragend an. Da konnte ich nicht mehr, ich brach in Tränen aus und ließ mich auf den nächsten Sessel fallen. Ich saß in dem kleine Sommerschloss und heulte wie ein Schlosshund.
Als ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, war der Hund fertig und hatte das Päckchen offen. Fassungslos berichtete ich meiner immer noch fragend schauenden Chefin, weshalb ich immer eine Garnitur Wäsche in meiner Tasche hatte. "Ja," sagte sie, "mir leuchtet das ein, aber wie soll ich das dem Hund erklären?" Dabei lachte sie, während bei mir keine Freude aufkommen konnte.
Dann räumte sie ein abschließbares Fach in dem Wandschrank leer, darein durfte ich jetzt immer meine Tasche stellen. Ich traute dem Hund zu, dass er die Tür auch aufmachen konnte. Aber meine Chefin versicherte, dass es zu hoch sei für den kleinen Hund. Sie hatte Recht, und ich von da an meine Ruhe. Meine Morddrohung gegen den Hund legte ich vorerst auf Eis, aber es bot sich keine Gelegenheit mehr.
Wie jedes Jahr sollte es wieder ein Sommerfest geben. Mit vereinten Kräften schmückten wir unsere Außenanlagen. Ich versprach, auch bis zum Ende des Festes bei der Bewirtung zu helfen. Die Terrassen waren brechend voll. Mitten drin die gnädige Frau.
Sie hatte sich schon am Nachmittag ihren Platz gesichert. Als die Musikkapelle eintraf und die ersten Gäste sich an die Tische setzten, machte sich die Dame auf die Suche nach jungen Männern, die ihr ein Glas Wein oder Sekt spendierten. Nun hatte ich ja genug Arbeit und als sie an den Tischen saß an denen ich nicht bediente, achtete ich nicht mehr darauf, was sie machte.
Erst als die Kapelle aufgehört hatte zu spielen, fiel sie mir wieder auf, weil sie den Durchgang versperrte. Da stand sie umringt von jungen Männern, und lachte und erzählte, und niemand wollte ihr zuhören, Die jungen Männer lachten zwar auch, aber nicht über das was sie sagte, sondern über die Wasserlache in der sie mittendrin stand. Offensichtlich hatte sie während der Unterhaltung einfach im Stehen auf den Boden gepinkelt. Endlich war es mir klar, sie war wirklich eine "gnädige Sau".
Der Sommer ging viel zu schnell zu Ende. Gewissenhaft hatte ich das Geld fürs saubermachen auf ein Sparbuch gebracht und es reichte für die Reise zu meinen Kindern. Da wir immer sehr genügsam waren, würde ich auch ein paar Monate davon leben können. Es war langsam an der Zeit mir einen Mantel zu kaufen, denn ich wollte bei meiner Ankunft in Deutschland nicht wieder so frieren wie beim letzten Mal. Schweren Herzens kündigte ich mein Zimmer zum 1. Oktober. Die Hauswirtin war traurig, denn so einen ruhigen Mieter wie mich, hatten sie noch nie.
Am ersten Regentag, ging ich früher um in ein Kaufhaus zu gehen. Ich suchte angestrengt nach einem Mantel, konnte aber nichts finden was mir gefiel. Richtig warme Mäntel waren noch nicht im Angebot. Also kaufte ich mir einen richtig warmen Pullover mit Norweger-Muster. Dann schaute ich mich noch einmal um und entdeckte eine Reihe Plüschmäntel, in Bonbonfarben. Ich schaute nach meiner Größe und fand einen in beige. Der hatte allerdings einen leichten Stich ins rosa. Das waren Cocktail-Mäntel, die man über das Ballkleid zog, wenn man zum Tanz ging.
Ich hatte keine Lust, weiter zu suchen und nahm ich den Mantel. Da ich auf gar keinem Fall wieder ohne Strümpfe nach Deutschland fahren wollte, kaufte ich noch zwei Paar Strümpfe. Das packte ich daheim gleich ein. Für meine Kinder konnte ich kaum etwas einkaufen, denn ich hatte keinen Platz im Koffer. Mit Plastiktüten würde ich bestimmt nicht reisen, und einen neuen Koffer wollte ich auch nicht unbedingt kaufen. Bei so langen Zugreisen konnte man mit zu viel Gepäck leicht die Übersicht verlieren.
Zum Glück hatte der September noch ein paar schöne Tage. Als es dann nicht mehr aufhören wollte zu regnen und man an den Tischen draußen nicht mehr sitzen konnte, schloss meine Chefin ihr Café im Schlosspark. Am letzten Tag bekam ich meine Papiere mit, und sie lud mich ein, im nächsten Jahr wieder zu kommen. In den kommenden Tagen war ich damit beschäftigt meine Steuer zurückzufordern und ich besorgte mir ein Visum für die Zugfahrt durch Jugoslawien. Dann holte ich mein Geld vom Sparbuch. Zur Freude meiner Vermieterin putzte ich mein Zimmer noch am Morgen vor meiner Abreise.
Um die Mittagszeit nahm ich meinen Koffer, die Reisetasche und meine Handtasche und ging etwas wehmütig, aber voller Vorfreude auf meine Kinder, Richtung Bahnhof.
Der Zug fuhr in den Bahnhof ein, und ich schleppte mein Gepäck in ein Abteil, in dem noch ein Platz frei war. Wieder war er völlig überfüllt. In dem Abteil saßen mehrere Frauen, die zurück nach Griechenland wollten. Sie hatten in einer Nudelfabrik gearbeitet. Dort hatte eine der Frauen einen Arbeitsunfall. Sie hatte ihren Arm in eine Maschine bekommen, jetzt sei der Arm weg. Der Anblick und das Geschrei muss so schlimm gewesen sein, dass diese Frauen nicht länger in Deutschland bleiben wollten.
Bei den engen Verhältnissen in unserem Abteil mussten wir uns, wenn wir schlafen wollten, sehr einschränken. Trotzdem war es sehr erholsam wenn alle für eine kurze Zeit eingeschlafen waren, denn die Frauen redeten unentwegt, wenn sie wach waren.
Wir kamen durch Skopje wo erst kürzlich ein großes Erdbeben war. Entlang der Bahnlinie waren lauter Zelte für die Obdachlosen. Am offenen Zugfenster kaufte ich mir etwas zum Essen, denn meine Wegzehrung war aufgebraucht. Zwar boten mir die Griechinnen laufend etwas an, aber ich wollte jetzt einfach etwas Herzhaftes. Die Fahrt machte ich jetzt zum dritten Mal und sie kam mir längst nicht mehr so lang vor als beim ersten Mal. In Thessaloniki kam ich kurz nach Mittag an. Dort musste ich warten bis der Zug nach Kilkis abfuhr.
Ich brachte meinen Koffer in die Aufbewahrung und ging in mein Straßencafé, in dem ich schon öfters war. Ohne zu überlegen setzte ich mich an den Tisch, an dem ich jedes Mal saß. Der Kellner kam, schaute mich an und fragte: "Germanisa?" Ich hatte ihn nicht wieder erkannt, aber er mich scheinbar. Auf Griechisch antwortete ich "Nä“, das heißt "ja", dann bestellte ich: "Germanika Kaffee ke Pita." Auf Deutsch: Einen deutschen Kaffee und Torte, der Kellner vervollständigte meine Bestellung in dem er, nicht so süß, hinzufügte.
Ich ließ mir Zeit, damit ich auf dem Bahnhof nicht so lange warten musste. Dann nahm ich meine Tasche und ging zur Bahnhofshalle um meinen Koffer wieder abzuholen. In meiner Magengegend hatte ich ein beklemmendes Gefühl. Niemand wusste, dass ich heute ankam, würden meine Kinder mich noch kennen?
Mühsam stieg ich in den Zug und als ich einen Platz gefunden hatte, musste ich mich krampfhaft wach halten. Nicht auszudenken, wenn ich jetzt einschlafen würde. Als mir immer wieder die Augen zufielen, zog ich es vor aufzustehen und in den Gang zu gehen. Dort öffnete ich ein Fenster und hielt mich fest. So kam ich zurück in das Dorf was ich inzwischen lieb gewonnen hatte, und wo ich meine Kinder vor einem halben Jahr verlassen hatte.
Der Zug hielt mit einem Ruck und ich war am Ziel angekommen. Es waren wieder viele Leute am Bahnhof, die sehen wollten wer ankommt. Alle schauten mich an und wünschten guten Abend.
Ich schleppte meinen Koffer mit letzter Kraft, über den Bahnsteig. Da kam Janis und nahm mir den Koffer ab. Wie bei meiner Abreise sang er: "Banane, Zitrone" so marschierten wir zum Haus meiner Schwiegereltern. Heinz kam gerade vom Kuhstall, er hatte der Oma geholfen die Kühe heim bringen. Er wusste, dass ich seine Mama war, aber er konnte kein Wort Deutsch. "Die Oma hat gesagt wenn du kommst, kaufst du mir Stokolata“, war das erste was er auf Griechisch zu mir sagte.
Es hörte sich niedlich an, denn er konnte kein "Sch" aussprechen. Ich brachte meinen Koffer in mein Zimmer, das war wie ich es verlassen hatte, bis auf den Herd, der fehlte. Dann nahm ich meinen Geldbeutel, den ich nicht aus den Augen lassen wollte und ging zu dem kleinen Kiosk auf dem Marktplatz. Dort kaufte zwei Riegel Schokolade. Einen bekam Heinz und den anderen nahm ich für Tina mit, die würde sicher bald kommen.
Meine Schwiegermutter hatte noch Essen in ihrem großen Topf, und fragte ob ich Hunger hätte. Ich aß ein wenig, aber ich war viel zu müde, um noch lange auf zubleiben. Tina kam hereingestürmt jemand hatte ihr gesagt, dass ihre Mutter gekommen war.
Ihre Freude war riesig. Sie nahm den Schokoriegel hatte es aber nicht eilig ihn zu essen. Auch sie sprach nur griechisch. Ich wusch mich sparsam, dann ging ich ins Bett. Tina legte sich eine Weile zu mir, als die Oma Heinz dann ins Bett brachte, ging sie zu ihm ins Kinderbett. Bevor ich einschlief, hörte ich, dass es angefangen hatte zu regnen.
Es regnete die ganze Nacht, und wieder fiel ein Stück von der Decke herunter. Als ich gegen Morgen meinen Notausstieg benutzen wollte, um aufs Klo zu gelangen, merkte ich, dass ein Fliegengitter das Fenster versperrte. Ich nahm also den Weg durch die Haustür dann stellte ich fest, dass das Häuschen, an einer anderen Stelle war. Nass vom Regen kam ich zurück ins Zimmer, kuschelte mich in mein Bett und schlief gleich wieder ein.
Nachmittags kam Ireni in mein Zimmer, sie hatte sich schon aus meinem Koffer bedient und trug meinen neuen Norweger Pulli. Nachdem sie mich herzlich begrüßt hatte, berichtete sie: "Du hast so fest geschlafen als ich aus der Schule kam, darum habe ich mir unsere Geschenke schon aus dem Koffer geholt." Wegen Platzmangel im Koffer, hatte ich ja gar nichts eingekauft für die Mädchen. Ich war gespannt was sie mir denn übrig gelassen hatten. Vorsichtig hob ich den Deckel an und ließ ihn gleich wieder zufallen. "Jetzt nur nicht aufregen“, dachte ich im Stillen und ging Katzenwäsche machen.
Mein Geld hatte ich mit dem schwarzen Stofftäschchen, das ich immer beim Servieren um hatte, direkt auf meinen Körper geschnallt. Die ursprünglichen Bindebänder hatte ich durch ein Knopfloch-Gummiband ersetzt, so war es angenehm zu tragen. Meine Unterhose gab dem ganzen noch ein wenig Halt, so dass es nicht hin und her wackelte.
Die kleine Börse hatte ich auf dem Schreibtisch gelegt, da waren fünf Mark drin. Ich wusste genau, dass es nicht lange dauerte bis jemand hinein schaute. Sie sollten glauben, dass ich mit fünf Mark angereist war. An ein zweites Pferd sollten sie gar nicht erst denken.
Kaum hatte ich mich angezogen, da kam Sophia. Meine schönste Bluse kleidete sie gut. Noch hatte ich keine Ahnung, was alles in meinem Koffer fehlte und ich machte gute Miene zum bösen Spiel. Dann kam Tina mit Heinz. Scheinbar machte sie immer noch ihre Runden durchs ganze Dorf, und Heinz musste sie dabei begleiten.
Ich hatte ein Märchenbuch gekauft, das holte ich aus meiner Reisetasche. Tina erkannte an den Bildern die Märchen und ich versprach, dass ich heute noch anfangen wollte ihnen vorzulesen. Das würde für mich sehr anstrengend, denn meine Kinder sprachen jetzt griechisch ich würde alles übersetzen müssen.
Meine Schwiegermutter kochte Bohnen. Machte sie das meinetwegen? Sie wusste, dass ich Gemüse aus breiten grünen Bohnen gerne mochte. Mit den Kindern ging ich zum Brunnen um zwei Eimer Wasser zu holen. Ich konnte es nicht leiden, wenn alle Wassereimer leer waren. Danach wollte Tina mir unbedingt etwas zeigen. So bereitete ich mich auf einen ausgedehnten Rundgang durchs Dorf vor.
Was sie mir dringend zeigen wollte war der Kindergarten, in den sie ab und zu ging. Ganz durfte sie noch nicht dorthin, sie musste vier Jahre alt sein, denn der Kindergarten war auch gleichzeitig Vorschule und da lernen die Kinder schon schreiben.
Nachmittags wenn die Kinder dann spielten. durfte sie, mit ihrer Freundin auch kommen. Ich musste unbedingt die Lehrerin sehen, bestimmte Tina. Die war wirklich sehr nett und die Kinder liebten sie. Alle Kinder hatten Schulkleider an. Die Vorschule gefiel mir, sie hatte so etwas familiäres. Jetzt wusste ich auch, warum hier im Dorf kaum Kinder zu sehen waren, die waren fast den ganzen Tag in der Schule.
Wir gingen noch an den Fluss und bauten im Sand eine Burg, von den vielen Steinen, die im Sand waren bauten wir um die Burg eine Mauer. Mit einer Eselsgeduld, schichtete Heinz die Steinchen auf einander. Dann gingen wir einen anderen Weg heim, damit er nicht wieder an Schokolade erinnert wurde. Jeden Tag Schokolade war doch nicht nötig.
Zu Hause hatte mein Schwiegervater den Herd wieder aufgestellt. Er hatte ihn nun an die andere Wand gestellt, jetzt war das Ofenrohr nicht mehr so lang. Er lachte, weil von der Decke wieder der Putz herabgefallen war. Ich machte ihm klar, dass ich das nicht lustig fände. Mir käme es vor wie ein Anschlag auf mich, zumal es immer am Tag meiner Anreise passierte. Er beteuerte, dass niemand da etwas mit zu tun hatte. Das wusste ich zwar, ließ ihn aber in dem Glauben, dass ich es für Absicht hielt. Mein Zorn auf ihn, stieg in mir auf, sobald ich ihn sah.
Als Markttag war, kaufte ich meinen Kindern etwas zum Anziehen. Sonst kaufte ich nur das, was dringend notwendig war. Täglich holte ich zwei Eimer Wasser, ging zur Quelle holte Trinkwasser und brachte mit Heinz gemeinsam die Kühe heim. Heinz glaubte die Tiere würden ohne ihn den Weg nicht finden. Dazu benutzte er einen langen Stock und lief hinter ihnen her, es sah zu putzig aus.
Meine Freundin aus dem Dorf, hatte mich nicht vergessen. Sie kam täglich, um ein Schwätzchen mit mir zu halten. Abends gingen wir oftmals das Dorf hinauf und hinunter, wie es die Einwohner täglich machten.
Das Wetter war warm und fast immer schön. Es war so, als ob es hier nur regnete wenn ich anreiste. Als alle in den Fluss zum Baden gingen, nahm ich Tina und Heinz und ging mit Maria zum Fluss. Wir hatten einen Riesenspaß und weil ich Heinz immer auf dem Arm hatte, wollte Tina auch in den Genuss kommen.
Also hatte ich auf jedem Arm ein Kind und hüpfte in dem Wasser mit ihnen. Das Wasser ging mir bis zur Brust, es war also nicht besonders tief, aber dann hüpfte ich aus Versehen in eine Vertiefung und die Kinder tauchten mit mir unter Wasser. Tina fand das nicht so toll, aber für Heinz war es das schönste Erlebnis, an unserem Badeausflug.
Als die Tiere von der Weide kamen, zogen wir uns schnell etwas über. Wir holten die Wasserkanne, die wir in Omas Garten versteckt hatten, holten Trinkwasser aus der Quelle und gingen hinter unseren Kühen nach Hause.
Unterwegs sprudelte das Mundwerk von Heinz nur so über. Jedem den er sah, berichtete er von seinem Erlebnis. Er konnte sich noch nicht so gut ausdrücken wie Tina also erzählte er: "Gingen wir mit der Mama Baden, sie schaukelte uns und schaukelte, dann fiel sie in ein Loch und deckte uns zu mit Wasser." Weil seine blauen Augen dabei so strahlten, wollte es jeder zweimal hören. Für Heinz gab es in den nächsten Tagen kein anderes Gesprächsthema.
Am Wochenende kam Stefan gleich morgens mit dem ersten Zug. Er war überrascht, dass ich da war, und begrüßte mich überschwänglich freundlich. Er blieb etwa eine halbe Stunde dann musste er dringend ins Café, um den anderen Männern dort Gesellschaft zu leisten. Als er zur Tür hinausging, fragte er mich: "Wie viel Geld hast du mir mitgebracht, Anne?" Meine Antwort war: "Keines." "Nein, „ grinste er mich ungläubig an, "das glaube ich nicht." Dann ging er zu seinem "Männerauflauf".
Als er weg war, steckte ich in meinen kleinen Geldbeutel noch zwei Zehnmarkscheine, den Großen, den ich immer am Leib trug, hatte ich bevor ich mit den Kindern zum Baden ging in meinen Schnellkochtopf gelegt. Oben auf die Tasche hatte ich meine Kartoffeln geschichtet und den Deckel zugemacht. Da war mein Geld besser aufgehoben als in meinem Koffer. In diesem Haus musste man immer auf "Nummer Sicher" gehen.
Ich kochte Nudeln mit Tomatensoße und holte meine beiden Kleinen zum Essen. Wir waren noch nicht fertig mit essen, da kam Stefan zurück. Im Café hatte man ihm erzählt, dass Heinz so großen Spaß beim Baden hatte. Jetzt wollte er mit uns nach Deurani fahren. Das sei ein See, in dem man herrlich baden könnte. Er fragte seine Schwestern ob sie mit wollten. "Das Wasser ist dort viel zu kalt," wusste Sophia. "Nein", wollte Stefan besser wissen. Die Mädchen verzichteten gerne.
Ich hatte ja keine Ahnung wo dieser See war, und machte mir Gedanken, wie wir dorthin wollten. Mit dem Zug, oder mit dem Bus? Da würde es Abend werden bevor wir ankamen. Er aß hastig die restlichen Nudeln auf, und wies uns an unsere Badesachen zu packen. "Ich brauche fünf Minuten um das Pferd vor den Wagen zu spannen," erklärte er uns.
Er spannte das Pferd vor den Ladewagen, holte noch einen Teppich auf die Sitzbank und wir sollten aufsteigen. Heinz war Feuer und Flamme bei Tina und mir, hielt sich die Freude in Grenzen. Stefan setzte sich ziemlich in die Mitte daneben saß Heinz dann Tina und ich ganz außen. Dann fuhren wir los.
Der Gaul schritt gemütlich vor sich hin, wie es sich um ein männliches, griechisches Pferd gehört. Er ließ sich auch nach einer Weile nicht antreiben und hielt konstant sein Tempo genau ein. "Kitscho" das Pferd wollte, wie es aussah gar nicht ankommen, auf jeden Fall heute nicht mehr.
Plötzlich kam ein Sturm auf und der peitschte uns den Sand ins Gesicht. Der Sturm, der Gaul und ich, waren der Meinung umzukehren. Stefan glaubte, das Wetter würde sich gleich wieder ändern. Das war auch so, denn nun fing es an Bindfäden zu regnen. Er wendete den Wagen und wie ein Wunder konnte der Gaul plötzlich laufen. Wir kamen klatschnass zu Hause an. Als wir uns abtrockneten, mussten wir lachen, denn im Grunde genommen hatten wir jetzt doch gebadet, nass genug waren wir alle vier.
Stefan beschwerte sich, dass ich ihn nach so langer Zeit, nicht euphorischer begrüßt hatte. Als ich ihm erklärte, dass ich der Kinder wegen gekommen war, zog er beleidigt ab in sein Stammcafé. Mit Marie drehte ich ein paar Runden durchs Dorf, dann ging ich zum Schlafen in mein großes Bett.
Mein Deckbett hatte meine Schwiegermutter neu gerichtet. Dazu hatte sie von meiner Bettwäsche genommen, die ich dort gelassen hatte. Nun sind die Deckbetten in Griechenland ja ganz anders wie in Deutschland.
Zuerst legte man ein großes Stück weißer Stoff auf dem Fußboden, dafür hatte sie ein Bettlaken von mir genommen. Dann verteilte man darauf Schafwolle. Als oberstes wurde dann ein buntes Stück Stoff benötigt. Für den Zweck hatte sie einen Bettbezug zerschnitten. Danach wurden die Kanten von dem Betttuch darüber geschlagen, so dass es am Ende wie ein großes gerahmtes Bild aussah. Ganz zum Schluss wurde alles mit stabilem Faden zusammengenäht. Am Ende sah es dann aus, wie in Deutschland die Steppdecken. Ein wenig tat es mir leid um den schönen Bettbezug, denn damals war bunte Bettwäsche noch recht teuer.
Bevor ich schlafen ging, kontrollierte ich noch den Inhalt in meinem Kochtopf. Sobald Stefan abgereist war, würde ich mein Geld wieder direkt am Körper tragen. Beruhigt schlief ich ein. Es war kurz nach Mitternacht, als Stefan bestens gelaunt heimkam. Jetzt wollte er das Wiedersehen mit seiner Ehefrau gebührend feiern. Ich konnte trotz all seiner Bemühungen, seinen Jähzorn nicht vergessen und war froh, als die Nacht vorüber war.
Am nächsten Morgen wollte er, dass ich ihm seine Militärjacke aufbügeln sollte, er wünschte zwei Falten in das Rückenteil. Von seiner Mutter brachte er ein vorsintflutliches Bügeleisen. Mit Kohlen in einem Bügeleisen, hatte ich noch nie gearbeitet. Also brachte ich die Jacke zu Marie. Das Bügeleisen gefüllt mit Kohlen nahm ich gleich mit. Für sie war es kein Problem, sie wusste auch wo er die Falten haben wollte. Kurze Zeit später kam ich mit der Jacke und dem Handwerkszeug wieder heim. Ich hängte die Jacke auf einen Kleiderbügel und wartete auf seine Abreise.
Zum Mittagessen kochte ich eine einfache Suppe, mit einem Brühwürfel und Reis, das musste reichen. Hier in Griechenland aß man ja nicht so viel. Ich musste an Vatis Worte denken: "Wer nicht arbeitet, braucht auch nichts zu essen."
Nach dem Mittagessen richtete Stefan sich zur Abfahrt. Meinen Kindern zog ich frische Kleidung an, dann begleiteten wir ihn zum Zug. Ich hatte ja Zeit genug da war es egal was ich tat. Als wir zur Tür hinausgingen, fragte Stefan noch einmal, ob ich ihm nicht wenigstens fünfzig Mark geben wollte. "Ich habe auch nur zwanzig Mark und muss den Kindern noch Schuhe kaufen. Obwohl ich jeden Monat fünfzig Mark geschickt habe, haben sie keine," sagte ich verärgert. Er lachte und meinte: "Die Kinder brauchen keine Schuhe, hier in Griechenland, gib mir die zwanzig Mark."
Jetzt wurde ich laut und schrie ihn an. Seine Mutter kam angerannt und wollte wissen was los war. Sie hielt zu mir und fuhr ihn an. Zum Schluss sagte sie "Scher dich zum Teufel." In Griechenland benutzt man den Ausdruck oft, aber dieses Mal war es wohl ernst gemeint. Er lief rot an und eilte Richtung Bahnhof. Wir ließen uns Zeit und kamen noch pünktlich bevor der Zug abfuhr. Die Kinder winkten, ich sparte mir die Anstrengung.
Er hatte mir auf einen Zettel seine Anschrift geschrieben, weil er glaubte, dass ich ihm schreiben wollte. Den Zettel legte ich in die Schublade vom Schreibtisch und hoffte, den Mäusen würde er schmecken.
Tina ging mit Heinz zum Spielen, und ich räumte meinen Schnellkochtopf leer. Nachdem ich den Inhalt meiner Geldtasche kontrolliert, und alles abgestaubt hatte, knöpfte ich den Beutel wieder um. Ich fing an die Wäsche einzuweichen, und stellte fest, dass ich Zahnweh hatte.
Einem meiner Backenzähne hatte der Ausflug in Wind und Wetter scheinbar nicht gefallen. Wenn das nicht wieder aufhört, dachte ich, werde ich am Mittwoch die Zahnärztin aufsuchen müssen. Zwar hatte ich etwas Angst vor ihren Instrumenten die aus dem letzten Jahrhundert zu stammen schienen, aber die Schmerzen waren auch nicht angenehm. In meiner Handtasche hatte ich Schmerztabletten, die halfen mir zunächst.
Das Wäschewaschen am Montag, machte das Zahnweh nicht besser. Ich hatte mir den kleinen Handwagen ausgeliehen und fuhr mit Heinz an den Fluss, um die Wäsche zu spülen. Heinz wollte auch die Wäsche im Wasser schwenken. Da ich aber nichts in meiner Wanne hatte, was ich einbüßen wollte, fassten wir alle Teile gemeinsam an. Es machte ihm großen Spaß und als die Wäsche fertig war, hatte ich ein klatschnasses Kind. "Jetzt muss ich dich auch auf die Leine hängen," klagte ich.
Heinz glaubte, dass ich es ernst meinte und rannte schnell zu seiner Oma. Die zog ihm die nassen Sachen aus, und weil sie nichts sauberes mehr für ihn fand, streifte sie ihm das rote Kleid von Tina über. Darunter hatte er nichts an und er lief stolz mit dem Kleidchen herum.
Meine Zahnschmerzen wollten nicht aufhören so war ich die erste, die auf die Zahnärztin wartete. Sie schaute sich den Zahn an, und alle anderen Patienten schauten zu. Keine Frage, der musste raus. Ich bekam eine Spritze, genau wie bei jedem anderen Zahnarzt auch. Ich durfte in meinem Zimmer warten, bis sie mich wieder rief. Dann zog sie mir den Zahn, sie machte es so gut wie jeder andere Arzt.
Dass meine Schmerzen auch am nächsten Tag nicht besser wurden, dafür konnte sie bestimmt nichts. Schließlich klagte ich meinen Schwägerinnen mein Leid und sie rieten mir nach Kilkis, zur Praxis der Ärztin zu fahren. Mit Sophia fuhr ich am Freitag mit dem ersten Zug nach Kilkis. Ireni wäre mir lieber gewesen, aber die war in der Schule, während Sophia mit der Schule fertig war. Sie wartete, dass Ireni auch ihren Schulabschluss hatte, dann wollten sie zusammen studieren.
Als wir am Krankenhaus vorbei kamen, fragte ich ob wir Gregor Hallo sagen wollten. Da erfuhr ich, dass der inzwischen wieder in Deutschland war und dort eine Arbeit hatte. Nicht weit vom Krankenhaus fanden wir die Zahnarztpraxis. Wir mussten klopfen, denn die Tür war verschlossen.
Die Ärztin kam gut gelaunt an die Tür und nahm mich sofort in das Behandlungszimmer. Dort war alles so, wie ich es von Deutschland her kannte, es schien sogar als ob sie elektrischen Strom hatte. Vielleicht gab es den hier schon.
Mit ihrer großen Lampe leuchtete sie mir in das Zahnloch, säuberte es und steckte mir mit einer feinen Pinzette ein kleines Kügelchen in das Loch wo vorher die Wurzel war. Das würde die Entzündung heilen und dann hätte ich auch keine Schmerzen mehr. Am Mittwoch wollte sie ja wieder aufs Dorf kommen. Da würde sie noch einmal nachsehen. Das Kügelchen schmeckte bitter, aber die Wirkung war wunderbar.
Jetzt ging es mir wieder gut und ich konnte mich meinen Kindern widmen. Am Markttag kaufte ich ein paar Stoffreste. Mit Marias Hilfe nähte ich meinen Kindern ein paar Kleidungsstücke. Für Tina kaufte ich ein paar Schuhe. Da ich sparsam sein musste, würde Heinz die alten Schuhe von Tina anziehen müssen.
Im Dorf wurde eine Hochzeit vorbereitet. So eine Hochzeit dauert in Griechenland mindestens drei Tage. Da die Braut aus einem Nachbarort kam, feierte in unserem Dorf eine reine Männergesellschaft. Sie tanzten Sirtaki durch alle Straßen. Dann kam die Hochzeitsgesellschaft der Braut. Nach der kirchlichen Trauung begleiteten alle das Brautpaar in das Haus des Bräutigams. Dort soll es dann eine unbeschreibliche Anzahl von Speisen gegeben haben.
Zwar war ich eingeladen, aber ich hatte "unanständiger weise" dankend abgelehnt. Dafür hatte ich aber nachher das ganze Dorf für mich und Heinz, denn Tina war nicht zu halten. Sie hatte sich unter die Hochzeitsgäste gemischt. Heinz und ich nutzten die Zeit und brachten die Kühe in den Stall, holten Trinkwasser und besorgten uns bei der Oma im Garten zwei Tomaten. Somit war unser Abendessen auch gesichert.
Weil niemand von der Hochzeit heimkam, und es bald dunkel wurde, nahm ich eine alte Obstkiste und den Melkeimer um die Kühe zu melken. Die ersten zwei gaben keine Milch, sie waren trächtig. Bei der Dritten kam nicht viel und die letzten zwei gaben jede etwa drei Liter. Eine magere Ausbeute. Da ich mich nicht auskannte wo der Milchseiher war, nahm ich ein sauberes Sieb von mir und ein frisches Küchentuch und filterte die Milch. Dann ließ ich die saubere Milch in der Küche auf dem Tisch stehen, damit meine Schwiegermutter sah, dass die Kühe gemolken waren.
Für Heinz und mich machte ich Tomatenbrote, das mochten wir beide gern. Als ich am überlegen war, ob ich Tina von der Hochzeit holen sollte oder vielleicht nicht, kam meine Schwiegermutter mit Tina heim. Sie wollte meine Lampe, denn es sei dunkel und sie müsste noch melken, sagte sie ganz aufgeregt. "Kühe fertig“, strahlte Heinz. Falls die Kühe noch zum Fressen bekämen oder das Pferd, bot ich an, dann würde ich mit der Lampe mitkommen. Die Kühe waren ja den ganzen Tag auf der Weide, aber das Pferd brauchte auf alle Fälle noch Wasser. Also gingen wir noch gemeinsam in den Stall.
Stolz zeigte mir die Oma, dass drei ihrer Kühe trächtig waren. Voller Vorfreude versicherte sie, dass sie dann auch viel Geld hätte. Ich sah das realistischer, denn erst mal mussten die Kälber geboren werden, dann mussten sie wachsen, bevor sie die zu Geld machen konnte. Mir fiel die Geschichte von der Milchmädchen-Rechnung ein, und ich erzählte sie meiner Schwiegermutter. Ob sie den Sinn verstanden hatte?
Ihre Hühner waren seit letztem Jahr auch nichts mehr geworden, stellte ich fest. Jeden Tag holte sie alle Eier aus dem Nest, da konnte kein Huhn brüten. Dann schlachtete sie an Feiertagen eines, kaufte aber kein Huhn nach. So kam sie auf keinen grünen Zweig.
Sie kam in die Küche und sah die saubere Milch und freute sich so, dass sie mir meinen Stieltopf füllte. So konnte ich für meine Kinder noch eine Tasse Milch warm machen, denn das mochten beide gern. Am kommenden Morgen wollte sie dann mit mir zusammen die Braut besuchen.
Im Bett überlegte was ich denn der Braut schenken könnte. Da fiel mir ein, dass ich noch gehäkelte Taschentücher hatte, ganz neu und schön gebügelt. Da ich die Braut ja gar nicht kannte, und auch nicht beim Hochzeitsmahl war, sollte das genug sein.
So ging ich am nächsten Morgen zuerst Wasser holen. Meine Schwiegermutter brachte die Kühe weg und als sie mit ihrem Trinkwasser wieder zurück war, gingen wir gemeinsam die "Niffi" besuchen. Ich hatte ein schönes Tüchlein ausgesucht und da ich kein Geschenkpapier hatte, legte ich eine Blume darauf. Dann kamen wir zu dem Haus. Über den Gartenzaum war ein beschmutztes Leintuch gehängt.
Ich war sehr erstaunt, was sollte das? Die Mutter des Bräutigams wartete vor dem Haus auf die Besucher. Stolz zeigte sie das Betttuch als Beweis, dass ihr Sohn eine Jungfrau geheiratet hatte. Die Braut war nirgends zu sehen. Meine Schwiegermutter fragte das scheinbar übliche: "Was macht die Niffi, kann sie arbeiten?" Die Antwort der Frau war: "Ja, sie macht die Wohnung sauber." Ich gab mein kleines Geschenk für die Braut. Ob sie es auch bekommen hat, habe ich nicht erfahren.
Alte Sitten und Gebräuche mochte ich, wie zum Beispiel in Deutschland der Weihnachtsbaum am Heiligabend und die Ostereier zum Osterfest. Diesen alten Brauch allerdings, fand ich peinlich.
Sophia, hatte ihr Abitur hinter sich gebracht und war eine sehr hübsche junge Frau geworden. So kam es, dass laufend junge Männer ins Haus kamen, um sich als möglichen Bräutigam vorzustellen. Sie saß dann immer bei mir im Zimmer und horchte, was in der Küche gesprochen wurde. Ihr Vater und der junge Mann, saßen am Tisch und tranken Anisschnaps.
Die Mutter saß in Hocke neben dem Küchenschrank. Sophia lachte über jeden der Männer, an allen hatte sie etwas auszusetzen. Im Grunde genommen hatte sie auch gar nicht die Absicht, jetzt schon zu heiraten. Sie wollte studieren und ihr Wunsch war Mikrobiologin zu werden. Mit Ireni gemeinsam wollte sie im nächsten Jahr auf die Uni gehen. Die hatte aber noch keine Ahnung was sie studieren möchte.
Mein Schwiegervater erntete seine Felder ab und Pferd und Wagen kamen fleißig zum Einsatz. Heinz ging oft mit, weil er dann immer auf dem Wagen sitzen durfte. Dann wurde wieder Wein gemacht und ganz zum Schluss kam der Tabak vors Haus. Nun saß Sophia mit ihrer Mutter vorm Haus und spießte Tabakblätter auf.
Wenn Sophia nicht vor dem Haus saß, dann stickte sie an einem großen weißen Tuch. Um den Rand des Tuches, stickte sie eine wunderschöne Bordüre in mühevoller Kleinarbeit. Mit winzigen Kreuzstichen entstanden ganze Landschaften und Menschen in original griechischen Trachten. Die Bordüre war wunderschön. "Was soll das werden“, fragte ich sie, "ein Tischtuch?" "Nein“, war die Antwort, "das wird ein Betttuch." Ein besticktes Bettlaken hatte ich noch nie gesehen. Ich fragte nicht weiter aber bei mir dachte ich: "Sie will ein besonders schönes Betttuch haben, wenn es am Gartenzaun bewundert wird."
Stefan kam auch eines Tages wieder vorbei, er kam des Morgens und fuhr am Abend wieder fort. " Im nächsten Jahr werde ich in Saloniki stationiert, dann kann ich öfters kommen“, stellte er in Aussicht.
Für mich wurde es Zeit, Vorbereitungen für die Weihnachtszeit zu treffen. Ich fing an den Adventskalender für meine Kinder zu machen. Auf dem Markt suchte ich nach Kleinigkeiten, die in die Beutelchen passten. Es war mühselig, aber ich bekam einiges zusammen. Außer Erdnüsse, Bonbons und Schokolade fand ich ein winziges Püppchen für Tina, und ein ganz kleines Auto für Heinz. Einen Tag sollte Tina den Beutel abschneiden und am anderen Tag Heinz. Den Inhalt mussten sie teilen. Bis auf den Nikolaustag, da hängte ich zwei Beutel auf.
Dann schmückte ich unser Zimmer wie im Vorjahr, besorgte vier Kerzen und wir sangen wieder Weihnachtslieder. Ireni kam oftmals zu uns ins Zimmer und erfreute sich an unserer Vorweihnachtsstimmung. Tina erkannte die Lieder wieder und sang kräftig mit. Sie war seit einiger Zeit zwei-sprachig. Wenn ich mal ein griechisches Wort falsch aussprach, lachte sie und verbesserte mich. Manchmal übersetzte sie auch, und dann fühlte sie sich wie eine Lehrerin. Heinz hingegen sprach nur griechisch, verstand aber scheinbar beides.
Draußen wurde es etwas kühler, aber es war immer noch angenehm. Statt Schnee gab es Regen zu Weihnachten. Unser Zimmer hatte ich weihnachtlich herausgeputzt und für die Kinder hatte ich Latzhosen genäht, die bekamen sie vom Christkind und jedes eine Tafel Schokolade. Das war gar nicht so einfach, die hatte ich bestellen müssen, denn hier wurde Schokolade immer in Riegeln zu 20 Gramm verkauft. Tina und Heinz sprudelten über vor Freude über die großen Tafeln Schokolade.
Im Herd hatten wir wieder Esskastanien von der Oma, und auf der Herdplatte brutzelten Bratwürstchen. Die hatte Janis extra für uns gemacht. Er war immer stolz wenn er etwas herstellte was ich bestellt hatte. Die Würstchen schmeckten wirklich lecker. Die Kinder waren so glücklich mit den wenigen Kleinigkeiten, die sie bekommen hatten. Sie spielten ausgelassen und ich versank in meinen Gedanken.
Als ich noch klein war, bin ich doch vergleichsweise reich beschenkt worden, und habe mich nie so gefreut wie Tina und Heinz, über fast nichts. Zum Anfang der Weihnachtszeit hatte ich an Mutti geschrieben. Ich hatte sie gebeten mir ein paar von ihren Weihnachtsplätzchen zu schicken, die doch immer so lecker waren. Dann schrieb sie mir zurück, dass sie schon lange keine Plätzchen mehr backen würde. Ach ja das konnte ja wahr sein, vorstellen konnte ich es mir aber nicht. Nun überlegte ich, was ich morgen zum Essen machen wollte. Ein besonderes Weihnachtsessen konnte ich nicht kochen aber die Kinder mochten Reibekuchen sehr gern, die wollte ich machen.
Es klopfte an der Tür, und Ireni wollte sich auch gern an unserem Weihnachtsschmuck erfreuen. Sie hatte den Kindern Wundertüten gebracht, die gab es am Kiosk. "Du bist doch kein Christkind“, rügte Tina entsetzt. Nun musste ich ihr klarmachen, dass es das Christkind verwechselt hatte, es konnte doch nicht wissen, dass Sophia und Ireni später Weihnachten haben.
Tina machte ihre Tüte auf und es war ein Ring darin. Den steckte sie gleich an ihren Finger und winkte stolz mit ihrer Hand. In Heinz seiner Tüte war ein kleiner Traktor in rot. Jetzt hatte er zwei Autos zum Spielen. Ireni sagte: "Jetzt müssen wir eine Garage bauen für deine Autos." Heinz war begeistert von der Idee, ich nicht, denn woher sollte ich einen passenden Karton nehmen, eine Garage zu bauen?
In meinem Koffer hatte ich noch einen Kästchen vom Häkelgarn. Das gab ich Ireni und dazu gleich eine Schere. Jetzt konnte sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Das tat sie auch, sie baute mit Heinz eine Doppelgarage mit zwei Toren dazu auch noch Fenster zum Lüften wenn der Motor stinkt.
Ireni gefiel unser Weihnachtsfest, die Kerzen, und die funkelnden Kugeln die ich an den Wänden aufgehängt hatte. Sie aß fleißig von den Esskastanien und bekam von Tina etwas von ihrer Schokolade. Als ich ihr erzählte, dass ich für den nächsten Tag Reibekuchen machen wollte, war sie ganz begeistert. Sie wollte Äpfel besorgen, für das Apfelmus dazu. Ich gab ihr 50 Lepta und bat sie, davon Eier zu kaufen. Es war ja Weihnachten, aber die Läden würden nicht geschlossen haben, denn niemand feierte wie ich, jetzt das Weihnachtsfest.
Am Morgen des ersten Weihnachtstages hatte es aufgehört zu regnen. Die Sonne schien schon wieder und es reichte eine Strickweste über zuziehen. Zum Frühstück legte ich für jeden eine Scheibe Brot auf die Herdplatte, das Brot war dann ähnlich wie Toastbrot. Wir liebten so zu frühstücken. Für mich hatte ich Kaffee aus Deutschland mitgebracht, Und die Kinder bekamen ein Kakaogetränk. Sie waren nicht verwöhnt. Ich goss den Kakao mit Wasser auf und gab ein wenig Milch hinzu.
Danach wollten Tina und Heinz ihre Weihnachtsgeschenke im Dorf herumzeigen. Das erlaubte ich nicht, sie durften zwar erzählen, was sie bekommen hatten, aber die Geschenke blieben daheim. Es war schon so wenig was sie bekommen hatten, da mussten sie es nicht irgendwo verlieren oder liegenlassen. Schließlich sahen sie es ein und gingen los, um allen Leuten zu verkünden: "Das Christkind war bei uns." Heinz überschlug sich wieder beim schwätzen vor lauter Freude und erzählte allen, dass er eine riesige Tafel Stokolata bekommen hatte. Das wollten natürlich alle hören.
Langsam hatte ich den Eindruck, dass er absichtlich "Stokolata" sagte, denn wenn er auf die Frage "Was hast du bekommen?" wieder das Wort sagte, griff jeder in die Tasche und gab ihm etwas. So hatte er stets volle Hosentaschen. Er sammelte Erdnüsse, Bonbons und Sonnenblumenkerne, die er immer mit Tina teilte.
Nachdem ich meine täglichen zwei Eimer Wasser geholt hatte, fing ich an Kartoffeln zu schälen. Ireni war schon auf. Ich trieb sie an die Äpfel zu besorgen, denn das Apfelmus musste ja auch erst gekocht werden. Sie brachte ein paar Äpfel und zwei Eier und schaute mir beim Äpfel schälen zu. Als ich die Äpfel klein geschnitten im Topf auf den Herd stellte, kam sie mit Zucker. Ich sagte: "Zucker kommt ganz zum Schluss hinein. wenn das Mus nur noch warm ist." Die Äpfel schienen süß genug zu sein, da brauchte ich wahrscheinlich gar keinen Zucker.
Jetzt holte ich meine kleine Handmühle aus dem Schreibtisch, die hatte drei Einsätze. Das Gerät hatte gar nicht viel gekostet und war ein wunderbarer Küchenhelfer. Damit rieb ich meine Kartoffeln. Ireni schaute genau zu, merkte aber bald, dass sie diese Teil mit einer Hand nicht bedienen konnte.
Dann wurde sie aber doch aktiv und rührte die Eier unter die Kartoffelmasse. Ach wenn ich doch Petersilie gehabt hätte, aber erstens wusste ich nicht wie das heißt, und zweitens würzten die Leute hier mit anderen Kräutern. Ireni war sehr interessiert an der deutschen Küche, besonders wenn sie etwas gern mochte. So backten wir eine große Anzahl Reibekuchen. Die stellten wir im Backofen warm.
Das Apfelmus war auch nur noch lauwarm. Als ich es probierte, war es ganz ohne Zucker süß genug. Ich machte frischen Kaffee, dann setzten wir uns an den Tisch und aßen mit einander, denn auf die Kinder konnten wir nicht warten. Sie meinte: "Du könntest doch jede Woche Reibekuchen machen." Das war ein frommer Wunsch, denn Kartoffeln gab es hier nicht so üppig wie in Deutschland.
Ich machte heißes Wasser zum Spülen und als wir gerade fertig waren, kam Stefan. Er wünschte mir ein schönes Weihnachtsfest und fragte gleich darauf: "Was hast du gekocht, Anne?" "Deine Schwester und ich haben Reibekuchen gebacken", erzählte ich ihm. Ja, Reibekuchen wollte er auch ein paar.
Er aß von den Kartoffelpuffern und wollte wissen warum ich keinen Braten gemacht hatte, es sei doch für mich das Weihnachtsfest. "Einen Braten kann ich nicht machen, weil ich kein Geld habe", erklärte ich ihm. Für morgen wollte er mir einen Braten kaufen, versprach er und wollte wissen: "Was willst du denn für ein Fleisch? Kalb, Rind, Schwein oder vielleicht Schaf oder Ziege?" Da Kalbfleisch in Deutschland recht teuer war, bat ich ihn Kalbfleisch zu besorgen. "Auf keinem Fall Ziege." gab ich ihm mit auf den Weg. Ich wusste, dass er zuerst mal in sein Café musste, da blieb mir wieder genügend Zeit meinen Geldbeutel zu verstecken. Dieses Mal waren es Zwiebeln, die ich in meinen Schnellkochtopf, zur Tarnung auf die Geldtasche schichtete.
Tina und Heinz kamen ins Zimmer "Wir haben Hunger, aber richtig viel", verkündete Tina. Es waren noch genügend Reibekuchen im Backofen. Also brachte ich zum dritten Mal das Essen auf den Tisch. Während die Kinder es sich schmecken ließen, erzählte ich, dass ihr Vater gekommen sei. Heinz hatte es plötzlich eilig, er wollte seinem Vater vom Christkind erzählen. Er schnappte sich noch einen Pfannkuchen und schon war er weg.
Tina blieb bei mir, und ich erzählte ihr das Märchen von dem Mädchen mit den Schwefelhölzchen. Als ich von dem Schnee erzählte, stellte ich fest, dass sie den Schnee vom letzten Jahr schon vergessen hatte. Stefan brachte Heinz heim, an den Braten hatte er nicht mehr gedacht. Er wollte ja auch nur Heinz bringen, dann musste er gleich wieder in sein Café zurück.
Ich sagte nichts mehr von dem Braten, denn wenn er keinen brachte, brauchte ich auch keinen zu machen. So schnell ging das auf meinem Herd auch gar nicht, ich musste ja immer mit Kohlen sparen. Also wollte ich auch schlafen und hoffte, dass er recht lange in seinem Café blieb. Von der Krankenschwester hatte ich einen Tipp bekommen: "Wenn du keine Lust hast auf Liebe, dann leg dir einfach eine Camelia in die Unterhose, dann ekeln sich der Mann und lässt dich schlafen." Das wollte ich jetzt unbedingt ausprobieren. Ich ging ins Bett und dauerte nicht lange, da kam Stefan und hatte natürlich den Braten immer noch nicht.. Nach einem kurzen Besuch in meinem Bett, suchte er sich eine andere Schlafgelegenheit. Die Wirkung war zufriedenstellend.
Am nächsten Morgen machte ich gleich den Herd an, damit die Herdplatte richtig heiß wurde für den Braten. Dann kochte ich zuerst Kaffee und Kakao für die Kinder. Stefan wollte keinen Kaffee, er trank den Kakao der Kinder. Deshalb gab ich ihm einen kleinen Topf, und erwartete diesen mit Milch gefüllt zurück.
Tatsächlich kam er mit Milch, frisch gemolken und ungefiltert. Als ich bemerkte, dass die Milch nicht sauber war, trank er gleich die Hälfte davon und behauptete, dass sie so am besten sei. Ich reinigte die restliche Milch mit einem Tuch und kochte den Kindern einen neuen Kakao. Er hatte den Braten schon vergessen, und ging schnellen Fußes verschiedene Besuche im Dorf zu machen. Den Braten konnte ich vergessen.
Nun schnappte ich mir den letzten Reibekuchen, bevor er in falsche Hände gelangte. Wenn Stefan nicht da wäre, hätte ich mir Hackfleisch gekauft und Frikadellen gebraten, aber da er nie etwas zum Essen brachte, sollte er bei mir auch nichts finden. Ich wusste genau, dass er im Café etwas essen würde. So war es denn auch.
Am frühen Nachmittag tauchte er auf, um sich zu verabschieden. Er sei jetzt in Saloniki bei der UN, jetzt wollte er öfters kommen. Heute musste er noch ein Mädchen besuchen, teilte er mir mit, um mich eifersüchtig zu machen. "Ja, grüß sie von mir", gab ich ihm auf den Weg. Da Tina und Heinz nicht da waren, ging er, ohne sie noch einmal zu sehen. Er hatte in meinen kleinen leeren Geldbeutel auf dem Tisch gesehen, und fragte nicht ob ich Geld hätte oder gar brauchen würde.
Mir war die Lust auf Fleisch vergangen, ich kochte Nudeln ab, holte mir von meiner Schwiegermutter zwei Löffel selbstgemachtes Tomatenmark und machte eine Soße zu den Nudeln. So endete für uns das Weihnachtsfest. Da es draußen nicht sehr schön war, saßen wir viel im Haus herum.
Mit meinem Herd war es immer gemütlich warm, und meistens hatten wir Maronen im Backofen. Ireni war oft in unserem Zimmer, sie schaute mir zu wenn ich häkelte. Sie hätte für ihr Leben gern Handarbeiten gemacht, musste sich aber mit einem Arm aufs Sticken beschränken. An einem Stück Stoff zeigte ich ihr wie man eine Durchbruchdecke machte. Leider konnte ich ihr kein Material dafür kaufen, denn ich wollte nicht Ireni geben, und Sophia nicht. Für beide war es mir zu teuer.
Nach Neujahr feierten die Griechen ihr, in meinen Augen, armseliges Weihnachtsfest. Stefan kam jedes zweite Wochenende, und ich überlegte ob ich bis Ostern durchhalten wollte.
Nein meinen Kindern würde ich ganz sicher das Osterfest nicht verderben. Darum riss ich mich zusammen. Als alle anderen im Haus mit ihrem Weihnachtsfest beschäftigt waren, machte ich noch einmal ein richtig gutes Essen. Ich kaufte ein schönes Stück von einem Lamm. Dazu machte ich Bohnen und Kartoffeln im Ofen angebacken. Wir aßen drei Tage lang von dem Braten, er war wirklich köstlich.
Danach begann ich die Kleidung der Kinder in Ordnung zu bringen. Ich stopfte, flickte und nähte Knöpfe an. Es sollte alles perfekt sein, wenn ich nach Deutschland ging. Ireni fragte mehrmals wann ich wieder abreise. Dann machte ich mit meinem Finger Kreise in die Luft und sagte dazu: "Vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche, vielleicht auch gar nicht." Für mich war es klar, Ostern wollte ich wieder wegfahren, aber erst wenn die Kinder Eier gesucht hatten. Dieses Mal wahrscheinlich am zweiten Ostertag.
Im März, als Stefan wieder zu Besuch kam, fragte er auch: "Wie lange bleibst du noch, Anne?" Da war ich die Fragerei leid und wollte wissen, ob sie es nicht erwarten könnten. "Doch," sagte er, "es ist nur, weil mein Bruder Ostern aus Australien kommt, mit seiner Frau und zwei Kindern. Der muss dann auch hier unterkommen." "Ach", rutschte es mir raus, "wird er schon wieder von der Polizei verfolgt?" Das kam bei Stefan nicht gut an, wahrscheinlich hatte ich recht.
Ich versprach, abzureisen sobald er da sei, sofern ich von ihm das Fahrgeld bekäme. Er zog seinen prall gefüllten Geldbeutel aus der Tasche und zog genau so viel Geld heraus wie ich für die Karte brauchte. Dann erwartete er von mir, dass ich dankbar dafür war. Langsam richtete ich meinen Koffer, damit jederzeit abreisen konnte.
Ireni und ich bemalten die Ostereier für Tina und Heinz. Dann machten wir Nestchen aus Heu und legten in jedes Nest ein Ei und ein Bonbon. Ireni gefielen die deutschen Osterbräuche und sie wollte wieder zusehen, wenn die Kinder nach Eier suchten.
Sie stand extra früh auf, und war dabei als ich die Eier versteckte. Warum man den Kindern sagte, dass es der Osterhase macht, konnte sie nicht verstehen. Leider konnte ich es ihr auch nicht erklären. Ausgerechnet jetzt kam auch noch der Lehrer, der oben wohnte, von der Jagd. Er hatte einen Hasen erlegt. Ich war heilfroh, dass er den Hasen mit in seine Wohnung nahm. Von den Kindern wäre das sicher nicht gut aufgenommen worden.
Nach dem Frühstück gingen wir mit den Kindern Eier suchen. Heinz hatte seine helle Freude. Tina suchte auch, aber sie schien bedrückt. Als alle Nestchen gefunden waren, fragte sie: "Mama, musst du jetzt wieder wegfahren?" Sie hatte nicht vergessen, dass ich letztes Jahr nach dem Eiersuchen abgereist war. "Nein", beruhigte ich sie, "heute fahre ich nicht weg." Das war nicht gelogen, aber bei mir stieg Abschiedsstimmung auf.
Am Abend mit dem letzten Zug, kam dann der ersehnte Sohn mit seiner Familie. Nachdem ich sie alle begrüßt hatte, ging ich in unser Zimmer, um es für diese Nacht noch einmal zu verteidigen. Der Bruder hatte zwei Mädchen, von denen war eines etwa so alt wie Tina. Sie freundeten sich gleich an.
Für mich war es das Beste was passieren konnte, denn jetzt waren die Kinder abgelenkt und würden schneller über den Abschied hinweg kommen. Am Kiosk kaufte ich noch für jeden einen Schokoladenriegel, die wollte ich ihnen geben bevor ich in den Zug einstieg.
Die ganze Nacht heulte ich vor lauter Abschiedsschmerz. Dann frühstückte ich noch einmal mit meinen Kindern und nahm mit, was in meinen Koffer passte. Nun verabschiedete mich von den Schwiegereltern und den großen Rest der Familie. Danach ging ich mit Tina, Heinz und Ireni zum Bahnhof. Dort kaufte ich die Fahrkarte und wartete bis der Zug kam. Tina konnte es kaum erwarten bis der Zug endlich einfuhr, denn sie wollte zurück zu ihrer neuen Freundin.
Tränenüberströmt bestieg ich den Waggon und konnte mich bis Saloniki nicht beruhigen. Zum ersten Mal verzichtete ich auf den Besuch im Café, stattdessen kaufte ich mir ein paar Riegel Schokolade. Zwei Stunden wartete ich auf den Zug. Dann stieg ich ein, suchte mir einen ruhigen Fensterplatz und hievte meinen Koffer ins Gepäcknetz.
Für die nächsten zwei Tage würde das hier mein Zimmer sein. Die Frage war nur, mit wem und mit wie viel Leuten ich es noch teilen musste. Im Augenblick war ich noch allein und machte gleich mal ein Nickerchen. Wenn ein Beamter das Abteil betrat, ging meine Hand ganz automatisch zu meinem Pass. Dieses Mal musste ich mein Visa im Zug kaufen. Das war sogar einfacher als wenn ich es mir in Saloniki geholt hätte, und kostete nur fünf Mark.
Das Abteil füllte sich, ich hielt mich zurück, und blieb auf meinem Platz sitzen. Die Mitfahrer waren keine Griechen ich verstand kein Wort. Eine der Frauen wollte unbedingt meinen Platz. Es fiel mir im Traum nicht ein, den Platz zu räumen. Deshalb fuhr ich die Frauen an, mich in Ruhe zu lassen. Jedes Mal wenn ich zur Toilette ging versuchten sie, mir meinen Platz zu besetzen. Ich fluchte auf Deutsch und auf Griechisch und sie räumten widerwillig meinen Platz. Nach einem Tag gaben sie ihre Bemühungen auf. Vom Zugservice ließ ich mir ein paar Mal Kaffee und ein belegtes Brötchen bringen, das war nicht einmal so teuer. Es machte aber Eindruck auf meine Mitreisenden.
Ab Rosenheim kam ein deutscher Versorgungswagen mit Speisewagen, da kaufte ich nur noch Kaffee, und aß Schokoriegel dazu und brotähnliche Kekse, die ich mir in Griechenland gekauft hatte.
Nach der Passkontrolle an der deutschen Grenze, machte ich noch ein kleines Schläfchen. Dann holte ich meinen Koffer aus dem Gepäcknetz und holte meinen Mantel heraus. Den würde ich in Stuttgart ganz sicher brauchen.
Es überraschte mich nicht, dass mir ein kalter Wind um die Ohren pfiff, als ich aus dem Zug stieg. Mein Mantel sah ja warm aus, er war aus Plüsch, aber die Kälte kroch durchs Gewebe. Ich flüchtete vom Bahnsteig in die Bahnhofshalle und wieder war zu spät einen Unterschlupf für die Nacht zu suchen.
Deshalb ging ich in der Halle ins Bahnhofskino, und schaute mir den laufenden Film gleich zweimal an. Anschließend irrte ich durch die Hallen und fühlte mich beobachtet und verfolgt. Da nahm ich den nächsten Zug nach Ludwigsburg, um dort den Rest der Nacht auf dem Bahnhof zu verbringen.
Als die ersten Läden öffneten, kaufte ich mir am Kiosk eine Tageszeitung, und ging in das nächste Café um zu frühstücken. Nach ungefähr einer halben Stunde, hatte mein Körper sich wieder aufgewärmt. Nun begann ich die Zeitung zu studieren.
Das Café, in dem ich gerade saß, suchte auch eine Serviererin. Nun schaute ich mir die Leute genauer an, und ich erkannte, dass es hier zuging wie in einer großen Familie. Die Dame am Buffet wurde vom Personal "Mutti" genannt. Tatsächlich machte sie einen sehr mütterlichen Eindruck.
Als ich mein Frühstück zahlte, fragte ich die Bedienung: "Kann ich bitte die Chefin sprechen, ich habe die Anzeige gelesen.“ Die freundliche Serviererin bat mich noch ein wenig zu bleiben und brachte mir von dem Konfekt aus eigener Herstellung, mit dem Gruß von der Chefin, ich sollte mich noch ein wenig gedulden.
Dann kam sie, natürlich, hübsch und ungeschminkt. Ihr Anblick erweckte Vertrauen in mir. Da teilte ich ihr mein Anliegen mit: "Ich bin gerade aus Griechenland gekommen und habe aber noch kein Zimmer, sobald ich eines gefunden habe, kann ich mich um die Steuerkarte kümmern."
Sie schaute mich kurz an, dann lächelte sie: "Sie können im Hotel nebenan ein Dienstbotenzimmer haben, allerdings ein Zweibettzimmer. Eines unserer Mädchen wohnt schon in dem Zimmer". Sie winkte einem Mädchen und stellte uns vor. Meinen Koffer konnte ich sofort in das Zimmer bringen und in einer Stunde den Mietvertrag dafür holen.
Danach hätte ich Zeit meine Anmeldung zu machen und die Steuerkarte zu besorgen. Morgen früh sollte ich um sieben Uhr zur Frühschicht erscheinen. Sie betonte: "Schwarzer Rock, schwarzer oder weißer Pulli, bzw. Bluse und schwarze Sandalen. Die Servierschürze wie üblich, sauber, gestärkt und gebügelt".
Eine Stunde später hatte ich den Mietvertrag und ging aufs Rathaus. Ich kam mir ein wenig überrumpelt vor, hatte ich doch meiner vorigen Chefin versprochen, dass ich zurück käme. Dafür hatte ich eine sehr preiswerte Unterkunft. Im Monat sollte ich fünfzehn Mark bezahlen. Allerdings waren auf dem Flur noch die Zimmer der Konditor-Lehrlinge und alle hatten gemeinsam einen Waschraum, sowie ein gemeinsames Klo. Wir waren aber zu verschiedenen Schichten eingeteilt, da kam es selten vor, dass man sich im Waschraum begegnete.
Im Zimmer packte ich noch schnell meinen Koffer aus und legte mich ins Bett um Schlaf nachzuholen. Als meine neue Kollegin ins Zimmer kam, hatte ich schon einige Stunden geschlafen. Nun stellte ich meinen Wecker und setzte meinen Schlaf fort.
Pünktlich erschien ich zum Frühdienst. Die Chefin stattete mich mit einem Schlüssel für die Registrierkasse aus. Dann drückte sie mir eine Speise- und Getränkekarte in die Hand, die ich nebenbei ansehen sollte. Die Tische, die sie mir zuteilte waren im Bereich der Polstermöbel, und dort saß kein Mensch. Deshalb fing ich an, die Tische blank zu putzen. Ab morgen sollte ich früher kommen weil die Frühschicht immer das Café putzen musste. Wenn dann die ersten Gäste kamen sollte man fertig sein damit.
Die ersten Gäste kamen immer schon um sieben Uhr. Die hatten es eilig, blieben gleich unten sitzen, frühstückten und eilten zum Zug. Nach acht wurde es dann ruhiger. Die Gäste die jetzt kamen, hatten Zeit und verteilten sich im ganzen Lokal. jetzt bekam ich auch genug Arbeit. Später kamen die Gäste, die nur eine Kleinigkeit essen wollten. Es gab Würstchen und belegte Brötchen sowie Königinnen-Pastete und verschiedene Suppen. Die Speisekarte war übersichtlich.
Mir gefiel die Arbeit in dem Café, und mit meinen Kolleginnen kam ich bestens aus. Der Verdienst war nicht überragend, aber es reichte um meinen Kindern wieder fünfzig Mark am Ende des Monats zu schicken.
In der Spätschicht lernte ich meinen neuen Chef kennen. Er bewegte sich im gleichen Tempo wie Stefan, darum ging ich gleich auf Distanz. Wenn er mich etwas fragte, bekam er eine kurze Antwort von mir. Er schien mich zu mögen, und forderte mich auf, mir die Konditorei anzuschauen. Da ich zögerte, ergriff er meine Hand und zog mich hinter dem Tresen, die Stufen hinab, in die große Tortenbäckerei. Da waren die tollsten Torten alle schon zum Verkauf hergerichtet.
"Was möchtest du gern probieren"? Fragte er mit einem Lächeln. "Danke", wehrte ich ab, "ich hatte gerade Mittagessen." Seine Frau versorgte alle ihren Angestellten täglich mit Essen.
"Meine Güte, sind Sie bescheiden", beschwerte er sich. Dann musste ich mit zu den Pralinen. Das waren die reinsten Meisterwerke. Meine Augen hingen noch an den Verzierungen der kleinen Kunstwerke, da schob er mir eine der leckeren Kugeln in den Mund. "Hmm, sehr lecker", lobte ich das Naschwerk. Schon bekam ich die nächste Praline in den Mund geschoben. Mit vollem Mund sagte ich: "Ich habe in meinem Leben noch nie so etwas Delikates gegessen". Das war nicht geschmeichelt, das war ehrlich. Er wollte wissen, ob meine letzte Chefin auch so gute Pralinen hatte. "Bei ihr habe ich nie welche gesehen", gab ich ihm zur Antwort.
