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Prolog

 

Ich wuchs bei Pflegeeltern auf, die mich inzwischen adoptiert hatten. Meine richtige Mutter war gestorben und Elisabeth, meine große Schwester auch. Wir nannten sie Lilibeth und unsere Mutter nannten wir Mama.

Mein Vater war im Krieg verletzt worden, und hatte im Lazarett unterschrieben, dass er seine Kinder zur Adoption freigab. Damals glaubte er nicht, wieder gesund zu werden.

Hans, mein großer Bruder war zu alt, niemand wollte ihn adoptieren, er kam zu Pflegeeltern in den gleichen Ort wie ich.

Nach einigen Monaten war Papa wieder gesund und holte Hans zu sich nach Hause. Meine kleine Schwester wurde in einer anderen Stadt, von wohlhabenden Leuten adoptiert. Sie hatte schnell ihr Zuhause vergessen und hatte es sehr gut.

Ich konnte nicht vergessen und suchte nach Hans, der aber schon nicht mehr in Elsestadt war.

Meine Freundin hieß Margot, und wir gingen gemeinsam durch Dick und Dünn. Sie war kränklich, aber immer gut gelaunt und im Wesen genau das Gegenteil von mir. Ich war ruhig, redete nicht viel, Margot dagegen war immer in Bewegung und redete wie ein Wasserfall. „Sie lebt schneller“, pflegte Vati zu sagen.

Meine neuen Eltern musste ich Vati und Mutti nennen, das war mir recht. Für mich gab es nur einmal Papa und Mama, und ich dachte täglich an sie.

Vati war mir ein wunderbarer Vater, Mutti dagegen war launisch, geizig und unberechenbar. Vor ihr hatte ich immer Angst.

 

Der Sommer war viel zu schnell vorbei

 

Wir mussten die Zwetschgen pflücken und Vati stieg auf die große Leiter, während ich mich überwand und auf die kleine Leiter stieg, um auch ein wenig behilflich zu sein. Als wir uns dann ein Pause gönnten, saßen wir im Hof und tranken Apfelsaft. Vati war so still, und ich glaubte er hatte etwas auf dem Herzen. Da fragte ich ob er vielleicht wieder krank würde.

"Nein das ist es nicht“, bekam ich zur Antwort. "Lisbeth ihr Geburtstag ist morgen, und ich weiß nicht wie ich es anstellen soll. Ich kann doch den Blumenstrauß nicht mit zur Arbeit nehmen, wenn ich nach Feierabend auf den Friedhof gehe." Das war ein echtes Problem, denn ich konnte ihm da gar nicht behilflich sein, weil ich immer um fünf Uhr zu Hause sein musste. Aber ich sagte: "Ich werde nachdenken, vielleicht fällt mir ja was ein." Wir kletterten wieder auf unsere Leitern und pflückten fleißig weiter.

Dann machte ich einen Vorschlag: "Wenn ich um vier Uhr deinen Blumenstrauß zum Friedhof bringe und ihn in die Vase stelle, dann kannst du wenn du kommst, die Vase auf die Steinplatte stellen und ihr gratulieren, und musst nicht vorher heimfahren." Der Vorschlag gefiel ihm noch nicht so richtig, aber er fand es sei eine "passable" Notlösung. Er würde Mutti fragen, ob ich um vier auf den Friedhof fahren dürfte. Wir wurden fertig mit unseren Pflaumen, bevor es dunkel wurde.

 Schnell nahm mich Vati mit in den Blumengarten und zeigte mir, welche Rosen ich wo abschneiden sollte. Wo die Rosenschere lag, das wusste ich. Vati war erleichtert jetzt war sein Geburtstagsbesuch bei Lisbeth gesichert.

Wir kamen in die Küche und Mutti schickte mich gleich ins Bett, weil es schon spät war. Aber sie war froh, dass wir mit den Zwetschgen fertig geworden waren. Sie fragte ob wir noch Hunger hätten, aber wir wollen nur noch ein wenig trinken. Dann verschwand ich ins Bett und schlief auch gleich ein.

Die Milchfrau klingelte in der Früh, und ich rannte im Nachthemd mit dem Milchtopf zur Tür. Sie wollte mit Mutti sprechen, ich sollte sie holen. In der Küche saß sie am Tisch und war schon dabei die Zwetschgen aus zusteinen. Als ich sie rief, stand auf und ging an die Tür. Die Milchfrau wollte an Stelle des Milchgeldes etwas anderes haben. Sie schlug vor, Eier oder Zigarren, oder Wurst, das würde sie dann an die Geschäftsleute verkaufen gegen Warengutscheine. Mit dem Geld könne sie nicht einmal mehr Futter kaufen für ihre Tiere.

Mutti entschied sich für diese Woche mit Eiern zu zahlen. Dann ging sie wieder an ihre Pflaumen.
Ich beeilte mich mit dem Frühstück um ihr bei dem Obst zu helfen, denn ich dachte an den Nachmittag. Wenn sie schlecht gelaunt wäre, könnte sie mir verbieten zum Friedhof zu fahren. "Was soll ich dir helfen?" fragte ich sie freundlich.

 Sie legte mir schweigend ein Messerchen hin, und begann sofort die Steine aus den Pflaumen zu holen. "Willst du Pflaumenmus machen?" Erkundigte ich mich, damit ich wusste wie sie die Pflaumen wollte. Für Pflaumenmus wollte sie 2 Hälften, für Kuchen wollte sie nur auf einer Seite offen. Wenn sie aber Essigpflaumen machen wollte, durfte ich nur den Stein heraus bohren und die Pflaume musste ganz bleiben. Nach einer Weile sagte sie: "Ja zwei Teile bitte."

Also arbeitete ich schweigend und füllte Schüssel um Schüssel. Mit meinen Gedanken war ich bei Margot. Sie war jetzt vier Wochen auf der Nordseeinsel und würde sicher heute oder morgen zurück kommen. Wenn wir fertig wurden, mit den Zwetschgen, bevor es Mittag war, würde ich sehr gern zu Margot laufen, und schauen ob sie schon angekommen war.

Wir waren am letzten Korb Pflaumen angelangt, meine Finger hatten schon wieder viele kleine Schnitte und brannten wie Feuer. Aber ich würde weiter arbeiten und nicht klagen. Hin und wieder wusch ich meine Finger mit kaltem Wasser ab und das tat mir gut.

"Hast du dich geschnitten?",fragte Mutti, und fuhr fort, "wir sind ja bald fertig und nach dem Essen kannst du schauen ob Margot schon zurück ist." Sie schaute auf die Uhr, schaltete das Gas an und setzte das Essen auf die Flamme. Als wir mit dem Aussteinen fertig waren, war es genau zwölf. Wir putzten den Tisch ab und Mutti schleppte die vollen Eimer in die Waschküche. Nachdem ich meine Finger zum ich weiß nicht wievielten Mal abgewaschen hatte, deckte ich den Tisch und wartete auf Vati.

Er kam pünktlich über den Hof direkt in die Küche. Mutti war noch nicht vom Keller zurück, darum nutzte er die Zeit und flüsterte: "Vergiss nicht um vier Uhr auf dem Friedhof zu sein, ich werde auch da sein." Mehr konnte er nicht mehr sagen, weil Mutti in die Küche kam. Das Mittagessen war auch aufgewärmt sehr lecker, und ich sagte das auch. Mutti lächelte gequält, ich hatte das Gefühl, dass sie von mir kein Lob mochte.

Vati gab Mutti noch Anweisungen, dass sie mich vor vier Uhr auf den Friedhof schicken sollte mit dem Blumenstrauß für Lisbeth. "Weiß Anneliese denn wo der Blumenstrauß hinkommt?" Fragte Mutti, und Vati meinte, "Sie macht das schon richtig." Er fuhr mit seinem Fahrrad zur Arbeit, und ich räumte schnell das Geschirr ab.

Mutti war mit ihrem Pflaumenmus beschäftigt und ich ging zu Margot, schauen ob sie schon da war. Margots Mutter erklärte mir, dass Margot noch zwei Wochen Nachkur bekommen hatte, und das sei ein gutes Zeichen. So ging ich also wieder nach Hause und freute mich, dass Margot Verlängerung bekommen hatte, weil es ja ein gutes Zeichen war. Vielleicht kommt sie ja doch gesund zurück.

Ich ging in die Waschküche um zuzuschauen wie Mutti das Pflaumenmus kochte. Während sie ununterbrochen mit einem großen Holzlöffel das Mus umrührte, erzählte ich ihr von Margot. Sie meinte ich könne ja schon jetzt zum Friedhof gehen, dann sei ich früher wieder zurück. Es kam mir vor, als ahnte sie, dass Vati und ich etwas ausgemacht hatten.

"Nee," sagte ich, erst nach dem Nachmittagskaffee, ich will noch ein wenig lesen, weil nächste Woche die Schule wieder anfängt. Das half, wenn ich für die Schule lernen wollte, konnte ich bei ihr Punkte sammeln. So ging ich hinauf, holte mein Lesebuch aus dem Ranzen und fing an zu lesen. Sie ließ sich lange Zeit, bis sie in die Küche kam um das Kaffeewasser auf den Gasherd zu setzen. "Kommst du allein zurecht?" fragte sie mich, "ruf mich wenn der Kaffee fertig ist, ich kann nicht so lange weg bleiben, sonst brennt mein Mus an." Ich versprach ihr, sie zu rufen, wenn der Kaffee fertig und der Tisch gedeckt war.

Schnell holte ich zwei Tassen, und den restlichen Kuchen auf den Tisch. Als das Wasser kochte, goss ich den Kaffee auf und ging Mutti rufen. Sie kam dann auch gleich und setzte sich zu mir an den Tisch. Dann schaute sie auf die Uhr und meinte ich müsse mich aber beeilen, wenn ich um vier Uhr auf dem Friedhof sein wollte.

 Ich ging in den Keller, die Rosenschere zu holen. Als ich die Rosen abgeschnitten hatte, holte ich noch von dem Spargellaub, dann wickelte ich den Strauß in eine Zeitung ein. Es war schon fünf Minuten vor vier, als ich endlich los fuhr. Mit dem Rosenstrauß auf dem Gepäckträger trampelte ich, bis ich ins Schwitzen kam. An der Herforder Straße stieg ich ab und schob über die Straße.

 Zum Glück hatte ich mir die Zeit dafür genommen, denn Vati beobachtete mich, er war schon da.

An Lisbeths Grab ließen wir uns Zeit, "auf dem Friedhof gibt es keine Hetze," belehrte mich Vati. Wir stellten die Blumen in die Vase und er schnitt rings die Kanten vom Efeu glatt. Dann setzten wir uns noch auf die Bank. Verstohlen schaute Vati auf seine Taschenuhr und stellte fest, dass wir noch eine Viertelstunde Zeit hatten. Er ließ einen Seufzer hinaus und sagte: "Im Augenblick ist die wirtschaftliche Lage gar nicht gut in Deutschland." Dann erklärte er dass in der Zigarrenfabrik langsam die Reserven ausgingen, und sie viele kleine Holzgegenstände fertigen. In den anderen Fabriken sei es ähnlich. Die Wäschefabrik hatte keine Baumwolle mehr, da sei jetzt Kurzarbeit. Vati hoffte, dass bald eine Währungsreform käme.

 Wenn wir dann neues Geld bekämen, würden wir auch wieder Waren aus dem Ausland bekommen. Während Vati von seinen Sorgen erzählte, hörten wir die Sirenen heulen. Ich hätte ja jetzt zu Hause sein sollen und sprang von der Bank auf. Er beruhigte mich, und versprach mit mir zusammen nach Hause zu fahren. Wir gingen zu unseren Fahrrädern, nachdem wir uns still von Lisbeth verabschiedet hatten. Es war zehn Minuten nach fünf Uhr, als wir ankamen und Mutti war geladen.

Wenn sie fünf Uhr sagen würde, dann hätte ich mich daran zu halten, auch wenn Vati dabei wäre. Vati regte sich auf über ihre ständigen Wutausbrüche. Ich ging die Tiere versorgen und ließ mir Zeit dabei. Als ich dann in die Küche wollte, hörte ich wie Mutti sagte: "Wegen dem Kind, haben wir laufend Streit, wenn sie nur schon wieder weg wäre." Vati antwortete darauf: " Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst, wir haben sie ja adoptiert. Außerdem weiß ich nicht, was du immer an ihr zum aussetzen hast."

 Da ließ ich die Korridortür ins Schloss fallen damit sie mich hören sollten. Dann ging ich in die Küche und beide sagten kein Wort mehr. Ich war mir sicher, dass sie mich nicht wollte, und eines Tages würde Vati nachgeben.

Nach dem Abendessen freute ich mich auf mein Bett. Ich musste nachdenken, und das konnte ich am besten im Bett. Dass Mutti mich nicht mochte wusste ich, aber dass sie mich loswerden wollte, hatte ich nicht gedacht. Was hatte ich nur an mir, dass sie mich nicht leiden konnte? Wenn ich rote Haare hätte, könnte ich sie ja vielleicht verstehen. Freilich war ich sehr ruhig und redete kaum von selber. Aber da hatte sie ja auch selbst schuld daran, weil ich immer aufpassen musste, was ich sagte. Ich musste nur ein falsches Wort sagen und schon bekam sie einen Wutanfall.

 Frau Lindemann sagte, sie sei jähzornig. Ich wollte wissen ob das eine Krankheit ist, aber die Nachbarin meinte, das sei eine schlechte Angewohnheit, oder Vererbung. Wenn ich überlegte wie oft ich ihr im Garten geholfen hatte, und beim Obst und Gemüse einmachen, da müsste sie doch zufrieden mit mir sein. Ich verstand sie nicht, andere Kinder waren auch nicht anders.

Konnte ich Vati überhaupt noch vertrauen? Leise fing ich an in mein Kissen zu weinen. Ob Papa mich wieder aufnehmen würde, wenn sie mich wegschicken? Oder sollte ich doch weglaufen? Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein, und als ich aufwachte schien die Sonne in mein Fenster.

Wenigstens die Sonne ist immer gleich freundlich zu mir, war mein erster Gedanke. Ich ging in die Küche um mich zu waschen. Nach dem Frühstück kämmte ich mich selbst ,und das ging jetzt schon ganz gut. Danach ging ich in den Garten um Mutti bei ihrer Arbeit zu helfen. Sie war aber noch mit ihrem Pflaumenmus beschäftigt und räumte die Gläser und Steintöpfchen in das Regal.

 Die Zeit nutzte ich um mich ein wenig mit den Hühnern zu beschäftigen. Die Hühner waren alle am Komposthaufen und ich wollte gerade Ilsabein rufen, als die neue Nachbarin ihren Hühnerstall aufmachte. Sie rief: "Putt, putt, putt."

Ich hatte Lust auf Blödsinn und äffte sie nach: "Puut, puut, puut“, rief ich und versteckte mich hinter den Johannisbeerbüschen. Sie rief erneut ihre Hühner und ich äffte sie wieder nach. Da kam sie an den Zaun und rief: "Du bist eine ganz blöde Kuh!" Nein, eine blöde Kuh wollte ich nicht sein, ich rief also meine Hühner und ging mit ihnen stolz in den Gemüsegarten. Jetzt konnte sie sehen wie meine Hühner folgen und das ganz ohne putt, putt.

 Ilsabein bekam viele Streicheleinheiten und natürlich auch Paula. Am Abend warteten wir lange auf Vati, er kam nicht. Mutti befürchtete es sei ihm etwas zugestoßen. Durch meinen Kopf schossen Erinnerungen und ich fragte ob ich den Weg abfahren sollte um nach ihm zu suchen. Nein, das wollte sie nicht, denn es war schon am dämmern und sicher bald dunkel.

Ich wollte schon zu Bett gehen, da kam er endlich mit seinem Fahrrad auf den Hof. Mutti wollte, dass ich jetzt in mein Zimmer gehe. Ich horchte noch ein wenig an der Stubentür und hörte wie er sagte, er sei beim Heilpraktiker gewesen, und hatte eine Blutegel-Therapie gemacht. Na was das ist, werde ich ihn vielleicht später fragen, oder vielleicht kann es mir Frau Lindemann erklären.

Am nächsten Tag war Samstag, und als Vati mittags von der Arbeit kam, fing er an die ersten Äpfel zu pflücken. Ich half ihm dabei, aber er war sehr schweigsam und weil Schweigen zu meinen Lieblings-Beschäftigungen gehörte, schwiegen wir uns an. Am Sonntag fuhren wir dann wieder zur Oma um unser Köfferchen zu füllen. Dann waren meine Ferien um, und ich musste allein zur Schule, weil Margot ja noch nicht zurück war.

Wir würden heute unsere Zeugnisse bekommen schon der Gedanke daran machte mir Bauchschmerzen. Bestimmt würde ich ein gutes Zeugnis bekommen, aber nicht das Beste. Mutti verlangte aber von mir das beste Zeugnis. Warum eigentlich? Sie wollte mich ja gar nicht behalten, da sollte es ihr doch gleich sein, was ich für ein Zeugnis heim brachte.

Unsere Lehrerin hatte sich wieder besonders schön gemacht und hatte heute keine Lust zum arbeiten. Wir sollten von den Ferien erzählen, was wir besonderes erlebt hatten. Ich sollte auch erzählen, und ich erzählte, dass bei uns der Blitz eingeschlagen hatte. Die anderen Kinder kicherten und fragten ob das alles war, was ich in den Ferien erlebt hatte. "Nein, natürlich nicht," erzählte ich weiter, "mit Margot habe ich noch zwei schöne Ausflüge gemacht, bevor sie zur Kur gefahren ist, und bei meiner Oma war ich auch drei Mal."

 Zwei Mädchen die in der Bahnhofstraße wohnten, konnten es nicht lassen auf mir herum zu hacken. Sie meinten, "da fahrt ihr doch immer hin, auch wenn keine Ferien sind, zum Hamstern, was ist sonst in dem Köfferchen, was deine Mutter immer dabei hat?" Mir war das peinlich und ich hätte am liebsten geweint, die Lehrerin wollte sich ihre gute Laune nicht verderben lassen, und meinte ob wir jetzt nicht vom Thema abgekommen wären.

 Wir mussten jetzt unser Lesebuch hervor holen und jeder musste einen Satz vorlesen. Als ich an der Reihe war, läutete es zur Pause. Keiner wollte in der Pause mit mir spielen, im Gegenteil, ich hatte den Eindruck, dass sie über mich lachten. Ich ging zu einem Hüpfkasten und hüpfte allein. Was hatten sie bloß gegen mich, ich hatte ihnen nie etwas getan. Vielleicht waren sie neidisch auf unsere Freundschaft. Ach Margot fehlte mir so, ohne sie war ich ganz allein auf dem Schulhof.

Am Ende der zweiten Stunde gab es Schulspeise. Fräulein Schröder wollte, dass wir schnell essen und den Tisch sauber abputzten. Sie wollte jetzt die Zeugnisse verteilen und danach wäre für heute die Schule aus. Wir legten ein Buch auf den Tisch, damit wir das Zeugnis dahinein stecken konnten. Die Lehrerin wollte die Zeugnisse morgen genau so sauber zurück haben wie wir sie von ihr bekommen würden.

 Sie fing dieses Mal mit den schlechtesten Zeugnissen an, und sie sagte, dass die Versetzung bei den ersten drei Schülern gefährdet sei. Ich dachte bei mir: die größte Klappe, aber das schlechteste Zeugnis. Fräulein Schneider verteilte weiter und die Blätter in ihrer Hand wurden immer weniger. Im Stillen hoffte ich, als letzte mein Zeugnis zu bekommen, aber dann kam sie zu mir und sie hatte immer noch ein paar in der Hand.

 Sie legte mein Zeugnis in das Buch und fragte mich, ob ich das von Margot auch mit nehmen könnte. Ich warf einen Blick auf mein Zeugnis alles nur gut und wieder kein sehr gut. Mir standen die Tränen in den Augen. Dann legte sie Margot ihr Zeugnis oben auf das meine und sagte: "Jetzt heule ja nicht auf die schönen Zeugnisse, dann verschmiert die Tinte!"

 Sofort riefen ein paar Mädchen, sie täten das Zeugnis von Margot gerne mitnehmen, aber Fräulein Schneider sagte, es sei bei mir gut aufgehoben. Auf dem Heimweg hatte ich Angst vor den Kindern die alle über den Marktplatz mussten, darum ging ich den Weg über die Eckstraße.

Da kam ich an dem Haus vorbei in dem Margot wohnte, und ging gleich das Zeugnis abliefern. Frau Jürgens war erfreut über das Zeugnis von ihrem Mädchen, und es war genau das gleiche wie meines. Nun musste ich aber nach Hause und stellte fest, dass Mutti schon Ausschau hielt.

"Wo bleibst du denn so lange?" War das erste was sie fragte, und dann kam das worauf ich schon gefasst war: "Hast du dein Zeugnis? Wie viel "sehr gut" hast du denn?" "Ich habe überall "gut", genau wie Margot." Gab ich kleinlaut zur Antwort.

 In der Küche stürzte sie sich gierig auf mein Zeugnis um es zu kritisieren. "Betragen und Beteiligung am Unterricht hättest du wenigsten "sehr gut" haben können. Dafür muss man ja nichts können, man muss nur aufpassen und nicht schwätzen im Unterricht." Sie würde die Lehrerin bitten Margot und mich auseinander zu setzen, dann könnten wir beide besser aufpassen.
Ich glaubte nicht daran, dass Fräulein Schneider das machen würde, und hoffte, dass ihr sonst keine Strafe einfallen würde.

Mutti wollte, dass ich jetzt Hausaufgaben machen sollte. "Aber ich habe heute noch keine auf“, entgegnete ich vorsichtig. Dann solle ich eben ganz einfach üben, denn ohne Fleiß keinen Preis, trieb sie mich an. Also tat ich ihr den Gefallen, und schrieb eine Geschichte aus meinem Lesebuch ab.

Frau Bollmann putzte die Treppe und klapperte am Treppengeländer. Die Neugierde trieb Mutti auf den Flur. Von Natur war ich nicht neugierig, aber ich wollte wissen was Frau Bollmann zu meinem Zeugnis sagte. Weil die Küchentür zu war, ging ich "ganz rein zufällig" aufs Klo, denn da konnte ich gut zuhören. Natürlich ging es um Zeugnisse. Kurt hatte auch ein Zeugnis bekommen, "der Anfang war gut" sei in seinem Zeugnis gestanden. Mutti fragte: "Damit sind sie zufrieden?" "Aber ja," meinte Frau Bollmann, "gut ist doch wirklich sehr zufriedenstellend.“

 Nun erzählte Mutti von meinem Zeugnis. Kurts Mutter sagte: "Ja meinen Glückwunsch, das ist doch sehr erfreulich!" Ich konnte jetzt nicht länger im Kloraum bleiben, sonst fiel es auf, dass ich gehorcht hatte. Also kam ich bei den beiden Frauen vorbei, und schenkte unserer Mieterin einen dankbaren Blick.

 Die sprach mich prompt an: "Ich habe gehört, du hast so ein schönes Zeugnis bekommen, möchtest du es mir zeigen?" Mutti schnappte nach Luft und als sie sich gefasst hatte, erklärte sie der erstaunten Frau, dass sie nur ein Zeugnis mit "sehr gut", als gut bezeichnen würde. "Blödsinn“, regte sich Frau Bollmann auf, "Sehr gut bekommen nur die Lieblinge der Lehrer. Zum Beispiel Kinder von Geschäftsleuten, wenn die Lehrer sich einen Vorteil beschaffen können.

 Ich weiß das von meinem Mann. Wenn der Lehrer sich zwischen gut und sehr gut entscheiden muss, entscheidet er sich bei einem normalen Kind für "gut", und bei einem sogenannten Vorteilskind für "sehr gut". So einfach ist das, überhaupt in solchen Zeiten wie jetzt." Ich überlegte ob das wohl wahr sein konnte, was Frau Bollmann erzählt hatte, oder ob sie das nur gesagt hatte um mir zu helfen. Tatsache war aber, dass die drei besten Zeugnisse, wirklich an die Töchter von großen Geschäftsleuten gingen. Vielleicht war es Zufall. Fräulein Schneider war so eine gute Lehrerin, ihr traute ich so etwas nicht zu.

Vorsichtshalber ging ich jetzt wieder an meine Schreibarbeit, es war schon bald Mittag und bis in zwanzig Minuten würde Vati hier sein. Das Mittagessen kochte vor sich hin und ich hoffte nur, dass es nicht anbrennt, wenn Mutti so lange schwätzte. Ich hob den Deckel vom Topf und rührte einmal um, es war nichts angebrannt. Dann setzte ich mich wieder an den Tisch. Als Vati dann auf den Hof gefahren kam, räumte ich mein Schreibzeug weg und deckte schnell den Tisch. Er erwischte die beiden Frauen, wie sie im Flur standen und sich unterhielten. Vati mochte das nicht, wenn man sich was zu sagen hatte, dann konnte man sich hinsetzen und klönen, aber auf keinem Fall zur Mittagszeit. Er wollte immer pünktlich essen.

 Mutti kam in die Küche gerannt, sie hatte das Mittagessen ganz vergessen. Als ich sagte, dass ich das Essen umgerührt hatte, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sie brachte den Topf und schöpfte das Essen und alles war in bester Ordnung, dachte ich. Dann fing Mutti von dem Zeugnis an, und klagte dass ich wieder kein "sehr gut" nach Hause gebracht hatte. Dass Vati ein sehr guter Schüler war, hatte ich nie bezweifelt, man merkte es ihm auch an, er wusste alles. Bei Mutti hatte ich so meine Zweifel, ihr glaubte ich nicht, was sie von ihren Zeugnissen erzählte. Er schaute sich mein Zeugnis an und meinte, dass es doch gut wäre. Am Abend wollte er es unterschreiben.

Nachmittags sollte ich bei den Gurken helfen, Mutti kochte jetzt jeden Tag ein, und ich sollte den Tag nutzen, an dem ich keine Hausaufgaben machen musste. Sie bemerkte spitz: "Wenn du es schon in der Schule zu nichts bringst, dann zeig wenigsten, dass du im Garten etwas gelernt hast." Nach einer Weile fügte sie hinzu: "Zum Studium reicht es nicht wenn man nur "gut" hat, da braucht man "sehr gut" sonst bekommt man keinen kostenlosen Studiumplatz. Das hatte ich aber schon erwartet als Dank, dass wir dich hier aufgenommen haben."

 Das war es also, sie wollte nachher sagen können: Unsere Tochter hat studiert. Ich wusste aber gar nicht, ob ich das wollte. Wie immer entschied ich mich dafür, meinen Mund zu halten. Jetzt sollte ich kleine Gurken pflücken und das konnte ich. Da ich mir immer in Gedanken eine Geschichte ausdachte, die zu meiner Arbeit passte, machte es mir auch Spaß.

Bis zum Abend hatten wir neun große Gurkengläser gefüllt und zugebunden. Ich passte gut auf wie sie es machte, denn ich wollte das auf jeden Fall auch einmal können. Vati bemerkte dass wir fleißig waren und er lobte uns beide.

Am Mittwoch musste ich dann allein in die Flötenstunde. Der lange Weg bis zu Fräulein Rosenbaum kam mir unendlich vor, ohne Margot. Auf dem Rückweg setzte ich mich auf die Bank am Elsedamm und schaute in den Fluss. Ob Margot jetzt vielleicht auch aufs Wasser schaute? Dachte sie vielleicht gerade an mich? Ach ich wünschte sie wäre schon zurück. Ohne sie ging ich so ungern in die Schule.

 Margot kannte viele Mädchen aus unserer Klasse, mit denen spielte sie wenn sie bei ihrer Oma war. Ich kannte fast niemanden, dazu kam noch, dass ich mir die Gesichter gar nicht merken konnte. Wenn wir beim Turnunterricht Spiele machten mit dem Ball, warf ich den immer den falschen Mädchen zu. Keiner wollte mich in der Gruppe haben.

 Eine ältere Frau riss mich aus meinen Gedanken, sie setzte sich zu mir auf die Bank und fragte: "Na bist du heute allein? Wo ist denn deine Schwester?" "Das ist meine Freundin“, antwortete ich, "und die ist zur Kur." Ich schaute auf die Turmuhr, und ich musste jetzt los. Freundlich verabschiedete ich mich von der Frau, und die bedauerte es, dass ich nicht mehr bleiben konnte.

Die Woche wollte nicht zu Ende gehen. Ich wünschte mir einen Stickhusten oder eine Grippe. Ohrenschmerzen wären mir auch jetzt recht gewesen, wenn ich nur nicht in die Schule gemusst hätte. Ich hatte Angst vor den Kindern, die mich nie in Ruhe lassen konnten. Da entdeckte ich die Kloanlage auf dem Schulhof. Die Klos waren dreckig und ekelhaft, aber hier war ich sicher. Ich ging jetzt jede Pause aufs Klo und kam erst heraus wenn der Schuldiener läutete.