Gerade wollte ich mich Richtung Treppe drehen, da hielt er mich noch einmal zurück. "Wenn wir unser Café im Park wieder aufmachen, möchten Sie da nicht mitkommen, als Chefin für die Bedienungen"? Ich war ein wenig verwirrt, und fragte: "Trauen Sie mir das denn zu"? "Unbedingt", war seine Antwort, "sie sind immer sauber angezogen, gut frisiert und im Gesicht nicht angemalt. Außerdem schätze ich es, wenn die Mädchen nicht so viel schwätzen." Einen Moment überlegte ich, dann sagte ich zu, und ging zurück an meinen Arbeitsplatz.
Eine Kollegin hatte mir in der Zwischenzeit meine Tische mit bedient. Sie wollte wissen wo ich so lange war. "Der Chef hat mir die Konditorei gezeigt", verriet ich ihr. "Jeder darf einmal in die Konditorei. Wie viel Stück Torte hast du denn gegessen"? Fragte sie neugierig. "Keines", war meine Antwort. Sie schaute mich mitleidig an und meinte: "Oh je, das wird dem Chef aber nicht gefallen haben. Hat er nicht gesagt: Du bist zu blöd zum Torte essen"? "Nein hat er nicht, ich musste zur Strafe Pralinen essen", lachte ich.
Pfingsten machten wir das kleine Café im Park auf. Es bestand aus einem Wintergarten, und einer Terrasse, die teilweise überdacht war. Es war sehr übersichtlich. Die Tochter und der Sohn vom Chef, hatten hier das Sagen. Beide waren sehr nett. Den Service machte ich anfangs allein, denn das Geschäft musste erst anlaufen.
Schon im Juni mussten wir noch zwei Mädchen einstellen. und das Café war es immer voll. Da kam plötzlich Gregor und wollte als Kellner bei uns anfangen. Er hatte zur Zeit weder Arbeit noch ein Zimmer. Da Gregor ja sehr gut deutsch sprach, und wir viel zu tun hatten, konnte er anfangen. Mein Chef gab ihm eine Schlafgelegenheit bei den Konditoren.
Ich machte mir Gedanken warum tauchte Gregor hier auf? Sollte er für Stefan spionieren? Der Sommer ging schon langsam zu Ende. Wir hatten wieder alle Tische belegt, da bekam ich plötzlich furchtbaren Schmerzen im Bauch. Wie aus heiterem Himmel hatte es mich erwischt. Mir liefen die Tränen über die Wangen, ich konnte nicht mehr weiter arbeiten. In diesem Augenblick kam auch ausgerechnet der Chef und brachte Nachschub an Torten. Er rechnete meine Kasse ab, ich durfte nicht einmal mehr abkassieren und musste sofort zum Arzt gehen. Gregor versprach, meine Tische abzukassieren und mir das Geld zu geben.
Nun suchte ich einen Arzt auf. Es dauerte nicht lange, so stand seine Diagnose fest: "Mutterbänder-Entzündung", sagte er, "Sie sollten nicht so schwer arbeiten". Jetzt war ich die nächsten zwei Wochen arbeitsunfähig und sollte mich auskurieren.
Als ich meiner Zimmerkollegin mein Elend mitteilte, schaute sie mich entsetzt an und sagte: "Oh je, das ist aber gar nicht gut, der Chef mag nicht wenn einer krank wird". Ich nahm ihre Äußerung nicht so ernst, denn ich konnte ja nichts dafür.
Nach zwei Wochen kassierte ich mein Krankengeld und ging pünktlich zu meiner Arbeitsstelle. Nachdem ich etwa eine Stunde gearbeitet hatte, kam mein Chef. Er hatte meine Papiere dabei, rechnete meine Kasse ab und schickte mich heim, um das Zimmer zu räumen. Nachmittags sollte ich verschwunden sein. Ich konnte es nicht glauben, schließlich hatte ich mir nichts zu Schulden kommen lassen.
Was konnte ich dafür, dass ich im ungeschickten Augenblick krank geworden war?
Während ich meinen Koffer packte, überlegte ich, was ich denn jetzt anfangen wollte, ich hatte weder Zimmer noch Arbeit. Um die Mittagszeit verließ ich das Hotel, in dem ich das Zimmer hatte. Hätte ich mir doch bloß ein Zimmer gesucht, in den letzten Monaten. Fast hundert Mark hatte ich noch auf der Seite. Damit würde ich aber keine großen Sprünge machen können. Krampfhaft überlegte ich was ich machen sollte.
Es war nur wenige Minuten bis zum Bahnhof. Warum mir nicht die Idee kam, jetzt zu meinem Bruder zu fahren, konnte ich nicht erklären. Ich brachte den Koffer in ein Schließfach. Dann kaufte ich eine Tageszeitung und bildete mir ein, darin die Lösung für meine Sorgen zu finden. Mit der Zeitung und meiner Handtasche ging ich um die Ecke in ein kleines, einfaches Café. Mein Chef hatte es "das Café für arme Leute genannt." Hier war alles um einiges billiger und ich war schon mehrmals, an meinem freien Tag hier.
Nun saß ich in dem kleinen Café, bei einer Tasse Kaffee und las die Anzeigen. Es war überhaupt nichts für mich dabei, keine Stelle und kein Zimmer. Mit dem Zeitungskauf hätte ich bis Samstag warten sollen. Ich war enttäuscht und konnte keinen klaren Entschluss fassen. Wo sollte ich denn heute nur schlafen?
Es ging auf den Abend zu und mir wollte nichts einfallen. Die Ereignisse des Tages blockierten förmlich mein Gehirn. Ich konnte nicht nachdenken. Die drei Tassen Kaffee, die ich inzwischen getrunken hatte, halfen mir auch nicht dabei. Nun faltete ich die Zeitung klein zusammen und warf sie in den Papierkorb, dann winkte ich der Bedienung und zahlte.
Bevor ich aufgestanden war, kam Gregor zur Tür herein. "Ich hatte gehofft, dass ich dich hier treffe", sagte er leise und winkte dem Fräulein noch zwei Kaffee zu bringen. Mir war ja nicht mehr danach, aber in meiner Lage war es gleich, ich würde sowieso nicht zum Schlafen kommen.
"Wohin gehst du jetzt"? Wollte Gregor von mir wissen. Meine Antwort darauf war: "Keine Ahnung. Zu meiner früheren Chefin kann ich nicht, die habe ich ja in Stich gelassen. Mein Zimmer von vorigem Jahr ist vermietet, und ich kenne doch niemanden". Mir war zum Heulen zumute, aber ich wollte es ihm nicht zeigen. Als nächstes wollte er wissen: "Wo sind deine Sachen"? Ich zeigte ihm den Schlüssel, von dem Schließfach auf dem Bahnhof. Er nahm den Schlüssel und bat mich zu warten, "ich bin in fünf Minuten zurück". Dann ging er bei der Bedienung vorbei, bezahlte den Kaffee und verschwand, meinen Koffer zu holen. Durch die Glastür sah ich Gregor zurück kommen. Da nahm ich meine Tasche und ging ihm entgegen.
"Bei einem Vetter, der auch aus unserem Dorf in Griechenland kommt, ist noch ein Bett frei, da habe ich immer geschlafen. Im Augenblick brauche ich es nicht, da kannst du es haben. Bis ich es brauche, musst du ein Zimmer haben". Erklärte er mir und trug meinen Koffer durch die schmalen Gassen.
Wir kamen zu einem hässlichen Haus mit einer dreckigen Treppe. Hier war ich schon einmal mit Stefan. Der Vetter war mir höchst unsympathisch, seine Frau ebenfalls und das Kind mit dem viereckigen Kopf konnte ich auch nicht leiden. Ich erzählte Gregor von meinen Erinnerungen an diese Familie. "Was anderes kann ich dir aber nicht anbieten. Du musst ja nicht sagen was du denkst, oder du schläfst draußen". Ihm war anzumerken, dass er leicht verärgert war. Drum fragte er jetzt fast zornig: "Jetzt, was ist? Gehen wir rein oder nicht"? Verhalten nickte ich und er klopfte an die Tür.
Die Frau machte auf und erkannte mich gleich. Sie hatte nicht vergessen, dass ich mich ihr gegenüber, sehr zurückhaltend benommen hatte. Ich konnte sie nicht leiden, sie mich auch nicht. Sie hatte eine richtige kleine 2-Zimmer-Wohnung. Ein großes Zimmer mit Kochgelegenheit und ein kleineres Zimmer, als Schlafzimmer. Weil sie aber unwahrscheinlich geldgierig war, lebte sie mit ihrem Mann und dem Kind in dem ersten Zimmer, das eigentliche Schlafzimmer hatte sie vermietet.
In dem Zimmer standen zwei Betten und es war ein Waschbecken darin. Eines der Betten hatte sie an Gregor vermietet, das andere an einen anderen jungen Mann. Da Gregor das Bett zurzeit nicht brauchte, sollte ich dort schlafen, bis ich ein Zimmer gefunden hatte.
Während Gregor mit seinem Vetter und dessen Frau heftig diskutierte, dachte ich: Viel schlimmer ist draußen schlafen auch nicht. Wenn ich in das Zimmer wollte, musste ich immer bei der Familie durchs Zimmer. Gregor regelte alles, er hatte das Bett ja bezahlt und wollte da auch demnächst wieder schlafen, wenn das Café im Park schloss.
Morgen würde ich mir die Hacken ablaufen und nach einem Zimmer suchen, nahm ich mir vor, und brachte den Koffer in das Zimmer. Auspacken wollte ich nichts, ich wollte so schnell wie möglich hier wieder weg.
Das Zimmer war genau zwei Meter lang und ungefähr sechs Meter breit. An den kurzen Wänden stand jeweils ein Bett. Neben der Tür war das Waschbecken, ein Schrank war auch da, aber der interessierte mich nicht.
In dem Bett am Fenster lag der "Mitbewohner". Gregor sagte etwas zu ihm, ich verstand nicht um was es ging. Dann ging Gregor und ließ mich dort zurück.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Die Tatsache mit einem wildfremden Mann in einem Zimmer zu sein. Richtige Schwierigkeiten hatte ich aber erst am Morgen, als ich mich waschen wollte. Der fremde Mensch lag immer noch im Bett. Ich musste Katzenwäsche machen, er guckte genau auf mich. Normal liebte ich es, mich morgens gründlich zu waschen, denn ich hatte immer Angst vor Schweißgeruch.
Zum Kaffeekochen hatte ich keine Gelegenheit, so ging ich notdürftig gewaschen und ohne Frühstück aus dem Haus. In der kleinen Gaststätte, wo ich vor einem Jahr geputzt hatte, war der Koch, den ich kannte nicht mehr da. Eine Putzfrau brauchten sie auch nicht. Ich klapperte sämtliche Gasthäuser ab und fragte nach Arbeit, möglichst mit Zimmer. In den kleinen Ladengeschäften fragte ich, ob sie mir kein Zimmer wüssten.
Kurz vor Mittag, kam ich in eine Bäckerei. Ich hatte Hunger und kaufte ein belegtes Brötchen. Auch hier fragte ich wieder nach einem Zimmer. Die junge Frau war sehr nett und sagte: "Nein ein Zimmer weiß ich keines, aber wir könnten eine Serviererin brauchen." Zu der Bäckerei gehörten eine Konditorei, eine Straßenecke weiter. "Meine Servierkraft hat geheiratet und zieht in drei Tagen nach Frankfurt. Wenn sie mögen, können sie gleich morgen anfangen." Sie wollte wissen ob ich denn Arbeitspapiere hatte, und die zeigte ich ihr gleich. Sie sah die vorherigen Stellen wo ich gearbeitet hatte und war beeindruckt. Sie versprach, sich nach einem Zimmer umzuhören. Gut, eine Arbeit hatte ich jetzt, nun brauchte ich noch ein Zimmer.
Am nächsten Morgen, lag der junge Mann in dem Zimmer mit dem Gesicht zum Fenster. Da nahm ich es mit dem Waschen etwas genauer und fühlte mich auch gleich besser. Dieser seltsame Mensch lag immer im Bett und ging nie zur Arbeit. Als ich gerichtet war, ging ich durch den anderen Raum und wurde gleich gefragt wohin ich ginge. "Zur Arbeit", sagte ich und verschwand.
Das Café war ein Tagescafé und war gegenüber von mehreren Fabriken. Daher kam wohl auch die Kundschaft wenn die Arbeiter Feierabend hatten kamen die letzten Gäste und um sieben wurde das Lokal geschlossen. Sonntags hatte ich frei, es war schon lange her, dass ich am Sonntag nicht arbeiten musste.
Ich kam pünktlich an meinem neuen Arbeitsplatz an. Von der Eleganz der anderen Cafés war hier nichts zu sehen. Das ganze schien früher einmal eine drei-Zimmer-Wohnung gewesen zu sein, wo man ein paar Wände herausgeschlagen hatte. Die junge Frau machte mich auf die Stammgäste aufmerksam, die ich mir allerdings nicht merken konnte, bis auf einen.
Er war gut gekleidet und hatte immer einen schwarzen Mantel an, einen großen Hut und einen karierten Schal. Er hatte eine Knollennase und lachte immer. Ihn nannten sie den Millionär. Er war früher Metzger und hatte zufällig eine Erfindung gemacht, wie man Würstchen maschinell portionierte. Also an beiden Enden des Würstchens kam ein Metallverschluss. Das muss ihn reich gemacht haben. Er erzählte immer und jeden Tag: "Jedes Würstchen hat mein Endchen".
Ein paar Tage hatte ich, mich einzugewöhnen, dann musste ich allein fertig werden. Das klappte auch, nur ein Zimmer hatte ich immer noch nicht. Gregor kam eines Abends vorbei und fragte, ob ich immer noch kein Zimmer hätte. Am Monatsende sei Schluss im Park und dann brauche er sein Bett.
Außerdem hatte die Frau seines Vetters sich beschwert, dass ich mich jeden Morgen so gründlich waschen würde, "Was macht sie den ganzen Tag, dass sie sich immer überall waschen muss"? Hatte sie Gregor gefragt. Ich fragte mich, woher sie das wusste, schaute sie durchs Schlüsselloch? Oder beobachtete der Mitbewohner mich mit einem Spiegel, wenn er sich zur Wand gedreht hatte.
Langsam wurde ich nervös und fragte alle Gäste ob sie mir nicht ein Zimmer wüssten. "Ja", sagte ein junger Mann, "ich weiß ihnen ein sehr schönes Zimmer mit Dusche und Kochnische für fünfzig Mark im Monat". Er wollte das alles für mich erledigen, und mir den Mietvertrag bringen. Ich sollte aber eine Vorauszahlung machen. "Wie viel", fragte ich. "Eine Miete und drei Mieten Sicherheit, also zweihundert Mark", sagte er. Ich sollte nicht lange überlegen, es sei Neubau und nicht weit von hier.
Meiner Chefin sagte ich Bescheid, dass ich am nächsten Tag ein paar Minuten später käme. Dann ging ich zur Bank und holte mein mühsam gespartes Geld vom Sparbuch. Voller Freude, jetzt bald eine Wohnung zu haben, kam ich zehn Minuten später an. Es dauerte nicht lange, da kam der junge Mann und hatte Bilder von der Wohnung dabei. Den Mietvertag bekäme er erst, wenn er das Geld brächte.
Ich gab ihm die zweihundert Mark und ließ mir eine Quittung geben. Er hatte keinen Quittungsblock, da gab mir meine Chefin ihren, und ich füllte den Zettel aus und ließ ihn unterschreiben. Der junge Mann ging um den Vertrag zu holen und kam nicht wieder.
Mein Geld war ich los, und ich hatte immer noch kein Zimmer. Meine Freundin hätte jetzt gesagt: "Du bist zu dumm zum Heufressen." Ja, meine Gedanken waren bei Margot, sie war die einzige die mich immer verstand.
Als ich am Abend nach Hause kam, war Gregor schon im Zimmer. Die Frau seines Vetters keifte: "Dein Koffer steht schon hier, verschwinde, wir brauchen keine deutschen Faschistenweiber." Gregor kam aus dem Zimmer, wechselte ein paar böse Worte mit ihr, und ging mit mir die Treppe hinunter.
"Wo ist dein neues Zimmer", fragte Gregor. Ich weinte und gestand keines zu haben. Er glaubte ich scherze, dann sah er meine Tränen. "Du hast wirklich noch kein Zimmer gefunden? Dann schlaf ein paar Tage im Hotel", lautete sein Rat. "Kann ich nicht", antwortete ich mutlos und erzählte ihm den peinlichen Vorfall mit den 200.-- Mark. "Pass doch auf, alle wollen Geld verdienen ohne Arbeit"! Er fuhr mich an und fand, dass man mir nicht helfen konnte.
Ich lief heulend durch die Straßen hinter meinem Koffer und Gregor her. Der blieb plötzlich stehen und fragte: "Und wohin gehen wir jetzt eigentlich"? Ich konnte nicht überlegen und sagte: "Egal wohin, es darf nur nicht rein regnen."
"Ich habe keine Zeit, ich muss um neun zur Arbeit!",fuhr er mich an und stellte den Koffer ab. Bevor er mich auf der Straße stehen ließ, zeigte er die Straße hinab und sagte: "Da unten biegst du rechts ab, dann ist da ein Obdachlosenheim, die haben immer Zimmer." Dann war er weg.
Ich hatte jetzt die Wahl, entweder ich schlief im Park in der Toilette, oder ich ging in diese Armenhaus-Einrichtung. In meinem Geldbeutel hatte ich nicht einmal fünfzig Mark, und die sollte ich schon längst für meine Kinder geschickt haben. Ich wollte sie aufbewahren, für den Fall, dass ich ein Zimmer finden würde. Nein im Park im WC, das ist nichts, denn es gab ja noch andere "Penner", außer mir. Der Platzt war sicherlich beliebt bei denen. Also, wenn ich schon so weit gesunken war, dann mit Würde.
Ich lenkte meine Schritte Richtung Obdachlosenheim. Es war ein riesiges altes Gebäude mit einer schweren eichenen Eingangstür. Draußen an der Tür war ein eiserner Klopfring, aber die Tür war nicht verschlossen. Ich kam in einen breiten, langen Flur, an dem viele Türen waren mit Nummern versehen. An einer Tür stand: "Anmeldung/Materialausgabe."
Als ich klingelte, fühlte ich mich wie eine Maus, die gierig nach dem letzten Stückchen Speck schnappt und gleich von der Mausefalle erschlagen wird. Die Tür öffnete sich und vor mir stand ein "Bulle" von Mann. Ein richtiger Schlägertyp in einem Jogging Anzug. "Was wollen Sie", fuhr er mich an.
Ich riss mich zusammen, aber in meinem Gesicht waren die Schleusen schon wieder geöffnet. Tränen strömten aus meinen Augen. Höflich fragte ich, ob er mir eine Unterkunft hätte. "Wie lange", wollte er wissen. Kleinlaut antwortete ich: "Ich weiß es nicht, ich kann kein Zimmer finden." "Und wie wäre es mal mit arbeiten, statt faulenzen", brüllte er mich an. "Eine Arbeit habe ich ja, nur kein Zimmer", schluchzte ich.
"Eure Arbeit kenne ich, das ist ein Obdachlosenheim, kein Puff. Das täte dir passen jede Nacht mit Freiern hier aufzutauchen." Er schaute mich verächtlich an, und ich war ihm kein "Sie" mehr wert. Unter Tränen machte ich noch einen Versuch: "Ich arbeite im Tagescafé, und bin nachts nicht unterwegs". "Gib mir die Telefon Nummer, ich rufe da jetzt an und wenn es stimmt, kannst du bleiben". Es schien ihm Spaß zu machen, mich zu demütigen.
Da gab ich ihm die Karte von meine Chefin, mit allen drei Telefon Nummern, die vom Café, von der Bäckerei und die private. Letztere war aber nur für Notfälle, ich war mir nicht sicher, ob das ein Notfall war. Also zeigte ich auf die unterste Nummer und sagte: "Café und Bäckerei sind schon geschlossen". Er ging an sein altmodisches Telefon guckte noch einmal fragend, dann wählte er die Nummer.
Meine Chefin ging an den Apparat und rief: "Was gibt es Wichtiges? Wissen Sie wie spät es ist? Wir haben eine Bäckerei und müssen früh aufstehen"! Jetzt wurde der Hüne kleinlaut: "Arbeitet bei Ihnen eine Frau Stefanidis?" "Ja", kam es aufgebracht aus der Leitung, aber tagsüber, nachts schläft die auch"!
Er wurde jetzt ein klein wenig freundlicher, griff an das Schlüsselbrett und holte den Schlüssel mit der Nummer fünf. Den zeigte er mir und fragte: "Wer zahlt das Zimmer? Das Sozialamt oder...", ich unterbrach ihn, und klärte ihn auf: "Meine Rechnungen bezahle ich immer selbst, ich habe Sozialhilfe noch nie in Anspruch genommen". "Dann bekomme ich noch das Geld für die nächste Woche, die Anmeldung kannst du morgen früh unterschreiben." Er warf die Bettwäsche aufs Bett, und gab mir einen Schlüssel mit einem großen Holzschild Nummer fünf.
Dann streckte er mir die Hand entgegen. Ich dachte zuerst er wollte mir eine gute Nacht wünschen, aber nein, er wollte 35,-- Mark von mir für eine Woche. Das war auch ein stolzer Preis, für so eine unsoziale Unterkunft. Als er mit seinem Geld weg war, schloss ich die Tür von innen, bezog mein Bett und legte mich hinein zum Schlafen.
Mein Wecker klingelte um sieben Uhr und ich war froh, mich endlich mal wieder in Ruhe waschen zu können, ohne dass ich beobachtet wurde. Ich ging bei dem Hünen vorbei klingelte und unterschrieb die Anmeldung. Dann ging ich zur Arbeit, ohne Kaffee und ohne Frühstück. Kaffee und ein Brötchen mit Butter bekam ich morgens immer von meiner Chefin. Ich hatte ja schon lange keine Gelegenheit mehr, mir einen Kaffee zu kochen.
Meine Chefin wartete auf mich mit der Frage: "Was war denn gestern Abend los"? Nun erklärte ich ihr alles genau wie ich behandelt worden war, und sie regte sich auf, dass ich pro Tag fünf Mark bezahlen musste. Der Sache wollte sie nachgehen, versprach sie mir. "Lassen Sie das lieber, nicht dass er mich rausschmeißt", bat ich sie. "Ja das tät noch fehlen", polterte die junge Frau, "das ist ja teurer wie ein möbliertes Zimmer, das kann sich ja kein Obdachloser leisten"! "In Zuffenhausen hatte ich ein Hotelzimmer für fünf Mark", erzählte ich ihr.
Jeden Tag las ich zuerst die Anzeigen, aber wenn ich am Abend nach einem Zimmer schauen wollte, war es immer schon vergeben. So vergingen ein paar Wochen, da hatte meine Chefin ein Zimmer für mich gefunden, gleich ein paar Häuser weiter in einem 2-Familienhaus. Ich fiel ihr vor Freude um den Hals.
Die Leute waren freundlich und gaben mir gleich den Schlüssel. Da es kurz vor dem ersten war, sollte ich erst am ab Monatsende bezahlen, solange durfte ich kostenlos wohnen. Voller Freude holte ich meinen Koffer und bezog mein neues Zimmer. Ich war lange nicht mehr so glücklich.
Gut gelaunt und bestens ausgeschlafen kam ich am Morgen an meiner Arbeitsstelle an. Die Gäste kamen und wurden von mir bedient. Das Elend der vergangenen Wochen hatte ich aus meinem Kopf verbannt. Jetzt war ich wieder ein normaler Mensch, mit Arbeit und einem Zimmer für mich allein.
Kurz nach Mittag, kam Gregor zur Tür herein in das Café. Vor sich her schob er zwei Kinder in den Gastraum, meine Kinder! Tina rannte mich schier um vor lauter Freude. Bei Heinz dauerte etwas länger, bis er auftaute. Ich freute mich auch, wollte aber meine Arbeit trotzdem weitermachen, und fragte, ob Gregor noch ein wenig spazieren gehen könnte, bis zum Feierabend. Nein, er konnte nicht, er wollte die Kinder jetzt auf der Stelle bei mir lassen. Am Abend würde er dann den Koffer der Kinder bringen.
Jetzt begriff ich, er brachte mir die Kinder, und ich sollte jetzt für die sorgen. Als Gregor weg war und die Kinder immer noch da waren, schickte meine Chefin mich heim. Wenn ich die Kinder bis morgen nicht versorgt hätte, müsste sie sich eine andere Arbeitskraft suchen. Solange wollte sie selbst bedienen.
Sie rechnete mit mir ab, und es blieben mir wieder nur vierzig Mark. Die Freude, meine Kinder da zu haben, konnte nicht recht aufkommen, zumal meine Hauswirtin keine Kinder im Haus dulden wollte. Ich durfte meine Sachen aus dem Zimmer holen und sie wünschten mir viel Glück.
Nun stand ich mit einem Koffer, und zwei süßen kleinen Kindern die furchtbar angezogen waren, auf der Straße und wartete auf Gregor. "Kannst du nicht Bescheid geben, wenn du die Kinder bringst", fragte ich, "jetzt habe ich Arbeit und mein Zimmer verloren"! "Und wo werdet ihr heute Nacht schlafen"? Fragte er und nahm den Koffer der Kinder und Heinz an der Hand.
Mir kamen schon wieder die Tränen, "bring mich zum Bahndamm, da setze ich mich mit den Kindern auf die Schienen und warte auf den nächsten Zug." "Zum Bahnhof" hakte er nach, "und wohin fährst du?" "Ich sagte Bahndamm, ich habe kein Geld für eine Fahrkarte". Es dauerte eine Weile, bis er merkte was ich meinte. "Dann bringe ich euch jetzt ins Hotel, und da bleibt ihr bis ich am Morgen wieder komme." "Ja", sagte ich ironisch, "geh du zu deinem Arbeitsplatz, dir geht es ja gut"! "Du bist ja selber schuldig wenn du nirgends bleiben kannst", warf er mir vor, "meine Arbeit ist ehrlich". Er erzählte mir, dass alle etwas finden um Geld zu verdienen, und das sogar steuerfrei.
Sein Vetter, bei dem ich mal gewohnt hatte, war Nierenkrank und laufend krankgeschrieben. Wenn jemand krank sein wollte, ging er mit demjenigen zum Arzt, dort pinkelte er für den Patienten in den Becher. Der wurde dann krank geschrieben, und der Vetter kassierte dafür fünfzig Mark. und alles ohne Steuerkarte.
Jetzt wusste ich zwar, wie der zu seinem Geld kam, aber mir half das nichts, ich war kein Betrüger. Er ging zur Arbeit, und der Zimmerservice brachte eine Imbissplatte für uns. "Schön, aber ich habe das gar nicht bestellt", sagte ich ängstlich, denn ich wusste nicht, wie ich das bezahlen sollte.
Heute Abend musste ich noch nichts bezahlen, ich blendete es aus und beschäftigte mich mit meinen beiden Kleinen. Als sie dann todmüde ins Bett fielen, schaute ich in ihren Koffer ob da nichts Besseres zum Anziehen drin war. Es waren lauter Lumpen stellte ich fest, wahrscheinlich hatte die Schwägerin, die aus Australien gekommen war, ihre Kinder damit eingekleidet. Vielleicht waren sie auch nur schmutzig gewesen.
Das Hotelzimmer war riesig und ich kam mir ganz verloren darin vor.
Ich schlief unruhig, und musste die ganze Nacht an die Hotelrechnung denken. Am Morgen kam Gregor und trieb mich an, die Kinder anzuziehen, er wollte sie wieder mit nehmen und zurück nach Griechenland bringen. Ich zog die Kinder an und schämte mich vor ihnen, weil ich sie nicht hier behalten konnte. Er nahm den Koffer und die beiden Kinder und verließ das Hotel. Er verachtete mich, die Kinder schrien "Mama", dann stieg er mit ihnen in ein Taxi.
Zurück im Zimmer, packte alles zusammen und ging die breite Hoteltreppe hinunter. An der Rezeption wartete ich ängstlich auf das, was jetzt auf mich zu kam. Die Empfangsdame kam lächelnd, wünschte mir einen schönen Tag und berichtete die Rechnung sei bezahlt. Das war wenigstens ein kleiner Lichtblick für heute. Das Hotel konnte ich erhobenen Hauptes verlassen.
Wieder lief ich durch die Stadt, mit meinem Koffer in der Hand. Ich stellte fest, dass ich noch nie jemand anderes gesehen hatte, der mit einem Koffer durch die Stadt lief. Wer zum Bahnhof wollte, hatte entweder ein Auto oder fuhr mit dem Taxi. Ich musste mich irgendwo hinsetzten und überlegen.
Also ging ich in ein kleines, verkommenes Gasthaus um einen Kaffee zu trinken. Als der Kaffee durch meine Kehle lief, erwachten meine Gehirnzellen. Ich bat um die Tageszeitung, um diese durchzusehen. Da las ich: Vereinslokal, sucht Bedienung. Ich notierte mir die Telefon Nummer. Nun zahlte ich, und ging wieder mit meinem Koffer durch die Gassen. Bei der ersten Telefonzelle wählte ich die notierte Telefon Nummer.
Man erklärte mir den Weg und erwartete, dass ich mich vorstellte. Ich erkundigte mich ob da auch ein Zimmer dabei sei. Die Dame am anderen Ende zögerte einen Augenblick und sagte: "Ja schon, aber das muss erst gerichtet werden, da hat jahrelang niemand drin gewohnt." Ich sollte mich vorstellen, Voraussetzung war, dass ich morgen anfangen könnte.
Widerwillig ging ich zum Obdachlosenheim, um noch einmal um Unterkunft für ein paar Tage zu betteln. Meine Chefin aus dem Tagescafé hatte mir eingeflößt dem "Hünen" mit Herrn Walter zu drohen, der sein oberster Chef war. Ich öffnete die schwere Tür und ging auf den schwarz-weiß karierten Fliesen, Richtung Anmeldung.
Der Hüne, der die Haustür gehört hatte, kam schon zur Tür heraus, bevor ich klingeln konnte. "Mensch, du schon wieder", war seine Begrüßung. Dieses Mal wollte er es besser machen und fragte: "Wie lange"? Ich antwortete: "Drei Tage, vielleicht auch fünf, das Zimmer was ich bekomme, muss erst noch gestrichen werden".
Er gab mir den gleichen Schlüssel und legte mir die Bettwäsche auf den Arm. "Zahlen kannst du wenn du wieder ausziehst. Für Bettwäsche kriege ich drei Mark." Ich legte ihm die drei Mark in die offene Hand. "Da bekomme ich dann noch eine Quittung", verlangte ich, um ihn zu ärgern. Fünf Minuten später bekam ich den Beleg, und stellte fest, er war kleinlaut geworden.
Nachdem ich das Bett bezogen hatte, ging ich mich vorstellen. Das Vereinslokal lag außerhalb der Stadt. Es war zweistöckig und stand neben einem Sportgelände. Oben waren die Wohnräume, ich machte die Tür zum Lokal auf. Die Wirtin war allein in den großen Räumen. Es war kein Gast da. Sie schaute mich an und stellte ein paar Fragen. Sie wollte wissen wo ich gearbeitet hatte. Als sie hörte wo ich vorher war, hatte ich die Stelle schon sicher. Ich bat noch einmal das Zimmer zu richten, da ich keines finden konnte.
"Kommen Sie morgen früh um zehn Uhr, das ist früh genug", sagte sie, und ich ging wieder zurück in meine Unterkunft. Im Bett dachte ich über vieles nach, es war ein aufregender Tag, und vor Hunger konnte ich kaum einschlafen.
Wie ich so halbwach im Bett lag, stellte ich fest, dass die große Eingangstür kein einziges Mal zu hören war. Ob ich der einzige Bewohner hier war? In Gedanken reiste ich meinen Kindern nach, die anscheinend wieder auf dem Weg nach Griechenland waren. Nun fing ich wieder an zu weinen, warum hatte ich sie nicht hier behalten, hierher hätte ich sie mitnehmen können.
Ich ging am nächsten Morgen zu meiner neuen Arbeitsstelle und hatte zunächst gar nichts zu tun. "Bringen Sie sich doch ein Buch mit, oder eine Handarbeit", riet mir die Wirtin. Nach dem Essen, bei dem ich auch versorgt wurde, deckte ich Tische ein, für die Versammlung am Abend.
Es waren ungefähr dreißig Leute gekommen, die gut aßen und tranken. Als die Leute gegangen waren, hatte ich gut verdient. Der Wirt bestand darauf mich nach Hause zu fahren. Als ich aus dem Auto stieg, bat ich noch einmal darum, mir doch das Zimmer herzurichten. Am nächsten Morgen stand ich etwas früher auf und brachte fünfzig Mark auf die Bank, für alle Fälle.
An einem Imbissstand trank ich eine Tasse Kaffee. Dann kaufte ich mir noch eine Kaffeedecke zum Aussticken mit Stickgarn und ging zur Arbeit. Den ganzen Tag saß ich an meiner Decke, denn es war nichts zu tun. Gegen Abend kamen ein paar Sportler zum Skat und als ich Feierabend machte hatte ich gerade fünf Mark verdient. Die Wirtin rief ihren Mann, er sollte mich wieder nach Hause fahren.
Unterwegs konnte er seine Finger nicht bei sich behalten. Ich schlug ihm auf die Hand und drohte, ihn bei seiner Frau zu verpetzen. Vor der Unterkunft sprang ich aus dem Auto und schlug die Tür zu. Dann rannte ich auf die Haustür zu, die ich nur einen Spalt aufmachte. Ich schlüpfte hindurch und rannte in mein Zimmer, da schob ich schnell den Riegel vor das Schloss.
Die Haustür fiel zu ,und der Mann ging von einer Tür zur anderen und klopfte. Da kam er an die Anmeldung und der Hüne kam heraus. "Was suchen Sie hier, verschwinden Sie"! polterte er ihn an. "Ich muss zu Frau Stefanidis", lallte der Lustmolch. "Sie müssen sofort verschwinden"! hörte ich den Hünen sagen. Dann trieb er ihn auf die Straße. Ich atmete durch und dachte bei mir: Wie widerlich sind doch die Männer.
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit wollte, passte mich der Hüne ab: "Ich wusste doch das ich mit Weibern nur Ärger habe, du sollst keine Männer einladen"! Ich verteidigte mich: "Ich habe niemanden eingeladen, er ist mir nachgelaufen". Er fühlte sich wieder richtig stark und behauptete: "Niemand läuft einer Frau einfach so nach, der kannte ja deinen Namen." "Freilich kennt er mich, der ist der Mann von meiner Chefin, rufen Sie doch an bei ihr, dann brauche ich es ihr nicht sagen". Fast wäre ich auch laut geworden, ich hasste ihn zumal er immer "du" zu mir sagte.
Ich ging zur Arbeit, es war Sonntag und ich saß bis Mittag nur an meiner Tischdecke. Dann kamen massenhaft Leute, es war ein Spiel auf dem Sportplatz. Ungefähr zwei Stunden lang hatte ich alle Hände voll zu tun. Am Abend hatte ich wieder gut verdient.
Die Wirtin wollte ihren Mann rufen, damit er mich heimfahren sollte. "Danke, ich werde ein Taxi rufen", sagte ich zu ihr. "Warum das denn"? wollte sie wissen. "Weil Ihr Mann mir gestern nachgelaufen ist und ich wegen ihm schier aus meinem Zimmer geflogen bin", antwortete ich. Sie wollte es nicht glauben und würde ihren Mann zur Rede stellen. Dann rief sie mir ein Taxi und ich fuhr damit heim.
Kaum hatte ich die Eichentür ins Schloss fallen lassen, da stand der Hüne schon vor mir. "Hast du mich bei meinem Chef verpetzt"? Auf diese Frage hatte ich schon lange gewartet. Drum antwortete ich: "Meine Chefin war das, aus Zorn, weil sie mitten in der Nacht bei ihr angerufen haben". Er schaute zur Tür und fragte unverschämt: "Heute kommt niemand hinterher"?
Mir riss mein Geduldsfaden obwohl ich nicht wusste, dass das Lokal am Montag Ruhetag hatte, behauptete ich: "Morgen habe ich frei, dann werde ich Herrn Walter einen Besuch abstatten". Der Hüne zog sich in seinen Raum zurück, und ich hatte eine gute Nacht.
Ich stand zeitig auf, heute wollte ich ein gepflegtes Frühstück. Deshalb ging ich in das Tagescafé, um mich mit meiner früheren Chefin ein wenig zu unterhalten. Sie staunte was ich alles erlebt hatte in der kurzen Zeit, und meinte schließlich bedauernd: "Wenn ich gewusst hätte, dass sie in das Zimmer die Kinder nicht mitnehmen konnten, dann hätte ich ihnen geholfen. Ich habe in meinem Haus unter dem Dach ein paar Zimmerchen, für die Bäckerjungen. Da ist gerade eines frei, der Junge ist im Urlaub, da hätten sie ein paar Tage wohnen können, mit den Kindern". Das war jetzt zu spät, dachte ich bei mir.
Jetzt rief ich im Vereinsheim an, ob denn heute kein Ruhetag sei. "Doch, das habe ich vergessen zu sagen, aber kommen sie heute um fünf Uhr, das Zimmer ist fertig, sie können gleich ihre Sachen mitbringen", teilte mir die Wirtin erfreut mit.
Luftsprünge konnte ich jetzt vor Freude keine machen, denn ihr aufdringlicher Mann war schließlich dann auch immer in der Nähe. Aber es war für mich viel wert, aus dem Obdachlosenheim auszuziehen. So machte ich einen kleinen Bummel durch die Stadt und ging in das Gasthaus in dem es Abo-Essen gab. Vielleicht war ja noch ein Essen übrig, sonst würde ich mir ein anderes, preiswertes Essen aussuchen.
Ich bekam von dem Abo-Essen, sie hatten noch genügend in der Küche. Dann blieb ich noch ein Weilchen sitzen, denn ich wollte nach all den Aufregungen mich ein wenig erholen. Nun hatte ich eine Arbeit und ein Zimmer, es konnte jetzt doch nur besser werden, redete ich mir ein.
Um drei Uhr ging ich dann zuerst zu meinem Zimmer, um meine Sachen alle in den Koffer zu packen. Dann klopfte ich bei dem Hünen, um mein Zimmer zu bezahlen.
Er wollte zehn Mark von mir, denn ich hätte letztes Mal schon zu viel bezahlt. Schließlich hätte er mir ein Doppelzimmer berechnet, ich sei aber nur in einem Bett gelegen, stotterte er zu seiner Entschuldigung. „Ade“, sagte ich als ich ging und hoffte inbrünstig, diesem Mann nie wieder begegnen zu müssen.
Am liebsten hätte ich mir ein Taxi gerufen, um nicht schon wieder mit dem Koffer die Straße entlang zu müssen. Aber ich hatte noch so viel Zeit, und wollte am Ruhetag nicht lästig werden und zu früh auftauchen. Deshalb ging ich auch langsam und schleppte mein weniges Hab und Gut, bis zur Sportstätte. Die Tür war offen und die Wirtin wartete auf mich.
„Schön“, sagte sie und rief ihren Sohn, der mir das Zimmer zeigen sollte. Der kam die Treppe herab und nahm sich gleich meinen Koffer. Er mochte 19 Jahre alt sein, höchstens 21, war aber nicht sehr gesprächig. Oben schloss er ein Zimmer auf und gab mir den Schlüssel. Das Zimmer war sehr hübsch und hatte ein großes Kippfenster.
Ich fing an meine Kleidung aufzuhängen und mein neues Heim einzurichten. „Wenn du lange Weile hast, mein Zimmer ist dort.“ Mit der Hand zeigte er durch mein Fenster, über das Dach zu seinem Zimmer. „Danke“, sagte ich freundlich, „mir wird so schnell nicht langweilig.“ Ich war mir nicht ganz sicher, ob er geistig zurück geblieben war.
Nachdem er mir eine Zeit lang zugeschaut hatte, ging er den langen Gang entlang zum Wohntrakt seiner Eltern, im anderen Hausflügel. Um sieben Uhr gab es Abendessen und die eigene Gaststätte geschlossen war, fuhr der Vater mit seinem Sohn zum Einkehren in die Stadt. Die Wirtin und ich saßen noch eine Stunde mit unseren Handarbeiten zusammen. Ich bat sie, darauf zu achten, dass mich ihre Männer nicht belästigten. „Meine Männer würden so etwas nie machen“, behauptete sie, „dass ist pure Einbildung von Ihnen, Sie werden sehen, die sind beide in Ordnung.“
Bevor ich nach oben ging, bedankte ich mich für das schöne Zimmer und sie meinte, dass sie froh sei, mich gefunden zu haben. Diese Nacht schlief ich ausgezeichnet.
Am nächsten Tag war Training auf dem Platz und anschließend kamen ein paar Spieler zum Einkehren. Sie tranken alkoholfreie Getränke und machten einen Haufen Dreck. Des Abends hatte ich viel zu putzen und kaum etwas verdient. Aber ich musste ja auch nichts ausgeben. Ein wenig frustriert ging ich in mein Zimmer. Die Wirtin saß mit ihren beiden Männern noch im Lokal. Ihr Mann und der Sohn waren heute ihre besten Kunden.
Wie schön so ein geregeltes Leben ist, dachte ich und ging in mein Bett, nachdem ich die Tür sorgfältig geschlossen hatte. Den beiden Männern traute ich nicht über den Weg. Es dauerte nicht lange, da war ich eingeschlafen.
Mitten in der Nacht, klopfte es an meiner Tür. Ich hatte keine Ahnung wie lange ich geschlafen hatte, und mein erster Gedanke war: Da sind noch Gäste angekommen. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es nach Mitternacht war. Die Chefin, schloss das Lokal immer vor Mitternacht. Ich wusste genau wer da an der Tür war, und verhielt mich ruhig. Wenn er anfinge zu rufen, würde seine Frau es sicher hören und kommen. Er klopfte lauter und fing an leise zu rufen: „Mach doch auf, ich will dir etwas zeigen!“
Jetzt knackte es auf dem Dach. Der Junge machte sich am Dachfenster zu schaffen, das hatte ich aber zugemacht. Nun rieb der Junge mit dem Finger an der Fensterscheibe, so dass es quietschte. Sein Vater polterte an der Tür. Feine Gesellschaft schoss es mir durch den Kopf. Dann erschien die Wirtin und machte dem Treiben ein Ende.
Beim Frühstück am nächsten Morgen, sagte ich: „Ich kann es nicht leiden, wenn man bei mir nachts an der Tür und am Fenster klopft.“ Niemand ging darauf ein. Ich kam mir schön dumm vor.
Es war meine Arbeit, die Tische sauber zu machen, und den Boden zu reinigen. Da ich den Boden gestern schon gewischt hatte, machte ich mich heute nur an die Tische. Danach ging ich wieder an meine Handarbeit. Die Chefin ging mir aus dem Weg und die beiden Männer ließen sich nicht blicken.
So saß ich also in dem großen Gastraum und stickte mit Kreuzstichen rote Rosen auf eine cremefarbige Tischdecke. Die Eingangstür ging auf, und als ich aufblickte, stand Gregor mit den Kindern an dem Eingang. Beide Kinder stürmten auf mich zu und waren glücklich mich zu sehen.
Gregor stellte den Koffer ab. Auf meine Frage wo er denn jetzt herkam, gab er mir keine Antwort. Er sagte noch: „Du musst jetzt allein klar kommen.“ Dann verschwand er und ließ mich und meine Kleinen stehen.
Tina kletterte zuerst auf meinen Schoß, legte ihre Arme um meinen Hals und sagte zuversichtlich: „Jetzt bleiben wir hier Mama, dann bist du nicht mehr so allein.“
Ach meine Kinder waren so süß, beide hingen an meinem Hals, als die Wirtin vom Einkaufen kam.
„Wo kommen denn die Kinder her, sind das etwa Ihre?“ Meiner Chefin war der Unmut anzusehen. „Sie können doch nicht bei mir anfangen, dann das Zimmer beziehen und plötzlich hier mit Ihren Kindern antanzen!“ Heinz war schon den Tränen nahe, er hatte gemerkt, dass die Frau schimpfte. Tina legte den Finger auf den Mund, jetzt ja nicht schreien. Dann kam die Wirtin und begrüßte die beiden und fragte sie freundlich: „Habt ihr denn schon etwas gegessen?“ Tina verstand und antwortete auf Deutsch mit „Ja.“ Trotzdem holte die Wirtin eine Banane für jedes Kind. Tina bedankte sich, ich war stolz auf sie.
Nachdem die Wirtin ihren Einkauf weggeräumt hatte, setzte sie sich zu uns und fragte: „Was machen wir denn jetzt?“ Ich versicherte ihr, dass ich bis vor einer Stunde nicht wusste, dass die Kinder in Deutschland waren. Ich hoffte inständig, dass sie die Kinder dulden würde.
„Heute Abend ist noch eine Versammlung, da brauche ich Sie, aber sorgen Sie dafür, dass die Kinder im Zimmer bleiben.“
Gegen Abend deckte ich die Tische ein, dann brachte ich die Kinder in mein Zimmer. Im Koffer suchte ich vergeblich nach Spielzeug. Ich wusste nicht, mit was ich sie beschäftigen sollte. Schließlich dachte ich im Bett seien sie am besten aufgehoben. „Bitte bleibt im Bett, wenn ihr nicht schlafen könnt, dann verwüstet von mir aus das ganze Zimmer, aber kommt auf keinem Fall nach unten, sonst haben wir morgen kein Zimmer und keine Arbeit.“ In der Hoffnung dass ich mich auf meine Kinder verlassen konnte, ging ich ins Lokal um meine Arbeit zu machen.
Total konzentriert machte ich meine Arbeit, und die Herrschaften hörten nicht auf zu bestellen. Geduldig trug ich die Weinflaschen und sonstigen Getränke an die Tische, räumte neben bei ab, und leerte die Aschenbecher. Während ich die Aschenbecher mit einem Pinsel reinigte, gingen meine Gedanken nach oben, was die Kinder wohl machten, dachte ich und schaute auf die Treppe.
Auf der obersten Stufe saßen meine Kleinen, und schauten dem Treiben im Gastraum zu. Die Wirtin hatte das schon lange beobachtet. „Ihre Kinder folgen nicht“, warf sie mir vor und fuhr gleich fort: „Wenn das jemand sieht, habe ich das Gewerbeamt am Hals und kann meine Wirtschaft zumachen.“
Ich sollte hinaufgehen und die Kinder im Zimmer einschließen. Tina konnte nicht verstehen, warum sie nicht zusehen durften, in Griechenland durften sie immer und überall sitzen und zuschauen. Das wusste ich, denn in Griechenland durften alle Kinder machen was sie wollten. Hier ging das nicht.
Als ich schließlich mit meinen Arbeiten fertig war, rechnete die Chefin ab und ich ging hinauf ins Zimmer. Die Kinder hatten genug Platz in meinem Bett und schliefen fest, nur für mich war kein Platz. Vorsichtig rollte ich ein Kind nach dem anderen an die Seite. Dann hatte ich auch ein wenig Platz, und legte mich dazu. Ich schlief schlecht und fühlte mich am Morgen wie erschlagen.
Die Wirtin rief zum Frühstück, und ich ging hinab. Die Kinder hatte ich im Bett gelassen, weil sie noch schliefen. Beim Frühstück sprach niemand ein Wort. Als ich hinauf gehen wollte, um die Kinder anzukleiden, rief sie mir nach: „Bringen Sie die Kinder zum Frühstück.“
Die Kinder kleidete ich so gut es ging, sie hatten ja kaum Kleidung. So sagte ich, als sie am Tisch saßen: „Am Montag muss ich den Kindern dringend etwas zum Anziehen kaufen.“ Die Wirtin setzte sich an den Tisch, schaute mich an und erklärte mir: „Ich kann Sie mit den Kindern nicht hier behalten. Das Zimmer ist zu klein, ich habe das Lokal nur gepachtet, wenn das der Sportverein erfährt, bin ich mein Lokal los.“
Es wäre ja auch zu schön, wenn das hier von Dauer gewesen wäre.
Traurig ging ich hinauf und packte unsere Koffer. Was sollte ich jetzt nur wieder machen? Eine Mutter allein und zwei kleine Kinder wollte niemand aufnehmen.
Vielleicht sollte ich zuerst zu meiner Chefin ins Tagescafé gehen. Wenn ihr Lehrling noch im Urlaub war, könnte ich dort vielleicht ein paar Tage unterkommen.
Also rief ich ein Taxi und brachte die Koffer und meine Kinder hinaus. Tina und Heinz wären gern geblieben, ihnen hatte das große Haus gefallen. Wir stiegen ins Taxi und der Fahrer fragte: „Wohin?“ „Fahren sie zuerst ins Tagescafé an der Umgehungsstraße, da brauche ich fünf Minuten“, wies ich ihn an. „Das trifft sich gut“, freute sich der Chauffeur, „ich kann einen Kaffee gebrauchen.“ Am Café stiegen wir aus ,und ließen die die Koffer im Auto. Der Fahrer hatte Tina an der Hand und ich Heinz, so kamen wir in das Café.
Die junge Chefin, freute sich als sie uns sah, und brachte sofort zwei Tassen Kaffee und für die Kinder heiße Schokolade. Der Kakao sah so gut aus, dass Heinz sich ein „oh Stokolata“, nicht verkneifen konnte. Das erfreute die umher sitzenden Leute und jemand kaufte ihm eine Tafel Schokolade. Da es in Griechenland immer nur Riegel gab, wurden seine Augen ganz groß, strahlten und freudig kam es: „Mechralo Stokolata.“ Der Taxifahrer hatte ihn sofort ins Herz geschlossen.
Die junge Frau, die vor Tagen noch Versprechungen gemacht hatte, fühlte sich überrumpelt. Sie stotterte: „Ja ich würde Ihnen schon gern helfen, aber der Lehrling ist im Urlaub krank geworden und jetzt ist er wieder zurück.“ Das konnte jetzt stimmen, oder auch nicht. Ich war enttäuscht.
Wir verließen das Lokal und bestiegen das Taxi. „Was jetzt?“ Der Taxifahrer schaute mich fragend an. Ich war schon wieder zum Weinen aufgelegt und sagte resignierend: „Was bleibt uns anders übrig, als das Obdachlosenheim.“ Der Fahrer fuhr auf einen Parkplatz unter Bäumen, machte die Türen auf und ließ die laue Herbstluft herein. „Lassen sie mich mal überlegen.“ Sein Gerät hatte er schon längst ausgeschaltet. Ich bemerkte: „Nicht dass sie Schwierigkeiten bekommen mit der Zentrale.“ „Nein, keine Sorge, ich bin selbständig“, ließ er mich wissen.
„Ich muss mal was ausprobieren. Wir fahren zuerst zu meinem Onkel, der hat eine Kneipe.“ Während er ums Auto ging und die Türen zuwarf, dachte ich: In einer Kneipe wollte ich nie arbeiten, da stinkt es nach Bier, und die Gäste sind betrunken.
Er startete den Motor und fuhr ein paar Minuten, dann hielt er erneut an. „Warten Sie mal, ich gehe schnell allein hinein“, sagte er und verschwand in der Wirtschaft. Lange musste ich nicht warten, da kam er zurück und ließ uns aussteigen. Eine mütterlich wirkende Wirtin machte von innen die Eingangstür auf und hieß uns willkommen. Die Frau setzte die Kinder an einen kleinen Tisch und brachte ihnen ein Limonaden-Getränk.
Heinz begann sofort auf Griechisch zu plappern. Die Wirtin fragte erstaunt: „Kannst du denn kein Deutsch?“ „Nein“, sagte Tina, „aber ich.“ Die Frau fand die Kinder goldig. Der Taxifahrer sollte meine Koffer gleich nach oben bringen und mir das Zimmer zeigen. „Du kennst doch das Zimmer, darin hast du ja auch schon gewohnt.“ Die Kinder blieben so lange in der Wirtschaft, die Wirtin meinte sie müssten auch noch essen, bevor sie ins Bett gehen.
Das Zimmer war geräumig und es stand außer einem großen Bett, auch noch ein Kinderbett im Zimmer. Dazu ein Schrank und ein Tisch und drei Stühle. Es war ein Waschbecken im Zimmer und neben dem Zimmer war eine Küche, die ich benutzen konnte. Ja, der Raum war ganz in Ordnung. Hier konnten wir uns wohlfühlen.
Aber die Kinder konnte ich doch nicht den ganzen Tag allein lassen, wenn ich arbeiten musste. Der Taxifahrer war schon wieder unten in der Wirtschaft und ich ging langsam die Treppe hinunter. Als ich die Gaststube betrat, waren ein paar Gäste gekommen und saßen am Stammtisch, der nahm die halbe Wirtschaft ein.
Die Wirtin bediente die wenigen Gäste. Dann sollten wir noch einmal in das Taxi steigen und zu einer Kinderfrau fahren. Die Frau wohnte in einem kleinen Haus mit einem großen Garten, zu Fuß etwa eine halbe Stunde von der Wirtschaft entfernt. Sie würde meine Kinder betreuen von morgens neun bis abends sechs. Für zehn Mark pro Tag. Einen Kinderhort gab es hier in der Nähe keinen.
Ich nahm die Gelegenheit wahr, zumal sie einen schönen Spielplatz für die Kinder hatte. Der Taxifahrer versicherte mir, dass sich alle Kinder hier wohlgefühlt hatten. „Ja, aber der weite Weg jeden Morgen“, stöhnte ich. Er gab mir seine Karte für Notfälle, und bot mir an, die Kinder jeden Tag zwei Mal zu fahren für fünf Mark am Tag. Das Angebot wollte ich mir durch den Kopf gehen lassen.
Wir aßen am Abend noch eine Kleinigkeit, dann ging ich mit meinen Kindern schlafen, denn am nächsten Morgen musste ich zeitig aufstehen, um sie zur Kinderfrau zu bringen. Für Heinz war der Weg fast zu weit. Er tat mir leid, nun entschloss ich mich doch, sie demnächst mit dem Taxi zu schicken. Tina und Heinz durften gleich auf die Schaukel. Ich bezahlte für die erste Woche sechzig Mark, denn am Montag ist Ruhetag in der Wirtschaft und da wollte ich meine Kinder nicht fortbringen. Der Montag sollte uns gehören.
Pünktlich um neun Uhr war ich bei der Arbeit und machte die Gaststätte sauber. Der erste Gast war ein älterer Herr mit einem kleinen Hund. Er trank ein kleines Bier, dann ging er wieder. Ein sehr netter Herr, dachte ich. Den ganzen Tag bediente ich die spärliche Anzahl von Kunden. Da es hier keine Registrierkasse gab, musste ich Bier und Weinmarken kaufen. Dafür hatte ich fast mein ganzes Geld ausgegeben.
Trotzdem bestellte ich das Taxi und machte einen Dauerauftrag. Ich zahlte für heute Abend und für den nächsten Tag. Als die Kinder heim kamen, nahm die Wirtin sie mit in die Küche, und gab ihnen das Abendessen. Danach durfte ich sie ins Bett bringen. Die Wirtschaft füllte sich am Abend, und ich verdiente doch noch ein paar Mark.
Morgens kochte ich mir zuerst einen Kaffee in der kleinen Küche. Da merkte ich, dass in der Wohnung nebenan schon reges Treiben herrschte. Dort hörte ich auch ein Kind laufen. Ich ging zurück in mein Zimmer und zog meine Kinder an. Als wir alle drei fertig angezogen waren, ging ich die Treppe hinunter, um in die Wirtschaft zu gehen. Unten musste ich am Friseursalon vorbei. Die Tür stand offen und der Friseur wünschte uns einen guten Morgen.
„Die Kinder könnten auch einen Haarschnitt gebrauchen“, sagte er ganz nebenher. „Ja schon“, gab ich ihm recht, „aber ich habe nur montags Zeit, und da hat kein Friseur offen.“ „Stimmt,“ setzte er das Gespräch fort, „ich wohne aber im gleichen Stock wie Sie, da werde ich mir die Kinder am Montag schnappen, Sie werden sehen, wie schön die dann sind.“ Nun kam seine Frau auch auf den Flur. „Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Ihnen für den Kleinen, Kleidung und Schuhe vors Zimmer stellen. Ich habe so viel von unserem Sohn, und kein Mensch will getragene Kleidung.“ Sie bedauerte noch, dass sie für Mädchen gar nichts hätte, denn sie hätten nur einen Sohn.
Schnell erzählte ich ihr, dass die Kinder erst von Griechenland gekommen wären und fast nichts zum Anziehen hätten. Dann ging ich in die Wirtschaft um zu putzen und auf das Taxi zu warten. Tina und Heinz hatte ich auf die Eckbank gesetzt und da saßen sie brav und schauten zu,
wie ich den Fußboden wischte. Danach stellte ich die Stühle wieder auf. Die Tür ging auf und der Herr mit dem kleinen Hund kam in die Gaststube.
Wie von einer Tarantel gestochen schrien beide Kinder los. Sie sprangen auf den Stammtisch und wollten auf gar keinem Fall herunterkommen. Ich konnte sie nicht beruhigen und war vollkommen ratlos. Im Haus in Griechenland hatte der Lehrer, der immer auf die Jagd ging, auch einen großen Schäferhund. Mit dem hatten die Kinder oft gespielt, warum machten sie jetzt so ein Geschrei wegen einem kleinen Dackel?
Zum Glück kam der Taxifahrer. Der schnappte sich die Kinder, direkt vom Tisch und fuhr sie zu der Kinderfrau.
Meiner Wirtin gefiel das nicht. „Das müssen Sie den Kindern aber ganz schnell abgewöhnen“, rügte sie, „so etwas geht ja gar nicht!“
Solange sie die Wirtschaft hatte, kam der Herr jeden Tag nach dem Morgensparziergang mit dem Hund, um bei ihr ein kleines Bier zu trinken. So sollte es auch bleiben, erklärte sie mir. Den ganzen Tag über bediente ich die Gäste und da niemand mehr über den Vorfall vom Vormittag sprach, hatte ich ihn fast vergessen.
Die Wirtin bemühte sich, mir die Namen den Stammgäste einzupauken, aber ich konnte mir zwar die Namen merken, aber nicht die Gesichter. „Ach ja“, sagte die Wirtin, „es sind auch zu viele Namen auf einmal, das klappt schon mit der Zeit.“
So verging der Tag und am Abend kam der Taxifahrer allein in die Wirtschaft. „Die Kinder wollen nicht aussteigen, sie haben Angst vor dem Hund“, berichtete er. Meine Nerven lagen blank. Die Kinder würden mir wegen dem kleinen Hund alles kaputt machen, dachte ich und ging ans Auto um ihnen den Hintern zu versohlen. Die Wirtin sah mir an, was ich vorhatte und kam mir nach. „Gehen Sie zu Ihren Gästen, ich mache das für Sie.“ Mich schickte sie zurück ins Haus und kurz darauf, kam sie mit den Kindern nach.
Wie sie es gemacht hat, weiß ich nicht. Plötzlich saßen sie bei der Frau in der Küche aßen ihr Abendessen und putzten sich die Tränen ab.
Später brachte ich die Kinder ins Bett und vor meiner Tür stand ein großer Korb mit Kleidung für Heinz. Die Sachen sahen aus wie neu, und waren bestimmt nicht im Warenhaus gekauft worden. Schuhe für alle Jahreszeiten, Hosen, Strumpfhosen und Pullis auch Unterwäsche war dabei, die war sogar noch in der Verpackung. Es sah fast so aus, als hätte die Frau vom Friseur für mich eingekauft.
Sie klopfte, als ich die Kinder auszog. „Gefallen Ihnen die Sachen?“ Fragte sie mich. „Natürlich, die Sachen sind wunderschön, und ja ganz neu, kann ich das denn überhaupt bezahlen?“ Mich überkam die Angst, dass sie jetzt einen Betrag nannte, der nicht im Bereich meiner Möglichkeiten lag.
„Ich werde nicht sagen, dass ich Ihnen Sachen schenken möchte und nachher Geld dafür verlangen!“ Sie schaute mich ein wenig vorwurfsvoll an. Dann drehte sie sich zur Tür und bot mir an: „Lassen Sie doch die Tür offen, wenn Sie wieder nach unten gehen, dann können wir immer nach den Kindern sehen.“ Das tat meinem strapaziertem Herzen gut, jetzt fiel es mir leichter, die Kinder allein hier oben zurück zulassen.
So ging ich wieder an meine Arbeit und als nur noch zwei Leute am Tisch saßen, durfte ich Feierabend machen. Der nächste Tag war Sonntag, nur noch einen Tag, dann hatte ich frei, und einen ganzen Tag Zeit für Tina und Heinz.
Morgens ging das Theater wegen dem Hund wieder los. Die Kinder wollten nicht mit in die Wirtschaft. Sie wollten vor der Tür warten bis das Taxi kam. Ich erklärte ihnen, dass der Mann mit dem Hund da auch vorbei käme, aber sie wollten nicht hören und blieben draußen auf der Treppe. Es war kühl, und ich dachte sie würden sich bestimmt erkälten.
Aber ich konnte mich nicht länger aufhalten, befahl meinen Kindern, die Treppe nicht zu verlassen, und ging an meine Arbeit. Gerade hatte ich den Fußboden gewischt, da kam der Mann mit dem Hund auf unsere Tür zu. Die Kinder sprangen auf und liefen schreiend über die Straße, dass sie nicht vom Auto überfahren wurden, war ein Wunder. Während ich meine Kinder auf der anderen Straßenseite einsammelte, bediente die Wirtin den Herrn.
Der hingegen erklärte ihr: „Wenn die Kleinen jedes Mal so ein Theater machen, muss ich mir eine andere Wirtschaft suchen.“ Die Wirtin hatte jetzt auch keine Geduld mehr. „Sie haben morgen den ganzen Tag Zeit, um Ihre Kinder zur Vernunft zu bringen. Am Dienstag will ich das Geschrei nicht mehr.“
Ich kochte Kaffee und Kakao in der kleinen Küche Da kam der Friseur um mich an den Haarschnitt zu erinnern. „Ich werde schnell einen Kaffee trinken und den Kindern den Kakao geben“, sagte ich, „dann bringe ich sie nach unten.“ Einen Moment später kam er mit zwei Brötchen, die waren noch richtig warm. „Damit der Kakao besser rutscht“, sagte er lachend.
Er freute sich, dass ich Heinz von den neuen Sachen angezogen hatte, und dass die so schön passten. Fünf Minuten später ging ich mit den Kindern die Treppe hinunter in den Friseursalon. Er nahm sich gleich Heinz vor und wusch ihm zuerst gründlich die Haare. Er schrie nicht einmal dabei, meinte aber, dass Tina auch Haare waschen sollte. Der Friseur verstand nicht was er meinte, da übersetzte Tina. Gleich darauf tat es ihr leid, denn nun bekam sie auch den Kopf gewaschen.
Inzwischen kam die Frau vom Friseur, sie hatte den Sohn in den Kindergarten gebracht. Nun schnippelten beide an den Haaren meiner Kinder. Die Frau schaute mich an und meinte: „Wie wäre es, wenn wir Ihre Haare auch gleich abschneiden?“ „Lieber nicht“, wehrte ich ab, „Dann muss ich laufend zum Friseur und das kann ich mir nicht leisten.“ Ich berichtete, dass ich Schwierigkeiten hatte, wegen dem Mann mit dem Hund. „Wenn die Kinder nicht aufhören zu schreien, wenn der Hund kommt, wird mich die Wirtin hinaus werfen.“
Heinz fing nun an auf Griechisch zu erzählen warum sie solche Angst hatten. Beim Schwätzen verschluckte er sich fast, so aufgeregt war er. Heinz schob natürlich alle Schuld auf Tina aber das ist in Griechenland so üblich, da sind immer die Mädchen die bösen. Ich übernahm das Übersetzen.
Sie hatten in Griechenland vor dem Haus gespielt, unter dem Vordach, weil es regnete. Unter der Treppe war immer der Hund von dem Lehrer an einer Kette angebunden. Der tat normal niemandem etwas. Die Kinder hatten Steine gesammelt und den Hund damit beworfen. Einer muss wohl ziemlich groß gewesen sein, da ist der Hund plötzlich aufgesprungen und hat die Kinder angebellt.
Seitdem hatten sie Angst vor jedem Hund. Ich dachte: Wenn sie jedes Mal wenn sie zur Haustür ein- oder ausgingen so ein Geschrei gemacht haben, wundert es mich nicht, dass sie die Oma nicht mehr behalten wollte.
Der Friseur verstand die Kinder und erzählte, dass er auch als Kind einen Hund geärgert hatte. Der hatte ihn allerdings gebissen. Seine Frau beschloss, dass Tina und Heinz bei ihnen auf das Taxi warten sollten.
Ich ließ am Ende meine Haare auch waschen, aber nicht abschneiden. Danach ging ich mit den Kindern in ein Kaufhaus, um für Tina ein paar Kleider zu kaufen. Schließlich fand ich ein paar Strickkleider, so was Ähnliches hatte ich als Kind auch. Tina gefielen die Kleider und sie konnte sich nicht entscheiden ob sie es in rot oder blau wollte. Weil es so preiswert war, nahm ich beide. Sie brauchte noch warme Schuhe, die fand ich auch.
Ihre Strumpfhosen waren auch alle zu klein, deshalb kaufte ich auch das noch, und mein Geld wurde immer weniger. Weil es jetzt gerade Mittagszeit war, gingen wir in das Kaufhaus-Restaurant. Danach wollten Tina und Heinz noch ein paar Mal Aufzug fahren, und wir fuhren mit dem Aufzug hinauf, dann mit der Rolltreppe hinunter. Ja, sie konnten nicht genug davon bekommen.
Mein Blick fiel auf die Spielzeugabteilung. Sie hatten kein einziges Spielzeug, da sollte ich doch noch eines kaufen. Wir gingen in die Abteilung und die Kinder hatten viele Wünsche. Ich sagte: „Ihr müsst etwas nehmen, mit dem ihr zusammen spielen könnt.“ Heinz dachte nur an sich und wollte Pferd und Wagen, oder einen Zug. Einen Bagger fand er auch nicht schlecht.
Tina war bescheiden und meinte: „Egal Mama, dann gucke ich eben zu wie Heinz spielt.“ Er war richtig griechisch erzogen und total egoistisch. Absichtlich kaufte ich jetzt zuerst für Tina eine kleine Puppe und erst danach für Heinz einen Bagger. Er wollte noch mal etwas, weil er meinte er müsste mehr haben wie Tina. Zur Strafe gab es jetzt weder Rolltreppe noch Fahrstuhl. Wir gingen über die normale Treppe dem Ausgang zu. Tina war glücklich über ihre Sachen, aber mir tat es leid, dass ich ihr keinen neuen Mantel kaufen konnte. Der Mantel den sie hatte, war hässlich.
Wir gingen nach Hause und spielten mit dem neuen Spielzeug. Danach erzählte ich noch ein Märchen und wir gingen früh schlafen.
Von nun an lieferte ich die Kinder morgens im Friseursalon ab und es war alles in bester Ordnung. Die Wirtin war zufrieden und der Gast mit dem Hund auch. Meine Einnahmen reichten um über die Runden zu kommen. Ein paar Mark hatte ich auch schon auf die Seite gelegt für schlechte Zeiten, die schließlich immer wieder eintreffen konnten.
Bis jetzt lief alles richtig friedlich, wir liebten unseren freien Montag und ich legte eine Mark auf die andere um Tina vielleicht zu Weihnachten einen Mantel zu kaufen. Heinz hatte einen so tollen Mantel, mit dem sah er aus wie ein kleiner Filmstar. Tina dagegen sah neben ihm aus wie ein Waisenkind. Nichts anderes wollte ich kaufen, und Weihnachten war bald.
Dann war es Montag nach dem ersten Advent. Wir gingen in die Stadt um die geschmückten Schaufenster anzusehen. Mittags wollten wir im Kaufhaus essen, wie meistens montags. Danach gingen wir mit einem kleinen Adventskranz heim und zündeten eine Kerze an und sangen die ersten Weihnachtslieder. Der Tag war so schön, und wir schliefen bestens.
Am nächsten Morgen wollte ich gerade aufstehen, da klopfte es an meiner Tür. Eine Frau rief: „Machen Sie bitte mal auf, ich bin die Tochter der Wirtsleute.“ Ich schaute auf den Wecker, es war acht Uhr. Dann ging ich an die Tür. Die junge Frau war ganz in schwarz gekleidet. Sie weinte: „Wir haben einen Todesfall, die Wirtschaft bleibt diese Woche geschlossen. Geben Sie mir Ihre Getränkemarken, ich werde Ihnen das Geld dafür morgen bringen.“ Ich hatte keine Ahnung wer gestorben war, und ging zur Kinderfrau um Tina für diese Woche abzumelden. Wenn ich nichts verdiente, konnte ich mir das nicht leisten, auch keine Taxifahrt mehr. Ich hoffte, dass in einer Woche die Wirtschaft wieder aufmachte.
Wir kamen bei der Kinderfrau an und ich erzählte ihr, was passiert war. Sie war froh, dass sie jetzt eine Woche ausruhen konnte, und betonte, wenn ich wieder arbeitete, wollte sie die Kinder wieder nehmen. "Ich tät mir in ihrer Stelle gleich eine neue Arbeit suchen, denn die Wirtschaft macht bestimmt nicht mehr auf. Die Wirtin ist gestorben und der Mann kann kein Wirt sein." Sie wüsste es aus der Zeitung, sagte sie, als sie uns hinausbegleitete.
Bei mir breitete sich langsam wieder die Angst aus. Nein, nicht schon wieder, wir hatten gerade alles geregelt. In mir stieg die Hoffnung auf, dass vielleicht die junge Frau, die an meiner Tür geklopft hatte, die Wirtschaft demnächst weiterführen wollte.
Das wäre die perfekte Lösung. Ein Strohhalm an den ich mich jetzt klammerte.
Mit den Kindern ging ich in den kalten Park, um ihnen den Märchengarten zu zeigen, der jetzt allerdings schon im Winterschlaf lag. Ich zeigte ihnen was es um diese Jahreszeit noch zu sehen gab. Dann kamen wir zum Lustschloss. Dort waren alle Stühle weggeräumt wie jedes Jahr.
Ich wollte meinen Kindern das kleine Schlösschen zeigen, und ging ganz nah an die Eingangstür. Da hob ich sie an, so dass sie durch die Scheiben schauen konnten. Sie waren begeistert von dem prächtigen Saal. Dann gingen wir den Hauptweg, am großen Schloss vorbei, dem Ausgang entgegen. Wir mussten unbedingt jetzt ein wenig essen. Mit den Kindern ging ich in das Restaurant, wo es das Abo-Essen gab. Dort bestellte ich zwei Essen und einen Teller extra. Den Kindern teilte ich ein Essen, und alle wurden satt.
Weil ich nun aber auf gar keinem Fall noch mehr Geld ausgeben wollte, machten wir uns auf den Heimweg. Tina fragte: „Zünden wir wieder eine Kerze an?“ Mir war nicht nach Weihnachten, aber ich versprach es ihr. Als wir beim Schlosspark wieder auf die Umgehungsstraße kamen, fiel mein Blick auf ein Schild, das im Fenster einer kleinen Wirtschaft stand: Bedienung dringend gesucht. Zuerst wollte ich weiter gehen, die Wirtschaft war nicht besonders einladend.
Dann nahm ich die Kinder und ging durch die Eingangstür. Die Wirtin saß mit drei jungen Männern am Tisch und spielte Karten. „Sie kenne ich doch, sie haben im Sommer im kleinen Café im Park gearbeitet.“ Besonders freundlich klang es nicht. Sie gab an, dass ich ihre Bedienung abgeworben hätte, denn die hatte plötzlich auch in dem Café gearbeitet. Das konnte nur ein Irrtum sei, denn ich hatte niemanden überredet, die Stelle zu wechseln.
Als sie hörte dass ich eine Stelle suchte, weil meine Wirtin gestorben war, lachte sie und meinte: „Da kommen Sie ausgerechnet zu mir.“ Mir wurde es zu dumm. Ich nahm meine Kinder an die Hand und wollte gerade gehen. Die Frau war mir nicht sympathisch. „Jetzt warten Sie doch mal“, lenkte sie ein, und zog mich am Arm.
Sie setzte sich zu uns an einen kleinen Tisch, ganz in der Ecke. In der Wirtschaft waren nur wenige Tische, zwei kleine für vier Personen und drei große für sechs Personen. „Wo wohnen Sie denn“, wollte sie wissen. „Bis jetzt wohne ich bei den Leuten wo ich gearbeitet habe, aber die Wirtin ist gestorben und die Gaststube wird zugemacht.“ Erklärte ich ihr und fuhr fort: „Ich kann nur eine Arbeit nehmen, wo ich auch ein Zimmer bekomme.“ Entsetzt fragte sie: „Und die Kinder sind dann den ganzen Tag in der Wirtsstube?“ „Nein, die bringe ich zur Kinderfrau bis abends um sechs, danach gehen die ins Bett“, antwortete ich.
Sie kannte alle, die verstorbene Wirtin und auch die Kinderfrau. Schließlich holte sie den Kindern einen Dauerlutscher und meinte: „Ich habe oben ein Zimmer im Hinterhaus, da steht ein Bett und ein Kinderbett darin. Wenn das reicht ist es gut, ein weiteres Bett passt nicht hinein.“ Zuerst wollte ich abwarten was die Tochter meiner Wirtin morgen sagte. Schließlich hatte ich auch noch Geld zu bekommen und meine Papiere. Morgen wollte ich ihr Bescheid geben.
Wir gingen auf dem Heimweg noch einmal bei der Kinderfrau vorbei um zu fragen ob die Kinder übermorgen wieder kommen konnten. Dort machten wir aus, dass ich morgens die Kinder um neun Uhr bringen wollte, und ihre beiden Töchter sollten sie am Abend bei mir abgeben. Der Weg war nicht weit, höchstens zehn Minuten. Ich zahlte Mittwoch bis Sonntag und stellte fest, dass mein Geld langsam aufgebraucht war. Vom Sparbuch wollte ich auf gar keinen Fall Geld holen.
Wir spielten ein wenig und zündeten wieder eine Kerze an. Bei mir wollte keine gute Laune aufkommen. Drum gingen wir abends früh ins Bett. Langsam fragte ich mich, warum ich nicht endlich mal zur Ruhe kommen konnte.
Am nächsten Morgen klopfte es wieder an meiner Tür. Schnell machte ich auf, in der Hoffnung eine gute Nachricht zu erhalten. Die junge Frau hatte alles fein säuberlich auf dem Tablett: Meine Steuerkarte, mein restliches Geld, und was mich doch sehr verwunderte fünfzig Mark für Verdienstausfall. „Sie müssen jetzt leider ausziehen, denn die Wirtschaft bleibt geschlossen. Wir werden umbauen, solange wohne ich in dem Zimmer.“
Schade, dachte ich. Wenn ich das Zimmer hätte behalten dürfen, dann könnte ich in einer Fabrik nach Arbeit suchen. „Ich werde heute noch ausziehen“, sagte ich niedergeschlagen und fing an unsere Sachen zu packen. Mir liefen schon wieder die Tränen über meine Wangen. Es fiel mir schwer, hier wegzugehen, wir hatten uns wohl gefühlt in diesem Zimmer.
Wir hatten haufenweise schmutzige Wäsche, deshalb packten wir einen Koffer mit sauberer und einen Koffer mit Schmutzwäsche. Als wir alles gepackt hatten durften die Kinder ihr Spielzeug nehmen und wir gingen zuerst in die Wäscherei, die war gleich um die Ecke. Dort füllte ich die Waschmaschine und stellte die kürzeste Waschzeit ein, weil ich sonst nicht fertig geworden wäre.
Es dauerte mehr als drei Stunden bis ich alles fertig hatte. Die Schürzen bügelte ich gleich mit dem Bügeleisen im Waschsalon. Das war für die Kneipe gut genug, dachte ich. Dann gingen wir mit dem Koffer Wäsche wieder nach Hause. Die Kinder hatten Hunger deshalb holte ich Brötchen in der Bäckerei.
Daheim im ausgeräumten Zimmer kochte ich noch einmal einen Kaffee und einen Kakao. Damit wir die Brötchen nicht so trocken hinunter würgen mussten. Dann brachte ich die Tassen zurück in die Küche, Jedes der Kinder nahm sein Spielzeug in die Hand und ich ging mit den beiden Koffern die Treppe hinunter.
Vom Friseur aus rief ich den Taxifahrer an. Der Friseur bedauerte, dass wir wieder weiter zogen, er mochte Tina und Heinz.
Der Taxifahrer brachte uns zu „Lilo´s Kneipe“, so hieß die Wirtschaft. „Stelina“, das Hausmädchen sollte uns ins Zimmer begleiten. Ich trug die Koffer im Hinterhaus die Treppe hinauf, Stelina zog es vor, die Kinder an der Hand zu nehmen.
Das Zimmer war an der längsten Seite so lang, dass ein normales Bett und ein Kinderbett gut Platz hatten. Zwischen den beiden Betten stand noch ein Stuhl. Neben meinem Bett war ein Nachtschrank und vor dem Fenster, hatte ein kleiner Tisch seinen Platz. Neben der Eingangstür befand sich ein Ofen und gegenüber vom Kinderbett ein Kleiderschrank.
Es war also gar nicht so klein, stellte ich fest, das vorige war auch nicht viel größer. Auch hier war eine Küche gleich neben meinem Zimmer, die sah allerdings nicht so appetitlich aus. Es schien außer mir niemand hier oben zu wohnen.
Stelina guckte mir eine Weile auf die Finger, da sagte ich: „ich werde ein wenig unsere Sachen ordnen, dann werde ich hinuntergehen zur Chefin. Endlich schob sie ab.
Die Kinder spielten wieder und ich hängte die Kleider auf. Zuletzt stellte ich unseren Adventskranz auf den Tisch. Im Zimmer war es kalt, es war aber nur ein wenig Holz da und damit würde ich das Zimmer nicht warm bekommen. Wahrscheinlich musste ich ein Heizgerät kaufen, denn wenn ich jeden Abend einheizen musste, würde es zu lange dauern.
Stelina rief, wir sollten zum Essen kommen. Ich nahm die Kinder an der Hand und wir gingen in die Gaststube. Da waren sogar ein paar Gäste da. Wir setzten uns wieder an den kleinen Tisch und Stelina brachte Essen für uns. Sie war ein launisches Weib, stellte ich fest. Lilo die Wirtin, setzte sich kurz zu uns. Morgens sollte ich in Ruhe zuerst die Kinder fort bringen, Es sei früh genug wenn ich um zehn Uhr anfing. Die Wirtschaft brauchte ich nicht zu putzen, nur die Tische.
Ich fragte woher Brennmaterial bekomme für den Ofen. Gleich drei Häuser weiter konnte ich das kaufen, da sei es verpackt und man könne es gut tragen. Also ging ich drei Häuser weiter und besorgte Kohlen und Brikett. Die Händlerin hatte auch etwas zum Anzünden für das Feuer.
Ich schleppte die abgepackte Kohlen und Brikett die Treppe hinauf, es waren zweimal zehn Kilo. Dann zündete ich den Ofen an, schüttete ein paar Kohlen aufs Feuer und legte, als alles schön brannte, zwei Brikett oben auf. Das Zimmer wärmte sich gleich ein wenig auf. Als ich meine Kinder ins Bett gebracht hatte, ging ich auch gleich schlafen. Den Tag wollte ich noch ausnutzen. Und noch einmal ausschlafen.
Kurz vor zehn Uhr, betrat die Wirtschaft. Stelina stänkerte mich gleich an. Ich konnte nur nicht alles verstehen, denn sie war Italienerin. Ich wollte ihr helfen die Stühle von den Tischen zu stellen, aber das war ihre Arbeit, und die ließ sie sich von mir nicht wegnehmen.
Die Wirtin hatte mir Getränkemarken abgezählt, für hundert Mark, da ich aber nicht mehr so viel Geld hatte, nahm sie die Hälfte wieder weg. Die sollte ich dann später kaufen. Ich sollte alles mit Getränkemarken zahlen bis auf die Essen, dafür hatte sie ein Bonbuch. Das Buch musste ich abends aufrechnen.
Bei der Kinderfrau war der Nikolaus gekommen und die Kinder waren ganz begeistert. Heinz hätte stundenlang davon berichten können. Schließlich hatten sie auch noch einen Nikolaus bekommen, aus „Stokolata“, wie er sagte.
Es klappte alles wunderbar, und ich bemühte mich außer dem Geld für die Kinderfrau nichts auszugeben. Schließlich musste ich aufpassen, nicht mehr auszugeben als ich einnahm, zumal Lilo einfach nicht abrechnen wollte. Ich hatte den Geldbeutel voll Geld, und keine Ahnung wie viel davon mir gehörte.
Im Tresen hatte sie einen Schlitz, da hinein kamen die gebrauchten Getränkemarken und der Abrechnungsbon. Wann sie die Kasse mal aufmachte und mit mir abrechnen wollte, war ungewiss.
Um über die Weihnachtsfeiertage, wenigsten eine schöne warme Stube zu haben, kaufte ich noch einmal Kohlen und Brikett. Dann stapelte ich das Brennmaterial hinter meinem Ofen, denn der war ein Stück weit von der Wand entfernt. Danach putze ich das Zimmer blitzblank und auch die Küche, in die scheinbar außer mir niemand ging. An meinem letzten freien Tag vor Weihnachten, wollten die Kinder noch einmal in die Stadt, um die geschmückten Schaufenster zu betrachten.
Wir gingen durch die Supermärkte und freuten uns an den vielen Lichtern. Kaufen wollte eigentlich nichts. Dann sahen wir ein kleines, künstliches Weihnachtsbäumchen, das war gar nicht teuer, und hatte bunte Lichter an den Tannenspitzen.
Tina hatte schon begriffen, dass zu Weihnachten ein Bäumchen gehört. Schließlich heißt es so in den Weihnachtsliedern. Ihre Augen hingen an dem Bäumchen und ich dachte: Egal, ich habe im Notfall noch ein wenig auf dem Sparbuch. Ich kaufte das Bäumchen und Tina trug den leichten Karton, der sogar einen Handgriff hatte.
Auf dem Rückweg kamen wir an der Bäckerei vorbei, in der meine Chefin aus dem Tagescafé gerade im Laden war. Sie wollte wissen wie es uns ging und ich berichtete ihr. Weil ich so zufrieden mit der Kinderfrau war, meinte die junge Frau, ich sollte ihr doch zu Weihnachten eine Torte schenken. Das würde sie sicher freuen. Obenauf wollte sie ein großes „Danke“ schreiben. Die Idee war gut, und der Preis den sie mir nannte war auch in Ordnung. Sie war immer so gut zu den Kindern, ein „Dankeschön“ war schon längst fällig.
Etwas später waren wir auf dem Weg zur Kinderfrau, denn morgen war Heiligabend und ich wollte ihr die Torte selbst überbringen. Bei der Gelegenheit bezahlte ich auch gleich für die nächste Woche. Sie nahm das Geld, freute sich über die Torte und wollte die Kinder am Heiligabend bis fünf Uhr behalten, das sei aber das äußerste. Dann schaute sie auf das Geld und sah mich fragend an. „Auch ja, an den Weihnachtstagen habe ich frei, ich habe die zwanzig Mark abgezogen.“ Damit glaubte ich, die Sache sei erledigt, ich wünschte noch frohe Weihnachten. Wir machten uns auf den Heimweg.
Den Rest des Tages war ich damit beschäftigt, alles für eine kleine Weihnachtsfeier ohne Geschenke vorzubereiten. Ich war richtig glücklich, Weihnachten mit meinen Kindern in Deutschland, wo auch die anderen Leute rund herum das Christfest feierten.
Am nächsten Tag brachte ich die Kinder fort und musste noch bis zum Abend arbeiten. Lilo sagte: „Wenn ihre Kinder heim gebracht werden, haben Sie frei über die Feiertage.“ „Wollen Sie denn nicht vorher abrechnen?“ war meine Frage, „nicht, dass ich am Ende kein Geld mehr habe.“ Darüber musste Lilo lachen.
Tagsüber war noch viel zu tun, denn die meisten Männer gingen ihren Frauen daheim im Weg herum. So saßen die in der Wirtschaft und spielten Karten. Mittags kamen dann auch ein paar Frauen dazu, da verkaufte ich einige Mittagessen.
Ab vier Uhr war die Wirtschaft so gut wie leer. Ich sollte bis auf einen Tisch „aufstuhlen“. Den letzten Tisch sollte ich lassen für ein paar Gäste, die keine Familie hatten und jedes Jahr kamen. Mit ihnen wollte Lilo Weihnachten feiern. Das machte sie scheinbar jedes Jahr, sie schien ein gutes Herz zu haben.
Dann brachten die Mädchen von der Kinderfrau meine Kinder. In einer Plastiktüte hatten sie ein paar Sachen der Kinder, die gaben sie mir und richteten von der Mutter aus: „Sie will die Kinder nicht mehr nehmen.“ Ich sagte darauf: „Aber ich habe doch die Woche schon bezahlt.“ Die Mädchen daraufhin: „Das wissen wir nicht.“
Ich war außer mir. Lilo regte sich auch auf und meinte: „Jetzt ist erst mal Weihnachten, und danach sehen wir was wir machen.“ Sie gab mir noch etwas zum Essen mit in das Zimmer, damit wir nicht verhungern mussten.
Die Lebensmittel brachte ich in die Küche, dort hatte ich mir ein Fach geputzt für meine wenigen Sachen. Für heute gab es Würstchen und Kartoffelsalat. Ich machte Die Würstchen warm und heizte den Ofen an. Dann aßen wir unser Abendessen im Scheine des kleinen Weihnachtsbaumes. Die Augen der beiden strahlten. Wir sangen ein paar Lieder und der Ofen brannte richtig gut, es war warm im Zimmer. Bald darauf wollten die Kinder ins Bett, wünschten aber, dass der Weihnachtsbaum noch an blieb.
Ich ließ den Baum brennen und ging das Geschirr zu waschen. Als ich zurück kam, schliefen beide Kinder. Tina hatte sich den Weihnachtsbaum ins Bett gezogen und hielt ihn im Arm. Vorsichtig nahm ich ihr den Baum wieder aus dem Bett und stellte ihn auf den Tisch. Was da hätte passieren können, dachte ich bei mir. Dann legte ich zwei Briketts auf das Feuer und ging auch schlafen.
Lange grübelte ich nach, wie es nun nach Weihnachten weiter gehen sollte, bis ich endlich einschlief. Ich schlief schlecht und war immer wieder zwischen durch wach. So entging es mir nicht, dass es im Zimmer plötzlich qualmte. Vor Schreck sprang ich aus dem Bett, riss das Fenster auf und machte Licht.
Die Briketts, die ich dummer Weise hinter dem Ofen gestapelt hatte, hatten Feuer gefangen. Alle Briketts glühten. Aus der Küche holte ich schnell einen Putzeimer voll Wasser und goss es über das glimmende Brikett. Nachdem ich Durchzug gemacht hatte, verzog sich der Qualm und ich schaute wie es Heinz und Tina ging. Sie schliefen und atmeten ruhig. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Den Rest der Nacht verbrachte ich damit die Sauerei auf zu putzen.
Für mein Brennmaterial suchte ich mir einen neuen Platz, weit weg vom Ofen. Gegen Morgen hatte ich alles wieder sauber und die Luft war auch wieder gut. Da konnte ich die Fenster schließen und ich legte mich auch noch ein wenig zu Tina ins Bett. Ich hatte ja frei und konnte, wenn ich wollte den ganzen Tag im Bett bleiben.
Die Kinder weckten mich des Morgens und wollten den Christbaum anzünden. Da steckte ich den Stecker in die Steckdose und schlief noch einmal ein wenig.
Nach einer Weile, wollten die Kinder wieder in die Stadt, Schaufenster anschauen. Die vielen Weihnachtsmänner und Engel hatten es ihnen angetan. Weil ich für Heinz und Tina sonst nichts hatte, wollte ich ihnen die Freude machen. Ich kleidete mich an und musste feststellen, dass meine Kleidung nach Qualm stank. Das Beste war jetzt meine Kleider und die der Kinder, auf die Wäscheleine draußen vor meinem Fenster zum Lüften aufzuhängen.
Ich war voll beschäftigt, da rief Stelina unten im Flur. Sie hatte das Essen fertig, und ich sollte es in der Küche holen. Sie hatte Hähnchen im Ofen gebacken und mir zwei auf den Teller gelegt. „Morgen koche ich nichts“, zischte sie mir zu. „Danke“, sagte ich und dachte: Ich hatte heute schon mit nichts gerechnet. Wir aßen eines der beiden Hähnchen, und hoben uns das andere für den nächsten Tag auf.
Danach gingen wir in die Stadt um die Weihnachtsdekoration wieder zu bewundern. Tina sah einen schönen Mantel für mich und sie meinte, wenn sie groß sei, dann würde sie ihn mir kaufen. Heinz übertrieb und wollte alle Mäntel für mich kaufen. „Dann freue ich mich schon darauf, wenn ihr groß seid“, sagte ich gerührt.
Wir gingen, als es dunkel wurde nach Hause. Ich legte zwei Briketts auf das Feuer, und holte unsere Kleidung wieder von der Leine. Danach machte ich die Lämpchen am Weihnachtsbaum an und legte die Kinder ins Bett. Kurz darauf ging ich auch schlafen. Meine Gedanken waren bei übermorgen, ich musste sämtliche Kindertagesstätten abklappern, nur schade, dass die von hier aus alle so weit weg waren. Das nächste Problem war, wie bekomme ich abends die Kinder wieder heim.
Ich versuchte zu schlafen, denn die letzte Nacht war viel zu kurz. Kaum war ich eingeschlafen, da rief meine Chefin unten im Hausflur. Ich ging an die Treppe und sie sagte: „Kommen Sie in die Wirtschaft, da ist jemand für Sie.“ Hatte sie vielleicht schon eine Kinderfrau gefunden, dachte ich und zog mich schnell an.
Ich ging sogar ins Bad, und kämmte meine Haare, denn ich wollte in der Wirtschaft nicht unangenehm auffallen. Dann ging ich hinunter. Zuerst sah ich nur Lilo, die mit drei Herren am Tisch saß. Meine Chefin zeigte mit der Hand auf die gegenüber liegende Seite.
Mir war als ob mich ein Blitz getroffen hatte. Da saß Stefan und grinste mich an. Er hatte ein Getränk vor sich. Als ich auf ihn zuging, trank er es in einem Zug aus, rülpste und fragte wo die Kinder wären. „Die schlafen schon“, sagte ich. Lilo meinte, wenn mein Mann schon mal da sei, könnte ich ihn mit nach oben nehmen. Dann wären die Kinder ja ab morgen versorgt. Auch das noch, bei allem Elend, dachte ich, aber vielleicht war er mir tatsächlich nützlich. Wir gingen die Treppe hinauf und ich schloss das Zimmer auf.
Die Kinder waren nicht das Wichtigste, er beachtete sie kaum. Der Weihnachtsbaum fiel ihm gleich auf, dann schaute er in den Geldbeutel der auf meinem Nachttisch lag. „Oh, du bist ja Kapitalist geworden!“ Sein blödes Geschwätz fehlte mir jetzt gerade noch. „Lass das Geld“, fauchte ich ihn an, „Das gehört meiner Chefin, ich muss morgen mit ihr abrechnen.“ „Mensch Anne, du hast immer noch nichts gelernt. Wie viel Geld ist das? 500.-- Mark, oder 600.-- Mark? Nehmen wir das Geld und hauen ab.“
Zwar war es nicht wahr, aber ich behauptete: „Du kannst hier nicht abhauen, du musst immer durch die Wirtschaft, und die Wirtin sitzt morgen früh auch noch da.“ Morgen würde er einen Weg finden, meinte er und ich sollte ein einziges Mal auch ein bisschen schlau sein.
Er begann sich zu entkleiden und verlangte von mir, dass ich Tina zu Heinz ins Bett legen sollte. Als ich Tina umbettete, wurde die wach und fragte was los ist. Ich sagte: „Papa ist gekommen.“ Alles was sie dazu wusste war: „Ach so.“
Er fuhr mich an: „Ihr könntet schon etwas mehr euphorisch sein, wenn ich nach 26 Monaten vom Militär zurück komme.
Krampfhaft bemühte ich mich, seinem Bericht zu folgen. Das letzte Jahr war er bei der UNO und hatte dort eine Elektriker Ausbildung genossen. Von der Behörde wurde ihm abschließend ein gutes Zeugnis ausgestellt.
Das Zeugnis war auf Englisch und er wollte es gleich übersetzen lassen. Er zeigte mir das Zeugnis und ich übersetzte es so gut ich konnte. Der Witz an dem Ganzen war, dass dort stand … „..wurde bei uns als Elektro-Ingenieur ausgebildet.“ Der Begriff Ingenieur wurde jedoch in Amerika bei jeder Gelegenheit gebraucht, und hatte nichts gemeinsam mit einem Ingenieur mit Fachhochschul-Abschluss. Er war mächtig stolz darauf, dabei war es meiner Meinung nach nicht viel wert.
Er sollte es ruhig zum Übersetzer bringen. Vielleicht konnte ihm das bei seiner Stellensuche helfen. Ich schlief unruhig, immer wieder schaute ich ob mein Geldbeutel noch auf dem Tisch lag. Seine zuckersüßen Versprechungen und Beteuerungen nicht mehr so „urgriechisch „ zu denken und mich nicht mehr zu schlagen, gingen mir zu einem Ohr herein und zum anderen hinaus. Im konnte ihm kein Wort glauben. Seine Freundlichkeit war beängstigend.
Unzählige Male hatte er mir in dieser Nacht versichert, dass er nur mich liebt, und wie schön es würde, wenn wir jetzt wieder ganz neu anfangen würden, ich sollte nur das Geld nehmen und mitkommen. Als ich ihm klar machte, dass ich das niemals tun würde, drehte er sich genervt um und schlief ein.
Vorsichtig stieg ich aus dem Bett und nahm den Geldbeutel mit in die Küche. Dort kochte ich Kaffee für mich. Zwar hatte ich nicht geschlafen, aber ich wollte es jetzt auch nicht mehr. Da es inzwischen schon acht Uhr war, rechnete ich damit, dass die Kinder bald wach wurden. Heute wollte ich mit ihnen in der Küche frühstücken. Da war es ja kalt, aber ich wollte auf gar keinem Fall Stefan aufwecken.
Ich rührte das Kakaopulver an und ging nach Tina und Heinz schauen. Die lagen schon wach im Bett und flüsterten. Tina hatte erzählt, dass der Papa gekommen war. Ich legte den Finger auf den Mund und zog den Kindern den Mantel über. Dann schlichen wir in die Küche. Plötzlich hörte ich unten im Flur die Tür. Ohne lange zu überlegen, nahm ich den Geldbeutel und lief damit die Treppe hinab. Lilo hatte ein Tablett mit Kaffee und frisch aufgebackenen Brötchen, sie wollte uns überraschen.
Ich steckte ihr schnell den Geldbeutel zu und bat sie doch bitte abzurechnen, weil ich meinem Mann nicht traute. Sie wollte mir nicht glauben, er sei doch so nett zu ihr gewesen.
So bat ich sie die Geldtasche wenigstens mitzunehmen und aufzuheben, denn ich wollte nachher nicht in den Verdacht kommen, gestohlen zu haben. Widerwillig nahm sie das Geld an sich. Mit dem Tablett ging ich die Treppe hinauf und Stefan war auch schon aufgestanden. Ich brachte das Frühstück ins Zimmer, weil es in der Küche zu kalt war. „Wo hast du das Geld versteckt?“ Fragte er, bevor jemand von uns was sagen konnte. Ich log ihn an: „Die Chefin hat Frühstück gebracht und hat das Geld mitgenommen, um abzurechnen.“ „Wie dumm du doch bist“, rügte er mich. „Ich will nicht vor der Polizei weglaufen müssen, wie dein Bruder“, entgegnete ich.
Blitzschnell sprang er vom Stuhl auf und schlug mir auf den Kopf, dabei schrie er: „Du wagst es meinen Bruder zu beleidigen?“ Die Kinder fingen an zu heulen. Das Chaos war wieder da. Ich schaute ihn mit keinem Auge mehr an, nahm das Tablett um es in der Küche abzuräumen. Er war noch nicht fertig mit dem Frühstück und wollte das Tablett auf dem Tisch behalten. Da fragte ich: „Tina bist du satt? Und als die mit ja antwortete fragte ich auch Heinz. Er war auch satt. Da das mein Frühstück war, von meiner Chefin, fauchte ich: „Wir wohnen hier, und sind satt, du bist nur hier, weil meine Chefin so freundlich war es zu erlauben.“
Jetzt fing er wieder an zu schmeicheln, er konnte ja so falsch sein! Während ich den Ofen wieder anfachte, dachte er sich wieder eine neue List aus. „Anne, du hast hier ein schönes Zimmer gefunden, wir werden hier bleiben. Nur in der Wirtschaft wirst du nicht mehr arbeiten, es schickt sich nicht für eine Frau mit fremden Männern zu sprechen.“ Mir war klar, dass das eine fixe Idee war und sagte zu ihm: „Da musst du die Chefin selbst fragen, und dann sag ihr auch gleich, warum ich nicht mehr bei ihr arbeiten darf.“
Er ging tatsächlich zur Chefin hinunter. Die hörte sich seinen Vorschlag an und lachte „Nein nein, Herr Stefanidis, wer in dem Zimmer wohnt arbeitet auch hier. Wenn Ihre Frau bei mir nicht mehr arbeitet, weil sich das nicht schickt, brauche ich eine neue Bedienung und die braucht ein Zimmer.
Also tun Sie etwas für ihre Familie und suchen Sie nach einer Wohnung. Bis Sie etwas gefunden haben, kann Ihre Frau mit den Kindern hier bleiben und so lange arbeitet sie weiter.“ Stefan wurde wieder engstirnig: „Ich bestimme was meine Frau machen darf! Hier arbeiten, darf sie nicht!“ „Ja gut“, erwiderte Lilo, „Dann muss Ihre Frau das Zimmer räumen bis morgen Abend.“
Danach kam er wieder in unser Zimmer. Er sagte nichts, und zog seinen Mantel über und hatte es eilig, denn er musste jetzt einen Besuch machen. Morgen wollte er wiederkommen. Ich fragte ob er vielleicht morgen die Kinder mitnehmen könnte, dann wollte ich arbeiten. „Du gehst da nicht mehr hin, sie ist eine schlechte Frau, und sitzt mit drei fremden Männern an einem Tisch.“ Erleichtert atmete ich auf, als er weg war. Jetzt holte ich das Hähnchen, welches ich gestern aufgehoben hatte und machte es warm für die Kinder und mich. Tina und Heinz vermissten ihren Vater nicht.
Am späten Nachmittag kam Lilo zu mir ins Zimmer. Sie hatte die Abrechnung fertig. In meinen Geldbeutel hatte sie den Rest Geld gesteckt und sagte: „Ich habe ein wenig aufgerundet, Ihre Kinder habe ich gemocht, und Sie auch. Es ist schade.“ Sie riet mir, mich von Stefan zu trennen, ihrer Meinung war er nicht ganz recht im Kopf. „Ja, wenn ich einmal eine Wohnung habe und eine gute Arbeit. Wenn die Kinder in einen Hort kommen, dann mach ich das.“ Sie entdeckte die Beule an meinem Kopf und fragte mich: „Hat es Sie geschlagen?“ Tina sagte „Ja, er hat Mama geschlagen weil sie ihm das Geld nicht gegeben hat.“
Ich wünschte mir, dass er eine ordentliche Unterkunft fände, schließlich war er schuld daran, dass ich hier so schnell ausziehen musste. Lilo kam noch einmal zurück und brachte mir einen großen Überseekoffer aus Korbgeflecht. Der war sogar abschließbar. „Tun Sie alles darein, dann haben Sie nur ein Gepäckstück, Sie werden sehen, das ist praktisch, vor allem wenn man mit der Bahn reist.“ Also packte ich die beiden Koffer da hinein. Er hatte zwei Griffe und ließ sich zu zweit gut tragen. Lilo hatte meine Steuerkarte auch dabei, jetzt hatte ich alles. Sie verabschiedete sich gleich von uns, dann brauchte ich nachher nicht mehr durch die Wirtschaft. Meinen Mann wollte sie nicht mehr sehen.
Den Kindern zündete ich noch einmal den Christbaum an, morgen früh wollte ich dann den Rest einpacken. Wir schliefen noch einmal gut, trotz Ungewissheit.
Am nächsten Morgen schaute ich noch alles durch, ob ich nichts vergessen hatte und packte alles in den großen Koffer. Dann frühstückten wir das, was noch in der Küche war, und warteten auf Stefan. Es war schon längst Mittag und wir hatten Hunger. Da ging ich in die Küche zu Stelina und fragte ob sie mir zwei Paar Würstchen verkaufen könnte. Schlecht gelaunt wie immer fuhr sie mich an, wenn ich nicht mehr dort arbeitete, könnte ich auch nichts zum Essen erwarten.
Sie hatte Recht, aber ich wollte sie ja bezahlen. Ich ging wieder hinauf und wir warteten eine Ewigkeit. Dann kam er endlich. Aber er hatte kein Zimmer gefunden. Ich wusste genau, er hatte gar nicht gesucht. Er fasste mit an den Koffer und wir gingen aus dem Haus.
„Wohin“, fragte er mich. „Wenn du nichts gefunden hast, müssen wir ins Obdachlosenheim, da hat es immer Zimmer.“ gab ich ihm zur Antwort. „Gut gehen wir dahin“, bestimmte er. „Du hast doch sicher Geld, dann könnten wir ja auch ein billiges Hotel suchen“, meinte ich leise. Er erklärte mir, dass wir in jedes Hotel hätten gehen können, wenn ich nicht so naiv wäre. Wir kamen am Obdachlosenheim an und da war geschlossen.
Es klebte ein Zettel an der Tür, „wir sind umgezogen“, darunter stand die neue Adresse. Und die war in der Nähe vom Bahnhof, und noch einmal eine halbe Stunde Weg. Ich hoffte, dass der Hüne nicht mit umgezogen war. Als wir die neue Unterkunft fanden, schickte ich Stefan hinauf zu fragen, ob sie ein Zimmer frei hatten für uns.
Er kam zurück und hatte ein Zimmer bekommen. Wir trugen die Sachen hinauf und Stefan machte die Tür auf zu unserem Zimmer. Da standen zwei große Betten darin, ein Schrank ein Ofen und ein Tisch. Das Zimmer war riesig, die Decke hoch und eiskalt. Hätte ich nur mein Brennmaterial mit gebracht, dachte ich. Zuerst bezog ich die Betten und sagte zu Stefan: „Die Kinder haben Hunger, ich muss etwas zum Essen kaufen gehen“.
Er war in Stuttgart gewesen um sein Zeugnis übersetzen zu lassen, dass musste er jetzt seinem Vetter dem „Urinverkäufer“ und vielleicht seinem Bruder zeigen, falls er ihn antraf. Er wollte dann später wieder kommen.
Tina, Heinz und ich gingen in eine Metzgerei und kauften zwei Paar Würstchen, und beim Bäcker ein Brot. Dann gingen wir wieder zurück. Auf dem Weg kamen wir am Kiosk vorbei, wo leere Kisten herumlagen. Ich fragte ob ich die haben könnte und der Verkäufer war froh, dass er die nicht mehr entsorgen musste.
Mit dem Holz machte ich ein Feuer im Ofen. An der Wand hing ein Zettel: „Holz und Kohlen bitte beim Hausmeister kaufen.“ So suchte ich die Anmeldung und klopfte. Da machte der Hüne auf. Verdutzt fragte er: „Willst du schon wieder ein Zimmer?“ „Nein“, sagte ich, „Ich habe schon eines ich hätte gern Kohlen und Briketts.“ Eigentlich wollte ich das ja nicht zahlen, das sollte Stefan nachher machen, aber der Hüne ließ nicht locker, er wollte das Geld sofort. Wir hatten bald eine warme Stube und ich legte die Kinder in das eine Bett.
Dann kam Stefan, er hatte nichts zum Schlafen gefunden, und musste nun auch hier übernachten. Des Morgens fing er schon wieder an wie dumm ich sei, dass ich das Geld nicht genommen hatte. Wir hätten im Hotel wohnen können, und nicht hier bei den Landstreichern.
Dann gab er mir die Schuld, dass ich nicht schon lange eine Wohnung gefunden hatte. Sein Vetter, der mich überhaupt nicht leiden konnte, hätte ihm erzählt, dass ich mich herumgetrieben hatte. Ich wäre keine Mutter und keine Hausfrau. Als ich darauf etwas sagen wollte, schlug er wieder auf mich los. Dieses Mal traf er meine Nase und das Blut floss, auf den frischen Bettbezug. Der Hüne hielt zu Stefan, als ich ihm mein Leid klagte. „Wenn man sich so aufführt wie du, kein Wunder."
Nun war ich total verbittert, was hatten denn nur alle gegen mich, freilich war ich ständig auf Zimmersuche, aber ich habe mich nie herumgetrieben. Ein paar Tage lang ließ sich Stefan nicht mehr blicken und ich grübelte nach, was ich machen sollte. Am Freitagabend kam er dann mit seinem breiten Grinsen. Er hatte eine Stelle gefunden für sich, und bei der alten Dame in Stuttgart konnte er wieder wohnen, da wo er schon vorher gewohnt hatte, bevor wir damals nach Ludwigsburg zogen.
Ich sollte alle unsere Sachen packen, und mit meinen Kindern morgen früh zu meinem Bruder fahren. Ich fragte mich wieder, warum ich das noch nicht früher gemachte hatte.
Großzügig kaufte er am nächsten Tag eine Fahrkarte nach Herford, und gab mir noch zwanzig Mark „Startgeld“. „Schön, aber von da aus muss ich noch weiter fahren, da muss ich umsteigen und brauche noch eine Fahrkarte“, jammerte ich, dann sind die zwanzig Mark gleich weg. Wir gaben den großen Koffer als Reisegepäck auf und er gab mir tatsächlich fünfzig Mark, wollte aber die zwanzig zurück. Widerwillig gab ich sie ihm und stieg mit meinen Kindern in den Zug.
Heinz fragte ob der Papa nicht mit kam, aber Tina meinte, macht nichts, der hat ja nie Zeit. Auf der langen Fahrt hatten wir Zeit, uns von ihm zu erholen. Wir fuhren den ganzen Tag und kamen am Abend an.
Es war schon dunkel, als wir in der Elsestadt ankamen.
Ich war froh, dass ich nur eine Handtasche zu tragen hatte. Wir gingen vom Bahnsteig aus, die Treppen hinunter und kamen im Bahnhof wieder herauf. Wir hatten furchtbaren Hunger. Das Billigste für den Augenblick, war eine Tafel Schokolade. Die teilte ich in drei Teile und jeder durfte seinen Teil gleich aufessen.
Die Kinder fanden das gut, und ich steuerte die Telefonzelle an. Die Tür ging kaum zu, als wir alle darin waren. Dann suchte ich im Telefonbuch nach der Nummer von Onkel Heini. Ach ich freute mich so darauf, ihn wieder zu sehen. Er wusste immer Rat in allen Lebenslagen. Er würde auch heute wieder den richtigen Rat für mich haben.
Am anderen Ende meldete sich meine Tante. „Entschuldige die Störung, hier ist Anneliese, kann ich bitte mit Onkel Heini sprechen?“ Ich musste schlucken, denn ich hatte mich so lange nicht gemeldet, mich verließ schon der Mut. Die Tante am Telefon, brauchte einen Augenblick um nachzudenken. „Anneliese? Die Anneliese! Ja wie geht es dir denn? Onkel Heini ist schon seit einem Jahr tot.“
Meine Hoffnung war dahin. Ich sagte kleinlaut: „Ich bin gerade aus Ludwigsburg gekommen und habe meine beiden Kinder dabei, ich wollte nur schnell guten Tag sagen.“ Tante Minna hatte sich inzwischen gefasst, und sagte: „Nimm den nächsten Bus und komm mit deinen Kindern vorbei, Heinz und Bernd sind auch da.“ Meinen Überseekoffer ließ ich in der Gepäckabfertigung.
Ich nahm Tina und Heinz an der Hand, dann gingen wir zur Bus-Haltestellen. Wir hatten Glück, der Bus war noch nicht abgefahren. Zehn Minuten später klingelte ich an der Haustür bei Tante Minna. Bernd machte die Tür auf und schnappte sich gleich Heinz, um ihn die Treppe hinauf zu tragen. Tina und ich kamen hinterher.
Tante Minna schimpfte mit mir: „Warum hast du nicht heute in der Frühe angerufen, dann hätte ich Waffeln für Euch gebacken, ich weiß, die magst du doch so gern.“ Ach ja, die Waffeln von Tante Minna waren göttlich, meine letzten Waffeln hatte ich hier gegessen. „Vielleicht komme ich ja mal wieder“, sagte ich vorsichtig. Tante Minna meinte vorwurfsvoll: „Aber unbedingt, und vergiss nicht vorher anzurufen.“ Jetzt mussten wir aber zuerst mit zu Abend essen. Tante Minna munterte die Kinder auf: „Jetzt esst euch mal richtig satt, ihr müsst doch hungrig sein, wenn ihr den ganzen Tag unterwegs gewesen seid.“
Ich vermisste Onkel Heini, und nach einer Weile fiel mir auf, dass auch Lore fehlte. „Wo habt ihr Lore denn versteckt?“ Meine witzigen Fragen hatten Tante Minna früher immer zum Lachen gebracht. Sie lachte wieder und erklärte mir, dass Lore geheiratet hatte und jetzt in Rhaden wohnte. „Aber am Sonntag war sie zu Besuch bei uns.“ Mir schoss folgendes durch den Kopf: Onkel Heini ist gestorben, Lore ist ausgezogen, vielleicht hat sie ja ein Zimmer für mich. Solch dumme Ideen konnte nur ich haben. -
Wir waren fertig mit dem Essen und ich half Tante Minna das Geschirr in die Küche bringen. Sie fragte mich: „Ja was machst du jetzt?“ „Ach Tante Minna“, seufzte ich, „im schlimmsten Fall, muss ich jetzt vor meinen Bruder knien, und ihn bitten, dass er uns aufnimmt.“ „Gehst du denn nicht gern zu ihm?“
Die Tante schaute mich mitleidig an und fragte: „Was ist denn mit Mutti?“ Ach da wohnt doch jetzt Elfriede in meinem Zimmer, und Mutti mag doch keine Kinder, erst recht nicht wenn es meine sind.“ Ich merkte, hier wollten sie mich nicht vorübergehend behalten, und ich konnte meine Tränen kaum zurückhalten. Da stand Bernd auf, griff an das Schlüsselbrett, nahm seinen Autoschlüssel und sagte: „Ich fahre jetzt zu deiner Mutti, die soll euch ein paar Tage aufnehmen.“ Mir war klar, den Weg hätte er sich sparen können.
Es dauerte gar nicht lange, da kam er zurück. Man sah ihm an, dass er erfolglos war. „Nein Kinder wollte sie nicht im Haus.“ Bernd langte in die Tasche und holte ein paar Münzen hervor. Wir schauten alle und sahen, es waren vier 2 Mark Stücke. „Das hat sie mir für dich mitgegeben“, sagte er. Ich war enttäuscht und dachte: Mehr wie in die Hand gesch..... .
Jetzt war es schon nach acht Uhr, und die Zeit drängte, schließlich wollten sie mich ja nicht hier behalten. In einem großen Telefonbuch blätterte Bernd und suchte nach Hans Schiller. „Er steht nicht drin“, bemerkte er. „Dann ruf in der Wirtschaft an, die haben ein öffentliches Telefon“, riet ich ihm, „Hans wohnt im nächsten Haus.“ Bernd hatte Erfolg und jemand ging, meinen Bruder ans Telefon zu rufen. Jetzt gab Bernd mir den Hörer in die Hand, und ich wartete.
Mein Herz klopfte, was würde er jetzt sagen? „Schiller“, klang es an mein Ohr. Ich meldete mich und er jubelte „Schwesterherz, wo bist du?“ Kurz erklärte ich ihm die Sachlage und er versprach sofort zu kommen, um uns abzuholen.
Tante Minna und ihre Söhne waren sichtlich erleichtert. In ihrer Rumpelkammer, wo sie immer die Ladenhüter aufbewahrte, suchte sie etwas zum Anziehen für meine Kinder. „Hast du Bettwäsche?“ Fragte sie nebenher. Da ich ja nichts mehr hatte, sagte ich: „Nein, ich habe nichts mehr.“ Sie hatte noch Bettwäsche von Lore, die ihr nicht gefiel, für zwei Betten, die gab sie mir auch noch mit. „Komm uns mal wieder besuchen, bei Tageslicht finde ich noch mehr.“ Es klingelte an der Haustür, Hans war schon da.
„Mach ihm die Tür auf“, sagte Tante Minna. Da ging ich die Treppe hinunter und öffnete. Seine Freude war echt, er schnappte mich und wirbelte mich im Kreis herum. Da musste ich an Margot denken, und an unseren Indianer-Freudentanz, den wir immer machten, wenn Mutti wegfuhr. Ich musste dringend noch einmal kommen, und Margots Grab besuchen, heute war es schon zu spät.
Wir holten die Kinder, verabschiedeten und bedankten uns, und fuhren zuerst zum Bahnhof, um mein Gepäck abzuholen.
Er hatte einen alten VW-Bus, und ich konnte es mir nicht verkneifen zu fragen: „Was hast du deinem kleinen Goggo denn gefüttert, dass er so gewachsen ist?“ Hans lachte: „Wie habe ich deinen Humor vermisst.“ „Ja schön“, ließ ich ihn wissen, „Aber der ist mir fast vergangen.“ Hans meinte: „Jetzt bleib erst mal bei uns, und dann kannst du alles erzählen.“
Inzwischen waren wir in dem kleinen Dorf angekommen. Hier hatte sich nichts verändert. Als Hans auf seinen Parkplatz fuhr, bemerkten wir, dass die Kinder fest eingeschlafen waren. Heinz trug die schlafende Tina und ich brachte Heinz ins Haus.Dann ging mein Bruder noch einmal zurück um meinen Koffer aus dem Auto zu holen. "Der ist ja praktisch", bemerkte Hans und trug ihn in die Küche.
Anni, die Frau von meinem Bruder zeigte mir stolz ihre Kleine, die inzwischen schon zwei Jahre alt war. Ich hatte sie noch nie gesehen und sie war süß mit blonden Locken. Genau so hatte ich unsere Schwester Lena in Erinnerung. "Wie heißt sie denn?", fragte ich neugierig. Hans sagte: "Elisabeth, im Andenken an unsere verstorbene Schwester, wir nennen sie Lillibeth." Ach ja, Lillibeth war schon 22 Jahre lang tot. "Hätte Lena nichts besser gepasst, dem Aussehen nach?" Hans gab mir recht, meinte aber: Lena lebt ja noch, sie wohnt nicht weit von hier, deshalb Elisabeth."
Anni richtete mir eines ihrer Ehebetten, da sollte ich mit beiden Kindern schlafen. Wenn ihr der Platz zu eng würde, konnte sie immer noch in die Küche ausweichen und auf dem Sofa schlafen. Sie musste morgen früh wieder zur Arbeit. Deshalb gingen wir jetzt zum Schlafen. „Wo sind denn eure Buben?“ Fragte ich, weil ich die noch nicht gesehen hatte. Anni sagte: „Die schlafen schon lange, die wirst du morgen sehen.“
Ich hatte lange nicht mehr so schlecht geschlafen. Darum war ich wach, als Anni sich für die Arbeit fertig machte. Schnell half ich ihr den Herd anzuzünden, damit sie nicht ohne Kaffee zum Haus hinaus musste. Als wir beim Kaffee saßen, fragte ich: „wann muss Hans zur Arbeit?“ „Der geht nicht arbeiten, er ist selbstständig und hat einen kleinen Elektroladen. Meistens sammelt er Schrott den verkauft er dann“, berichtete sie, nahm ihren Mantel und rannte über die Straße, um auf den Bus zu warten.
Hans lag immer noch im Bett und schlief, aber Tina und Heinz saßen schon auf der Bettkante und schauten sich ängstlich um. Kein Wunder, hier waren sie ja auch noch fremd.
Die Kinder nahm ich mit in die Küche um sie dort anzuziehen. Da ich mich in der unordentlichen Küche meiner Schwägerin nicht auskannte, konnte ich ihnen kein Frühstück machen. Ich durchforstete meinen Koffer und hatte Kakaopulver, also fehlte Milch und für jeden ein Stück Brot. Margarine stand auf dem Tisch, sowie Honig. Soeben wollte ich zu dem kleinen Laden neben der Wirtschaft gehen, da kamen die beiden Buben zur Tür herein. Helmut den Großen fragte ich: „Habt ihr denn kein Brot mehr?“
Der sagte gleichgültig: „Nee, das war gestern schon alle, aber Mama bringt eines, wenn sie von der Arbeit kommt.“ Aus meinem Geldbeutel holte ich zwei Mark und schickte ihn in den Laden, eine Flasche Milch und für den Rest Brötchen zu kaufen. Der kleine Rudi wollte mit, so gingen sie gemeinsam los.
In der Zeit kochte ich eine Kanne Kaffee und schaute ins Schlafzimmer. Hans war immer noch im Bett. Ich fragte ihn freundlich, ob er denn nicht auch mal aufstehen wollte. Lillibeth lag auch noch neben ihm und schlief. Zornig rief Hans: „Ich stehe doch noch nicht auf, lass mich schlafen, ich habe Zeit.“ Sogleich fügte er hinzu: „warum kommst du nicht auch noch mal ins Bett?“ Da die Buben gerade zurück kamen, machte ich die Tür zu und stellte fest: Er war ein hoffnungsloser Fall.
Für die Kinder machte ich Kakao und bestrich die Brötchen. Ihnen gefiel es morgens ein ordentliches Frühstück zu bekommen.
Als ich alles wieder abgeräumt und gespült hatte, zog ich meinen Kindern Mäntel an, und ging mit ihnen aus dem Haus. Mein erster Weg führte mich zum Friedhof. Papas Grab sah nicht gut aus, aber ich konnte jetzt nichts machen, der Boden war gefroren. „Papa“, sagte ich, jetzt habe ich zwei Kinder dabei, Tina hat jetzt einen Bruder.“
Dann nahm ich Tina und Heinz an der Hand und ging ins Pfarrhaus. Der Pastor kannte alle Leute hier im Dorf und er kannte auch meinen Vater. Ihn wollte ich fragen ob er niemanden kannte, der mir ein oder zwei Zimmer vermieten würde. Er war sehr freundlich zu mir, und rief seine Frau in das Arbeitszimmer. Er fragte: „Wo wohnen Sie denn jetzt?“ „Im Moment bin ich bei meinem Bruder untergekommen“, antwortete ich dem Pastor, „Aber da kann ich nicht bleiben.“
Der netten Frau Pastor rutschten die Worte heraus: „Ach in der Villa Sorgenfrei?“ Ihr Gatte schickte ihr einen strafenden Blick dafür zu. Ich schämte mich für Hans. Der Pastor, sowie seine Frau, wollten sich ernsthaft bemühen, eine Unterkunft für mich zu finden. „Sie müssen aber schon etwas Geduld haben, denn ich werde überall selbst mit den Leuten sprechen, bei denen ich vermute dass sie Platz haben könnten. Ich sage dann Bescheid wenn ich etwas gefunden habe.“ Als wir uns verabschiedeten betonte die Frau vom Pastor: „Wir tun das für Ihren Vater, der war ein so guter Mensch.“
Als wir am Haus von Hans ankamen, sah ich die Unordnung ums Haus herum. Es sah furchtbar aus, da war Villa Sorgenfrei ein freundliches Schimpfwort. Als ich klingelte, öffnete Helmut die Tür und in der Küche war Hans dabei Lillibeth anzuziehen.
„Aha, du bist ja auch schon aufgestanden.“ Die spitze Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen. Hans schaute mich verärgert an, „morgens will ich meine Ruhe haben, da will ich ausschlafen.“ Ich konnte meine Zunge nicht im Zaum halten und sagte vorwurfsvoll: „Aber Anni darf um sechs Uhr aufstehen und zur Arbeit fahren!“ „Genau“, kam es von ihm, „Einer muss ja Geld verdienen.“ „Warum gehst du nicht zur Arbeit“, wollte ich wissen, „Männer haben doch viel mehr Stundenlohn.“ Hans antwortete darauf: „Tu ich doch auch, ich sammle Schrott und verkaufe den dann.“
Nun wollte ich nicht gleich meckern, drum zog ich es ins Lächerliche und witzelte: „Ja mit dem Schrott garnierst du den Gemüsegarten deiner Frau, kein schöner Anblick für die Nachbarn.“ „Anni hat immer noch genug Garten, und die Nachbarn gehen mich nichts an.“ Hans war schlecht gelaunt. Es hatte keinen Zweck mit ihm zu streiten.
Als er fertig war, seine Kleine anzuziehen, trank er den Kaffee, der noch auf dem Tisch stand. Seine Buben hatten mittlerweile die Brötchen alle aufgegessen, so hatte er nichts. Vorsichtig erkundigte ich mich, ob ich etwas kochen sollte. Hans riss den Schrank auf: „Da ist nichts, kannst du davon was kochen?“ Soviel Geduld hatte ich nicht und ich wurde böse: „Dann geh und verkaufe deinen Schrott, deine Kinder können nichts dafür, dass der Schrank leer ist.“
Helmut brachte Kartoffeln aus dem Vorratsraum. „Prima“, lobte ich ihn, „hast du darin auch noch eine Zwiebel versteckt?“ Nachdem er mit einer großen Zwiebel zurück kam, fing ich an Bratkartoffeln zu machen. Dann schickte ich ihn in den kleinen Laden, um Eier zu kaufen. Es gab Dampfkartoffeln mit Spiegeleiern und ich stellte eine Portion für Anni auf die Seite, sie würde auch Hunger haben.
Jetzt wollte ich wissen, was mit seinem Elektro-Laden war. Er ging mit mir in den Raum, der normalerweise seine Stube war. An der Decke hingen mindestens zwanzig Lampen, die er verkaufen wollte, die aber niemand wollte. Radios, Fernseher und viele andere Geräte standen dort, das Zimmer war ganz voll. „Die Leute kaufen nichts bei mir“, klagte er, „sie kaufen in der Stadt. Bei mir kaufen sie nur Glühbirnen.“ Wenn er keinen solchen Saustall ums Haus herum gehabt hätte, wären die Einwohner schon auch zu ihm gekommen, dachte ich.
Resigniert ging er in den Garten und kam mit einem Haufen alter Elektrokabel zurück. Dann gab er mir ein Taschenmesser und zeigte mir, wir man die Ummantlung abmachte und das Kupferkabel heraus holte. Helmut und ich sollten daran arbeiten, damit er am Samstag das Kupfer verkaufen konnte. Er zog eine Jacke über und fuhr mit dem Auto fort, um Anni von der Arbeit abzuholen.
Helmut und ich quälten uns mit den Kabeln ab und Tina, Heinz, Rudi und die kleine Elisabeth spielten einträchtig auf dem Fußboden. Heinz schwätzte kein Wort, er wollte einfach kein Deutsch sprechen.
Anni aß die Bratkartoffeln und machte sich dazu zwei Spiegeleier. Dann half sie auch Kabel schälen. Nebenbei fragte sie: „Willst du nicht nach Neujahr mit in die Fabrik, der Meister hat gesagt er braucht noch dringend Aushilfen.“ Ich hatte Bedenken wegen der Kinder: „Wir können doch die Kinder nicht allein hier lassen, Hans will morgens nicht aufstehen.“ „Der wird schon fertig mit den Kindern“, meinte Anni. Ich wollte es mir überlegen, bis dahin waren noch drei Tage Zeit.
Am Silvester-Morgen fuhr Hans mit dem Kupfer nach Herford um es zu verkaufen. Ich war gespannt ob sich das lohnte. Wir machten in der Zeit weiter und schälten den Rest Kupferkabel. Als er nach ungefähr zwei Stunden heimkam, hatte er das Edelmetall verkauft und dafür fünf Pfund Hackfleisch eingekauft. Anni begann davon Frikadellen zu braten, und ich muss ehrlich gestehen, das waren die Besten die ich je gegessen hatte. Somit hatten wir über Neujahr genug zum Essen. Ich musste dazu Bratkartoffeln machen, denn die waren ihrer Meinung nach, die besten der Welt.
Es fing wieder an zu schneien. Helmut sollte zum Laden und etwas Dringendes einkaufen. Er bekam den Geldbeutel von seiner Mutter mit fünf Mark. Wie Kinder so sind, ging er nicht geradewegs über die Straße, zu dem Laden, sondern zuerst auf die andere Straßenseite und dann wieder zurück zu dem Laden, Wahrscheinlich war der Schnee gegenüber schöner. Bis er in dem Laden ankam hatte er den Geldbeutel verloren.
Er kam weinend zurück, und hatte nichts ohne Geld bekommen. Hans wollte ihn gleich schlagen, aber ich bat ihn es zu lassen und erinnerte ihn an die Eier, die er als Kind alle unterwegs zum Fußballspielen benutzt hatte. Also bekam er von mir jetzt fünf Mark und Helmut ging noch einmal los.
Silvester arbeiteten wir noch an dem Kabel und Neujahr nutzten wir, um die Küche wieder sauber zu machen. Dann folgte noch ein Sonntag und ich musste mich langsam entscheiden ob ich mit zur Arbeit ging, oder nicht. Hans versprach die Kinder gut zu versorgen, was ich ihm zwar nicht glaubte, denn meine Kinder waren Frühaufsteher.
Dazu kam auch noch, dass Helmut, weil es immerzu schneite, den Hund in die Küche brachte. Tina und Heinz sprangen sofort aufs Sofa und machten ein Mordsgeschrei. Hans vergaß sich und beide bekamen eine schallende „Ohrfeige“ Der Hund blieb in der Küche, und die Kinder wollten nicht mehr vom Sofa.