 Als ich nachmittags meine Hausaufgaben machte, und Mutti im Garten war, holte ich den Spiegel von ihr und schaute hinein. Ich wollte wissen ob ich hässlich war. Aber mein Gesicht sah ich genau wie jedes andere. Wenn ich mir begegnen würde, würde ich mich nicht erkennen. Außer meiner dicken, langen Zöpfe gab es nichts Besonderes an mir. Die Zöpfe waren glatt und nirgends war ein kleines Löckchen. Dabei hatte Lena doch so schöne Locken. Warum hatte ich keine? Bei den anderen Mädchen kringelten sich die Haare am Ende der Zöpfe, bei mir nicht. Und lachen konnte ich auch nur, wenn Margot bei mir war. Ich war mir sicher, dass ich hässlich war.

Den Spiegel räumte ich wieder weg und schrieb meine Hausaufgaben zu Ende. Dann ging ich in den Garten um Mutti zu helfen. Mein erster Weg führte zu Ilsabein. Sie mochte mich, egal ob ich nun hässlich war oder nicht. Dafür war ich ihr auch dankbar und sie bekam wieder eine Handvoll Mais.

Mutti war an den Karotten und zog die dicksten aus dem Beet, dann könnten die kleinen noch wachsen, hatte sie mir erklärt. Ich sollte die Möhren waschen und schaben, weil ich sie nicht schneiden konnte. Ich fing sofort damit an. Es machte mir überhaupt keinen Spaß, Karotten schaben war eine richtig blöde Arbeit. Aber klagen nützte nichts, wer nichts einkocht, hat im Winter nichts zum Essen.

Mutti sagte immer, dass sogar die Tiere Wintervorräte sammeln würden. Darauf zitierte Vati immer aus der Bibel: "Sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht und ernten nicht und sammeln nicht in die Scheunen, und unser himmlische Vater ernähret sie doch." Es war beides richtig, aber der Mensch ist kein Vogel. Also wurde weiter eingekocht.

Wir bekamen die Möhren noch in die Gläser, und Mutti verteilte noch Erbsen in jedes Glas. Dann zündete sie den Herd an und stellte ihren großen Kessel darauf. Vati war auch schon da, und neugierig was wir heute gemacht hatten.

 Beim Abendessen schaute ich Vatis Gesicht an und danach das Gesicht von Mutti. Bei ihm konnte ich nichts entdecken was nicht schön war. Mutti dagegen hatte einen Huckel auf der Nase und ganz komische große Ohren. Dazu hatte sie auch noch einen langen dünnen Hals, einen riesigen Busen und eine gewöhnungsbedürftige Frisur. Wenn sie bei mir in der Klasse wäre, dann würden die anderen sicher auf ihr herum hacken. Vielleicht haben das ja früher auch die Kinder mit ihr gemacht, wer weiß--.

Ich half noch beim Geschirr spülen dann war ich todmüde und sagte "gute Nacht". Vati rief mir nach: "Schlaf gut, morgen kommt Margot zurück." Das hatte ich ganz vergessen. Nach der Schule würde ich bei ihr vorbei schauen, nahm ich mir vor. Mit diesem Gedanken schlief ich gut ein.

Die Schule war für mich wieder furchtbar, an solchen Tagen wäre ich lieber daheim geblieben und hätte Mutti beim Einkochen geholfen. Das wäre für mich das kleinere Übel gewesen.

 In der Schule mussten wir eine Übungsarbeit schreiben. Es waren nur drei Sätze, aber viele Kinder jammerten. Die Lehrerin sagte uns einen Satz, und dann mussten wir ihn in unser Heft schreiben. Ich konnte mir den Satz gut merken, aber manche Kinder hatten da Schwierigkeiten. Als wir die Sätze geschrieben hatten, mussten wir das Heft an den Rand von unserem Tisch legen, und Fräulein Schneider ging durch die Reihen um nach Fehlern zu schauen.

 Wer keinen Fehler hatte bekam ein großes "O" unter die Arbeit. Ich bekam ein "O", aber ich klappte mein Heft schnell zu, damit es niemand sah. Mir hatte es zwar gefallen, aber meine Mitschülerinnen hätte es bestimmt geärgert. Die Lehrerin berichtete, dass die meisten zwei Fehler hatten. Wir würden das jetzt öfter machen, versprach sie uns. Annelore drehte sich zu mir um und zeigte mir ihr "O". "Was hast du?" wollte sie wissen, ich sagte "zwei Fehler". "Das glaube ich nicht, zeig mal," flüsterte sie. Fräulein Schneider wollte wissen was ich zu flüstern hätte. "Ich war es nicht“, sagte ich. Lore petzte und verriet der Lehrerin, dass ich gesagt hatte ich hätte zwei Fehler. "Das stimmt doch gar nicht, „ wusste die Lehrerin, "warum lügst du denn?" Jetzt musste ich schon wieder heulen, die ganze Klasse würde mich hassen, sie hatte gesagt, dass ich gelogen hatte. Zu allem Überfluss nahm sie auch noch mein Heft und hielt es hoch und zeigte das "O", so dass es alle sehen konnten. Dann gab sie mir das Heft zurück und fragte, "und warum weinst du?" Ich brachte keinen Ton heraus und wollte auch nichts sagen. Fräulein Schneider ging zurück an ihr Pult, Annelore drehte sich um und grinste.

 Als die Schulstunden aus waren, ging ich an der Kirche vorbei und die große Treppe hinunter auf die Hauptstraße, damit die anderen mich nicht abpassen konnten. Als ich dann an der Eckstraße war, lief ich ein Stück um einen Vorsprung zu haben.

Ich ging bei Jürgens vorbei, um zu fragen ob Margot schon da war. Aber ihre Mutter sagte, es könnte sein, dass sie erst am Abend käme, wegen der Ebbe. Das Schiff könnte nur bei Flut fahren. Wenn sie dann da sei, müsse sie gleich schlafen, um sich von der langen Fahrt auszuruhen. Morgen früh ginge sie aber vielleicht mit in die Schule.

Wieder musste ich allein in die Flötenstunde gehen. Fräulein Rosenbaum wollte wissen, ob Margot überhaupt noch kommen würde. "Bestimmt, „ sagte ich, "aber sie ist noch nicht wieder da." Sie gab mir ein Übungsstück auf, das sollte ich mit Margot zusammen üben.

Auf dem Heimweg ging ich wieder zu unserer Bank, schaute auf die Else und dachte an Margot, die vielleicht jetzt mit dem Schiff auf der Nordsee war. Da kam die Frau wieder zu mir, sie hatte die gleiche Jacke an wie letzte Woche, daran erkannte ich sie sofort. "Ist deine Freundin immer noch nicht da?" Fragte sie ein wenig mitleidig. Ich sagte ihr, dass sie heute noch zurück käme. "Dann wird die Freude aber groß sein," meine die freundliche Frau. "Ja schon, aber wir sehen uns erst morgen, da geht sie vielleicht wieder in die Schule." Erzählte ich ihr bereitwillig. Als sie aber wissen wollte wo wir wohnten, stand ich auf und sagte, ich müsse pünktlich zu Hause sein.

 Ich wollte ihr nicht sagen wo wir wohnten, es könnte ja sein, dass sie Mutti aus Versehen erzählen würde, dass wir jeden Mittwoch an der Else saßen. Dann wäre unsere Elsedamm-Viertelstunde bestimmt sofort beendet. Das war mir dann doch zu gefährlich, denn Mutti kannte viele Leute. An Vati dachte ich in dem Moment gar nicht, der kannte ja die ganze Stadt.

Mittwochs nach der Flötenstunde musste ich nicht mehr im Garten helfen, ich musste nur meine Hühner in den Stall bringen und füttern und die Stalltüren schließen. Trotzdem rannte ich mehrmals an den Zaun um zu schauen ob Margot wohl schon da war. Da sah ich Herrn Jürgens mit einem Koffer ins Haus gehen. Er war allein. Bestimmt war Margot mit ihrer Mutter schon im Haus.
Nach dem Abendessen, dachte ich nur an mein Bett, ich hatte wieder viel zum Nachdenken. Nach kurzer Zeit kam Vati in mein Zimmer.

 Er nahm einen Stuhl und setzte sich an mein Bett. Dann fragte mich ob ich Frau Böker kenne. "Ich glaube die kenne ich nicht." sagte ich. "Doch, die kennst du schon, du hast heute mit ihr gesprochen." meinte er und erklärte mir, dass sie in Vatis Abteilung gearbeitet hatte, und dass sie mir mal gezeigt hat wie man Zigarren wickelt. "Ja, daran erinnere ich mich, aber ich kenne die Leute nie wieder wenn sie was anderes anhaben." Sagte ich und zog aus lauter Angst vor dem was jetzt kommen könnte, die Bettdecke bis ins Gesicht.

 "Es lässt sich aber nicht vermeiden dass die Leute hin und wieder was anderes anziehen," meinte er schmunzelnd und fuhr fort: "Frau Böker hat heute mit dir auf der Bank am Elsedamm gesessen. Sie sagte du seist so ein stilles Kind und du müsstest mehr aus dir herausgehen. Sie fand es gut, dass du ihr nicht sagen wolltest wo du wohnst, wenn du sie nicht kennst. Die Frau geht jeden Tag am Elsedamm spazieren und hat euch oft gesehen." Ich bat Vati bitte Mutti nicht zu sagen, dass wir mittwochs auf der Bank sitzen, sonst berechnet sie den Weg neu und ich muss früher zu Hause sein. "Nein, die viertel Stunde soll euch weiterhin gehören“, versprach er und stellte den Stuhl wieder an den Tisch zurück. Er wünschte mir eine gute Nacht und bat mich im Bett nicht immer so viel nachzudenken, "denn was man vor dem schlafen denkt, kriegt man nicht mehr aus dem Kopf heraus."

Er schob die große Tür zu und löschte in der Stube das Licht. Trotzdem ließ ich den Tag an mir vorbeistreifen, genauso wie ich es immer schon gemacht hatte. Dabei fiel mir ein, dass ich nichts von der Übungsarbeit gesagt hatte.

Beim Frühstück am nächsten Tag, fragte Mutti: "Warum hast du nicht erzählt dass ihr ein Diktat geschrieben habt?" "Das war nur eine Übungsarbeit“, erklärte ich bescheiden. Sie redete noch ein wenig und ich war schon wieder in Gedanken. Was sollte ich machen, wenn Margot heute noch nicht in die Schule durfte? Mutti kämmte meine Haare und gab sich Mühe nicht zu zupfen. Bei mir dachte ich, was eine kleine gute Arbeit alles ausmacht. Mutti hingegen beteuerte, dass es nur ihr Verdienst sei, weil sie mich immer zum Üben auffordern würde.

 Als ich die zweite Zopfspange ins Haar machte, hörte ich Margot im Hof. Ihr "Miese" klang heute Morgen wie das Glöckchen vom Christkind. Ich schnappte meinen Affen und meinen Essenträger und rannte zur Tür hinaus. An der Korridortür drehte ich mich um und rief: "Mutti vergiss den Milchtopf nicht." Im Vorbeigehen ließ ich schnell die Hühner raus, dann umarmten wir uns und machten wieder unseren Indianer-Freudentanz.

 Da grinste sogar Mutti am Küchenfenster. Sie öffnete das Fenster und versprach, dass wir heute "Wiedersehen" feiern dürften. Auf dem Weg zur Schule erzählte Margot wie ein Wasserfall. Ich hörte zu, und kannte inzwischen schon die ganze Insel Norderney.

Auf dem Schulhof kamen alle Mädchen aus unserer Klasse um Margot zu begrüßen. Sie hakten sie an beiden Armen ein und zogen sie mit sich fort, so dass ich wieder allein dastand. "Erzähl, wie war es?" so bedrängten sie die arme Margot mit lauter Fragen. "Mensch, lasst mich doch in Ruhe," hörte ich Margot sagen und im nächsten Augenblick war sie wieder bei mir. "Wenn die glauben, dass sie uns auseinander bringen können, dann haben die sich aber ganz schön geirrt." Schimpfte sie und hakte sich bei mir ein. Sie hielt sich ein wenig an mir fest und schnappte nach Luft und meinte: "Ich bin noch ganz erledigt von der Reise." "Aber es geht dir doch gut?" fragte ich besorgt und wir gingen gemeinsam in die Klasse.

Fräulein Schneider war erfreut, als sie Margot sah und meinte: "Jetzt habe ich meine Kinder wieder alle zusammen. Schön dass du zurück bist. Wenn du möchtest, dann darfst du uns erzählen wo du warst und was du erlebt hast." Sie erzählte von der Fahrt mit dem Zug bis zur Nordsee und von dem Schiff, welches immer bei Flut fährt, von unendlich viel Sand und Dünen und messerscharfen Strandgräsern. Sie war oft beim Baden und hatte auch schwimmen gelernt. Sie musste Gymnastik machen und hatte die letzten zwei Wochen auch Schulstunden bei einer Lehrerin, die in das Kinderkurheim gekommen war. Dann sagte sie, dass sie jetzt nicht mehr wüsste was sie erzählen könnte, gestern sei sie wieder zuhause angekommen. "Schön“, meinte die Lehrerin und wollte unsere Hausaufgaben sehen.

In der Pause ging ich mit Margot auf den Schulhof und erzählte ihr, wie es mir ergangen war, und dass ich mich in den Pausen immer auf dem Klo versteckt hatte. "Jetzt bin ich wieder da, du brauchst dich nicht mehr zu verstecken," lachte sie. Ich war schon lange nicht mehr so glücklich.

Wir hatten noch zwei Schulstunden und in der nächsten Pause versuchten es die anderen Mädchen wieder, Margot von mir wegzulocken. Sie schaute gar nicht zu ihnen und stellte ihre Ohren auf Durchzug. Nach der dritten Stunde hatten wir noch Turnen, dafür mussten wir in die Turnhalle. An meinem Turnanzug, der immer so große Freude bei meinen Mitschülerinnen ausgelöst hatte, hatte Mutti das Oberteil abgeschnitten und ein Gummiband eingezogen. Das sah jetzt ganz manierlich aus. Wir mussten auf der Matte turnen und das konnte ich ganz gut. Endlich einmal Turnen, ohne dass ich ausgelacht wurde.

Auf dem Heimweg wurden wir auch nicht belästigt. Margot war immer schnell mit dem Mundwerk und wusste eine große Menge von Schimpfwörtern, die sie auch bei jeder Gelegenheit benutzte. Wenn alles zwecklos war, kam ihre letzte Waffe: "Wartet nur bis mein großer Bruder kommt." Der war wirklich sehr groß und klug, dazu war er genau so schlagfertig wie Margot, vor ihm hatten alle Respekt. Zuerst wollten wir unsere Hausaufgaben machen, und dann wollten wir Wiedersehen feiern.

Wir trennten uns an der Ecke, und ab da hatten wir beide fast gleich weit bis nach Hause.

Nach dem Turnen kam ich immer fünf Minuten später zu Hause an. Heute war Vati schon da, und das Essen stand auf dem Tisch. Vati meinte: "Ich hatte schon Angst ich müsste heute für dich mit essen." Ich musste an Papa denken, der mein Würstchen gegessen hatte, und ich hatte jetzt Hunger. Deshalb setzte ich mich schnell an den Tisch und schöpfte mir meine Suppe. "Nach dem Turnunterricht muss ich mich doch umziehen," bemerkte ich ganz nebenbei.

Ich war schon längst mit meinen Hausaufgaben fertig, da fragte Mutti: "Kommt Margot denn nicht?" Die Antwort konnte ich mir sparen denn sie kam gerade um den Schweinehof und schrie "Miese!!!" Mutti winkte ihr und sie kam in die Küche. Sie legte eine besonders schöne Tischdecke auf den Tisch und wir sollten noch kurz in den Hof. Es sollte eine Überraschung werden sie wollte uns dann rufen, wenn alles fertig war.

Margot zeigte mir, was sie für mich mitgebracht hatte. Es waren kleine Rauschmuscheln und niedliche Türmchenmuscheln, sogar einen ausgetrockneten Seestern hatte sie für mich. Ich freute mich so darüber, dass ich sie jetzt in den Arm nehmen musste. Dann war Mutti fertig und rief uns.

 Wir stürmten in die Küche und kamen aus dem Staunen nicht heraus. Noch niemals hatten wir einen so schön bunt gedeckten Tisch gesehen. Sie hatte aus Astern zwei Zöpfe gefochten, die sie um unser Gedeck gelegt hatte. Überall hatte sie Blüten verteilt auf dem Tisch und sogar zwei Kerzen angezündet. Für unsere kleine Feier hatte sie extra eine Brombeertorte gebacken. Wir fühlten uns wie zwei Prinzessinnen und ließen uns die Torte schmecken.

 Mutti fragte ob sie auch zu uns an den Tisch durfte. Margot sagte: "Ja, aber nur wenn sie nichts kaputt machen." Das war so komisch und wir mussten lachen. Später sagte Margot mir, dass sie ja kein Geschirr gemeint hatte, sondern sie sollte unsere Freundschaft nicht kaputt machen. Wir aßen jedes zwei oder drei Stücke von der Torte und hatten hinterher blaue Münder. Das war jetzt für Mutti ein Grund zum Lachen. Nach dem Kaffeekränzchen zeigten wir ihr die Muscheln die Margot für mich gesammelt hatte.

 Mutti meinte die wären ja alle schön, aber die schönste hätte sie an der Nordsee gefunden. Sie ging an den Stubenschrank und holte eine große Rauschmuschel. Die war aber wirklich ganz wunderschön. So ging der Nachmittag zu Ende und Margot musste gehen. Den Tag wollte ich nie vergessen, nahm ich mir fest vor.

    Als ich dann später im Bett noch einmal über alles nachdachte, wünschte ich mir, jeder Tag sollte so friedlich ablaufen. Mutti war ein seltsamer Mensch, einmal war sie griesgrämig und am nächsten Tag katzenfreundlich. Wenn sie jeden Tag so wie heute wäre, dann könnte ich sie auch liebhaben.

 

Das Sofa war ruiniert - der "Perser" auch

 

Am nächsten Morgen, als ich aufwachte, schien die Sonne noch nicht. Egal aus welchem Fenster ich hinaus schaute, es war richtig trübe und neblig. Mutti war schon im Schlafzimmer am putzen, heute war Freitag und das war ihr Putztag. Ich frühstückte allein und kämmte anschließen meine Haare. Es war besser sie nicht zu stören, sonst käme sie noch auf die Idee, mich die Ecken putzen zu lassen, bevor ich zur Schule musste. So nahm ich lieber ihre Schuhe mit in den Keller zum Putzen.

Als ich meine und ihre Schuhe blitzblank geputzt hatte, war Mutti in der Küche und kämmte ihre Haare. "Wenn ich aus der Schule komme, dann helfe ich dir“, versprach ich ihr und richtete meinen Schulranzen. Ich nahm den Milchtopf, und meinen Ranzen, sagte "bis später“, und ging am Hühnerstall vorbei, die Hühner in den Hof zu lassen. Dann verschwand ich um Margot abzuholen.

Die wartete schon an der Kreuzung auf mich. Sie hatte mir ein paar Kekse mitgebracht. Auf meine Frage "Wofür?" sagte sie, "weil es gestern so schön war." Wir wollten nachmittags Flötenspiel üben, aber weil Mutti heute gründlich sauber machte fand ich es besser, es auf morgen zu verschieben.

 Der Nebel löste sich langsam auf, und die Sonne war hinter einem dünnen Schleier zu sehen. Bei Margot war die gute Laune schon wieder da und sie machte unterwegs den Hampelmann.
Die Schule brachten wir hinter uns und wir gingen gut gelaunt heimwärts. An diesem Tag hatten wir um elf Uhr die Schule aus, Vati kam erst um zwölf und ich dachte, dass ich da noch ein wenig beim Putzen helfen konnte. So kam ich mit den besten Vorsätzen auf den Hof.

Dort stand das Sofa aus meinem Zimmer und der angeblich "echte Perser", der immer aufgerollt hinter dem Sofa lag, hing auf der Teppichstange. In der Mitte am Rand war ein großer Fleck auf dem Teppich. Ich hatte das nicht gemacht, aber wie kam der dahin? Auf die Antwort musste ich nicht lange warten. Während ich nachdenklich den Fleck betrachtete, kam Mutti aus dem Haus gestürmt. Ihr Gesicht verkündete Unheil, aber ich war mir keiner Schuld bewusst.

In der Hand hatte sie einen frisch abgeschnittenen Stock von dem armen Fliederbusch. Den anderen hatte Vati ja hinter den Küchenschrank purzeln lassen, damit sie nicht unüberlegt drauflos schlagen sollte. Sie zog mich an einem Zopf hinter das Sofa und zeigte mir, dass es hinten kaputt, feucht und schimmelig war. Sie behauptete genau zu wissen woher das käme: "Du bist zu faul bei Nacht aufs Klo zu gehen und hast aufs Sofa gepinkelt!" Schrie sie mich an und zeigte mir den Fleck auf ihrem wertvollen Teppich.

Ich erlaubte mir die Frechheit, ihr zu widersprechen und sagte: "Ich war es bestimmt nicht!" Sie trieb mich vor ihr her ins Haus, damit die Nachbarn nichts sehen sollten. Auf dem Flur schrie sie "Wer sonst soll es denn gewesen sein? Du kommst ja aus einer verkommenen Familie, deine Mutter hat ja die schmutzige Wäsche im Backofen aufbewahrt."

Ich verteidigte leidenschaftlich meine Mama: "Sie war eine gute Mama und die Wäsche haben Hans und ich in den Backofen gesteckt, weil wir den Waschkessel nicht gefunden hatten." Wir kamen in die Küche und jetzt fiel sie über mich her. Während sie noch über meine Familie schimpfte, und mich als großes Schwein bezeichnete, schlug sie mit ihrem Stock zu. Sie hatte meine Mama beleidigt, die immer so sanftmütig war und sehr ordentlich. -

Ich erinnerte mich, dass ich mich wehren wollte, wenn sie mich wieder ohne Grund schlagen würde. Sie hatte keinen Grund, ich war unschuldig. Vor Schmerz konnte ich nicht mehr viel denken und fing an sie mir den Schuhen, die an den Spitzen mit Eisen beschlagen waren, ans Schienenbein zu treten.

Sie schrie und schlug noch fester zu, ich trat sooft ich treffen konnte und als sie immer noch nicht aufhörte, biss ich ihr in den Arm. Jetzt hatte sie genug und jammerte wie weh ihre Beine und ihr Arm taten. Dann heulte sie und fing an zu beten: Der liebe Gott solle sie von diesem Teufelskind erlösen. Ich ging in mein Zimmer und sah, dass die ganze Wand hinter dem Sofa feucht und voll Schimmel war. Es war mir ein Rätsel woher das kam, aber ich hatte da nichts gemacht.

Schluchzend brachte Mutti das Essen auf den Tisch und Vati kam zur Tür herein. Nachdem Mutti ihm ihr Leid geklagt hatte, bekam ich von ihm auch noch eine Tracht Prügel, weil ich es gewagt hatte, Mutti zu treten und zu beißen. Mich müsse man einsperren wie einen bissigen Hund, war seine Meinung dazu.

Na das hatte sie ja gut hinbekommen. Ich ging ins Bad und kühlte meine Beine mit einem nassen Handtuch. Vati kümmerte sich nach dem Essen um Muttis Beine und den Biss am Arm. Es war nirgends Blut zu sehen, ich wollte sie ja auch nur beißen und nicht essen. Trotzdem waren meine Zähne auf ihrem Arm abgebildet. Sie würde sich eine ärztliche Bescheinigung ausstellen lassen für später, falls die Sache mit mir vor Gericht käme.

Da mein Teller noch leer war, räumte ich ihn weg und verzichtete aufs Mittagessen. Vati wollte, dass ich sie um Verzeihung bitten sollte, dann würde ja vielleicht alles wieder gut. "Nein," sagte ich erbost, "ich habe nichts verbrochen und ich habe mich nur gewehrt. Sie kann ruhig wissen was Schmerzen sind." Vati musste jetzt gehen, wollte aber abends noch mal darauf zurückkommen.

 Er half Mutti das Sofa ins Haus tragen und fuhr mit seinem Rad los. Als er weg war, kam Frau Bollmann und wollte wissen was bei uns wieder los war. Mutti meinte, es ginge sie zwar nichts an, aber wenn sie schon mal da sei, könnte sie es auch erfahren. Nun erzählte sie ihr alles aus ihrer Sicht, und zeigte die Wunden, die ich ihr zugefügt hatte. Frau Bollmann fragte mich jetzt, was ich denn dazu zu sagen hätte. Ich kam gar nicht dazu etwas zu sagen, Mutti schrie die lügt sobald sie den Mund aufmacht. Dann zeigte sie ihr das Sofa und jammerte über ihren Teppich.

Frau Bollmann schaute zuerst das Sofa an und dann die Wand. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte, das kann nicht vom aufs Sofa pinkeln kommen, das kommt aus der Wand. Hinter der Wand war das Badezimmer und darüber auch. Das Abflussrohr war in der Wand und Frau Bollmann behauptete daher käme die Feuchtigkeit.

Mutti glaubte ihr nicht, und bemerkte spitz, was sie denn von Abwasserleitungen verstünde. "Oh viel," wehrte sich die Mieterin, "Wir hatten vor Jahren in unserem Haus das gleiche Problem." Mutti blieb dabei, die Leitung sei in Ordnung das könnte gar nicht anders sein. Frau Bollmann schickte sich an zu gehen, konnte es aber nicht lassen mich zu bedauern: "Das arme Kind, was das bei ihnen mitmachen muss!" Ich hatte in der Stube gelauscht und ging schnell zurück in die Küche an meine Hausaufgaben.

"Trödel nicht so lange rum, du musst den Fußboden in deinem Zimmer noch einwachsen!" Fuhr sie mich an, als sie in die Küche kam, dann fügte sie verächtlich hinzu: "Vielleicht geht dann der Klo-Gestank davon weg. Sie würde jetzt immer genügend Abstand halten, vor mir müsse man sich in Acht nehmen.

Dann prophezeite sie mir eine Zukunft im Zuchthaus. Ja da würde ich einmal landen, das wisse sie genau. Jetzt wollte sie zum Arzt gehen, um ihre "Wunden" zu dokumentieren, das würde ihr später sehr helfen. Nun nahm ich allen Mut zusammen und sagte patzig: "Ja mach das, ich gehe dann am Montag zum Doktor ins Krankenhaus, dann sind die Striemen an meinen Beinen richtig blau, und der Arzt kann einen Bericht an die Fürsorge schicken." Sie musste sich hinsetzen und nach Luft schnappen, als sie sich wieder fing, fauchte sie: "Immer frech wie Rotz und immer das letzte Wort!

 Du hast am Montag Hausarrest dann sehen wir wo du hingehst." "Ich werde von der Schule aus ins Krankenhaus gehen und wenn ich der Lehrerin meine Beine zeige, dann gibt die mit frei, und ein Lehrer fährt mich ins Krankenhaus." Entgegnete ich, und war selbst erstaunt über meinen Mut. Sie setzte sich wieder und behauptete gleich einen Herzinfarkt zu bekommen. Gespannt wartete ich darauf, aber es passierte nichts. Sie zog ihr Kostüm wieder aus und legte den Hut zurück in den Schrank. " Du hast recht, die blauen Flecken sieht man am Montag besser, also gehe ich am Montag." keuchte sie.

Am liebste hätte ich gefragt ob sie ihren Herzinfarkt dann auch am Montag kriegen wollte, aber ich beherrschte mich.

Als ich mit meinen Hausaufgaben fertig war, ging ich in mein Zimmer um das Bohnerwachs aufzutragen. Ich liebte den Geruch vom Bohnerwachs und dachte an Mama, die unsere Fußböden immer scheuerte, die waren ja auch nicht lackiert. Hans hatte ihr immer dabei geholfen. Mama hatte ihn dann gelobt und gesagt er sei ein guter Junge. Ach ja, sie würde mich bestimmt nicht schlagen wenn ich unschuldig war.

Einmal hatte ich Schläge von ihr bekommen. Damals hatte ich im Traum ins Bett gemacht. Warum musste ich in letzter Zeit so oft an sie denken? Ich arbeitete an meinem Fußboden und weinte. Meine Beine brannten und ich zog vorsichtig die Strümpfe herunter, und sah, dass meine Waden voller dicker roter Steifen waren. Ein Glück, dass es Herbst war und ich Kniestümpfe an hatte, sonst wäre ich wieder zum Gespött meiner Mitschülerinnen geworden.

Nach dem Einwachsen, nahm ich mein Lesebuch um eine halbe Stunde zu lesen, danach würde ich dann mit dem Bohnerbesen weiter machen. Das war ja genau genommen Muttis Arbeit, aber ich würde sie nicht fragen ob sie bohnert. Ich würde sowieso nur noch das aller notwendigste mit ihr reden und mit Vati auch, er hatte sie bedauert, und mich auch noch geschlagen. Das war einfach zu viel. Sollten sie mich doch ruhig in ein Heim oder eine Erziehungsanstalt schicken, da konnte es mir nur besser gehen.