Die kleine Lillibeth war jedoch überhaupt nicht ängstlich, sie spielte jetzt nur noch mit dem Hund. Er war ein schönes Tier, ein Schäferhund. Da der Hund das gleiche Essen bekam wie wir, fanden Hans und Anni es nicht schlimm, dass der Hund sein Essen mit der Kleinen teilte. Das fand ich gar nicht gut, aber ich hielt mich zurück. Nur das mit den Backpfeifen wollte ich nicht wieder erleben.
Am nächsten Tag ging ich dann mit Anni zur Arbeit. Schweren Herzens überließ ich die Kinder meinem Bruder den Tag über. Wir fuhren mit dem Zug, denn es war sehr glatt auf den Straßen. In der Fabrik wurde ich mit großer Freude aufgenommen. Eine Aushilfe für die Tage an denen viel zu tun war, konnten sie gerade gut gebrauchen.
Der Meister fragte mich ob ich Zigarren sortieren konnte. Als ich bejahte, fragte der mich, ob ich denn wusste was ein „Spiegel“ sei. Zigarren sortieren hatte ich von Vati gelernt und das konnte ich fix und gut. Ich nahm also eine Reihe Zigarren und stellte einen Spiegel her, indem ich die dunkelsten nach außen legte und die hellsten in die Mitte. Dann machte ich das ganze umgekehrt.
Ich war so geschickt, dass ich mich gleich an den Sortiertisch setzen durfte. Die Bezahlung war in Ordnung ich sollte mein Geld jede Woche bekommen. Wenn ich nicht so kleine Kinder gehabt hätte, dann wäre jetzt alles perfekt gewesen, mit dem Verdienst hätte ich eine schöne Wohnung mieten können. Aber Kinder konnten erst ab vier in den Kindergarten.
Ich ging auch die nächste Woche noch mit zur Arbeit, und unterstützte mit der Hälfte meines Verdienstes, die augenblickliche Großfamilie. Der Schnee schmolz, und als Helmut auf den Schulbus wartete, fand er den verlorenen Geldbeutel wieder. Die fünf Mark waren noch darin. Tina und Heinz fingen sich noch so manche Ohrfeige weil sie morgens nicht so lange schlafen wollten wie es mein Bruder von ihnen erwartete.
Da der Pastor noch keine Nachricht geschickt hatte, war ich schon darauf vorbereitet länger bei meinem Bruder bleiben zu müssen. Ich ging noch eine Woche zur Arbeit. Die Arbeit wurde weniger und der Meister suchte schon nach einem anderen Arbeitsplatz, in seiner Zigarrenfabrik. Außer Zigarren wickeln, konnte ich fast alles. So sagte er als es Freitag war: „Kommen Sie ruhig wieder am Montag, ich werde Sie schon irgendwo unterbringen.“
Tina hatte sich wieder ein paar Ohrfeigen gefangen und fragte, ob ich nicht jetzt daheim bleiben könnte. Ich musste ihr erklären, dass wir doch was zum Essen brauchen. Plötzlich sagte Hans: „Übrigens war gestern die Frau vom Pastor hier, du sollst beim Pfarrer vorbeischauen.“ Ich wollte sofort zu ihm gehen und fing an die Kinder sauber anzuziehen. „Warte“, sagte Anni, „Ich komme mit.“
Sie putzte der Elisabeth das Gesicht und die Hände, dann zog sie dem Kind eine Jacke über und setzte sie in den Kinderwagen. In den Korb unter dem Wagen, packte sie ein paar Päckchen Kaffee. Dann gingen wir los. "Was willst du denn mit dem Kaffee?" Fragte ich, als wir auf der anderen Straßenseite waren. Anni meinte, als wäre es das normalste von der Welt: "Ich klingel an den Häusern und frage ob sie Kaffee kaufen möchten." Mit Tina und Heinz an den Händen, ging ich geradewegs aufs Pfarrhaus zu, während Anni zum nächsten Haus ging und läutete.
Die Frau des Pastors hatte schon auf mich gewartet, und berichtete erfreut: "Wir haben etwas für Sie gefunden, Es ist fast perfekt, Die Wohnung hat nur keinen Wasseranschluss." Das war für mich kein Hindernis denn von Griechenland war ich es gewohnt, ohne Wasser und Strom zu leben.
Der Weg vom Pfarrhaus war nicht weit und wir waren in wenigen Minuten angekommen. Abseits von der Straße war ein großer Bauernhof. Zum Hof gehörten noch ein 2-stöckiges Wohnhaus und eine alter, kleiner Bauernhof. Die Bäuerin empfing uns freundlich, zog eine Jacke über und ging mit uns über den Hof.
Die nette Bäuerin ging mit uns direkt auf das kleine Bauernhaus zu. Mit einem Schlüssel öffnete sie die obere Hälfte der Haustür. Der untere Teil der Haustür war von innen mit einem großen Riegel gesichert. Wir kamen in einen geräumigen Flur.
Sie öffnete die Tür auf der rechten Seite und sagte: „Das war früher die Stube.“ Dann ging sie voraus in die Küche, die war auf der gegenüberliegenden Seite. Im Anschluss an die Küche kamen mindestens vier Schlafzimmer. So wie ich es von uns zu Hause in Erinnerung hatte. Überall war Licht, zwar keine Lampen, aber Glühbirnen, die in eine Fassung gedreht waren. Durch die Zimmer konnte man zum Klo gehen. Das war im ehemaligen Kuhstall.
Die Bäuerin fragte: "Gefällt es Ihnen? Sie können hier wohnen mit den zwei Kindern. Ich bin auch in dem Haus aufgewachsen, bevor meine Eltern drüben den neuen Hof gebaut haben." Sie bedauerte dass, sie nie eine Wasserleitung zu dem Haus hat legen lassen. "Das ist gar kein Problem, in Griechenland hatten wir kein Wasser und keinen Strom im Haus.
Den Kindern gefiel es hier, so viel Platz zum Spielen hatten sie noch nie. "Ja", sagte ich verhalten," aber wie hoch ist denn die Miete? Kann ich das denn bezahlen, ich kann ja nicht zur Arbeit gehen." Die Frau beruhigte mich:" Wir haben das Jahr über genug Arbeit, die sie machen können, da nehmen sie dann ihre Kinder mit aufs Feld. Jetzt ist Winter und da richten sie sich mal schön ein."
In die Zimmer hatte sie schon zwei Betten gestellt, so konnte ich gleich umziehen. Sie gab mir den Schlüssel und ich durfte meine Sachen holen. Frau Pastor hatte sich schon längst verabschiedet und wir gingen noch einmal zu Hans. Anni war auch wieder daheim. Sie hatte tatsächlich ein Päckchen Kaffee verkauft.
Es passte weder Hans noch Anni, dass ich jetzt etwas Eigenes gefunden hatte. Sie hatten sich so daran gewöhnt, von mir wöchentlich fünfzig Mark zu bekommen. Ich packte meinen Überseekoffer und hatte einen Haufen schmutzige Wäsche darin. Hans holte den Handwagen vom Hof; vor die Haustür und packte den Koffer hinein: Dazu hatte er mir noch drei Stühle und einen Küchentisch.
Wir banden alles auf den Bollerwagen und Hans versprach, morgen noch einmal nachzusehen, was ich dringend brauchte. Er hatte ja alles von seinen Schrottsammlungen, sogar einen Elektro-Herd, den wollte er morgen bringen. Anni gab mir noch ein Stück Brot mit, und Marmelade. Sie hätte noch einiges eingekocht. Davon, so versprach sie, wollte sie mir auch noch bringen.
Jetzt zogen wir los und weil immer noch Schnee auf der Straße lag, ging Anni mit, um mir zu helfen. Unterwegs lief uns dauernd eine schwarz-weiße Katze nach. Die Kinder hatten daran die größte Freude. Anni nahm die Katze und setzte sie in den Wagen. "Nimm sie mit, dann haben die Kinder einen Spielgefährten." Anni hatte Recht, die Kinder freuten sich. An unserem kleinen Häuschen half Anni noch beim Abladen, dann musste sie wieder heim. "Wenn Hans morgen sein Auto ausgeladen hat, dann bringt er dir noch ein paar Sachen." Versprach sie und verschwand schnell, denn es war schon dunkel geworden.
Ich bezog die Betten und ging mit den Kindern früh ins Bett. Tina und Heinz freuten sich ein eigenes Bett zu haben. Sie schliefen in einem Bett und ich in dem anderen.
Als ich am frühen Morgen wach wurde, war mein erster Gedanke: Wir haben jetzt eine Wohnung, wir haben sogar ein Haus für uns allein! Gern hätte ich den Ofen angezündet, aber ich hatte nichts, was ich verfeuern konnte. So zogen wir uns warm an, aßen ein Stück Brot und gingen in den angrenzenden Wald, um Brennholz zu sammeln.
Ich wollte unbedingt einen Kaffee. Mein Tauchsieder war in Griechenland, und ich hatte ja noch keinen Herd. Wir fanden Äste, die der Sturm von den Bäumen geworfen hatte. Die Kinder trugen ein paar kleine Stücke, und ich schleifte zwei große Äste hinter mir her. Außen war das Holz etwas feucht vom Schnee, aber innen war es knochentrocken.
Wir brachten das Holz in den Flur und ich bereitete das Feuer vor. Was ich an Papier fand steckte ich in den Ofen. Dann machte ich von den kleinen Ästen kurze Stücke und zündete das Papier an. Das Papier brannte, die Holzstückchen glimmten, aber brennen wollten sie nicht.
Da kam die Bäuerin, sie hieß Frau Hindrich. Sie sah das Elend und verriet mir, dass auf dem Boden genügend Holz läge, das ich ruhig holen durfte. Im Keller unter der Küche wären auch noch Kohlen, ich sollte da mal nachsehen.
Sie kam aus einem anderen Grund. "Mein Mann mag keine fremden Leute und vor allen Dingen keine kleinen Kinder." Ich hörte ihr zu, und es war als ob mich ein Blitz traf. Dann fuhr sie fort: "Deshalb möchte ich sie bitten ihre Kinder immer direkt am Haus zu halten und darauf zu achten, dass sie auf keinen Fall in die Nähe meines Mannes kommen.
Sie können ihn ja von weitem grüßen, aber nicht damit rechnen, dass er den Gruß erwidert. Aber das ändert nichts, der Hof gehört mir." Sie zeigte mir, wo der Brunnen war, und versicherte das Wasser sei besser als das aus der Leitung.
Dann war da noch ihr Sohn, der aber ganz auf unserer Seite stand, ihn könnten wir immer fragen, wenn wir Rat brauchten. Ein Laden war auch ganz in der Nähe, sie zeigte mir den Weg. Dann ging sie wieder und ich machte meinen Kindern klar, wie weit sie sich beim Spielen ausbreiten durften. Der Platz, der ihnen blieb war immer noch riesig.
Mit einem Drahtkorb stieg ich von der Dehle aus die schmale Treppe hinauf. Dort war ein großer Haufen fertiges Brennholz. Ich füllte meinen Korb und trug ihn hinab. Das Feuer machen ging von vorne los. Mir war im Magen ganz flau, ich brauchte jetzt einen Kaffee aber ganz dringend. Jetzt musste das Feuer angehen, denn ich hatte mein letztes Papier, mit dem ich mein weniges Geschirr verpackt hatte, aufgebraucht. Während es brannte, holte ich aus dem Brunnen zwei Eimer Wasser. Dann setzte ich einen kleinen Topf auf den Ofen und wartete auf Kaffeewasser.
Als der Ofen anfing langsam Wärme auszuströmen, holte ich eine Wanne in die Küche um meine viele Wäsche einzuweichen. Waschpulver hatte ich noch für einmal waschen, dann musste ich auch das kaufen. Ich ging also noch einmal zum Brunnen, und die Kinder kamen brav hinterher um zu sehen, wie der Brunnen aussah.
Bei diesem Brunnen wurde kein Eimer hinunter gelassen, sondern hier schöpfte man das Wasser mit dem Eimer heraus. Das ganze hatte eine Abdeckung aus stabilem Material, die man hochklappen konnte. Nach der Nutzung wurde die Abdeckung verschlossen, damit niemand hinein fallen konnte.
Ich schleppte die Eimer heim und war froh, dass ich jetzt Kaffee aufgießen konnte. Den Kindern machte ich eine Brühe, das war bei der Kälte gerade richtig. Danach spielten die Kinder mit der Katze, die immer noch bei uns war. Oftmals schlüpfte sie zur Tür hinaus, um auf der Dehle nach Mäusen zu suchen, danach kam sie dann wieder zurück.
Wir setzten jetzt einen großen Topf mit Wasser auf, für die Wäsche. Tina und ich schauten alle Wäschestücke an. Dann legten wir die schmutzige Wäsche in die Wanne, und die saubere zurück in den Koffer. Außer einem Küchenschrank, hatten wir noch nichts, worin man die Kleidung hätte legen können.
Dann kam Hans. Er hatte das ganze Auto vollgeladen, zuerst schleppten wir den Herd in die Küche und Hans schloss ihn auch gleich an. Er funktionierte sogar. Als nächstes hatte er ein Regal für die Küche. "Für Töpfe", meinte er und lehnte es an die Wand. Auf den Küchenschrank stellte er mir eine Brotschneidemaschine und in den Schrank etwas Geschirr. Anni hatte einiges für mich hergerichtet. So füllte sich mein Schrank ein wenig. Ich ließ ihn einräumen und dachte: Wenn er weg ist, werde ich das alles noch spülen müssen.
Er hatte noch eine kleine Eckbank und eine Kommode mit zwei Türen und zwei kleinen Schubladen. Die Kommode stellte ich in unser Schlafzimmer für die Wäsche. Mehr hatte er nicht. Gern hätte er mir eine Lampe gegeben, aber die Lampen die er hatte, waren alle nicht bezahlt. Aber eine Nähmaschine wollte er mir noch bringen, an die sei er heute nicht heran gekommen, die hatte er im Schuppen. Ich fand, dass ich jetzt schon gut eingerichtet war.
Im Flur hing ein Waschbrett, damit hatte ich noch nie gearbeitet, also probierte ich es aus, aber es lag mir nicht. Ich hängte es wieder an seinen Platz und machte es wie immer. Die weiße Wäsche wurde erhitzt und gut umgerührt, Nachdem ich dann die weiße Wäsche aus der Lauge ausgewaschen hatte, kam als nächstes die Buntwäsche, als letztes dann die Wollwäsche. Danach wurde die Wäsche dann gespült und aufgehängt. Auf dem Boden hatte ich einen Trockenboden entdeckt, an dem noch Reste einer Wäscheleine hingen. Ich hängte meine Wäsche dort auf, und hoffte, dass die Leine halten würde.
Danach gingen wir in den Keller um Kohlen zu holen. Es war ganz seltsam, die Kohlen sahen aus wie neu, kein bisschen staubig. Die hatte doch jemand frisch in den Keller gebracht. Ich füllte meine Kohlenschütte und wollte gleich wieder hinaufgehen, da sah ich eine Kiste, in der waren Kartoffeln, die auch noch kein Jahr alt waren. Das konnte nur Frau Hindrich mit ihrem Sohn gewesen sein.
Von den Kartoffeln nahm ich ein paar mit nach oben, denn wir hatten furchtbaren Hunger und die Läden waren zu, dachte ich wenigsten. Hier auf dem Dorf, war ein Laden bei einer Wirtschaft ganz in der Nähe, der hatte eigentlich immer auf. Dass dort ein Laden war, wusste ich, aber dass der offen hatte, das wusste ich nicht. Ich schaute die Kartoffeln an und dachte: Nur trockene Kartoffeln ist auch kein Essen, denn ich hatte kein Gramm Fett im Hause kein Schmalz, kein Öl. So machten wir wieder einen Sparziergang.
Heute früh beim Holzsammeln hatte ich gesehen, dass der Bauer am Weg eine große Runkelmiete hatte. Was für die Kühe gut war, konnte für uns nicht schlecht sein. Wir klauten uns eine Runkel und gingen auf einem kleinen Umweg wieder heim. Ich gab mir viel Mühe die Runkel zu schälen und in Streifen zu schneiden. Beim Schneiden half mir die Brotschneidemaschine. Dann warf ich die Streifen in kochendes Wasser.
Es dauerte eine Ewigkeit bis das Gemüse gar war. Ich hätte sehr gern etwas Salz hinzugefügt, aber ich hatte keines. Meine Brühwürfel brauchte ich für die Kinder, denn Kakao konnte ich ihnen nicht kochen, ich hatte keine Milch.
Unsere Mahlzeit war eine Katastrophe: Pellkartoffeln ohne Salz, Runkelgemüse nur mit etwas Mehl gebunden, mir drehte es den Magen um, während die Kinder aßen, ohne zu murren. Den Rest Gemüse hob ich für den nächsten Tag auf, denn da war Sonntag. Die Katze kam in die Küche und hatte scheinbar auch Hunger, sie lehnte die Kost dankend ab und ging zurück in die Dehle, wo viele Mäusefamilien wohnten.
Die Kinder waren zufrieden und spielten in der Küche, der Ofen war schön warm und ich holte meine Decke zum Austicken aus dem Koffer. Ja, jetzt hatte ich Zeit, da konnte ich sticken.
Hans kam am Nachmittag noch einmal vorbei und brachte die Nähmaschine. Aber das Eingemachte von Anni hatte er nicht dabei. Normal lag es mir nicht zu klagen, aber ich ließ ihn wissen, dass ich nichts zum Essen im Haus hatte. "Dann geh doch in den Laden bei der Wirtschaft da oben an der Straße." Meinte er, denn schließlich hätte ich ja in den letzten Wochen Geld verdient.
„Ja Montag werde ich dahin gehen", sagte ich. "Der hat morgen auch auf", bemerkte Hans. Nun wollte ich, dass Hans sich die Wäscheleine ansah, ich bat ihn mir ein Seil zu besorgen. Er hatte ein Elektrokabel im Auto und ging hinauf, um es als Wäscheleine zu spannen.
Dann half er mir, die Wäsche umzuhängen. "Hast du denn keine Wäscheklammern?" Fragte er vorwurfsvoll. "Doch", sagte ich, "die habe ich in Griechenland gelassen." Na Klasse", war sein Kommentar. Dann kramte er noch im Auto herum, fand einen Hammer und eine Zange dazu ein paar Haken und Nägel. Alle zusammen legte er in eine Schublade im Küchenschrank, damit ich Kleinigkeiten selbst machen konnte. Dann fuhr er wieder los, und es dauerte lange, bis er sich wieder sehen ließ.
Als es dunkel war klopfte es am Fenster. Ich machte den oberen Teil der Haustür auf und schaute nach wer da war. Es stand ein junger, sehr hübscher Mann vor der Tür. Was mir sofort auffiel, war eine Milchkanne, die er in der Hand hielt. Er stellte sich vor, und gab mir seine Hand: "Ich bin der Jungbauer und wollte sehen ,wie es Ihnen hier gefällt."
Er reichte mir die Milchkanne und sagte: "Abends um halb sechs gibt es immer Milch, gleich die Tür neben dem Kuhstall. Da können Sie die Kinder schicken." "Was bekommen Sie jetzt für die Milch?" Ich ging meinen Geldbeutel holen. "Das lassen Sie mal, die Kinder kriegen die Milch geschenkt, und die Milchkanne können Sie behalten."
Dazu erklärte er mir noch, dass er ein Sportauto hätte, mit dem er manchmal recht schnittig auf den Hof gefahren käme. Aber er hatte sich angewöhnt zu hupen, wenn er von der Straße Richtung Hof abbog. "Wenn Sie also Muuuhhh hören, dann bin ich es und dann rette sich wer kann." Ich hatte verstanden, seine Hupe machte Muhhh, und dann sollte man nicht auf dem Weg sein.
Nun erklärte er mir sein Abrechnungssystem: Aus der Tasche holte er ein Vokabelheftchen auf dem stand mein Name. Auf die linke Seite wollte er alles eintragen was ich zum zahlen hatte, auf die andere Seite wollte er das eintragen, was er zu zahlen hatte. Sobald der Schnee weg sei und es nicht mehr so kalt wäre, hätte er für mich eine schöne Arbeit, die ich machen konnte wann ich wollte, und da könnte ich dann auch die Kinder mitnehmen. Ich sollte mir gar keine Sorgen machen wegen der Miete: "Das regelt sich alles von selbst."
Als er gegangen war, fielen meine Blicke auf das Regal, es stand immer noch an der Wand. Ich war so motiviert, dass ich es nicht lassen konnte, es jetzt an die Wand zu bringen. Also holte ich den Hammer aus der Schublade und zwei stabile Nägel.
Ich schlug den ersten Nagel in die Wand und der saß gut. Mit einem Zentimetermaß fing ich an den genauen Abstand für den zweiten Nagel auszumessen. Dann schlug ich den zweiten Nagel in die Wand. Der wollte nicht und ich mühte mich redlich bis er ein Stück weit in der Wand war. Dann hängte ich das schwere Regal auf und als ich feststellte, dass es gut hing, kamen die Töpfe in das Regal.
Tina und Heinz gefiel das Regal und wir entschlossen uns, jetzt schlafen zu gehen. Wir hatten allerhand gemacht und waren zufrieden. Deshalb schliefen wir auch gut.
Mitten in der Nacht wurden wir von lautem Gepolter wach. Tina weinte und ich hatte Angst. Heinz stieg aus dem Bett, ging in die Küche, machte das Licht an, kam zurück und berichtete ganz aufgeregt und lachte. Ich hatte nichts verstanden, da übersetzte Tina. "Das Regal ist von der Wand gefallen." Wir lobten Heinz, dass er so mutig war. Voller Stolz sagte er auf Griechisch: Schließlich sei er der einzige Mann im Haus. Tina und ich mussten lachen. Heinz war der Erste der wieder im Bett lag, und kurze Zeit später schliefen wir wieder.
Morgens machte ich wieder Feuer, dann kochte ich Kaffee und machte Milch heiß für Kakao. Weil es so kalt war goss ich etwas heißes Wasser in das Waschwasser. Danach weckte ich die Kinder und wir standen um die Waschschüssel herum und wuschen uns gemeinsam. Zum Schluss putzten wir gleichzeitig unsere Zähne und spuckten in das Waschwasser. Das gefiel den Kindern am besten.
Das gebrauchte Wasser kam in einen Eimer und wurde neben das Klo gestellt. Wir hatten zwar ein schönes Klo, aber es war ja kein Wasseranschluss im Haus. Also wurde bei uns kein Wasser weg geschüttet, wir nahmen es zum Nachtspülen. Als Kaffee und der Kakao fertig waren, setzten wir uns an den Frühstückstisch (ohne Frühstück). Nachher wollte ich zum Laden gehen, um das Allerwichtigste einzukaufen.
Da kam eine Frau vom Haus gegenüber mit einem Korb in unser Haus. Sie klopfte an der Küchentür. Ich bat sie in die Küche und sie stellte fest, dass wir es schön warm hätten. Sie wollte uns zur Begrüßung einen Frühstückskorb bringen und hoffte, dass wir ihn auch gebrauchen konnten.
Die Augen meiner Kinder hingen an den leckeren Sachen, aber sie wussten, dass sie nicht hinein langen durften. Mir war schlecht vor lauter Hunger und ich wünschte, dass sie schnell wieder ging, damit wir essen konnten. Glücklich sagte ich: "Dankeschön, das können wir gut gebrauchen, denn ich bin noch nicht zum Einkaufen gekommen." Die alte Dame zeigte Richtung Brunnen und sagte, da sei der Eingang zu ihrer Wohnung. Wenn wir den Korb leer hätten, dann sollten wir ihn zurück bringen. Als sie ging lud sie uns noch für den Nachmittag zum Kaffee ein. Ihr Mann würde die Kinder auch gerne kennenlernen. Mir war es fast peinlich, aber ich sagte für drei Uhr zu.
Kaum war sie aus der Tür heraus, packte ich den Korb aus. Ein halbes frische Brot kam zuerst zum Vorschein, dann freuten wir uns über Butter, richtige Butter keine Margarine. Ein Glas Marmelade, ein paar Ecken Käse und ein Stück Wurst waren darin. An alles kann ich mich nicht mehr erinnern, aber für die Kinder waren noch Kekse oder Schokoriegel im Korb. Nun konnten wir richtig gut frühstücken.
Danach machte ich mir einen Zettel, mit Sachen die ich dringend brauchte. Wir zogen uns an, um zum Laden zu gehen. Die Kinder richtete ich sorgfältig. Es war mir klar, dass wir, da wir neu in dem Dorf waren, beobachtet wurden.
Ich hatte immer noch keinen vernünftigen Mantel. Ich hatte also den hellen Plüschmantel an, der zwar elegant, aber nicht warm war. Dazu hatte ich farblich passende Stiefel, aber leider keine Strümpfe, denn meine Strümpfe waren alle kaputt. Nun hoffte ich, dass es niemand merkte. Hosen trug man damals noch nicht.
Wir hatten ein Netz dabei und stiefelten los. Die meisten Häuser lagen da, wo wir nicht vorbei mussten. So kamen wir am Laden an, der im gleichen Haus war wie die Wirtschaft. Der Wirt kam um mich zu bedienen. Ich verlangte Kaffee, Zucker, Salz, Margarine, Schmalz, zwei Zwiebeln, getrocknete Bohnen und Linsen. für den Eintopf den ich morgen machen wollte kaufte ich noch zwei Mettwürstchen. Dann sah ich eine rohe Zwiebelmettwurst und stellte fest, dass ich daraus für jeden eine Frikadelle machen konnte, zu unserem Runkelgemüse. Brot hatte er leider keines.
Als ich gezahlt hatte, dachte ich: Das kann ich mir nicht oft leisten, der Laden kam mir besonders teuer vor. Wir wollten gerade gehen, da kam die Frau in den Laden, sie hatte ganz genau aus dem Fenster geschaut, als wir kamen. "Sie haben ja gar keine Strümpfe an", bedauerte sie mich und gab mir einige Paare gebrauchte Strümpfe in etwas dicker Qualität. Strümpfe, wie sie die alten Frauen zu tragen pflegen. Mir war es peinlich, aber sie steckte sie in mein Netz. Als wir wieder gingen dachte ich: Da gehe ich so schnell nicht mehr hin.
Daheim ging ich gleich daran, das Mittagessen mit drei Frikadellen zu bereichern. Mit einem Stückchen aufgeweichtem Brot wurde das Mett vermehrt, aber was ich nicht hatte war ein Ei. Es musste ohne Ei gehen. Leider fielen die Fleischbällchen schon in der Pfanne auseinander. Das störte mich, aber die Kinder nicht.
Am Montag klopfte der Briefträger bei uns. Er kannte alle Leute, und wusste wahrscheinlich auch über alle Briefe Bescheid. Die Postkarten las er ganz bestimmt. Auf jeden Fall teilte er mir mit, dass alle im Dorf heute Kindergeld bekommen hätten, außer mir. Dabei hätte ich doch zwei Kinder und Anspruch darauf. Damals wurde das "magere Kindergeld" noch per Post zugestellt. Ich sollte schleunigst einen Kindergeldantrag stellen, riet er mir. Er sagte mir auch genau wo ich hin musste.
Er hatte Recht, da ich mich auch noch nicht angemeldet hatte, fuhr ich gleich am kommenden Tag mit dem Bus und beiden Kindern nach Vlotho. Zum Glück war die Wäsche schon trocken und wir konnten uns ordentlich anziehen. Bei der Gelegenheit nahm ich auch mein Sparbuch mit auf dem ich noch ungefähr 100.-- Mark hatte. Das Geld würde mir ja vielleicht reichen, bis ich aufs Feld zum Arbeiten konnte. Die Dame auf dem Rathaus füllte mir den Antrag für das Kindergeld aus.
Dann nahm sie es aber ganz genau. Sie wollte wissen, was ich denn sonst für Einnahmen hatte. Sie war entsetzt, mit dem Kindergeld konnte man doch nicht einen Monat auskommen. Mein Mann sollte auch einen Betrag bezahlen, bestimmte sie, und setzte gleich einen Brief an ihn auf.
Zufällig wusste ich seine Adresse und die seines Arbeitgebers, denn ich hatte gerade die Krankenscheine für Familienangehörige bekommen. Sie wollte alles für mich regeln und mir schreiben, wenn sie eine Nachricht für mich hätte. Sie verlangte von Stefan, dass er monatlich 150.-- Mark bezahlen sollte. Ich wusste ganz genau, dass er damit nicht einverstanden war. Als ich sagte, dass ich vielleicht bei Frau Sorge am Jugendamt noch ein Sparbuch hatte, wollte sie dem auch nachgehen.
Wir gingen anschließend auf die Sparkasse. Der freundliche Herr dort, löste das Sparbuch auf und zahlte uns den gesamten Betrag aus. Das würde uns zuerst helfen, dachte ich und fuhr mit meinen Kindern wieder nach Hause.
Wir hatten immer noch den Korb von der Nachbarin und als des Morgens kein Brot mehr da war, schickte ich die Kinder mit dem Korb zu ihr. Vorher sagte ich Tina, wenn sie fragt, ob ihr schon gefrühstückt habt, dann sagt: „nein, wir haben kein Brot mehr.“ Da die Frau alle paar Tage mit ihrem Mann in die Stadt fuhr, sollte Tina sie bitten, für uns ein Brot einzukaufen, denn hier im Ort gab es keinen Bäcker. Tina kam zurück mit dem Korb, und der war frisch gefüllt. Dieses Mal waren auch ein paar Eier darin.
Ein paar Tage später hatten wir wieder Wäsche, die Kinder hatten ihr Bett nass gemacht, aber bei kleinen Kindern kann das ja vorkommen. Ich hatte die Wanne mit Wäsche eingeweicht und in der Küche stehen.
Da kam der Freund von Hans, den ich von früher schon kannte, und wollte mich mit nach Elsestadt nehmen, damit ich meine Verwandten besuchen konnte. Wir würden höchstens zwei Stunden fort sein, denn er hatte dort etwas zu erledigen.
Ja, dachte ich, das passt gut, dann konnte ich Mutti um ein paar Handtücher bitten, und vielleicht gab sie mir von ihrem Eingemachten. In der Zeit wollte ich die Kleinen bei meinem Bruder lassen. Die Kinder wollten auf gar keinem Fall zu Hans. Nein der hatte sie geschlagen. Sie wollten zu Hause bleiben.
Also legte ich Holz und Kohlen aufs Feuer, damit die Stube warm blieb und sagte Frau Hinrich Bescheid, dass ich ungefähr zwei Stunden weg müsste. Tina versprach brav mit Heinz zu spielen. Sie wollten auch schön im Haus bleiben. Also ging ich mit gemischten Gefühlen und schloss die Haustür nicht ab, weil ich die Kinder nicht einsperren wollte.
Mutti war gar nicht erfreut als sie mich sah. Ich bat sie zuerst um ein paar Handtücher, und bekam ein paar blau-weiß karierte Grubenhandtücher, die sie selbst nicht mochte.
Außerdem zwei rot-weiß karierte Bettbezüge, dazu gab sie mir sogar noch zwei Leintücher. Das stammte alles aus ihrer Aussteuer und war selbst gesponnen und gewebt.
Alle Teile hatten in der Mitte eine Naht und waren unwahrscheinlich schwer. Aber sie meinte für mich sei es gut genug. Ich getraute mich nicht mehr nach Eingemachtem zu fragen und rannte mit meiner Ausbeute den Feldweg lang, zu Tante Minna, denn dort wollte der junge Mann mich wieder abholen.
Bei Tante Minna gab es Reibekuchen und ich sollte auch was essen. „Nein“, bat ich sie, „kann ich nicht ein paar mit nehmen, dann haben die Kinder auch was.“ Tante Minna steckte in eine Tüte, was sie schon für mich und die Kinder zusammen gesucht hatte.
In der Zeit erzählte mir Bernd, dass Mutti überall schadenfroh von meinem Elend erzählt hatte und behauptet sie hatte mir gleich zwanzig Mark geschenkt. Bernd fragte: „Das waren doch nur acht Mark, oder?“ „Natürlich waren es acht Mark, ihr habt es doch alle gesehen.“ Ich war ehrlich empört.
Tante Minna hatte alles verpackt, und es war sogar nagelneuer Gardinenstoff dabei. Dann ging sie in die Speisekammer und gab mir zwei Dosen Leberwurst. Dazu betonte sie mit Nachdruck: „Die leeren Dosen musst du mir unbedingt wieder bringen!“
Ich bedankte mich und lief die Treppe hinab denn unten wartete schon der Freund von Hans. Wir fuhren auf dem schnellsten Weg nach Hause und ich war gespannt was meine lieben Kinder angestellt hatten.
Zuerst riskierte ich einen Blick durchs Fenster und es sah aus wie immer, die Kinder spielten auf dem Fußboden. Also verabschiedete ich mich von dem jungen Mann und ging ins Haus.
Beide kamen an die Tür gerannt, aber die Tür ging nicht auf. Sie hatten sich selbst eingesperrt. Im ersten Augenblick wollte ich mich aufregen, dann hoffte ich, dass sie die hinteren Türen nicht auch verriegelt hatten. Zum Glück konnte ich von der Dehle durch die anderen Schlafzimmer in die Wohnung.
Tina behauptete ganz lieb gewesen zu sein und sogar sehr fleißig. Da sah ich was sie gemacht hatte in ihrem Fleiß. Sie hatte ihren Mantel, ihre Handschuhe und alles was sie sonst noch so gefunden hatte in die Wanne mit eingeweicht. Das war ja sehr gut gemeint, aber der Mantel war ein roter Teddy-Mantel und meine ganze Wäsche war jetzt auch rot.
Innerlich ärgerte ich mich darüber, ließ mir das aber nicht anmerken, denn wenn Kinder zwei Stunden allein waren, hätten sie noch mehr anstellen können. Ohne die Kinder wollte ich jetzt nirgends mehr hingehen. Wir packten aus und ich zeigte den Kindern was ich alles mit gebracht hatte. Die Reibekuchen stellte ich in der Pfanne auf den Ofen und holte das Rübenkraut aus dem Beutel, welches mir Tante Minna mitgegeben hatte.
Für die Kinder hatte ich noch Strickwesten bekommen die durften sie gleich anziehen. Mit einem der Bettbezüge, bezog ich gleich das Bett der Kinder. Ihnen gefielen die Bezüge. Wir räumten alles gemeinsam in den Schrank und teilten uns dann die Reibekuchen als sie heiß genug waren. Nach dem Essen nahm ich den Mantel aus der Lauge und stellte die Kochwäsche auf den Ofen. Dass nun alle weiße Wäsche rosarot war, störte mich nicht. Der Mantel selbst war immer noch genau so rot wie vorher.
Wir machten die Wäsche noch fertig, und als ich sie auf die Leine hängte, stellte ich fest, dass ich immer noch keine Wäscheklammern hatte. Ich fing also an einen Einkaufszettel zu schreiben, den legte ich auf den Küchenschrank. So konnte ich aufschreiben wenn ich feststellte, dass etwas fehlte.
Am Abend war ich total erledigt, ich setzte mich auf die Eckbank, legte meine Füße auf einen Stuhl und konnte nur noch Märchen erzählen. Davon bekamen meine Kinder ja nie genug. Tina erklärte mir, dass sie wegen dem bösen Wolf die Tür verriegelt hatten.
Das verstand ich natürlich, versicherte aber, dass der nur zu einsamen Häusern käme, und hier waren ja drei Häuser. Erst als die Kinder auch müde waren, gingen wir ins Bett.
Die Matratze der Kinder hatte ich am Ofen getrocknet. So wäre alles in Ordnung gewesen, wenn da nicht eine dicke, fette Spinne auf der Bettdecke gesessen wäre. Sie saß direkt im Blickfeld der Kinder, und Tina entdeckte sie, vor mir.
Sie schrie fürchterlich, obwohl ich sie erwischte und tötete. Nein sie wollte in dem Bett nicht mehr schlafen und Heinz auch nicht. Sie sprangen in mein Bett und Tina nahm ihr Kissen mit. Ich fragte ob ich denn jetzt in ihrem Bett schlafen sollte. Aber nein, es war zwecklos, ich lag nun in der Mitte und in jedem Arm hatte ich ein Kind.
Am nächsten Tag stellte ich das Schlafzimmer um. Vorher hatte ich die Betten auseinander damit im Zimmer mehr Platz war, nun schob ich sie nebeneinander. Die Kommode musste ich auch an eine andere Wand schieben. Ich wollte doch den Durchgang frei halten, damit die Kinder bei Dunkelheit nicht über die Dehle zum Klo mussten.
Draußen war es immer noch kalt und nur um die Mittagszeit schmolz ein wenig Schnee. Dann gingen wir auch immer ein wenig hinaus, und spielten im Schnee.
An einem der folgenden Nachmittage gingen wir ins Pfarrhaus, um uns beim Pastor zu bedanken.
Als Tinas Mantel wieder trocken war, gingen wir los. Der Pastor sollte nicht den Eindruck haben, dass wir undankbar waren. Da ich ja kaum etwas hatte, nahm ich ein gehäkeltes Deckchen mit, für die Frau des Pastors.
Der Pfarrer begrüßte uns, und ich hatte den Eindruck als waren wir unerwünscht. So sagte ich gleich: „Wir wollen ja nicht stören, wir möchten uns nur für Ihre Hilfe bedanken.“ Daraufhin schob er uns gleich in die Diele, wo wir uns bei seiner Frau bedanken sollten, die hatte sich für uns bemüht.
Mit ihr konnte ich auch kein richtiges Gespräch führen, sie ließ die Augen nicht von den Kindern und hatte Angst, dass sie etwas anfassten. Um uns schnell wieder loszuwerden, packte sie etwas in eine Tüte aus ihrem „Eichhörnchen-Schrank“. So nannte sie ihren kleinen Vorratsschrank. Danach fischte sie aus ihrem Geldbeutel zwanzig Mark, die sie mir gab und betonte: „Das darf mein Mann aber nicht wissen.“ Ich sagte: „Dann möchte ich es eigentlich auch nicht annehmen, denn so schlecht geht es uns ja nicht.
„Da habe ich ihnen ein Dankeschön mitgebracht. Deswegen bin ich gekommen, und ich wollte fragen, wo ich Brikett kaufen kann.“ Sie wurde ein wenig verlegen und meinte: „Brikett und Kohlen gibt es neben dem Bahnhof. Für zwanzig Mark bekommen sie auch schon einen schönen Haufen.“ Danach machte sie die Tür auf, und ich hatte den Eindruck, dass sie uns ganz schnell los werden wollte. Sicherlich hatte sie Angst, wir würden jetzt jede Woche zum Betteln kommen.
Ganz sicher würde ich hier nicht wieder herkommen. Wir waren froh als wir wieder daheim waren, da packte ich die Tasche aus. Sie hatte mir je eine Tüte getrocknete Bohnen, Linsen und Erbsen eingepackt. Als ich die Erbsen sah, dachte ich an die widerliche Erbsensuppe von Mutti und mir wurde schlecht. Mir war so schlecht, dass ich mich vorsichtshalber hinlegte, um nicht umzufallen. Tina war sehr besorgt und brachte mir einen Eimer, falls ich mich übergeben wollte.
Nach einer Stunde stand ich auf und es ging mir auch schon wieder ganz gut. Die Linsen und die Bohnen packte ich zu meinen Vorräten in den Küchenschrank. Die Erbsen waren in Papiertüte und schienen aus dem Garten zu sein. Ich überlegte, ich konnte sie in den Ofen werfen, oder kochen, die Kinder hätten vielleicht Erbsensuppe gemocht.
Dann hatte Tina die Idee sie im Garten zu pflanzen wie die Oma, denn Erbsen frisch vom Strauch fand sie lecker. Das war eine gute Idee und frische Erbsen mochte ich ja auch. Tina musste ich bremsen, denn die wollte gleich damit anfangen. „Nein Tina, erst im Mai, draußen ist es noch zu kalt.“
Als Frau Hinrich über den Hof kam, fragte ich sie ob sie einen Bollerwagen hätte, ich wollte Brikett einkaufen. Das mit den Briketts fand sie gut, aber ich sollte nicht mit dem Bollerwagen durchs ganze Dorf marschieren. Ihr Sohn sollte mir Brikett einkaufen und bringen. Mir tat es leid um sein schönes Auto, aber sie winkte ab und behauptete, dass er auch schon mal ein Schwein darin gehabt hatte.
Sie hatte noch etwas Zeit und kam mit mir in die Küche. Dort erzählte ich von unserem Besuch beim Pastor und sie fand das Benehmen sehr komisch. Frau Hinrich, die nie ohne Zigarette umher lief, fragte ob ich Kaffee machen könnte, sie hätte heute nichts zu tun. Ich setzte Wasser auf und stellte den Filter auf die Kaffeekanne.
Dann holte ich Tassen und stellte ihr einen Unterteller für ihre Asche hin. „Nächstes Mal bringe ich einen Aschenbecher mit“, bemerkte sie. Dann erzählte sie mir was zur Zeit im Dorf geschwätzt wurde.
Bei meinem Bruder war ein großer Wagen vorgefahren und hatte seinen „Elektro-Laden“ ausgeräumt. Man munkelte sogar, jetzt hätte man ihm den Strom abgestellt. Sie glaubte, dass der Pastor wohl Angst gehabt hatte, dass ich für meinen Bruder um Geld betteln wollte. Ihn konnte niemand hier leiden, weil er nicht arbeitete.
Deshalb wollte sie auch nicht, dass ich mit einem Handwagen durch den Ort fuhr und alle Leute hinter mir her schauten. Jetzt hatte ich es verstanden. Sie bot mir auch eine Zigarette an, und die konnte ich jetzt gebrauchen, obwohl ich wegen ständigem Geldmangel schon lange keine Zigaretten mehr gekauft hatte.
Ich zeigte ihr den Gardinenstoff und sie fand es schön, dass ich Scheibengardinen nähen wollte. Sie versprach nach kleinen Stangen zu schauen, und meinte, da noch einige zu haben.
Sie schaute auf die Uhr und sagte: „Ach jetzt muss ich zum Melken -, aber gemütlich haben sie es hier. Wenn ich wieder komme, bringe ich Ihnen einen Läufer mit, dann haben es die Kinder wärmer auf dem Fußboden, beim Spielen.
Jede Woche kam ein großes Auto auf den Hof gefahren direkt vor das Haus, der anderen Mieter. Dann sah ich, dass die junge Frau, die unten wohnte und die alte Dame von oben, an den Wagen gingen. Blitzschnell nahm ich meinen Geldbeutel und ging nachsehen was es gab. Ich vermutete, dass es ein Bäcker war.
Natürlich wurde ich dumm angesehen, als ich ohne Einladung dort auftauchte. Das war mir egal, denn ich hatte vor mein Brot zu bezahlen, und dann konnte ich doch auch dort einkaufen. Nun sah ich, dass der Bäcker einen richtigen kleinen Laden dabei hatte. Meine Nachbarin war noch am Einkaufen, da öffnete ich meinen Geldbeutel so, dass sie ein paar Geldscheine sehen konnten.
Da ich immer an meinem Bruder gemessen wurde, sollten alle wissen: Ich hatte Geld zum Bezahlen. So wurde ich dann auch bedient. Da er zweimal in der Woche hierher kam, kaufte ich nur ein großes Brot und ein Päckchen Waschpulver. Das nächste Mal wollte ich einen Einkaufszettel machen.
Auf den Einkaufszettel schrieb ich immer nur das, was ich dringend brauchte. Für Extras hatte ich kein Geld, ich wusste ja nicht wie lange mein Geld noch reichen musste. Der Bäcker stand noch eine ganze Weile auf dem Hof. Sicherlich wurde über mich, und die „Villa Sorgenfrei“ geredet.
Ich hoffte nur, dass Hans nicht erfuhr, dass ich noch Geld hatte. Schließlich wusste ich ja nicht, wie lange ich damit auskommen musste.
Jeden Abend erzählte ich Tina und Heinz Märchen und sorgte dafür, dass es immer warm genug in der Küche war. Nebenbei stopfte ich die Kinderkleidung oder ich stickte an meiner Tischdecke. Tina suchte das Stopfgarn aus für die Strümpfe. Sie wollte es immer bunt, zum Beispiel: rote Strumpfhosen wurden mit gelbem oder grünem Garn gestopft. Es sah lustig aus, meine Kinder liebten das. Da klopfte es spät noch am Fenster.
Die Kinder wollten gerade los schreien, da sah ich eine glimmende Zigarette direkt vor meinem Fenster, das konnte nur Frau Hinrich sein. Ich machte das Fenster auf und sie reichte mir zuerst eine Kanne Brühe, dann einen großen Braten, und mehrere Leckereien, denn sie hatte geschlachtet.
Wir glaubten zu träumen. Noch nie zuvor hatte ich einen so großen Braten in der Hand gehabt. Sie sagte: „Mein Mann muss das nicht wissen. „Danke“, sagte ich und brach in Tränen aus. Da war sie auch schon wieder verschwunden
Ich verstaute meine Köstlichkeiten und erzählte das Märchen zu Ende, was ich angefangen hatte. Danach gingen wir schlafen und im Bett dachte ich an das wunderbare Essen was es morgen geben sollte. Wir schliefen gut und am nächsten Morgen konnte ich es nicht erwarten, mit dem Kochen zu beginnen. Zum Glück hatte ich ein Glas Rotkohl, sonst hätten wir zu dem Braten nur Kartoffeln gehabt. Wir hatten drei Tage lang von dem köstlichen Essen, und aßen mittags und abends davon.
Immer wenn ich abends Märchen erzählte, dachte ich an meine Märchenbücher, die ich bei Mutti gelassen hatte, als ich auszog. Damals hatte ich nur einen Koffer mitgenommen und keinen Platz für Bücher.
Ach wie schön wäre es, wenn ich die Bücher hätte, dann könnte ich manchmal nachlesen, denn hin und wieder wusste ich nicht weiter. Aber bei so vielen Märchen, konnte man schon mal durcheinander kommen. Im Frühling, nahm ich mir vor, wollte ich mit meinen Kindern zusammen hinfahren und um die Bücher bitten. Wenn sie Tina und Heinz sehen würde, dann musste sie die Bücher heraus rücken.
Als der Briefträger wieder Kindergeld auszahlte, bekam ich auch Kindergeld. Es war nicht viel, was man damals bekam, aber es freute mich. Vom Rathaus bekam ich Post, ich sollte in den nächsten Tagen vorsprechen.
Wir fuhren mit dem Bus, es war ein wunderschöner Vorfrühlingstag. Die Dame bei der ich schon einmal war, hatte für mich drei Nachrichten wovon eine nicht gut war. Mit der schlechten begann sie. Mein Mann hatte auf ihr Schreiben hin geantwortet, dass er auf gar keinem Fall einen Pfennig zahlen würde, weder für mich, noch für die Kinder. Er hatte lächerliche Begründungen angegeben unter anderem, dass er seine Eltern unterstützen musste, die alt wären und kein Einkommen hätten.
Zudem klagte er, dass ich ein halbes Jahr den Kindern kein Geld nach Griechenland geschickt hatte und er allein für alles zahlen musste. Die Frau hatte ihm nun eine Unterhaltsklage angedroht. Frau Sorge, von der Fürsorge, hatte ein stattliches Sparbuch geschickt. Es war noch aus der Zeit, als sie mein Vormund war. Darauf hatte sie die Alimente der letzten Jahre von Jens eingezahlt, der nach meiner Hochzeit ja nicht mehr bezahlen wollte. Da Tina nicht adoptiert war, sondern nur als Kind anerkannt war, musste er weiter zahlen.
Frau Sorge hatte das Geld monatlich kassiert und auf mein Sparbuch eingezahlt. Sie überreichte mir einen Auszahlungsschein über fast 900.-- Mark. Ab nächsten Monat bekam ich dann das Geld von Jens, monatlich direkt zugeschickt.
Wir gingen zur Bank und holten das Geld ab. Weil das Wetter so schön war, kaufte ich meinen Kindern ein Eis. Dann ging ich in ein Spielwaren-Geschäft und kaufte einen Eimer mit Sandspielzeug, denn der junge Bauer hatte den Kindern Sand auf unseren Hof gekippt.
Dann sah Heinz ein Dreirad und wollte es so gern haben. Da die Kinder von gegenüber auch so etwas hatten, schaute ich nach dem Preis. Nur 20.-- Mark. Nach kurzem Überlegen kaufte ich für jedes meiner Kinder eines, denn ich wollte keinen Streit unter den Kindern, wenn der eine was Besonderes hat und der andere nicht.
Heinz bekam das Eimerchen in die Hand und Tina hängte ich meine Tasche um, ich nahm die beiden Dreirädchen und wir gingen zur Bushaltestelle. Zum Glück war noch keine Feierabendzeit und der Bus war nicht so voll. So fuhren wir wieder heim. Genau vor dem Haus von Hans hielt der Bus und wenn jemand aus dem Fenster guckte, musste er uns sehen. Es gab aber keinen anderen Weg, wir mussten dort vorbei.
Ich trug die beiden Fahrräder und ließ die Kinder immer so laufen, dass man es von der anderen Seite nicht richtig sehen konnte was ich da hatte. Hans wollte ich auf gar keinen Fall auffordern, zu mir zum Betteln zu kommen. Deshalb war ich heilfroh als wir zu Hause waren. Ich bildete mir immer ein, dass hinter jedem Fenster jemand stand der uns beobachtete. Die Kinder probierten ihre Fahrräder gleich aus, während ich Abendessen machte.
Ich hatte ihnen eine große Freude gemacht, und die Katze saß vorm Haus und schaute ihnen zu. Tina setzte die Katze, die sie Minka nannten, auch mit aufs Rad. Das Tier war schon besonders liebenswert. Dann fuhren sie mit dem Dreirad zum Milch holen. Frau Hinrich bestaunte die Fahrräder und fragte, woher sie die denn hätten. Tina log und sagte: „von unserer Oma.“
Später erzählte ich Frau Hinrich woher sie waren und, dass Tina es nicht besser wusste. Den Kindern legte ich eindringlich ans Herz, die Fahrräder jeden Abend in den Flur zu stellen. Nun hatten die Kinder genug zum Spielen, und ich konnte wieder mehr nähen, denn die Kinder brauchten ja für den Sommer auch etwas zum Anziehen.
Am nächsten Morgen war es so schönes Wetter, da wollten die Kinder im Sand spielen. Heinz kam aufgeregt in die Küche und berichtete: „Da ist nur eine Schaufel, und die will Tina immer haben.“ Er sprach immer noch kein Wort Deutsch und ich hatte Angst, er würde es nie lernen.
Ich schaute in die Schublade vom Küchenschrank und suchte den schlechtesten Löffel aus. Den gab ich ihm und sagte: „Mit dem Löffel kannst du genauso gut schaufeln.“ Erfreut ging er wieder nach draußen. Die junge Frau von dem anderen Haus kam neugierig zu uns herüber. Sie versuchte zu erfahren, was ich den Kindern gekauft hatte und vor allem, von welchem Geld.
Zur Tarnung hatte sie eine Tasse in der Hand und wollte von mir etwas Zucker ausborgen. Sie schickte Tina zu mir in die Küche und versuchte sich mit Heinz zu unterhalten. Sie fragte ihn: „Darfst du denn mit dem Löffel spielen, schimpft deine Mama denn nicht?“ Da sagte Heinz in seine Not auf Deutsch: „Mama hat gesagt.“ Die junge Frau kam in die Küche gesprungen: „Das muss ich gleich Frau Hinrich erzählen, der Kleine hat deutsch gesprochen!“
Sie war vor Freude ganz aus dem Häuschen, nahm ihren Zucker und lief über den riesigen Hof. Ich ging hinaus zu Heinz, nahm ihn in den Arm und lobte ihn, weil er sich solche Mühe gegeben hatte. Von nun an sprach Heinz deutsch, wenn er es für unbedingt notwendig hielt.
Am Nachmittag kam Hans, wie ich schon befürchtet hatte. Er hatte ein paar Kleidungsstücke, von denen ich den Kindern etwas nähen konnte. Dann ging er ans Auto und holte eine Lampe für meine Küche. Die brachte er mir auch gleich an.
Dann klagte er, dass man ihm den Strom abgestellt hatte, schon über einen Monat hätte er kein Licht. Jetzt sei eine neue Zahlungsaufforderung gekommen und die war jetzt wieder teurer geworden mit Zinsen und Mahn-Gebühren. „Ich habe dir auch in der Not geholfen, und werde es dir auch zurückzahlen.“ Versprach er mir.
Ich wusste, dass er es nie zurückzahlen konnte und verlangte von ihm, mir Eingemachtes zu bringen und einen Kleiderschrank. Eingekochtes sollte mir Anni gleich morgen bringen, aber einen Kleiderschrank hatte er keinen. Beim nächsten Sperrmüll wollte er danach suchen.
Ich gab ihm das Geld und sagte, jetzt hätte ich aber selbst nichts mehr. Das glaubte er mir und seine Frau kam am nächsten Tag und brachte eingemachte Bohnen, Marmelade und Essiggurken. Zwar war das keine neunzig Mark wert, aber ich hatte jetzt endlich auch Vorräte.
Vom Rathaus bekam ich Nachricht, mein Mann hatte eingelenkt und versprochen jeden Monat fünfzig Mark zu überweisen. Ich sollte mich melden wenn ich das Geld nicht bekäme. Das Geld kam und der Briefträger freute sich ehrlich mit mir.
Dann kam ein Brief von Stefan. Er beschimpfte mich aufs Übelste. Ich sollte nicht glauben, dass er jemals zu uns kommen würde. Ich sei keine Frau, ich sei eine Furie, die ihm das Geld aus der Tasche ziehen täte. Dazu hatte ich auch noch mit dem Gericht gedroht. Das hatte ich ja nicht, aber die Frau auf dem Rathaus schon.
Genau genommen hatte ich keine Sehnsucht nach ihm und die Kinder auch nicht, sie fragten kein einziges Mal nach ihrem Vater. Inzwischen war ich mir sicher, dass ich wieder schwanger war. Die Lust auf ungekochte Nudeln und Reis war wieder da. Ich war richtig süchtig danach. Nun hatte ich auch Arbeit genug und gar keine Zeit darüber nachzudenken. Mein Geheimnis behielt ich vorerst für mich, und Stefan würde es nicht erfahren.
Neben unserem Haus war ein schöner großer Bauerngarten. Wir fingen an darin aufzuräumen, Dort waren Blumen und Kräuter angepflanzt, es wuchsen Beeren und sogar Erdbeeren dort. Die Kinder hatten ihre größte Freude an dem Garten und bewunderten jedes Blümchen, was da schon blühte. Wir konnten es nicht erwarten unser eigenes Gemüse anzupflanzen. Es war aber erst März, also noch zu früh.
Der Jungbauer hatte einen Wagen voller Sturmholz bei mir abgeladen, damit ich es klein machen und auf dem Dachboden stapeln konnte. So hätte ich im nächsten Winter genug Brennholz zum Feuer machen.
Nun hatte der Bauer einen Acker, der von Steinen übersät war. Er bat mich, dort Steine aufzulesen, dann wollte er damit seine Wege ausbessern und danach Rüben auf den Acker säen. „Da können Sie die Kinder mitnehmen“, schlug er mir vor. Ich hatte nun wirklich Arbeit genug. Morgens kochte ich, machte das Haus sauber und nach dem Essen gingen wir aufs Feld. Wenn ich dann noch Zeit hatte, ließ ich meine überschüssigen Kräfte am Holz aus. Dabei fühlte ich mich richtig wohl.
Unser kleines Häuschen sah richtig hübsch aus, inzwischen hatte ich kleine Scheibengardinen angebracht. In den beiden Zimmern die wir bewohnten, hatte ich Vorhänge die ich abends zuziehen konnte. Wir hatten es einfach gemütlich!
Es war jetzt die Zeit, Tina und Heinz vom Osterhasen zu erzählen. Wir sangen das Lied vom Osterhasen. Eines Morgens kam Heinz ganz aufgeregt in die Küche gerannt. Er war auf dem Klo und hatte ein Huhn gesehen, das in dem alten Kuhstall im Futtertrog saß. Zum Spaß sagte ich: „Dann musst du aufpassen, wenn es gackert, ob es ein Ei gelegt hat.“
Nach einer Viertelstunde kam er mit einem Ei zurück und berichtete aufgeregt: „Das Huhn ist direkt zu uns gekommen und hat für uns ein Ei gelegt.“ Er lief immer wieder in den Stall um zu schauen, ob das Huhn nicht noch einmal kam. Ich erklärte ihm, dass jedes Huhn nur ein Ei am Tag legt. Von da an brachte er jeden Tag ein Ei. Frau Hinrich brachte laufend Gänseeier, die mochte sie nicht. Uns schmeckten die, denn mit Schnittlauch waren sie sehr lecker.
Die Steine auf dem Acker waren eines Tages aufgelesen und der Bauer konnte seine Rüben aussäen. Ich grub den Garten um damit wir bald anpflanzen konnten. Aber vorher warteten wir auf Ostern, die Kinder freuten sich auf den Osterhasen.
Weil es im Osterhasenlied hieß: Gesprungen aus dem grünen Wald, wollte Heinz bei jeder Gelegenheit im Wald spazieren gehen. Dann bettelte er immer: Gehen wir in den grünen Wald?“ Dort schaute er genau, ob da wohl der Osterhase kam.
Am Wagen vom Kaufmann, kaufte ich zwanzig Eier und Farben dazu. Dann färbte ich die Eier abends, als die Kinder im Bett waren. Da ich sonst nichts gekauft hatte, sollten sie reichlich Eier finden. So waren sie es ja auch von Griechenland gewohnt. Am Ostermorgen versteckte ich sie im Bauerngarten. Die kleinen Nestchen machte ich aus Heu. Die größte Freude hatten die Kinder, als ich nach dem Eiersuchen nicht abreiste, wie in den anderen Jahren. Tina und Heinz waren glücklich und immer mit allem zufrieden.
Nach Ostern, als die Wiesen nicht mehr nass waren, brachte der Mann von Frau Hinrich die Kühe auf die Weide. Wir saßen gerade beim Frühstück, als die Kühe aus dem Stall kamen. Heinz war nicht mehr zu halten. „Die bringen die Kühe zur Quelle“, rief er außer sich und rannte auf den Hof.
Dort nahm er einen Stock vom Holz, vor unserem Haus und rannte los. „Nein Heinz“, schrie ich ihm nach, „nicht zu Herrn Hinrich!“ Er war nicht zu halten. Ich fürchtete, dass es nun Ärger geben könnte.
Der Mann öffnete ein großes Gatter und jagte die Kühe hinein. Heinz stand daneben und stützte sich auf seinen Stock. Der alte Bauer redete kein Wort mit ihm, und Heinz sagte auch nichts. Danach ging der Mann wieder in sein Haus und Heinz kam zurück. Natürlich schimpfte ich mit ihm und bat ihn, das nicht wieder zu machen. Er wollte mir ja gehorchen, aber als der alte Bauer am Nachmittag die Kühe wieder holte, war es wie verhext. Heinz rannte an das Tor und stellte sich auf, mit seinem Stock. Den hatte er allerdings nur dabei, weil er meinte das gehört zum Kühe treiben dazu.
Wieder sprach der Bauer kein Wort, aber er jagte ihn nicht fort. Heinz redete auch nicht, und so gingen die beiden einträchtig hinter den Kühen her, bis zum Stall. Als die letzte Kuh im Stall war, kam er zurück. Am Abend kam Frau Hinrich auf eine Zigarette zu uns, und meinte ich könnte den Jungen ruhig lassen, ihr Mann hatte sich nicht beschwert.
Er hatte sich sogar nach dem Namen des Buben erkundigt. Die Kinder erzählten vom Osterhasen, der so schöne Eier gebracht hatte und sie zeigten sie auch her. „Ach“, sagte Frau Hinrich, „Dann waren wohl die beiden Schokoladenhasen für euch, die ich in meinem Garten gefunden habe.“ Sie machte ihre Tüte auf, und stellte die beiden lustigen Gesellen auf den Tisch.
Heinz freute sich wie immer: „Oh Stokolata!“ Die Bäuerin amüsierte sich. Dann erzählte sie, dass sie morgen nach Herford fahren wollte und fragte, ob ich etwas möchte. Sie hatte das Heftchen von ihrem Sohn dabei und wollte abrechnen. Mir war es lieber, wenn sie damit noch warten würde, denn ich wusste noch nicht, was ich noch alles brauchte in der nächsten Zeit.
Sie schaute mich an und fragte: „Wieso, sind sie schwanger, sie sehen in letzter Zeit so blass aus?“ Ich fand ja nicht, dass ich blass war, aber ich gab zu, dass sie Recht hatte. Deshalb bat ich sie, mir Stoff zu kaufen, damit ich mir zwei Kleider nähen konnte. Eines für warme Tage und eines für die kühleren, und dazu ein Schnittmuster. Ja, das wollte sie gern einkaufen. Ich ging ins Schlafzimmer und holte ihr das Geld dafür. Als ich die Kinder abends ins Bett brachte, sagte ich zu Heinz: „Schlaf schön damit du morgen wieder die Kühe auf die Weide bringen kannst.“ Er war glückselig, denn Kühe mochte er.
Wir standen jetzt etwas zeitiger auf, wegen Heinz, damit er pünktlich zu seinen Kühen kam. Ich beobachtete ihn durchs Fenster, denn so richtig traute ich dem Frieden nicht. Heinz ging in respektvollen Abstand zu dem Bauern, hinter den Kühen her. Niemand sprach ein Wort. Als die letzte Kuh auf der Weide war, machte der Bauer das Gatter zu. Dann setzte er sich auf einen großen Stein, der gleich neben dem Tor war. Gegenüber war ein kleinerer Stein, Heinz setzte sich darauf.
Der Bauer genoss die warme Frühlingssonne und beide schwiegen und schauten sich an. Da langte Herr Hinrich in seine Jackentasche und holte ein Bonbon heraus. Er zeigte es dem Kleinen und lachte ihn an. Dann fragte er: „Magst du das?“ Heinz stand von dem Stein auf und ging langsam auf das Bonbon zu.
Dann schaute er es an und seine Augen strahlten. „Ohhh Karamella“, hauchte er, öffnete das Papier und dann kam sein Zauberwort: „Karamella Stokolata.“ In diesem Augenblick hatte er das Herz des alten Mannes erobert. Der Mann ging nie mehr ohne Bonbons über den Hof, und über den Hof ging er jetzt immer öfter.
Tina und Heinz veranstalteten Wettrennen mit ihren Dreirädern, spielten im Sand und überall war die Katze dabei. Im Augenblick war auf dem Feld noch keine Arbeit, so beschloss ich mit den Kindern zu Mutti zu fahren. Ich wollte die Märchenbücher, das hatte ich mir in den Kopf gesetzt. Außerdem wollte ich gern mein Liederbuch, weil die Kinder Lieder so gern mochten.
Meine Figur war noch ganz ordentlich, sie musste ja nicht wissen, dass ich schon wieder schwanger war. Wir fuhren mit dem Bus und mussten in Herford umsteigen. Von der Bushaltestelle war es nicht weit bis zur Mutti.
Dann standen wir vor der Haustür und klingelten. Sie kam an die Tür und erschrak, als sie mich und die Kinder sah. Dann fing sie sich wieder und ließ uns in die Küche. „Ja, dann mache ich mal Kaffee.“ Während sie Kaffee kochte, erklärte sie, dass sie nun leider keinen Kuchen hatte, da sie ja immer allein sei, da lohnte es sich nicht zu backen. Für die Kinder hatte sie ein paar Kekse. Ich hätte eben schreiben sollen, bemerkte sie. Tina sah das Fußbänkchen, auf dem ich früher immer gesessen hatte und fragte ob sie darauf sitzen durfte. Sie durfte und Heinz blieb bei mir auf dem Schoß sitzen. Nun rutschte Tina ein paar Mal ein kleines Stückchen. „Komm mir ja nicht an meinen Küchenschrank“, fauchte Mutti. Ab jetzt wagte Tina nicht mehr, sich zu bewegen.
Den Vorfall hat Tina nie vergessen.
Langsam kam ich zur Sache und erzählte, weshalb ich gekommen war. Ich zählte auf welche Bücher ich gern mitnehmen wollte. „Och, die Bücher habe ich alle meinen Nichten geschenkt, die habe ich nicht mehr. Damit habe ich nicht gerechnet, dass du sie noch brauchst.“ sagte sie scheinbar betroffen. Dann ging sie zum Bücherschrank und holte zwei Bücher von mir. „Das ist alles was ich noch von deinen Büchern habe.“ Es waren die Bücher: Rheinmärchen und Spiel und Ernst. Die mochte ich beide nie.
Ich lehnte dankend ab und war enttäuscht. „Das ist gar nichts für kleine Kinder.“ Tina saß immer noch wie versteinert auf dem Schemelchen, also zog ich es vor, gleich wieder nach Hause zu fahren. Sie wollte noch wissen, von was wir jetzt eigentlich leben. Meine Antwort war kurz und bündig: „Von Arbeit natürlich.“ Mit den Kindern ging ich noch aufs Klo, dann gingen wir los. Als ich an der Ringstraße war, fiel mir ein, dass ich Richtung Stadt laufen konnte, um dort ein Märchenbuch zu kaufen. Dort war ja auch eine Haltestelle für den Bus.
Ach die Kinder freuten sich, als ich ihnen erzählte was ich jetzt vorhatte. Beide beteuerten, dass sie nie wieder mit zu dieser Oma gehen wollten. Im Buchladen fand ich ein Buch in dem die schönsten Märchen aus aller Welt waren. Es war riesig und hatte Grimms und Andersen Märchen und sogar Aladin und die Wunderlampe. Das Buch war ein wahrer Glücksgriff.
Ich kaufte das Buch, es passte kaum in meine Tasche. An der Kasse bekamen die Kinder noch je eine Murmel geschenkt. Wir gingen zur Bushaltestelle und fuhren zunächst bis Herford. Dort stiegen wir aus, um auf den nächsten Bus zu warten. Wir hatten noch zehn Minuten Zeit. Als die fast vorbei waren, musste Tina dringend Pippi. Ich schaute mich um und sah den Bus schon die Straße herunter kommen.
Schnell ging ich mit ihr zwischen zwei parkende Autos und bat sie sich zu beeilen. Die Hose war schon nass, es war also zu spät. Kurzerhand zog ich ihr das Höschen aus und steckte es in die Seitentasche meiner Handtasche. Als wir in den Bus eingestiegen waren, bat ich sie sich ordentlich zu benehmen. Das ging auch eine Weile gut, bis Heinz seine Murmel fallen ließ, die kullerte im Bus durch den Mittelgang. Beide Kinder sprangen der Murmel nach.
Dann ging Tina in die Hocke und wollte mit Heinz und der Murmel spielen. Da saß sie im Gang und alle Leute konnten unter ihren Rock schauen. Ich sah wie sie alle lachten. Der Bus hatte kein Mauseloch, sonst wäre ich hineingekrochen.
In unserem Dorf waren wir die Einzigen die ausstiegen. Wir gingen nach Hause und Tina fragte, ob ich jetzt böse mit ihr sei. „Nein Tina“, sagte ich, „es hat uns ja niemand gekannt im Bus.“
Frau Hinrich hatte Stoff gekauft, einen dunkelrot-melierten leichten Wollstoff, und einen klein geblümten leichten Sommerstoff. Dazu hatte sie noch mehrere kleine Reststücke für Kindersachen. Sie hatte es sich nicht verkneifen können, und hatte für das Baby, dass noch längst nicht da war, ein paar Sachen eingekauft.
Da der Jungbauer zurzeit keine Arbeit für mich hatte, fing ich gleich an zu nähen. Die Kinder spielten im Hof wie immer, und der Bauer holte die Kühe von der Weide. Hans rannte los, er konnte doch Herrn Hinrich nicht allein lassen, mit den ganzen Kühen! Dann stolperte Heinz und schrie er furchtbar. Danach ging alles ganz schnell: Der Jungbauer kam mit dem Auto, Frau Hinrich holte den Krankenschein für den Kleinen und sie fuhren zum Arzt. Ich war so erschrocken, dass ich gar nicht alles mitbekam. Tina fing auch an zu heulen. „Warum weinst du denn“, fragte ich, „dir ist doch nichts passiert!“
Tina wollte nicht aufhören, und erklärte schluchzend: „Wenn Heinz jetzt stirbt, dann habe ich keinen Bruder mehr.“ „Ach was“, tröstet ich sie, „von einmal hinfallen stirbt man nicht, er hat vielleicht den Arm gebrochen.“ Der arme Herr Hinrich musste alle Kühe allein melken, zum Glück hatte der Jungbauer den modernsten Kuhstall, und die neueste Melkmaschine. Für den kleinen Heinz, machte er alles, denn in ihn, war er ganz vernarrte.
Tina weinte, bis der rote „Isabella“ vorfuhr. Frau Hinrich stieg mit Heinz aus. "Das Schlüsselbein ist gebrochen", unterrichtete mich die Bäuerin. Er berichtete aufgeregt und wieder mal ohne ein Wort deutsch zu sprechen: „Zuerst hat mich der Doktor getröstet, dann hat er meine „Zizicka“ fotografiert, danach habe ich einen großen Verband bekommen.“ Mit Zizicka meinte er seine Brustwarzen. Der Verband war ein großes Tuch, das kunstvoll um seine Brust und Schultern gebunden war. Hinten im Rücken war das Tuch verknotet.
Der arme Heinz, dachte ich, wie kann man so schlafen. Der Verband musste einige Tage bleiben, dann sollte er wieder zum Arzt. Die nächsten Nächte schlief ich, indem ich in jedem Arm ein Kind hielt. Bei Heinz verstand ich das, wie sollte er auch liegen mit dem großen Knoten, aber bei Tina war es eigentlich überflüssig. Auch diese Tage gingen vorbei, und es hinderte Heinz an keinem Tag die Kühe zu begleiten.
Als die Zeit um war, fuhr ich mit den Kindern wieder nach Vlotho, um mit Heinz zum Arzt zu gehen. Er machte den Verband ab. Das Schlüsselbein war wieder zusammen gewachsen. Von da an musste ich auch wieder aufs Feld, um die Rüben, die der Bauer gesät hatte, zu hacken. Beim Steine lesen, hatten die Kinder auch etwas mit geholfen, aber beim Hacken konnte ich Tina und Heinz wirklich nicht gebrauchen.
Sie gingen immer zuerst mit und spielten auf dem Weg, der um den Acker verlief. Dann verschwanden sie langsam wieder, um auf dem Hof zu spielen. Aber wie es so ist, Kinder gehen immer auf Entdeckungsreise. So auch an diesem Tag.
Es war etwas kühler, und Tina hatte ihren Mantel an. Ich hackte an den letzten Reihen, und freute mich bald fertig zu sein. Da kam Heinz angesprungen und schrie ganz aufgeregt: „Mama komm schnell, Tina ist ins Meer gefallen!“ Natürlich wieder alles auf Griechisch. Ich musste einen Augenblick überlegen, was er damit meinte. Jedenfalls rannte ich hinter ihm her, und dachte Tina sei in den Brunnen gefallen.
Natürlich war sie es nicht, denn der war ja immer gut abgedeckt. Heinz bog ab in eine andere Richtung, denn da war hinter einem dichten Schilfgürtel ein Karpfenteich. Der war groß, aber nicht tief. Wenigstens am Rand nicht. Ich hielt ihr meine Hacke hin und als sie sich daran klammerte zog ich sie ganz an den Rand. Dann holte ich sie heraus.
Am Bein blutete sie ein wenig, sie behauptete ein Fisch hätte sie gebissen. Wir gingen schnell heim, da schaute ich mir die Verletzung an. Für kleine Verletzungen hatte ich eine Flasche ganz gewöhnlichen Korn im Küchenschrank, davon goss ich über die kleine Wunde. Dann bekam sie einen wunderbaren Verband. Ach sie war ja so stolz auf ihr verbundenes Bein.
Nun bat ich meine Kinder mich heute nicht mehr aufzuregen, weil ich das letzte Stück noch hacken musste. Also spielten sie, bis ich fertig war im Sand. Am Abend schaute ich noch einmal nach dem Bein es sah aus, als ob sie sich am Schilf ein wenig geschnitten hatte. Nun bekam sie Heilsalbe auf die Wunde und natürlich wieder den Verband.
Ihr Bein verheilte schnell, der Mantel war wieder sauber und im Garten wuchs, was wir gesät und gepflanzt hatten. Jeden Tag liefen Tina und Heinz in den Garten und aßen die reifen Erdbeeren. Ich hatte keine Chance ein paar zu pflücken. Dann musste ich wieder auf den Acker, die Rüben sollten vereinzelt werden. Weil beide Kinder schon bis drei zählen konnten nahm ich sie mit. Im Abstand von ungefähr 12 cm durften höchstens drei Pflanzen stehen bleiben. Wir rutschten die Reihen rauf und runter und als Heinz und Tina keine Lust mehr hatten, durften sie heim gehen. Wir brauchten einige Tage, bis wir fertig waren. Danach war meine Arbeit vorerst beendet. Im Oktober würden sie geerntet, bis dahin hatte ich Pause, wenn sie mich nicht bei der Kartoffelernte brauchten.
Nun hatten wir eine schöne Zeit. Es war warm, vor dem Haus hatten wir Schatten von großen Bäumen. Immer wenn ich Lust hatte, machte ich Holz klein. Tina und Heinz brachten das Holz auf den Dachboden, wo sie es vorbildlich stapelten. Es war dort so viel Platz und ich sagte: „Ihr müsst das Holz nicht so schön aufräumen, es reicht, wenn ihr den Korb nur ausleert.“ Nein, die Kinder wollten es schön machen und sagten: „Wenn wir fertig sind, können wir den Boden noch sauber machen.“
Zu gern hätte ich eine Bank vor dem Haus gehabt, aber wenn ich den Kindern beim Spielen zuschauen wollte, setzte ich mich auf den Hauklotz. Inzwischen konnte jeder sehen, dass bei uns bald ein Baby kam. So kam eines Tages die junge Nachbarin mit einem Kinderwagen und einem großen Paket Babywäsche. Ich sollte bitte nicht beleidigt sein, aber die Sachen wären alle noch so gut und zu schade zum Wegwerfen. Sie war froh, dass ich noch nichts gekauft hatte.
Sie hatte nicht zu viel versprochen, die Wäsche war wirklich noch ganz gut und kaum getragen. Nun häkelte ich bunte Bindebändchen aus Baumwolle und zog in alle Hemdchen und Jäckchen bunte Bändchen ein, zum Zubinden. Ich schaute mir die Strampelhosen an und nähte Knöpfchen an, wenn eines fehlte. Dann wusch ich alles und verpackte es in durchsichtige Tüten. Sogar die Größenangabe hatte ich mit in jeden Beutel gelegt. Windeln waren etwas wenig, da musste ich dann wohl noch ein paar kaufen. Als ich den Wagen auch sauber hatte, war alles gerichtet für mein drittes Kind.
Da Heinz mindestens vier Wochen zu früh gekommen war, sorgte ich dafür, dass alles früh genug fertig war. Dann fragte ich Frau Hinrich nach einer Hebamme, ich wollte wieder eine Hausentbindung, wegen Tina und Heinz. Sie waren so brav, die konnte ich selbst versorgen. „Waren Sie denn nicht beim Frauenarzt?“ Frau Hinrich schaute mich vorwurfsvoll an und meinte, dass der auch für eine Hebamme sorgen konnte.
Ich wurde verlegen, denn ich hasste den Besuch beim Frauenarzt. Frau Hinich konnte es nicht glauben, sie machte mir die größten Vorwürfe. „Bei Tina und Heinz war ich auch nicht beim Frauenarzt. Bei Tina habe ich mich in der Klinik angemeldet, acht Wochen vor der Geburt, und bei Heinz habe ich nur eine Hebamme gesucht.“
Ich erzählte ihr auch warum. „Ich war mal im Mädchenheim und da bin ich bei einer Routine-Untersuchung von einer Frauenärztin total überrumpelt worden.“ Als ich ihr das alles genau erklärt hatte, verstand sie mich sogar. Jetzt wusste sie auch eine Hebamme, mit der wollte sie später telefonieren. Wir wollten zusammen Kaffee trinken und als ich ihn aufgoss, fiel der Filter um. Mit Geschick entging ich dem heißen Wasser musste aber zugeben, dass es sehr gefährlich war.
Wir bekamen doch noch unseren Kaffee fertig. Sie bestaunte die die Babywäsche und den Kinderwagen. Dann wollte sie auch etwas dazu tun und versprach, morgen einen Stubenwagen zu bringen, denn das Kind musste ja auch ein Bettchen haben.
Ich konnte gut schlafen, denn ich hatte überhaupt keine Sorgen. Mir ging es richtig gut, so hatte ich auch keine Angst vor der Zukunft. Im Garten hatten wir Gemüse und ich kochte sogar ein paar Gläser ein. Die Kinder aßen jeden Tag von den Erbsen, direkt vom Busch. Das Holz wurde immer weniger vorm Haus und ich hatte mir vorgenommen, alles noch klein zu machen.
Eines Abends vergaß eines der Kinder das Dreirad zu versorgen, Tina behauptete sie war es nicht, und Heinz schob die Schuld auf Tina. Jedenfalls stand es auf dem Weg und ich hatte es am Abend nicht gemerkt. Nachts kam der Jungbauer von seinem abendlichen Ausflug, und fuhr darüber.
Ich hatte es noch nicht bemerkt und war mit den Kindern beim Frühstück. Da klopfte er an der Tür. Es sei ihm ganz furchtbar peinlich, aber er hätte in der Nacht ein Dreirad kaputt gefahren. Er hätte nicht aufgepasst, entschuldigte er sich. Er wollte natürlich sofort ein Neues kaufen.
Ich wusste genau, dass die Schuld bei uns lag und erkundigte mich nach seinem Auto. „Nein, dem Auto ist nichts passiert“, behauptete er. „Kaufen Sie kein neues Dreirad, sie sollen lernen ihre Sachen aufzuräumen.“ War meine Meinung und dabei blieb es dann auch. Tina, die von Natur aus nicht stritt und sehr bescheiden war, ließ Heinz das übrige Dreirad.
Als die ersten Kartoffeln geerntet wurden, ging ich mit zum Kartoffel auflesen. Es ging mir gut und es machte mir nichts aus. Die Körbe wurden sowieso von den Männern geleert. Danach wollte Frau Hinrich mich nicht mehr mit aufs Feld nehmen.
Dann kam eines Nachmittags ein Vertreter zu mir. Er kam von einem Hamburger Kaffee Vertrieb und hatte das Neueste was damals auf dem Markt war, eine italienische Kaffeemaschine im Angebot. Da wurde mit heißem Wasserdampf der Kaffee aufgebrüht und der war köstlich.
Die Maschine hatte einen festen Stand und war ganz aus Metall. Man konnte eine Tasse oder eine Kanne aufbrühen. Ich konnte mich nicht bremsen, die musste ich haben.
Da ich ja immer sparsam war, konnte ich sie mir auch kaufen, ganz ohne Ratenzahlung. Der Vertreter staunte ja ein wenig, dann nahm er die Bestellung auf und wollte auch noch Kaffee dazu verkaufen. Nein, monatlich zwei Pack Kaffee, das war mir zu viel. Da ging er leer aus. Die Maschine wurde wenige Tage später per Nachnahme geliefert. Das war das beste Teil, das ich jemals für mich gekauft hatte.
Es ging langsam auf meinen Geburtstermin zu. Die Hebamme hatte mich besucht und festgestellt, dass alles bestens war. Sie gab als voraussichtlichen Termin den 27. September an. Darauf wollte ich mich nicht verlassen. So sorgte ich schon zwei Wochen vorher dafür, dass immer alle Eimer mit Wasser gefüllt waren. Frau Hinrich zeigte mir das Fenster, das zu ihrem Schlafzimmer gehörte, da sollte ich klopfen, falls es nachts losginge.
Wir hatten den 19. September und ich war nachmittags wieder am Holzhacken. Die Kinder spielten, Heinz mit dem Dreirad und Tina mit der Katze. Da sah ich von weitem einen jungen Mann, den Weg auf unseren Hof herankommen. Ich schaute hin und sagte zu Tina, der läuft wie Papa. Er trug einen Koffer und zwei Plastiktüten, das konnte nur Stefan sein und der hatte keine Ahnung, dass ich ein Kind bekam. Ich hatte es ihm nicht geschrieben, damit er keinen Grund hatte hier aufzutauchen. Wo kam er her, und was wollte er?
Wie immer lachte er von Weitem. Die Kinder freuten sich. Bis er da war, hackte ich vor Wut noch ein paar Holzstücke klein. Dann stand er vor mir mit seinen Sachen, es sah aus, als ob er hier bleiben wollte. Freuen konnte ich mich nicht. „Was machst du, Anne“, fragte er wie immer. „Du siehst doch, dass ich Holz mache für den Winter“, gab ich ihm zur Antwort. „Machst du schon wieder ein Kind?“ Sein dummes Geschwätz passte mir nicht, und ich machte am Holz weiter. Tina fing an den Korb zu füllen und die Katze saß auf dem Sand und schaute zu.
Er stellte seine Sachen in den Flur, schaute uns einen Augenblick zu, und weil wir uns bei unserer Arbeit nicht stören ließen, wollte er uns etwas Besonderes zeigen. Er hob ein schönes Stück Holz vom Boden auf, zeigte auf die Katze und sagte: „Jetzt passt mal ganz genau auf.“ Dann warf er das Stück Holz der Katze genau zwischen die Augen. Ich konnte es nicht fassen, die Katze war sofort tot. Die Kinder schrien und schlugen auf ihn ein. Er lachte und wollte, dass ich ihm zeigen sollte, wo er seine Sachen auspacken konnte.
Ich zeigte ihm das Schlafzimmer und fragte, warum er gekommen war, er hätte doch angekündigt nie wieder zu uns zu wollen. Er erzählte, dass er schon morgens mit dem Zug angekommen sei , und bis jetzt bei meinem Bruder Hans war.
In Stuttgart hatte er schnell verschwinden müssen. Die Frau, bei der er immer wohnte, hatte ihm irrtümlich 600.-- Mark gegeben. Es war der Lohnsteuer-Ausgleich seines Mitbewohners, Stefan stand ja keiner zu, weil er im vergangenen Jahr gar nicht in Deutschland war. Er hatte das Geld genommen, seine Sachen gepackt und war gleich danach verschwunden.
Unter normalen Umständen wäre er sicher nicht gekommen. Ich hasste ihn dafür. Die nette alte Dame oder der Briefträger, würden das Geld am Ende bezahlen müssen, dachte ich. „Du kannst hier nicht bleiben, wir haben kein Bett für dich.“ Er ging zur Tür und sagte: „Ich werde eines bei deinem Bruder holen, er hat alles.“ Dann verschwand er, und die Kinder heulten immer noch.
Stefan war weg und Heinz ging die Kühe treiben. Tina konnte sich nicht beruhigen. Morgen wollte sie Minka beerdigen. Ich legte die Katze auf Papier, und trug sie in die Scheune. Dann versorgte ich noch das Dreirad. Als die Kinder mit der Milch kamen, machte sich Heinz an der Tür zu schaffen. Da ich dabei war, das Abendessen zu richten, achtete ich nicht darauf, was er machte.
Wir aßen noch einmal in aller Ruhe. Denn mir war klar, unsere schöne Zeit war jetzt vorbei. Dann kam Stefan mit meinem Bruder vors Haus gefahren.
Hans wollte zur Küche herein, aber die Tür war zu. Ich hatte sie nicht zugeschlossen. Darum stand ich auf, um aufzuschließen. Der Riegel war vorgeschoben, das musste Heinz gemacht haben. Den Riegel schob ich auf und die Tür war immer noch zu. Das Schloss war auch abgeschlossen, aber der Schlüssel war weg. „Heinz, wo hast du den Schlüssel gelassen?“ Ich bekam keine Antwort.
Langsam wurde ich böse, ich verstand ihn ja, ich wollte Stefan auch nicht haben, aber der Schlüssel musste her. Schließlich kam Heinz, zeigte auf ein Astloch im Fußboden und behauptete Tina hätte den Schlüssel dort hineingesteckt. Ich ging durch die Schlafzimmer hinaus und fragte Hans, ob er eine Taschenlampe dabei hätte. Mit der Taschenlampe ging ich jetzt in den Keller. Der Kartoffelkeller war unter der Küche. War ich froh, dass die Küche keinen doppelten Fußboden hatte, genau unter dem Astloch lag der Schlüssel.
Während ich die Tür jetzt aufschloss, brachten Stefan und Hans ein Bett. Das ließ ich in die Küche stellen. Stefan wollte wissen warum. Ich erklärte, dass ich ja schließlich Platz brauchte, wenn die Hebamme kam und das war mitten in der Küche am besten. Da konnte die Hebamme von allen Seiten heran. Hans verstand das, aber Stefan schüttelte den Kopf und meinte, ich sei verrückt. Als das Bett stand, ließ ich die Matratzen ins Schlafzimmer tragen.
Ich wollte das Bett zuerst gut abwaschen, danach durfte Hans es zusammenbauen. Aus meinem Bett holte ich danach das Bettzeug, weil ich es von Frau Hendrich bekommen hatte. Bei dem was Hans da brachte wusste ich nicht, woher es stammte. Ich war eigen was mein Bett betraf. Als ich endlich alles geregelt hatte, war ich fix und fertig.
Morgen wollte Hans meinem Mann ein Mofa besorgen, das würde er in dieser Gegend unbedingt brauchen. Stefan hatte vor, bei der großen Fabrik am Bahnhof nach Arbeit zu fragen, das hatte Hans ihm geraten. Ich fragte mich wieder einmal, warum er nicht selbst nach Arbeit fragte.
Stefan hatte es wichtig mit Hans, Sie wollten sich am nächsten Morgen wieder treffen. „Aber nicht so früh“, bat Hans, „ich stehe nicht vor zehn Uhr auf.“
Jetzt haben die beiden auch noch Freundschaft geschlossen, dachte ich und brachte die Kinder ins Bett. Als Stefan im Schlafzimmer verschwunden war, ließ ich mich total k.o. ins Bett fallen. Mir tat alles weh. Ich dachte nicht lange nach und schlief ein.
Bis zur Morgendämmerung, schlief ich fest und bestens. Dann wurde ich plötzlich wach und spürte einen reißenden Schmerz im Rücken. Nein, dachte ich, bitte jetzt nicht. Ruhig blieb ich liegen und es ging eine ganze Weile gut. Mit Sicherheit hatten die Wehen eingesetzt, aber die Pausen waren noch lang und ich blieb noch im Bett.
In Gedanken ging ich der Reihe nach durch, was ich noch alles machen musste, bevor ich die Hebamme rief. Handtücher herrichten, Wasser auf den Herd stellen, und die Wäsche für das Kind wollte ich herrichten. Aber alles erst wenn Stefan weg war. Ihn wollte ich nicht hier haben. Weiterhin blieb ich still im Bett liegen und hoffte, dass es nicht so schnell losging.
Um sechs Uhr stand ich vorsichtig auf und kleidete mich an. Dann richtete ich den Frühstückstisch, verzichtete aber vorerst auf den Kaffee, denn das war jetzt nicht gut. Die Wehen kamen ungefähr alle fünf Minuten ich hatte also noch Zeit. Ich stellte den großen Topf auf den Herd und füllte ihn mit Wasser, dann ging ich zum Brunnen und füllte noch zwei Eimer Wasser. Die schleppte ich mit mehreren Pausen ins Haus.
Dann war Stefan auch aufgestanden. Er bekam sein Frühstück und eine Tasse Kaffee. „Du hast ja eine Maschine für Kaffee“, staunte er, „vielleicht hast du zu viel Geld.“
Ich hörte nicht auf sein dummes Geschwätz und wartete sehnsüchtig darauf, dass er endlich verschwand. Heinz machte einen Spalt von der Tür auf, dann ging er zurück ins Schlafzimmer und flüsterte: „Der ist noch da.“ Ich rief: „Anziehen, und frühstücken.“ Als sie zum Waschen im Flur waren, ging ich zu Frau Hinrich.
Ich bat sie der Hebamme anzurufen. Sie ging gleich noch mal in die Wohnung und meinte: „Das freut mich aber, dass ihr Mann noch früh genug gekommen ist, der ist ja nett!“ Ich sagte nichts darauf und war froh, als ich wieder in der Küche auf dem Stuhl saß. Ab jetzt würde ich mich keinen Meter mehr bewegen.
Endlich stand Stefan auf, holte seine Anzugjacke und eine Plastiktüte, mit seiner legendären Zeugnisübersetzung, dazu seinen Pass und sagte: „Ich gehe jetzt, wegen Arbeit und dann fahre ich noch nach Vlotho, da soll es auch viele Griechen geben. Danach gehe ich mit deinem Bruder ein Moped kaufen. Zum Essen komme ich erst am Abend.“
Er konnte es sich nicht verkneifen, warf noch einen Blick auf die Kaffeemaschine und fragte: „Was hat das gekostet? Im Dorf, in Griechenland, hat es jetzt auch Strom, ich werde das mitnehmen.“ „Da kann man keinen griechischen Kaffee mit machen!“ Rief ich ihm nach und atmete tief durch.
Die Kinder hatten kein Wort mit ihm gesprochen, sie trauerten noch um die Katze. Ich sollte hinaus gehen und ein Loch graben. Heinz lief in die Dehle, um nach der Katze zu sehen, dann kam er zurück und verkündete: „Die Minka ist immer noch tot.“ „Ich kann euch jetzt kein Loch machen“, klagte ich, „ich habe Bauchschmerzen, wenn ihr es eilig habt, macht selber ein Loch. Morgen pflanzen wir dann Blumen darauf.“
Jetzt hatten die Kinder zu tun, und ich meine Ruhe. Ich kochte für mich einen Kaffee und als ich ihn fertig hatte kam die Hebamme. Sie setzte sich gleich zu mir an den Tisch und wollte auch einen Kaffee, sie hatte die ganze Nacht gearbeitet.
Dann untersuchte sie mich und meinte: „Da müssen wir ein wenig nachhelfen. Den nächsten Kaffee mache ich.“ Sie kochte einen Kaffee, den ich kaum trinken konnte, so stark war der. Dann machte sie eine heiße Wärmflasche. Ich musste mich ins Bett legen und sie warf mir die Wärmflasche ins Kreuz. Gerade wollte ich mich beschweren, da zeigte sich die Wirkung. Jetzt kamen die Wehen Schlag auf Schlag.
„Es geht noch eine Weile“, bemerkte die Frau, und nickte immer wieder auf ihrem Stuhl ein. Alles hatte sie auf dem Tisch bereit gelegt, ich sollte sie wecken wenn die Presswehen einsetzten. Als es dann so weit war, war sie hellwach, und noch vor dem Mittagessen schrie unser kleines Mädchen.
„Das ist aber ein schönes Mädchen“, bemerkte die Hebamme, als sie die Kleine in ein Badetuch wickelte. Dann gab sie es mir in den Arm und füllte die Geburtsurkunde aus. Weil mein Mutterpass in Griechenland von den Mäusen gefressen war, stellte sie mir einen neuen aus. Dann wollte sie wissen, wie die Kleine heißen sollte.
Da Heinz nach meinem Vater Heinrich abgeleitet war fand ich Lena gut, denn meine Mutter hieß Magdalene. Sie fand, das sei ein schöner Name und trug es ein. Dann zog sie Lena an und wickelte sie. Die Wäsche gefiel ihr, es war alles so schön gerichtet.
Sie lobte mich. Danach legte sie mir das Kind in mein Bett und ging heim, Schlaf nachholen. Am Abend wollte sie wiederkommen. Als die Frau vom Hof fuhr, kamen Heinz und Tina und wollten sehen was die denn bei uns gemacht hatte, da sahen sie das Baby und Heinz rannte sofort zu Frau Hinrich. „Da war eine Frau bei uns, die hat uns ein Baby gebracht.“
Er war so aufgeregt und wusste nicht einmal ob es ein Mädchen war, oder ein Junge. Frau Hinrich brachte den Stubenwagen, den sie anscheinend extra für uns gekauft hatte und kam mit Heinz zu uns.
Ich hatte Hunger und stand auf, um das Essen von gestern, auf dem Herd warm zumachen. Die Kinder hatten ja auch noch nichts gegessen. Wir legte die Kleine in den frisch duftenden Stubenwagen, und Frau Hinrich half mir, das Bett an die Wand zu schieben. Jetzt wollte ich wieder Platz in der Küche haben
Die Bäuerin fragte: „Wo ist denn ihr Mann?“ „Auf Arbeitssuche“, gab ich zur Antwort. Mir tat es leid, dass ich ja nun bei der Kartoffelernte nicht mehr helfen konnte, aber Frau Hinrich meinte: „Vielleicht hilft ihr Mann ja, ich werde ihn fragen.“ Ich hatte niemals über meinen Mann geschimpft, deshalb wusste niemand über ihn Bescheid. Weil im Dorf so viel getratscht wurde, hatte ich es vermieden zu viel Persönliches preiszugeben. Durch meinen Bruder hatte ich ja nicht den besten Ruf, und das wollte ich nicht noch verschlimmern.
Frau Hinrich beteuerte, dass die kleine Lena ein besonders schönes Kind sei. Dann ging sie, das Essen für ihre beiden Männer zu machen. Von dem höflichen Gerede hielt ich nicht viel, ich hatte noch nie gehört, dass jemand sagte: Das ist aber ein hässliches Kind. Heinz und Tina konnten sich nicht sattsehen an dem Baby, aber jetzt mussten sie zum Essen an den Tisch. Heinz erzählte wie sie das Loch für die Katze gemacht hatte, und das die jetzt beerdigt sei. Sie wollten noch ein Kreuz auf das Grab und eine schöne Blume.
„Morgen“, versprach ich meinen Kindern, „Morgen machen wir ein schönes Grab.“ Wir waren schon mit dem Abendessen fertig, da kam Stefan mit einem alten Moped auf den Hof gerattert. Er ließ es gleich auf dem Hof stehen und kam in die Küche. „Ja“, sagte er, „da steht das Bett besser als mitten in der Küche.“ Dann sah er den Stubenwagen an und meckerte: „Hast du schon wieder eingekauft?“ Ich sagte der sei von Frau Hinrich. Er schaute hinein und sah Lena. „Wann hast du das gemacht?“ Fragte er lachend.
Heinz erzählte ihm, dass eine Frau da war und das Baby gebracht hatte. Jetzt merkte er, dass ich nicht mehr so dick war. Dann kam der richtig dumme Satz: „Ich kann dich in neun Monaten ganz dick machen und in einem Tag wieder ganz dünn.“ Mir war nicht zum Lachen. Darum fing er an zu erzählen.
Gleich bei der Fabrik am Bahnhof hatte er eine Stelle bekommen, die sei gut bezahlt und am Montag konnte er anfangen. In Vlotho hatte er Bekanntschaft gemacht mit mehreren Landsleuten. Sie hätten sogar eine griechische Kirche hier. Da wollte er alle drei Kinder taufen lassen und Paten hätte er auch schon gefunden.
Ich machte ihm klar, dass vorerst mit der Taufe nichts los sei. „Nein, das geht auch noch nicht bei dem da, das muss drei Monate alt sein, denn die werden ganz unter Wasser getaucht.“ Dann plötzlich wollte er wissen ob es ein Mädchen oder ein Junge war. Ich sagte es sei ein Mädchen. Er darauf: „Egal Hauptsache Mensch und keine Maus, wir werden es Eleni nennen.“ „Das Mädchen heißt Lena“, sagte ich und war von seinen Witzen genervt, „Du weißt genau, dass in Deutschland die Hebamme den Namen sofort wissen will.“
Nun begann er über meinen Bruder zu lästern. Mit ihm war er zum Moped kaufen gefahren. Er konnte nicht verstehen, wie der an Müll so eine Freude hatte. Dieses Mal hatte er Recht, aber ich sagte nichts dazu.
Nach dem Abendessen kam die Hebamme und versorgte das Kind. Sie war wieder hellwach und gut erholt. Als sie Stefan sah, gratulierte sie ihm überschwänglich zu seiner schönen Tochter. Dann glaubte sie ihm beibringen zu müssen, dass er mich ein paar Tage nichts arbeiten lassen sollte. Aber das hätte sie sich sparen können. Denn schon am nächsten Tag fing er an Fahrstunden zu nehmen. Das Moped war ihm nicht schnell genug, jetzt musste ein Auto her. Die 600.-- Mark, die er sich ergaunert hatte, mussten schnellstens ausgegeben werden.
Die Kinder wollten bei mir in der Küche schlafen, aber das war mir zu anstrengend.
Sie mussten in ihr eigenes Bett. Ich überlegte ob ich nicht doch das große Schlafzimmer, auf der anderen Seite vom Flur herrichten sollte. Aber in der Ecke an der Decke war ein schwarzer Fleck, es schien da feucht zu sein. Vielleicht doch lieber ein Schlafzimmer mehr, auf dieser Seite. Ich würde es putzen und für Stefan herrichten, nahm ich mir vor. Aber die nächsten Tage nicht. Zuerst wollte ich zu Kräften kommen, außerdem hatte ich Nachwehen.
Den Rest der Woche hatte Stefan immer etwas vor, und saß andauernd bei meinem Bruder herum. Wenn er dann heim kam, machte er ihn lächerlich. Am Freitag kam abends der Jungbauer und fragte meinen Mann, ob er nicht bei der Kartoffelernte helfen könnte. Er lachte und sagte nein, für solche Arbeit hätte er gar keine Kleidung. Der Jungbauer brachte ihm eine Hose und Gummistiefel. „Alle, die in meinen Häusern wohnen helfen bei der Ernte, so war es immer schon.“
Das war deutlich und er ging murrend mit aufs Feld, als es am Samstag losging. Am Abend, als er wieder zu Hause war, hatte er über alle, die gearbeitet hatten, etwas Schlechtes zu berichten. Die Bäuerin war aber zufrieden mit seiner Arbeit und lobte seinen Fleiß. Sie wusste von ihm sowieso immer nur das Beste zu berichten. Sie ging sogar soweit, dass sie behauptete ich könnte froh sein, so einen guten Mann zu haben.
Nun ging er also regelmäßig zur Arbeit und anschließend fuhr er nach Vlotho um dort Fahrstunden zu nehmen, oder seine neuen Freunde zu besuchen. Meistens waren die Kinder schon im Bett, wenn er zu Hause ankam. Frau Hinrich glaubte, dass er die ganze Zeit arbeitete und bewunderte mich um meinen tollen Mann.
Gartenarbeiten machte ich nur im Notfall, denn so kurz nach der Entbindung, hieß es früher, sollte man die Arbeit mit Erde meiden. Aber das kleine Grab von Minka, half ich den Kindern schön anlegen. Wir pflanzten Blumen darauf und rings herum steckten die Kinder Zweige vom Buchsbaum. Es sah aus, als ob eine kleine Hecke um das Grab wuchs. Wir fanden einen schönen Stein, auf den wir mit Farbe und Pinsel „Minka“ schrieben. Die Kinder hatten jetzt ihre „Minka-Gedenk-Stätte“.
Mein Mann hatte sich inzwischen hier angemeldet. Es dauerte nur wenige Tage, da kam ein Brief aus Stuttgart von der alten Dame. Sie bat ihn doch dringend das Geld zurückzahlen, was sie ihm irrtümlich gegeben hatte, denn der Briefträger dort, verlangte es von ihr. Schließlich hatte sie auf der Zahlkarte unterschrieben. Sie schrieb so freundlich und glaubte anscheinend Stefan hatte nicht gemerkt , dass es ihm nicht gehörte. Stefan las den Brief und lachte schadenfroh: „Die hat viel Geld, die kann das bezahlen. Sie ist so alt, wozu braucht sie Geld?“
Der Briefträger von uns, war nun beauftragt der Sache auf den Grund zu gehen. Ich hatte so Angst vor Stefan, also antwortete ich dem Briefträger: „Ich weiß es nicht, ich kann dazu nichts sagen.“
Laufend kamen Briefe von Stuttgart von der Vermieterin und der Ton wurde langsam schärfer. Ich hoffte, dass sie ihn anzeigte, aber sie tat es nicht. Statt dessen kam täglich der Briefträger und löcherte mich mit Fragen.
Eines Tages nahm ich ihn mit ins Haus und fragte ihn, was mein Mann denn für eine Strafe bekommen würde, wenn er das Geld hätte. Er meinte dazu: „Strafe wird er keine bekommen, er hat ja das Geld von der Dame bekommen und nicht gestohlen. Er muss das Geld zurückbezahlen und mehr nicht, notfalls in Raten.“ „Nein, das ist mir zu gefährlich“, erklärte ich ihm, „denn wenn er erfährt. dass ich etwas gesagt habe, schlägt er mich am Ende noch tot. Wollen sie das?“ Nein, das wollte er nicht. Also schrieb er einen Bericht: Die Ehefrau befragt, keine Angaben. Auch Stefan wurde befragt und man glaubte ihm seine Lügen.
Einmal kam noch ein Brief von der alten Dame, danach war der Fall erledigt.
Als dann die Rüben Ernte war, fühlte ich mich eigentlich schon sehr gut und versprach zu helfen. Das war aber erst die fünfte Woche, nach der Geburt von Lena.
Es waren viele Helfer da, und die hatten mächtig Tempo drauf. Wir zogen immer zwei Reihen auf einem Mal, als ich die ersten zwei Reihen gezogen hatte, wurde es mir so schlecht, dass ich wieder nach Hause ging. Die Bäuerin sah das ein, aber die anderen lachten über mich und tuschelten. Nachher wusste es das ganze Dorf.
Als dann Stefan mit seinem Führerschein ankam, dachte ich jetzt wird er bald ein Auto kaufen. Ich wollte gern das Moped behalten, dann hätte ich auch schnell mal etwas besorgen können.
Er prahlte mit seinem Führerschein, der sei international und las vor in welche Länder er damit reisen konnte. Dann fuhr er eines morgens mit dem Moped zur Arbeit und kam am Abend mit einem alten Opel zurück. Das Moped hatte er nicht mitgebracht.
Der Pastor beobachtete meinen Mann mit Unbehagen. Er hatte beobachtet, dass er das Geld mit vollen Händen ausgab. Von seiner Frau hatte er inzwischen erfahren, dass die mir zwanzig Mark geschenkt hatte. Das tat ihm jetzt sehr leid. Ich sagte nur, dass ich von dem Geld meines Mannes nichts gesehen hätte.
Nun fuhr er täglich seine Runden. Zuerst zur Arbeitsstelle und anschließen nach Vlotho. Was er dort machte, wollte ich nicht wissen. Zu meinem Bruder fuhr er nicht mehr, vielleicht wollte mein Bruder Geld von ihm „ausleihen“. Zuhause verhielt er sich ruhig und machte keinen weiteren Ärger.
Über die Frauen hier auf dem Hof schimpfte er: „Die sind verheiratet, aber sprechen ganz ungeniert mit fremden Männern.“ Besonders Frau Hinrich konnte er nicht leiden, da die ja rauchte und mir auch hin und wieder eine Zigarette anbot. Sie meinte es immer gut mit mir und den Kindern, und das passte ihm gar nicht.
Die Fabrik, in der er arbeitete, war sehr sozial eingestellt und kümmerte sich immer um die Sorgen der Arbeiter. So klagte er dann auch, dass er eine schlechte Wohnung hatte. Als er dann auch noch ohne Auto eines Tages nach Hause kam, und ja auch kein Moped mehr hatte, war ihm der Weg zur Arbeit zu weit. Ich musste ihn darauf hinweisen, dass seine Familie in Griechenland auch kein Wasser hatten und sogar keinen Strom.
Sein Geld schien aufgebraucht zu sein. Er behauptete keine Rücklagen mehr zu haben und wollte auch kein Geld von seinem Lohn abgeben, für den Haushalt. Ich hatte immer noch ein wenig Geld im Versteck, aber das wollte ich nicht nehmen. Da kam Frau Hinrich mit ihrem Büchlein zum Abrechnen. Er schaute ganz gierig auf das Geld und wollte es gleich „verwalten“. Wenn ich zum Einkaufen müsste, wollte er mir jedes Mal das Geld dafür geben. Wenn das dann aufgebraucht wäre, dann gäbe er von seinem Geld.
Ich glaubte ihm kein Wort, Frau Hinrich meinte, das sei doch eine gute Lösung. Etwas ungehalten sagte ich: „Er soll für den Haushalt sorgen und das Geld behalte ich für die Kinder, die brauchen auch wieder Schuhe." Frau Hinrich gab mir dann Recht, Jetzt bemerkte Stefan ganz nebenbei: „Wir ziehen aus in ein paar Tagen, ich habe eine bessere Wohnung gefunden.“ Mir war es als ob mir jemand auf den Kopf geschlagen hatte. Nun ging Frau Hinrich immer weinend über den Hof. Bei ihr wusste ich nicht, ob sie jetzt wegen der Kinder weinte oder wegen Stefan. Sie hatte an Stefan einen Narren gefressen.
Die Kinder wollten auf gar keinem Fall hier weg. Sie wollten bei ihrer toten Minka bleiben und Heinz wollte die Kühe nicht in Stich lassen. Natürlich verstand ich die Kinder, ich wollte ja auch nicht weg. Am Abend sprach ich Stefan noch einmal darauf an. Nun erfuhr ich dann auch, dass die Wohnung ganz in der Nähe der Fabrik war, und ich dann abends noch eine Putzstelle hatte ab vier Uhr. Ich sollte ihm dankbar sein, dass er so gut für uns sorgte. Mit Putzen konnte ich dann soviel Geld verdienen, wie ich für den Haushalt brauchte. Kurz dachte ich daran ihn umzubringen, aber das konnte ich den Kindern nicht antun.
Am Freitag Nachmittag kam ein großer Wagen von der Fabrik wo Stefan arbeitete und wollte die Möbeln holen. „Nein, die Möbeln können wir nicht mitnehmen, nur das was ich von Heinz bekommen habe. Die Betten und der Küchenschrank gehören den Hinrich.“ wies ich den Fahrer an. Genau sortierte ich das, war mir gehörte und das von der Bäuerin. Mir war es sogar peinlich, den Stubenwagen mit zunehmen.
Die Brikett hätte ich mitnehmen können, die hatte ich bezahlt, aber Stefan fühlte sich zu fein, die aus dem Keller zu holen. Als sie an die Betten gingen, sagte ich: „Nur das Bett was in der Küche steht, die im Schlafzimmer gehören uns nicht.“ Die anderen Betten zog ich ab denn ich hatte ja so kaum Bettwäsche.
Die Lampe in der Küche hätte uns auch gehört, aber Stefan meinte, dass wir die nicht brauchten. Stefan ging zu Frau Hinrich, er wollte ihr die Lampe da lassen, und dafür die Betten mitnehmen. Frau Hinrich hatte geantwortet: „Nehmen sie ruhig mit, was sie brauchen.“ Da nahm er die Betten mit und auch den Küchenschrank. Ich schämte mich weil er so unverschämt war.
Neben der Fabrik waren einige Wohnblocks, sehr modern und jeweils vier Familien in einem Haus. Ich dachte dass wir dort sicherlich eine schöne Wohnung bekämen. Also tröstete ich mich ein wenig damit. Er stieg mit in das Auto und nahm Heinz mit. Tina und ich sollten mit dem Kinderwagen nachkommen. „Bis zum letzten Haus vor dem Bahnhof, da siehst du uns dann.“ So beschrieb er mir den Weg. Das war ganz in der Nähe der Wohnblocks.
Wir nahmen Lena und gingen los. Frau Hinrich weinte als wir uns verabschiedeten und ihr Mann hatte noch ein paar Bonbons für Heinz. "Holen wir Minka morgen?", wollte Tina wissen. "Wenn wir dort auch einen Garten haben", kam es nachdenklich von mir.
Die Straße machte einen Bogen, als wir dann den Bahnhof sehen konnten, sahen wir das Auto bei einem kleinen Haus an der Straße. Ich war enttäuscht, da konnten die Kinder nicht einmal vor dem Haus spielen. Das Haus hatte zwei Zimmer und eine kleine Küche. Kein Bad, keine Toilette. Die war draußen hinter dem Haus in einer Bretterbude. Wo der Wind durch alle Ritzen Pfiff. Ein unangenehmer Ort besonders nachts oder im Winter. Ich durfte gar nicht nachdenken.
Nun begann ich die Wohnung einzurichten. Ins Schlafzimmer kam Stefan mit Tina und Heinz und mein Bett und Lenas Körbchen stellten wir in die Stube. Denn wir hatten ja keine Stubenmöbel. In die Küche stellten wir den Tisch, die Stühle und die Nähmaschine, natürlich auch den Küchenschrank und den Elektroherd. In der Ecke von der Küche stand noch ein kleiner Kanonen-Ofen. Ein großer Ofen war in der Stube. Es waren aber nur ein kleines Fenster in der Stube, das spärliche Licht reichte um zu sehen wo man lief, damit man nicht stolperte. Mir gefiel die Wohnung nicht.
Der Inhaber der Wohnung wohnte in einem großen Haus, auf dem gleichen Grundstück. Er war ein Arbeitskollege meines Mannes und scheinbar froh, dass er einen Dummen gefunden hatte, der Miete für das lange leerstehende Haus bezahlte. Der Kollege hatte eine Frau und zwei Jungen. Die Buben hatten viele Spielsachen und Heinz spielte meistens bei ihnen.
Ich musste jetzt nachmittags um vier Uhr zur Arbeit. Das Betriebsklima war ganz einmalig. Man bekam bei der Lohnabrechnung immer alles ausgezahlt, bis auf die Kleingeldbeträge, die unter einer Mark lagen. Das Geld kam in die Gemeinschaftskasse, die nur für die Mitarbeiter verwendet wurden. Zum Beispiel bei Festlichkeiten, Trauerfällen oder wenn jemand in Not war. Der Betriebsrat interessierte sich für jeden einzelnen Arbeiter. Es gehörten auch Handwerker zum Personal, die auch jederzeit bei jedem Arbeiter eingesetzt werden konnten.
Ich hatte dort mehrere Werkstattbüros zu putzen und einen Teil der Buchhaltung. Die Arbeit war gut bezahlt und ich war nach drei Stunden wieder zu Hause. Die Kinder waren eine Stunde allein, in der Zeit schaute die Nachbarin nach ihnen. Bis um sieben Uhr wollte Stefan daheim bleiben, bevor er zu seinen Freunden fuhr. Er hatte besonderes Glück, denn der Bus hielt direkt bei uns vor dem Haus. Zum Bahnhof waren es auch nur zwei Minuten.
Die Griechen in Vlotho hatten Vereine in denen geboxt und gerungen wurde. Ich vermutete dass er dort der große Star war, bei seiner Schlagkraft.
Gleich in den ersten Tagen hatte Heinz einen Unfall beim Spielen. Die anderen Kinder hatten eine Reckstange zwischen zwei Türpfosten und Heinz machte Klimmzüge. Dann rutschte er ab und kam mit dem Kinn auf die Stange und biss sich in die Zunge. Ich war schon bei der Arbeit, und Stefan musste mit Heinz zum Arzt fahren, weil er furchtbar aus dem Mund blutete.
Heinz wollte jetzt auch nicht mehr zum Spielen dorthin, drum spielten sie auf einer großen Wiese, die neben dem Haus war. Die Wiese war stellenweise nass und es floss ein Bächlein hinter dem Haus. Heinz und Tina spielten dort, kamen nass und dreckig nach Hause, machten auch die nächste Kleidung wieder schmutzig und nass, bis keine Kleidung mehr sauber war. Mir riss die Geduld. Als das letzte Paar Schuhe und die letzte Jacke versaut waren, gab es ein paar Schläge auf den Hintern. Die Nachbarn rissen die Fenstern auf, und schimpften mich, weil die Kinder mordsmäßig schrien. Dabei waren die meisten Schläge vorbei gegangen. Ich war genervt und die zwei mussten fortan im Haus bleiben.
Am Abend legte ich eine Spätschicht ein und wusch die schmutzigen Sachen, die ich dann morgens gleich auf die Leine hängte. Danach hatten sich die Kinder anscheinend erkältet, denn am nächsten Tag hatten sie Fieber. Sogar Lena hatte erhöhte Temperatur. Ich wusste nicht, ob sie erkältet waren, oder vielleicht Masern bekamen. Nach dem Mittagessen wollte ich mit ihnen zum Arzt gehen. Stefan sollte mich bei der Firma entschuldigen.
Er kam zum Mittagessen und ich hatte den Tisch gedeckt. „Wo sind die Kinder?“ Wollte er von mir wissen. Nun er klärte ich, dass sie im Bett waren, und alle drei Fieber hatten. Als ich sagte, dass ich nachmittags zum Arzt wollte und er sollte in der Firma sagen, heute käme ich nicht, sah ich schon die dicke Ader auf seiner Stirn. Jetzt war alles zu spät.
Zuerst flog das Geschirr und das Essen durch die Küche, dann schlug er mit Fäusten auf mich ein und zu guter Letzt nahm er einen Stuhl, den er auf meinem Kopf zerschlug. Die Kinder sprangen in Nachthemden auf die Straße und schrien. Kein Mensch kam zur Hilfe. Ich war furchtbar zugerichtet. Er sagte: „Wenn du heute Abend nicht zur Arbeit gehst, mache ich weiter!“
Dann ging er ohne zu essen, das Essen war ja auch auf dem Fußboden. Als er weg war, weinten wir alle. „Wenn ich groß bin,“ sagte Heinz, „Dann schlage ich ihn auch.“ Das konnte mich nicht trösten, denn so lange wollte ich nicht warten. Lena war die erste die sich wieder beruhigte, sie hatte ja auch am wenigsten mitbekommen.
Die Kinder gingen wieder in die Betten und nach dem Fiebermessen stellte ich fest, es war scheinbar blinder Alarm. Ich überlegte, ob ich vielleicht mal irgend Jemandem von Stefan erzählen sollte, aber ich war mir nicht sicher wem ich vertrauen konnte. Wenn Hans sich mit ihm anlegen würde, wäre er ihm unterlegen. Mit einem nassen Lappen kühlte ich meine blauen Stellen im Gesicht. Dann machte ich meine Haare los, und kämmte sie damit mein Gesicht von den Haaren ein wenig verdeckt war. Am Nachmittag ging ich wie gewohnt zur Arbeit.
Am Abend war er mehr als freundlich und wollte sich mit mir versöhnen. Er war so naiv, dass er glaubte ich würde jetzt mit Freuden, zur Versöhnung zu ihm ins Bett liegen. „Nein“, ließ ich ihn wissen, „mit einem Schläger wollen die Kinder und ich, nichts zu tun haben.“ In den nächsten Tagen war er wieder so freundlich, dass es beängstigend war. Ich traute ihm nicht und wusste genau, er plante wieder etwas. So gut kannte ich ihn schon. Wenn er sich vor Freundlichkeit übertraf und Dinge machte, die er sonst nie machte, dann wollte er etwas. Nun hieß es für mich auf der Hut sein.
Am Morgen machte ich den Kindern klar, dass ich kurz mit dem Bus weg musste. Lena war trocken und satt und Tina und Heinz sollten spielen. Ich würde mit dem Bus wegfahren, und mit dem nächsten wieder kommen. Sie sollten am Fenster schauen wenn der Bus kam. Eigentlich hatte ich vor, zum Arzt zu gehen, aber solange wollte ich die drei nicht allein lassen. Also fuhr ich in die Stadt, ging gegenüber in die Apotheke und kaufte mir dort ein Verhütungsmittel. Ich hatte von einer Paste gehört die sehr sicher war. Danach stieg ich gleich wieder in den Bus und fuhr zurück. Zu Hause las ich die Anwendungs-Anweisung und legte es weg, Für den Notfall war ich jetzt gerüstet, ich wollte auf gar keinem Fall noch einmal ein Kind von ihm.
Heinz und Tina waren ganz brav als ich weg war, sie wollten mich nicht ärgern. Lena war sowieso ein artiges Baby, die nur dann schrie, wenn es einen Grund gab. Ich war so stolz auf die Kleinen.
Es war schon kalt geworden, und die Kinder fragten ob das Christkind bald käme. „In zwei Wochen zünden wir die erste Kerze an“, erzählte ich ihnen. Die Vorfreude auf Weihnachten kam langsam in mir auf. Ich fing an zu überlegen, was ich den Kindern schenken wollte, aber dann verwarf ich es wieder.
Stefan mit seinem Geiz, würde keine Geschenke dulden. Fast täglich fuhr er mit dem Bus zu seine Freunden. Wenn er dann weg war, zündete ich mir jedes Mal aus Freude eine Zigarette an. Heinz beobachtete das ganz genau und kam schon mit der Schachtel, wenn er zum Haus hinaus war. Eines Tages, war er auch zur Tür hinaus und Heinz brachte die Zigaretten. Schnell zündete eine an, und da kam Stefan noch einmal zurück, er hatte etwas vergessen. Ich machte die Ofentür auf und warf die Zigarette hinein. Stefan holte seinen Pass und ging wieder. Heinz machte die Ofentür auf und holte die Zigarette wieder aus dem Ofen, sie lag ganz vorn. Trotzdem erschrak ich, und bat ihn nie wieder ans Feuer zu gehen. Ja, der kleine Heinz war ein mutiger kleiner Mann.
Am späten Abend, als Stefan zurück kam, wusste ich dann, warum er den Pass gebraucht hatte. „Am Sonntag werden die Kinder getauft.“ Erfuhr ich also, drei Tage vorher. Ich schlug Hans als Taufpaten vor, aber die hatte er schon bestimmt. „Und was ziehen die Kinder da an, in Eurer Kirche?“ Er hatte mich schon wieder völlig überrumpelt. „Egal“, antwortete er, „die werden ja doch ausgezogen. Nach der Taufe bekommen sie dann frische Kleider an.“ „Was denn für Kleider“. Wollte ich wissen, „weiße?“ Er antwortete : „ja vielleicht.“
Von den Stoffresten, die Frau Hinrich mir gekauft hatte, war noch ein Stoff übrig, er war weiß und hatte ganz keine Blümchen. Er war mir zu hell für Tina, und deshalb hatte ich daraus noch nichts genäht. Nun nähte ich für Tina ein Kleid daraus, knielang es sah schön aus. Für Heinz bekam ich einen Anzug von meiner Nachbarin, den sie aber wieder wollte und ein Taufkleid für Lena, das war weiß. Nun hatte ich die Kleiderfrage geklärt, jetzt musste ich noch etwas zum Essen kaufen, falls Stefan die Taufpaten einlud. So ging ich also am Samstag los, um einzukaufen. Im nächsten Ort, das hatte ich vom Bus aus gesehen, war ein Konsum.
Also zog ich meinen Mantel über und holte meinen Geldbeutel aus der Schublade. Da ich mein Geld immer gut versteckt hielt, glaubte mir Stefan, als ich sagte: „Du musst mir noch Geld geben, ich habe für solche Anlässe kein Geld.“ Er schaute in mein Portemonnaie, und steckte mir fünfzig Mark hinein. „Bring auch ein Stück Fleisch mit“, sagte er noch. Dann ging ich los. Es waren ungefähr zwanzig Minuten von uns aus. Ich lief die Strecke zu Fuß, zumal ein breiter Fußweg genau zu dem Laden führte. Lena wollte ich zuerst mitnehmen, ließ es dann aber, weil der Weg nicht gepflastert war.
Im Laden war ich scheinbar die einzige Kundin, jedenfalls um diese Uhrzeit. Wir suchten in den Regalen was ich aufgeschrieben hatte und zum Schluss fragte ich nach einem Braten. Leider konnte man mir nur noch Hackfleisch anbieten. Nach kurzem Überlegen nahm ich ein Kilo. Ich würde einen Hackbraten machen, dachte ich. Dann rechnete der Verkäufer zusammen und es machte 45.-- Mark. Ich legte den Fünfziger auf den Kassenteller und bekam mein Rückgeld, was ich in meinen Geldbeutel steckte. Der Verkäufer packte mir alles in einen Karton und wünschte mir, dass ich gut heimkäme.
Samstags fuhren nicht so viele Busse, deshalb lief ich auch den Rückweg. Mir fielen fast die Finger ab, bis ich zu Hause ankam. Stefan packte alles auf den Küchentisch und fand vieles überflüssig, was ich eingekauft hatte, war aber mit dem Fleisch zufrieden. Bei ihm spielte nicht die Qualität eine Rolle, sondern die Menge. Dann wollte er wissen was ich bezahlt hatte und schaute in den Geldbeutel.
Mit einem unverschämten Grinsen sah er in den Geldbeutel und lobte mich: „Du musst immer so gut einkaufen, Anne. Du hast mehr Geld mit gebracht wie du vorher hattest, wie hast du das gemacht?“
Ich konnte es selbst nicht fassen, schließlich hatte ich gezahlt, da war ich mir sicher. Es sah so aus, als ob ich mit dem Wechselgeld den „Fünfziger“ wieder eingepackt. Darum steckte ich das Geld zurück in den Geldbeutel und sagte: „Das Geld gehört uns nicht, ich muss es zurückbringen.“ Er überschüttete mich daraufhin mit allen griechischen Schimpfwörtern, die es für dumm und schwachsinnig gab. Nahm das Geld und steckte es weg. Das nächste Mal würde ich das Geld zurückgeben, nahm ich mir fest vor. Also sagte ich nichts mehr dazu.
Im Verlauf des Samstag bereitete ich alles vor, für den Taufsonntag. Stefan interessierte es überhaupt nicht. Nachdem ich einen Obstkuchen gebacken hatte, schälte ich Kartoffeln und putzte Gemüse für das Sonntagsessen. Kochen wollte die junge Frau des Vermieters während wir in der Kirche waren. Die Tatsache, dass ich ihr für den Zweck den Schlüssel geben wollte, war genug Grund für Stefan, einen stundenlangen Streit anzufangen.
Ich gab ihm keine Antwort, und die Kinder blieben auf Distanz zu ihm. Am nächsten Morgen fing ich zeitig damit an, alles für die Familienfeier vorzubereiten. Meiner Nachbarin zeige ich wo ich die Gewürze und Zutaten für das Essen aufbewahrte. Dann fuhren wir mit dem Bus in die Stadt. Die saubere Kleidung und ein kleines Badetuch hatte ich in meiner Einkaufstasche. Stefan wusste, dass ich noch fünf Mark hatte, die sollte ich in der Kirche in den Sammeltopf legen, er als Vater müsste da schon mehr hinein tun.
Dann kamen wir zu einer kleinen Kirche, da durften die Orthodoxen ihren Gottesdienst abhalten. Es waren etwa 20 bis 30 Leute dort. Die saßen aber nicht auf den Bänken, sondern standen im Mittelgang. Dort war auch ein Zuber, der wie ein ganz normaler Waschzuber aussah. Ich fragte Stefan was das soll, er meinte der sei "geheiligt". Wahrscheinlich meinte er damit "geweiht." Mit den Kindern setzte ich mich auf eine Bank und Stefan stellte sich zu den anderen. Dann kam der Pope und sang seine Liturgie, die nicht enden wollte.
Nun kam Stefan mit zwei fremden Frauen, die Kinder zu holen. Sie wurden ausgezogen. Ob sie die Unterhosen anbehalten durften oder nicht, konnte ich nicht sehen. Alle standen um die Wanne herum. Mich beachtete niemand. Erst am Schluss durfte ich die Kinder wieder anziehen. Der Pope sang immer noch, und niemand sah die schönen Kleider der Kinder. Als der Gottesdienst vorbei war, ging ich an der Sammelschüssel vorbei und legte ein wenig Kleingeld hinein.
Stefan musste jetzt mit den Paten feiern, mich schickte er mit den Kindern heim. Zu uns nach Hause lud ich niemanden ein, sie waren mir alle unsympathisch.
Daheim hatte meine Vermieterin den Tisch festlich gedeckt, Dafür hatte sie Geschirr und Besteck von sich geholt, weil ich ja nichts schönes hatte. Sogar zwei Kerzenleuchter standen auf dem Tisch. Ich hatte morgens meine neue selbst gestickte Decke bereit gelegt. Tina und Heinz setzten sich gleich an den Tisch und strahlten. Tina fragte: „Ist das für uns?“ „Natürlich für euch, ihr habt doch Taufe gehabt“ erklärte ich den Kindern. Von der Vermieterin bekamen die Kinder jedes fünf Mark. Da lud ich sie mit ihren Kindern und Mann zum Essen ein. Während ich Lena trocken legte und fütterte, holte sie ihre Familie. Ein Stückchen von dem Hackbraten blieb für Stefan übrig. Bis zum Kaffee berichtete ich, wie es mit der Taufe abgelaufen war. Sie waren sehr erstaunt und der Mann sagte, er wollte Stefan erklären, wie man Familienfeste feiert. Ob die Idee gut war, wusste ich nicht.
Nach dem Kaffee zog ich meine Kinder um, und gab das geborgte Taufkleid und den Anzug, den Heinz getragen hatte zurück. Spät abends kam Stefan auch heim, er versicherte wunderbar gefeiert zu haben. Zwar hatte er ein wenig getrunken, aber ich konnte nicht behaupten, dass er betrunken war.
Er war besonders freundlich und ging auch am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Jede Woche einmal backte ich Plätzchen. Wenn wir sonntags eine Kerze anzündeten, sangen wir Weihnachtslieder und aßen einen kleinen Teller voll von den Plätzchen. Ach, die Kinder freuten sich so auf das Fest und Tina fragte nach dem Weihnachtsbaum vom vorigen Jahr, ob wir den auch wieder aufstellten. „Ja, Tina, natürlich,“ versprach ich ihr.
Am Nikolaustag kam der Nikolaus zu den Kindern, die Nachbarin hatte ihn zu uns geschickt. Stefan sagte nichts dazu. Der Nachbar hatte ihm erklärt, dass man Familienfeste mit der eigenen Familie feiert. Er versprach sich zu bessern, komisch nur, dass ich die einzige war, die das nicht glaubte. Immer wenn er so freundlich war, passierte bald darauf etwas.
Gern hätte ich den Kindern etwas zu Weihnachten gekauft, aber Stefan hatte etwas gegen Geschenke. Ein paar süße Sachen, das sei genug, meinte er. So feierten wir Weihnachten ohne Geschenke und ich las den Kindern aus meinem dicken Märchenbuch vor. Da waren sie auch glücklich. Als ich später allein mit Lena in der Stube war, musste ich weinen, denn ich hatte mir das Fest so schön vorgestellt.