Als Vati am Abend kam, ging ich die Hühner versorgen. Ich sammelte die Eier und las die Äpfel auf, ich wollte nicht mit ihnen am Tisch sitzen und essen. Darum ließ ich mir viel Zeit. Das Schwein fütterte ich nicht. Das war nicht meine Arbeit. Die Äpfel stellte ich in den Hauseingang, dann konnte Mutti damit machen was sie wollte. Ihren Milchtopf konnte sie in Zukunft auch selbst hinaus bringen. Jetzt war ich es leid immer gutmütig zu sein.

Andere Kinder durften spielen, und ich sollte immer nur Nützliches machen. Als ich in die Küche kam, war Mutti schon ins Bett gegangen. Ihre Beine taten so weh, und sie habe über ihr Herz geklagt, berichtete Vati.

Er saß an seinem Platz und rauchte eine Zigarre. Ich machte mir ein Brot und wollte damit verschwinden, als er fragte ob ich mich entschuldigt hätte. "Ich werde immer geschlagen wenn ich nichts verbrochen habe und bei mir entschuldigt sich keiner." Gab ich zu Antwort. Er war erstaunt dass ich so "bockig" war, und meinte, dass ich die Schläge doch verdient hatte. "So, dann guck dir doch mal die Wand in meinem Zimmer an. Glaubst du, dass ich so große Flächen nass pinkeln kann?" Ich nahm mein Brot und verschwand. Mein zorniger Unterton war ihm nicht entgangen und er versprach, sich das bei Tageslicht anzusehen.

Ich lag im Bett und konnte lange nicht einschlafen. Freilich hatte Mutti lauter teure Möbeln und Teppiche mitgebracht, als sie heiratete und ich konnte verstehen, dass sie verärgert war. Aber sie musste doch nicht behaupten, dass ich ihre Sachen zerstörte, weil ich zu faul sei aufs Klo zu gehen. Ich ging immer vor dem Schlafen aufs Klo und schlief durch bis zum Morgen. Für den Notfall hatte ich ja einen Nachttopf. Durch das gekippte Fenster hörte ich, dass es regnete. Das gleichmäßige Geräusch half mir beim Einschlafen.

Am Morgen ließ ich dann nur meine Hühner in den Garten und nahm den Milchtopf nicht mit. Wenn sie keine Milch bekam, konnte sie schon keine Milchsuppe kochen. Ich ging zur Schule ohne auch nur zu schauen wo Mutti war.

Margot kam mir schon entgegen. "Mensch Miese bist du heute schlecht gelaunt?" Fragte sie mich in ihrer Unbekümmertheit. Sie munterte mich auf: "Sag schon was ist los?" Nun begann ich ihr von dem Sofa und dem Teppich zu erzählen. Plötzlich fing Margot an zu lachen. Sie konnte gar nicht mehr aufhören. "Wieso lachst du wenn ich Schläge kriege?", fragte ich erbost.

"Entschuldige," sagte sie, "aber ich habe mir das bildlich vorgestellt wie du jede Nacht aufs Sofa springst um darauf zu pinkeln. Oder wenn du es nicht warst, der Herr Ritzekalla, der doch die Übernachtungen nicht gezahlt hatte. Dem würde ich es schon eher zutrauen." Sie wollte sehen wo sie mich geschlagen hatte. Dann meinte sie: "Aua, das tut mir ja sogar beim Angucken weh." Jetzt war ihr das Lachen vergangen. "Du wolltest dich doch wehren, hast du das vergessen?" Erinnerte sie mich.

Jetzt erzählte ich ihr, wie ich Mutti getreten und sogar gebissen hatte. Wieder musste sie lachen und sie stellte fest, dass ich beim Beißen ja schon Übung hatte. "Weißt du noch wie du mich im Kindergarten gebissen hast, weil ich dich geärgert hatte? Damals wollte Schwester Ida, dir alle Zähne ziehen." Nun lachten wir beide. Wir setzten uns auf die Bank am Kindergarten und Margot meinte: "Jetzt muss ich erst mal verpusten." Ich streckte meine Beine, und lüftete das Gummiband an meinen Kniestrümpfen.

Margot nahm mich in den Arm und voller Mitleid meinte sie: "Du musst immer so viel aushalten, und kannst trotzdem noch lachen, wie machst du das bloß?" Ich heulte los und gestand, "Nur wenn ich bei dir bin, kann ich lachen, sonst ist mir das jetzt vergangen. Ach Margot, wenn du nicht da wärst, dann würde ich lieber sterben und zu meiner Mama und zu Lilibeth gehen, glaubst du, dass die auf mich warten?" Ich weinte auf Margots Pulli und sie ließ es zu.

Vorwurfsvoll schaute sie mich an. "Du hast mir die Geschichte von deiner Schwester immer noch nicht erzählt, also hast du noch keine Zeit zum Sterben." Sie konnte so komisch sein, dass ich immer wieder über sie lachen konnte. Aber jetzt mussten wir auf der Stelle nach Hause. Wir hatten schon viel zu lange auf der Bank gesessen. Ich wollte eigentlich gar nicht heim zu Mutti. Aber es war doch egal, ein paar Schläge mehr oder weniger würden mich jetzt auch nicht mehr umbringen.

Am Gartentor wartete Ilsabein auf mich. Mit ihr gemeinsam ging ich ums Haus herum. Vatis Fahrrad lehnte schon an der Hauswand. Na, dann konnten mich ja wieder beide verprügeln weil ich spät dran war. Im Garten war niemand, und durch das Küchenfenster konnte ich auch nichts sehen. Als ich die Stufen im Flur hinauf ging, zitterten meine Knie vor lauter Angst. Beide waren in meinem Schlafzimmer.

Vati war mit einem Meterstab dabei die Wand genau auszumessen. Dann nahm er einen dicken Bleistift und machte einen Strich auf der Tapete. "Das Abflussrohr muss einen Riss haben, die Wand ist auf beiden Seiten nass." Nach dem Essen wollte er nach einem Handwerker sehen. Mutti fand es viel wichtiger an die Äpfel zu gehen. "Was wichtig ist, bestimme ich“, gab er ihr zur Antwort und wollte jetzt sein Mittagessen.

Ich setzte mich auch an den Tisch. Während wir aßen sprach niemand ein Wort, und es hatte scheinbar keiner gemerkt, dass ich zu spät war. Als ich mit den Hausaufgaben fast fertig war kam Margot, wir wollten Flötenspiel üben. Mutti fragte sie schroff: "Was willst du hier?" "Wir müssen noch üben für die Flötenstunde“, Sie hatte die Türklinke noch in der Hand, um schnell hinaus laufen zu können, falls es nötig war. "Anneliese muss aber erst fertig schreiben. Dann könnt ihr von mir aus üben. Aber keinen Blödsinn machen."

Sie musste immer etwas Doofes sagen, aber das störte uns nicht einmal. Dann ging sie in den Garten, und Margot ließ einen gehörigen Stoßseufzer hören. "Gott sei Dank ist sie draußen." Sie schaute in mein Heft und sah, dass ich fast fertig war. Da holte sie unsere Flöten und die Übungshefte schon auf den Tisch und wartete geduldig bis ich aufgeräumt hatte. Sie hatte einen Tisch-Notenständer ich hatte keinen. Aber mit ihrem Notenständer ging es viel besser, wir übten und weil wir sonst keinen Grund zur Freude hatten, machte es uns dann auch Spaß.

Vati kam mit einem Handwerker zurück und zeigte ihm die Bescherung im Bad und in meinem Zimmer. Der Mann würde die Badewanne abbauen müssen um an das Rohr zu gelangen. Für dieses Wochenende war das Baden im ganzen Haus verboten. Er wollte am Montag an die Arbeit gehen.

 Wir waren immer noch am üben, als Vati in der Küche erschien. "Die Angelegenheit mit dem Sofa und dem Teppich hat sich aufgeklärt," verkündete er, "Das Wasserrohr war schuldig, nicht du. Das ändert nichts daran, dass du dich bei Mutti entschuldigen solltest, du hast sie schließlich getreten und gebissen."

Margot meinte, sie müsse sich jetzt unbedingt einmischen: "Und was bitte schön ist mit Anneliese ihren Beinen, wer entschuldigt sich da? Haben sie die Beine schon gesehen?" Vati war es nicht gewohnt das Kinder aufmucksten und war einen Augenblick sprachlos. Margot zog meine Strümpfe nach unten und sagte zu ihm: "Gucken sie mal wie die weh tun, was glauben sie was der Doktor im Krankenhaus dazu sagt, wenn Anneliese da am Montag hingeht?" Vati lief dunkelrot an und besänftigte Margot: "Das wird schon wieder gut, du wirst nicht zum Arzt damit gehen." "Doch," mischte ich jetzt auch mit, "Mutti will ja auch eine Bescheinigung vom Arzt holen, da will ich auch eine haben, und die bringe ich gleich zur Fürsorge, damit Mutti sie mir nicht wegnimmt."

Vati bemühte sich uns zu beruhigen: "Ich verstehe, dass ihr jetzt aufgebracht seid, aber ihr müsst euch auch in Muttis Lage versetzen. Sie hängt an ihren teuren Möbeln." Da kam es patzig von Margot: "Meiner Mutter sind die Möbel auch wichtig, aber noch wichtiger ist es ihr, dass wir Kinder fröhlich sind. Bei meiner Mutter kommen zuerst die Kinder, dann mein Vater und zum Schluss erst die Möbeln. Hier ist es aber genau umgekehrt da kommt viel vorher was wichtig ist. Ganz zum Schluss kommt Anneliese hat mein Vater gesagt."

Das saß! Vati ging in den Garten und suchte nach Mutti. Wir waren jetzt viel zu aufgeregt um noch vernünftig Flöte zu blasen. Margot packte alles zusammen; während ich schon wieder weinte. Jetzt weinte ich aus lauter Dankbarkeit weil Margot so zu mir hielt. Sie hatte alles in die Taschen gepackt und meine Tasche in den Schrank gelegt.

Dann setzte sie sich noch zu mir auf den Stuhl und putzte meine Tränen. Als Vati zurück in die Küche kam, war sie immer noch in Fahrt und versprach ihm, nie wieder mit ihrem Bruder zu helfen, wenn er mal wieder krank würde. Danach fühlte sie sich gut, nahm ihre Tasche und ging nach Hause.

Ich hatte Angst wie mir Margots Rede bekommen würde, Vati war immer noch dunkelrot im Gesicht.

"Deine Freundin ist schlecht erzogen, Kinder sollen Antwort geben wenn man sie fragt. Erwachsene Leute zu kritisieren ist einfach ungezogen." Dann kam die Strafpredigt für mich. Was in unserer Familie passierte, ginge niemanden etwas an, auch meine Freundin nicht. Er wollte wissen wem ich es denn sonst noch alles erzählt hätte. "Bis jetzt noch niemandem, aber am Montag werde ich es zuerst Fräulein Schneider und später dem Doktor im Krankenhaus sagen. Am Mittwoch der Frau Böker und Fräulein Rosenstock und jedem den ich sonst noch kenne. Alle sollen es wissen, und alle sollen meine Beine sehen!"

Er setzte sich auf den Stuhl, er klagte nicht, aber ich sah, dass es ihm nicht gut war. Aus Mitleid mit ihm, tat mir leid was ich gesagt hatte und ich fügte hinzu: "Vielleicht lasse ich es auch sein." Jetzt jammerte er: "Die Frau Böker wird es in der Firma erzählen, und Fräulein Rosenstock ist im Wanderverein. Dann kann ich mich nirgends mehr sehen lassen."

"Das musst du Mutti erzählen, die ist doch immer so schnell mit dem Stock zur Stelle, und hört nie zu was ich zu sagen haben." Ich hielt danach meinen Mund und Vati ging noch einen Korb Äpfel pflücken.

Am Montag pünktlich um sieben Uhr kam der Handwerker und baute die Badewanne aus, die klassisch auf vier verschnörkelten Füßen stand. Dann fing er an die Wand kaputt zu schlagen, denn er musste ja an das Keramikrohr, welches in die Wand eingemauert war. Wenn ein Handwerker in ihrer Wohnung war, würde sie das Haus nicht verlassen, dafür war sie zu misstrauisch. Also würde sie auch nicht zu ihrem Arzt gehen. Vati würde froh sein, wenn ich meine Drohung auch nicht wahr machte.

Mutti stand immer im Bad herum und war noch nicht frisiert, also frühstückte ich schnell um fertig zu sein, wenn sie mit dem Kämmen anfing. Sie fühlte sich ungekämmt anscheinend sehr wohl, denn sie kam nicht, solange ich in der Küche war. Nachdem ich meine Zöpfe geflochten hatte, nahm ich meinen Schulranzen und ging durch den Hühnerstall um die Hühner durch die kleine Tür hinauszulassen.

 Weil ich mir sicher war, dass sie jetzt am Küchenfenster stand, stieg ich auch durch das kleine Türchen und ging durch das Schweinehöfchen. Margot kam gerade um die Ecke, "was machst du denn im Schweinehöfchen?" Sie machte mir das Türchen auf, mit dem ich gerade kämpfte, der Riegel klemmte. Die Hühner stürmten in den Garten und wir gingen zur Schule.

Sie wollte wissen wie der Sonntag war und freute sich, dass ich nichts Schlechtes zu berichten wusste. Als ich sagte, dass Vati behauptet hatte sie sei ungezogen, machte ihr das gar nichts aus. "Gehst du jetzt heute zum Arzt?" Wollte sie von mir wissen. "Ich denke nein“, sagte ich nachdenklich, "Mutti kann jetzt auch nicht weg, der Handwerker ist da." Sie fand das nicht so richtig, und fragte mich, wie lange ich das denn noch aushalten könnte. "Wenn du eingehst, dann besuche ich dich auf dem Friedhof“, versprach sie mir. und brachte mich schon wieder zum Lachen.

Die Schule interessierte mich heute überhaupt nicht. Ich dachte an ganz andere Dinge und überlegte ob ich nicht doch weglaufen sollte. Unserer Lehrerin war nicht entgangen, dass ich abwesend war. Sie hatte Mutti vor einem Jahr kennen gelernt, und ahnte, dass es wieder Zwistigkeiten gab. Mit dem Zeigestock, trommelte sie auf unsere Bank um mich zurückzuholen. Ich schaute sie an mit meinen verheulten Augen, und sie meinte: "So geht das nicht, ich glaube wir haben etwas zu bereden." Margot antwortete für mich, "Ja und es ist dringend." Ich trat Margot auf den Fuß und sie war nicht einmal böse darüber.

 Fräulein Schneider deutete mit dem Finger an, dass wir in der großen Pause sitzen bleiben sollten. Die anderen Mädchen waren draußen und die Lehrerin kam zu uns. Sie fragte nichts, sie schaute mich nur an. Dann fing Margot an zu erzählen und wollte, dass sie einen Blick auf meine Beine werfen würde, dann würde sie verstehen, dass ich mit meinen Gedanken auf dem Weg zu meinem Papa sei." Sie schaute sich die Beine an und fragte ob ich nicht doch zu einem Arzt wollte. "Nein, ich will zu keinem Arzt, ich will zu meinem Papa!" Margot versuchte nun mit dem wenigen was sie wusste, der Lehrerin zu erklären was das heißen sollte.

 So erfuhr diese, das Mutti und Vati nicht Mama und Papa waren. Dass Papa Hans geholt hatte, der auch hier war und ich zu ihm wollte. Sie fragte wo er denn wohnte und wie ich früher geheißen hatte. Jetzt erinnerte ich mich an das Sprüchlein, was mir Hans als "überlebenswichtig" eingepaukt hatte. Würde ich es noch können? Wie im Traum sagte ich: "Ich heiße Clara Schiller und wohne in Lockhausen in Lippe." Die Lehrerin sprang auf und holte einen Block auf den sie mein Sprüchlein schrieb. "Weißt du auch Straße und Hausnummer?" fragte sie erwartungsvoll. "Nein, da war nur eine Straße, und da wo wir wohnten waren nur zwei Häuser." Straße und Hausnummer hatte ich nicht gelernt von Hans, jetzt waren meine Hoffnungen dahin.

 Sie hatte recht, jeder Adresse hat Straße und Hausnummer. Das stand ja auch auf jedem Brief. Wir unterhalten uns ein andermal wieder, sagte Fräulein Schneider. Sie wollte mit ihrem Vater, dem Herrn Rektor darüber sprechen. Dann gab sie mir noch einen Rat: "Lass dir nicht immer alles gefallen, wenn du Schulspeise holst, drängeln sich immer alle vor, und du sagst nie etwas. Die Sanftmütigen kommen zwar in den Himmel, aber nicht durchs Leben. Bevor du in den Himmel kommst, hast du aber einen langen beschwerlichen Weg, und nur die Starken kommen durch."

Diesen Satz musste ich mir heute Abend durch den Kopf gehen lassen, dachte ich, jetzt war mir das zu viel.

Wir hatten heute noch Handarbeit im Gemeindehaus und waren froh als die Schule aus war.

Auf dem Heimweg zeigte mir Margot wie man mit den Ellenbogen boxt, wenn man sich Platz machen will. Vom Gemeindehaus aus gingen wir über die Eckstraße das hatte den Nachteil, da war keine Bank. An der alten Schule, die schon lange leer stand, setzten wir uns auf die Mauer. "Mein Vater hat gesagt, dass du so schnell nicht wieder Schläge bekommst, weil sich deine Mutter jetzt ausgetobt hat“, wusste sie zu berichten. Es war mir ein schwacher Trost. Der Uhr an der alten Schule trauten wir nicht, deshalb gingen wir beizeiten das letzte Stück.

Der Handwerker hatte Mittagspause und Mutti kehrte den Dreck zusammen den er bisher gemacht hatte. Ich deckte den Tisch, weil Vati schon die Treppe heraufkam. Mutti war voller Staub und schimpfte, dass sie jetzt den größten Saustall hatte, nur wegen der dummen Idee mit dem Wasserohr.

 Vati meinte: "Das Essen ist heute nicht so -lobe den Herrn-, da fehlt Salz." Sie stellte das Salz auf den Tisch und meinte, man könne ja davon nehmen und nach salzen. Ihre Laune war schlecht und das würde bleiben, bis der Handwerker die kaputte Stelle gefunden hatte. Und wenn er nichts findet, was dann, dachte ich bei mir. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken. Als Vati ging, meinte er, wir könnten doch schon an den Frühkartoffeln anfangen, sie müsse dem Handwerker nicht unentwegt auf die Finger gucken. "Ich muss zuerst Hausaufgaben machen“, sagte ich, "dann kann ich vielleicht noch in den Garten." "Dazu braucht du nicht den ganzen Nachmittag“, sagte er streng.

Nach zwei Stunden war ich mit den Hausaufgaben fertig und der Handwerker war dem Ziel seiner Bemühungen ganz nah. Er zeigte Mutti die feuchten Steine, die er dort heraus klopfte und meinte: "jetzt sind wir gleich an der undichten Stelle." Sie kam in die Küche und erklärte, dass sie jetzt auf gar keinem Fall in den Garten könne. Das Loch wollte sie sehen, sie glaubte immer noch, dass es keines gab. Ob ich vielleicht schon mit den Kartoffeln anfangen wollte, fragte sie mit gespielter Freundlichkeit. "Nein, das kann ich nicht, Vati hat gesagt die Kartoffeln muss ein Erwachsener raus machen, das ist zu schwer für Kinder."

 Sie warf ihren Kopf in den Nacken und ging wieder in das Badezimmer. Um nicht so ganz nutzlos den Nachmittag verstreichen zu lassen, ging ich jetzt in den Garten. Dort machte ich mich über das Unkraut her, das warf ich dann auch gleich auf den Kompost. Die Kartoffeln fasste ich nicht an. Ich überlegte eine Weile ob ich noch Äpfel pflücken sollte, ließ es dann aber, ich wollte nicht länger sinnlos fleißig und gutmütig sein.

 Ilsabein lief mir immer vor den Füßen herum und ich hielt es für dringend notwendig, Maiskörner aus dem Keller zu holen. Also ging ich durch die Waschküche um Maiskörner zu holen. Da war Frau Bollmann und arbeitete an ihrer Wäsche. Sie tat mir leid, sie hatte so viel Wäsche, sie hatte ja auch vier Kinder. Ach nein, die älteste Tochter war ja ausgezogen. Trotzdem hatte sie immer Unmengen von Unterhosen auf der Wäscheleine. Ich fragte sie warum sie denn so viel Höschen in der Wäsche hätte, und sie fragte mich erstaunt: " Habt ihr weniger?" Alle vier Wochen war Waschtag, in jeder Woche nach dem Baden bekam jeder bei uns frische Unterwäsche, das musste reichen. Also hatten wir jedes vier Unterhosen in der Wäsche. Frau Bollmann fragte entsetzt: "Und dann lauft ihr die ganze Woche mit der gleichen Unterhose herum? Die muss man doch wechseln, wenn sie nicht mehr schön sauber ist."

Ich dachte bei mir: Mama zählte die Unterhosen nicht ab, wir konnten uns eine aus dem Schrank nehmen wenn wir unsere Hose schmutzig oder nass gemacht hatten. Ich sagte aber nichts, denn Frau Bollmann sprach zu oft mit Mutti und die hatte behauptet, dass ich aus einer verkommenen Familie kam.

Vati kam und sah dass die Kartoffeln unangetastet waren. Er sagte nichts, dafür verfärbte er sich wieder. Er ging schnellen Schrittes in Richtung Badezimmer, wo Mutti dabei war, das wieder völlig verdreckte Badezimmer auf Hochglanz zu putzen. "Lass doch die Putzerei bevor das Bad fertig ist." Vati klang sehr unzufrieden, "Hast du nur den ganzen Tag die Badewanne bewacht? Ich hatte gehofft, ihr hättet bei den Kartoffeln angefangen." Vati war enttäuscht und ging in die Küche, weil aber vom Abendessen nichts zu sehen war, steckte er sich eine Zigarre an und blies Kringel in die Luft.

Ich ging zurück in den Hof und versorgte die Tiere. Mit Sicherheit würde ich mir Zeit lassen, denn ich würde den Tisch nicht decken. Am liebsten hätte ich die Hühner einzeln in den Stall getragen, aber die rannten schnurstracks in den Stall und wollten keine Hilfe.

Gerade als ich die Stalltür zu gemacht hatte, kam der Handwerker noch einmal zurück. "Ist dein Vater jetzt da?" wollte er von mir wissen. "Ja“, antwortete ich, "der ist in der Küche." Er hatte es sehr wichtig, und ging mit Vati in den Keller. Dann kamen sie wieder herauf und weil Mutti jetzt mit ihrem Großputz im Bad fertig war, gingen die zwei hinein. "Im Bad haben sie jetzt genug Dreck gemacht, und aus dem kleinen Riss an der Seite im Rohr, kann kein Wasser auslaufen“, keifte sie. Vati lief wieder rot an und der Handwerker vergaß seine Erziehung.

Er rannte die Treppe hinauf um bei Frau Bollmann im Bad einen Eimer Wasser in die Badewanne zu leeren. Er war noch nicht wieder unten, da war das Wasser schon da. Es quoll aus dem Rohr, genau an der Stelle, die der Mann freigelegt hatte. Ich wollte den Putzeimer holen, aber Vati hielt mich fest und rief nach Mutti. "Jetzt kannst du das Wasser, das durch den kleinen Riss nicht durch kann aufputzen, wer nicht hören will, muss fühlen," spottete Vati, der Handwerker grinste und ich bemühte mich, mein Gesicht nicht zu verziehen. Vati verabschiedete den Mann und zog mich aus dem Bad. Morgen würde er im Keller weitermachen, und Vati sollte eine Lampe in den Kohlenkeller hängen.

 Vati schaute nach was Essbarem und ich half ihm dabei, denn es war schon lange Abendbrotzeit. Wir stellten auf den Tisch, was wir in der Speisekammer fanden. Vati schnitt Brot dazu und wir fingen an zu essen. Als wir fast fertig waren, kam Mutti und setzte sich auch an den Tisch. Sie schaute mich an, "Du hättest mir auch helfen können, schließlich geht es ja um deine feuchte Wand." Blödsinn“, fiel ihr Vati ins Wort, "Die Wand ist auf beiden Seiten feucht." Ich beeilte mich, weil ich so schnell wie möglich verschwinden wollte. "Aber spülen müsst ihr“, bestimmte sie und klagte, "Ich bin den ganzen Tag gestanden, mir tun die Knochen weh." Vom zugucken, „ meinte Vati, "hat mir noch nie etwas weh getan."

 Daraufhin erklärte Mutti: "Ich kann doch einen fremden Menschen nicht allein in der Wohnung lassen, unser ganzes Geld ist im Schlafzimmer." Vati streckte seine Füße aus und meinte: "Warum sollte der Handwerker dein Geld stehlen, das hat ja keinen Wert mehr, und er könnte damit doch nichts anfangen. Außerdem gibt es Schlüssel für die Türen. Morgen erwarte ich, dass ihr vier Reihen Kartoffel heraus macht." Das war deutlich, und ich hatte es verstanden.

Wir machten warmes Wasser auf dem Gasherd. Das Feuer im Herd war schon lange ausgegangen. Sie hatte mit lauter Wache halten, keine Zeit gehabt etwas aufs Feuer zu legen. Dann spülte ich und Vati trocknete ab. Als alles aufgeräumt war, ging ich zum Schlafen.

Am nächsten Morgen ging die Klopferei um sieben Uhr schon wieder los. Diese Mal klopfte er im Kohlenkeller. Da wo das Rohr einen Bogen machte, war es verstopft, hatte Vati mir erklärt. Mutti bewachte ihr Eingemachtes und den Wein, und was sie sonst noch alles im Keller hatte. Als sie hörte, dass ich das Waschwasser auskippte, kam sie herauf gestürmt und rief schon im Korridor, ich solle den Milchtopf nicht wieder vergessen, sie hätte gestern schon keine Milch bekommen. "Ist das nicht deine Arbeit?" fragte ich betont freundlich. "Lass deine dummen Witze, dafür bin ich nicht aufgelegt“, bekam ich zur Antwort.

Dann war sie wieder weg. Ich hatte Zeit genug um mich sorgfältig zu kämmen, denn heute hatten wir erst ab der zweiten Stunde Unterricht. Auf dem Schulweg erzählte ich Margot, dass Mutti vom Zugucken, am Abend ganz erledigt war. "Ja, hoffentlich hast du sie dann auch bedauert!" Margot lachte mich verschmitzt an, und fragte ob sonst alles in Ordnung sei. Ich nickte und wir kamen gut gelaunt in der Schule an.

Unsere Lehrerin war schon im Klassenzimmer und sie rief mich, ich sollte zu ihr ans Pult kommen. Die Mädchen kicherten schadenfroh, weil sie glaubten dass ich jetzt eine Rüge bekäme. Margot ging auch mit vor und fragte höflich, ob sie dabei bleiben dürfte. Fräulein Schneider hatte im Rektorat nachgeschaut und hatte einen Eintrag von Hans gefunden. Sie gab mir einen zusammen gefalteten Zettel mit der genauen Anschrift wohin Hans umgezogen war. 

Mehr könnte sie jetzt nicht für mich tun. Wir setzten uns wieder und folgten dem Unterricht. In der Pause standen wir an der Mauer und rätselten wo das Dorf wohl war. "Ich werde meinen Vater fragen“, versprach Margot und wir schauten jetzt den anderen Mädchen beim Seilspringen zu. Auf dem Heimweg, fragte Margot ob ich gewusst hätte dass mein Papa "Hermann" heißt. "Nee, woher, ich habe ja Papa zu ihm gesagt, und er war fast nie da."

Sie wollte mehr über meinen Papa wissen. Da erzählte ich ihr, dass er Soldat war, und man ihm ein paar Finger weg geschossen hatte. Als er dann wieder im Krieg war, war er erneut schwer verletzt, und dann hat man uns Kinder abgeholt und verteilt. "Und wo war deine Mutter?" Bohrte Margot weiter. "Die war tot“, sagte ich. "War die auch im Krieg“, wollte Margot jetzt wissen. "Nein, die ist unter den Zug gekommen." Mir kamen die Tränen und ich würde jetzt nichts mehr erzählen. "Dir muss man jedes Wort aus der Nase ziehen." Sie hätte gern alles genau gewusst, aber als sie sah, dass ich schon wieder weinte, ließ sie die Fragerei.

Ich war gespannt was Mutti zum Essen gemacht hatte, sie konnte doch den Handwerker nicht einfach allein im Keller lassen. Sie war nicht dumm und hatte im Keller den Herd angezündet und auf dem Herd Sauerkraut gekocht. Im Keller war es jetzt schön warm, dafür war es in der Küche kalt. Schnell deckte ich den Tisch, denn Vati musste jeden Augenblick kommen. Als der Arbeiter in die Mittagspause ging, kam sie mit ihrem Topf von unten. Sie schöpfte von dem Sauerkraut und hatte sogar ein Eisbein mit gekocht das legte sie auf einen Teller.

 Dann zauberte sie noch ein halbes Schweineschwänzchen für sich aus dem Topf hervor. Mir schnitt sie ein Stück von dem Eisbein ab und machte die Schwarte ab. Heute sagte sie nicht wie sonst: Die Schwarte kann man mitessen.