Stefan kam noch einmal ins Zimmer und fragte: „Wann schläfst du mal wieder in meinem Bett?“ „Wenn Lena nachts durchschläft“, gab ich ihm zur Antwort. So gingen auch die Weihnachtstage vorbei und wir mussten wieder zur Arbeit. In einer Nacht schlief Lena so schlecht und war die ganze Nacht am schreien, kann sein, sie bekam den ersten Zahn. Am Morgen dann war ich so müde, dass ich sagte: „Heute lege ich mich noch einmal ins Bett, ich bin todmüde. Bis zum Mittagessen bin ich auf, ich habe Essen von gestern.“
Ich war ganz leise, um die Kinder nicht zu wecken und legte mich noch einmal schlafen. Es dauerte keine fünf Minuten, da war ich schon eingeschlafen. Tina und Heinz kamen aus dem Schlafzimmer und schauten zu mir ins Bett. Nun musste ich doch schon wieder aufstehen, die Kinder anzuziehen und ihnen Frühstück zu machen. Dann durften sie in der Stube spielen und ich bat sie nicht so laut zu sein. Sie gaben sich wirklich Mühe, mich nicht zu wecken und ich schlief wunderbar. Plötzlich weckte mich Heinz: „Mama schnell, die Tina will dem Baby die Haare abschneiden.“
Vor Schreck sprang ich aus dem Bett. In diesem Augenblick fielen große Strähnen Haare auf den Fußboden. Sie hatten mir, da wo sie heran kamen die Haare abgeschnitten. Heinz hatte die Schere in der Hand, schob aber die Schuld auf Tina. Tina sah furchtbar aus, auch sie hatte einen neuen Haarschnitt. Bei Heinz fehlten nur an der Stirn ein paar Haare und Lena war unversehrt. Ich rannte zum Spiegel unmöglich, ein Teil der Haare waren noch lang ein Teil kurz.
Bei Hinrichs auf dem Hof wohnte eine Familie. Die älteste Tochter machte eine Lehre als Friseurin. Ich passte den Briefträger ab, und bat ihn dem Mädchen zu erzählen was passiert war. Es war Montag und das Mädchen hatte frei. Er sollte sie bitten zu kommen, um alles ein wenig gerade zu schneiden. Bis zum Mittagessen war sie noch nicht da. Stefan wollte sich kaputt lachen über unsere Frisuren. Er wollte wissen wer das war. Heinz schob die Schuld auf Tina, und Tina behauptete sie sei es nicht gewesen. Ich sagte: „Eigentlich ist es auch egal wer es war, die Haare sind ab.“
Nach dem Essen kam das Mädchen und bemühte sich redlich aus den vorgeschnittenen Haaren, eine einigermaßen passable Frisur zu zaubern. Sie war ja schließlich noch Lehrling. Ich war ihr für ihre Arbeit dankbar. Meine Haare waren sogar ganz schön geworden. Nur die viel zu kurz abgeschnittenen Ponys der Kinder, die konnte sie auch nicht mehr retten. Als ich um vier zur Arbeit ging, kam mir ein Kollege im Gang entgegen und bemerkte: „Steht ihnen gut, die neue Frisur.“
Eine Woche später war Silvester. Unsere Nachbarin wollte gerne, dass wir gemeinsam ins Neue Jahr feierten. Jeder machte etwas für das Silvester-Essen. Stefan passte das überhaupt nicht. Langsam fing er an mit ihnen zu streiten. Sie waren in seinen Augen schlechte Leute, weil sie nicht arbeitete und eine Bier-Verkaufsstelle hatte, wo fremde Männer sich eine Flasche Bier kauften oder auch zwei. Das gehörte sich nicht in seinen Augen. Trotzdem hatten wir einen ganz netten Abend. Der Mann hatte ein paar Raketen gekauft, die wollte er um Mitternacht zünden. Unsere Kinder hielten nicht durch bis 12 Uhr, sie wollten ins Bett.
Um Mitternacht war alles was in dem Dorf wohnte auf den Straßen, vor ihren Häusern und zündeten Raketen. Ich ging auch mit vor die Tür und schaute mir das Feuerwerk an. Da zog Stefan plötzlich eine Pistole aus seiner Tasche und schoss damit ein paar mal in die Luft. Ich hatte gar keine Ahnung, dass er so etwas hatte, aber er behauptete das sei keine richtige Pistole. Bei den umher stehenden Männern und Jugendlichen gab er an und zeigte das Teil jedem. Damit wollte ich nichts zu tun haben und ging ins Haus meine Küche aufräumen. Von nun an hatte ich richtig Angst vor ihm.
Weil das Wetter am Neujahrstag so schön war, ging ich mit den Kinder spazieren. Stefan war wieder in Vlotho und mich zog es zu Papas Grab. Er hatte Lena noch nicht gesehen und ich musste sie ihm zeigen. Tina fand das auch sehr wichtig, nur Heinz meinte: „Da ist es immer so langweilig.“ Da stand ich nun und klagte ihm still mein Leid.
Passend zu meiner Gemütsverfassung schob sich eine Wolke vor die Sonne. Wir machten noch einen kleine Umweg und gingen bei meinem Bruder vorbei, ihm und seiner Frau wünschte ich ein schönes neues Jahr. „Hast du geweint?“ fragte Hans. Ich sagte beschämt: „Ja, ich war auf dem Friedhof.“ Hans belächelte mich und fragte ironisch: „Und hast du Papa auch ein schönes neues Jahr gewünscht? Mensch Anneliese, der hört dich nicht mehr.“ Ich hatte genug für heute, nahm meine Kinder und ging heim.
Den Ofen in der Stube heizte ich auf Hochtouren, denn das Wetter wurde langsam ungemütlich. Dann setzten wir uns alle auf mein Bett, und deckten uns mit einer Wolldecke zu. Heinz rief: „Au ja, Märchenstunde.“ Wir nahmen auch Lena in die Mitte, und die Kinder durften wählen welches Märchen heute an der Reihe sein sollte. Die Kinder hingen gespannt an meinen Lippen. Wie liebte ich solche Stunden! Abends verdarb uns nicht einmal Stefan die gute Laune.
Seit Neujahr sprachen die Vermieter nicht mehr mit uns, nicht einmal die Kinder durften zu Spielen zu ihren Buben. Ich überlegte was ich wohl falsch gemacht hatte. Einmal hörte ich Stefan auf dem Hof mit dem jungen Mann streiten. Er drückte sich ungefähr so aus: Ich bin ein kluger Mann und lasse mir von dummen Leuten nichts erklären. Vielleicht ging es um die Arbeit, ich fragte nicht. Am Ende bekam ich mit, dass wir im Frühjahr ausziehen sollten.
Jetzt wusste ich ja Bescheid, und ich fragte nicht nach. Nun würde ich mich auch nicht wundern, wenn wieder plötzlich ein Lastwagen vor dem Haus stand. Auf der Arbeit hielt ich Augen und Ohren offen, aber es war alles wie immer, Stefan stand täglich an seinem Arbeitsplatz.
Es vergingen wenige Tage und beim Mittagessen verkündete Stefan:“ „Packst du ein paar Sachen für die Kinder, und bringst die Kinder morgen nach Griechenland.“ Mir fiel vor Schreck der Löffel aus der Hand. „Du kommst dann sofort wieder zurück, bis Dienstag hast du Urlaub und am Mittwochabend musst du wieder zur Arbeit.
Ich versuchte das Unglück abzuwenden und sagte triumphierend: „Ich kann die Kinder gar nicht mitnehmen, sie stehen ja nicht in meinem Pass. Überhaupt Lena, die steht nirgends im Pass.“ Er grinste hinterlistig und verriet mir nun: „“Ich habe alles ganz genau vorbereitet. Die Kinder reisen mit meinem griechischen Pass, den kannst du mitnehmen, ich habe ja noch einen Deutschen.“ Dann legte er alles auf den Tisch, den Pass, in dem auch Lena stand, das Geld für zwei mal Visa, und die Fahrkarte mit Fahrplan, ab hier.
"Nein nein," wehrte ich mich, "ich will meine Kinder nicht wieder nach Griechenland bringen." Seine Ader auf der Stirn war schon wieder da, und ich ging ein Stück zurück.
Er fuhr mich schroff an: „Wir undankbar bist du, ich arbeite wochenlang daran, dass du eine sorglose Reise hast, du musst nur in den Zug einsteigen.“ Ich beherrschte mich ruhig zu bleiben: „Es geht nicht um die Fahrt, ich möchte meine Kinder jeden Tag sehen und will nicht, dass sie wieder nach Griechenland gehen.“ „Fang nicht schon wieder an mich zu ärgern, du musst jetzt endlich zur Arbeit gehen und Geld verdienen. Wenn die Kinder weg sind, kannst du den ganzen Tag arbeiten.“ Dann fügte er noch hinzu: „Wir fahren die Kinder besuchen, sooft du willst.“
Es war zwecklos dagegen zu arbeiten. Er hatte wieder die Ader auf der Stirn und konnte jeden Moment zuschlagen. Schweren Herzens machte ich was er wollte, und packte den Koffer für die Kinder.
Für mich brauchte ich nicht viel, da reichte meine Einkaufstasche. Weil ich die ganze Wohnung mit Tränen übersäte, fragte Tina: „Warum weinst du denn?“ Sie wollte mir ein Märchen erzählen, aber mir war nicht danach. Mir kam aber die Idee, das Buch mitzunehmen für unterwegs, das würde den Kindern die lange Zugfahrt verkürzen. Stefan redete auf Heinz ein: „Du darfst wieder zu deinem Opa und deinem Pferd ,dem Kitscho.“ Das wirkte und Heinz freute sich auf das Pferd.
Na ja, bei den Kinder klappte es noch mit seinen Versprechungen. Die ganze Nacht richtete ich für die Reise. Wir brauchten etwas zum Essen und vor allem Lena brauchte das Fläschchen. Ich musste Wasser abkochen und in Thermosflaschen abfüllen, denn ich hatte keine Ahnung ob ich die Möglichkeit hatte im Zug ein Fläschchen zu machen. Zur Sicherheit nahm ich auch mein meinen geheimen Geldbeutel mit. Tina, Heinz und ich brauchten auch unterwegs etwas zum Essen. Ganz früh ging es los, und wir musste einige Male umsteigen, bis wir in den Zug von Amsterdam einstiegen.
Der Zug war längst nicht mehr so überfüllt, als noch vor ein paar Jahren. Wir fanden ein Abteil nur für uns. Immer wenn jemand in unser Abteil wollte, schreckten ihn die drei Kinder ab. So blieben wir dann auch allein.
Seit so viele Gastarbeiter mit ihren Autos in Urlaub fuhren, und einige sogar das Flugzeug nahmen, war die Fahrt im Zug richtig angenehm geworden. Das Service Personal kam regelmäßig, Ich hatte sogar die Möglichkeit heißes Wasser für Lenas Fläschchen zu bestellen. Auch die Putzfrau kam regelmäßig. Die Kinder genossen es ganz allein mit mir zu sein. Wir lasen „Nils Holgersson“ Die Kleinen hörten gespannt zu. Mir kam es vor, dass der Zug auch schneller geworden war. Wir kamen schon mittags in Thessaloniki an.
Da bekamen wir auch gleich den Anschlusszug. Als wir in unserem Dorf den Zug verließen, wurden wir von mehreren Neugierigen zum Haus der Großeltern begleitet. Die Begrüßung war nicht freundlich. Niemand erwartete uns und niemand wollte uns. Meine Schwiegereltern sagten klar und deutlich: „Wir wollen die Kinder nicht!“ Damit hatte ich zwar nicht gerechnet, aber ich war so froh darüber, ließ mir aber nichts merken.
Ich bat um einen Brief für Stefan, denn er würde mir das nicht glauben. Meinem Schwiegervater erzählte ich, dass er so jähzornig sei und mich oftmals schlug. Er konnte es ja nicht glauben, aber gab zu, dass Stefan schon immer so leicht aus der Rolle fiel, wenn es nicht nach seinem Kopf ging. Ich versicherte ihm, dass ich mich beim nächsten Mal scheiden lassen würde. Er war erstaunt, denn in Griechenland waren es die Männer, die sich scheiden ließen. Meine Schwiegereltern waren schon in Ordnung und den Vorfall mit dem Geld, den erwähnte ich nicht mehr.
Im Haus hatten sie jetzt Strom und Wasser, aber sonst hatte sich nichts geändert. Die Mädchen waren jetzt auf der Uni und der Bruder mit seiner Familie wohnte immer noch da. Wir durften uns ausschlafen, um am nächsten Tag wieder zurück zu fahren. Den Brief von Stefans Vater hatte ich schon in der Tasche. In unserem Zimmer war fast alles, wie es vorher war, sogar das Kinderbett stand noch aufgebaut dort.
Ich wollte bei der Gelegenheit meinen Schnellkochtopf mitnehmen, den konnte ich nicht finden. Aber meine geschickte Handmühle zum Kartoffeln schneiden der reiben, die war noch im Schreibtisch. Natürlich würde ich die nicht hier lassen. Genau schaute ich noch einmal alles durch und fand zwei weiße Bettbezüge. Daran fehlte es mir immer. Jetzt wo Stefan auch da war, konnte ich nur bei gutem Wetter waschen und die gewaschene Wäsche abends wieder beziehen.
Morgens hatten wir es eilig, denn der Zug fuhr früher als sonst. Es schien so, als ob sich langsam hier eine gewisse Regelmäßigkeit eingespielt hatte. Aber das alles übertönende Grammophon spielte noch genau so laut und den ganzen Tag. Der Opa ging mit Heinz zum Pferd und wir waren reisefertig.
Meine Schwiegereltern begleiteten uns zum Zug und halfen mir die Kinder, den Kinderwagen und den Koffer einzuladen. Die Oma fragte noch zum Schluss, ob ich jetzt traurig sei, dass sie die Kinder nicht dort behielten. Ich sagte nur: „meine Kinder habe ich gern bei mir.“ Als wir in Thessaloniki im Fernzug saßen, dachte ich: Glück muss man haben.
Ich war so dankbar mit meinen Kindern zusammen auf dem Rückweg zu sein. Nie zuvor war die Zugfahrt für mich so angenehm. Den Kinder las ich aus unserem Buch vor, und hin und wieder schliefen wir ein paar Stunden. Erst als wir über die Grenze nach Deutschland kamen, fiel mir Stefan ein und ich bekam ein mulmiges Gefühl.
Aber ich hatte ja den Brief, und auf die Wirkung verließ ich mich. In Frankfurt musste ich umsteigen. Die Gelegenheit nutzte ich die Räume des „Roten Kreuzes“ aufzusuchen. Dort wurde Lena gebadet, gefüttert und gewickelt. Ich hatte sie zwar im Zug auch immer gewickelt und gefüttert, aber zum Waschen war keine Gelegenheit. Ihr Popo war schon ganz rot. Dadurch verpasste ich zwar den Zug, den Stefan mir aufgeschrieben hatte, aber das war mir gleichgültig. Mir brachte man Kaffee und die Kinder bekamen Kakao.
Der Schalterbeamte stellte mir einen neuen Fahrplan zusammen. Ich nahm die Hilfe des Bahnhofpersonals in Anspruch und ließ mich zu meinem Zug begleiten. Warum hatte ich das nicht schon früher mal gemacht. Immer hatte ich mich allein abgequält. Bis Bielefeld konnte ich durchfahren, dann musste ich noch dreimal umsteigen. Den Kindern merkte man die Anstrengungen der Reise nicht an, aber ich war total erledigt.
Zögernd holte ich meinen Haustürschlüssel aus der Tasche und schloss die Haustür auf. Wir gingen hinein und Stefan war nicht da. Ich hatte ja schon Angst gehabt, dass er das Bett in der Stube schon abgebaut hatte. Aber es war alles, wie ich es verlassen hatte, auch die ungemachten Betten.
Den Brief, legte ich auf den Tisch, dann brachte ich die Kinder ins Bett. Lena schlief so schön, die wollte ich dann später füttern. Da ich mich halb verhungert fühlte, suchte ich zuerst nach etwas Essbarem. Ich machte mir ein paar Spiegeleier. Danach fühlte ich mich wieder besser. Als Stefan spät nach Hause kam, merkte er nicht gleich dass ich die Kinder wieder mitgebracht hatte. Erst als er den Brief las, fragte er ungläubig, ob ich wirklich die Kinder wieder da hatte.
Er schaute nach den schlafenden Kindern und schüttelte immer noch ungläubig den Kopf. Dass seine Eltern gegen ihn gewesen waren, konnte er nicht fassen.
Ich war froh, als er endlich ins Bett ging, ich konnte mich ja kaum noch auf den Beinen halten. Lena schlief lange und als sie Hunger hatte, war die Nacht schon fast herum. Als Stefan aufstand stellte ich mich schlafend und ließ ihn sein Frühstück selber machen. Er schnitt sich ein ein Stück Brot ab, mehr konnte ich nicht hören. Dann verließ er das Haus.
Heinz wurde als erster wach, er stand auf und suchte Kitscho, das Pferd. Ich dachte, er wäre gern in Griechenland geblieben. Wenn wir bei Hinrichs geblieben wären, hätte er im Traum nicht daran gedacht. Hier war es wirklich nicht schön, die Kinder hatten wenig Möglichkeit sich draußen unbeschwert zu bewegen. Soviel ich mitbekommen hatte, mussten wir ja bald umziehen. Stefan hatte kein Wort erwähnt, um die Wahrheit zu erfahren, wollte ich die Vermieterin fragen.
Es dauerte nicht lange, da war auch Tina wach und bei uns war alles wieder normal. Ich machte das Essen, heizte die Stube und erzählte nebenbei Geschichten. Nachher packte ich den Koffer wieder aus. Stefan kam zum Mittagessen. Er erklärte mir, dass er in den nächsten Tagen noch viel zu regeln hätte. Vielleicht handelte es sich da um seinen Sportverein, in dem er glaubte die wichtigste Person zu sein, es kann ja sein, dass er es auch war. „Ich will aber, dass du nach der Arbeit zuerst nach Hause gehst, damit die Kinder nicht so lange allein sind.“ verlangte ich. „Ja bis um sechs bin ich hier, dann kommst du ja auch bald. Das war also geregelt, hoffentlich hielt er auch sein Versprechen.
Von unserer Vermieterin erfuhr ich, dass wir zum ersten März ausziehen mussten. Wann er mir das wohl sagen wollte, fragte ich mich. Die kommenden Tage verliefen betont friedlich. Tagsüber freute ich mich über meine Kinder, und abends ging ich zur Arbeit. Es vergingen ungefähr acht Tage, da kam Stefan mit einer neuen Fahrkarte und Visa. Wieder war alles vorbereitet. Nein noch einmal die Fahrt, das wollte ich nicht machen. „Ja aber dieses mal werden meine Eltern die Kinder nehmen, ich habe alles geregelt.“ Ich hoffte, dass es nicht stimmte, denn irgendwann musste ihn ja mal das Geld ausgehen. Nun begann ich Ansprüche zu stellen. Für unsere Verpflegung verlangte ich genügend Geld, um im Zug das Essen kommen zu lassen. Dazu für jedes mal Umsteigen, Trinkgeld für einen Helfer. Ja, und einen Tag wollte ich mindestens in Thessaloniki bleiben ich, Da würde ich seine Schwestern besuchen. „Nein Anne das geht nicht, soviel Geld kannst du nicht ausgeben“, jammerte er. „Na gut, dann ist es besser du fährst selbst“, schlug ich vor. Er lächelte verächtlich und meinte: „Wie dumm du doch bist. Ich verdiene viel mehr wie du, da kann ich nicht einfach wegfahren.“
Als ich letztes Mal unterwegs war, hatte ich für mich und die Kinder fast fünfzig Mark ausgegeben. Dabei war ich noch sehr sparsam gewesen. So billig sollte er nicht davon kommen. Im Stillen war ich mir sicher, dass ich die Kinder wieder zurückbrachte. So schnell konnten seine Eltern ihre Meinung nicht ändern.
Deshalb nahm ich alles nicht so ernst, und schaute es als eine Vergnügungsreise an. Ja ich machte ihm sogar Vorwürfe, dass er keinen Schlafwagen gebucht hatte. Also das fand er jetzt übertrieben, denn die Sitze im Zug seien alle zum Ausziehen und man konnte dort gut schlafen.
Er trieb mich an, ich sollte packen, denn morgen ginge es früh los. Nun hätte ich ja gern vorher noch gewaschen, jetzt musste ich viel schmutzige Wäsche einpacken. „Lass die schmutzigen Sachen hier, die schicke ich später mit der Post. Das fand ich in Ordnung, denn die Kinder mit schmutziger Wäsche wegzubringen hätte mir nicht gefallen. Für seine Mutter steckte er 100.-- Mark in einen Briefumschlag, sie sollte für die Kinder Sachen kaufen.
Mir gab er fünfzig Mark für unterwegs. Dann rückte er wieder seine griechischen Pass heraus, und den steckte ich in die Reisetaschen. Es gab damals schon Windeln zum Wegwerfen, die aber mit den Pampas von heute, nicht zu vergleichen waren. Bei unserem ersten Aufenthalt musste ich die am Bahnhof kaufen. Als ich dann abends im Bett lag, überkam mich die Sorge, dass seine Eltern vielleicht die Kinder nun doch behalten möchten. Sie hatten aber so deutlich „nein“ gesagt, so glaubte ich fest daran, dass sie dabei blieben.
Lena war in der Nacht unruhig, und ich nahm sie in mein Bett und hielt sie die ganze Nacht in meinem Arm. Um Vier Uhr musste ich aufstehen und richtete zuerst mich und dann die Kinder. Danach frühstückten wir noch einmal alle zusammen und Tina fragte: „Hast du das Märchenbuch dabei?“ Nein, das hatte ich vergessen. Ich packte es in meine Tasche, und Tina war zufrieden.
Die Kinder hatten langsam Übung was Zugfahren und Umsteigen betraf. Die Kofferträger auf den Bahnhöfen freuten sich, wenn sie statt Koffer zwei Kinder an den Zug bringen durften. Den Kinderwagen schob ich selbst und an den Treppen ließ ich mir helfen. Ich quälte mich nicht mehr ab.
Wir erwischten ein sehr schönes Abteil für uns allein und richteten und gemütlich ein. Dieses Mal hatte ich eine Wolldecke mitgenommen, da ich ja weniger Kinderkleidung hatte. Aber die Sommersachen hatte ich alle dabei, denn es war ja jetzt schon warm in Griechenland. In Frankfurt hatte ich Windeln für Lena gekauft und eine große Dose Babynahrung.
Jedes Mal wenn wir an eine Grenze kamen, wollten die Zöllner in meinen Koffer sehen, weil sie im Pass gemerkt hatten, dass ich vor wenigen Tagen die gleiche Strecke gefahren war. Sie schauten ganz genau auch die Taschen durch, und konnten nicht glauben, dass ich nichts schmuggelte. Inzwischen war ich so abgebrüht, dass ich auf den Koffer zeigte, wer hinein schauen wollte sollte ihn herunter holen. Danach zeigte ich mit dem Finger hinauf, und sie mussten ihn widerwillig zurück stellen.
Zu den Mahlzeiten ließen wir uns das Essen bringen und nachts zogen wir die Sitze aus um zu schlafen. So kamen wir gut ausgeruht in Thessaloniki an. Am Bahnhof trafen wir jemanden der uns erkannte, aus dem Dorf. Er half bereitwillig die Kinder und den Koffer in den Zug zu heben.
Im Dorf war, wie immer das gleiche Bild, viele Neugierige am Bahnhof, dazu die dröhnende Musik aus dem Lautsprecher. Wir gingen geradewegs zum Haus meiner Schwiegereltern. Das Haus war offen, aber es war niemand darin. Heinz rannte sofort in den Stall, um Kitscho zu besuchen.
Die Oma war dabei den Kuhstall sauber zu machen. Sie war aber bald fertig und kam mit Heinz ins Haus. Ich sollte die Kinder in ihr Zimmer bringen und die Sachen dazu. Dann nahm sie die kleine Lena aus dem Wagen und trug sie auf dem Arm durch die Wohnung. Ich merkte, Stefan hatte sie sicherlich mit Geld bestochen. Woher er bloß immer das Geld nahm? Ja, er verdiente ganz gut und gab nichts davon her. Da musste sich schon einiges angesammelt haben.
Abends kam dann für mich die Ernüchterung, sie wollten die Kinder jetzt tatsächlich dort behalten. Mein Kreislauf sackte vor Schreck ab. Ich musste mich eine Weile hinsetzen. Das hieß für mich, nur eine Nacht noch zusammen mit meinen Kindern. Dann würde ich Abschied nehmen müssen. Der Abschied fiel mir so schwer, er tat richtig weh. Noch einmal schlief ich mit Tina und Heinz im Bett und hielt sie fest im Arm. Die halbe Nacht weinte ich leise auf die Köpfe meiner Kinder.
Am Nächsten Morgen richtete ich mich für die Heimfahrt, und tröstest mich damit, dass Stefan versprochen hatte, ich dürfte die Kinder so oft besuchen wie ich wollte. Hoffentlich hielt er sein Versprechen.
Als ich dann mit den Kindern frühstückte, bat ich Tina, weil sie die älteste war, den Kindern immer wieder von mir zu erzählen und die deutsche Sprache nicht zu verlernen. Ich versprach ihr, bald wieder zu kommen. Niemand sollte mich zum Zug begleiten, ich ging weinend zum Bahnhof.
In Thessaloniki besuchte ich Sophia und Ireni die in Studenten-Wohnheim wohnten. Ich musste fast durch die ganze Stadt. Die Zimmer teilten sich mehrere Mädchen, sie hatten nicht viel Platz für sich. Ireni schwänzte gleich die Vorlesung um sich mit mir zu beschäftigen. Später kam auch Sophia. Gemeinsam gingen wir durch die Stadt.
Ich liebte die breite Hauptstraße, mit den Geschäften auf beiden Seiten. Von hinten wehte ein kräftiger Seewind. Ireni hatte die Haare offen und sie flatterten immer vor ihrem Gesicht. Dazu kam, dass ich furchtbare Bauchschmerzen hatte. Wahrscheinlich hatte ich vom vielen Vorlesen zu viel Luft geschluckt. Ich hatte Blähungen. Leise machte ich mir nach und nach Luft und der Wind trieb meine Blähungen immer vor uns her.
So dauerte es nicht lange bis Sophia böse wurde und schimpfte: "Was ist heute los in dieser Stadt, die ganze Straße stinkt." Zwar wußte ich genau woher der Gestank kam, aber ich verriet es nicht. Sophia spendierte noch einen Kaffee, gleich neben dem Bahnhof. Dann kam mein Zug, ich stieg ein, und es ging wieder zurück nach Deutschland.
Unterwegs hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. In meinem Abteil saß ein älterer Mann der scheinbar ein Türke war. Er konnte kein Deutsch und ich kein Türkisch, so war unsere Unterhaltung kärglich. Das kam mir gerade recht, denn ich hatte keine Lust mich zu unterhalten. In Belgrad nahm er sein Gepäck und ging in ein anderes Abteil. Danach stiegen mehrmals Pendler ein, die an der nächsten Haltestelle wieder ausstiegen.
In Deutschland füllte sich der Zug, es waren Reisende zur Frankfurter Messe. Als ich dann mehrmals umsteigen musste, stellte ich fest, dass ich noch nie mit so wenig Gepäck, von einem Zug zum anderen geeilt war. Ich hatte nur eine kleine Reisetasche und die war nicht schwer. Am späten Nachmittag kam ich zu Hause an und kam in die einsame Wohnung. Die Kinder fehlten mir, ohne sie war es langweilig, in dem ohnehin dunklem Haus. Der Ofen war aus, und ich zog es vor gleich zur Arbeit zu gehen.
Als ich durch die große Halle ging, sah ich Stefan an seiner Arbeit. Er schien sehr konzentriert und sah mich nicht, als ich in das Werkstattbüro ging. Nach einigen Minuten ging ich wieder zurück und die Treppe hinauf zum nächsten Büro. Das war hoch über der Halle und ich sah wie ein Kollege ihn an stupste und zu mir hinauf zeigte. Bald darauf erschien er unten an der Treppe und fragte: „Bist du allein zurück gekommen?“ Ich antwortete nur mit „ja“ und ging weiter zur Buchhaltung.
Einer der jungen Buchhalter brachte immer Strümpfe aus einer Strumpffabrik. Er fragte mich ob ich auch ein Paket wollte. Ich kaufte ein Paket für fünf Mark, denn Strümpfe waren damals noch teuer. Zuerst putzte ich die Büros, dann machte ich das Päckchen auf und schaute was darin war. Es war wie eine Wundertüte, man wusste nie was man bekam. Da waren lauter einzelne Strümpfe, ich sortierte sie und hatte mehr als zehn Paar die zusammen passten. Meiner Meinung nach hatte ich gut eingekauft.
Als ich nach Hause kam, war Stefan schon wieder dabei, das Haus zu verlassen. Er hatte sich verabredet, weil ich doch gesagt hätte ich wollte einen Tag bei seinen Schwestern bleiben, so hatte er erst morgen mit mir gerechnet. „Ich war bei deinen Schwestern aber die wohnen so eng, da mochte ich nicht über Nacht bleiben.“ Er hatte den Ofen angemacht und Spaghetti gekocht. Der Rest vom Essen war nicht viel, aber für mich reichte es.
Im Schrank war auch nichts besseres mehr. Morgen wollte ich sowieso nach Vlotho fahren bei der Zigarrenfabrik vorbei gehen, vielleicht konnten sie mich dort gebrauchen. Auf dem Rückweg konnte ich dann einkaufen. Stefan schaute in das Paket und fragte was das gekostet hatte. „Gib mir mal fünf Paar, ich mache damit ein gutes Geschäft“, versprach er. Die Strümpfe verpackte ich paarweise und schrieb die Größe auf die Tüte.
Am nächsten Morgen legte mir Stefan zehn Mark auf den Tisch und bemerkte: „Kaufst du noch mal zwei Pakete, die lassen sich gut verkaufen.“ Nach einer Weile fragte er: „Guckst du heute nach Arbeit?“ „Vielleicht“, gab ich ihm zur Antwort, „jedenfalls fahre ich heute nach Vlotho. Übrigens, muss ich jetzt eine neue Wohnung suchen? Ich habe gehört wir müssen raus hier.“ „Das habe ich schon geregelt,“ sagte er beiläufig. „Unsere Firma renoviert das Haus von Hinrichs und wenn die fertig sind können wir umziehen.“ Es war mir zwar ein Rätsel wie er das hin gedreht hatte, aber jetzt wusste ich Bescheid.
Zuerst machte ich Feuer im Herd, dann konnte ich in Ruhe Kaffee trinken. Ich stellte den Waschkessel auf den Ofen und füllte ihn mit Kochwäsche. Die viele Wäsche der Kinder, trieben mir wieder die Tränen in die Augen. Ach, ob sie mich schon vergessen hatten?. Bei Kindern geht das immer so schnell. Aber ich war mir sicher die Oma würde sie gut versorgen. Dort konnten sie im ganzen Dorf spielen, während hier vor dem Haus die Straße vorbeiführte.
Der Briefträger riss mich aus meinen Gedanken. Er brachte das Geld, was ich monatlich von Jens bekam. „Waren Sie verreist?“ fragte er, „ich habe das Geld für sie aufbewahrt.“ Er war wohl der einzige der meinen Mann durchschaut hatte, und wusste wenn er das Geld annimmt, dann ist es weg. Der Postbote war zwar neugierig, aber sehr liebenswert.
Mit dem Bus fuhr ich nach Vlotho um nach einer Arbeitsstelle zu schauen. Als erstes ging ich zur Zigarrenfabrik. Meine Kolleginnen winkte und fragten: “Kommst du wieder?“ „Wenn euer Meister mich brauchen kann“, gab ich zur Antwort. Der Meister wusste, dass ich anpassungsfähig war und stellte mich wieder ein. Ich hätte sogar gleich bleiben können, aber ich versprach morgen früh um sieben anzufangen. Die Frauen freuten sich, weil ich immer so witzig war. Sie hatten das schon vermisst. Es konnte ja keiner wissen, dass mir der Spaß inzwischen vergangen war.
Auf dem Heimweg stieg ich beim Konsum aus dem Bus, ich musste einiges einkaufen. Dieses Mal wollte ich nicht wieder den schweren Karton heim schleppen, ich würde mir Zeit lassen und mit dem nächsten Bus weiter fahren. Wie immer hatte ich einen Einkaufszettel, denn ich hatte die Angewohnheit das Wichtigste zu vergessen.
Als ich danach bezahlen wollte, fragte ich ob es sein könnte, dass ich bei meinem letzten Einkauf nicht bezahlt hatte. Da musste er seine Frau fragen, die machte immer die Abrechnungen. Nein, kam er zurück, die Kasse hätte immer gestimmt. Ich fragte noch einmal nach: „Wirklich?“ Der Kaufmann fragte, um wie viel es sich handelte. Dann schaute er noch einmal im Kassenbuch nach, aber da war alles in Ordnung. Er meinte, ich hätte wohl zwei Geldscheine gehabt, die aneinander gehangen waren.
Das konnte allerdings auch sein. Also war der Fall geklärt und ich brauchte kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Nun nahm ich meinen Karton und fuhr mit dem nächsten Bus bis vor die Haustür.
Nun hätte ich ja normalerweise meine Putzstelle aufgeben können. Das wäre mir peinlich gewesen, weil die Betriebs-Handwerker ja gerade für uns das Häuschen renovierten. Also ging ich um vier, wie gewohnt zu Arbeit und erklärte dort meinem Vorgesetzten, dass ich ab morgen erst um halb sechs käme. Als ich ihm sagte, dass ich jetzt noch eine feste Stelle hatte, ging er und brachte mir meine Arbeitspapiere. Die würde ich ja bei der anderen Stelle brauchen. Er wollte mir eine zweite Steuerkarte besorgen, Die Anforderung sollte ich bevor ich ging noch unterschreiben.
Ja daran hatte ich gar nicht gedacht, ich wäre glatt ohne Papiere zur Fabrik gegangen. Nun hatte ich den ganzen Tag Arbeit, da würde ich wenigsten nicht immer an meine Kinder erinnert, dachte ich. Stefan würde ich auch kaum antreffen, denn ich musste morgens zum Bus, und abends hoffte ich, war er beim Ringen, Boxen oder......?.
Stefan war noch zu Hause, als ich von der Arbeit kam. Er wartete auf die Strümpfe. Die musste ich aber erst sortieren. Manchmal waren drei gleiche Strümpfe dabei, dann schrieb ich auf die Packung: 3 Stück. Das wurde bei Stefan der große Renner. Drei gleiche Strümpfe, ein Paar und ein Ersatzstrumpf das war einfach genial.
Wegen der Arbeit rügte er mich, ich hatte nicht einmal nach dem Lohn gefragt, und nicht geschaut ob ich was besser bezahltes fände. Um Streit zu vermeiden, versprach ich morgen zuerst nach dem Lohn zu fragen. Dann konnte ich ja immer noch nach etwas Besserem suchen.
Er schrieb mir vor, was ich verdienen müsste, und das Geld sollte ich gleich ihm geben. Ich kochte innerlich und wünschte mir, dass sie ihm beim Ringen das Genick brachen. Dann erklärte ich ihm, dass ich den ersten Monat keinen Pfennig hergeben wollte. Ich brauchte dringend ein paar Kleidungsstücke: Einen Mantel, Schuhe eine Jacke und einiges mehr. Er wollte das ja nicht einsehen und sagte: „ Das sehen wir dann.“
Von nun an ging ich morgens zur Arbeit und kam erst spät heim. Stefan sah ich kaum. Samstags machte ich die Wäsche. Noch vor dem ersten März kam der Lastwagen und wir konnten umziehen. Das kleine Häuschen war wunderschön hergerichtet. Sogar das große Zimmer, war jetzt renoviert. Stefan bestimmte gleich, dass dieses sein Schlafzimmer sei. „Ja“, sagte ich, „gerne.“ Er glaubte mir nicht, und hakte noch einmal nach, denn das Zimmer war richtig schön. Es hatte einen neuen Fußboden und das Dach war auch repariert.
Mit Hintergedanken bestätigte ich noch einmal: „Ja das Zimmer steht dir doch auch zu.“ Stefan grinste und fühlte sich als Sieger. Ich hatte ihm schließlich kampflos das beste Zimmer überlassen. Das Zimmer war groß, und ich gab ihm auch die beiden gleichen Betten. Nur die besten Matratzen die nahm ich für mich. Mein Schlafzimmer machte ich wieder neben der Küche.
In der Küche und meinem Schlafzimmer lag jetzt ein Linoleum. Was leider immer noch fehlte, war fließendes Wasser. Das konnten die Arbeiter nicht verlegen, denn es war zu aufwendig.
Ich setzte eine strikte Regel: Er bekam den Schlüssel für sein Zimmer, ich den für die Küche, so konnte er mich nachts nicht stören und ich ihn morgens nicht. Weil ich ja jetzt noch früher aufstehen musste, denn hier hielt kein Bus.
In meiner Firma bekam ich jetzt die Aufsicht über zwei Maschinen. Die Maschinen mussten morgens vorgeheizt werden, das hieß, dass ich jetzt noch früher aufstand. Dafür bekam ich mehr Lohn und zwei Arbeitshosen umsonst. Stefan hatte keine Ahnung was ich jetzt verdiente.
Frau Hinrich schaute bei uns vorbei und als sie hörte, dass die Kinder nicht mehr da waren, weinte sie. Sie fragte mich warum mein Mann allein in dem schönen Zimmer schlief. Ich konnte ihr erklären, dass ich jetzt morgens um fünf Uhr aufstehen musste, weil in der Frühe noch kein Bus fuhr.
„Da müssen sie zu Fuß bis Vlotho laufen?“, fragte sie entsetzt. „Ja“, antwortete ich, „abends nehme ich den Bus.“ „Gut, aber dann nehmen sie doch wenigstens den Fußweg über den Berg.“ Der fing hinter dem Hof an und führte über zwei Dörfer direkt in die Stadt. Ich wollte ihn gleich morgen ausprobieren. „Das können sie gar nicht verfehlen“, versicherte sie, und ich könnte viel Zeit einsparen.
Ihr Tipp war gut. Am nächsten Morgen ging ich sicherheitshalber eine halbe Stunde früher weg. Aber das wäre nicht nötig gewesen, denn der Weg war wirklich einfach zu finden. Schon auf dem Hügel, nach fünf Minuten, sah ich die Stadt. Der Fußweg schlängelte sich durch die Wiesen ,an einem kleinen See vorbei und zwei kleinen Ortschaften, direkt nach Vlotho. Ich musste mich bremsen, damit ich nicht viel zu früh in der Fabrik ankam. Ja, der Weg gefiel mir, kein Mensch war außer mir unterwegs..
Meine Arbeit gefiel mir. Ich hatte zwei Maschinen laufen, eine mit edlen Zigarren. Die andere mit den ganz einfachen Zigarren, die vom Band direkt verpackt wurden. Kurz vor Feierabend machte ich die Maschinen aus und putzte die Schwämme und das Innenleben der Maschinen. Anschließend ging ich noch zu meiner Putzstelle.
So verging etwa eine Woche, dann brachte Stefan eine Freund mit, der auch Grieche war. Der nistete sich in Stefans Zimmer ein und ich glaubte schon er ginge nicht mehr. Die Handwerker hatten den Durchgang durch die Schlafzimmer zugemauert, und die Küchentür verschloss ich sehr gut, denn ich hatte immer noch den Sicherheitsschlüssel.
So konnte Stefan weder auf meinem Herd kochen, noch konnte er von meinen Lebensmitteln nehmen. Er musste alles selber besorgen. Im Flur hatte er einen kleinen Kocher wo er ab und zu etwas zubereitete. Da ich mich überhaupt nicht um seinen Freund kümmerte, wurde es ihm zu viel und plötzlich war der Freund wieder verschwunden.
Am Monatsende erwartete er mein Geld. Es war Freitag und ich hatte mich mit einer Arbeitskollegin verabredet, die kam mit dem Auto. Sie hatte einen Rock dabei, den ich ihr enger machen sollte. Stefan war zwar neugierig, ging dann aber wieder in sein Zimmer. Nachts blieb meine Kollegin bei mir und am nächsten Morgen sagte ich zu Stefan, dass ich jetzt mit meiner Freundin nach Herford zum Einkaufen fahren wollte. „Du weißt doch, ich brauche dringend einen Mantel und ein paar Kleidungsstücke ja und Schuhe, ganz notwendig.“ Wir stiegen ins Auto, und Stefan guckte verdutzt.
In Herford gingen von einem Kaufhaus zum anderen, ich war richtig im Kaufrausch. Erst als ich alles hatte, was ich mir vorgestellte, holte ich noch beim Schlachter einen schönen Braten für den Sonntag. Er sollte am Sonntag ein gutes Essen von mir bekommen, wenn er denn zu Hause war.
Als wir aus dem Auto stiegen, trug meine Kollegin das Eingekaufte und ich trug den Braten in der Hand. Der fiel Stefan dann auch gleich auf. Ich sagte: „Finger weg, den gibt es morgen.“ Er fragte neugierig: „Was hast du eingekauft, Anne? Wie viel hast du ausgegeben?“ Nun war es aus mit meiner Geduld und ich schrie: „Ich habe alles das neu gekauft, was deine Schwestern mir in Griechenland abgenommen haben.
Ich habe jahrelang für mich nichts gehabt.“ Stefan zügelte sich und fragte: „Und wer ist die da?“ Meine Kollegin log, ohne rot zu werden, ihm frech ins Gesicht. „Ich bin Karla Müller, die Frau vom Polizeikommissar aus Vlotho, ich bin die Freundin ihrer Frau. Sie sind Stefan Stefanidis? Den Namen habe ich irgendwo schon mal gehört, warten Sie, es fällt mir schon noch ein.“
Er verschwand in seinem Zimmer und meine Kollegin ging mit in meine Wohnung. Erst als es schon dunkel war, stieg sie durchs Fenster, setzte sich ins Auto und ließ es lautlos vom Hof rollen. Sie wollte am nächsten Tag noch mal schnell nachsehen ob alles in Ordnung war. Dann würde sie ihren Mann mitbringen, der natürlich nicht einmal Polizist war.
„Lügner müssen belogen werden“, hatte sie mir geraten.
Am nächsten Morgen machte ich Kaffee und setzte meinen Braten auf den Herd. So duftete der köstlich, als Stefan aufstand. Als ich nun auch noch Kaffee gekocht hatte, schien er zufrieden. Er schaute in den Topf und wollte wissen, wann das Fleisch denn fertig sei. „Um zwölf vielleicht.“ War meine Antwort. Dann wollte er bis Mittag bleiben, dann müsste er zu seiner Freundin. Das war jetzt nicht so ernst zu nehmen, denn er wollte mich bestimmt eifersüchtig machen.
Meine Gleichgültigkeit ärgerte ihn. Dann kam die seltsame Frage: „Wie viel Geld willst du haben, wenn du wieder mit mir schläfst?“ Typisch, dachte ich und antwortete: „Mit einem Mann, der mich schlägt und immer nur egoistisch ist, schlafe ich sowieso nicht, auch nicht für viel Geld.“ Er beteuerte, dass er mich bestimmt nicht mehr schlagen wollte und immer das machen würde, was ich möchte. „Ja gut, beweise mir das, und dann sprechen wir wieder darüber.“
Ich machte das Essen fertig und deckte den Tisch. Stefan war nicht in der Lage ein paar Gegenstände auf den Tisch zu stellen, wartete nur bis er seinen Teller voll hatte und aß dann. „Hast du etwas dagegen wenn ich jetzt zum Sport gehe?“ Fragte er und war schon fast zur Tür hinaus. Natürlich hatte ich nichts dagegen, ich konnte es gar nicht erwarten. In dem Augenblick fuhr meine Kollegin auf den Hof. Stefan beeilte sich wegzukommen.
Meine Bekannte wollte nur ihren Rock abholen, ich hatte den Saum fertig gemacht. Sie war froh, dass bei mir alles in Ordnung war. Danach musste sie wieder weiter, sie hatte ihre Kinder bei der Oma. Wir würden uns ja morgen wieder sehen.
Ich hatte Arbeit genug, denn alles was ich in der Woche nicht gemacht hatte, blieb mir für den Sonntag. So kam ich nicht auf trübe Gedanken.
Pünktlich um sechs Uhr fing ich immer an, meine Maschinen zusammen zu bauen. Danach heizte ich die Maschinen vor. Dann hatte ich eine halbe Stunde Zeit bis die Frauen kamen und die Arbeit begann. Die halbe Stunde verbrachte ich immer mit Karla, die jeden Morgen um halb sieben kam. Dann saßen wir auf der Ablage und sie hörte mir zu, wenn ich ihr von meinem Elend erzählte. Sie war eine gute Zuhörerin und mir tat es gut. „Wenn ich dir wieder mal helfen soll, sag es dann komme ich wieder.“ Versprach sie mir.
Es vergingen nur wenige Tage, da tauchte Stefan plötzlich in unserer Fabrik auf. Erstaunt fragte ich, was er denn hier wollte. „Ich bin fristlos entlassen worden“, klagte er und grinste gequält. Das konnte ich kaum glauben, er hatte einen guten Arbeitsplatz und machte seine Sache gut. „Hast Du deine Maschine kaputt gemacht?“ Fragte ich ungläubig, ich war mir sicher, er log mich an. Nun erklärte er es mir ganz genau: „Ich habe die große Walze fertig gehabt, dann kam der Meister zur Endkontrolle. Er hatte nichts zu bemängeln.“ „Deshalb wird man aber nicht entlassen“, war meine Meinung, und er fuhr fort: „Der Meister sagte: sehr gut, und klopfte mir auf den Hintern. Dann habe ich mich blitzschnell umgedreht und habe ihn zusammen geschlagen. Ich lasse mir doch nicht an den Hintern klopfen, ich bin doch nicht schwul.“ Danach hatte man den Meister ins Krankenhaus gebracht, und ihm gab man die Papiere.
Vor Schadenfreude war ich fast am platzen. Wie ein Triumph kam es von mir: „So geh es, wenn man seine jähzornigen Fäuste nicht unter Kontrolle hat. Zu der Gerichtsverhandlung gehe ich auch und sage aus, wie du mich schon zugerichtet hast.“ Er grinste immer noch, aber es war schon weniger geworden. „Ach Anne, du bist meine Frau, alle Männer schlagen ihre Frauen.
Mein Meister kam vorbei, und ich fragte ihn, ob mein Mann nicht meine Arbeit übernehmen könnte, da sei vorher ja auch ein Mann gewesen. Ich ginge dann wieder ans Band zum Sortieren. Der Meister war einverstanden, aber Stefan wollte wissen, was er denn verdienen würde. „Nein“, sagte er, „dafür arbeite ich nicht!“ Er streifte meinen Meister mit einem überlegenem Lächeln.
Der wiederum ließ folgenden Spruch los: „Sie werden in dieser Gegend keine Arbeit finden, denn bei der Firma K..... wird niemand entlassen, der sich nichts zu Schulden kommen lässt.“ Jetzt war Stefan nicht mehr am lächeln, ich hatte schon Angst um meinen Meister. Scheinbar wollte er den gleichen Fehler nicht schon wieder machen. Zu mir sagte er noch: „Ich gehe jetzt packen“, dann war er weg. Wenn ich jetzt Glück hatte, war er heute Abend nicht mehr da.
Ich kam nach sieben Uhr nach Hause und Frau Hinrich kam mir weinend entgegen. „Ihr Mann ist abgereist, er will nach Frankfurt“, erzählte sie mir, „Schade, er ist so ein lieber Mensch.“ „Er ist nicht lieb“, widersprach ich, „sonst hätten sie ihn nicht fristlos entlassen.“ Dann ging ich in die leere Wohnung und weinte. Stefan fehlte mir ja keinen Augenblick, aber ich war hier immer so glücklich mit meinen Kindern. Stefans Auftauchen hatte alles kaputt gemacht.
Einige Wochen hörte ich nichts von Stefan. Meinen Geburtstag feierte ich allein. Ich las ein Märchen für meine Kinder, die gar nicht da waren und ging weinend ins Bett. So bald wie möglich wollte ich meine Kinder besuchen und sparte jede Mark.
Da schrieb Stefan, er hatte eine Arbeit gefunden und eine Wohnung, und ich sollte kommen, damit wir die Kinder besuchen könnten. Er war in Offenbach und da sei auch Arbeit für mich, in einer Fabrik. Lange wehrte ich mich gegen den Gedanken ihn wieder zu sehen, aber was hatte ich hier: eine Wohnung ohne fließend Wasser. Im Winter wusste ich noch gar nicht, wie ich zur Arbeit kommen sollte. Also kündigte ich meine Arbeitsstellen, ließ mir meinen Urlaub auszahlen und packte meine Sachen.
Von meinem Bruder ließ ich mich zum Bahnhof nach Herford fahren, da sparte ich mir zweimal Umsteigen. Meinen großen Koffer hatte ich aufgegeben, ich hatte soviel mitgenommen wie dort hineinpasste. Was dann noch von mir übrig war, schenkte ich Hans. Als ich mich von Frau Hinrich verabschiedete, waren wir beide traurig. Ich versprach ihr, mich zu melden und das meinte ich ernst.
Wieder saß ich im Zug und hatte Zeit um Nachdenken. In Zukunft wollte ich nicht mehr in einer Fabrik arbeiten. Ich hatte schon längere Zeit darüber nachgedacht, mich für eine einfache Büroarbeit zu bewerben. Mit diesem Vorsatz stieg ich in Offenbach aus dem Zug.
Stefan holte mich am Zug ab und er führte mich zu einem großen Wohnblock, der von außen ganz ordentlich aussah. Ich musste im vierten Stock warten, denn er wusste noch nicht, wo unsere Wohnung war. An den vielen Türen waren Nummern. Ich ahnte, das war wieder eine Massenunterkunft.
An einer Tür klopfte er ,und sie gingen zu zweit noch einen Stock hinauf. Dann kamen sie wieder und Stefan hatte einen Schlüsselbund. Er war schlecht gelaunt, der Hausmeister hatte dreihundert Mark „Sicherheit“ von ihm gewollt und ihm keine Quittung gegeben. Dann schloss er eine Tür auf. Die Wohnung war ein großes Zimmer möbliert mit einer großen Fensterfront und einem Waschbecken, ohne Kochgelegenheit.
Auf jedem Stockwerk war eine Gemeinschaftsküche, eine WC-Anlage und ein Bad. Für das Bad musste man für fünf Mark, eine Marke beim Hausmeister kaufen. Die Einrichtung des Zimmers ging ja, aber in der Küche würde ich nie kochen. Dort stank es nach Knoblauch, und es würgte mich darin so schmutzig war es. Wenigsten gab es einen Aufzug, der meistens funktionierte. Auf der anderen Straßenseite war eine Wäscherei, so musste ich nicht in dem Zimmer waschen. Meine Kritik hielt ich in Grenzen. Ich versicherte, dass ich mich nach etwas Besserem umschauen wollte.
Während ich einräumte, erklärte mir Stefan den Weg zu meinem neuen Arbeitsplatz. Es war ganz einfach, immer geradeaus, Richtung Bahnhof.
Den Weg konnte ich mir merken, aber ob ich die Stelle wollte, war nicht gewiss. „Mach keinen Blödsinn Anne, sei froh, dass ich dir eine Arbeit gefunden habe. Die bezahlen gut.“ Stefan glaubte wirklich, mir sei alles recht, aber ich hatte meine Vorstellungen.
Zuerst wollte ich eine Zeitung kaufen und sehen, ob es noch mehr Auswahl gab. Stefan schüttelte den Kopf und wollte das nicht verstehen. „Aber such nicht so lange, sonst ist die gute Stelle weg. Da gibt es auch jede Woche Haustrunk, umsonst“, betonte er. Das war ihm wohl das Wichtigste, denn Durst hatte er immer.
Am Morgen wollte ich zum Bahnhof um am Kiosk eine Zeitung zu kaufen. Da kam ich an der Getränkefirma vorbei. An der Pforte war ein Aushang: Wir suchen zur sofortigen Einstellung, außer Arbeiterinnen und Arbeiter, suchten sie auch eine Telefonistin und eine Buchhalterin. Buchhalterin war mir etwas gewagt, aber für die Stelle als Telefonistin, wollte ich mich gleich bewerben. Also ließ ich mir den Weg zum Personalchef zeigen. Mutig ging ich die Treppe hinauf.
Ich war gut angezogen meine Haare waren perfekt, jedoch mein Herz klopfte. Der Chef kam nach wenigen Minuten und sprach ein wenig mit mir, dann meinte er: „ Sie sind die perfekte Besetzung für die Stelle, denn sie sprechen ein gutes Deutsch. Die Einheimischen haben eine furchtbare Aussprache. Er ging mit mir in die Telefon-Zentrale wo eine Dame aus Berlin arbeitete. Wir verstanden uns sofort. Ich sollte doch gleich anfangen, wenn es mir passte. Bis zum Abend hatte ich das wesentliche gelernt, und einen Arbeitsvertrag. Damals verdiente ich 500.-- Mark, das war ein ordentliches Gehalt.
Als ich eingelernt war, und die Namen der Mitarbeiter kannte, sollten wir in zwei Schichten arbeiten. Meine Kollegin wollte gern früh arbeiten. Mir war es gleich, so nahm ich die Spätschicht bis abends zehn Uhr. Mittags waren wir zwei Stunden zu zweit.
Mir gefiel es, abends spät heim zukommen. Denn dann schlief Stefan meistens, denn er musste um sechs Uhr schon zur Arbeit. Als er mitbekam, dass ich erst mittags zur Arbeit ging, meinte er da könnte ich doch noch eine zweite Stelle suchen. Ich glaubte fest daran diesen Sommer noch zu meinen Kindern zu fahren, und ich wollte gerne Kleidung kaufen, für die Kinder. Tina war ja schon in die Vorschule gekommen.
Also hörte ich mich um. In der Brotfabrik suchten sie jemanden, der morgens die Lieferscheine kontrollierte und aufrechnete. Das war eine Halbtagsstelle. Nun rechnete ich morgens und telefonierte bis spät am Abend. Ich hatte einen ausgefüllten Tag. Ab und zu rief ich Frau Hinrich an, die freute sich, dass ich eine gute Stelle hatte.
Jede freie Minute nutzte ich mit Arbeit aus. Wenn ich bei der Spätschicht noch freie Zeit hatte, schrieb ich Rechnungen. Dafür reichten meine Schreibmaschinen-Kenntnisse gerade aus.
Der Hausmeister von unserem Zimmer wollte Heizungsgeld kassieren, wir hatten die Heizung gar nicht angehabt. Stefan rastete aus und ging zum ihm hinauf. Was er da machte, wollte ich nicht wissen. Er kam zornig zurück, und wir mussten bis zum ersten ausziehen. „Und die dreihundert Mark will er auch nicht zurückgeben“, schimpfte er.
In meiner Firma fragte ich ob niemand eine Wohnung wüsste. Tatsächlich war eine kleine Wohnung frei in dem alten Lagerhaus. Die Fenster waren zwar vergittert, aber das störte mich überhaupt nicht. Drei Wohnungen waren in dem Haus. Eine war frei, eine Küche mit Herd und Küchenmöbeln und Wasser. Nur das WC war im Flur, und wurde von drei Familien benutzt. Na ja, ich war ja sowieso kaum zu Hause.
Wir zogen in die Wohnung, und ich hatte fast keinen Weg mehr zur Arbeit. Alles was ich brauchte war im Umkreis von fünf Minuten. Die Getränke wurden wöchentlich vor die Tür gestellt. Brot brachte ich von der Brotfabrik und am Wochenende bekam ich auch noch einen Kuchen. Gegenüber von unserer Wohnung war ein Lebensmittel-Geschäft und eine Waschmaschine war auch im Haus. Stefan musste jedoch mit der Straßenbahn fahren. Wo er arbeitete, wusste ich gar nicht. So hätte es weiter gehen können, wenn mein Chef nicht plötzlich die Arbeitszeiten geändert hätte. Die Spätschicht wurde wieder abgeschafft, und mir blieb nichts anderes übrig, ich musste bei der Brotfabrik wieder aufhören.
Stefan, der täglich die halbe Stadt durchstreifte, er hatte ja eine große Verwandtschaft, kam eines abends ganz euphorisch nach Hause. Er hatte eine Gaststätte gefunden, die er pachten wollte. Da ich ja Erfahrungen hatte, sollte das mein Restaurant werden. Ich wollte mir das anschauen. Es war ein großer Gastraum, eine winzige Küche und hinter der Theke war ein privates Zimmer. Da konnte ich notfalls die Kinder mitnehmen, wenn sie wieder da wären, dachte ich. Aber ich hatte auch Bedenken. Meine Arbeitsstelle wollte ich nicht sofort aufgeben, die Gastwirtschaft sollte vorerst nur abends geöffnet sein.
Nun sollte ich eine Konzession besorgen und bei meiner Bank einen Startkredit für die Kaution und die ersten Waren.
Ich hatte einen Kollegen, der sich bestens auskannte, und da ich Angst hatte, dass Stefan mit dem Geld verschwinden würde, hatte er mit tolle Tipps gegeben. Zunächst machten wir ein Konto auf seinen Namen, ich war nur Miteigentümer des Kontos. Dann erklärte ich, dass mein Mann der Hauptpächter der Wirtschaft sei, und ich nur den Ausschank machte. Mein Stefan fühlte sich so geehrt. Es fiel ihm nicht auf, dass ich mich total abgesichert hatte. Ich ging dann wieder ins Büro und ließ ihn allein zum unterschreiben. Mich würde er nicht übers Ohr hauen.
Später meinte er, ich hätte mich einmal richtig griechisch verhalten. Am nächsten Morgen eröffnete ich ein Gehaltskonto bei einer anderen Bank und ließ meinen Lohn dorthin überweisen.
Ich putzte die Wirtschaft auf Hochglanz, kaufte die notwendigen Waren ein und kurz darauf war Eröffnung. Mein Mann hatte seine Bruder Gregor dabei und Gregor schenkte aus. Stefan bediente die Leute, die vorwiegend männliche Griechen waren. Mich schickte er in die winzige Küche. Ich musste Hähnchen und Pommes frittieren, nebenbei Würstchen heiß machen. Als niemand mehr etwas zum Essen wollte, ging ich Gläser spülen an der Theke. Der Laden lief, und Stefan hatte schon ganz gierige Augen.
Dann tauchte mein Arbeitskollege auf und sprach ein paar Worte mit mir, ganz beiläufig und es konnte auch jeder hören. Da kam mein Mann angesprungen. Er zerrte mich in den Flur und verprügelte mich. Gregor kam mir zur Hilfe und Stefan rannte drei mal mit seinem Kopf gegen die Wand. Kein normaler Mensch hätte das ausgehalten, er musste einen Kopf aus Eisen haben. Ich knallte ihm den Schlüssel von der Wirtschaft vor die Füße und ging heim.
Als Stefan nachts heimkam, zeigte er mir den prall gefüllten Geldbeutel. Ich wies ihn darauf hin, dass das Geld auf die Bank müsste, „denn die gibt nicht nur das Geld, die will es auch wieder.“ Dann fragte er mich, wann ich die Wirtschaft putzen wollte, “Am besten bevor du zur Arbeit gehst.“ Meine Antwort war: „Ich habe nichts verdient, ich putze auch nicht. Im übrigen kommt ihr gut ohne mich klar.“ „Ja aber die Küche?“, fragte er. Gregor würde das schon machen, war meine Meinung. „Na ja, eigentlich haben wir dich ja auch nur wegen der Konzession gebraucht und wegen dem Geld.“ Bemerkte er noch, legte sein Portemonnaie unter sein Kopfkissen und legte sich schlafen. Ich ließ mich in der Wirtschaft nicht mehr sehen.
Nach etwa einer Woche rief der Bankier an und fragte wann ich Geld bringen wollte, denn wir müssten doch schon Einnahmen haben. Ich verwies ihn auf die beiden „Herren“, ich hätte mit der Betrieb der Gaststätte nichts zu tun.
In der Mittagspause besuchte ich Gregor und sagte ihm, das der Bankier angerufen hätte, und noch kein Geld eingezahlt wurde. Er hatte geglaubt Stefan hätte das Geld auf die Bank gebracht. Ein paar mal half ich Gregor noch in meiner Mittagspause in seiner Küche, dann brachte er seine Freundin mit und die übernahm meine Arbeiten. Damit war für mich der Fall „Wirtschaft“ erledigt. Ich war froh, dass ich nur für die Konzession unterschrieben hatte.
Eines Tages kam Stefan zu mir ins Büro, ich sollte mit ihm einen Kühlschrank kaufen. Alle Leute hätten eine Kühlschrank nur ich nicht. Genau, einen Kühlschrank hatte ich mir schon lange gewünscht. Also gingen wir nach Feierabend einen auszusuchen.
Der wurde auch am nächsten Tag geliefert. Wir stellten ihn in die Küche, und Stefan packte gleich einiges hinein. Er hatte auch noch darauf bestanden einen Mixer und eine komplette Küchenmaschine zu kaufen. Ich fand das gar nicht so wichtig, aber er bestand darauf. Die Geräte sollte ich auch gleich ausprobieren.
Haufenweise kaufte er Elektro-Gräte, die mir den Anschein gaben, einen modernen Haushalt zu haben. Bis er eines abends mit einem weißen Auto auf den Hof kam. Er fing an das Auto zu beladen. Den Kühlschrank wollte er auch einladen. Dann prahlte er: „Morgen früh fahre ich mit dem Auto nach Griechenland und werde meinen Eltern die modernste Elektro-Installation machen und die Geräte mitnehmen. Dir kaufe ich danach neue.“ Das ganze Auto hatte er voll geladen und das war nicht klein. Vorsichtig fragte ich: „Wollten wir nicht zusammen nach Griechenland fahren?“ Er darauf: „Nächstes Mal, dann fahren wir zusammen, jetzt mache ich das Haus meines Vaters, zu einer Villa.“ Ich verzichtete darauf zu lachen.
Allmählich begriff ich, wenn er für mich etwas kaufte oder behauptete das sei nur für mich, dann war es immer gelogen. Am frühen Morgen luden wir den Kühlschrank ein, und er fuhr ab nach Griechenland.
Am gleichen Tag kaufte ich einen gebrauchten Kühlschrank von einer Arbeitskollegin, die sich gerade eine neue Küche gekauft hatte. Als ich dann abends allein war, fiel ich in ein tiefes Loch.
Ich war überzeugt davon, dass mein Leben gar keinen Sinn hatte. Stefan nutzte mich nur aus und fuhr allein zu den Kindern nach Griechenland. In der Eile, die er wieder vorgelegt hatte, konnte ich nichts mehr kaufen für die Kleinen. Sie werden enttäuscht sein und es nicht verstehen. Vielleicht werden sie mich nicht mehr lieben. Die Kinder brauchten mich nicht, sie waren bei den Großeltern.
Stefan brauchte mich am aller wenigsten und sonst hatte ich ja niemanden.
In der Apotheke kaufte ich mir eine Tube Rattengift. Das Gift rührte ich mit gelben Sprudel an dann goss ich es zurück in die Flasche. Der Sprudel verfärbte sich grünlich. Schon beim Abendessen trank ich von dem grünen Saft. Dann ging ich ins Bett und wartete ob etwas passiert. Es passierte nichts.