 Vati wollte wissen, wie weit der Mann gekommen sei, aber Mutti wusste es nicht. Nach dem Essen ging er selber nachsehen. Er war zufrieden und legte sich ein paar Minuten aufs Sofa. Danach ging er durch den Keller und gab mir eine Handhacke mit drei Zacken und zeigte mir wie ich damit Kartoffel heraus machen sollte. Er ging dann zu seinem Fahrrad und meinte: "Wenn du eine Reihe Kartoffeln raus machen kannst, ist es gut, wenn nicht, ist es auch nicht gut." Den Spruch kannte ich schon, aber lachen konnte ich heute nicht darüber.

Auf alle Fälle machte ich jetzt zuerst meine Hausaufgaben. Es war drei Uhr bis ich fertig war. Ich packte meine Schulsachen in den Ranzen, und weil jetzt auch Kaffeezeit war, nahm ich mir ein Stück Kuchen bevor ich in den Garten ging. Mutti hatte heute ja doch keine Zeit um Kaffee zu trinken.

Ich nahm die Hacke mit dem kurzen Stiel und zwei Drahtkörbe und ging an die Frühkartoffeln die normaler Weise schon längst im Keller sein sollten. Genau wie Vati es mir gezeigt hatte, zog ich zuerst vorsichtig den Strunk aus dem Boden. Dann schüttelte ich die daran hängenden Kartoffeln ab. Mit der komischen Hacke mit drei Haken dran, durchwühlte ich danach den Boden, bis alle Kartoffeln im Korb waren.

So ging ich Pflanze für Pflanze vor. Es machte mir Spaß, weil ich zusehen konnte, wie sich der Korb langsam füllte. Nachdem der zweite Korb auch voll war, ging ich in den Keller um weitere Körbe zu holen. Da sah ich den Bollerwagen, und ich fand es herrlich einen ganzen Bollerwagen mit Kartoffeln zu füllen.

 Mein Ehrgeiz war wieder da. Ich legte Vatis Bretter auf die Kellertreppe und brachte den Kullerwagen bis an die Treppe. Jetzt hatte ich zwei Möglichkeiten: einmal konnte ich Mutti fragen ob sie den Wagen hinauf brachte, oder ich wartete bis Frau Bollmann zur Wäscheleine ging. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich für Mutti.

Darum ging ich in den Heizungskeller und fragte: "Kannst du mir bitte mal helfen?" Neugierig kam sie hinter mir her und fragte, was ich mit dem Bollerwagen wollte. "Da kommen die Kartoffeln hinein." "Hast du denn schon welche raus gemacht?", fragte sie und schob den Wagen die Treppe hinauf. "Ja, zwei Körbe habe ich schon voll." Gab ich zur Antwort und nahm noch einen Drahtkorb mit in den Garten.

Die vollen Körbe würde ich stehen lassen, ich würde den Korb jetzt nur halb voll machen. Dann konnte ich ihn selbst in den Wagen kippen. Den Wagen wollte ich auf alle Fälle halb voll bekommen, darum ging ich ohne lange zu trödeln wieder an meine Arbeit. Ich fühlte mich wie Aschenputtel, während ich in der Erde buddelte umkreisten mich die Hühner und die stürzten sich auf die zahlreichen fetten Würmer die sich auf dem Boden schlängelten.

Allein mit meinen Hühnern ohne Mutti, auf dem Kartoffelfeld war für mich ein Erlebnis. Nun konnte ich so schnell wie ich wollte arbeiten, und Pause machen wann ich Lust hatte. Sie schaute mir nicht laufend auf die Finger, ich fühlte mich frei.

Bis Vati kam hatte ich vier Reihen fertig und war unwahrscheinlich stolz auf meine Arbeit. Vati staunte und wollte es nicht glauben, dass ich allein so viel gemacht hatte. Er leerte die zwei vollen Körbe noch in den Kullerwagen und sagte; "Jetzt ist er ja fast voll, du warst richtig fleißig." Mit der Forke machte er eine Probe, ob die Kartoffeln auch alle aus dem Boden waren und er war zufrieden.

Er nahm den Wagen mit auf den Hof und meinte ich sollte jetzt Feierabend machen. Ich räumte auf und Vati ging in den Keller, um die Arbeit des Handwerkers in "Augenschein" zu nehmen. Der hatte das alte Rohr entfernt und ein neues montiert. Morgen würde er alles wieder zumachen. Vati war auch dort zufrieden, denn der Mann hatte den Bogen verändert, so dass es nicht mehr so schnell verstopfte.

 Meine Hände waren richtig dreckig und meine Knie auch. Am Daumen hatte ich eine Blase, vom Stiel der Hacke. Da machte Vati mir zum Schluss ein Pflaster drauf. Er meinte wenn ich morgen auch so fleißig sei, dann würde ich fertig mit den Frühkartoffeln. "Es tut mir leid, morgen habe ich Flötenstunde, da muss Mutti ran. Ich kann erst wieder am Donnerstag."

Obwohl ich die Arbeit im knien gemacht hatte, was mich gar nicht so angestrengt hatte, war ich todmüde. Ich schlief fast ein, bevor ich mich richtig ins Bett legen konnte.

   Am nächsten Morgen wurde ich zum letzten Mal von dem Handwerker geweckt. Er musste das Abflussrohr wieder einmauern nachdem er es schön in Glaswolle eingepackt hatte. Mutti stand wieder wie ein Polizist hinter ihm. Sie würde jeden Handgriff bis zum Ende verfolgen. Ich sagte kurz "guten Morgen" und widmete mich danach meinem alltäglichem Ritual: Waschen, kämmen, frühstücken, Milchtopf und Hühner raus. Dann ging ich los zu Margot.

 Auf dem Schulweg tauschten wir Neuigkeiten aus und freuten uns schon auf den Nachmittag. Der Mittwoch war uns immer noch ein ganz besonderer Tag, nicht wegen der Flötenstunde, sondern wegen dem langen Weg, den wir jedes Mal zurücklegen mussten und dann war da ja auch noch unser Viertelstündchen auf der Bank am Elsedamm. Die Schulstunden gingen wie im Flug vorbei und wir eilten nach Hause.

 Mutti hatte noch von ihrem Sauerkraut und wir aßen, während sie Vati Bericht erstattete. Nach dem Essen leerte Vati den Bollerwagen aus, und meinte zu Mutti: "Ich hoffe, du findest Zeit die Kartoffeln zu sortieren." "Kommt ganz darauf an wie lange der Mann noch Arbeit hat“, antwortete sie sichtlich genervt.

Mir war es wichtig meine Hausaufgaben zuerst zu machen. Margot kam überpünktlich mich abzuholen, und weil Mutti immer noch im Keller war, machten wir uns gleich auf den Weg. Wir hatten Zeit und trödelten. Margot hatte wieder so viel zu erzählen, und behauptete ich sei der beste Zuhörer der Welt. "Wenn wir zurück laufen, musst du mir aber von deiner Schwester Lilibeth erzählen“, Nachdenklich sagte ich: "Wenn es sein muss." "Mensch Miese, du hast es mir schon hundertmal versprochen“, bettelte sie. Wir kamen bei Fräulein Rosenbaum an.

 Ihr konnte man ihre Laune nie ansehen. Sie schaute immer gleich und war immer gleich freundlich. Als die Stunde um war fragte sie mich, ob ich denn auch mit zur Herbstwanderung käme, die sei am nächsten Sonntag. Davon hatte ich keine Ahnung, und konnte nur "vielleicht" sagen. Ich dachte an die Frühjahrswanderung vom Wanderverein, als mir meine Füße so weh getan hatten, und sagte zu Margot "Scheiß-Wanderverein". Fräulein Rosenbaum hatte sehr feine Ohren und es war ihr nicht entgangen.

Hoffentlich verpetzt sie mich nicht, dachte ich. Dann liefen wir los, um auf unsere Bank zu kommen. Natürlich war sie vor mir da, ich fragte mich wo sie die Ausdauer beim Laufen herholte. Ich war fix und fertig und ließ mich auf die Bank fallen. Margot lachte, boxte mir in die Seite und sagte aufmunternd, "los erzähl!" Ich suchte umständlich nach meinem Taschentuch, denn ohne das ging jetzt nichts.

 Sie hörte gespannt zu und wagte es nicht, mich zu unterbrechen. Ich hatte schon längst mit dem Taschentuch zu kämpfen und nicht gemerkt, dass uns Frau Böker beobachtete. Dann fiel mein Blick auf die Kirchturmuhr und ich erschrak, wir müssten schon wieder laufen, wenn wir uns nicht verspäten wollten. "Von der Beerdigung erzähle ich nächstes Mal", versprach ich ihr.

 Frau Böker sah, dass wir es jetzt eilig hatten und sagte: "Schön, dass deine Freundin wieder zurück ist." Margot rief ihr noch zu: "Bis nächsten Mittwoch". Wir gingen manierlich bis wir die Stadt hinter uns hatten, dann rannten wir wieder so schnell es ging. Als wir bei Margot vorm Haus ankamen meinte sie: "Wegen deiner Mutter sind wir immer in Eile." Sie hatte recht, sie konnte uns schon auf die Nerven gehen mit ihrer ständigen Zeitkontrolle. Auf die Dauer würde ich das nicht mitmachen, irgendetwas mussten wir uns einfallen lassen.

Als ich auf unseren Hof kam, da waren die Kartoffeln noch unangetastet. Ich ging in den Keller um nachzusehen ob der Handwerker noch da war. Er war fertig und sammelte sein Handwerksgeschirr ein, und Mutti kehrte den Dreck auf. Heute hätte sie bestimmt nicht gemerkt, wenn ich unpünktlich gewesen wäre. Nun ging ich also nach oben um meine Tasche in den Schrank zu legen.

Natürlich schaute ich ins Bad. Die Wand war wieder in Ordnung Aber das Bad war noch nicht geputzt und die Badewanne war auch noch nicht angeschlossen. Also wird er wohl morgen noch einmal kommen müssen, dachte ich. Um Vati nicht zu verärgern, band ich meine Schürze um und ging in den Hof, die Kartoffeln zu sortieren.

In die vier Körbe, die ich hatte, warf ich die kleinen und die beschädigten Kartoffeln, die guten schob ich auf einen Haufen. Mutti kam aus dem Keller mit einem Eimer voll Dreck. Sie ging auf die Straße und füllte Schlaglöcher damit. Als sie zurück kam, nahm ich ihr den leeren Eimer ab und zeigte auf die vollen Körbe. Sie nahm die vollen Körbe mit in den Keller, während ich ihr den Eimer nachtrug. Zum Glück kam Vati jetzt. Er ging ins Haus um eine alte Hose anzuziehen.

 Jetzt konnte ich die Kartoffeln in die Körbe füllen und Vati trug alles in den Keller. Er hatte schlechte Laune, weil er fest damit gerechnet hatte, dass Mutti heute wieder ihren Arbeiten nachgekommen wäre. Beim Abendessen wollte Vati, dass sie das Bad noch putzen sollte. Dann würde er die Badewanne anschließen, und sie könne morgen wieder ihrer normalen Hausarbeit nachgehen. Murrend ging sie das Bad sauber machen, und dabei ließ sie sich Zeit.

 Wir spülten in der Zeit das Geschirr ab. Dann wollte Vati ins Bad, aber so musste noch bohnern, das sei wichtig, denn hinter die Badewanne käme sie nachher nicht mehr. Als der rotbraune Holzfußboden dann strahlte, konnte er endlich die Badewanne wieder genau in das Abwasserrohr stellen. Er hatte sich überzeugt, dass die Dichtung auch einwandfrei war. Damit hatte der Spuk ein Ende und ich verschwand in mein Zimmer. Es war schon spät und Vati sagte: "Heute musst du ein bisschen schneller schlafen, die Nacht ist heute kürzer."

Mit dem Einschlafen hatte ich wieder mal Schwierigkeiten. Vor meinen Augen hatte ich Unmengen Kartoffeln, die wollte ich sortieren. Der Haufen wurde nicht kleiner, da kam Lilibeth um mir zu helfen. Wir arbeiteten jetzt gemeinsam und der Haufen wurde immer noch nicht kleiner. Da stand sie auf und sagte: "Ich muss jetzt nach Hause." Ich wollte ihr nachlaufen, dabei fiel ich mit lautem Gerumpel aus dem Bett.

Mutti kam ins Zimmer gestürmt und zündete das Licht an. "Was machst du denn da auf dem Fußboden?", fragte sie mich und half mir schnell wieder ins Bett. Nachdem sie mich zugedeckt hatte, meinte sie: "Jetzt schlaf noch schön, aber ohne zu träumen." Dann löschte sie das Licht und ging wieder in ihr Bett.

Am nächsten Morgen war ich gar nicht ausgeschlafen. Ich brauchte lange um in meine Kleider zu kommen. Mutti bemerkte es und nahm den Kamm um mich zu kämmen. Das half mir und ich hatte noch Zeit zum frühstücken. Dann nahm ich meinen "Affen" und ging los. Als ich die Hühner aus dem Stall ließ, kam Margot und wir gingen gemeinsam zur Schule.

Unterwegs sollte ich ihr von meiner Schwester weiter erzählen. Ich sagte: "Das geht nicht so, zwischen Kartoffeln und Suppe, dafür brauche ich Zeit." Sie spielte die beleidigte Leberwurst und es tat mir schon fast leid. Sie wollte gar nicht richtig aufpassen und stupste mich immer während der Schulstunde. Dann flüsterte sie: "Reicht eine Stunde?" Ich nicke, und sie hatte schon wieder einen Plan. Als es Schulspeise gab, tat sie so, als könnte sie nicht essen, ihr sei ganz übel.

 Die Lehrerin schickte sie an die frische Luft, sie sollte wieder hereinkommen, wenn es ihr besser sei. Sie kam nach einer Weile und sagte sie habe sich übergeben, jetzt ginge es wieder. Während der nächsten Stunde spielte sie ihr Spiel weiter, jetzt hatte sie auch noch Bauchschmerzen. Da gab uns Fräulein Schneider unsere Hausaufgaben, die sie auf einen Zettel geschrieben hatte und schickte Margot heim. Damit sie auch gut zu Hause ankäme sollte ich mitgehen. Na, dachte ich, das hat sie richtig gut hinbekommen.

 An der alten Schule, setzten wir uns auf die Mauer, wo die Sonne gerade hin schien. Sie schaute mich erwartungsvoll an. Jetzt fing ich an von Elisabeths Beerdigung zu berichten und ich erzählte auch von unserem Besuch auf dem Friedhof. Dann zählte ich die Schläge der Turmuhr und wir hatten noch fast eine viertel Stunde Zeit. Also berichtete ich noch wie es war, als Mama nicht nach Hause kam. Zum Schluss war ich am Schluchzen und sagte: "Ich kann es immer noch nicht verstehen, warum Mama uns einfach so allein gelassen hat." Mama war Schuld an meinem Elend, daran gab es keinen Zweifel.

 Margot konnte das auch nicht verstehen und sie nahm mich in den Arm. Eng umschlungen gingen wir heim. Als ich in die Küche kam wollte Mutti wissen, warum ich denn geweint hatte. Ich log, beim Turnen hätte ich mir meinen Fuß vertreten. Sie schaute nach meinem Fuß und sagte: "Das geht schnell wieder vorbei, es ist nichts geschwollen." Sie erzählte beim Mittagessen, dass sie schon bei den Kartoffeln angefangen hatte, und wenn ich ihr helfen würde, dann würden wir mit den Frühkartoffeln heute fertig werden. Jetzt wusste ich, warum sie so besorgt um meinen Fuß war.

Zuerst wollte ich meine Aufgaben machen und holte den Zettel aus dem Ranzen. Mutti der ja nichts entging fragte, "wieso hast du deine Hausaufgaben auf dem Zettel stehen?" "Die hat Fräulein Schneider uns aufgeschrieben, weil ich mit Margret an die Luft musste, ihr war schlecht." Das leuchtete ihr ein und sie wollte wissen ob es ihr jetzt gut ginge. "Willst du heute Abend noch schnell nach ihr sehen?" fragte sie verständnisvoll. "Vielleicht nach den Kartoffeln“, antwortete ich knapp. Ich schrieb meine Wörter, die ich auf hatte und ließ die Rechenaufgaben für später, weil Mutti die ganze Zeit darauf wartete, dass ich fertig wurde.

Dann zog ich mich für die Gartenarbeit um, weil mein Schulkleid noch sauber war. Mutti gab mir ein Butterbrot, denn die Kaffeepause würde heute ausfallen. Dann eilten wir in den Garten. Sie hatte genau eine Reihe Kartoffeln heraus gemacht und die lagen alle da. Ich fing an sie aufzulesen. Sie erklärte mir nebenbei, dass sie sich heute nicht bücken könnte, weil sie solche Rückenschmerzen hätte. Na gut, dachte ich und rutschte wieder auf den Knien, da ging es bei mir am schnellsten. "Die vollen Körbe kannst du aber schon wegtragen?" fragte ich. Sie meinte ich solle doch den Bollerwagen wieder holen, wie vorgestern, dann brauche man nicht so weit zu laufen.

Jetzt wollte ich nicht mehr gestört werden, und vertiefte mich in meine Arbeit. In Gedanken waren meine Geschwister dabei mir zu helfen. In Wirklichkeit waren es sechs Hühner, die um mich herum die Würmer aus dem frisch aufgeworfenen Boden pickten. Hin und wieder kam Ilsabein ganz nah an mein Gesicht und schaute mich an, als ob sie sagen wollte: Hallo, ich bin auch da. "Ach Ilsabein, „ flüsterte ich, "warum kannst du mir nicht helfen." Schon wieder hatte Mutti mich beobachtet und meinte ich müsse mich nicht beklagen, Kartoffeln auflesen sei nun wirklich keine schwere Arbeit. "Ich beklage mich nicht, ich habe nur mit Ilsabein gesprochen," rechtfertigte ich mich.

 Der Bollerwagen füllte sich langsam und Mutti stellte die Forke an die Seite. Ich war noch nicht fertig mit dem aufsammeln, da kam Margot. Sie hatte mich von der Straße aus gesehen und wollte fragen ob ich in den Herbstferien einen Tag mit durfte zum Kastanien sammeln am Bergschlösschen. In dem kleinen Wald habe es keine Rehe, darum nimmt der Förster die Kastanien mit in einen anderen Wald. Ich würde Mutti fragen, wenn wir Ferien hätten. Die kam gerade um die restlichen Kartoffelkörbe zu leeren und hatte es schon gehört. "Ich denke, dir geht es nicht gut“, sprach sie Margot an. "Meine Mutter hat mir Tropfen gegeben, jetzt geht es mir wieder bestens“, schwindelte sie Mutti an.

 Wir stellten den Kullerwagen mit den Kartoffeln auf den Hof und deckten Säcke darüber. Morgen würden wir sie ausleeren zum Trocknen. Margot kam mit in die Küche, um mir bei meinen Rechenaufgaben zu helfen. Wir wurden fertig bevor Vati von der Arbeit kam.

Ich brachte meine Freundin bis ans Gartentor. Dort klammerte sie sich an das Türchen und schaukelte hin und her. "Und wie bist du dann hier her gekommen?" Wollte sie jetzt noch wissen. Da erinnerte ich mich, dass ich ihr das auf dem Weg zum Kindergarten einmal erzählt hatte, und sie mich nachher Lügenbolze genannt hatte. Mutti hatte damals von mir verlangt, dass ich mich bei Margot entschuldigte, weil ich sie angelogen hätte. Als ich sie daran erinnerte, fragte sie: "Die Geschichte mit den zwei Schwestern und dem weiten Weg zu Fuß?" Ich sagte, "ja, das war nicht gelogen." Sie rannte jetzt heim, und ich ging wieder ins Haus.

Die nächsten zwei Tage pflückte Mutti Äpfel an den unteren Ästen, und ich sortierte zuerst die Kartoffeln und später half ich bei den Äpfeln. Abends stieg Vati dann auf die große Leiter und pflückte das, was Mutti übrig gelassen hatte. So ging die Woche zu Ende, und ich hatte immer noch keine Ahnung ob wir auf die Herbstwanderung gingen oder nicht. Als Mutti in der Badewanne saß, lief ich schnell zu Frau Lindemann um zu fragen, ob sie auf die Wanderung geht. Sie wollte auf jeden Fall gehen, jetzt sei es nicht mehr so warm und im Wald gäbe es so schöne Pilze. Es sollte auch eine Pilzwanderung werden.

Das machte mir Lust, mir gefiel alles, was Mutti nicht mochte. Pilze mochte sie nicht. Frau Lindemann war dabei einen Riesen-Kürbis einzumachen. Ich war ganz neidisch, denn Kürbis war auch etwas was mir schmeckte, und Mutti nicht wollte.

Von Frau Lindemann aus nahm ich gleich die Hühner mit in den Stall. Mit den frischen Eiern kam ich dann in die Küche, und niemand hatte gemerkt dass ich weg war. Das gefiel mir und ich dachte, dass ich mir in Zukunft einfach mehr Bewegungsfreiheit verschaffen musste.

Während ich badete richtete Mutti das Abendessen und es gab wieder Milchsuppe mit Eischnee-Häufchen und Zimt und Zucker darauf. Ich konnte mich mit der Milchsuppe nicht anfreunden, weil ich immer danach, nachts aufs Klo musste. Jetzt kam wieder die kalte Jahreszeit und auf dem Flur war es nachts kalt. Also kam ich auf die Idee mir den Mantel mit ins Schlafzimmer zu nehmen.

Vati sah mir zu und krauste die Stirn: "Willst du heute Nacht noch ausgehen?" "Ja, aufs Klo, und ich habe keine Lust, mich auf dem kalten Flur zu erkälten. Nach der Milchsuppe muss ich immer aufstehen." Am liebsten hätte ich noch hinzugefügt, dass ich ja nicht aufs Sofa pinkeln darf. Ich ließ es sein und Mutti betonte, "du hast doch einen Nachttopf, da brauchst du nicht über den kalten Flur."

 "Ich weiß, aber dann kommt jedes Mal Otto, wenn ich den Nachttopf leere." Rechtfertigte ich mich, und fügte noch hinzu, dass mir das peinlich sei. Nun wollte ich endgültig ins Bett und sagte "gute Nacht". Da kam Mutti mir nachgelaufen und machte sich an meinem Kleiderschrank zu schaffen. Sie legte mir ein Kleid, und ein Paar feste Schuhe bereit, dass solle ich am nächsten Morgen anziehen, denn morgen sei Wandertag. Ich wollte nicht wissen wohin es ging, ich wusste ja, dass es eine Pilzwanderung war. Ob ich wohl den kleinen Korb für Pilze mitnehmen dürfte, dachte ich im Stillen.

Am Sonntag war ich dann als erste wach, und fing an den Kaffeetisch zu decken. Das dunkelblaue Kleid war ja nicht gerade ein Kleid das man unbedingt lieben musste. Es kratzte und war unter den Armen zu eng. Darum zog ich es ungern an. Am liebsten hätte ich gefragt ob ich nicht ein anderes anziehen dürfte, aber ich wollte es versuchen wenn Vati am Frühstückstisch saß. So fing ich beim Kaffee trinken an, mich zu kratzen und an den Ärmeln zu zupfen.

 Es dauerte nicht lange da meinte Vati: "Hast du Flöhe?" "Sicher nicht“, sagte ich gequält, "aber das Kleid kratzt und ist unter den Armen zu eng, ich glaube ich muss hier bleiben." "Dann zieh was anderes an“, befahl Vati und Mutti holte meinen Schottenrock, der schon zweimal verlängert worden war, und eine rote Bluse mit Spitzenkragen. Jetzt stand Vati auf, ging in mein Zimmer und kam mit einem Kleid, zurück, das ich von Bollmanns Mädchen bekommen hatte. Es war kariert und hatte einen normalen Kragen. Das Kleid war schön, und es gehörte ein roter Lackgürtel dazu. Mutti war das nicht so recht, denn sie mochte den Lackgürtel nicht, aber ich zog es gleich an.

 Sie richtete ihre Tasche für die Wanderung, wir sollten etwas zum Essen mitnehmen. Sie stopfte einen Braten hinein und viel Butterkuchen. Ich wollte den kleinen Korb für Pilze, das ärgerte sie. Aber Vati sorgte dafür, dass ich das Körbchen und ein kleines Messerchen bekam, darüber deckte er ein Tüchlein. Während ich mich freute wie ein König, meckerte Mutti vor sich hin. Sie kleidete sich ganz in dunkelblau, wie immer mit Hut und Blockabsätzen, diese waren ungefähr vier bis fünf Zentimeter hoch. Das brauchte sie um größer zu erscheinen. Sie wollte immer mehr erscheinen wie sie war.

 Als wir zur Haustür hinausgingen, ging gerade Frau Lindemann vorbei. Mutti knurrte: "Geht die auch mit?" Sie hatte eine Umhängetasche und auch ein Körbchen dabei. "Dann kannst du dich an Frau Lindemann halten beim Pilze sammeln," stellte Vati fest, "ich freue mich schon richtig auf die Pilze." Das hätte er besser nicht sagen sollen, denn Mutti sah ihn mit giftigen Blicken an. Aber das störte ihn nicht. Wir kamen zum Marktplatz, wo sich schon viele Leute versammelt hatten. Rektor Neuer war schon dabei die Begrüßungsrede zu halten. Dabei wackelte er gehörig mit dem Kopf und seine Stimme zitterte, so dass man ihn kaum verstand.

Wir gingen unsere Runde und ich musste alle Leute begrüßen. Natürlich kannte ich fast niemanden, aber die, die ich kannte, da wusste ich auch die Namen. Besonders nett begrüßte ich meine Musiklehrerin. Fräulein Rosenstock zeigte mir ihre Laute, die sie sich umgehängt hatte. Sie würde unterwegs ein paar Wanderlieder spielen, damit ich auch Freude am Wandertag hätte. Dann begrüßte ich Fräulein Fröhlich und Fräulein Fröhlich, die beiden -alt ledigen Jungfern-, wie Vati sie nannte. Ich begrüßte den Herrn Rektor und den Herrn Professor. Die beiden Frauen aus unserer Nachbarschaft konnte ich nicht auseinander halten, sie waren sich so ähnlich darum zog mich Mutti am Ohr. "Diese Frau ist Frau Möllmann, merk es dir die daneben ist Frau Baier." Ich wollte es mir ja merken, schon wegen meinem Ohr.

Jetzt setzte sich der Zug in Bewegung und wir gingen den nächsten Weg in den Wald, der sich "Kleine Schweiz" nannte. Fräulein Rosenstock stimmte ein Wanderlied an und es ging flott in den Wald hinein. Dort trennten wir uns in zwei Gruppen. Die eine Gruppe ging mit Herrn Professor Holzer auf dem Weg weiter, und die zweite Gruppe ging auf Pilzwanderung durch die Wildnis.

Frau Lindemann und ich gingen mit Herrn Rektor Neuer. Es waren noch einige Frauen dabei und ein Mann. Der Rektor machte uns darauf aufmerksam, dass es eine Schulstunde würde, er wollte uns viel beibringen.

Gleich bückte sich der alte Herr und schnitt einen Pilz ab, der direkt am Wegrand wuchs. Wir sollten zu ihm kommen, aber keinen dieser Pilze abschneiden. Oha dachte ich, den kenne ich, der wächst auf unserer Obstbaumwiese in großen Mengen. Die habe ich immer mit dem Fuß umgehauen, weil die so blauen Saft haben, und blau dachte ich, muss giftig sein.

Frau Lindemann stupste mich an und sagte, "Pass doch auf." Der Rektor sagte gerade: "Gleich nach dem abschneiden in Butter andünsten, der Schopftintling ist sehr delikat, nicht waschen und nicht liegen lassen."

 Wir gingen jetzt in den Mischwald. Neugierig schaute ich mich um und sah nichts. Unter einer großen Eiche bückte sich der alte Herr und schnitt einen braunen Pilz ab. "Dieses hier ist der König aller Pilze drum wird er auch Herrenpilz genannt, es ist der Steinpilz." Nun wurde es spannend, denn wir fanden jetzt alle Pilze, die zwar keine Steinpilze waren, aber Maronen.

 Der Rektor machte und auf die wenigen ungenießbaren Doppelgänger aufmerksam, die aber nur Bauchschmerzen und Durchfall verursachen. Danach lernten wir noch die Pfifferlinge kennen, sowie die falschen Pfifferlinge, die aber auch essbar waren. Langsam kamen wir in den Tannenwald.

 Dort war es dunkel die Sonne kam nicht durch die dichten Bäume. Frau Lindemann und ich hielten immer noch durch, während die anderen Frauen sich auf einen Baumstamm setzten und nicht mehr wollten. Aber dort war ein richtiger Pilzsegen. Unser Korb war viel zu klein. Wir lernten den Parasol kennen den man auch Schirmpilz nennt, und es waren ganze Flächen mit braunen Waldchampignons bewachsen. Sie standen in Kreisen, die man auch als Hexenkreise bezeichnet.

 Wir füllten unseren Korb und gingen hinter dem Herrn Rektor her, der uns wieder aus dem Wald hinaus führte. Er führte uns direkt zu einem großen Meierhof, wo die große Wandergruppe schon auf uns wartete. Auf der Dehle hatte die Bäuerin lange Tische gerichtet und riesige Bratpfannen mit Bratkartoffeln auf die Tische gestellt. Wir durften alle von den Kartoffeln nehmen und dazu aßen wir, das was wir mitgebracht hatten. Mutti hatte Braten und Frau Lindemann hatte gekochte Eier. Aus den großen Kannen konnten wir Kaffee oder Milch nehmen.

 Nach dem Essen kam Rektor Neuer zu uns und wollte unsere Pilze noch einmal ansehen und kontrollieren, ob auch kein giftiger dabei war. Wir leerten nach einander unseren Korb, er schaute sich alle Pilze genau an, und gab noch Zubereitungs-Anregungen. Er lobte uns, wir hatten nur gute Pilze. Ich räumte meine Pilze ein, und Muttis Blicke schwankten zwischen Verachtung und Ekel. Vati freute sich über die reiche Ausbeute. Nach einer langen Pause machten wir uns auf den Heimweg. Ich war glücklich aber todmüde. Mir taten die Füße weh, aber Blasen hatte ich keine.

 Frau Lindemann verabschiedete sich vor unserer Gartentür und meinte: "Schade, dass wieder kein einziges Kind dabei war." "Mir hat es trotzdem aber gut gefallen“, sagte ich. "gute Nacht Frau Lindemann."

Die Hühner saßen schon auf der Stange und hatten ihre Köpfe unter den Flügeln versteckt. Ich machte die Tür zu und Vati fütterte das Schwein. Er fragte, "essen wir heute noch Pilze?" "Wahrscheinlich nicht, ich bin müde, und Mutti ist nicht begeistert von den vielen Pilzen." gab ich zur Antwort. Vati schaute die Pilze durch, und legte einen großen Schirmpilz auf den Tisch, den wollte er jetzt unbedingt essen. "Ja schön, aber der Rektor hat gesagt den soll man panieren wie ein Schnitzel, dann sei er besonders gut." Er wollte nicht hören, nahm den Pilz legte ihn in einen Topf zum dünsten und machte dazu zwei Omelette.

 Mutti wollte nichts davon wissen und warnte uns, dass wir morgen tot im Bett lägen. Wir ließen es uns trotzdem schmecken, und Mutti aß ein Butterbrot. Vatis Rezept war vorzüglich und ich konnte mir ein besseres Abendbrot nicht vorstellen. Danach fiel ich todmüde ins Bett und schlief ein, ohne vorher noch an etwas denken zu können.

Am Montag fuhr Vati wie gewohnt zur Arbeit, und ich ging in die Schule. Wir lebten also noch. Ob das Mutti freute oder ärgerte, konnte man nicht erkennen, sie hatte ein Gesicht wie ein Stück Papier, nichts bewegte sich. Dafür ärgerte sie mich indem sie am Küchentisch saß und mit ihrem Federhalter Rollen auf ihren Kopf wickelte. Das machte sie heute ganz besonders sorgfältig. Gestern hatte eine Dame gefragt ob sie denn Dauerwellen hätte, sie sei so schön frisiert.

 Ich war da ganz anderer Meinung, schöne Haare hatte Fräulein Schneider. Als ich mich verabschiedete um zu gehen fragte sie: "Was ist mit den Pilzen? Esst ihr die noch?" Ich sagte energisch, "Ja natürlich, wirf sie nicht weg, was wir nicht essen können, werden wir trocknen." Dann machte ich die Küchentür zu und hörte wie sie brummte, "aber nicht in meiner Speisekammer." Weil sie mich nicht mehr sehen konnte, streckte ich ihr die Zunge raus. Ich war mir ziemlich sicher, dass den Pilzen nichts passieren würde.

Margot war gespannt was ich zu erzählen hatte. Dieses Mal war sie die Zuhörerin. Bei den beiden Nachbarinnen, hatte sie einen Rat. Die Frau Möllmann hat immer ein handgehäkeltes Netz um ihren Knoten und die Frau Baier nicht. Das wollte ich mir merken. Obwohl sich Margot nicht vorstellen konnte, dass ich die Leute am Gesicht nicht erkennen kann, hatte sie sich darauf schon lange eingestellt.

 Wenn sie bei mir war, sagte sie immer wer uns entgegenkommt. Meistens wusste ich es selbst, weil ich darauf achtete wie sie gehen und wie sie sich kleiden. Die meisten Leute hatten immer dasselbe an und wenn sie was Neues hatten war es ähnlich wie das Vorherige.

Da war zum Beispiel die Frau Roth, sie war Lehrerin und trug immer einen engen Rock in dunklen Farben. Sie hatte stabile Beine und einen dicken Hintern. Dann ging sie immer nach vorn gebeugt. Man hatte den Eindruck mit dem Kopf war sie schon oben an der Herforderstraße, und mit dem Hintern noch an der Ringstraße. So hatte jeder seine Eigenarten und die machte ich mir zum Nutzen.

In der Schule lernten wir wieder eine Strophe von dem Lied "Es kamen grüne Vögelein." Das war das Lieblingslied unserer Lehrerin und wir gaben uns viel Mühe. Wir konnten schon zwei Strophen. Eine hatten wir im Frühjahr gelernt und eine im Sommer jetzt kam die, für den Herbst und im Winter würden wir noch eine lernen. Ich mochte das Lied, weil Mutti das nicht kannte, so konnte sie sich nicht einmischen, wenn ich es auswendig lernte. Heute bekamen wir zu unseren Hausaufgaben noch auf, das Lied auswendig zu lernen. Die meisten Kinder maulten, sie müssten zum Kartoffel lesen. Fräulein Schneider aber sagte dass es ja bald Kartoffelferien gäbe, und dann könnten wir zu den Bauern gehen, dafür seien die Ferien da.

 Wir hatten selbst Kartoffeln genug für mich kam das nicht in Frage. Das Lied brauchte ich auch nicht mehr zu lernen, das konnte ich schon. Wenn ich etwas ein oder zweimal richtig gehört, und wenn ich den Sinn verstanden hatte, dann konnte ich es von selbst. Das war bei mir eine ganz besondere Begabung und ich war glücklich darüber.

 Als ich mich einmal bei Vati beschwert hatte, dass der liebe Gott gar nicht so lieb sei, weil er mir alles weggenommen hatte was mir lieb war, da sagte er zu mir: "Aber er hat dir etwas gegeben, was dir gar niemand wegnehmen kann, ein einmaliges Gedächtnis." Die Lehrerin stand genau neben mir, sie hatte gemerkt, dass ich weit weg war, und klopfte vorsichtig mit ihrem Zeigestock auf meine Bank.

Ich erschrak trotzdem und alle Mädchen lachten mich aus. Sie schaute mich sehr vorwurfsvoll an, und fragte, ob ich das verstanden hätte. Natürlich hatte ich nichts gehört und auch nichts verstanden. Margot mischte sich ein und versprach, es mir auf dem Heimweg noch einmal zu erklären. Mir war klar, dass ich nie wieder eine Lehrerin bekommen würde, die so verständnisvoll war. Da läutete es, und für heute war die Schule aus.

Margot schob mich Richtung Eckstraße, die andere Richtung war heute nicht so günstig, wegen der Mitschülerinnen, die mich immer noch auslachten und Schlafmütze nannten. Sie berichtete was die Lehrerin erklärt hatte, es ging um das Lied, der scharfe Strahl sei ein sehr warmer Sonnenstrahl, und Reif sei ein leichter Frost. Das hatte ich ja schon vorher verstanden. Dann hatten sie alle die Strophe von der Tafel abgeschrieben, aber das könnte ich ja bei ihr noch abschreiben. "Ich brauche es nicht, ich kann es schon," sagte ich zu ihr. "Na dann," meinte sie, "ist es ja egal wenn du geträumt hast."

Wir gingen zügig heim, weil ich an die Pilze denken musste, Vati würde sicher davon essen wollen.

Genau so war es, Vati stand in der Speisekammer und suchte die Pfifferlinge, denn die wollte er heute zu Mittag essen. Ich konnte es nicht glauben, aber die Pfifferlinge waren nicht mehr da. "Wollen wir vielleicht die Maronen essen, oder die braunen Champignons?" fragte ich leise. Er entschied sich für die Champignons, weil die schneller geputzt waren.

Er bürstete mit einem kleinen Borstenpinsel die Pilze und ich beeilte mich einen Topf auf den Herd zu stellen. Jetzt kam Mutti zur Tür herein. Vati fragte: "Wo hast du die Pfifferlinge gelassen?" Sie bekam eine seltsam komische Farbe und zuckte mit den Schultern: "Habe ich nicht gesehen, was ist das denn?" "Frag nicht so dumm, du weißt genau was ich meine." Vati war sein Ärger anzusehen, und da Mutti Eintopf gekocht hatte, musste er jetzt noch Rührei machen, denn Pilze allein waren auch kein Mittagessen.

Wir aßen unsere Mahlzeit und Vati musste wieder zur Arbeit. Beim hinausgehen sagte er drohend: "Über die Pfifferlinge sprechen wir heute Abend noch." Als ich an meinen Hausaufgaben saß, ging Mutti in den Garten um verschiedene Beete abzuräumen. Sie arbeitete wie besessen, und ich ließ mir viel Zeit bei meinen Hausaufgaben.

Immer wieder gingen mir die Pilze durch den Kopf. Hatte Mutti sie weggeworfen oder vielleicht dem Schwein gegeben? Als ich die Hausaufgaben fertig hatte, machte ich mich daran, die Pilze zu putzen und Streifen zu schneiden, die würde ich trocknen aber nicht in ihrer Speisekammer. Ich überlegte und kam zu der Überzeugung die Pilze auf den Dachboden zu bringen. Also nahm ich den Dachkammerschlüssel und ging die Treppe hinauf.

Nur den großen Parasol, den ließ ich unten für heute Abend. Als ich die Treppe wieder herunter kam, begegnete ich Frau Bollmann. "Sag deiner Mutter, die Pfifferlinge waren sehr lecker. Wenn sie noch mal welche hat, werde ich sie ihr gern abnehmen." Die Pilze gehörten mir, ich habe sie gesammelt und Vati hatte die Pfifferlinge schon gesucht." Sagte ich zu ihr und ging weiter die Treppe hinunter. Den Schlüssel hängte ich zurück in den Schrank, und ging in den Garten um mich nützlich zu machen.

Mutti war dabei, die "dicken Bohnen" zu pflücken. Dicke Bohnen mochte ich jetzt schon, anfangs war die Geschmacksrichtung sehr gewöhnungsbedürftig. Getrocknet und aufgeweicht mochte ich sie nicht, aber frisch oder aus dem Glas, waren sie doch ganz lecker.

Solange sie die Bohnen pflückte, wurden sie nicht getrocknet. Ich half ihr dabei und war froh, dass Vati die kleinen schwarzen Tiere, die immer an den Bohnen krabbelten, mit Tabakstaub vertrieben hatte. Mutti sprach nichts mit mir und ich wollte auch nicht schwätzen. So verging der Nachmittag und sie fing an das Bohnenbeet umzugraben. Heute war sie besonders fleißig, ich dachte bei mir: Sie hat ein schlechtes Gewissen.

Vati hatte Gras gemäht, und ich brachte dem Schwein einen großen Arm voll. Das Schwein ging nicht mehr nach draußen, aber wenn ich Gras brachte, freute es sich immer darüber. Jetzt ging ich die Eier sammeln. Die stellte ich in den Eingang und ging zu meinen Hühnern. Die beachteten mich kaum, weil Mutti ja am Graben war, und es da Würmer zum Fressen gab.

In diesem Fall war es besser, wenn ich sie noch im Garten ließ. Die Eier nahm ich mit in die Küche. Dort schaute ich auf die Uhr, und es war schon längst Zeit für Vati, er sollte schon da sein. Am Gartentor hielt ich Ausschau nach ihm und da kam er auch gerade die Lindenstraße herunter gefahren. Er hatte einen Arzt aufgesucht, wegen seinem Herz. Jetzt sollte er regelmäßig Spritzen bekommen, erzählte Vati. Er tat mir leid, weil ich doch solche Angst vor Spritzen hatte.

Als Vati dann in den Garten ging um zu schauen was wir gemacht hatten, dachte ich: Jetzt kommt wieder die Zeit da müssen die Kartoffeln heraus, wird er jetzt wieder krank? Mutti kam mit dem Spaten und putzte ihn mit einem Stein. Nun war es Zeit die Hühner in den Stall zu rufen. Ich schüttelte die Futterschüssel und versprach den Hühnern, dass sie morgen wieder Würmer bekommen.

Mutti setzte Pellkartoffeln aufs Feuer, dann könnten wir ein paar Bratkartoffeln zu unseren Pilzen essen. "Da ist nur noch der Parasol“, sagte ich und Vati guckte mich fragend an. Mit dem Daumen machte ich eine Bewegung nach oben, und er verstand mich noch nicht. Da ging ich an den Küchenschrank und zeigte ihm den Schlüssel von Lisbeths Kammer. Jetzt hatte er mich verstanden. Wir teilten den großen Pilz in zwei Teile und machten zwei panierte Schnitzel, dazu aßen wir Bratkartoffeln, das war zwar nicht genau das was wir uns vorgestellt hatten, aber Vati meinte, "besser wie gar nichts."

Als wir da so schön beim Essen saßen und Mutti nur ihre Arbeit lobte, da wagte ich, ungefragt etwas zu berichten. "Einen Gruß von Frau Bollmann, die Pfifferlinge, die du ihr gegeben hast, waren hervorragend." Mutti wurde graugrün im Gesicht und Vatis Augen wurden ganz groß. Er schaute mich ungläubig an, dann sah er Muttis Gesicht und er glaubte mir. "Und was hast du ihr dann erzählt?" Wollte sie wissen. "Ich habe nur gesagt, dass ich die gestern gesammelt habe."

Sie war froh, dass ich gleich ins Bett wollte, obwohl ich mich ja heute nicht überarbeitet hätte, wie sie spitz bemerkte. Vati kam mir noch nach ins Schlafzimmer und wollte wissen was ich mit den Pilzen gemacht hatte. "Ich habe sie mit deinem Pinsel sauber gemacht und das schlechte abgeschnitten. Dann habe ich sie in Scheiben geschnitten und auf einem Bogen Papier, auf den Tisch in Lisbeths Zimmer gelegt zum Trocknen. Genau so hat es der Herr Rektor Neuer beschrieben. Man kann sie auch ganz trocknen, aber dann brauchen sie mehr Luft. Vati war zufrieden und ging wieder in die Küche.

Im Bett dachte ich noch einmal über alles nach, und sagte das Lied auf, welches wir gelernt hatten. Dabei stellte ich fest, dass es schon die vierte Strophe von dem Lied war, was wir gelernt hatten. Ich wollte es noch einmal aufsagen und zählen, aber dann muss ich wohl eingeschlafen sein.

Mutti schrieb fleißig an ihre Schwester im Sauerland, und die schrieb genau so häufig zurück. Tante Anni sollte ihr sechstes Kind bekommen, wenn das jetzt ein Junge würde, dann wollte sie kein Kind mehr. Als sie den Onkel geheiratet hatte, war der Witwer. Er hatte schon eine Tochter, die hieß Helena. Da sie ein großes Hofgut bewirtschafteten, wollten sie so gern einen Sohn.

Tante Anni bekam fast jedes Jahr ein Kind, aber alles Mädchen. Das erste war die Brunhilde, dann kam Heidrun, die ja im Mai, an meinem Geburtstag in dem Fluss ertrunken war. Das nächste Mädchen hieß Elfriede. Nach ihr dauerte es zwei Jahre, da bekam sie die Ulla und das Jahr darauf kam Ella. Jetzt war ich gespannt wie das nächste Kind heißen würde und ob es wohl ein Junge sein würde?

In diesen Tagen räumte Mutti jeden Tag ihre Beete ab und kochte ein. Vati pflückte Äpfel und ganz zum Schluss die "Ontario" die hielten am längsten im Keller. So hatte er auch einen Birnbaum, die Birnen konnten wir noch nach Ostern essen. Ich half überall aber ich riss mir kein Bein mehr aus, weil Mutti das Wort "danke" ganz hinten in ihrem Gedächtnis hatte und es kaum benutzte. Ich sollte mich nicht ausnutzen lassen, hatte Frau Lindemann zu mir gesagt.

Margot und ich gingen am Mittwoch zur Flötenstunde. Weil Mutti im Garten war, gingen wir etwas früher fort. Sie trug keine Armbanduhr und das nutzte ich aus. Margot sagte: "Na endlich wirst du helle." Das sagten wir immer wenn jemand endlich etwas begriffen hatte. Wir hatten unsere Mäntel an, denn es wehte ein kühler Wind. Vati hatte gesagt: "der Winter kommt in diesem Jahr früher als sonst." Das trübte unsere Laune nicht, wir saßen unsere ergaunerten Minuten auf unserer Bank ab und freuten uns auf die Herbstferien, die am Sonnabend anfingen.

Margot wollte gleich am Samstag zum Kartoffeln auflesen zum Bauern. Sie war verärgert dass sie nur einmal durfte. Ihre Mutter hatte gemeint, das sei zu anstrengend für sie. Wir liefen ein Stück über die Wasserstraße bis zu dem kleinen Häuschen in dem Fräulein Rosenstock ihre Musikstunden gab.

Pünktlich wie immer kamen wir an, und mussten noch etwas im Flur warten. Vor uns war der Junge mit der Geige. Die schiefen Töne taten mir weh in den Ohren, und ich war froh als er ging. Die Musiklehrerin schien auch froh zu sein, denn sie schenkte uns heute ein Lächeln. Wir sollten ein paar Noten schreiben, und setzten uns an den Tisch. Sie hatte etwas Vornehmes an sich und sagte zu mir: "Du hast aber am Wandertag ausgezeichnet durchgehalten. Und du warst so brav, deine Eltern müssen ja stolz auf dich sein."

Ohne dass ich es wollte platzte es aus mir heraus; "Sagen sie das mal zu meiner Mutter, die ist da ganz anderer Meinung." "Das mache ich gern“, gab sie mir zur Antwort und fing an die Noten zu diktieren. Nach einer Weile fragte sie, "Wann habt ihr denn die Pilze gegessen? Ich war richtig neidisch auf die schönen Pilze." "Meine Mutter mag keine, ein paar hat sie der Nachbarin gegeben. Vati und ich haben aber schon welche gegessen den Rest trocknen wir“, berichtete ich ihr.

Darauf sagte sie traurig, "ich hätte so gern welche gehabt." "Vielleicht nächstes Mal“, machte ich ihr Hoffnung.

Wir spielten das ab, was wir aufgeschrieben hatten, und hatten beide einen Fehler in den Noten. Sie verbesserte uns den Fehler und gab zu, dass sie es wohl falsch diktiert hatte. Auf dem Heimweg wollten uns wir heute nicht am Elsedamm auf die Bank setzen. Der Wind war stärker geworden und wir gingen auf den Kirchplatz und setzten uns auf eine Bank an der Mauer. Die hatten wir schon im letzten Jahr entdeckt, hier war es windstill.

Wir sprachen über Fräulein Rosenbaum, die nicht die Schuld auf die Kinder schob, sonder zugab einen Fehler gemacht zu haben. Ich erzählte dass wieder kein einziges Kind bei der Wanderung dabei war, und Margot versprach nächstes Mal mitzukommen, wenn sie durfte. Wir gingen etwas früher heim als sonst, denn es war wirklich nicht schön, und wir wollten uns auf keinen Fall erkälten.

Vati war ganz oben im Birnbaum und ich hatte Angst beim Zusehen. Da war noch ein Apfelbaum der trug wunderschöne rote Äpfel aber die schmeckten nicht gut. Diese Äpfel pflückten wir nicht, die blieben für die Vögel und die anderen Tiere, die bei uns im Garten überwinterten. Ganz zum Schluss würden wir dann noch das Laub auf ein paar große Haufen harken, damit die Tiere auch eine warme Winterstube hatten.

Es wurde schon etwas dunkel und Vati stieg von der Leiter herunter. "Den Rest lasse ich vielleicht hängen“, meinte er, "Wir müssen ja noch die späten Kartoffeln raus machen." Vati war geschlaucht und ging früh schlafen, ich dagegen war gar nicht müde und lag lange wach im Bett. Als der Vollmond wieder direkt in mein Zimmer schien, stand ich noch einmal auf und zog die Vorhänge zu.

Ich schaute noch eine Weile hinter dem Vorhang zum Mond hinauf. Der Mond erschien mir heute besonders groß, und die kleinen Wolken jagten über den Himmel und verdeckten ihn manchmal kurz. Der Mond hatte mich völlig in seinen Bann gezogen und ich saß im Nachthemd am Fenster und konnte meine Augen nicht von ihm lassen.

Vati konnte auch nicht schlafen, er lief unruhig von einem Zimmer ins nächste dann kam er zu mir.

"Warum schläfst du nicht," wollte er wissen. "Der Mond ist so hell, es ist als ob Licht an wäre in meinem Zimmer, dann habe ich hinaus geschaut und er ist wunderschön." berichtete ich verträumt. Vati nahm einen Stuhl und eine Wolldecke nun saßen wir beide am Fenster und stierten den Mond an. Dann zeigte er mir ein paar Sterngruppen und wollte mir Sternbilder erklären, da ich mir das aber nicht so richtig vorstellen konnte, hörte ich gar nicht zu. Vati merkte das, und er war enttäuscht.

Mit Mühe und Not begriff ich schließlich dann doch das Sternbilder vom "Großen und Kleinen Wagen". Damit war es aber schon vorbei mit der Freude von Vati. "Weißt du, die Sterne sind wunderschön, aber ich kann mir da keine Personen drunter vorstellen.

Vati machte mir einen Vorschlag, er wollte alle Sternbilder auf dem Papier mit Strichen verbinden, dann würde ich es erkennen. Das war ja ganz lieb von ihm, aber die Sterne waren weit weg und ich mochte sie auch ohne Namen. Ich interessierte mich mehr für Dinge, die man auch anfassen konnte. Blumen, Tee, Pilze und das Obst und Gemüse in unserem Garten. Das war für mich schon wichtiger.

Wir schauten jetzt wieder schweigend den Himmel an und der Mond wanderte. Da gab es dann doch noch einige Fragen, die Vati beantworten sollte. "Warum wandert der Mond ums Haus herum? Warum funkeln manche Sterne blau und andere sind golden?" Die genauen Antworten würde ich bekommen, wenn Mutti im Sauerland wäre.

Bis dahin musste ich mich mit der Kurzfassung begnügen. "Der Mond muss auf die andere Seite, damit auf dieser Seite morgen früh die Sonne wieder aufgehen kann." Als der Mond nicht mehr in mein Fenster schaute, gingen wir wieder ins Bett. Ich konnte danach einschlafen und schlief sehr gut, wenn auch viel zu wenig.

Als die Herbstferien endlich da waren, fingen Vati und ich an die Kartoffeln zu ernten. Es war Samstag und Mutti backte Butterkuchen, für den sie sich viel Zeit ließ. Wir waren im Garten und hatten den Bollerwagen wieder an das Kartoffelfeld geholt. Vati arbeite gleichmäßig und gründlich und ich las die Kartoffeln auf. Die Arbeit ging uns gut von der Hand und bis zum Abend war der Wagen voll. Er sagte, "wir müssen sehr fleißig sein, es könnte bald Frost geben, dann sollten wir fertig sein."

Ich schlug vor, am Sonntag weiter zu machen, aber das wollte er nicht, weil man am Sonntag nicht arbeitet. Also fuhren wir mit unserem Bollerwagen in die Waschküche um die Kartoffeln dort zum Trocknen auszubreiten. "Dort sieht uns morgen niemand, wenn wir sie sortieren." Ich stellte mir Mutti vor mit ihrer weißen Sonntagsschürze beim Kartoffeln sortieren.

Die Hühner schliefen schon auf der Stange als ich den Stall zumachte. Mutti trieb uns an, wir sollten endlich zum Baden kommen, wir wären dreckig und wir hätten es bitter nötig.

Vati grinste verschmitzt und meinte: "Das lohnt sich doch gar nicht, wir werden ja wieder schmutzig, und wir sind auch ganz gern dreckig." Ich dachte sie springt ihm jetzt ins Gesicht, aber sie schaute uns giftig an und sagte, "wird’s bald?"

Dann hörte ich wie sie noch auf dem Korridor sagte, sie wollte doch morgen zur Oma fahren. "Da fahren wir dann hin, wenn die Kartoffeln im Keller sind," bestimmte Vati. "Dann muss ich zu Anni ins Sauerland," entrüstete sie sich. Vati hatte es aufgegeben und war im Bad verschwunden.

Anstatt mir um die Kaffeezeit eine Tasse heiße Milch zu geben, kochte sie wieder ihre widerlich süße Milchsuppe, in die sie dieses Mal Nudeln hineingab. Als ich vom baden kam aßen wir die Suppe und sie wollte, dass ich zwei Mal schöpfen sollte, ich müsse ja Hunger haben, denn ich hätte schließlich gearbeitet.

Vati ließ wieder den Spruch los: "Wer arbeitet darf auch essen." Das machte mich schon wieder nachdenklich. Ich kannte Kinder die nie arbeiteten, wie Kurt zu Beispiel, die bekommen aber auch jeden Tag etwas zum Essen. Mit dem Gedanken, dass meine Eltern schon recht seltsame Ansichten hatten, ging ich schlafen. Ich zog gleich die Vorhänge zu, so dass der Mond mich erst gar nicht anlachen konnte.

Am Sonntag sortierten Vati und ich die Kartoffeln, während Mutti eine ihrer wunderbaren Sonntags-Mahlzeiten kochte. Am Nachmittag übte ich das Flötenspiel, Vati schlief auf dem Sofa und Mutti las in ihrem Buch. Da rief zu meiner großen Freude Margot im Hof. Es war draußen windig und ich winkte ihr, sie solle hereinkommen. Sie hatte viel zu erzählen, denn sie war mit ihrem großen Bruder beim Kartoffellesen beim Bauern. Sie hatten jeder drei Mark bekommen.

Ich fand das aber wenig für einen Nachmittag strenge Arbeit, zumal man sowieso nichts Schönes dafür kaufen konnte. Sie musste mir recht geben. Wir überlegten was wir am Mittwoch machen wollten, wenn es kalt wäre, würden wir uns vielleicht erkälten.

Wir verschoben unsere Entscheidung auf später, denn Mutti kam aus der Stube. Sie war neugierig und wollte alles wissen von dem Bauern. Ihrer Meinung nach, waren drei Mark doch ein sehr schönes Geld, für ein Kind als Taschengeld. Sie hätte das früher umsonst gemacht. Na, dachte ich, das sind ja schöne Aussichten für die Zukunft, wenn ich vielleicht mal Taschengeld möchte.

Mutti kochte jetzt Kaffee und bot auch Margot Kaffee und Kuchen an. Sie wollte besonders lustig sein und kam wieder mit einem Dienstmädchen-Witz. Das Mädchen sollte den Wein auftischen und wusste nicht welche Sorte. Für mich war der Witz fad, denn ich wusste gar nicht dass es verschiedene Sorten Wein gab. Ich wusste nur, dass es roten und weißen Wein gab.

Margot lachte gequält, um Mutti nicht zu enttäuschen. Sie schlug vor, "ich sehe was was du nicht siehst" zu spielen, da machte Mutti dann auch mit, und wir hatten doch noch Spaß. Als Margot heim musste, fragte sie mich: "Holst du mich am Mittwoch ab?" Wir gingen zusammen bis zum Gartentor und sie meinte, "wenn es kalt ist, bleiben wir bei uns."

Sie hatte immer die besten Ideen, und darum liebte ich sie.
Ab Montag machten Vati und ich nur Kartoffeln heraus. Mutti ging gleich am Montag zum Arzt, sie jammerte über ihr Knie. Wir fanden uns damit ab, dass sie bei der Ernte nicht helfen konnte, und arbeiteten allein. Trotzdem waren wir am Mittwochmittag fertig. Das Wetter war nicht mehr schön und wir waren heilfroh als wir fertig waren. Die ganze Waschküche hatten wir belagert, und Mutti fragte ob wir die am Ende wieder sauber machen.

Vati fand das nicht komisch und sagte, "nein, sauber machen musst du, wenn die Kartoffeln in den Kisten sind. Dabei musst du ja nicht auf den Knien rutschen, das geht mit dem Schlauch." Ich hatte Hunger und wollte jetzt essen, Vati war da ganz meiner Meinung, aber sie giftete uns an wir sollten uns erst mal gründlich waschen. Dann fragte sie: "oder wollt ihr warten bis der Dreck von selber runter fällt?" Er wurde energisch, und nahm mich mit in die Küche.

Wir wuschen uns sorgfältig die Hände und fingen an zu essen. Mutti war jetzt total verärgert, aber Vati war ja der Anführer und ich fühlte mich sicher bei ihm. Dann kam sie und zog mich am Ohr vom Stuhl auf, direkt ans Waschbecken. "Jetzt wasch dich ordentlich, was soll Fräulein Rosenbaum sonst von dir denken.