Nun hatte ich einen Arbeitskollegen, der jede Gelegenheit nutzte zu mir ins Büro zu kommen. Er war alt und aufdringlich. Ich konnte ihn nicht leiden, mochte es ihm aber nicht so direkt sagen. Immer brachte er Kleinigkeiten, mal Kuchen , mal Konfekt oder Blümchen. Meine Kollegin und ich verdrehte schon die Augen, wenn er die Stufen zu unserem Büro hinaufkam.
Es vergingen einige Tage und die ersten Anzeichen machten sich in meinen Beinen bemerkbar. Ich fing an mich mit mir und meinem Leben zu beschäftigen und sprach nur noch das notwendigste. Meine Kollegin versuchte mich immer wieder aufzuheitern.
So hatten wir zum Beispiel zwei Schubladen in denen wir immer etwas zum Essen hatten, Kekse und Obst. Als ich wieder am telefonieren war, hatte ich meine Füße auf der Schublade der lustigen Berlinerin. „Nehmen Sie sofort ihre Füße aus meiner Speisekammer“, fuhr sie mich spaßeshalber an. Sie verstand es, mich immer wieder zum Lachen zu bringen. Uns fiel auf, dass mein Verehrer heute noch nicht da war und so verließen wir pünktlich das Büro.
Auf dem Heimweg taten mir die Beine furchtbar weh. Jetzt fing das Rattengift an zu wirken. Ich ging heim, machte ein gutes Abendessen und hoffte, dass ich den nächsten Morgen nicht mehr erleben würde. Stefan würde sicher auch bald zurückkommen und den wollte ich nicht mehr sehen.
So saß ich am Tisch, schaute die wenigen Bilder an von meinen Kindern und weinte. Das letzte Bild hatte ich gemacht als alle die Kinder in einem Korbsessel saßen. Sie hatten ihre verschnittenen Haare auf dem Bild. Tina hatte Lena auf dem Schoß. Da klopfte es an der Tür. Mit einen bösen Spruch auf den Lippen stand ich auf, denn ich wollte niemanden sehen. Auf dem Weg zur Tür, machten meine Beine nicht mit. Ich fiel lang in den Flur, und rief: „ich kann nicht aufmachen.“
Jetzt merkte ich auch wer an der Tür war. „Der Alte“, ihn konnte ich am wenigsten gebrauchen. Mir war es lieber, gleich liegen zu bleiben. „Komm Mädchen mach auf, reiß dich zusammen und mach die Tür auf“, sagte der „Alte“. Während er weiter sprach, dass er ein halbes Hähnchen für mich hätte, fummelte er an dem Schloss herum bis die Tür offen war.
Er wollte mir auf die Beine helfen, aber es ging nicht. Da packte der „Alte“ meine Reisetasche. „Sag mir nur wo du alles hast, ich hole es“, schlug er vor. Dann verlangte er das Krankenscheinheft und als er die Schublade aufmachte, fand er die leere Packung vom Rattengift. Er schaute sie an und sagte nichts. Die Packung ließ er in seine Tasche gleiten.
Danach ging er sein Auto holen und trug mich hinein. Kurz darauf war ich im Krankenhaus. Ein junger Arzt bemühte sich um mich und die ganze Nacht kam jemand an mein Bett. Die Schmerzen wurden immer heftiger und ich bekam Morphium. Danach schlief ich ein. Am nächsten Tag wurde ich wach und staunte, dass ich immer noch lebte. Die Schmerzen hatten nicht nachgelassen. Ich hatte viele Tage lang große Schmerzen.
Die ersten Tage halfen mir nur Morphium-Spritzen. Nach einer bestimmten Anzahl von Spritzen bekam ich keine mehr, die Gefahr süchtig zu werden war zu groß. Das musste ich einsehen und langsam ließen die wahnsinnigen Schmerzen nach. Der Arzt ging sehr rücksichtsvoll mit mir um, und nannte mich keine Selbstmörderin. Das tat mir gut. Ich bat ihn keinen Besuch zu mir zu lassen.
Bevor ich in den großen Saal verlegt wurde, wollte der Arzt aber genau wissen, weshalb ich so einen „Unsinn“ gemacht hatte. Er hatte Zeit für mich und ich erzählte ihm von meinem Mann seinen Intrigen seinen Schlägen und von der Geldgier.
Ich erzählte von den Kindern die ich nach Griechenland bringen musste. Er fragte ob in meiner Familie schon jemand Selbstmord gemacht hatte. Da log ich ihn an: „Nein niemand aber meine Schwester und meine Mutter sind gestorben als ich klein war.“ Ich wollte nicht, dass es nachher hieß: “Da liegt Selbstmord in der Familie.“ Dann würde es vielleicht noch als Krankheit ausgelegt, und ich käme in eine Anstalt. In dem Fall würde ich meine Kinder gar nicht mehr sehen.
Der Arzt war immer freundlich zu mir und ich wurde in den großen Saal verlegt. Die Schmerzen waren fast weg aber ich bekam immer noch Spritzen und Infusionen. Dann gingen mir eines Tages die Haare aus. Fast alle auf einem Mal. Den ersten Tag brauchte ich, um mich damit abzufinden.
Dann fand ich mitten auf dem Kopf noch ein paar Haare. Ich besorgte mir von anderen Patienten ein rotes Geschenkband und band ein Schleifchen um die paar Haare. Meinen Humor hatte ich nicht verloren. Die meisten Frauen in dem Saal mochten mich. Sie nannten mich liebevoll „Plattköppchen“.
Der „Alte“ kam zu Besuch. Er war unbemerkt von den Schwestern herein gekommen. Von meiner Firma brachte er einen großen Blumenstrauß und Konfekt. Alle wünschten Gute Besserung. Es freute mich ja, aber er hatte bestimmt alles in der Firma erzählt, ich würde nie wieder dort hingehen. Sowieso mit der Glatze würden mich alle auslachen.
„Dein Mann ist auch wieder zurück“, erzählte er mir. Stefan hatte im Büro nach mir gefragt. Jetzt wusste ich schon genug und sagte, ich müsste mich ausruhen. Wir verabschiedeten uns und er versprach mich wieder zu besuchen. Am liebsten hätte ich gesagt: „Nicht nötig“, sagte aber: „Ja aber dann mir einer Schachtel Zigaretten.“ Er ging und kam nach zehn Minuten zurück und brachte mir eine Schachtel Zigaretten. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.
Ein paar Tage später kam Stefan. Ich stellte mich schlafend so saß er eine Weile an meinem Bett. Als eine Schwester kam, fragte er wann ich wieder nach Hause könnte. Da müsste er den Arzt fragen antwortete sie.
Eine von dem Patientinnen kam zu mir ans Bett und zog an meinem Schleifchen. „Plattköppchen, du hast Besuch, da schläft man doch nicht.“ Widerwillig machte ich jetzt die Augen auf und fragte Stefan was er denn wollte. „Na sehen wie es dir geht“, war seine Antwort. „Wann kommst du nach Hause?“ fragte er. Ich hatte keine Ahnung und zuckte mit den Schultern.
Der Arzt war schon ganz zufrieden mir meinen Blutwerten und er meinte, dass ich bald entlassen werden konnte. Die Frauen in dem Saal verpassten mir gleich einen Dämpfer: „Du wirst nicht entlassen, bevor der Psychiater nicht mit dir gesprochen hat, kann sein du kommst dann in die Irrenanstalt.“
Na die machten mir Mut. So wartete ich auf den Psychiater. Statt dessen kam mein Arzt und ging mit mir zu einem Gespräch, in sein Büro. Er wollte wissen wohin ich jetzt gehen wollte, und was ich machen möchte.
Ich erzählte: „Zuerst gehe ich mal nach Hause, dann suche ich mir eine neue Stelle, denn in die alte Firma gehe ich nicht mehr. Ja, eine Perücke brauche ich auch so kann ich ja nicht herum laufen.“ Er schrieb mir ein Rezept für eine Perücke, aber die Krankenkasse würde vielleicht nur einen Teil der Kosten übernehmen, klärte er mich auf. Das sei „Ermessens-Sache.“ Haargenau erläuterte ich ihm meine Pläne. „Machen Sie das, dann sehen wir uns sicher nicht mehr“, sagte er und ich durfte packen.
Eine der Frauen lieh mir ein Halstuch, sie gab mir ihre Adresse, ich sollte sie dort besuchen, sobald sie daheim sei.
Mein erster Weg führte mich in den Friseursalon, den der Arzt mir empfohlen hatte. Die Friseuse fragte: „Waschen und Schneiden?“ Ich sagte trocken: „Ja und Dauerwelle.“ Als ich mein Tuch abnahm, zog sie schnell den Vorhang zu. Sie vermaß meinen Kopf und nahm mir mein Rezept ab.
Mit einem Kostenvoranschlag wollte sie es der Krankenkasse einschicken. Dann ging sie in einen Raum und kam mit einer Leihperücke zurück. Die sollte ich tragen bis sie mir eine Nachricht schickte. Die Leihperücke gefiel mir, sie saß nur etwas locker. So ging ich also mit meiner Reisetasche nach Hause.
Stefan war nicht da, nur ein Haufen Schmutzwäsche lag im Schlafzimmer. Meine erste Arbeit war also Waschen. Anschließend machte ich die Küche sauber und hatte wieder das Gefühl, dass er nicht allein hier war. Im Kühlschrank war nicht viel, also ging ich zum Einkaufen.
Danach schrieb ich meine Kündigung fürs Geschäft. Ich hatte es nicht eilig, denn ich war noch zwei Wochen krank geschrieben. Die Kündigung schickte ich mit der Post. Nun musste ich mich um eine neue Wohnung kümmern, denn die Wohnung hier gehörte zur Getränkefabrik. Am Samstag waren immer viel Anzeigen in der Zeitung, da wollte ich mir eine kaufen und auch gleich nach einer Arbeitsstelle suchen.
Stefan hatte wieder eine Freundin, gewohnt schmuddelig und ich musste wieder zum Arzt. Inzwischen war ich so abgebrüht, meine Nerven waren so stark wie noch nie.
Am Samstag ging ich früh zum Kiosk und kaufte die Tageszeitung. Damit ging ich nach Hause und nahm den den riesigen Anzeigenteil heraus. Zuerst strich ich alles an, was für mich in Frage kam, dann machte ich mir eine Liste nach dem Stadtplan. Alles was in der Nähe war, wollte ich heute noch besichtigen. Es waren einige Stellenanzeige, die für mich in Frage kommen konnten. Auch die strich ich an. Dann frühstückte ich gut, denn mit einem leeren Magen, fühlte ich nicht nicht wohl.
Danach nahm ich die Liste, die ich mir gemacht hatte und ging los. Die erste Wohnung war wunderschön, aber etwas zu teuer. Die hatte sogar ein Bad. und das hätte ich mir so gewünscht. Ich ging von meinem Gehalt aus, und da musste es bezahlbar bleiben. Ungern sagte ich diese Wohnung ab.
Bei den nächsten zwei Wohnungen war ich zu spät. Eine weitere Wohnung war zu groß, die war zwar bezahlbar, aber da lief ich Gefahr, dass Stefan untervermieten würde. Ich war noch lange nicht durch mit meiner Liste. Da es aber jetzt auf die Mittagszeit zuging, ging ich zuerst nach Hause um etwas zum Essen zu machen. Um drei Uhr wollte ich weiter suchen. So kam ich durch die Nachbarschaft, wo eine alte Dame am offenen Fenster saß.
Die alte Dame, am Fenster gehörte zu dieser Straße dazu. Sie schien einsam zu sein, denn sie hatte mich schon des öfteren angesprochen und sich über eine kurze Unterhaltung gefreut. Vor ihrem Fenster blieb ich stehen und fragte sie wie es ihr geht. Da ich Zeit hatte, hörte ich mir ihre Geschichte an. Dann fragte sie mich, ob ich in der Stadt zum Einkaufen war. „Nein, ich bin auf Wohnungssuche“, ließ ich sie wissen. „Sind Sie sehr anspruchsvoll?“ fragte sie mich. „Eigentlich nicht“, antwortete ich, und sagte ihr, wo ich jetzt wohnte.
„Ach“, berichtete sie, „Ich habe eine Wohnung im Hinterhaus, im zweiten Stock, zwei Zimmer, und eine Küche, da gehört noch ein Kinderzimmer dazu, das ist einen Stock höher unter dem Dach. Darin ist aber kein Wasser, und das Klo ist im Treppenhaus. Schauen Sie es sich doch mal an.“ Ich fragte nach dem Preis, und war überrascht, die Miete lag unter meinen Erwartungen.
Ja, die wollte ich mir ansehen. „Die ist aber gar nicht renoviert“, klagte die Dame. „Macht nichts“, lenkte ich ein, „ich habe Zeit ich werde es machen, denn ich habe noch eine Woche frei.“ Die Augen der alten Dame strahlten, sie schien mich zu mögen. „Warten Sie einen Moment“, bat sie mich. Dann kam sie mit einem Schlüsselbund und erklärte mir den Weg zur Wohnung. Ich sollte in den zweiten Stock gehen, da sei es die rechte Tür. So ging ich in das Hinterhaus, die Treppe hoch und schloss die Wohnungstür auf.
Hinter der Eingangstür war ein winzig kleiner Korridor. Rechts ging es in die Küche. Die Küche war wie vor dem ersten Weltkrieg. Ein riesiger steinerner Spülstein, aber mit fließendem Wasser. Ein großer Herd, das war alles was in der Küche war. Dann ging ich in die Stube die war sehr schön und auch das Schlafzimmer. In die beiden Zimmer würde ich neue Tapeten kleben. Ich ging noch das Dachzimmer ansehen, das war zwar schräg, aber schön geräumig und neu tapeziert.
Als ich wieder hinunterging, beschloss ich, meine Wohnungssuche zu beenden und die Wohnung zu mieten. Die alte Dame freute sich riesig, dass mir die Wohnung gefiel. „Behalte Sie den Schlüssel, dann können Sie kommen wann sie wollen.“ Einen Monat Miete wollte sie mir schenken, wegen der Renovierung.
Ich ging heim und machte etwas zum Essen. Meine neue Sorge waren jetzt Möbel. Also schlug ich die Zeitung wieder auf. Unter Haushalts-Auflösungen strich ich mir einiges an. Dann fiel mein Blick auf eine ganz winzige Anzeige. Sie war vom Rathaus. Da suchten sie eine Reinigungskraft für circa zwei Stunden nach einer amtlichen Wohnungs-Auflösung am Dienstag. Die Telefon Nummer schrieb ich ganz oben auf meine Zettel.
Wenn ich Glück hatte, konnte ich zwei Stunden putzen und vielleicht auch von den Möbeln etwas bekommen. Es war ein Haus, das mir wie eine Villa vorkam, in einer ruhigen Gegend. Wenn ich da putzen durfte, musste ich zufrieden sein, dachte ich.
Am Montag ging es zuerst nur ums Telefonieren. Ich ging um acht zur Telefonzelle und packte meinen Zettel aus. Den 2-Stunden Job bekam ich sofort, um zehn Uhr sollte ich kommen. Putzzeug sei im Haus, sagte man mir. Als ich nach den Möbeln fragte, war das leider zu spät, der Spediteur sei schon bestellt. Aber ich bekam den Namen des Standesbeamten, der ein Lager für Minderbemittelte hatte, der würde mir sicher helfen können. Das hörte sich ganz gut an, obwohl ich auf Hilfe vom Rathaus gern verzichtet hätte.
Dann ging ich an die Bewerbungen. Als erstes rief ich eine Bank an, wo ich mich schriftlich bewerben sollte. Ein Mode Versandhaus lud mich zum Gespräch ein, für den Mittwoch. Bei einer Feuerzeug-Fabrik wollte man mich heute noch sehen. Die war im Vorort von Offenbach auf einem Berg. Ich musste also mit der Straßenbahn fahren. Trotzdem wollte ich mir die Stelle ansehen, obwohl der Modeversand gleich in der Nähe war.
Die Zeit bis zum Nachmittag nutzte ich und schrieb die Bewerbung für die Bank. Dann fuhr ich mit der Straßenbahn Richtung Fußball-Stadion.
Die Firma war in den Nähe der Haltestelle. Dort wurde ich freundlich empfangen. Das Büro war groß und hell. Hier hatte ich mich als Einkäuferin beworben. Der Chef, ein junger Vater, hatte seine wenige Wochen alte Tochter in seinem Büro. Er war sehr freundlich und war begeistert, dass ich als Telefonistin gearbeitet hatte. Seine Kunden und Lieferanten waren in ganz Deutschland verstreut, und daher war ihm mein gutes Deutsch willkommen.
Er ließ sofort eine Vertrag schreiben und die Lohnbuchhalterin brachte ihn zum unterschreiben. Das kam mir zwar ein wenig plötzlich, ich wollte ja den Modeversand auch noch ansehen. Aber schließlich nahm ich es nicht so ernst und unterschrieb den Vertrag. Zurück in Offenbach kaufte ich Tapeten und Tapetenkleister
Dann ging ich in die neue Wohnung und fing an, die alten Tapeten von den Wänden zu reißen. Für den Kleister musste ich noch eine Bürste kaufen. Aber ich hatte noch ein paar Tage Zeit.
Am Abend traf ich Stefan, der auch wieder mal zu Hause war. Sein Bruder hatte jetzt die Wirtschaft allein, er wollte Stefan nicht mehr in der Wirtschaft. Ich wusste sehr gut weshalb. Stefan jedoch glaubte sich aufregen zu müssen.
Ihn interessierte, wann ich wieder zur Arbeit wollte, und was ich den ganzen Tag machte. Als ich sagte, dass ich dabei sei eine Stelle zu suchen, meinte er ich sollte doch wieder zu meiner alten Stelle gehen, notfalls an der Abfüllanlage. Wahrscheinlich wegen dem Haustrunk, vermutete ich. Ja, er wusste auch, dass wir aus der Wohnung hinaus sollten, wenn ich nicht mehr dort arbeitete.
Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen, und meinte, er könnte ja schon mal einen neue Wohnung suchen. Er ging los, um seine Verwandtschaft zu fragen. Eigene Ideen hatte er ja keine. Aber als er wieder kam, hatte er schon einen Nachmieter für unsere Wohnung. Ich gab ihm die Zeitung die ich immer noch hatte und sagte: „Such mal, ich habe schon etwas angestrichen.“
Dienstag ging ich die Wohnung putzen. Die Möbelpacker waren noch nicht ganz fertig mit dem Ausräumen, ich fing in den leeren Zimmern an. Die Wohnung war überhaupt nicht schmutzig, sogar die Fenster waren ganz sauber. Ich suchte regelrecht nach Dreck und als die Möbelpacker weg waren, putzte ich noch da wo die Schränke gestanden hatten.
Dann kam eine Dame vom Rathaus und nahm die Bilder von den Wänden. Zu mir sagte sie: „Besenrein reicht, das ist gut so. Wollen Sie ein paar Bilder?“ Es waren wunderschöne Bilder und sie gab mir ein handgemaltes Jugendzeit-Bild und einen Kupferstich. Eine Heidelandschaft hätte mir auch sehr gefallen, aber ich konnte es nicht transportieren.
Das bedauerte die Dame und gab mir meinen Lohn ich quittierte. Ich fragte ob es Sinn hatte, zum Rathaus zu gehen wegen, ein paar Möbel für mich. „Aber immer“, meinte sie, „warum haben Sie sich nicht früher gemeldet, dann hätten wir die Sachen gleich zu Ihnen gefahren.“ „Und was kosten die Sachen?“ fragte ich vorsichtig. „Das kostet nichts, das sind Möbel von Leuten, die keine Erben haben, die geben wir weiter an Bedürftige.“ Klärte sie mich auf.
Die Bilder brachte ich in die neue Wohnung. Dann ging ich eine Bürste kaufen. Von dem Laden aus war es nicht weit zum Standesamt, also dachte ich: bringe ich es gleich hinter mich.
Der Standesbeamte war ein lustiger Mensch. Sobald er sein Büro zumachen konnte, wollte er mit mir ins Lager gehen. Bis dahin erzählte er Witze und ich lernte komische Sprüche von ihm. (die Sprüche habe ich bis heute nicht vergessen.)
Er brachte es fertig, mir das Gefühl zu geben, dass ich nicht zum Betteln hier war, sondern ihm einen Gefallen tat, wenn ich aus seinem Lager etwas wollte. Als ich sagte, dass ich einen kompletten Haushalt brauchte, versprach er, mir den Besten zusammen zu stellen. Ich sollte mich überraschen lassen. Wir machten den Freitag aus. Bis dahin musste ich fertig werden mit dem Tapezieren.
Mit meiner Bürste ging ich jetzt in die Wohnung um wenigstens mal den Anfang zu machen. Im Flur, traf ich einen jungen Mann, der hier ein wenig den Hausmeister spielte. "Wollen Sie tapezieren?" Fragte er scheinbar neugierig. Als ich "Ja" sagte, bot er mir einen Tapeziertisch an, und ein wenig Werkzeug.
Er kam mit dem Tisch und dem Werkzeug und meinte die Decke dürfte auch Farbe gebrauchen. Sofort holte er eine Leiter und strich die Decke. Ich schnitt in der Zeit die Tapeten in Bahnen. Er hatte das sicher schon oft gemacht, denn es ging ihm flott von der Hand. Er wollte die Decken alle streichen und schickte mich für heute heim, morgen früh könnte ich dann mit den Tapeten anfangen.
Daheim hatte ich Post, ich konnte die Perücke anprobieren. Stefan regte sich auf, warum ich eine neue Perücke brauchte, da ich doch schon eine hatte.
Es wollte ihm wieder nicht einleuchten, dass für mich persönlich etwas bestellt hatte, ohne ihn vorher zu fragen.
Er war wieder kurz vor einem Wutausbruch. Ich zog es vor, die Wäsche aus dem Trockenraum zu holen und ließ ihm Zeit zum „Abkühlen“.
Es ärgerte mich, dass ich jetzt meine kostbare Zeit auch noch beim Friseur verbringen musste. Also erledigte ich es als erstes. Als nächstes hatte ich das Vorstellungs-Gespräch bei der Modefirma. Die wollten mich auch einstellen und ich wurde gebeten den Anrufbeantworter zu besprechen. Das machte ich gern, sagte dann aber doch die Stelle ab, da es mir in dem kleinen Büro zu hektisch zuging. Später habe ich hin und wieder die Telefon Nummer gewählt, meine Stimme war immer noch auf dem Gerät. Das machte mich ein wenig stolz.
Die ganze Zeit verfolgte mich ein großer Mann, er kam mir bekannt vor. Wohin ich ging, er kam immer den gleichen Weg. Ich konnte ihn nicht abschütteln. Schließlich ging ich um meine Tapeten an die Wand zu kleben, und glaubte ihm entwischt zu sein. Die Tapeten die ich gekauft hatte waren billig, und ließen sich schlecht kleben, sie rissen bei den ersten zwei Bahnen. Dann hatte ich den Bogen heraus. Ich arbeitete bis zum Abend und wurde fertig, mit den Tapeten. Nun fing ich an die Abfälle hinunter zu tragen. Als ich zum zweiten Mal in den Hof kam, stand Stefan da. Das hätte ich mir denken können, dass er den Mann hinter mir her geschickt hatte.
„Wie schön, du überraschst mich mit einer neuen Wohnung“, sagte er. Sofort stürmte er die Treppe hinauf und freute sich: „Da haben wir ja richtig Platz.“ „Dein Zimmer ist oben“, ich zeigte die Treppe hinauf. Er zählte auf, was wir dringend brauchten:
„Ein Bett, bisschen groß, einen Tisch, zwei Stühle und vielleicht für mich einen Polsterstuhl. Noch einen kleinen Tisch und vielleicht einen Fernseher.“ Ich fragte: „Und den Fernseher stellst du dann auf den Fußboden?“ „Nein, auf den Tisch“, antwortete er stolz, über seine Idee. Dann schaute er die Tapeten an und meinte: „Die sind ganz schlecht geklebt.“ Den Eindruck hatte ich zwar auch, aber ich wusste aus Erfahrung, dass es glatt wird, wenn es abtrocknete.
Ich putzte noch den Kleister vom Fußboden, dann machte ich Schluss für heute. Morgen musste ich den Herd an machen, und mit warmen Wasser alles sauber noch einmal putzen. Die Fenster hatten es auch nötig.
In meinen größten Topf packte ich am nächsten Morgen ein paar Putzlappen sowie Putzmittel. Dann ging ich, nach einem kleinen Schwätzchen mit der alten Dame, in meine Wohnung um sie auf Hochglanz zu putzen. Als ich die Fenster putzte, sah ich an den Fenstern ausklappbare Wäscheleinen. Das war sehr praktisch. An die Fenster würde ich Vorhänge brauchen, sonst fühlte ich mich nicht wohl. Bis am Abend hatte ich alles sauber, auch das Zimmer im Obergeschoss. Die Tapeten waren alle schön glatt geworden, ich war richtig stolz auf meine Arbeit.
Am nächsten Morgen packte ich in meinen Übersee-Koffer was hinein passte. Den schleppte ich in die neue Wohnung. Während ich die Gegenstande in der Küche auspackte, kam der Wagen mit den Möbeln. Ich war so gespannt was mir der Beamte zusammen gestellt hatte.
Die Sachen waren fast alle zerlegt und beschriftet. Sie bauten mir ein komplettes Schlafzimmer auf. Ich hatte noch nie einen Kleiderschrank, der so groß war. Über den Betten hingen sie ein Bild auf mit Engeln. So etwas hatte meine Oma auch. Ich wusste, das war nicht mehr modern, aber ich fand es schön und passte zu dem Zimmer. Dann brachten sie das Wohnzimmer. Einen wunderschönen Schrank mit Glasscheiben zum schieben. Dazu eine Klappcouch, einen Tisch drei Stühle und einen Sessel. Eine Kommode war auch noch dabei.
In der Stube hängten sie eine Lampe auf. „Fürs Schlafzimmer haben wir leider keine Lampe“, sagte einer der Männer. In die Küche stellten sie einen Küchenschrank und einen Tisch und ein paar Stühle. „Kühlschrank und Waschmaschine haben wir gestern abgegeben, das haben wir nicht oft.“ Bedauerte einer der Männer.
Ich kochte Kaffee für die zwei Arbeiter. „Wir haben noch für das Dachzimmer ein Wandbett und ein paar Kleinigkeiten.“ Ich gab ihnen den Schlüssel. Wenn das Bett zugeklappt war, sah es aus wie ein schmaler Schrank. Zum Schluss brachten die Männer noch ein paar Läufer und ein Paket von Frau Kahle, sagten sie.
„Wer ist das denn?“ Erkundigte ich mich. „Die Frau von der Wohnung-Auflösung, wo sie geputzt hatten“ , bekam ich zur Antwort.
Die Männer hatten gerade noch Zeit, einen Kaffee zu trinken. Ich wollte wissen, ob sie denn immer Möbeln wegfahren. Sie lachten: „Nein wir richten auch städtische Blumenbeete, gießen die und fegen, manchmal räumen wir auch Schnee.“ Nach dem Kaffee meinte einer: „Wir hängen noch schnell die Bilder auf. Den Kupferstich hängten sie im Korridor auf, dort brachten sie auch zwei Kleiderhaken an. Während der eine das alte Bild aufhängte, riss sein Kollege das Paket auf.
Es war offensichtlich, dass es auch ein Bild war. Ich staunte, die Dame hatte es nicht vergessen, dass mir das Heidebild so gut gefallen hatte. Sie hängten es über der Couch auf. Als die Männer abgefahren waren, verteilte ich die Läufer. Meine Wohnung war wunderschön. In der Küche stand ein Karton mit Haushalts-Gegenständen. Die Sachen versorgte ich im Küchenschrank. Mir fehlten noch zwei Lampen und dann war ich perfekt eingerichtet. Nur in die Wäscherei musste ich nun wieder laufen. Hier im Haus gab es keinen Wäscheraum.
Mit meinem Koffer ging ich am Abend heim, um die letzten Sachen von mir zu holen.
Den Kühlschrank hätte ich gern mitgenommen, aber er war mir zu schwer. So zog ich also noch am gleichen Tag ein. Ich heizte den Herd ein und es wurde gemütlich warm in meiner Wohnung. Nachdem ich mein Bett bezogen hatte, schloss ich die Tür und stellte die Klingel ab. In dieser Nacht schlief ich gut.
Stefan zog am nächsten Tag ein, ich fragte nach dem Kühlschrank und er wollte ihn unbedingt den Nachmietern lassen. Da ich ihn bezahlt hatte, verlangte ich, dass er den Kühlschrank holen sollte, aber das war gegen seine Ehre.
Schließlich hatte er dem Mann, der mich einen Tag lang verfolgt hatte, die Wohnung übergeben mit Kühlschrank. Er nistete sich in meiner Wohnung ein, als wäre es das normalste von der Welt. Ich wollte, dass er in die Dachkammer zog. Bald käme sein Vater zu Besuch, meinte er, da brauche man doch ein Gastzimmer.
Über die Nachricht war ich jetzt nicht erfreut. Ich ging hinauf in die Dachkammer und richtete das Zimmer für den Besuch. Wann er kam, war nicht sicher. Es sollte fertig sein.
Am Montag ging ich zu meiner neuen Arbeitsstelle und fühlte mich dort gleich wohl. Die Kolleginnen und Kollegen waren alle wunderbar. Wir hatten eine sehr gute Sekretärin, die hatte die modernste elektrische Schreibmaschine, es war eine Smith Corona. Wenn die Sekretärin morgens kam, deckte sie sich zuerst den Frühstückstisch und frühstückte ausgiebig. Wir, die unten im Büro waren, bekamen dann auch eine Tasse Kaffee von ihr.
Eine Telefonistin saß in einem kleinen Büro, gleich nebenan. In dem großen Raum saß noch ein junges Mädchen, sie hatte den Versand und den Wareneingang. Ich musste den Einkauf erledigen dazu führte ich eine Kartei mit sämtlichen Einzelteilen und Materialien, die für die Herstellung von Feuerzeugen benötigt wurden. Im oberen Stock waren noch drei Damen. Eine Buchhalterin, eine Lohnbuchhalterin und die Sekretärin des Patentanwaltes. Personalchef war der Schwager unseren Chefs. Auch die Arbeiter in den einzelnen Abteilungen waren nette Leute.
Es dauerte wenige Tage und ich hatte mich eingearbeitet. Mit dem jungen Mädchen schloss ich Freundschaft, Wir verbrachten die Pausen zusammen und manchmal gingen wir miteinander heim. Sie war sehr ortskundig und kannte den kürzesten Weg.
Dann bekam ich Post von der Krankenkasse. Die Kosten für die Perücke hatte die Kasse komplett übernommen. Jedoch verlangten sie von mir, dass ich einen Psychiater aufsuchen sollte. Ich hatte Angst davor und erzählte meinen Kolleginnen davon. Eine von ihnen hatte auch schon ähnliches durchgemacht und sprach mir gut zu. Der Arzt sei wirklich sehr liebenswürdig und ich sollte mich ganz einfach normal und locker mit ihm unterhalten, dann ging es auch gut.
Selbstbewusst und mit meiner neuen Perücke ging ich in seine Sprechstunde. Meine Angst ließ ich mir nicht anmerken. Es war ein junger Arzt und er lud mich ein, mich zu ihm auf den Schreibtisch zu setzen. Wir sprachen über alles, mögliche und ich fühlte mich nicht gut dabei. „Sie sollten sich scheiden lassen“, riet er mir. Das hatte ich schon lange vor, aber ich hatte Angst vor meinem Mann. Der Psychiater musste einen guten Eindruck von mir gehabt haben, denn ich habe nie wieder etwas von der Krankenkasse gehört.
An einem der nächsten Tage kam tatsächlich sein Vater an. Ich sollte ihn am Bahnhof abholen, aber er stieg nicht aus dem Zug, und ich konnte ihn nicht finden. So ging ich ohne ihn wieder nach Hause. Stefan regte sich auf, als er heim kam und ich sagte ich hätte ihn nicht gefunden. Nun ging er ihn zu suchen und fuhr nach Frankfurt. Dort irrte er auf dem großen Bahnhof herum und wartete. Aber warten war für Leute aus Griechenland nichts besonderes, das beherrschten sie.
In der Zeit kochte ich etwas zum Essen, dabei gab ich mir viel Mühe, es sollte ihm ja auch schmecken. „Kannst du für meinen Vater nicht einmal was griechisches kochen?“ rügte Stefan mich, als sie heimkamen. Nein da musste er mit seinem Vater noch zu Verwandten gehen, damit er was ordentliches zum Essen bekam. Meinem Schwiegervater war das peinlich. Als die beiden dann spät nach Hause kamen, musste ich in das Gastzimmer hinauf gehen, denn es schickte sich nicht, dass sein Vater da oben schlief. Die beiden fühlten sich richtig wohl in meiner Wohnung.
Ich schlief gern mit offenem Fenster, darum machte ich das Dachfenster weit auf. In der Nacht fing es an zu regnen. Es regnete mir direkt ins Bett. Meinen Kolleginnen erzählte ich: "Jetzt habe ich ein Zimmer mit Dusche." Sie mochten meinen Humor.
Später, im Büro bekam ich einen Weinkrampf. Sofort waren alle Kolleginnen um mich herum und wollte wissen wer mir etwas getan hatte. Jetzt erzählte ich alles, was ich so mit gemacht hatte.Am Abend ging eine der Kolleginnen mit mir zum Rechtsanwalt. Sie hatte für mich einen Termin ausgemacht, und ich reichte die Scheidung ein.
Danach gingen wir noch durch ein Kaufhaus und ich kaufte eine elektrische Nähmaschine und Stoff für Gardinen. Das wollte ich schon lange kaufen. Am Wochenende wollte ich endlich Vorhänge für meine Wohnung machen.
Es war Samstag. Noch hatte ich zu Hause nichts erzählt, er würde es erfahren wenn er Post vom Anwalt bekam. Voller Hingabe widmete ich mich meinen Vorhängen. Die neue Nähmaschine war zwar das billigste Modell, nähte aber hervorragend. Vielleicht ein bisschen schnell, denn ich nähte mir einmal durch den Fingernagel. Ich hatte aber schon schlimmeres erlebt, drum hielt mich das von meinem Vorhaben nicht ab.
Mein Schwiegervater hatte, während wir bei der Arbeit waren, sämtliche Verwandten besucht, und am Samstag das Bedürfnis bei mir zu bleiben. Er schaute mir zu, wie ich eine Gardine nach der anderen nähte. In meiner Wohnung gab es nur drei Fenster, das wollte ich bis zum Abend schaffen. Am Sonntag wollte ich dann, falls Stefan wieder unterwegs war, mit meinem Schwiegervater einen Sparziergang machen.
Er musste sich ja langweilen, jeden Tag allein bei uns. Meine Nähmaschine interessierte ihn besonders. Ich behauptete, dass die Maschine von der Oma in Griechenland genau so gut war. Leider gäbe es so etwas nicht mehr zu kaufen. Der Opa hatte seinen eigenen Anisschnaps dabei, und griechischen Kaffee. Nach jedem fertigen Vorhang kochte ich von seinem Kaffee. So verging der Tag und ich wurde mit meiner Arbeit fertig.
Dann kam Stefan und holte seine Vater ab, er wollte ihn noch in „seine“ Wirtschaft führen. Er sah die Nähmaschine, die ich gerade wegräumen wollte und beschwerte sich bei seinem Vater, dass ich wieder etwas gekauft hatte, ohne ihn zu fragen.
Der berichtete, dass die Oma auch kaufte, wenn sie Geld hatte. Was den Haushalt betraf, würde sie auch nicht fragen. Als er dann immer noch keine Ruhe geben wollte, fuhr ihn mein Schwiegervater ordentlich an. Langsam merkte er, dass man mit seinem Sohn nicht auskommen konnte. Morgen wollte ich ihm das, mit dem Kühlschrank erzählen, falls ich Gelegenheit dazu fand.
Für heute hatte ich meine Arbeit erledigt, ich machte mir ein kleines Abendessen und ging anschließend hinauf in das Gastzimmer. Am Sonntag gab es zwei Möglichkeiten entweder mein Mann nahm seinen Vater mit auf seinem Streifzug durch die Verwandtschaft oder er blieb bei mir. Er wollte bei mir bleiben, denn mit Stefan war er jetzt jeden Abend von einer Familie zur anderen geeilt. Heute wollte er ausruhen.
Wir heizten gemeinsam den Herd in der Küche an, denn heute wollte ich mit ihm zusammen kochen. Während er sich um den Herd kümmerte, zündete ich den Ölofen an, der in der Stube stand. Es war schon recht kalt geworden, denn inzwischen war es Spätherbst.
Im gefiel der Ölofen, denn so etwas hatte er noch nie gesehen. Wenn er wieder zu Hause war, wollte er in die Stadt fahren, um so etwas zu kaufen, denn Heizöl war in Griechenland nicht teuer.
Wir suchten gemeinsam in meinem Vorratsschrank was wir kochen wollten. Wir fanden auch etwas was meinem Schwiegervater schmeckte. Danach machten wir einen Sparziergang. Es gefiel ihm, dass ich Zeit hatte. Wir gingen auch ein paar Schaufenster ansehen und er schaute ganz sehnsüchtig. Gerne wäre ich mit ihm zum Einkaufen gegangen, aber ich hatte ja die Nähmaschine gekauft und nicht mehr viel Geld auf der Bank. Drum sagte ich zu ihm: „Stefan soll Dir ein paar Sachen kaufen, bevor du wieder nach Griechenland fährst.“ Er wollte noch eine Woche bleiben, aber die Idee gefiel ihm.
Auf dem Rückweg kamen wir an der alten Wohnung vorbei und ich erzählte ihm von dem Kühlschrank. Den ersten hatte er ja mit nach Griechenland genommen. Den zweiten hatte er einfach verkauft. Aus Versehen sagte ich: „Jetzt kaufe ich erst wieder einen, wenn Stefan nicht mehr bei mir wohnt.“ Da wollte er natürlich wissen, wie ich das meinte. In Griechenland war es nicht üblich, dass eine Frau die Scheidung einreicht. Wenn man sich dort scheiden lässt, dann reicht der Mann die Scheidung ein. Jetzt war er traurig. Ich hatte den Eindruck, dass er mich mochte. Wir kamen heim in die gut gewärmte Wohnung und saßen in der Stube.
Dort machten wir griechischen Kaffee und tranken jeder zwei Ouzo. Dann kam Stefan und brachte einen Fernseher. Den stellte er auf, und nach etwa einer Stunde hatte er tatsächlich ein Programm eingestellt. Ich ließ die beiden allein und ging zum Schlafen.
Am Abend berichtete mein Schwiegervater, dass ich mich scheiden lassen wollte. Stefan lachte darüber und sagte zu seinem Vater: „Was die sagt hat keinen Wert, die beruhigt sich wieder.“
Ich nahm mir die Zeit und frühstückte morgens mit dem Opa. Er hatte Stefan erzählt, dass ich gesagt hatte er soll ihm etwas kaufen. Nun hatte er ihm fünfzig Mark gegeben und er wollte ins Kaufhaus zum Einkaufen. „Wenn du auf mich wartest, gehe ich mit dir“, versprach ich ihm. Jetzt musste ich ja leider zur Arbeit.
Mein Schwiegervater blieb noch eine Woche bei uns, und vertrieb sich die Langeweile indem er in den Kaufhäusern umher lief und die Waren anschaute. Das Angebot war größer, als das auf dem Markt in seinem Dorf. Am Samstag ging ich mit ihm ins Kaufhaus und kaufte ein paar Sachen für meine Kinder. Die packte ich ihm in seinen Koffer, der ja eigentlich mein Koffer war. Es war mein alter Koffer, den ich in Griechenland gelassen hatte. Innen auf den Gurten stand noch der Name meines Vaters. Ich sagte: „Den Koffer hatte mein Vater schon, es ist das einzige was ich von ihm habe.“ Da wollte er mir den Koffer zurück geben. „Lass nur“, sagte ich, „bei dir ist er doch gut aufgehoben.“
Stefan hatte inzwischen Post bekommen von meinem Rechtsanwalt. Er war doch sehr erstaunt. Ich war froh, dass sein Vater noch da war, denn er hatte gelernt mich in meiner Lage zu verstehen. Als der Abschied näher rückte weinte er manchmal, wenn er im Sessel saß. Ich versprach ihm, dass ich im nächsten Sommer ganz sicher nach Griechenland fahren wollte. Er glaubte mir nicht. Für den Montag hatte ich mir ein paar Stunden frei genommen, ich wollte nicht, dass er auf dem großen Bahnhof allein war. Möglicher Weise würde er noch in den falschen Zug steigen. Er konnte ja kein Wort deutsch.
Also sorgte ich dafür dass er gut weg kam und ging etwas später zur Arbeit. Im Grunde genommen war er schon sehr nett, mein Schwiegervater.
In der Firma hatte die Telefonistin aufgehört, sie wurde nicht durch eine neue ersetzt. Dem Betrieb ging es finanziell nicht so gut und es musste eingespart werden. Entlassen wurde niemand, aber wer von selbst ging, wurde nicht mehr ersetzt. Nun musste ich die Telefonzelle mit bedienen. In die kleine Zentrale stellten wir alles was ich zu meiner Arbeit brauchte, damit ich nicht hin und her laufen musste. Nun hatte ich zwar etwas mehr Arbeit, aber ich hatte ja Ella.
Wenn mir die Arbeit über den Kopf wuchs, dann kam sie mir zur Hilfe. So sparten wir einen Arbeitsplatz ein und alles funktionierte. Als die Sekretärin Gehaltserhöhung wollte, die aber nicht bekam, war sie die nächste die kündigte. Da stellte der Chef eine neue junge Sekretärin ein, die weniger verdiente. Es war Ulla. Sie passte bestens in unser Team.
Ulla konnte auf der modernen Schreibmaschine nicht schreiben und tauschte mit mir. Da aber meine Maschine einen extra breiten Wagen hatte für die Karteikarten, nahm sie mir die Arbeit auch gleich ab. Niemals hätte ich davon geträumt, einmal auf der modernsten und teuersten Maschine schreiben zu dürfen.
Stefan allerdings wollte nicht begreifen, was der Anwalt von ihm verlangte. Erst nach der zweiten Aufforderung zog er ins Gastzimmer. Auch, dass er dafür Miete an mich bezahlen sollte, wollte er nicht einsehen. Morgens von sechs Uhr bis halb sieben Uhr, durfte er sich in meiner Küche waschen. Er dachte wenn er das einhält, würde ich die Scheidung vergessen.
Wenn ich aus dem Haus ging, steckte ich den Steckschlüssel in das Schlüsselloch, denn ich hatte den Eindruck, dass er in meinen Sachen herum gestöbert hatte. Dann hörte ich nicht mehr viel vom Rechtsanwalt und es war inzwischen schon wieder Sommer. Da nahm sich Stefan auch einen Rechtsanwalt, und die Angelegenheit kam richtig ins Rollen. Vom Gericht wurde uns ein Termin angegeben.
Es begann die Urlaubszeit und wir hatten Betriebsferien. Ein Teil der Firma, jedenfalls. Bei uns wurden die Ferien auf zwei mal gemacht, so dass der Betrieb immer weiter laufen konnte.
Ella reiste nach Mallorca und Ulla und ich waren waren allein im Büro. Bei uns stapelte sich die Arbeit. Nebenbei hatten wir noch die Reparatur-Annahme , und wir mussten das Essengeld einkassieren. Nun hatte ich drei Schubladen in meinem Schreibtisch. Die unterste nutzte ich privat, die zweite für die Reparaturen und die dritte für das Essengeld.
Eines Tages hatte ich wieder das ganze Geld für das Essen in der Schublade und keine Gelegenheit es loszuwerden. Als ich Feierabend hatte, räumte ich wie jeden Tag meinen Schreibtisch auf. Alles was fertig war, kam ins Ablagekörbchen. Das nicht erledigte kam in die oberste Schublade auf das Geld. In unserem Betrieb war jeder ehrlich ich brauchte keine Angst zu haben.
Am Morgen darauf war die Polizei im Haus. Es war große Aufregung, sogar der Chef war schon da, der sich selten blicken ließ. Im Betrieb hatte man Metallplatten gestohlen, in der Nacht waren Einbrechen da. Auch bei Ulla fehlte die Kaffeemaschine. Mir fiel das Geld ein. Ich nahm die unfertige Arbeit aus der Schublade und das Geld war noch da.
Nun musste ich mich erst hinsetzen. „Bei mir waren sie nicht!“ Verkündete ich vorschnell. Die zweite Schublade mit den Reparatur-Feuerzeugen war leer. Auch ein kleines Döschen in das ich immer das Telefongeld legte, wenn jemand privat telefonierte war geplündert, aber darin waren nicht mehr als zwei Mark.
Die Polizei wollte eine Aufstellung, aber ich wusste nicht genau was da alles war, denn die meisten Teile wurden direkt abgegeben, dann klebte ich einen Zettel darauf. Für mich hatte das immer ausgereicht. Ulla lachte und meinte: „Hättest du in der obersten Schublade nicht so eine Unordnung gehabt, hätten sie das Geld gefunden.“
Zu Hause ließ Stefan mich keinen Tag in Ruhe. Mal versuchte er mit Versprechungen mich von meinem Vorhaben abzubringen, dann wieder mit Drohungen. Samstags montierte er eine Klingel in sein Zimmer. Als er im Treppenhaus das Kabel verlegte, stritt er mit jedem der durchs Treppenhaus kam. Zuletzt schimpfte er über unsere direkten Nachbarn, die noch nicht verheiratet waren. Ich war mit dem jungen Paar immer sehr gut ausgekommen. Das hatte ihm scheinbar gar nicht gefallen. Er wurde so ordinär, dass die jungen Leute sich schämten und kurz darauf auszogen.
Die Kollegen kamen wieder aus dem Urlaub zurück. Ulla und ich blieben noch zwei Tage um alles korrekt zu übergeben, dann hatten wir Ferien. Ich packte meine Sachen um meine Kinder zu besuchen. Da kam Stefan und fragte ob ich mit fahren möchte, er wollte mit dem Auto nach Griechenland fahren. „Die lange Fahrt allein ist nicht schön und du kannst das Fahrgeld sparen.“ Ich fragte nach dem Haken, aber er versicherte da sei keiner. Wir mussten sowieso in drei Wochen wieder hier sein, wegen dem Scheidungstermin. Er schien sich damit abgefunden zu haben.
Wieder tauchte das weiße Auto auf. Wem es nun gehörte, hatte ich immer noch nicht heraus bekommen. Er fragte immer, ob ich nicht doch noch was besonderes hätte , um es mit nach Griechenland zu nehmen. Nein, ich hatte nichts und ich wollte auch nichts hergeben. Als ich mein Reisegepäck ins Auto brachte, hatte er schon wieder einen Kühlschrank eingeladen. Dazu einige Kleingeräte wie Rasierapparate und elektrische Küchenmaschinen. Das Auto war richtig voll. Für die Kinder hatte ich nur ein paar Spielsachen gekauft. Kleidung hatte ich dem Opa schon mitgegeben. Was ich noch zum Essen im Schrank hatte, nahm ich mit für unterwegs, dann fuhren wir los.
Es ging schon auf den Abend zu, als wir auf die Autobahn kamen. Wir fuhren Richtung München. Die Strecke führte mitten durch die Stadt, aber da es spät war, hielt sich der Verkehr in Grenzen. Als wir die Stadt hinter uns hatten fuhr Stefan einen Parkplatz an, um ein wenig auszuruhen. Er hatte ja auch nicht geschlafen. Der ganze Platz war voll mit Reisenden, die dort schlafen wollten und die Polizei klopfte an unser Fenster: „Sie müssen das Licht anmachen, wenn Sie hier bleiben wollen.“ Stefan schaltete das Licht ein, und wir machten nur ein kurzes Nickerchen, etwa zwei Stunden. Dann fuhren wir wieder weiter. In den frühen Morgenstunden erreichten wir Salzburg. Er hielt auf einen freien Parkplatz und machte noch einmal die Augen zu.
Ich nutzte die Zeit in ein Café zu gehen, ich brauchte jetzt dringend einen Kaffee. So früh war natürlich noch gar nicht offen. Die Putzfrau hatte nicht abgeschlossen und weil ich schon mal da war, bekam ich meinen Kaffee und eine Brezel mit Butter. Neben den Kaffee hatte sie mir ein kleines Täfelchen Schokolade gelegt, das hatte ich bisher noch nie bekommen. Ich ließ mir Zeit, damit Stefan noch ein wenig schlafen konnte.
Das war auch sehr wichtig, denn kurz vor Rosenheim kamen wir an einem Unfall vorbei, der hinter er einer Kurve war. Er konnte zwar nicht mehr bremsen, aber er konnte das Auto geschickt um die betroffenen Fahrzeuge herum lenken. Dann fuhren wir auf den Autozug, um nicht über den Pass zu müssen. Stefan schlief schon wieder und ich konnte mich von dem Schreck von vorher erholen. Ich war noch nie auf der Autobahn gefahren und hatte sowieso mehr Angst als Vaterlandsliebe.
Auf der anderen Seite des Tunnels ging es dann weiter im strahlenden Sonnenschein. Ich sah nun auch die schönen Seiten von Jugoslawien. Es waren endlose Strecken, die wir durch Maisfelder und Wälder zurücklegten.
An einem Maisfeld machte wir eine größere Pause. Ich hatte ja immer noch etwas zum Essen, aber Stefan hatte nicht vorgesorgt. Er brach sich einen Maiskolben ab, der aber schon zu reif war und nicht mehr gut schmeckte. „Wenn wir morgen etwas zum Essen kaufen, gebe ich dir von mir was ab“, bot ich ihm an. „Ja sicher, in der nächsten Stadt, Essen ist hier nicht teuer“, versicherte er. Also teilte ich christlich , behielt aber von meinem Teil noch für den Notall zurück. Inzwischen hatte ich meine Perücke abgenommen, es war zu warm. Meine Haare waren wieder ein wenig gewachsen und ein bis zwei Zentimeter lang. Stefan meinte: „Lass sie unten, dann wachsen die Haare schneller.“ Angenehmer war es auf alle Fälle.
Am späten Nachmittag fuhren wir weiter. Jetzt kamen wir wieder durch einen unendliche Wald. Es wurde dunkel und die Straße war wenig befahren. Ich hatte Angst vor Tieren, die aus dem Wald kommen könnten. Wenn etwas passierte, würden wir eine Ewigkeit auf Hilfe warten müssen. Deshalb war ich besonderes aufmerksam unterwegs. Stefan wollte mich immer wieder überreden auch ein Stück zu fahren, aber ich konnte mich überwinden.
Aufmerksam saß ich auf dem Beifahrersitz und hielt den Straßenrand genau im Auge. Mitten auf der Straße entdeckte ich etwas. Ich warnte Stefan und der fuhr mitten darüber. Unter dem Auto polterte es. Stefan hielt an und schaute nach. Es war ein leerer Benzinkanister. Hier warfen die Leute alles an den Straßenrand, auch ganze Autos waren dort im Graben zu finden. Er stieg ein, und das Auto lief nicht mehr. Genau das hatte ich befürchtet. Wir stritten weil ich ihn gewarnt hatte, und er hatte geglaubt es sei eine Schachtel. Etwa eine Stunde warteten wir. Zur Sicherheit hatten wir eine Lampe aufs Auto gestellt.
Dann kam ein Auto und ein junger Mann hielt an. Er musste hier irgendwo wohnen, denn er kannte sich ganz genau aus. Wir verständigten uns mit Handbewegungen aber das klappte wunderbar. Ein paar Meter schoben wir das Auto. Dann war dort ein Waldweg, der ging bergab. Wir stiegen ein und der junge Mann schob uns an. Den Weg hinab sprang das Auto wieder an. Auf einer freien Stelle konnten wir wenden. Jetzt durfte das Auto nicht mehr ausgehen. Bis in die nächste Stadt mussten wir kommen, und das konnte Stunden dauern.
Auf der Landkarte sollte ich nachsehen, wie weit es bis zur nächsten Stadt war. Bei Landkarten hatte ich immer Probleme. Außerdem wusste ich nicht, wo wir gerade waren. Bevor er mich nun mit allen bösen Wörter beschimpft hatte, kamen wir an einem Schild vorbei. Es waren nur noch ungefähr 100 km bis zur nächsten Stadt. „Eine gute Stunde noch“, sagte Stefan denn die Straße war schlecht, und er passte auf, dass er nicht anhalten musste. Wir waren nicht mehr weit von der Grenze entfernt, und wenn die Reparatur am Auto nicht zu lange dauerte, konnten wir heute noch ankommen.
Langsam hatte ich Hunger. Ich suchte meine letzten essbaren Reserven und gab Stefan auch etwas ab. Er glaubte schon, ich sei auf dem besten Wege die Scheidung abzusagen. Ich ließ ihn erst mal in seinem Glauben, damit er wenigstens auf der Fahrt nicht ausrastete. Kurz vor der Stadt befand sich neben der Straße eine große Tankstelle mit Werkstatt. Da versprach man uns, dass wir in zwei Stunden weiter fahren könnte. Wir gingen also in die Stadt um etwas zu essen. Vor einer Gaststätte ließen wir uns bedienen und es war köstlich.
Danach gingen wir wieder zur Werkstatt. Stefans Auto war schon fertig. Die Rechnung war auch im Rahmen geblieben, so konnten wir weiter fahren. Es war noch nicht ganz dunkel, da kamen wir in die Nähe der Grenze. Stefan fuhr von der Straße ab, über einen fürchterlichen Feldweg. Mir war klar, er wollte am Zoll vorbei. Die Gegend kannte er besser, als ich glaubte. Dann war doch plötzlich ein Posten auf dem Weg.
Stefan war in ein Militär-Übungsgebiet geraten. Er dachte mit seinem breiten Grinsen könnte er den Posten überreden, ihn weiter fahren zu lassen. Aber der ließ sich von ihm nicht beirren. Stefan musste umkehren und der Posten alarmierte verschiedene Dienststellen. Wir wendeten und fuhren wieder ein Stück nördlich. Dann bog er ab in den Fluss, und fuhr ohne Licht im Mondschein dadurch. Ich dachte die vielen Steine könnten das Auto demolieren, aber als er ein paar Kilometer gefahren war, und das Wasser tiefer wurde, fuhr er zurück auf den Weg. Der führte direkt in sein Dorf.
Bei ihm zu Hause lud er gleich das Auto aus. Ich ging in mein altes Zimmer um die Kinder zu begrüßen. An meine Haare hatte ich nicht mehr gedacht. Ich schaltete das Licht ein und ging ans Kinderbett. Zuerst wurde Tina wach. Sie fiel mir um den Hals: „Mama, da bist du ja“, rief sie erfreut. Auch Heinz war sofort hellwach. Lena war gewachsen, ich hatte sie lange nicht gesehen. Sie kam ans Gitter vom Kinderbett und schaute mich an. „Weißt du wer ich bin?“ fragte ich auf griechisch. Sie antwortete: „Du bist meine Mama!“ Ich war glücklich. In dieser Nacht schlief ich mit drei Kindern in einem Bett. Es machte mir nichts aus, dass ich unbequem lag.
Morgens kam meine Schwiegermutter, die am Abend schon geschlafen hatte und begrüßte mich. Wir frühstückten zusammen. Sie holte Butter und Käse aus dem Kühlschrank, der ja eigentlich mal meiner war. Sie war glücklich darüber und ich gönnte es ihr. Dann kamen mehrere Soldaten und nahmen Stefan mit. Sie untersuchten auch das Auto, aber Stefan hatte am Abend alles ausgeräumt. Nur meine Perücke war noch darin. Die gaben sie mir, als sie sahen, dass ich ganz kurze Haare hatte.
Mehrere Tage war er verschwunden und als er wieder auftauchte, hatte man ihm den Pass abgenommen. Nun hatte er Scherereien den Pass wieder zu bekommen. Damit war er vollauf beschäftigt. Während ich mit meinen Kindern unbeschwert Urlaub machen konnte. Als Markttag war, ging ich mit den Kindern über den Platz und kaufte jedem noch etwas zum Anziehen. Vor allem Schuhe brauchten sie dringend.
Am Wochenende kamen Sophia und Ireni aus Saloniki und weil Stefan auch mal wieder da war, fuhren wir mit dem Auto zum See wir hatten Badesachen dabei. Das Wasser in dem Bergsee war aber so kalt, dass es uns langte die Füße hinein zu halten. Außerdem hatte der See gar kein schönes Ufer. Wir stellten fest, dass er als Badesee nicht in Frage kam.
Die Gegend war aber wunderschön und wir sonnten uns. Stefan, der vor seinen Schwestern angeben, und besondere Fahrkünste vorführen wollte, rutschte mit den Hinterrädern am Ufer ab und blieb mit dem Auto hängen. Seine Schwestern und er plagten sich das Auto anzuheben und ich saß im Auto und sollte Gas geben, sobald sie es hoch behoben hatten. Alle waren dreckig und abgeschafft, nur ich nicht. Dieses Mal hatte ich den besseren Job.
Heinz sorgte noch am Abend dafür, dass es das ganze Dorf erfuhr. Als meine zwei Wochen Urlaub fast vorbei waren, schrieb ich an meine Arbeitskollegen. Ich teilte ihnen mit, dass ich wohl nicht pünktlich kommen konnte, weil mein Mann immer noch um seinen Pass kämpfte. Er war tagelang in Saloniki und wir mussten wenigsten zur Scheidung zurück sein. Meine Schwiegereltern versuchten mich umzustimmen, aber es gab für mich kein zurück mehr, ich war es leid. Tina fing an ihre Sachen in meinen Koffer zu packen. Sie wollte mit.
Mein Schwiegervater war dafür, dass sie mit nach Deutschland fuhr. Auch die Oma fand das gut, denn sie war mit drei Kindern ein wenig überfordert. Außerdem hatte sie die Befürchtung, dass die Kinder nach der Scheidung gar keine Eltern mehr hätten. Stefan würde sie schnell vergessen. Somit richteten wir alles für unsere Abreise mit Tina.
Als Stefan endlich mit seinem Pass wieder zurückkam, war es höchste Zeit für die Heimreise. Er versuchte noch einmal mich umzustimmen. Sein Vater hatte von dem Geld, das Stefan laufend geschickt hatte einen neuen großen Stall gebaut. Da wollte er die Hälfte abtrennen und ich solle dort eine Wäscherei aufmachen. Ich konnte mich dafür nicht begeistern.
Meine Schwiegermutter richtete uns zwei Hähnchen für unterwegs und einen großen Korb mit Tomaten. Sie hatte auch ein paar Eier abgekocht und Brot eingepackt. Wir schliefen noch eine Nacht im Haus. Früh standen wir auf und brachten unsere Sachen ins Auto. Tina legten wir gleich auf die Rückbank, die sollte noch ein wenig schlafen.
Dann verabschiedete ich mich weinend von Lena und Heinz. Ich schnappte mir den Korb mit den Tomaten und bat Stefan die Sachen aus dem Kühlschrank zu bringen. In den Korb hatte ich noch das Brot gelegt. Dann fuhren wir los.
An der Grenze hatten wir schon wieder Schwierigkeiten, weil wir keinen Einreisestempel hatten. Stefan behauptete wir wären bei der Einreise nicht kontrolliert worden. Schließlich glaubten die Beamten uns, da wir ja ein Visa hatten, konnten wir weiterfahren. Wir fuhren bis zum Nachmittag, dann hatte Stefan Hunger und suchte die Hähnchen. Aber er hatte die Sachen aus dem Kühlschrank nicht ins Auto gebracht. Geld hatten wir auch kaum noch, denn er hatte viel Geld bezahlt damit er seinen Pass wieder bekam, und ich hatte den Kindern Kleidung gekauft.
Wir mussten froh sein, wenn das Geld für Benzin reichte. Den Autozug konnten wir uns nicht leisten, wir mussten über den Pass fahren. Als wir an der höchsten Stelle waren, war es Nacht und wir fuhren auf einen Parkplatz um bis zum Morgen zu schlafen. Ich war die halbe Nacht wach und überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, wenigstens noch ein Kind mit zunehmen.
Die Gelegenheit war günstig und bei dem Zeitdruck den wir hatten, hätte Stefan vielleicht zugestimmt. Dann wieder war es auch schwierig für mich, ich musste ja zur Arbeit. Die Kinder sollten tagsüber auch versorgt sein.
Langsam wurde es Tag und kein einziges Auto war die ganze Nacht vorbei gekommen. Noch bevor die Sonne aufging fuhren wir weiter und am Abend kamen wir zu Hause an.
Für seine Kusine hatte er Fische und scharfe Paprika mit gebracht, die brachten wir gemeinsam zu ihr. Sie bot uns Essen an, und da wir nichts daheim hatten, aßen wir bei ihr. Dafür holte ich noch von den Tomaten für sie. Die hätte ich schon gern selbst behalten, denn es gab in den Läden keine, die so gut schmeckten.
Am nächsten Morgen mussten wir wieder zur Arbeit und ich hatte das Glück, dass die Dame unten im Haus den ganzen Tag daheim war. Sie war bereit auf Tina aufzupassen. Viel Zeit von meinem Urlaub zu berichten blieb mir nicht, denn mein Schreibtisch lag voll mit Arbeit. Der Tag verging wie im Flug und ich ging zur Straßenbahn um schnell zu Tina zu kommen. „Am Freitag hast du deinen Termin!“ Rief mir Ulla noch nach, bevor sie zu ihrem Mann in den feuerroten Sportwagen stieg.
Im Eiltempo ging es von der Straßenbahn heim. Der alten Dame am Fenster versprach ich, später von meinem Urlaub zu erzählen, da ich meine Kleine jetzt von der Nachbarin holen musste. Die Dame war sichtlich enttäuscht.
Nun klingelte ich bei der Nachbarin. Die war heilfroh als ich kam. Tina hatte sich bei ihr nicht wohl gefühlt und war dazu auch noch sehr ungezogen gewesen. „Nein, auf das Kind kann ich wirklich nicht aufpassen“, sagte sie und zeigte auf die Strumpfhose von Tina. Das Wetter war bei uns kühl und windig, damit sie sich nicht erkälten sollte, hatte ich ihr eine leichte Strumpfhose angezogen. Die war neu und Tina hatte sie total verrissen. Ich zog sie ihr aus und ging mit Tina zum Einkaufen, denn in meiner Küche war nichts mehr.
Dieses Mal konnten wir nicht an der Dame am Fenster vorbei huschen. Sie mochte Tina und wollte sie dann auch mal beaufsichtigen versprach sie. Vielleicht am Freitag, meinte sie.
Wir gingen in den nächsten Laden und kauften ein, was wir zum Essen wollten. Tina hatte deutsche Sprache total vergessen, sie sprach nur griechisch. Was sollte ich nur machen mit ihr, bald fing die Schule wieder an. Tina ging in Griechenland in die zweite Klasse.