Zum Schluss fällt alles auf mich zurück, und sie sagt dann, ich würde dich dreckig in die Flötenstunde schicken." "Lass mein Ohr los," schrie ich böse. Sie zog noch einmal kräftig daran, dann stand Vati auf und schob sie auf ihren Stuhl. Im Stillen dachte ich: wann fährt sie endlich zu ihrer Schwester.

Zwei Stunden später ging ich zu Margot um mit ihr gemeinsam die nächsten zwei Stunden zu verbringen. Wir spielten Mikado und Margot meinte, ich sollte mich freuen, wenn es kalt würde, dann haben wir bald Weihnachten. Ich erzählte ihr was passiert war und sagte: "Wenn es dann wieder schönes Wetter wird, laufe ich weg." "Mensch, Miese, das kannst du doch nicht machen, wenn du wegläufst bringt die Polizei dich wieder zurück, oder du kommst in ein Heim." Frau Jürgens mischte sich ein und sagte freundlich zu mir: "Im Heim geht es dir auch nicht besser." Wir spielten jetzt noch ein wenig mit dem kleinen Bruder von Margot, und dann musste ich schon wieder nach Hause.

Mutti arbeitete an ihrem Weißkohl sie wollte das Sauerkraut noch fertig machen, bevor sie ins Sauerland fuhr. Ich war gespannt, ob ich beim Hobeln helfen sollte, weil ich doch im letzten Jahr das Salz fallen gelassen hatte. Vati trug die Kohlköpfe in die Waschküche, damit Mutti sie morgen putzen konnte. Als ich die Hühner in den Stall brachte hinkte Martha. Ich nahm sie aus dem Stall und schaute den Fuß an, er war dick und rot.

Dann lief ich mit ihr zu Mutti. Sie schaute auf den Fuß und wusste einen Rat. Aus der Speisekammer sollte ich ein Stückchen Speck holen und die Rolle mit dem Leukoplast. Von einem sauberen Lappen schnitt sie ein Stückchen ab und legte den Speck darauf, um ihn dann um den Fuß zu kleben. Dann setzte sie die Henne auf die Stange. "Wenn sie das bis morgen dran lässt, wird es wieder gut, sonst müssen wir sie schlachten." Mit Hühnern kannte sie sich aus, das musste ich zugeben.
Am nächsten Morgen war das Pflaster noch dran und sie lief mit den anderen Hühnern in den Garten. Mutti richtete in der Waschküche ihren Kohl und Vati stieg noch einmal auf den Birnbaum. Er brachte noch zwei Körbe voll herunter, die wir sorgfältig in Torf einlegten. Die würden besonders lange frisch bleiben.

Danach ging er das Kartoffelfeld um zu graben, und ich suchte die Kartoffeln auf, die dabei ans Licht kamen. Alle Hühner waren da und fraßen sich doll und voll mit fetten Würmern. Auch Martha war munter dabei. Das Pflaster wackelte schon, aber wenn es heute noch hielt, würde der Fuß sicher wieder gesund. Ilsabein war genau neben dem Spaten, und als sie mit einem riesigen Wurm kämpfte, musste Vati warten bis sie wieder Platz machte. Er sagte zu ihr: "dauert es noch lange?" Ilsabein schaute schnell zu ihm hinauf, und pickte sofort wieder nach dem Wurm.

Da stützte er sich auf den Spaten und meinte ganz ruhig: "Wenn es noch ein bisschen dauert, dann warte ich noch ein Weilchen." Als sie ihn endlich aus dem Boden gezogen hatte, fraß sie ihn an einem Stück auf. Da war er nun in ihrem dicken Kropf und ich glaubte zu sehen, dass der Kropf sich bewegte, der Wurm lebte bestimmt noch. Ich behielt meine Beobachtung für mich, weil Vati und Mutti immer behaupteten meine Phantasie ginge mit mir durch.

Am Abend half ich noch eine Stunde beim Kraut hobeln, dann ging ich ins Bett, bevor ich wieder etwas falsch machen konnte.

Am nächsten Tag gingen wir zum Kastanien sammeln für den Förster. Es hatten sich alle Kinder aus der Nachbarschaft versammelt, und sie hatten einen Bollerwagen mitgebracht. Margot rief mich, und ich durfte auch mitgehen. Mutti gab mir noch einen kleinen Beutel mit, falls ich noch etwas mitbringen wollte. Sie meinte, ein paar Eicheln würden dem Schwein schmecken. Die meisten Kinder freuten sich, dass ich auch endlich einmal mit durfte.

Wir lasen zuerst die Kastanien sauber auf, und warfen die in den Wagen. Dann suchte ich ein paar Eicheln auf und der große Junge, aus der alten Fabrik erklärte mir, dass die für die Eichhörnchen bleiben sollten. Er half mir trotzdem den Beutel halb voll zu machen. Dann suchten wir noch Bucheckern, die essen die Eichhörnchen auch, aber seine Mutter nahm die immer zum Kuchen backen. Also nahm ich auch welche mit. Als jeder von uns kalte Finger hatte, machten wir uns wieder auf den Heimweg.

Mutti schaute in den Beutel und hätte fast die Bucheckern mit in den Schweinetrog geworfen. Als ich sagte, dass man damit Kuchen backen kann, nahm sie die Eckern mit in die Küche. Sie legte sie auf ein Stück Zeitung zum trocknen, weil sie sonst schimmeln wenn sie feucht weggeräumt werden. Ich setzte mich an den warmen Herd um meine Finger zu wärmen.

Da machte Mutti Kaffee. "Kann ich bitte eine heiße Milch bekommen?" Bettelte ich, und Mutti setzte die Milch aufs Feuer. Sie hatte einen Marmorkuchen gebacken mit Birnenstückchen. Davon legte sie uns jedem ein Stück auf den Teller. Dann ging sie in die Stube um Vati zu rufen, der auf dem Sofa lag und ein Mittagsschläfchen gemacht hatte. Wir tranken gemütlich Kaffee beziehungsweise Milch, und ich hielt mich aus jeder Unterhaltung heraus, um keinen Streit zu verursachen.

Gerade wollte ich mit meinen Gedanken wieder auf die Reise gehen, da fragte Vati: "Wann fährst du zu Anni?" Augenblicklich war ich hellwach, das durfte ich nicht verpassen. "Tja," überlegte sie scheinbar, "Anni erwartet mich am Montag, aber ich dachte, weil ich im Garten fertig bin, könnte ich vielleicht morgen Mittag fahren. Vorher backe ich euch noch einen Butterkuchen, dann werde ich eine Woche wegbleiben."

Mein Herz machte Freudensprünge und ich verzog keine Miene, darin hatte ich Übung. Vati krauste kurz die Stirn dann versicherte er, dass er nichts dagegen hätte, wir würden klar kommen.

Mutti nahm jetzt den Blecheimer, in den sie den Rest Sauerkraut vom letzten Jahr gefüllt hatte, und ging damit zum Kaufmann. Sie kam zurück ohne den Eimer. Sie hatte Brot und Butter sowie eine Dose Fisch für Vati eingekauft. Dann packte sie noch Heringe aus, die sie ihm jetzt gleich einlegen wollte, weil er ja bald Geburtstag hatte. Da war sogar noch ein Stück Käse, für uns denn Mutti war kein Freund von Käse. Da sie in den Keller wollte um Zwiebeln zu holen, nahm sie Vati mit, das Essen für die Woche auszusuchen. Das war das erste Mal, dass sie alles vorbereitete bevor sie abreiste. "Wenn ihr das Essen am Abend vorher vorbereitet, dann schafft ihr das in der Mittagspause," riet sie uns.

Sie fing an die Fische zu schuppen, und ich ging die Hühner zu rufen, denn es wurde schon langsam dunkel.

Die standen schon vor der Stalltür, denn die hatte ich morgens nicht aufgelassen. Martha hatte ihr Pflaster verloren und der Fuß war wieder gesund. Als ich mir den genau ansehen wollte, kam Ilsabein und drängte sich vor, sie war eifersüchtig. Ich nahm sie auf den Arm und setzte mich mit ihr noch ein wenig auf die Bank im Hof. Fünf Maiskörner hatte ich noch in der Schürzentasche. Die stopfte sie auch noch in ihren dicken Kropf. Als sie die gegessen hatte wollte sie auch in den Stall.

Vati war gekommen um das Schwein zu füttern er hatte uns beobachtet und grinste: "Na hatte Ilsabein immer noch Hunger?" "Hunger nicht, aber Fresslust," war meine Meinung. Vati sagte leise zu mir, dass er nächste Woche zwei Stunden Mittagspause machen wollte um in Ruhe essen zu können. Er hatte in der Fabrik eine gute Vertretung und sie hatten zur Zeit gar nicht so viel Arbeit. Im Stillen freute ich mich wahnsinnig.

Am anderen Morgen hatte ich es nicht eilig mit dem Aufstehen, denn ich dachte: Je länger ich im Bett bleibe, umso kürzer ist der Vormittag.

Mutti war da aber anscheinend anderer Meinung. Sie kam um acht Uhr in mein Zimmer und weckte mich freundlich, ich solle doch meinen letzten Ferientag nicht verschlafen. Also stand ich auf, ich hatte ja schon ausgeschlafen. Ich wusch mich und zog mich an und Mutti machte mir Zöpfe. Dann war Vati auch fertig angezogen und wir frühstückten gemeinsam. "Ach wie werde ich unsere gemeinsamen Mahlzeiten vermissen“, heuchelte sie. Sie hatte ihr Köfferchen schon gepackt, es stand im Korridor.

Nach dem Frühstück, schälte sie uns einen kleinen Eimer Kartoffeln, danach kochte sie Milchreis für heute Mittag. "Kann ich sonst noch was für euch machen“, fragte sie und schob den Butterkuchen in den Backofen. Dann deckte sie den Tisch, denn sie wollte auch noch von dem Milchreis essen. Ich hatte noch gar keinen Hunger, es war noch nicht einmal halb zwölf. Sie behauptete "Milchreis rutscht in die Ecken, das kannst du schon essen." Wir streuten Zimt und Zucker darüber und aßen den leckeren Reis.

Nebenbei holte sie den fertigen Kuchen aus dem Gasherd. Dann ging sie ins Schlafzimmer um sich anzukleiden. Vati und ich spülten das wenige Geschirr gleich ab, und putzten den Tisch blitzblank. Dann fegten wir die Küche und holten den Bohnerbesen. Mutti war fertig und kam zurück in die Küche. Sie war ganz in marine blau. Über ihrem Kostüm trug sie einen Mantel mit zwei Knopfreihen nach unten etwas weiter, mir gefiel der Mantel. Ihr Hut war auch ganz manierlich. Sie sah, dass wir schon den Bohnerbesen in die Küche geholt hatten und meinte: "Ich sehe, ihr kommt klar."

Vati zog seinen Mantel an und bot ihr an, sie zum Bahnhof zu bringen. Das gefiel ihr gut und sie gingen gemeinsam los. Er nahm das Fahrrad und stellte den Koffer auf den Gepäckträger, dann schob er das Fahrrad zum Bahnhof. Als sie zum Gartentür hinaus waren, stelle ich den Bohnerbesen schnell wieder weg.

Die Zeit nutzte ich, zu Margot zu laufen, um mit ihr unseren großen Indianer-Freuden-Tanz aufzuführen. Das war inzwischen schon Gewohnheit wenn Mutti wegfuhr. "Wann kommt sie wieder?" Wollte Margot wissen, als ich sagte, "nach einer Woche“, da gab es noch eine Fortsetzung von unserem Indianertanz. Margot fragte was ich heute Nachmittag machen müsste. Ich sagte "nichts", da versprach sie nach dem Essen zu mir zu kommen.

Zuerst kam Vati zurück vom Bahnhof und bald darauf kam Margot. Sie schaute sich in der Küche um und meinte: "Du, Miese, heute bist du ja ganz normal wie alle anderen Mädchen." Vati und ich schauten uns an und wussten nicht was sie meinte. Da kam die Erklärung ganz von selbst. "Ich meine, keine Arbeit, und keine Fleißaufgaben." Vati lachte und meinte "und so soll es auch bleiben die Woche in der Mutti nicht hier ist." Er bestimmte, dass wir nächste Woche jeden Nachmittag zusammen Hausaufgaben machen sollten, und danach könnten wir spielen. Vati ging ein Schläfchen machen und wir spielten leise in der Küche. Wir waren so zufrieden und richtig glücklich.

Als ich abends in meinem Bett lag, dachte ich daran, dass Züge auch manchmal verunglückten. Ich betete der liebe Gott soll den Zug entgleisen lassen. Gleich darauf schämte ich mich für solche Gedanken. Nein, das durfte man nicht denken, das war Sünde. Ich musste das doch wissen, der liebe Gott nimmt mir nur, was ich lieb hatte, und Mutti hatte ich nicht lieb.

Am Morgen war ich die Erste die aufstand. Ganz leise ging ich mich waschen und anziehen, brachte meine Hühner in den Garten und fütterte das Schwein. Mutti hatte noch einen Kessel voll Kartoffeln für das Schwein abgekocht, davon nahm ich einen kleinen Eimer voll und streute Schrot darüber. Als das Schwein aufgefressen hatte gab ich ihm noch zwei kleine Eimer Wasser. In einen frischen Haufen Stroh, warf ich noch einige Falläpfel, damit das Schwein was zum suchen hatte.

Ich schaute was die Hühner machten. Die buddelten Löcher in den Komposthaufen. Ilsabein guckte kurz zu mir herüber, dann ging sie wieder an ihr Loch. Ich ging noch einmal in den Keller um eine Schüssel voll gekochter Kartoffeln für die Hühner zu holen. Darauf streute ich von dem Muschelmehl. Dann füllte ich noch frisches Wasser ein und ging zurück ins Haus.

Vati war inzwischen auch aufgestanden, und war dabei das Feuer in der Küche anzublasen. Am Abend hatte er ein Brikett in eine nasse Zeitung gewickelt, und da war die Glut noch da. Bald brannte es und die Herdplatte wurde gleich warm. "Ich werde heute die Heizung anmachen," versprach er, "aber erst nach dem Frühstück." Als er Kaffee kochte hörte ich den Milchmann. Mutti hatte das Milchgeld in den Schrank gelegt, für jeden Tag ein Häufchen. Ich nahm eines davon und legte es auf den Teller. Dann nahm ich den Milchtopf und brachte ihn vor die Haustür. Den Teller mit dem Geld stellte ich auf den Topf.

Vati war richtig emsig in der Küche. "Zuerst essen wir den Marmorkuchen, da ist nicht mehr viel da“, bestimmte er und mir war es recht. Dann füllte er noch einmal Kohlen aufs Feuer und ging in den Keller um die Heizung anzumachen. Als das Feuer brannte, machte er den Wasserhahn auf, um die Heizkörper nachzufüllen. Ein paar Mal ging er in die Wohnung und ließ die Luft aus den kleinen Ventilen. Inzwischen war das Feuer im Heizkessel angegangen und er füllte Koks hinein. "So, „ sagte er, "es gibt zwei Möglichkeiten, entweder sie geht an, oder nicht."

Vati und ich zogen Schuhe an und den Mantel, denn er wollte mit mir in die Stadt gehen, um etwas beim Fleischer zu kaufen. "Aber wir haben doch keine Fleischmarken“, sagte ich traurig. "Ich schon," lachte er, "Mein Heilpraktiker ist Vegetarier, der hat sie mir für Zigarren gegeben." Also gingen wir erwartungsvoll los.

Wir kamen über den Markt, da gab es Äpfel, Zwiebel Kartoffeln und Karotten. Noch einiges mehr, aber alles nur, was hier in dieser Gegend gewachsen war. Wir steuerten auf den ersten Metzger zu, und der Laden war voller Kunden. An der Tür stand: Wir haben nur noch Suppenfleisch und Leberwurst.

Wir gingen zum nächsten Metzger. Vati machte die Ladentür auf und der Metzger stand hinter einer fast leeren Theke. Vati kannte ihn mit Vornamen und fragte ihn, ob er einen Rinderbraten hätte. Der wiegte den Kopf und sagte: "Rinderbraten ist etwas ganz besonderes in der heutigen Zeit." "Jawohl, das weiß ich", meinte Vati, „ist ja auch für einen besonderen Kunden."

Dem Metzger seine Augen leuchteten kurz auf, dann ging er in die Kühlkammer, holte ein schönes Stück Fleisch heraus und zwei Paar Bratwürste. "Bockwürstchen wären auch nicht übel“, wurde Vati jetzt fast unverschämt. Der Metzger ging noch einmal in die Kühlkammer und brachte zwei Riesenbockwürste. Er legte noch zwei Suppenknochen oben hinauf, wickelte alles in Papier und schaute Vati fragend an.

Der legte zuerst die Lebensmittel-Marken auf den Tisch, dann griff er in die Manteltasche und brachte zwei Zehner Schachteln normale Zigarren zum Vorschein und zehn Mark. Die Augen des Metzgers waren jetzt ganz groß geworden, und dafür bekam er noch zwei Brasil-Zigarren. "Für dich Rudolf", sagte Vati, nahm sein Päckchen und lüftete seinen Hut. Vati war der Meinung, dass wir ein gutes Geschäft gemacht hatten.

Nun wunderte ich mich doch sehr, dass Vati nicht den kürzesten Weg über die Eckstraße nahm, sondern seine Schritte wieder Richtung Marktplatz lenkte. Na, dachte ich der kleine Wochenmarkt hat es ihm wohl angetan. Er hatte ja auch nie Zeit darüber zu gehen.

Also gingen wir wieder zwischen den Ständen durch, Vati interessierte sich für alles und sah sich die Preise an. "Da gibt es nichts was wir nicht zu Hause haben," bemerkte er, "aber ich meine, ich hätte vorhin etwas gesehen." Er zog mich mit an den äußersten Zipfel, wo ein Bauer ein paar Suppenhühner verkaufte. "Moin Rudi, brauchst du ein Suppenhuhn? Oder willst du lieber ein Hähnchen“, fragte der Bauer. "Nee lass man." sagte Vati, "Hab dich schon lange nicht mehr gesehen."

"Na gib mal `ne Zigarre rüber, dann klönen wir ein bisschen." Der Bauer grinste breit als er aus Vatis Etui eine "Sumatra" zog. Vati schnitt ihm die Spitze fachgerecht ab, und zündete ihm die Zigarre an. Der Bauer zog zweimal kräftig und fragte was er denn braucht. Ich setzte mich auf eine leere Kartoffelkiste und schaute den beiden zu. "Ich würde zwei oder drei Junghennen brauchen, wenn du welche hast." Leghorn oder Rhodeländer?" wollte der Bauer wissen, und Vati entschied sich spontan für "Leghorn". "Zehn Mark und ein paar gute Zigarren, dann guck ich mal was ich habe." Der Bauer grinste über das ganze Gesicht.

Vati zeigte ihm das Geld und fragte wo er denn die Hennen hatte. Der Bauer stieg auf seinen Pferdewagen und man hörte ein kurzes Flattern. Dann kam er mit drei schönen jungen Hühnern zurück zeigte sie Vati und steckte sie in einen alten Kartoffelsack. Vati legte noch fünf Mark dazu und gab ihm fünf gute Zigarren.

Der Bauer band den Sack zu und sagte: "Viel Spaß auch, aber die Zigarren musst du mir noch abschneiden, die rauche ich selber." Vati schnitt die Zigarrenspitzen ab, schnappte sich den Sack und gab mir das Fleischpaket. So machten wir uns auf den Heimweg. Ich hatte Hunger und dachte, einen Haufen Fleisch in der Hand und nichts zum Essen. Na, bis nach Hause würde ich wohl nicht verhungern.

Wir kamen an unserem Gartentor an, und Ilsabein wartete auf mich. Ich musste die Stalltür zumachen, damit er die neuen Hühner in den Stall bringen konnte. Er öffnete den Sack und die Hühner flatterten heraus. Dann schloss er die Tür, und Ilsabein musste draußen bleiben. Die Junghennen mussten sich erst an den Stall gewöhnen.

Nun ging Vati nach der Heizung sehen, und ich sollte schon mit dem Fleisch in die Küche gehen. Das Fleisch legte ich auf den Tisch, und schaute was das Feuer im Herd machte. Es brannte noch, aber sehr schwach. Also begann ich Holz aufzulegen. Es war ja nicht kalt in der Küche, aber ich dachte an Essen kochen. Da muss der Herd schon gut eingeheizt sein.

Vati kam jetzt auch, und wollte einen kleinen Suppentopf auf den Herd stellen. Ich war gespannt, wollte er jetzt Suppe kochen? Dann würde es länger gehen, ging es mir durch den Kopf. Er nahm ein paar Ringe aus der Herdplatte und stellte den Topf auf das Loch nachdem er etwas Wasser hinein gegossen hatte. "Du hast ja das Feuer schon angemacht“, bemerkte er und leerte eine Schaufel Kohlen auf das Feuer. Danach öffnete er unser Fleischpaket und holte die Bockwürste heraus.

Das gab es bei uns eigentlich nur zu Weihnachten. Also wurde es mir ganz feierlich zumute. Nun begann ich den Tisch zu decken, heute mit Tischdecke, wegen der Würstchen. Vati fand das sehr komisch und als der Tisch gedeckt war, holte ich schnell noch den Milchtopf herein, denn die Milch konnte ich gleich auf den Herd stellen, solange er noch gut heiß war.

Vati bedauerte, dass wir keinen Kartoffelsalat hatten. Die Würstchen dufteten und wir aßen ein Stück Brot dazu. Für mich war es ein Festmahl, denn die richtigen westfälischen Bockwürste waren das allerbeste.

Nachmittags spielte ich mit Margot und Vati grub weiter an seinem Kartoffelacker. Hin und wieder rief er uns, wir sollten die Kartoffeln auflesen, die er auf einen Haufen geworfen hatte. Margot freute sich, dass ich mit ihr spielen konnte und wir sprangen mit dem Seil, weil es uns richtig warm machte.

Ich zeigte ihr die neuen Hühner und sie wollte wissen wie die heißen. "Die haben noch keinen Namen, die sehen ja alle gleich aus. Wir werden sie Drillinge nennen." Sie fand meine Idee gut. "Drilling eins, zwei und drei, antreten zum Drill, „ lachte Margot. “Wieso antreten zum Drill?" Fragte ich erstaunt.

Nun erzählte sie mir was in der Zeitung gestanden hatte: Ein Bauer hier in der Nähe, sei aus dem Krieg heimgekommen und im Kopf etwas verwirrt. Der hatte seine Schweine dressiert. Sie hatten Namen von Soldaten und der Bauer hätte sie immer kommandiert: rechts Marsch und links rum Marsch und antreten zum Drill. Dann rief er sie beim Namen, und sie mussten drei Schritte vortreten. Schließlich sei der Tierschutz gekommen und habe dem Spuk ein Ende gemacht. "Mein Vater hat sich aufgeregt, um Schweine kümmert man sich, aber nicht um Kinder, die schlecht behandelt werden“, berichtete sie.

Ich zog Margot Richtung Bank und wollte sie was Wichtiges fragen. Es war zu spät, Vati kam, und machte sein Werkzeug sauber. Später würde ich ihn fragen.

"Glaubst du, dass du mit Margot noch auf den Boden gehen kannst, um die Pilze zu holen?"

Wir stürmten die Treppe hinauf, und holten die inzwischen schon getrockneten Pilze. "Kann man die denn noch essen“, wollte sie wissen. Ich klärte sie auf und sagte, die sind getrocknet und nicht faul. Als Margot gegangen war, versorgten Vati und ich die Tiere, die neuen Hühner hatten Angst und rutschten ganz an das Ende der Stange. Wir löschten das Licht, und schon war Ruhe im Stall.

Gleich darauf fing Vati an Pfannkuchen zu backen und ich stand am Herd und dünstete die Pilze in Butter. Das abschmecken übernahm er und er sparte nicht mit Pfeffer. "Petersilie wäre noch gut," schlug ich vor. Das fand er auch gut und ich ging noch einmal hinaus um welche zu holen.

Später saßen wir bei unserem herrschaftlichen Essen und ich wünschte mir, dass diese Woche ewig dauern würde. Dann fiel mir ein, dass ich doch etwas fragen wollte und rutschte unruhig hin und her.

"Was ist denn, musst du aufs Klo?" Vati lachte mich an, "Oder bist du schon satt?" "Nein, darf ich dich mal was komisches fragen?" kam ich zögernd zur Sache: "Wie viele Kinder kann eine Frau bekommen?" Vati zog seine Stirn in Falten: "Das ist eine schwierige Frage, meine Mutter hatte zehn Kinder, Meine Großmutter vierzehn, aber da sind zwei als Kinder gestorben. In der heutigen Zeit, wo die Frauen nicht mehr so schwer arbeiten müssen, könnten sie zwanzig Kinder bekommen, denke ich, aber kein Mensch will das.

Die Familien wollen drei bis höchstens fünf Kinder und nicht mehr, die kosten ja auch. Alle müssen Kleider und Schuhe haben. Bei wenigen Kindern können die Kleinen die Sachen von den Großen anziehen."

"Und Tante Anni? Wie viel kriegt die noch?", fragte ich mutig. "Ach, wenn die jetzt einen Jungen bekommt, will sie sicher keines mehr. Wird es aber ein Mädchen, dann kann es sein sie bekommt noch mal eines. Aber mehr bestimmt nicht." Er schaute mich an und wusste gleich warum ich so hinterhältig fragte, darum fügte er noch hinzu: "Keine Angst, sie wird trotzdem jedes Jahr einmal zu ihrer Schwester fahren, das ist sicher."

Wir räumten den Tisch ab, und blieben noch ein wenig in der Küche sitzen. Vati war müde vom Umgraben und so gingen wir dann auch bald ins Bett. Während ich überlegte, ob die jungen Hühner Namen haben sollten oder nicht, schlief ich ein ohne mich entschlossen zu haben.

Wir schliefen am Sonntag etwas länger und mir war es gleich, ob der Milchtopf draußen war oder nicht. Es war so schön warm im Bett, ich wäre am liebsten liegen geblieben. Dann hörte ich Vati in der Küche und ich stand doch lieber auf.

Vati hatte schon den Herd angemacht und das Frühstück gerichtet. Also ging ich doch den Milchtopf hinaus bringen. Vati beschäftigte sich liebevoll mit dem Rinderbraten, er wollte einen Schmorbraten machen. Das Feuer brannte und die Herdplatte glühte. Es dauerte nicht lange da war der Braten angebrannt. Vati nahm den Topf vom Feuer und war ratlos. Dann überlegten wir was zu tun sei, und wir holten zuerst einen anderen Topf.

"Glaubst du wir müssen ihn wegwerfen?" Vati schaute mich fragend an. "Auf keinem Fall, notfalls essen wir ihn angebrannt“, sagte ich um ihn zu beruhigen. "Ich kann ja mal Frau Bollmann fragen," schlug ich vor, aber Vati meinte die nicht, die redet zu viel mit Mutti, dann lieber Frau Lindemann. Also ging ich zu Frau Lindemann, und hoffte dass sie nicht in der Kirche war. Sie war zu Hause und staunte nicht schlecht, als ich zu ihr kam.

Ich erklärte ihr unser Problem und sie versprach den Braten zu retten. Sie kam auch sofort mit. Den Braten legte sie in den frischen Topf, goss Wasser dazu und kochte es eine Weile auf. Dann nahm sie ihn wieder aus dem Topf kratzte das verbrannte alles ab, und setzte den Topf neu mit etwas Schmalz auf den Herd, aber etwas zur Seite. Als sie den Deckel auf den Topf gelegt hatte, sagte sie: "Ein bisschen angebrannt wird er noch schmecken, aber das geht schon, und nicht vergessen Wasser nachgießen, wenn er ringsum braun ist." Wir machten einen herrlichen Braten dazu Kartoffeln und Gemüse aus dem Glas.

Als wir danach beim Essen saßen, ließen wir es uns schmecken obwohl der Braten einen leicht bitteren Beigeschmack hatte. Vati ließ wieder einen Spruch los: "Anback hätt Foite, Junge ett man schmeckt seute." Ich hatte zwar ungefähr verstanden, aber er übersetzte es so: "Angebranntes macht Füße, -das sagt man wenn man Durchfall hat- Junge iss ruhig, schmeckt süße." Den angebrannten Bratentopf hatte Frau Lindemann mitgenommen. "Der ist nicht so leicht sauber zu kriegen, ich bringe ihn dann," hatte sie versprochen.

Nachmittags gingen wir auf den kleinen Friedhof. Vati schnitt das Efeu sauber ab, dann war es schon gerichtet für den Totensonntag. Er würde seinen Eltern in zwei Wochen noch ein schönes Gesteck kaufen und aufs Grab legen. Zu Lisbeths Grab wollte er heute nicht mehr, das war ihm heute zu weit und das Wetter war nicht so schön. "Wenn wir schon mal da sind, besuchen wir Onkel Heini," bestimmte er.

Wir gingen über die Straße und wie immer gleich durch die Hintertür. Tante Minna hatte das Feuer an in ihrer Flurküche, sie wollte bestimmt wieder etwas Leckeres kochen. Vati schaute zuerst in den Laden. Lore war allein im Laden, sie räumte die Regale neu ein. "Ich ziehe die Waren etwas auseinander," erklärte sie, "dann sieht es mehr aus." Lore hatte mit ihrer Lehre begonnen, sie wollte das Geschäft ihres Vaters einmal weiterführen.