Auf dem Rückweg kamen wir an der Kreuzung vorbei, wo die Polizei Fahrräder versteigerte. Ich erwarb ein Fahrrad für mich für zwanzig Mark und einen Roller für Tina für drei Mark. Sie freute sich riesig über den Roller. Jetzt mussten wir aber zum Kochen heim. Wir räumten das Eingekaufte in den Schrank und Tina fragte warum ich keinen Kühlschrank hatte, „Oma hat einen Kühlschrank.“ Nach kurzem Schlucken, sagte ich zu ihr: „Das ist meiner, ich habe nur noch keinen neuen.“ Wir kochten für zwei Tage, damit ich morgen die Arbeit nicht auch noch hatte.
Abends wollte Stefan mir Anweisungen geben was ich bei der Scheidung sagen sollte. Er war noch bei seinem Rechtsanwalt gewesen. Ich wollte keine Diskussion und bat ihn, in sein Zimmer zu gehen. Tina konnte nicht verstehen warum er oben schlafen sollte, vermisste ihn aber nicht sonderlich. Als wir schlafen gingen freute sie sich über das große Bett, was ihr nun ganz allein gehörte und gleich neben meinem stand.
Freitags gab ich Tina schöne Kleidung zum Anziehen. Danach packte ich alles in meine Tasche, was ich für den Termin beim Gericht brauchte. Tina nahm ich mit zur Arbeit. Wir stiegen in die Straßenbahn und ich zeigte ihr, wie man den Fahrschein-Automaten in der Straßenbahn bediente. Es gefiel ihr, beim nächsten Mal wollte sie den Fahrschein hinein stecken. Ich dachte, so schnell werde ich sie nicht wieder mit zur Arbeit nehmen. Ganz nah bei meinem Büro, war ein Sandkasten und ich wollte, dass sie da spielen sollte bis ich Frühstückspause hatte. Aber sie kam gleich hinter mir her.
Ich setzte sie auf den Stuhl neben meinem Schreibtisch. Da jeden Morgen alle meine Kolleginnen irgend etwas in meinem Büro holen oder bringen mussten, lernten sie gleich meine Tochter kennen. Sie waren alle sehr freundlich zu ihr. Die Hausmeisterfrau zeigte ihr das ganze Haus und wollte sie mit in die Wohnung nehmen. Da war aber ein kleiner Hund. Tina rannte wie der Blitz wieder nach unten. Nun saß sie wieder in meinem Büro, der Chef war nicht da und bis der kam war ich schon weg. Ich hatte um zwei Uhr Scheidungstermin.
Nach dem Mittagessen musste ich gehen. Ulla rief ihren Mann an. Der kam nach der Mittagspause und holte Tina ab zum Zoobesuch. Somit konnte ich in Ruhe zu meinem Gerichtstermin. Am Abend würde Ulla, Tina zu mir bringen.
Ich eilte zur Straßenbahn und überlegte wo ich aussteigen sollte. Von jeder Haltestelle in der Stadt war es gleich weit, also stieg ich da aus, wo ich mich am besten auskannte und kam pünktlich beim Familiengericht an. Mein Anwalt erwartete mich und zeigte mir das Schreiben, was er erst heute vom Anwalt meines Mannes bekommen hatte. Mich beschuldigte er in höchsten Masse, eine schlechte Frau zu sein und verlangte, dass ich sämtliche Kosten zu tragen hätte. Die Kinder würde er auf gar keinem Fall herausgeben, sie wären Griechen.
Dann wurden wir in den Saal gebeten, und Stefan war immer noch nicht da. Als wir Platz genommen hatten kam Stefan mit seinem Rechtsanwalt und einem Dolmetscher. Lächerlich, dachte ich, da er doch immer selbst Dolmetscher-Dienste anbot, die er sich zahlen ließ. Er wurde gefragt ob er denn einen Übersetzer brauchte, da er gut Deutsch konnte. Stefan antwortete: „Nur so, zahlen muss die ja.“ Der Richter schien etwas gegen unverschämte Ausländer zu haben, und forderte ihn mehrmals auf, seinen Mund zu halten.
Er verärgerte sogar seinen eigenen Anwalt. Jemand fragte Stefan, warum er überhaupt eine deutsche Frau geheiratet hätte, wenn die Griechinnen doch so fürsorglich und anständig wären. „Kann es sein, dass es da um die doppelte Staatsangehörigkeit ging?“ Wollte der Richter wissen. Langsam bekam ich Angst, dass er mir auflauern würde und mich verprügeln wollte, weil alles gegen ihn war. Der Richter kam zum Schluss: Die Ehe sei so zerrüttet, dass sie geschieden wurde. Das Kind, welches in Deutschland war, wurde mir gleich zugesprochen. Über die anderen Kinder sollte gesondert entschieden werden, sie könnten vorerst bei seinen Eltern bleiben.
Die Gerichtskosten übernahm der Staat, und die Anwaltskosten sollte Stefan zahlen. Ich meldete mich, und bat meine Anwaltskosten selbst zahlen zu dürfen, da ich Angst vor Stefan hatte. Den Namen hätte ich ablegen können, aber der Richter machte mich darauf aufmerksam, dass ich dann anders hieße als meine Kinder, und das sei nicht so gut für die. Da ich vorher nicht darüber nachgedacht hatte, stimmte ich zu. Wir mussten unterschreiben und waren rechtmäßig geschieden.
Auf dem Heimweg holte mich Stefan ein und meinte: Jetzt, wo wir geschieden wären, brauchte es ja niemand zu wissen, und wir könnten wieder ganz normal zusammen leben wie früher, vor der Hochzeit. Er wollte dann heute Abend mit mir die Scheidung feiern.
Als ich in unsere Straße einbog, sah ich schon das rote Sportauto von Ullas Mann. Sie standen am Fenster bei der alten Dame und unterhielten sich mit ihr. Ein Blick von mir reichte, und meine Kollegin hatte spontan Zeit. Wir gingen gemeinsam in die Wohnung hinauf, und Stefan kam hinterher. Da wollte er mit Tina spielen Ulla und ich waren in der Küche. Ihr Mann fragte: Stefan, hast du keine eigene Wohnung? Du wirst hier nicht gebraucht.“ Das wirkte und er stieg die Treppe hinauf.
Endlich waren wir allein. Wir überlegten was ich mit Tina machen sollte, die Ferien waren bald zu Ende und sie musste in die Schule. Sie sprach aber kein deutsch und ging in Griechenland in die zweite Klasse. Ulla schlug vor, sie zunächst in die griechische Schule zu bringen, das sei eine Ganztagsschule und Tina sei vorerst versorgt. „Sobald sie dann wieder deutsch spricht, meldest du sie in der deutschen Schule an. Bis dahin brauchst du noch einen Platz im Hort." Ulla wollte gleich morgen mit mir die Schule ansehen.
Ulla kam am Samstag und wir machten mit ihrem Mann und Tina einen Sparziergang um die Schule zu suchen. Wir fanden die Schule ungefähr auf der Mitte des Berges, auf den ich täglich zur Arbeit fuhr. Die Strecke gab es keine Straßenbahn entweder ich nahm das Fahrrad, oder ich ging zu Fuß. Mit dem Rad bergauf war anstrengend und zu Fuß ebenso. Zurück ging es dann bergab, das war nicht so anstrengend, aber genau so weit. Ich wollte es mit dem Fahrrad versuchen, so weit es ging fahren ,und den Rest schieben. Den Rückweg konnte ich dann den Berg hinunter radeln.
Ulla lud uns zum Essen ein, wir gingen in ein kleines Restaurant. Den ganzen Tag war Tina brav, ich fragte mich warum ich sie nirgends hinbringen konnte, wenn ich zur Arbeit ging. Der Mann von Ulla wurde ganz kindisch, als wir am Spielplatz vorbei kamen. Wir setzten uns auf eine Bank und die beiden spielten an den Geräten. Michi, so hieß der Mann von Ulla konnte gar nicht genug kriegen, mit Tina zu spielen.
Ich hatte den Eindruck, dass er selbst gern ein Kind gehabt hätte. Wir gingen kurz zu mir heim, tranken einen Kaffee und packten ein paar Sachen ein. Dann fuhren wir nach Mülheim, um bis Sonntagabend bei Ulla und Michi zu bleiben. Sie meinten, es sei besser wenn ich nicht daheim war, wegen Stefan. Wir schlossen die Wohnungstür gut zu, denn wenn ich nicht zu Hause war, sollte er auch nicht in die Wohnung können. Er musste das Bedürfnis haben, sich eine eigene Wohnung zu suchen.
Ach ja, die neue Woche begann, und wieder fuhr ich in der Straßenbahn mit Tina. Tina schaute zu, wie ich den Fahrschein abstempelte. In der Straßenbahn hatte ich noch nie einen Sitzplatz gefunden. Wir hielten uns an den Stangen fest und waren froh, als wir aus dem überfüllten Wagen aussteigen konnten.
Fünf Minuten später kamen in meinem Büro an, und ich stürzte mich gleich auf meine Arbeit. Nach und nach kamen alle Kolleginnen vorbei um das neueste zu erfahren. Jede wusste etwas zu berichten, wir waren ein tolles Team. Ein Kollege, der aus Bielefeld kam, klopfte morgens immer ans Fenster. Dann machte ich das Schiebefenster auf, und er hatte immer einen Witz zu erzählen. Niemand störte sich an Tina, die wieder völlig brav auf dem Stuhl saß.
Nachmittags kam unser Chef mit seiner kleinen Tochter. Mit der Kleinen verschwand er im Büro. Dort ging er an seine Arbeit, die aus Unterschreiben bestand. Die Hausmeisterfrau brachte ihm seine Katze, die im Betrieb wohnte. Seine Frau hatte eine Katzenhaar-Allergie, deshalb war die Katze hier. Als er keine Zigaretten mehr hatte, kam er zu mir und bat mich, ihm welche zu holen. Er hatte aber kein Geld dabei. Dann sah er Tina und fragte wie sie heißt. Als ich mit seinen Zigaretten kam, hatte er sich mit Tina angefreundet. Zu mir sagte er nur: „Die Kleine kann aber nicht immer hier sein, dafür sind wir nicht versichert, falls etwas passiert.
Bei der Schule hatte ich angerufen, morgen ab sieben Uhr konnte ich sie bringen. Ich sollte ihr Zeugnis nicht vergessen. So schaute ich, als wir daheim waren schnell mein Fahrrad an, damit es am nächste Morgen keine bösen Überraschungen gab. Das Rad war in Ordnung. Wir mussten noch einmal in die Stadt, denn Tina hatte ja gar keinen Schulranzen.
Zum Schulranzen kaufte ich noch ein Schreibmäppchen mit Inhalt und ein paar Schulhefte. Langsam bekam ich Angst, mein Geld könnte bis zur nächsten Gehaltszahlung nicht reichen. Jetzt musste ich auch noch sparsam sein.
Tina freute sich über ihren neuen Ranzen, denn in Griechenland hatte sie nur eine alte Aktentasche, die schon ganz verschlissen war. Wir gingen zeitig ins Bett um morgens ausgeschlafen zu sein. Für Tina machte ich ein Pausenbrot und gab ihr fünfzig Pfennig, falls man in der Schule etwas kaufen konnte. Dann fuhren wir los.
Fünf Minuten konnte ich fahren, ab dann musste ich das Rad schieben. Wir brauchten eine halbe Stunde für den Weg bis zur Schule. Die griechischen Klassen waren im Untergeschoss einer deutschen Schule der Lehrer war noch auf dem Hof. Um halb fünf Uhr mussten die letzten Kinder abgeholt sein, sonst mussten sie allein heim laufen. Daran war aber vorerst nicht zu denken. Ich gab Tinas Zeugnis ab, das war nicht einmal so schlecht, sie hatte die Note sieben. Bei den Griechen gab es Noten von eins bis zehn. Zehn war die beste.
Endlich konnte ich wieder beruhigt zur Arbeit gehen, Tina war, bis ich Feierabend hatte, versorgt. Als ich Tina abholte, verlangte der Lehrer Turnsachen für den Sportunterricht. Schon wieder hieß es einkaufen. Die Bücher brauchten wir zum Glück nicht zu zahlen.
Tina hatte in der Schule ihre Hausaufgaben schon erledigt, so hatten wir den Abend für uns. Im Briefkasten war schon die Rechnung vom Rechtsanwalt, er bot mir Ratenzahlung an. Ich hatte von einer Waschmaschine geträumt, das konnte ich erst mal vergessen. Wenn ich mir etwas leisten konnte, dann höchstens einen gebrauchten Kühlschrank.
Als ich Stefan auf der Treppe hörte, ging ich um ihn um die Miete für das Zimmer zu bitten, die hatte er noch nicht bezahlt. Murrend zog er einen Fünfziger aus dem Geldbeutel und maulte, es sei viel zu teuer für ein Zimmer ohne Wasser. „Nimm dir doch einen Eimer Wasser mit nach oben, dann hast du Wasser im Zimmer“, schlug ich ihm vor.
Wenn ich morgens im Geschäft ankam, war ich immer total erledigt. Meine Kolleginnen meinten, dass konnte kein Dauerzustand bleiben. Ich musste mich um einen Kinderhort kümmern und Tina auf die Schule in unserer Nähe bringen. Also telefonierte, und erkundigte ich mich in welche Schule ich Tina bringen konnte und wie ich an einen Hortplatz kam.
Nachdem ich einen Dringlichkeits-Antrag gestellt hatte, dauerte die Prüfung und Bewilligung eine Ewigkeit. Inzwischen hatten wir Glatteis und waren schon mehrmals ausgerutscht. Da kam endlich die Zusage. Der Hort war keine fünf Minuten von uns, und die Schule etwas weiter. Die Kinder wurden morgens gebracht, von da aus in die Schule begleitet. Später wieder im Hort bei den Hausaufgaben betreut. So hieß es in dem Brief. Mittagessen gab es dort auch.
Ich glaubte jetzt wäre Tina optimal versorgt. Die Lehrerin, die sie in die Klasse nehmen wollte, wohnte in meiner Nachbarschaft. Deshalb gingen wir abends zu ihr. Mir schien die Lehrerin sehr nett, sie wollte Tina gleich in die zweite Klasse nehmen. Tina wollte in der griechischen Schule bleiben. „Ja gut,“ kam es genervt von mir, „aber dann musst du ab sofort allein und zu Fuß, jeden Morgen in die Schule.“ Sie schmollte und wollte gar nicht mehr in die Schule. Ich versuchte es ihr schmackhaft zu machen, indem ich ihr erklärte, dass wir dann beide nicht mehr so lange unterwegs wären und mehr Zeit für uns hatten.
Sie gab Ruhe, aber begeistert war sie nicht. Nach dem Abendessen gingen wir immer früh zu Bett. Dann machten wir es uns gemütlich im warmen Bett und ich erzählte Geschichten. Wir liebten unsere abendliche Schmuse-Stunden. Nun glaubte ich, es sei alles bestens geregelt.
Es sah so aus, als hätte Stefan begriffen, dass er in meiner Wohnung nichts zu suchen hatte. Eines abends klingele die Lehrerin von Tina. Sie bedauerte sehr, Tina nicht in der zweiten Klasse behalten zu können. Sie gäbe sich gar keine Mühe und machte im Unterricht nicht mit. Innerlich war ich zornig auf Tina, wollte mir aber nichts merken lassen. Die Lehrerin versprach, Tina in die neue Klasse zu begleiten, damit ich nicht schon wieder von der Arbeit fern bleiben musste.
An den Wochenenden übte ich mit ihr schreiben und lesen. Was Tina nicht wollte, das machte sie nicht.
Wenn in der Schule Ferien waren, oder wenn aus einem anderem Grund kein Schulunterricht stattfand, dann war auch der Hort geschlossen. Die Schule war einen Tag wegen Lehrerkonferenz geschlossen, und Tina war an diesem Tag nicht versorgt. Die Hausbesitzerin bot sich an, Tina zu sich zu nehmen. Sie konnte im Hof Roller fahren und wenn sie keine Lust mehr hätte, auf dem Klavier klimpern. Das hörte sich gut an, und ich schickte sie zu der alten Dame. Dann fuhr ich wie immer zur Arbeit. Keinen Augenblick dachte ich daran, dass es ihr bei der Frau nicht gefallen könnte.
Gegen Mittag kam ein Polizeiauto auf den Hof der Firma gefahren. Ein Polizist stieg mit Tina aus. Sie kamen zu mir ins Büro. Ich wollte mich gerade aufregen, als mich der Polizist zuerst beruhigte. Es sei ja nichts passiert. Tina hatte schon geweint, dass sah ich ihr an. Sie war der Dame entwischt, zur Straßenbahn gelaufen, und mit einem Fahrschein aus dem Papierkorb war sie eingestiegen. Den Fahrschein hatte sie ordnungsgemäß abgestempelt. Nur wusste sie nicht, wo sie aussteigen musste.
Als die Strecke zu Ende war, hatte sie keine Ahnung wo sie war. Wie sie an die Polizei gekommen war, habe ich nie erfahren. Das sie mit einem schon gebrauchten Fahrschein gefahren war, meinte der Polizist, sei Unwissenheit. Tina hatte nicht gewusst wo ich arbeite, aber als einer der Polizisten ein Feuerzeug aus der Tasche zog, hatte sie gesagt: „Da arbeitet meine Mama.“ In dieser Gegend gab es nur eine Feuerzeugfarik.
Ich verkniff mir sämtliche Vorwürfe, und gab Tina etwas zum Malen.
Ella hatte im Urlaub, ihren Mann fürs Leben kennen gelernt und gekündigt. Sie wollte heiraten und nach Wiesbaden ziehen. Die Arbeit würden wir demnächst auch unter uns aufteilen müssen.
Langsam fing ich an, mir Gedanken zu machen, was ich für Weihnachten vorbereiten wollte. Mein kleines Weihnachtsbäumchen hatte ich nicht mehr. Was immer ich machen wollte, ich musste alles neu kaufen. Die Weihnachts-Stimmung hatte sich bei mir auch noch nicht eingestellt. Also kaufte ich als erstes einen Adventskranz. Wenn die dritte Kerze brennt, dachte ich, kommt die Stimmung vielleicht von selbst.
Wenn ich es eben machen konnte, ging ich samstags mit Tina zum Essen ins Kaufhaus. Dann schlenderten wir durch die Abteilungen und ich war mir sicher, dass Tina eine Hose brauchte, die ich ihr zu Weihnachten unter den Baum legen würde. Besonders wünschte sie sich ein Fahrrad, aber das konnte ich nicht bezahlen. Bei der nächsten Straßen-Versteigerung wollte ich ihr aber eines kaufen. Sie hatte noch nie eine schöne Puppe, vielleicht reichte mein Geld dazu.
Jeden zweiten Samstag hatte Tina Schule und ich nutzte das, um alles fürs Fest einzukaufen. Christbaum mit Zubehör, eine Puppe und eine Hose. Dazu etwas süßes auf den Teller. Ich musste mich bremsen, denn Essen wollten wir ja auch. Mein Geld war jeden Monat aufgebraucht, ich hatte keine Mark auf der Seite. Irgendwas musste ich machen, damit ich dazu verdiente.
Tina glaubte noch an das Christkind, und das wollte ich ihr nicht vermiesen. In der Wohnung unter mir, war eine Rentnerin eingezogen. Bei ihr durfte ich alles unterstellen was Tina nicht sehen sollte.
Einen Christbaum hatte ich auch für fünf Mark bekommen. Den legte ich vors Fenster auf das Trockengerüst für die Wäsche. Mein Heizöl und meine Kohlen waren fast aufgebraucht. Auf Anraten meiner Arbeitskolleginnen hatte ich mich überwunden und am Rathaus einen Heizkosten-Zuschuss beantragt. Der war mir bewilligt worden und ich bekam siebenhundert Mark für Kohlen und Heizöl. Ich kaufte für die Hälfte ein, und der Monat war gerettet.
Da es anfing zu schneien, erstand ich für Tina noch einen Schlitten. So konnte sie in den Ferien Schlitten fahren, wenn ich wieder zur Arbeit musste. Nun hatte ich mich für einen zusammen klappbaren entschieden, weil der in jede Ecke passte. Das war natürlich ein Fehler, wie sich später herausstellte.
Die Rentnerin, in der Wohnung unter mir, verstand sich bestens mit Tina. Als ich am Heiligabend die Stube richtete, nahm sie mir die Kleine ab. Ich konnte in Ruhe den Weihnachtsbaum aufstellen, und die Geschenke darunter legen. Die Frau hatte einen Fernseher, der immer funktionierte. Ich hatte ja auch den von Stefan, aber der funktionierte immer nur, wenn er wollte. Meistens wollte er aber nicht.
Als ich alles fertig hatte, holte ich Tina ab. Frau Mack versicherte Tina jederzeit wieder zu nehmen. Das war mein Weihnachtsgeschenk. Endlich jemanden zu haben, wo Tina es aushielt.
Wir aßen Würstchen und Kartoffelsalat, und während Tina noch ein Extra Würstchen bekam, zündete ich unbemerkt die Kerzen an. Tinas Augen strahlten. Die Kerzen spiegelten sich in ihren Augen. Der Baum war nicht groß, aber viel größer, wie der künstliche Baum, den ich ja leider nicht mehr hatte. Die Puppe gefiel ihr besonders gut und die Hose probierte sie gleich an. Ich glaube über den Schlitten freute sie sich am meisten. Somit hatten wir einen schönen Abend.
Stefan störte uns nicht über Weihnachten, denn es hätte ja sein können, dass wir ein Geschenk erwarteten.
Am ersten Weihnachtstag besuchten wir die Frau, die mit mir im Krankenhaus war. Sie war Schneiderin und gab mir wertvolle Tipps fürs nähen. Tina war nicht gern bei ihr. Sie hatte zwar auch einen Fernseher, war aber kleine Kinder nicht gewöhnt. Auf dem Weg zu ihr kamen wir an einem Grünstreifen vorbei, wo eine Frau gerade ihren Schäferhund ausführte.
Der Hund saß brav am Rand und machte ein Häufchen. Tina hatte immer noch Angst vor Hunden und ließ ihn nicht aus den Augen. Als der Hund sein Geschäft erledigt hatte, richtete er sich auf. Tina schrie, der Hund bellte und Tina rannte auf die Straße. Der Fahrer eines VW-Busses konnte gerade noch bremsen. Er stieg aus und schrie mich fürchterlich an. Für mich war das Weihnachtsfest in diesem Augenblick vorbei. Als ich abends im Bett lag, dachte ich: Viel Freude hatte Tina mir noch nicht bereitet, seit dem sie wieder in Deutschland war.
Bis nach Neujahr hatte ich frei. Es hatte geschneit und ich ging mit Tina zum Schlittenfahren. Viele Kinder waren dort. Unser Schlitten war ja ganz schön, aber er lief nicht so gut, wie die anderen Schlitten. Unser klappbarer hatte schmale Kufen, und Tina war unzufrieden. Mir tat es leid, denn der übliche Schlitten hätte auch nicht mehr gekostet.
Frau Mack, die einen Stock tiefer wohnte, bekam täglich eine Zeitung. Dort schaute ich nach einem Nebenverdienst. In der Samstagszeitung waren dann auch einige Angebote: Ein Nachlassverwalter suchte eine Schreibkraft. In einem Imbiss wurde eine Aushilfe gesucht für Stunden und ein Zeitungsausträger wurde gebraucht. Zum Imbisslokal ging ich mit Tina, als wir zum Essen gehen wollten.
Das Lokal gehörte einem Araber, der war unwahrscheinlich freundlich. Tina und ich wurden gleich bewirtet. Sein Lokal war gerammelt voll. Es gab nur: Würstchen, Schaschlik, Pommes Frites und Hamburger. Er suchte jemanden am Büfett an bestimmten Tagen zum Beispiel freitags und samstags, jeweils zwei Stunden von fünf bis sieben Uhr. Dafür bot einen guten Stundenlohn. Zum Bedienen hatte er einen schnellen Italiener. Er drängte nicht, ich sollte ihn anrufen. Die Hamburger, die Tina und ich gegessen hatte waren köstlich.
Gleich am Montag rief bei dem Nachlassverwalter an und bei der Zeitung. Der Nachlassverwalter war mir unsympathisch. Die Zeitungen konnte ich gleich ab zweiten Januar austragen, nachts ab ein Uhr. Es war genau das Gebiet um meine Wohnung herum, und Tina würde um die Zeit schlafen. Mit dem Geld würde ich mir bald eine Waschmaschine kaufen können, dachte ich und sagte zu.
Nun hatte ich geglaubt, da wäre jemand, der beim ersten Mal mit ging, und mir alles zeigen würde. Da hatte ich mich getäuscht. Unter der Einfahrt zum Roten Kreuz, lag nachts um ein Uhr, ein Haufen Zeitungspakete, eine riesiger Schlüsselbund und eine lange Liste.
Auf was hatte ich mich da eingelassen? Eine Taschenlampe lag neben dem Schlüsselbund. Die Straßen waren gut beleuchtet, die Lampe brauchte ich für die Liste. Am liebsten hätte ich jetzt geheult, aber ich hatte keine Zeit dafür.
Ich machte den ersten Pack auf, und nahm mir die erste Straße vor. Viele Häuser hatten ihre Briefkästen im Hausflur, da brauchte man den passenden Schlüssel. Alle Schlüssel hatten ein Schildchen. Ich kämpfte mich durch die Straßen. Da kam ein Kollege von der Konkurrenz-Zeitung der nahm mir zwei Zeitungen ab, wo er auch hin musste. Ein paar Tipps konnte er mir auch noch geben.
Als ich fertig war, hatte ich drei Stunden gebraucht und hatte sieben Zeitungen übrig. Wo hatte ich die nur vergessen? Die Abfälle steckte ich gleich in den Herd, und die Zeitungen in meine Tasche. So hatte ich sie dabei, wenn sich später jemand beschwerte keine Zeitung bekommen zu haben. Dann legte ich mich wieder ins Bett um noch fast drei Stunden zu schlafen.
Tina hatte noch Ferien und ich musste zur Arbeit. Ich hatte Frau Mack gebeten sich um sie zu kümmern. Sie wollte mit mir zur Arbeit, aber ich brachte sie nach unten zur Frau Mack. Zuerst passte es Tina nicht, aber die Frau konnte mir ihr umgehen. Frau Mack hatte ein kleines Auto und fuhr mit ihr zum Einkaufen, an den Spielplatz und mich besuchen. Mich nahmen sie dann auch gleich mit nach Hause. Ihr Fahrstiel war sehr gewöhnungs-bedürftig.
Bei dem Araber hatte ich angerufen und wollte eigentlich absagen. Aber er war so nett und bettelte es sei doch nur für Freitag und Samstag, und auch dann nur zwei Stunden. So versprach ich am Freitag zur Probe zu kommen. Die Zeitungszentrale hatte angerufen ich hatte einen Wohnblock vergessen. Jemand von der Zentrale brachte die Zeitungen dorthin. Also verteilte ich die Zeitungen im Betrieb. Zwei Zeitungen gehörten immer mir, meine Kollegen waren ganz wild darauf.
Auf mein Fahrrad kaufte ich mir einen Korb für vorn und einen für hinten, darein kam jedes Mal ein Pack Zeitungen und so ging es nach wenigen Tagen ganz flott. Sogar den Häuser-Block, den ich zuerst vergessen hatte fand ich. Ich brauchte jetzt etwas mehr als eine Stunde, und einmal im Monat ging ich mit Tina zum Kassieren. Es waren nicht viele Kunden, die bar zahlten, die meisten hatten einen Dauerauftrag. Für mich lief alles bestens, und ich musste nicht mehr jede Mark dreimal umdrehen, bevor ich sie ausgab.
Jeden Morgen lieferte ich Tina ordnungsgemäß am Hort ab. Sie hatte inzwischen eine Freundin gefunden, die mir nicht so passte, denn es war die Tochter der Kusine von Stefan.
Immer wenn sie die Freundin mit nach Hause brachte kam der Mann, der mir mal nach spioniert hatte um sie abzuholen. Mal hatte er Ouzo dabei. Ständig machte er mir unanständige Angebote. Ich bat Frau Mack, das Mädchen um halb fünf heim zuschicken. Dann hatte sie noch einen Freund, der im Nachbarhaus wohnte, er schien ganz in Ordnung zu sein. Er ging mit Tina immer auf den Spielplatz.
Langsam, so sah es aus, pendelte sich unser Leben ein. Als es dann Frühjahr war, und Tina ihr Zeugnis brachte, fiel ich aus allen Wolken. Nicht nur, dass sie mangelhaft hatte, in allen Fächern, sondern sie hatte laufend die Schule geschwänzt. Ich beschwerte mich im Hort und bekam zur Antwort: „ Wir bringen die Kinder über die Straße, in die Schule müssen sie schon selbst gehen.“
Tina behauptete ihr Freundin hatte sie davon abgehalten, in die Schule zu gehen. Ich sprach mit dem Nachbarjungen und der versprach mir darauf zu achten, dass sie künftig die Schule besuchte. Nun waren die Osterferien und die Kinder, von berufstätigen Eltern durften in einen Ferienpark. Das kostete natürlich extra, und sie mussten morgens pünktlich am Bus sein. Tinas Freund fuhr auch mit, das beruhigte mich.
Inzwischen hatte ich das Geld zusammen für eine Waschmaschine. Ich kaufte im Kaufhaus eine und Frau Mack brachte sie mit ihrem Auto heim. Wir fanden jemanden, der und das Gerät in die Wohnung brachte. In meiner altmodischen Küche war sogar ein Wasseranschluss, der passend war. Meine Nachbarin hatte mir ein paar Tage vorher einen Kühlschrank besorgt von eine Bekannten, der kostete nichts.
Mehr Wünsche hatte ich nicht mehr. In der Imbissstube hätte ich ruhig aufhören können, aber der Araber war so nett, ich konnte es ihm nicht antun. Innen an der Schranktür, hatte er einen Zettel kleben, auf den schrieb er immer die Stunden die ich gearbeitet hatte. Wenn ich dann fragte ob er abrechnen könnte, machte er die Tür auf, rechnete und legte mir das Geld auf den Tisch. Wenn ich Hunger hatte und fragte: „Kann ich bitte einen Hamburger haben?“, schaute er mich immer ganz entsetzt an und sagte: „Ich bitte darum.“ Gerne erzählte er Witze, meistens arabische.
Tina war also den ersten Tag im Ferienlager und berichtete, dass es dort nicht schön sei. Ich schluckte, dafür hatte ich siebzig Mark bezahlt. So saßen wir abends noch ein wenig am Tisch und ich hörte zu, was sie erzählte. Es waren wohl einige Kinder, die sie laufend ärgerten. „Wenn du nicht immer Schule schwänzt, und deine Hausaufgaben ordentlich machst, gibt es keine Grund auf dir herum zu hacken“, war mein Kommentar dazu. Nein, sie wollte nicht in den Hort und auch nicht in die Schule.
An der Tür klopfte es. Mein erster Gedanke war Stefan. Ich hatte die Sicherheitskette eingehakt und machte die Tür einen Spalt auf. Tatsächlich war Stefan da, aber nicht allein. Er hatte Heinz dabei. Ich machte die Tür auf und Heinz stürmte herein. Alles was er dabei hatte, war eine Plastiktüte mit ein paar Sachen und seinen Schulranzen.
Stefan nutzte die Gelegenheit auch in die Wohnung zu kommen. „Jetzt sind ja Ferien. Danach kannst du ihn morgens in die griechische Schule bringen, ich melde ihn da an.“ Bestimmte er und setzte sich fett in den Sessel. Ich musste jetzt dringend ins Bett. Zu Tina sagte ich: „Wenn euer Vater nach oben gegangen ist, schließt ihr die Tür zu und kommt auch ins Bett.“
Als ich im Schlafzimmer war, grübelte ich nach, was das zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich hatte er gesehen, dass ich gut ohne ihn klar kam. Jetzt wollte er wieder alles durcheinander bringen, damit ich seine Hilfe brauchte. Oder dachte er wenn Heinz da ist, könnte er auch wieder bei mir einziehen.
Unangemeldet wollte ich Heinz nicht in den Ferienpark schicken. Also durften sie heute zu Hause bleiben. Später würde ich dort anrufen, Heinz anmelden und das Geld überweisen. Meine Kolleginnen waren auch alle erstaunt, und glaubten wie ich, dass er Hintergedanken hatte.
Ich meldete Heinz bei den Ferientagen an und ging bei der Bank vorbei das Geld zu überweisen. Im Kaufhaus kaufte ich Osterhasen aus Schokolade und ein paar Schokoladen-Eier. Tina erzählte, dass sie auf dem Spielplatz waren. Am nächsten Morgen brachte ich beide zum Bus. Der Bus war noch nicht da, und ich musste zur Straßenbahn. Da waren aber schon mehr Kinder die auf den Bus warteten.
Nun eilte ich zur Straßenbahn, damit ich die nicht verpasste. Wieder wollte meine Kolleginnen wissen wie es läuft mit dem Jungen. Ich erzählte, und meinte vielleicht sei es ja gut, wenn Tina ihren Bruder da hätte. Ich machte meine Arbeit und Ulla erzählte, dass sie einen tollen Job gefunden hätte und bis zum Sommer hier aufhörte. Das hatte mir gefehlt, Ella war schon weg. Wir wurden immer weniger im Büro.
Um die Mittagszeit kam Tina mit Heinz ins Büro. Heinz hatte spontan beschlossen, dass sie nicht mit den anderen Kindern mitfuhren. Innerlich kochte ich.
Jeder Tag der Ferienbetreuung kostete pro Kind zehn Mark und ich tat alles um meine Kinder gut versorgt zu wissen. Dafür arbeitete ich sogar in der Nacht. Diese beiden hatten gar kein Verhältnis, zu schwer verdientem Geld. Ich war richtig sauer, und am Abend wollte ich ihnen noch einmal alles erklären. Als Krönung des Nachmittags kam auch noch mein Chef ins Büro. „So haben wir jetzt zweimal Stefanidis?“ War seine berechtigte Frage.
Er wollte wieder Zigaretten, suchte in seinem Geldbeutel und fand angeblich kein Kleingeld. Meine Laune war nicht so gut wie sonst und ich bemerkte: „Ich bekomme dann insgesamt zehn Mark von Ihnen.“ Mein Chef ging grinsend aus meinem Büro und meinte: „Die schenke ich Ihnen.“ Für dumme Witze war ich nicht aufgelegt.
Ich schrieb eine Rechnung mit genauen Daten, wann ich Zigaretten gekauft hatte und brachte sie zu Ulla. Die hatte die Kasse für Kaffee und Gebäck, für den Fall ,dass eine Geschäfts-Besprechung war. Das gab es aber schon lange nicht mehr, denn die Glanzzeit der Firma war vorbei. Die Asiaten hatten schon längst den Markt erobert. Unsere Firma hielt sich nur mit Rettungsringen über Wasser.
Ulla brachte mir die zehn Mark. Sie fand, ich hätte schon Sorgen genug.
Abends versuchte ich den Kindern beizubringen, was sie durften und was nicht. Es war möglich, dass ich etwas lauter wurde. Plötzlich stand Stefan an der Tür, er hatte wohl eine Weile zugehört. Nun mischte er sich ein: „Hör nicht darauf, was die Verrückte redet“, sagte er grinsend auf griechisch zu Heinz. Ich war geladen und sagte in meinem Zorn: „Sieh zu, dass er wieder nach Griechenland fährt, ich kann ihn nicht gebrauchen!“ Stundenlang saß er bei mir in der Stube abends herum, bis er endlich in sein Zimmer hinauf ging.
Manchmal spielte er sogar mit den Kindern. Bisher hatte ich es geheim gehalten, dass ich nachts Zeitungen austrug. Mir fehlte es an Schlaf, wenn er abends so lange mit den Kindern herum alberte. Er spielte mit den Kindern verstecken. Die Kinder bekamen die Augen zugebunden. Dann stellte er sich zum Beispiel auf die Sofalehne, pupste laut, und die Kinder sollten ihm am Geruch finden. Als Tina dann sagte: "Hier stinkt es, hier mußt du sein", freute er sich kindisch.
Lange wollte ich das nicht mehr aushalten, ich grübelte, mir wollte nichts einfallen. Auf alle Fälle war ich mir sicher, dass ich Heinz nicht in die griechische Schule bringen würde. Wenn er das wollte, musste es selbst machen.
Ostern vergaß ich allen Unmut und versteckte früh morgens die Osternester. Als sie aufstanden suchten sie danach, und freuten sich besonders über die Schokoladen-Hasen. Ich hatte auch hartgekochte Eier bunt bemalt. Dann kochte ich etwas gutes zum Essen und Tina und Heinz gingen zum Spielplatz um zu sehen, ob der Hase dort auch Eier versteckt hatte. Frau Mack hatte noch für jedes Kind ein Nestchen. Als sie zurückkamen fragte sie, ob es denn wohl ihnen gehörte, denn sie hätte doch keine Kinder. Sie waren hungrig und das Essen war fertig.
Nach dem Essen machten wir einen schönen Sparziergang. Danach ging ich mit den beiden ins Bahnhofskino. Nachmittags kamen meistens Trickfilme, und Tina und Heinz hatten ihren Spaß.
Nach Ostern ging ich wieder zur Arbeit. Ich hatte es aufgegeben die Kinder zum Bus zu begleiten. Wenn sie in das Ferienlager wollte, konnten sie allein zum Bus gehen. Sie brauchten auf dem Weg dahin kein einziges Mal über die Straße. Sie konnten direkt auf dem Gehsteig bleiben, der vor unserer Haustür war. Außerdem war der Spielplatz in der Nähe und im Hof durften sie auch spielen. Frau Mack hatte den Schlüssel also konnten sie den auch nicht verlieren.
Wenn ich abends nach Hause kam, fürchtete ich mich täglich vor dem, was sie angestellt hatten. Es hielt sich in Grenzen, denn es beschwerte sich niemand.
Heinz redete immer noch so viel, und berichtete täglich seinem Vater was die “Verrückte“, damit meinte er mich, zu ihm gesagt hatte. Es kränkte mich, aber ich behielt meinen Kummer für mich. Tina ließ sich nicht gegen mich aufhetzen. Das fand ich lieb von ihr. Es gab mir Hoffnung, dass sie sich vielleicht doch noch besser einleben würde.
In der Zeitung suchte ich nach einer Wohnung möglichst weit weg, die bezahlbar wäre. Dann konnte ich mit den Kindern hier weg. Frau Mack fand das keine gute Idee, denn mit den Kindern würde ich überall Schwierigkeiten bekommen, solange ich arbeiten ging.
Als die Schulferien um waren, schickte ich Tina mit ihrem Freund wieder zur Schule. Heinz blieb daheim er wollte nicht in die deutsche Schule, behauptete sein Vater. Am Samstag packte Heinz seine Plastiktüte, und seinen Schulranzen. Sein Vater hatte für ihn einen Flug gebucht, zurück nach Griechenland.
Wir begleiteten ihn zum Flughafen. Tina hatte keine Meinung dazu, mir tat es schon leid, dass er sich nicht anpassen wollte. Zusammen mit einem anderen Jungen und einer Flugbegleiterin ging er durch die Absperrung. Tina und ich winkten ihm nach.
Von da an gab sich Tina Mühe lieb zu sein. Sie ging zwar nach der Schule nicht in den Hort, aber sie ging jetzt regelmäßig zur Schule.
Ich musste mit ihr zum Zahnarzt. Sie schrie und schlug um sich. Der Zahnarzt bedauerte nichts machen zu können. Wir sollten wieder kommen, wenn Tina ein normales Kind sei. Wieder musste ich schlucken.
Als sie später auch noch einen harmlosen Pocken-Ausschlag bekam, war ich nach dem Arztbesuch mit den Nerven fertig. Der Arzt wollte an den Armen die aufgekratzten Stellen versorgen. Ich konnte sie nicht festhalten, sie rannte durchs ganze Sprechzimmer und der Arzt hinterher. Schließlich gab er auf, er sei Arzt und kein Löwenbändiger.
Als sie dann mit ihrem Roller an die Hauswand fuhr, hatte sie ein ganz geschwollenes Gesicht und eine kaputte Lippe. Ich musste einen neuen Arzt aufsuchen. Dann geschah ein Wunder, sie hielt still und ließ sich ihre Lippe mit drei kleinen Pflasterstreifen kleben. An diesem Tag war ich stolz auf Tina.
Tina bemühte sich folgsam zu sein, ging morgens in den Hort und danach in die Schule. Dort schlief sie des öfteren ein, wie die Lehrerin behauptete. Ich war froh, dass sie überhaupt hinging.
Ein Landstreicher hatte sein Lager im Gebüsch gegenüber der Schule. Der hatte Tina scheinbar beobachtet, wenn sie nach der Schule ohne bestimmtes Ziel umher lief. Eines Tages passte er sie am Schulhof ab und wollte sie angeblich zu mir bringen.
Ihr Freund, der mir versprochen hatte, auf sie aufzupassen, hatte das schon gesehen. Eigentlich wollte er in den Hort, aber dann entschloss er sich hinter ihnen her zu laufen. Der Landstreicher wollte ihn ein paar mal verscheuchen, aber er blieb dicht hinter Tina. Als er merkte, dass der Junge nicht umkehrte, scheuchte er beide weg
Abends erfuhr davon, jetzt hatte ich genug! Ich suchte ernsthaft nach einer Lösung. Tina versprach ich die größte Tracht Prügel, wenn sie noch ein einziges Mal mit einem Fremden mitging. Das tat mir ja selber leid, denn Tina war in der letzten Zeit recht brav geworden.
Ich fand keinen besseren Ausweg, wenn ich unser Leben in geregelte Bahnen lenken wollte, musste ich mich nach einem Mann umsehen. Er sollte nicht in der Großstadt wohnen, ein Haus oder eine große Wohnung haben, und einen gute Beruf. Er sollte soviel verdienen, dass ich nicht mehr ganztags arbeiten musste. Das war genau das, was ich eigentlich nicht wollte.
Im Büro wurden ein paar Gegenstände an Firmenangehörige abgegeben. Ich erstand eine sehr gute, elektrische Schreibmaschine für fünfzig Mark. Dazu noch reichlich Schreibpapier. Ich versteckte sie in meinem Kleiderschrank, denn mir fehlten einige Sachen, seit Heinz zu Besuch war. Stefan schien die Zeit genutzt zu haben und hatte sich wieder bedient. So fehlten die Geburtsurkunden der Kinder, und ein goldener Ring, den mir ein Kollege aus meinem Ehering gemacht hatte.
Eines Tages rief eine Dame vom Jugendamt an. Die Kinder waren mir alle zugesprochen. Sie wollte sie aus Griechenland holen lassen. Nach dem ersten Schreck, vermischt mit Freude und Entsetzen, sagte ich ihr folgendes: „Bei drei Kindern, zwei in der Schule und eines noch zu klein für den Kindergarten, kann ich nicht zur Arbeit gehen. Wenn sie mir sagen wie ich die Miete bezahlen soll, und von was wir leben sollen, dann bringen Sie die Kinder.“ Ich verlangte außerdem mich vor meinem Mann zu schützen, der ein jähzorniger Schläger sei. Die Dame wollte sich wieder melden. Ich habe nie wieder von ihr gehört.
Frau Mack dagegen war fleißig, sie kaufte laufend die Bild am Sonntag. Da hatte sie alle Anzeigen durchgelesen und angestrichen, was für mich in Frage kommen konnte.
Jetzt fing ich am Sonntag Nachmittag an zu schreiben. Tina spielte mit Frau Mack Mensch ärger dich nicht. So hatte ich Zeit und Ruhe. Da war die Anzeige eines geschiedenen Mannes, der hatte sieben Kinder.
Ein bisschen viel, dachte ich, aber ansehen kann ich ihn mir mal. Der nächste hatte zwei Kinder, auch geschieden. Ein weiterer hatte einen Sohn, in Tinas Alter, der Mann war auch geschieden. ich hatte noch an mehrere geschrieben, aber die haben mir nicht geantwortet.
Im Geschäft lachten meine Kolleginnen als ich von den Anzeigen erzählte. Vor allem die sieben Kinder gefielen ihnen. Der erste schrieb gar nicht erst, er kam mit einem großen Blumenstrauß. Ja, er sah gut aus, fuhr ein tolles neues Auto, war gut angezogen und dazu recht witzig. Das war der mit den zwei Kindern.
Er schien viel Zeit zu haben und kam fast täglich. Oftmals war er schon da, wenn ich noch nicht von der Arbeit zurück war. Angeblich war er Frührentner, kam aber alle paar Tage mit einem neuen Auto. Manchmal kam er drei Tage hintereinander und manchmal ließ er nichts von sich hören. Dann kam der Großfamilien-Vater. Langsam gingen mir die Blumenvasen aus. Sogar im Geschäft bekam ich plötzlich Blumen von Vertretern. Tina fand das sehr schön, sie blühte richtig auf, weil wir immer Besuch hatten. Der Mann mit den sieben Kindern lud uns ein. Er wohnte in Wiesbaden.
Am Wochenende besuchten wir die Großfamilie. Der Kleinste war höchstens zwei Jahre, er saß die ganze Zeit auf einen Fußbänkchen zu meinen Füssen. Die Kinder waren alle ganz lieb, aber der Mann war überhaupt nicht mein Typ. Die Kinder schliefen in einem großen Schlafsaal. Ob der Mann eine Beschäftigung hatte fragte ich nicht. Ich versprach wieder zu kommen, habe mein Versprechen aber nicht gehalten. Das würde ich nicht schaffen, dachte ich.
Der dritte schrieb mir ein paar mal bevor er mich besuchte. Er kam aus dem beschaulichen Oberschwaben genau daher, wo ich als Kind einmal zur Erholung war.
Auch er kam mit Blumen. Er sah gut aus, war gut angezogen ein ruhiger Typ. Nur war er schlecht zu verstehen, er sprach schwäbisch. Daran würde ich mich gewöhnen können, schließlich hatte ich auch griechisch gelernt. Er erzählte von seinem kleinen Städtchen, wo er in einem Neubauviertel am Ortsrand wohnte. Von Wäldern rund um die Stadt. Von Kindern, die auch noch im Haus wohnten und von seinem Sohn, der war ein halbes Jahr älter als Tina.
Am nächsten Sonntag sollten wir ihn unbedingt besuchen. Er blieb drei oder vier Tage, schlief anständig auf dem Sofa und half mir am Montag früh bei den Zeitungen.
Als er abgereist war, fragte ich Tina was sie denn meinte. Tina sagte spontan: „Den heiraten wir.“
Stefan wohnte immer noch in dem Dachzimmer und hatte schon längst mit bekommen, dass ich laufend Besuch bekam. Zu gern hätte er erfahren was bei uns los war. Er versuchte Tina auszufragen, aber die verriet nichts. Zwischendurch kam Ulla mal wieder mit ihrem Mann und so nahm Stefan an, dass es Kollegen waren. Trotzdem klingelte er immer wieder, wenn er merkte, dass ich Besuch hatte, um in der Küche Wasser zu holen.
Die Hausbesitzerin hatten wir eingeweiht. Deshalb hatte Stefan klein Glück bei ihr, als er ihr berichtete, dass bei mir immer Männer zu Besuch waren. Dabei hatte er so gehofft, dass sie mich rauswarf, und er in meine Wohnung konnte.
Wir fuhren am Wochenende nach Oberschwaben. Ich dachte: Wenn das klappt, und wir verstehen uns, sind wir weit genug weg von Stefan. Da würde er uns nicht finden.
Am Bahnhof holte uns Martin ab. Er hatte einen blauen VW-Käfer. Seine Wohnung war in einem 4-Familienhaus, sehr schön und alles war sauber und aufgeräumt. Die Einrichtung war etwas spärlich, aber Schlafzimmer, Küche und Kinderzimmer waren voll eingerichtet. Mir gefiel es hier, und Tina auch. Überall ums Haus herum konnten die Kinder spielen. In allen Häusern waren Kinder im Alter von Tina. Sie wollte gleich da bleiben
Martin hatte Bereitschaftsdienst und ging über Nacht in die Klinik. So war ich mit den Kindern allein in der Wohnung. Mir hatte er eine Flasche Rotwein hingestellt, den ich aus einer Kaffeetasse trinken sollte, denn Gläser hatte er keine.
Das mit dem Wein ließ ich, denn aus einer Tasse hatte ich noch nie Wein getrunken. Ich hatte ja fast alles, dank dem netten Standesbeamten, der mir meinen Hausstand zusammen gestellt hatte. Ja und allein schmeckte mir auch der Wein nicht. Ich ließ die Flasche zu. Als er von der Bereitschaft kam, hatte ich schon Kaffee gekocht. Martin meinte, dass er sich daran gewöhnen könnte.
Wir machten noch einen Besuch bei seinen Eltern. Die Mutter wusste gar nicht, das evangelische Menschen auch Christen sind. Sie fragte mich entsetzt ob wir denn Heiden wären. Hier war ich also in eine total katholische Gegend geraten. Martin munterte mich auf und glaubte, dass ich mich hier schnell eingewöhnen würde. Zu Hause schaute er auf seinen Kalender wann er Urlaub hatte. Das waren die letzten zwei Wochen der Sommerferien.
Vorher wollte er aber noch einmal nach Offenbach kommen, dieses mal mit dem Auto. Dann wollte er auch gleich die ersten Sachen von mir mitnehmen. Eigentlich ging mir das alles etwas zu schnell, aber ich konnte es nicht erwarten, von Offenbach weg zukommen.
Sonntag abends fuhren wir wieder zurück und waren beide bestens gelaunt. Tina freute sich am meisten. Da war es zwar nicht so primitiv wie in Griechenland, aber es war im Grunde ähnlich. Dort konnte sie sich wieder richtig frei bewegen hinaus gehen und spielen, ohne zuerst auf den Spielplatz zu gehen. Sie musste nicht immer auf die Autos aufpassen, und vor allen Dingen nicht in den Kinderhort.
Die letzten Wochen in Offenbach war Tina folgsam und ging sogar in den Hort. Weil sie so lieb war durfte sie sich abends, wenn ich sie abholte immer ein süßes Stückchen beim Bäcker kaufen. Manchmal bekam sie es geschenkt, denn der Bäcker bekam auch Zeitung von mir.
Wenn Tina vor vier Woche so artig gewesen wäre wie jetzt, hätte ich nicht im Traum daran gedacht noch einmal zu heiraten.
Ich erinnere mich noch, als ich Zeitung austrug und der erste Mann auf dem Mond landete. Gerade zu der Zeit war ich unterwegs. In einem Haus hatten die Leute das Fenster auf und riefen mich, ich sollte schnell kommen. Der Mann reichte mir einen Stuhl hinaus und ich sah zum Fenster hinein, direkt in den Fernseher. Da hüpfte eine weiße Gestalt mit einem Helm auf dem Mond. Es war alles in schwarz weiß. So hatte ich ganz nebenbei, beim Zeitungen austragen, den ersten Mann auf dem Mond gesehen.
Martin und ich schrieben uns alle paar Tage und bald stand fest: In der letzten Ferienwoche wollten wir hier in Offenbach heiraten. Das war am billigstem, denn Martin war Schwabe. Was wir hier mit hundert Mark erledigen konnten wäre bei ihm zu Hause teuer geworden. Martin hatte noch drei Geschwister, und eine Menge Verwandte. Mir war es recht, denn mit fremden Leuten wurde ich nicht so schnell warm. Ich sollte das Aufgebot bestellen und einen Termin ausmachen.
Nach Ulla war ich nun die nächste die kündigte. Für Ulla und mich stellte unser Chef eine Person ein. So wurde der Betrieb immer kleiner.
Die Neue war aus Bayern, anfangs konnte ich sie nicht ausstehen, aber bis zu meinem letzten Arbeitstag, hatte ich mich an sie gewöhnt.
Beim Standesamt machte ich einen Termin aus, um früh genug das Aufgebot zu bestellen. Außerdem wusste ich nicht, ob wir alle notwendigen Papiere zusammen hatten. Mit der Straßenbahn fuhr ich bis in die Stadtmitte. Von da aus war es nicht mehr weit.
Ich staunte, denn es sah fast so aus als ob die Stadt nur einen Standesbeamten hatte. Jedenfalls war ich erfreut meinen Wohltäter wieder zusehen. Er war ein wenig überrascht, dass ich so schnell noch einmal heiraten wollte. Ja während der Schulferien hatte er massenhaft Termine. Dann blätterte er in seinem Kalender und fand einen Termin am 27. August. Wir mussten am ersten September ausgezogen sein, und dann gleich zur Hochzeit von Martins Schwester. Der Standesbeamte verlangte Abstammungs-Urkunden. Das hatten wir noch keine. Wir hatten vier Wochen Zeit, bis dahin sollten die zu beschaffen sein.
Die Schulferien begannen, und meine Firma machte Betriebsferien. Wie letztes Jahr machte ich den Notdienst mit der neuen Sekretärin, die ich nebenbei mit allen Arbeiten vertraut machen musste. Ich vermisste Ulla, wir waren so ein gutes Team. Tina hatte ich nicht angemeldet für die Ferienwochen, denn ich war mir nicht sicher, ob sie hinging. Also nahm ich sie mit ins Büro. Es war ja nur für ein paar Tage, dann wollte Martin mit seinem Jungen kommen. Die Tage bis zum Samstag brachten wir gut um. Dann kam er und brachte Bernd mir, seinen Sohn.
Sie kamen am Freitagabend. Tina fragte: „Habt ihr keine Blumen?“ „Nein“, sagte Martin, „die wären ja unterwegs verwelkt, so viele Stunden im Auto, bei der Hitze.“ Bernd und Tina vertrugen sich und gingen meistens auf den Spielplatz. Ich packte am Wochenende zusammen, was ich nicht dringend brauchte. Wir beluden sein Auto. Sogar die Schreibmaschine packten wir ein. Martin ließ den Platz frei, auf dem Bernd sitzen sollte. Ich schlug vor, Bernd bei mir zu lassen, Tina würde sich freuen. Dann könnten wir noch mehr einladen. Bernd war begeistert und blieb gern, denn sein Vater wollte ja in zwei Wochen wieder kommen, dann hatte er Urlaub.
Am ersten September würden wir dann alle zusammen abreisen. Wir staunten, was in das kleine Auto alles hineinpasste. Am Abend blieb er noch bei uns, und wir tranken Wein aus Weingläsern. Jeder ein Glas. Mehr konnte ich mir nicht mehr erlauben, denn ich musste früh aufstehen wegen der Zeitungen. Er musste morgen früh fahren, denn er hatte Nachtschicht.
Die Zeit verging wie im Flug. Er kam früher als ich gedacht hatte. Zu seinem Urlaub hatte er noch ein paar Tage frei, wegen der Nachtschicht. Jetzt blieb er hier, bis zu unserer endgültigen Abreise. Gleich in den ersten Tagen gingen wir aufs Standesamt. Dort regelten wir alles für die Eheschließung. Der Standesbeamte erzählte stolz, dass wir gleich nach der prominenten Fernsehansagerin getraut würden. Mir sagte der Name nichts, aber Martin kannte sie, in der Klinik schaute er oft Fernsehen, mit den Patienten.
Jetzt machte Martin den Hausmann, versorgte tagsüber die Kinder putzte kochte und räumte auf. Das mit dem Kochen war vielleicht etwas übertrieben, es war mehr eine Notbehelfs-Küche. Also half ich ihm, indem ich alles vorbereitete und ihm genau erklärte, wie er es zubereiten sollte. Ich konnte lange nicht mehr so entspannt zur Arbeit gehen. Während ich bei der Arbeit war, versuchte Stefan mehrmals in die Wohnung zu gelangen. Martin wurde mit ihm fertig und Stefan zog sogar aus.
Kaum hatte er den Schlüssel abgegeben, und war ein paar Tage fort, tauchte seine Schwester Ireni bei uns auf. Sie wollte mich angeblich nur schnell mal besuchen. Viel konnte ich mich nicht mit ihr unterhalten, denn sie weinte die ganze Zeit. Am Ende wusste ich nicht, weshalb sie gekommen war.
Ich begann meine schönen Möbeln zu verkaufen. Die meisten Sachen blieben im Haus bei meinen Nachbarn. Martin hätte gern einige der Sachen mitgenommen, aber in einen Käfer passen keine Möbeln. Aber die Waschmaschine, die musste mit, und wenn ich zu Fuß hinter dem Auto her laufen müsste. Martin maß und rechnete und schließlich hatte er die Lösung. Die Maschine würde hineinpassen. Alles, was wie jetzt noch mit nehmen wollte, würden wir nur in Zeitungspapier einpacken und in den Kofferraum des Autos packen. Der war nicht einmal so klein, aber bei dem Auto vorn.
Unser Hochzeitstermin rückte immer näher. In der Firma hatte ich frei bekommen. Ulla und ihr Mann waren die Trauzeugen. Der Bruder meines Chefs wollte auch kommen, und uns in seinem Auto zum Trausaal fahren.
Ich hatte mir ein dunkelblaues Kostüm gekauft, dazu trug ich eine schöne weiße Bluse. Da ich dazu keine passende Handtasche hatte, bekam ich die von Ulla. Blumen hatten wir in der Aufregung ganz vergessen. Vor dem Eingang erwartete uns der Standesbeamte, und ein paar meiner Kolleginnen. Der Standesbeamte fragte Martin, ob wir einen „Ringwechsel“ möchten oder nicht. Wir schauten uns verdutzt an, wir hatten keine. Die Trauung war schnell vorbei und ich hatte jetzt wieder einen deutschen Namen. Der Bruder meines Chefs lud uns zum Frühstück ein, und wir gingen geschlossen in das nächste Café.
Danach fuhren wir mit Ulla und Micha in den Taunus, in ein ganz besonderes Restaurant. Dort aßen wir zu Mittag. Ulla und ich aßen Forelle blau, die Männer waren für Schnitzel. Die Kinder hatten wir nicht dabei, sie waren bei Frau Mack geblieben, die auch mit ihnen zum Essen ging.
Nach einem Eisbecher zum Abschluss, fuhren wir gemeinsam in meine fast leere Wohnung. Dort hatte Frau Mack mit den Kindern den Tisch gedeckt. Es gab Kaffee und Kuchen. Eine meiner Nachbarinnen hatte ein Geschenk vor die Tür gelegt. Ich war plötzlich so müde, dass ich mich hinlegen wollte. Das Schlafzimmer war schon nicht mehr da, aber Frau Mack hatte uns Matratzen geliehen, die lagen in der Ecke von der Stube. Davor waren zwei Stühle. Schnell zog ich mein Kostüm aus und legte mich im Unterrock auf die Matratzen um eine Runde zu schlafen. Die anderen unterhielten noch.
Ich war kurz richtig fest eingeschlafen, da klopfte es an der Wohnungstür. Mein erster Gedanke war „Stefan“, der würde uns gerade fehlen! Martin eilte an die Tür. Es war unser Firmenbote. Er brachte ein Geschenk von meinen Kolleginnen. Es war ein Kaffeeservice. Verschlafen und im Unterrock stand ich da, Was der Mann gedacht hat? Blitzschnell war er wieder weg, ohne sich zum Kaffee einladen zu lassen.
Kurz darauf verabschiedeten sich Ulla und Michi, und unsere Hochzeit war vorbei.
Die letzten Nächte lagen die Kinder auf den Matratzen, und Martin und ich auf dem Klappsofa. Das war ja eigentlich auch schon verkauft, aber sie sollten es abholen, wenn wir abgereist waren. Frau Mack wollte das regeln.
Nun musste ich noch ein paar Tage arbeiten. Mein Chef bedauerte, dass ich jetzt, wo ich doch so einen schönen, kurzen Namen hatte, nicht bleiben konnte.
Am letzten Tag bekam ich noch ein schönes Zeugnis mit auf den Weg, und ich verabschiedete mich von jedem einzeln. In der Nacht musste ich noch einmal Zeitungen austragen. Anschließend den Schlüsselbund und die lange Liste zum Verlag bringen. Dort hatten sie mir den Lohn schon an der Pforte bereitgelegt. Dann packten wir alles, was wir noch mitnehmen konnten ins Auto, und fuhren im dichten Nebel Richtung Autobahn.
An der Auffahrt zur Autobahn sahen wir im Nebel einen Schatten auf der Straße. Martin musste anhalten. Es war ein Schäferhund. Hinter uns kamen Einheimische, die nahmen den Hund mit. Der Nebel war so dicht, wir konnten nicht erkennen ob wir in die richtige Richtung fuhren. Weit und breit war außer uns kein Auto unterwegs. Als sich der Nebel auflöste sahen wir, dass alles in Ordnung war. Tina und Bernd saßen dicht gedrängt neben der Waschmaschine, sie waren eingeschlafen. So kamen wir mittags in unseren neuen Heimat an.
Dort trugen wir unsere Sachen aus dem Auto ins Haus, und als wir alles hatten, konnten wir kaum noch essen, so müde waren wir.
Am nächsten Tag mussten wir früh aufstehen, denn wir waren zur Hochzeit von Martins Schwester eingeladen. Die Hochzeit war im Allgäu. Morgens verschliefen wir zuerst, dann hatten wir große Mühe unsere Kleidung aus dem Chaos zu suchen. Wir musste noch ein paar Sachen bügeln und als wir dann endlich im Allgäu eintrafen, war die Trauung schon vorbei. Wir kamen gerade früh genug zum Essen. Die ganze große Familie von Martin war hier versammelt, und die Familie des Bräutigams war eben so groß. Tina und ich hielten uns im Hintergrund. Eine der Tanten überreichte mir ein Geschenk zu unserer Hochzeit. Es war eine Kristallschale.
Wir fuhren spät abends wieder heim. Am meisten hatten mich die hohen Berge beeindruckt, die hier ganz nah waren. Die Schwiegereltern der Braut hatten sogar einen See.
Jetzt hieß es aber endlich richtig ausschlafen, denn in zwei Tagen fing die Schule wieder an, Bernd kam in die dritte Klasse. Tina war sitzen geblieben, sie und musste wieder von vorn anfangen. Ich brachte sie in die Schule, die Lehrerin war blutjung und sehr nett. Selbst Tina war begeistert von ihr.
Am dritten Tag fand sie eine Freundin. Die beiden gingen durch Dick und Dünn. Tina lernte schnell und ging gern in die Schule. Wir hatten die schlechten Zeiten hinter uns gelassen. Tina vergaß die griechische Sprache. Schnell lebten wir uns im Schwabenland ein, und gingen einer schönen Zukunft entgegen.
Tina bekam noch zwei Schwestern, zuerst Hannah und fünf Jahre später Helena. Alle haben einen guten Beruf gelernt und eine eigene Familie.
Bis auf Tina, statt einen Beruf zu erlernen heiratete sie mit siebzehn ihren absoluten Traummann. Sie hat zwei Söhne. Ihr Mann ist leider viel zu früh gestorben, er hatte einen Gehirntumor.
Auch die anderen Mädchen haben ihre große Liebe geheiratet, sie wurden enttäuscht. Bis auf Lena, die hat ihr Glück in Griechenland gefunden und heiratete einen Arzt. Sie hat drei Kinder.
Heinz hat auch jung geheiratet. Gemeinsam machten sie in Deutschland ein Delikatssen-Geschäft auf. Er hat drei Kinder. Mit seiner hübschen Frau, und seinen zwei Söhnen betreibt er das Geschäft immer noch
Texte: Alle Rechte liegen beim Autoren
Bildmaterialien: Eigenes Foto, Ludwigsburger Schloss. Das Lieblingslied des Pianisten: Und ein Zug fährt durch die Nacht, wurde 1961 von Freddy Breck gesungen.
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2013
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