Wir gingen die Treppe hinauf und Tante Minna war dabei Betten zu reinigen. Das machte sie für ihre Kunden und dafür hatte sie ein kleines Zimmer mit einer gläsernen Trommel, darin konnte man die Federn tanzen sehen.

Ich hätte stundenlang zuschauen können, aber Vati zog mich mit in die Stube. Da saß Onkel Heini in einem Sessel und die beiden Jungen Bernd und Heinz waren auch da. Bernd nahm sich sofort Zeit für mich, und wir spielten Halma. Er hatte immer so schöne Spiele und ich war ganz neidisch auf ihn.

Nach einer Weile kam Tante Minna mit Kaffee und Kuchen und wollte uns wieder etwas mitgeben weil Mutti doch nicht da war. "Nein danke, wir haben noch ein ganzes Blech“, wehrte Vati ab. Dann zog er eine Kiste Zigarren aus der Tasche und gab sie Onkel Heini. Der fragte erstaunt: "Brauchst du was?" Vati schmunzelte: "Nee, dass ist einfach so für dich."

Der verdutzte Onkel schaute über seine Brille zu mir und fragte: "Und du brauchst auch nichts?" "Ich will auch nichts“, sagte ich ernst, "wir sind nur so da, weil wir euch mögen."

Vati und Onkel Heini unterhielten sich, es ging um die Inflation und die Währungsreform. Alles wartete dringend auf neues Geld, dann würden die Geschäfte wieder laufen. Vati und der Onkel hatten das schon mitgemacht und sie wussten viel darüber zu berichten. Heinz hörte aufmerksam zu. Als sie sich heiß geredet hatten, kühlten sie ihre Kehlen mit einem Glas Rotwein. Onkel Heini wollte noch einmal nach schenken, aber Vati lehnte ab, weil wir ja noch durchs Feld laufen müssten.

"Nicht dass ich in den Graben falle, und Anneliese muss mich nach Hause ziehen." Alle lachten, und Tante Minna meinte: "Aber nicht von einem Glas Wein." Sie brachte einen Teller mit Plätzchen, die sie heute schon gebacken hatte zum probieren. "Ich muss immer früher anfangen mit Weihnachts-Plätzchen, weil ich vor Weihnachten im Laden helfen muss“, erklärte sie uns.

Wir gingen, solange es noch hell war, damit wir auf dem Feldweg die Pfützen noch sehen konnten. Vati meinte lächelnd, "Anneliese tritt in jedes Schlagloch, und bei jedem zweiten stolpert sie und bei jedem fünften fällt sie hin."

Jetzt lachten wieder alle und mir war es peinlich, aber Tante Minna hatte es bemerkt und nahm mich in den Arm. "Soll ich mitkommen?" fragte Bernd. "Ach nee, lass man, wir schaffen das schon“, sagte ich ihm. Onkel Heini wollte auch noch was dazu sagen und er meinte: "Im Ernstfall habe ich noch ein paar neue Strümpfe für dich." Wir verabschiedeten uns und gingen über den Feldweg nach Hause, und es ging alles gut.

Heute mussten wir unsere Tiere nur füttern, denn die Hühner hatten wir im Stall gelassen, weil die neuen sich an die alten Hühner gewöhnen sollten. Die drei Junghennen saßen wieder ganz links auf der Stange und die alten rechts. Es war alles in Ordnung. Vati fütterte das Schwein, das natürlich immer Hunger hatte und ich gab den Hühnern Futter und Wasser, die wollten aber weiter schlafen.

Fürs Abendessen machten wir uns keine Arbeit, wir aßen das, was in der Speisekammer war und tranken heiße Milch dazu.

Später saßen wir noch in der Küche und Vati erzählte mir, dass es von Hänsel und Gretel eine Kinder-Oper gibt. Daraus sei auch das schöne Lied. "Abends wenn ich schlafen geh." Er sang es mir vor und es gefiel mir. "Hast du die Oper gesehen?" fragte ich neugierig. Er nickte mit dem Kopf und erzählte mir, dass er früher, als es noch keinen Krieg hatte, oftmals mit Mutti nach Bielefeld in die Oper oder Operetten gefahren sei. Ihm hätten die Operetten immer am besten gefallen. Nun erzählte er von seinen Erlebnissen und war gar nicht mehr zu stoppen. Irgendwann würde er mit mir auch dahin fahren.

Im Bett stellte ich mir das Märchen von Hänsel und Gretel als Oper vor. Im Orchester saß natürlich ich mit meiner Flöte und Margot neben mir. Vati wusste so viel, und er konnte es so genau erklären.

Draußen stürmte es und ich kroch unter die Bettdecke, mich gruselte.
Am nächsten Tag ging die Schule wieder los. Vati weckte mich als er das Frühstück fertig hatte. Er hatte für mich Milch warm gemacht und er trank Kaffee. "Kannst du dich allein kämmen“, fragte er und als ich nickte, nahm er seinen Hut. Bevor er zur Tür hinaus ging, zählte er noch auf was ich machen musste. Milchtopf raus, Hühner nicht und Tür abschließen, Schlüssel in den Blumentopf. Dann ging er zur Arbeit.

Für Margot und mich begann eine einmalig schöne Woche. Außer zum Mittagessen, waren wir den ganzen Tag zusammen. Wir lachten und spielen und vergaßen nicht unsere Hausaufgaben zu machen. Am Mittwoch gingen wir zur Flötenstunde und brauchten nicht auf die Uhr zu schauen. Vati freute sich weil alles so gut klappte, und meinte ich sei richtig aufgeblüht.

Frau Lindemann brachte den Topf zurück und es war nichts mehr zu sehen von unserem Ungeschick.

Auch die Wohnung hielten wir sauber, Mutti sollte nichts zum Klagen haben. Vati machte das Essen warm, was Mutti ihm herausgesucht hatte und es war immer gut. Einmal hatten wir die köstlichen Bratwürste vom Schlachter. Als wir keine geschälten Kartoffeln mehr hatten, machten wir Pellkartoffeln, das war auch gut und passte zu jeder Mahlzeit.

Als Mutti am Samstag noch nicht zurück war, überlegte ich was ich Vati zu Geburtstag schenken könnte. Er hatte am Sonntag Geburtstag und ich hätte ihm so gern etwas geschenkt. Margots Mutter schlug vor, ich solle ihm doch einen Kuchen backen. "Ich habe das noch nie gemacht, und ich habe Angst vor dem Gasherd," sagte ich traurig.

Sie schrieb mir auf einen Zettel was ich alles bringen sollte, dann würden wir es bei ihr machen. Sie hatte die Zutaten für einen Apfelkuchen aufgeschrieben und ich suchte alles zusammen solange Vati noch bei der Arbeit war. Dann ging ich zu ihr und nahm auch die Kuchenform gleich mit. Margot und ich rührten den Teig an, unter Aufsicht von Frau Jürgens.

Dann schickte sie mich heim, damit Vati sich keine Sorgen machen sollte. Nach dem Essen sollte ich ihn abholen. Vati machte nach dem Essen ein Mittagsschläfchen. Die Zeit nutzte ich den Kuchen abzuholen. Den versteckte ich unten im Küchenschrank, wo Vati nie hinein schaute. Vorsichtshalber deckte ich noch ein Küchentuch darüber. Jetzt hoffte ich, dass Mutti vor Montag nicht heimkam.

Als Vati ausgeschlafen hatte machten wir Kaffee. Er hatte mir aufgetragen ein Stutenbrot zu kaufen, weil wir doch keinen Kuchen mehr hatten. Er meinte: Kuchen wäre schon besser gewesen, aber Mutti hatte bei ihm in der Fabrik angerufen und berichtet, dass das Kind immer noch nicht gekommen sei. Sie würde vielleicht am Dienstag zurück kommen. Am liebsten hätte ich "juhu" gerufen, aber ich zügelte mich. Dann durfte ich noch zu Margot und ich rannte so schnell ich konnte, ihr die Neuigkeiten zu berichten.

Frau Jürgens hörte zu und wusste was jetzt kam. Sie sagte streng: "Aber für euren Indianer-Freudentanz geht ihr auf den Flur, sonst wackelt das ganze Haus." Wir gingen in die Waschküche damit wir niemanden im Haus störten. Anschließend mussten wir feststellen, dass wir immer besser wurden mit unserem Tanz.

Am Sonntag wollte Margot zu ihrer Oma und ich blieb den ganzen Tag bei Vati. Er hatte ja heute Geburtstag, deshalb war ich extra früh aufgestanden um den Tisch zu decken. Ich stellte den Kuchen auf den Tisch, und stellte das Wasser für den Kaffee auf den Herd. Auf den Kuchen hatte ich noch etwas Zimt und Zucker gestreut und er duftete köstlich. Als er aufstand roch er den Kuchen und sagte erfreut: "Na das ist aber ein schönes Geburtstagsgeschenk, und ich dachte schon ich müsste heute ohne Kuchen feiern.

Nach dem Frühstück gingen wir zum Friedhof um an Lisbeths Grab auch das Efeu zu schneiden. Zu gern wäre ich auch mal zu Elisabeth auf den Friedhof gegangen, aber der Friedhof wo sie begraben war, war viel zu weit weg. Deshalb weinte ich leise vor mich hin und Vati tröstete mich. Wir mussten uns beeilen damit wir wieder auf dem Heimweg waren wenn die Leute aus der Kirche kamen. Es musste ja niemand sehen, dass wir so etwas am Sonntag machten. Wir kochten danach unser Essen und machten uns einen richtig gemütlichen Nachmittag.

Vati wusste wieder viel zu erzählen und er brachte das Lexikon um mir die Sternbilder zu zeigen. In dem Buch waren viele bunte Bilder, von Tieren und Blumen und von großen Dichtern und Erfindern. Ich hatte viele Fragen, aber Vati meinte ich könnte nicht das ganze Buch auf einem Mal lesen. Schließlich kam das Buch wieder in den Bücherschrank, aber ich dürfte es holen wann immer ich wollte.

Beim Abendbrot kam dann der große Augenblick, Vati holte seine eingelegten Heringe, und aß auch gleich zwei Stück davon. Dazu hatte er Bratkartoffeln gemacht. Er bat mich doch auch ein kleines Stück davon zu essen, er könne nicht ansehen wenn mir das Herz blutete. Obwohl ich nicht so sehr für saure Sachen zu haben war, aß ich einen halben Hering ihm zur Liebe. Ich fand er schmeckte gut, wenn er nicht ganz so sauer gewesen wäre.

Er erzählte, dass die Leute früher so arm waren, und nicht so viele Heringe für die ganze Familie kaufen konnten. Deshalb wurde der Hering mitten über den Tisch unter die Lampe gehängt und jeder durfte mit seiner Kartoffel am Hering herunter streichen. Den Hering bekam dann der Vater. Na dachte ich, jetzt hat er wieder schön geflunkert.

Als wir das Geschirr wieder gut sauber gemacht hatten, saßen wir noch am Tisch und Vati wusste, dass ein Zirkus in die Stadt kam. Er erklärte mir, was ein Zirkus ist, und es schien mir sehr spannend. Er wollte, dass wir nächste Woche nicht über den Marktplatz gingen, sondern den Weg über die Eckstraße zur Schule nehmen sollten. Die Erklärung machte er besonders spannend und erzählte, dass schon so manches Kind vom Zirkus mitgenommen worden sei. Die Kinder waren dann für immer verschwunden.

Ich überlegte ob das nicht gerade richtig sei für mich, dann würden sie mich nicht mehr finden. "Und was machen die mit den Kinder?" Wollte ich jetzt wissen. Vati zog seine Stirn ganz kraus und meinte: "Genau weiß ich es nicht, wenn sie gelenkig sind, dann müssen sie abends turnen. Aber am Tag müssen sie schwer arbeiten, die Tiere sauber machen und beim Zelt auf- und abbauen helfen." Ich dachte, ich würde mir das noch mal überlegen, und Margot fragen.

Im Bett ließ ich mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Aber weil ich beim Turnen ja wirklich keine Leuchte war, würden die mich sicher gar nicht wollen.

Wir trafen uns morgens noch beim Frühstück und Vati versprach zu schauen, ob er Eintrittskarten für den Zirkus bekäme. Als ich meine Haare machte, zog er seinen Mantel an um zu gehen. "Heute dürfen die Hühner wieder in den Garten, und denk daran, diese Woche Eckstraße." Er winkte noch im Hof mit seinem Hut zum Küchenfenster hinauf und schob sein Fahrrad ums Haus herum.

Jetzt war für mich Eile angesagt, denn ich wollte so schnell wie möglich zu Margot. Ich brachte den Milchtopf hinaus und legte die Marken auf den Teller, Geld war keines mehr im Schrank, aber der Milchfrau waren Eier lieber als Geld, in wenigen Tagen würde Mutti ja wieder da sein. Dann machte ich noch die Hühnerstalltür auf, damit die Hühner hinaus konnten. Die Stalltür ließ ich offen, dann konnten sie auch wieder herein zum Eier legen.

Margot kam mir schon entgegen, "wir müssen heute über die Eckstraße gehen, wegen dem Zirkus", rief sie mir zu. Ihre Mutter hatte auch gesagt, dass Kinder mit dem Zirkus gehen und nicht mehr kommen. Wir überlegten was sie wohl mit den Kindern machen. "Vielleicht füttern sie die Kinder an die wilden Tiere“, meinte Margot und ich berichtete: "Vati hat auch gesagt, dass der Zirkus wilde Tiere hat, Löwen und Tiger, und die haben immer Hunger. Die Tiere essen nur Fleisch, wie gruselig." Wir rannten wie besessen in die Schule und waren ganz außer Puste.

Als die Lehrerin in die Klasse kam, hatte sie ein Mädchen an der Hand. Die brachte sie in die Bank hinter uns, da war noch ein Platz frei. "Das ist Elli, sie kommt vom Zirkus und geht solange bei uns in die Schule, bis der Zirkus weiterzieht. Das Mädchen sah aus wie eine Puppe. Sie hatte blonde Locken und strahlend blaue Augen.

Fräulein Schneider bat sie, uns vom Zirkus zu erzählen, aber sie sprach kein Wort. Dann mussten wir schreiben und Elli schrieb auch mit. Als die Lehrerin dann unsere Arbeiten nachschaute, versuchte sie noch einmal ein paar Wörter aus dem Mädchen herauszulocken. Es war vergeblich sie wollte einfach nicht sprechen. Da setzte sich die Lehrerin zu ihr auf die Bank und fing an, mit ihren schönen Locken zu spielen. Eine Weile ließ Elli es zu, dann rief sie böse, "lass das!" Wir mussten alle lachen, aber das blieb das einzige was sie in dieser Woche sagte.

Margot hatte es eilig nach Hause zu kommen. Ich hatte ihr gesagt, dass Vati nach Eintrittskarten schauen wollte. "Ach“, seufzte sie, "ich würde auch gern in den Zirkus gehen. Meine Mutter hat gesagt, sie muss sehen, dass sie Schuhe für uns bekommt, das sei viel wichtiger." Ich wusste ja nun auch nicht ob Vati Karten bekommt, aber ich würde ihr später alles genau erzählen, versprach ich.

Das Essen war schon fertig, Vati hatte Reste von gestern warm gemacht. Und er hatte Eintrittskarten vom Zirkus bekommen. "Es gibt zwei Vorstellungen eine um vier Uhr und eine um sieben Uhr. Wir gehen um sieben. Schau dass die Tiere heute Abend fertig sind und dann essen wir sofort danach gehen wir." Er legte die Karten auf den Küchenschrank und ich sah, dass es drei waren. "Kommt Mutti auch mit?" fragte ich. "Nein aber du kannst Margot fragen, sonst kann Kurt mit."

Als Vati wieder zur Arbeit war, schaute ich mir die Karten genau an. Da stand ganz dick "Loge" darauf. Ich war enttäuscht, ich dachte wir gehen in den Zirkus und nicht in die Loge. Nun musste ich erst mal schnell zu Margot und sehen was sie dazu sagte. In den Zirkus wäre sie ja gern mitgegangen, aber in die Loge?

Frau Jürgens schaute ungläubig als ich von den Karten berichtete. "Dein Vati hat Logenkarten gekauft? Das sind die besten Plätze im Zirkus und die sind doch teuer." Also Margot würde um sechs Uhr bei uns sein, und abends müssten wir sie daheim abgeben, weil es dann schon dunkel wäre. Wir hatten schon wieder einen Grund uns zu freuen. Aber jetzt gingen wir erst mal zu mir heim, um Hausaufgaben zu machen.

Wir hatten zwei Stunden Arbeit, bis wir alles fertig hatten, dann gingen wir noch hinaus zum Spielen. Im Hof war der Nachhilfeschüler von Herrn Bollmann und spielte mit dem Ball, er hatte gerade Pause. Wir gingen weiter bis zur Obstbaumwiese um da ein wenig zu klettern. Margot war blitzschnell im Kirschbaum und fragte: "Was ist denn das für einer?" "Ich weiß es nicht, aber ich glaube er heißt Christian“, mehr wusste ich auch nicht. Mir persönlich gefiel der Ball am besten, mit dem er in den Pausen immer spielte.

Aber er hatte den Ball noch nie im Hof vergessen. Margot meinte ich sollte jetzt mal anfangen meine Hühner in den Stall zu bringen, denn wir müssten ja alle heute pünktlich fertig werden. Deshalb ging ich in den Keller um die Schüssel mit Hühnerfutter zu füllen. Margot bettelte sie wollte die Schüssel schütteln, und wartete, dass die Hühner ihr nachliefen. Ich gab ihr die Schüssel und sie schüttelte, aber die Hühner liefen hinter mir her. Dabei hatte ich ihr einen Vorsprung gelassen.

Margot ärgerte sich und ich konnte es nicht lassen schadenfroh zu lachen. Die Drillinge kamen als letztes in den Stall, sie waren immer noch sehr scheu. Als wir die Tür zu gemacht hatten, fütterten wir noch das Schwein. Wir hatten noch etwas Zeit und ich nahm die Leiter und stieg auf den Heuboden um für das Schwein etwas Stroh herunter zu werfen. Weil wir wenig Stroh hatten, warf ich noch einen Haufen Heu herunter. Die Hühner bekamen auch noch etwas von dem Heu. Ich ging mit Margot in den Heizungskeller und schaufelte Koks in die Heizung. Margot machte immer den Kessel auf wenn ich mit dem Koks kam. "Sind die Kohlen nicht schwer?" fragte Margot mitfühlend.

"Nein, das sind keine Kohlen, das ist Koks, und der ist nicht so schwer wie Kohlen. Warum, weiß ich nicht so genau, aber der Koks ist schon mal gebraucht. Den kaufen wir von der Gasanstalt und da hat man schon Gas daraus gemacht." Margot verstand das nicht so richtig, aber ich wusste es von Vati, verstanden hatte ich das auch nicht. Vom Keller aus gingen wir in die Küche und es war schon fast fünf. Da nahm sie ihren Ranzen und beeilte sich heim zu laufen. Wir würden uns ja später wieder sehen. Ich deckte den Tisch fürs Abendessen, jetzt musste nur Vati noch kommen.

Er war pünktlich und wir waren noch nie so schnell fertig mit dem Essen. Das Geschirr putzten wir noch schnell sauber, denn morgen könnte es ja sein, dass Mutti käme.

Pünktlich um sechs kam Margot. Wir zogen unsere Mäntel an und gingen zum Marktplatz. Es waren nicht viele Leute am großen Zirkuszelt, am Ende war das Zelt nicht einmal halb voll. Wir waren froh, dass wir so warme Mäntel an hatten, denn es war recht kalt. Dann wurde das Zelt zu gemacht und es wurde schon wärmer. Das Licht wurde ausgemacht, und es war nur noch Licht in der Manege.

Wir saßen ganz vorn in der ersten Reihe. Als erstes kamen ein paar glitzernde Mädchen, die machten Gymnastik und schlugen Rad und dazu spielte Musik. Dann begrüßte uns alle der Direktor, und er begrüßte besonders die Herrschaften in der Loge. Ich wurde rot bis hinter die Ohren, Vati sagte "er denkt ich bin der Bürgermeister." Margot kicherte, und flüsterte: "Ich fühle mich wie auf den Bauch geklatscht und nicht getroffen. Das muss ich morgen in der Schule erzählen."

Inzwischen waren die schönen weißen Pferde aufgetreten, sie hatten Federschmuck auf dem Kopf und hübsche Mädchen machten Kunststücke auf den Pferden. Danach kam der dumme August, der verbeugte sich vor uns, und küsste Margot und mir die Hand. Danach kamen die Löwen aber die waren in einem Käfig, na Gott sei Dank, denn sie hatten riesige Mäuler. Automatisch musste ich an die Kinder denken, die immer verschwinden. Als die Löwen wieder hinaus gingen, zeigten zwei Personen Kunststücke am Trapez ganz oben unter dem Zeltdach.

Ich hatte Angst, dass sie herunter fallen könnten. Darum war ich froh als es auf dem Boden wieder weiterging. Da ging es jetzt mit einem Elefanten weiter. Der Direktor brachte den Elefant selber in die Manege und entschuldigte sich, dass er nur noch einen Elefant hatte. Er hatte die anderen Elefanten nicht durch die schlechten Zeiten bekommen, und hatte sie an einen anderen Zirkus verkaufen müssen.

Der Elefant machte ein paar Kunststücke und ich sah, dass er schöne große Augen hatte. Ich glaubte aber, dass er traurig war. Vati sagte, dass Elefanten nicht gerne allein sind. "Elefanten leben in Familien." Erschrocken fragte ich, "Welche Familie hat denn so viel Platz?" "Ach nein, in Familien aus lauter Elefanten, mit Mutter und Kinder und Tanten und Oma, aber alles Elefanten. Und dann natürlich in Afrika oder Indien."

Vati musste aufhören mit dem Schwätzen, denn jetzt kam ein Zauberer. Der gefiel mir ganz besonders gut, und ich war hin und her gerissen von seinen Zauberkünsten. Wenn ich groß bin, dachte ich, möchte ich Zauberer werden. Woher brachte er nur die vielen Dinge, die er aus dem Zylinder holte, er konnte wirklich zaubern. Zum Schluss kamen die Pferde noch einmal und der Zirkusdirektor verabschiedete sich ganz zum Schluss noch von uns mit Handschlag.

Mir war es peinlich, Margot war ganz stolz und Vati sagte: "Vielen Dank, wir fühlen uns geehrt." Der Direktor lief dienstbeflissen vor uns her beim Hinausgehen. Er öffnete für uns einen Ausgang an der Seite, damit wir nicht so lange warten mussten, denn alle Besucher strömten jetzt zum Hauptausgang.

Wir gingen auf dem schnellsten Weg heim, denn morgen mussten wir ja wieder in die Schule. Ich fragte Vati wieso der Direktor zu uns so freundlich war. Und er grinste hinterlistig: "Weil wir die einzigen waren die Logenplätze hatten. Wenn der morgen aufs Rathaus geht, um den Bürgermeister um eine Spende zu bitten, wird er seinen Irrtum bemerken."

Jetzt mussten wir alle lachen. Wir lieferten Margot bei ihrer Mutter ab und gingen dann schnell heim, um gleich ins Bett zu verschwinden. Vati sagte zu mir, "beeile dich, morgen früh ist die Nacht rum." Er hatte immer Recht, aber mit dem Schlafen wollte es heute gar nicht klappen, es war viel zu viel was wir erlebt hatten.

Vati weckte mich in der Frühe, um mit mir beim Frühstück noch ein paar Takte zu reden.

Wenn Mutti kommt, muss die nicht gleich wissen, dass wir gestern im Zirkus waren. Schon lange nicht, dass wir die Abendvorstellung besucht hatten. "Und überhaupt, erzähl nicht gleich alles, mach keinen falschen Fehler!" Das war auch wieder so ein Spruch von ihm.

Aber er musste sich gar keine Sorgen machen, sie würde so viel zu erzählen haben, dass es nicht auffallen würde wenn ich nichts sagte. Das mit den Hühnern durfte ich berichten, aber den Besuch beim Schlachter lieber nicht. Sonst würde sie denken, dass wir das Geld zum Fenster hinaus warfen, wenn sie nicht da ist.

Vati konnte sich auf mich verlassen und ging beruhigt zur Arbeit. Als ich gerichtet war, machte ich alles sehr sorgfältig: Türe abschließen, Schwein und Hühner füttern, auch den Milchtopf vergaß ich nicht. Falls sie kam, während ich in der Schule war, wollte ich nicht gleich mit einem Donnerwetter begrüßt werden.

Auf dem Schulweg schwärmte Margot immer noch von unserem Besuch im Zirkus. "Erzähl ja Mutti nichts, wenn die wieder da ist“, warnte ich sie. Margot war ein sehr lebhaftes Kind und konnte ihren Mund auch nicht lange still halten. Aber bei Mutti passte sie immer auf, was sie sagte. Sie wollte nicht schuldig sein, wenn ich Schläge bekam. "Wenn sie mich wieder schlägt, werde ich sie noch mehr zurichten als letztes Mal“, versicherte ich.

Wir kamen an der Schule an und Margot berichtete den anderen Kindern von unserem Besuch im Zirkus. Eines der Mädchen sagte, "das wissen wir schon, da ist heute ein Bild von euch in der Zeitung" "Oh Oh, „ sagte ich, "das ist aber eine üble Sache." Margot wollte sich kaputt lachen. "Das Bild muss ich sehen, hat dein Vati heute keine Zeitung gelesen?"

Ich glaubte, dass er heute Morgen noch keine Zeit hatte, und wenn, dann nur für die erste Seite.

Während der Schulstunden hoffte ich inständig, dass Mutti noch nicht da war. Ich würde die Seite gleich verbrennen wenn ich heimkomme. Deshalb war ich auch gar nicht richtig bei der Sache und die Lehrerin konnte es nicht lassen eine Bemerkung zu machen: "Du bist wohl gestern Abend spät ins Bett gekommen?" Die Mädchen kicherten wieder und Margot glaubte, dass sie nur neidisch waren. Mittags eilten wir heim, ich hatte ein komisches Gefühl im Magen. Die Angst war ganz umsonst, Mutti war noch nicht da und Vati machte das Essen warm.

"Hast du schon in die Zeitung geschaut?" Mit diesen Worten kam ich in die Küche gestürmt. Vati lachte und hatte es schon gelesen. "Mach dir keine Sorgen deshalb. Die Eintrittskarten hatte mir mein Chef geschenkt, und die waren nur für die Vorstellung gestern gültig. Ich habe schon oft Karten von ihm bekommen und jedes Mal ist Mutti mit mir in der Loge gesessen. Jetzt war sie ja nicht da. Mir wäre es ja lieber gewesen, sie hätte es nicht erfahren, aber jetzt ist es auch egal."

Ich ließ mich auf den Stuhl fallen und zitierte Margot: "Mein Gott, ich bekomme noch einen Herzschlag, bevor ich aus der Schule bin." Vati lachte herzhaft und stellte das Essen auf den Tisch. Nach dem Essen zeigte er mir den Artikel in der Zeitung, das Bild war ganz schön. Wir waren nur am Rande, es waren vor allem die Löwen die zu sehen waren. Darunter stand: Mit einer Galavorstellung öffnete der Zirkus seine Tore. "Was ist ein Gala," wollte ich noch wissen. "Wenn etwas besonders schön, und schillernd ist, dann ist das Gala." bekam ich als kurze Antwort und Vati musste schon wieder zur Arbeit.

Ich spülte das Geschirr, und brachte die Küche auf Hochglanz. Dann setzte ich mich an den Tisch, und breitete meine Hausaufgaben aus. Anfangen wollte ich noch nicht, denn ich hoffte, dass Margot vielleicht noch kam. Deshalb schaute ich zum Fenster hinaus auf den Hof. Da kam sie, sie guckte vorsichtig um die Ecke und schaute zum Fenster hinauf. Ich winkte ihr, und sie kam herein.

Wir machten sorgfältig unsere Hausaufgaben, dann schlossen wir vorsichtshalber die Korridortür und gingen zum Spielen in den Hof. Weil es draußen aber kühl war, holte ich ein Seil aus dem Keller da konnten wir Strickspringen. Auf der einen Seite banden wir das Seil an einem Haken an, einer durfte springen und einer musste das Seil schwingen. Dazu sangen wir wieder: Der Kaiser von Rom. Ob wir noch andere Lieder zum Seilspringen konnten, das weiß ich nicht mehr.

So wurde es langsam Abend und wir brachten noch gemeinsam die Hühner in den Stall. Margot half mir auch noch das Schwein zu füttern und dann ging sie nach Hause. Vati kam etwas spät nach Hause, er war wieder beim Arzt gewesen um eine Spritze zu bekommen. Als er dann endlich kam, war ich froh, vor allem, dass er allein kam.

Ich deckte den Tisch und Vati sagte ganz von selbst: "Morgen Abend kommt Mutti heim, ich werde sie am Bahnhof abholen, sie kommt um sechs Uhr am Abend." Mich freute es, noch einen zusätzlichen Tag mit Margot zu haben. Nach dem Abendessen wollte ich gleich ins Bett, schließlich hatte ich ja in der letzten Nacht schlecht geschlafen. Diesen Abend nahm ich mir Zeit, vor dem Schlafengehen noch einmal an die Woche zurückzudenken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

Weihnachten und das warme Geschenk

Als wir am Mittwoch zur Flötenstunde gingen, ließen wir uns noch einmal richtig Zeit. Wir konnten trödeln weil Mutti ja erst am Abend kommen wollte. Zum Glück schien noch einmal die Sonne schön warm. Deshalb mussten wir keine Angst haben, dass wir uns erkälten würden.

Bei Margot war man sich nie so sicher, sie war immer die erste die sich erkältete, und dann steckte sie mich meistens an. Als wir daheim ankamen, war ich traurig, dass die schöne Zeit mir ihr nun um war. Sie nahm ihren Schulranzen und wollte noch einen Indianertanz, aber ich war nicht bei Laune. Mir taten schon wieder die Finger weh, vor lauter Angst vor Mutti. Ich versorgte die Hühner und das Schwein, schloss die Kellertür und ging in die Küche um die noch schnell auf Hochglanz zu bohnern. Dann deckte ich den Tisch für drei Personen, nahm mein Lesebuch und wartete.

    Es dauerte gar nicht lange da kamen sie durch den Hintereingang. Vati stellte sein Fahrrad ins Haus und Mutti rannte zuerst aufs Klo. Vati kam zuerst mit dem Koffer herein. "Sei freundlich zu ihr," wies er mich zurecht. Er legte seinen Hut auf den Schrank und hängte seinen Mantel auf. Dann kam sie zur Tür herein. Sie schaute einmal rings um in der Küche und schien zufrieden zu sein. Das Feuer hatte ich frisch angepustet und es war schön warm. "Da bin ich wieder“, sagte sie, "und schön warm ist es hier." Ich heuchelte: "Schön dass du wieder da bist." Vati vollendete den Satz: "Du hast uns sooo gefehlt." Am liebsten hätte ich gefragt - wann?“

Vatis Heringe hatte ich schon auf dem Tisch und Butter, Wurst und Brot. Für mich hatte ich wieder Milch warm gemacht und der Wasserkessel stand auf dem Herd für Tee. Mutti fragte. "machst du Tee?" Jetzt fängt die Kommandiererei schon wieder an, dachte ich und holte die Teekanne. Ich füllte von unserem selbst gesuchten Tee hinein und füllte Wasser auf. Dann stellte ich noch zwei Tassen auf den Tisch. Mutti erzählte wie ein Wasserfall.

Nach dem Essen räumte ich das Geschirr ab und putzte den Tisch sauber, dann sagte ich "Gute Nacht" und wollte gleich verschwinden. Da rief Mutti, "ja aber ich bin ja noch gar nicht fertig mit Erzählen, willst du denn nicht wissen wie das Kind heißt? Ich habe dir außerdem etwas mitgebracht, Vati hat gesagt du warst so brav." Na, das war jetzt ganz neu. Sie hatte mir noch nie etwas gebracht. Nun ging sie an ihren Koffer und holte ein paar Bogen festes Papier heraus, die legte sie auf den Tisch. "Ach, die musst du umdrehen," meinte sie.

Ich drehte die Bögen um und es waren Bastelbögen mit einer Papier-Puppenstube, Papierpuppen und Kleider. Auf einem Bogen war ein Würfelspiel mit der Deutschlandkarte, das war ein Werbegeschenk von der Brikett-Fabrik. Für jede Stadt gab es einen Spruch dazu. Jetzt hatte ich wenigstens auch mal ein Gesellschaftsspiel, und darüber freute ich mich. Die Sachen legte ich in mein Fach im Schrank und wartete geduldig während sie weiter erzählte.

Mir fielen die Augen schon zu, als sie schließlich am Sonntagabend angelangte, an dem das Kind zur Welt kam. Tante Anni war so enttäuscht, es war wieder kein Junge. Onkel Erwin hatte die Nachricht mit Fassung aufgenommen, und das Mädchen heißt Helga. "Ich muss jetzt aber wirklich schlafen, ich bin müde," sagte ich und verschwand in mein Zimmer.

Da lag ich noch mit offenen Augen und dachte über die Geschenke nach, die sie mitgebracht hatte. Ich werde morgen gleich anfangen zu basteln, wenn sie es erlaubt, dachte ich. Am meisten freute es mich, dass ich die Wohnung sauber und aufgeräumt hinterlassen hatte. Sie hatte nichts zu meckern gefunden. Beruhigt und voll zufrieden schlief ich schnell ein.

Mutti weckte mich als Vati gerade zur Tür hinausging. Sie saß noch eine Weile mit mir am Frühstückstisch, dann ging sie nach der Heizung schauen. Gott sei Dank, brauche ich das nicht mehr machen. Die Heizung war wirklich anstrengend, denn die musste ja stundenlang unbeaufsichtigt brennen. Deshalb musste der Kessel immer ganz voll geschaufelt werden. Ich werde nicht verraten, dass ich das ein paar Mal gemacht habe, sonst kommt sie noch auf dumme Gedanken.

Als ich dabei war durch meine Haare zu kämmen kam sie herauf. "Gib mir mal den Kamm, ich glaube da muss man mal wieder richtig durchkämmen," meinte sie. Sie kämmte ausgiebig durch meine Haare und konnte keinen Knoten finden. Dann war sie zufrieden und flocht mir meine Zöpfe. Nebenbei berichtete sie, dass Vati wollte, dass sie mir mehr Freiraum lassen sollte. Wenn ich möchte, könnte Margot zum Hausaufgaben machen kommen, und nachher könnten wir spielen. Ich bohrte mit meinen Fingern in den Ohren und glaubte schlecht zu hören. Darauf nahm Mutti ein Handtuch drehte an der Kante einen Ohrenputzer und machte meine Ohren sauber. Mein linkes Ohr tat dabei weh.

"Setz deine Kapuze auf, sonst bekommst du wieder Mittelohr-Entzündung", riet sie mir. Ein Blick auf die Uhr, verriet mir, dass es höchste Zeit war. Da schnappte ich mir meinen Ranzen und den Milchtopf und sagte noch: "Die Milch habe ich diese Woche noch nicht bezahlt, mach du das bitte." Sie nahm mir den Milchtopf wieder aus der Hand, den würde sie dann selbst hinaus stellen. "Ach und noch was wir haben drei neue Hühner."

Jetzt hatte ich aber wirklich keine Zeit mehr und rannte aus Zeitmangel vorn in den Hühnerstall hinein und hinten zum kleinen Türchen wieder hinaus. So hatte ich ein kleines Stückchen abgekürzt und gleichzeitig die Hühner hinaus gelassen. Dann rannte ich Richtung Margot. Sie stand schon an der Ecke und trippelte von einem Bein auf das andere. "Mensch Miese, komm es ist schon spät," war ihre Begrüßung. Wir rannten zuerst bis zur Eckstraße um die Zeit wieder aufzuholen.

Dann gingen wir normal weiter und als wir wieder Luft genug bekamen, wollte sie wissen ob Mutti gestern gekommen ist. Ich berichtete und vergaß auch nicht die Geschenke zu erwähnen. Margot war traurig, "Jetzt ist sie wieder vorbei, die schöne Zeit. Bei dir konnte man so herrlich Hausaufgaben machen, bei uns werde ich immer von meinen Brüdern gestört." Als ich dann erzählte, dass Mutti es erlaubt hatte weiterhin zusammen Schularbeiten zu machen, schrie sie laut "juhuuuuu". Ja sie liebte es, verrückt zu sein. Wir waren so gegensätzlich wie ein Wasserfall und ein Stein. Der Stein war ich, Margot hatte mal gesagt: meine Ruhe sei sträflich.

Wir waren pünktlich in der Schule und hatten sogar Spaß am Unterricht.
Nachmittags machten wir zuerst unsere Hausaufgaben und dann holte Margot aus ihrem Ranzen den gleichen Bastelbogen heraus wie ich ihn hatte. Wir verglichen unsere Bögen, Ich hatte auf meinem Bogen eine Küche und sie hatte ein Wohnzimmer. Zuerst musste ich aber Mutti fragen ob ich mit dem Basteln anfangen durfte.

Ständig wollte sie gefragt werden, nur aufs Klo durfte ich ungefragt. Sie saß in der Stube und las Zeitung. Als ich fragte ob ich basteln dürfte meinte sie, dann wäre es besser sie käme mit in die Küche, damit ich den Bogen nicht zerschnitt. Die Figuren waren vorgestanzt, man musste sie nur heraus drücken. Die Puppenstube musste ausgeschnitten werden. Das wollte sie selber machen, mir verging die Lust.

Wenigstens die Püppchen durfte ich heraus drücken. Es waren Mutter, Vater und drei Kinder. Die zog ich mit den passenden Kleidungsstücken an, dann wartete ich. Margot hatte ihr Wohnzimmer schon fertig, sie hatte von ihrem Vater Klebstoff bekommen. Mutti ihr Klebstoff war hart geworden. Jetzt gab ihr Margot von ihrem ab.

Während sie ihre Püppchen anzog, klebte Mutti an der Küche herum. Sie hatte die Zeitung von gestern unter ihre Arbeit gelegt, und ich klebte ein Stück Abfallpapier auf das Bild vom Zirkus, genau dahin wo wir auf dem Bild waren. Margot kicherte leise und Mutti dachte sie lacht sie aus. "Habe ich was falsch gemacht?" wollte Mutti wissen. "Nee," sagte Margot, "Miese hat in der Nase gebohrt," Mutti mit ihrem lockeren Handgelenk klopfte mir gleich auf die Finger. "Petze," sagte ich und sie lachte albern weiter.

Mutti war jetzt fertig mit der Küche, dann stellten wir die Figuren hinein, aber die fielen laufend um. Margot schlug vor, dass wir die Figuren anklebten und dann die Puppenstube zum anschauen hinstellten. So machten wir es dann auch und es sah richtig niedlich aus. Ich durfte meine Puppenstube in meinem Zimmer auf die Kredenz stellen.

Jetzt wollten wir aber das neue Spiel ausprobieren. Mutti hatte einen Würfel in ihrer Schublade und gab uns zwei schöne Knöpfe. Sie nahm den Bogen mit den Sprüchen und Margot und ich fingen an zu würfeln. Los ging es in Helgoland. Die Reise ging durch ganz Deutschland bis nach Konstanz. So lernten wir ganz nebenher unser schönes Land kennen. Jede Stadt hatte ihr berühmtestes Gebäude abgebildet.

Alle Städte mit einem Kreis, hatten einen passenden Spruch. Zum Beispiel: Roland der Riese steht in Bremen, darfst einen Sprung bis Kassel nehmen. -Ein Celler Hengst ist durchgebrannt, du musst zurück nach Helgoland.- In Ulm da wollt ein Schneider fliegen, bleibst eine Würfelrunde liegen.- Das Spiel gefiel uns und wir spielten es nun jeden Tag. Vati kam und sah, dass wir das Spiel so mochten und brachte eine dünne Holzplatte worauf er das Spiel klebte, damit es recht lange halten sollte. Auch die Sprüche klebte er auf eine schmale Platte aber den letzten Satz den schnitt er weg. "Der ist ja richtig blöd," sagte Vati und Margot und ich mussten ihm recht geben.

So ein schönes Spiel hatte ich noch nie. Sogar die Zahlen an den Städten konnte ich alle auswendig, an einige erinnere ich mich heute noch.

Mit diesem Spiel begann für mich eine wunderschöne Winterzeit. Wir spielten täglich damit, nach den Hausaufgaben. Mutti begann mit der Weihnachtsbäckerei und backte vier Christstollen, die sie im Keller in einem Steintopf aufbewahrte. Am Totensonntag brachten Vati und ich zwei schöne Gestecke auf die Gräber. Mutti fuhr wieder zu ihrer Mutter und nahm ein Gesteck für das Grab von Opa mit.

Eine Woche drauf fingen wir an Plätzchen zu backen. Mutti füllte eine große Keksdose und bewahrte die im Stubenschrank auf. Ich durfte die Plätzchen mit Schokoladen- und Zuckerguss bestreichen. Auf die Ausstecher kam Hagelzucker. Ganz zum Schluss machten wir noch Makronen, aus dem Eiweiß was übrig geblieben war. Ich freute mich richtig auf Weihnachten und als die erste Kerze angezündet wurde, da sang ich auch wieder Weihnachtslieder mit Mutti.

Margot kam jeden Tag, außer Sonntag und meinte eines Tages: "Die kann ja richtig nett sein, was ist denn mit ihr passiert?" Ich hatte keine Ahnung, aber ich war immer auf der Hut, dass ich nichts falsches zu ihr sagte. So war bei uns Frieden eingekehrt und Weihnachten stand vor der Tür.

In der Schule hatten wir einen Schal gestrickt, ich hatte ihn etwas größer gemacht, wie die anderen Kinder. Den würde ich Mutti zu Weihnachten schenken. Für Vati hatte ich nichts. Er brauchte auch kein Geschenk, er freute sich wenn alles harmonisch verlief. An mir sollte es nicht liegen.

Am letzten Schultag vor Weihnachten machte uns Fräulein Schneider eine wunderschöne Weihnachtsfeier. Gleich als sie herein kam, zündete sie uns alle unsere Kerzen an. Die Schulbücher durften wir heute im Ranzen lassen. In der ersten Stunde las sie uns das Märchen, von dem Mädchen mit den Schwefelhölzern, vor.

Die Lehrerin konnte so gut vorlesen, dass sich in meiner Phantasie alles vor meinen Augen abspielte. Das Mädchen tat mir so leid, und ich hatte zum Schluss Tränen in den Augen. Ich hätte nicht einmal Geld gehabt, um ihr ein einziges Schächtelchen ab zukaufen.

Das beschäftigte mich sehr und als wir jetzt anfingen Weihnachtslieder zu singen, war ich nur halb bei der Sache. In der kurzen Pause schickte uns die Lehrerin hinaus und sie wollte, dass wir nach dem Läuten vor der Schulhaustür warteten bis sie uns herein rief. Wir stürmten in die Klasse und blieben mit offenen Mündern stehen.

Fräulein Schneider und ein paar etwas größere Kinder hatten alles für ein Krippenspiel aufgebaut. Leise setzten wir uns an unsere Plätze. Nun führten die größeren Kinder ein Krippenspiel auf, unsere Lehrerin hatte sich mitten unter uns gesetzt. Ich hatte noch nie ein Krippenspiel gesehen. Die Kinder machten es sehr schön und ich war schon richtig in Weihnachtsstimmung. Schöner konnte die Weihnachtsfeier bei uns zu Hause auch nicht werden. Als dann das Krippenspiel vorbei war, gingen wir wieder in die Pause und in der Zeit wurde der Klassenraum wieder in Ordnung gebracht.

Dieses sollte jetzt die letzte Stunde sein, danach fingen die Weihnachtsferien an. Keiner von uns hätte je daran geglaubt, dass es jetzt noch schöner wurde. Als wir in die Klasse kamen, hatte sie alle unsere Plätze dekoriert. Sie hatte gebastelt und für jedes von uns einen Weihnachtsengel und einen wunderschönen Stern gemacht. Daneben waren auf einem Papierdeckchen leckere Plätzchen. Sie sagte: "Bitte rührt jetzt nichts an, erst gibt es Schulspeiese.

Wir machten lange Gesichter stellten uns aber dann doch an, mit unserem Essenträger. Da gab es herrlich duftenden Kakao, dazu ein Brötchen und für jedes Kind ein Päckchen, von den Soldaten der Besatzung. Mit einem Strohhalm tranken wir den Kakao und dazu aßen wir die Plätzchen. Danach sangen wir noch ein paar Weihnachtslieder und dann gingen wir heim. Die Geschenke durften wir mitnehmen.

Margot sagte auf dem Heimweg: "Das Päckchen schenke ich meiner Mutter zu Weihnachten, wenn dann Schokolade darin ist, gibt sie es mir sowieso. Meinem Papa schenke ich den Schal, wenn er ihm nicht gefällt, bekomme ich ihn auch wieder." "Ja," stimmte ich bei, "so werde ich es auch machen." Der erste Weihnachtstag gehörte immer uns am zweiten Tag mussten wir zu unseren Omas, das war jedes Jahr so.

Mutti war furchtbar neugierig, sie wollte wissen, was in dem Päckchen sei. Ich sagte ihr, dass sie es zu Weihnachten bekommt. Sie fummelte immer an dem Päckchen herum und schüttelte es. Da nahm ich es und versteckte es angeblich in meinem Zimmer. Aber weil ich wusste, dass sie weiter suchen würde, legte ich es in Vatis Schreibtisch.
Später wurde mir klar, sie dachte ich hätte Geld aus ihrem Geldbeutel genommen, um für sie etwas zu kaufen.

Vati kam zum Essen und musste heute noch einmal zur Arbeit. Sie fragte ihn ob er mir Geld gegeben hätte ein Geschenk zu kaufen. Ich merkte, dass die Luft immer dicker wurde, und hatte fest vor, das Geschenk nun doch nicht ihr zu schenken. Als sich Vati dann ein paar Minuten aufs Sofa legte, ging ich zu ihm in die Stube und zeigte ihm das Päckchen. Es war das gleiche wie ich es schon vor einem Jahr bekommen hatte, da waren Zucker und Kaffee und lauter nützliche Sachen darin, die sie am Ende sowieso genommen hätte. Die Schokolade hätte ich ja schon sehr gern gehabt, aber da verließ ich mich ganz auf Vati.

Er stand vom Sofa auf und wollte, dass ich noch in der Stube bleiben sollte. Dann ging er in die Küche und es wurde laut. Das einzige was ich verstand war: "Der Störenfried hier im Haus bist du ganz allein. Du und dein Misstrauen es ist nicht auszuhalten." Dann ging er und ließ die Türen laut ins Schloss fallen. Mir war es gar nicht recht und ich legte mich auf Sofa und fing an zu heulen. Als ich hörte, dass Mutti ins Zimmer kam, tat ich als ob ich schlief.

Sie ging dann in den Keller und füllte die Heizung auf, danach brachte sie den Weihnachtsbaum mit. "Hilfst du mir den Baum schmücken?" Fragte sie, als sie wieder in die Stube kam. Beim Christbaum schmücken hatte ich noch nie geholfen, obwohl meine Laune gelitten hatte, half ich ihr. Die Kugeln hängte sie selbst auf, denn sie hatte Angst, dass ich sie fallen ließ. Ich brachte die anderen Schmuckstücke an, Tannenzapfen, Pilze und Sterne. Dann wurde das Lametta sorgfältig auf die Zweige verteilt. Ganz am Schluss kam die Spitze auf den Baum.

Ich fand der Baum sah gut aus. "Aber da fehlen noch die Kerzen", bemerkte ich. "Ja, die kommen jetzt zum Schluss," sagte sie und legte den Kasten mit Kerzenhalter auf den Tisch. Sie brachte die Kerzenhalter an und ich steckte neue Kerzen hinein. Jetzt war der Baum fertig und er stand wie im letzten Jahr gleich vorn, hinter der Schiebetür in meinem Zimmer.

So nahm der Tag noch ein gutes Ende und ich ging meine Hühner versorgen. Die jungen Hühner machten sich gut und waren längst nicht mehr so ängstlich. Eier hatten sie aber noch keines gelegt. Ich war etwas enttäuscht, wann würden sie wohl endlich das erste Ei legen? Die anderen Hühner waren immer noch recht fleißig, obwohl sie ja nicht mehr so jung waren. Ilsabein legte immer noch die größten Eier.

Das Futter mischte ich mit Muschelmehl und die Hühner stürzten sich darauf. Ilsabein sollte noch erfahren warum morgen Weihnachten ist und ich erzählte ihr vom Christkind. Seltsamer Weise hörte sie mir zu und sie schaute mich ungläubig an, einmal mit dem rechten Auge, dann mit dem linken. Das war so komisch, dass ich lachen musste Da flatterten die Drillinge ängstlich durch den Stall, und ich zog es vor das Licht zu löschen.

Vati kam abends spät, er hatte sich wieder spritzen lassen. Wir aßen Abendbrot und ich wollte gleich ins Bett, denn Morgen mussten wir ja noch alles auf Hochglanz putzen. Das wusste ich noch vom letzten Jahr, drum schlief ich dann auch schnell ein.

Am nächsten Morgen war ich richtig in Weihnachtsstimmung. Vati war auch da, und musste nicht zur Arbeit, weil die Geschäfte so schlecht liefen, war das Weihnachtsgeschäft nicht so frohlockend gewesen. Er wollte heute richtig ausschlafen, das gönnte ich ihm auf jeden Fall. Die Hühnerstalltür machte ich auf, da sollten die Hennen selbst entscheiden ob sie hinaus gingen oder nicht. Ilsabein saß im Nest und hatte eines der Drillinge dabei. Vielleicht musste sie den jungen Hühnern mal zeigen wie man Eier legt.

Dann ging ich wieder ins Haus um beim Putzen zu helfen. Wir fingen in meinem Zimmer an, und als ich das Fenster aufmachte, sah ich ein wunderschönes Morgenrot. Mutti sagte: "Christkind backt Plätzchen." Wir wischten den Staub von den Möbeln und ich wischte feucht unter den Schränken. Mutti wischte dann den Rest. So putzten wir alle Zimmer und als Vati gefrühstückt hatte, fing er an zu bohnern. Kurz vor Mittag waren wir fertig.

Mutti begann Pfannkuchen zu backen, und in der Zeit wischte ich noch den Hausflur. Vati stellte alle Fahrräder hinaus und kehrte den Hintereingang sauber aus. Dann räumten wir das Putzzeug weg und gingen zum Essen. Die Pfannkuchen hatte Mutti heute mit Gemüse gefüllt, und die waren lecker.

Nach dem Essen machte sie den ersten Grünkohl in diesem Jahr. Das würde es heute Abend geben. Ich sollte meine Sonntagskleidung aus meinem Zimmer holen, denn nachher dürfte ich nicht mehr hinein. Also holte ich das karierte Kleid mit dem roten Lackgürtel dazu, die guten Schuhe und legte es in der Küche auf den Stuhl. Vati und ich gingen wie jedes Jahr auf den Dachboden um dort zu fegen.

Nachher mussten wir wieder die Schnüsen herunter bringen, wie jedes Jahr. "Bleibt nicht so lange oben," rief sie uns nach, "Heute will ich in die Kirche!" Wenn Mutti in die Kirche wollte dann mussten wir mit. Vati und ich gingen die Treppe hinauf. "Das Fegen lassen wir heute," bestimmte Vati, "sie geht das ganze Jahr nicht hier ins Zimmer." Für seine Schummeleien war ich immer zu haben, und ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als ihn zu verpetzen. Vati staubte die Sachen von seiner Lisbeth ab und ich nahm Mamas schwarzen Mantel und zog ihn an.

Er war noch viel zu groß, es würde noch mindestens zwei Jahre dauern, bis ich ihn anziehen konnte. Also kuschelte ich mit dem Pelzkragen und dachte an sie. Immer wieder quälte mich die Frage: Ist sie wohl auch in den Himmel gekommen oder ist sie in der Hölle? Ich gab mir Mühe nicht zu weinen, aber ein paar Tränen kullerten auf den Mantel. Wir räumten wieder auf und Vati schloss die Räucherkammer auf. Dort sammelten wir die leeren Schnüsen ein und machten Ordnung bei den Vorräten. Schließlich brauchten wir wieder Platz, wenn wir in zwei Wochen das Schwein schlachten würden.

Nachdem wir alles abgeschlossen hatten, gingen wir wieder nach unten.

Wir hatten noch genügend Zeit für unseren Nachmittags-Kaffee. Danach ging ich schnell den Hühnerstall schließen, denn wenn wir zurück von der Kirche kämen, würde es dunkel sein. Anschließend richteten wir uns für den Kirchgang.

Am Heiligabend war die Kirche immer brechend voll. Wir hatten auf der Empore unsere Plätze wo wir immer saßen und die waren auch meistens frei. Dort saßen wir in der ersten Reihe und konnten die ganze Kirche überblicken. Rechts und links vom Altar standen immer zwei riesige Weihnachtsbäume. Kurz bevor der Gottesdienst anfing, kam der Kirchendiener mit einer langen Stange auf der oben eine Kerze brannte. Damit zündete er die Kerzen alle an. Der Pastor kam dann herein und las das, was ich ja schon kannte, die Weihnachtsgeschichte. Was mich aber irritierte war, dass das Christkind in der Geschichte ein Junge war und in den Bilderbüchern immer als Mädchen dargestellt wurde. Waren denn vielleicht im Himmel alle nur Mädchen bis auf den Lieben Gott?

Ich war in meinen Gedanken ganz versunken und hörte nichts mehr um mich herum. Wenn gesungen wurde sang ich auch mit, und wenn alle aufstanden tat ich es auch. Trotzdem hatte Mutti gemerkt, dass ich nicht bei der Sache war und sie schimpfte mit mir auf dem ganzen Heimweg. Schließlich erzählte ich ihr, was mich so beschäftigt hatte und sie meinte: "Worüber du dir alles Gedanken machst, das ist mir als Kind nie durch den Kopf gegangen." Vati sah das ganz anders, er fand ich hätte ein Recht darauf, nachzudenken wenn ich es für richtig hielt.

Als wir heim kamen, war es schon dunkel. Mutti brachte das Abendessen auf den Tisch und Vati ging die Heizung auffüllen, während ich noch eine Schaufel Kohlen in den Küchenherd schaufelte. Dann aßen wir unseren Grünkohl mit Mettwürstchen und ich hatte es eilig, ich wollte jetzt sehen was ich zu Weihnachten bekommen hatte. Ich musste wieder geduldig warten, die Küche musste zuerst blitzblank sein. Also spülten wir und Vati und ich räumten den Tisch auf und putzten ihn sauber. Danach kam noch die Tischdecke auf den Tisch.

Wir hatten gar nicht bemerkt, dass Mutti in die Stube gegangen war, um die Kerzen anzuzünden. Dann machte sie die Tür auf und der Christbaum strahlte so schön wie jedes Jahr. Schnell holte ich meine beiden Geschenke und legte sie auf den Tisch. Das Päckchen für Mutti und den Schal für Vati. Wir sangen drei Weihnachtslieder, dann durfte ich endlich sehen was ich bekommen hatte.

Ich hatte schon lange auf den Tisch geschielt und gesehen, dass es etwas großes war. Nun gingen wir alle zum Gabentisch und sahen die Geschenke an. Es war der Rock, an dem Mutti fast zwei Jahre gestrickt hatte. Ein schöner dunkelblauer Faltenrock. Vati band den Schal um und fand ihn sehr schön und warm. Mutti öffnete das Päckchen und packte aus was darin war.

Eine Dose Tunfisch, die bekam Vati und die Schokolade legte sie mir auf den Teller. Dann waren da noch Erdnüsse, die sie verteilte. Die anderen Sachen waren Lebensmittel, die behielt sie. Vati und ich bekamen noch Handschuhe und Vati freute sich schließlich noch über neue Socken. Ich war zufrieden mit dem was ich bekommen hatte. Leider war nichts zum Spielen dabei, denn ich hatte mir doch so ein Mikadospiel gewünscht.

Wir sangen wieder Vatis Lieblings-Weihnachtslied von dem fremden Kind, dem niemand die Tür aufgemacht hatte. Als ich später im Bett lag musste ich daran denken, dass es arme Kinder gibt, die gar nichts bekommen zu Weihnachten. Ich hatte es doch ganz gut, dachte ich. Bei uns war es immer warm, wir hatten immer zu essen und ich hatte etwas warmes zum Anziehen geschenkt bekommen.

Am Weihnachtsmorgen konnte ich es nicht erwarten zu Margot zu kommen. Ich wollte wissen was sie bekommen hatte. Mutti wollte nicht, dass ich vor halb zehn zu ihr ging. Jürgens waren mehr Personen und da dauerte es etwas länger, bis sie mit dem Frühstück fertig waren. Also geduldete ich mich. Ich ging noch einmal nach den Hühnern schauen, und Ilsabein war schon draußen. Sie hatte aber schon ein Ei gelegt und daneben lag ein ganz kleines Kükenei. Hocherfreut lief ich mit dem kleinen Ei in die Küche und zeigte es Mutti. Sie meinte es sähe aus wie ein Taubenei, aber nächste Woche wären die Kükeneier genau so groß wie die anderen. Ich fand die Eier niedlich und hätte gern öfters so kleine gehabt.

Jetzt war es spät genug und ich durfte zu Margot. Die hatte schon auf mich gewartet. Sie hatte auch einen Strickrock bekommen in blau wie meiner, aber nicht so weit. Ich fand er sah mindestens so schön aus wie meiner, obwohl sie keine Tante hatte die Wolle machen konnte. Zu dem Rock gehörte noch ein gestreiften Pullover, farblich genau passend. Spielsachen hatte es bei ihr auch nicht gegeben. Nur ihr kleiner Bruder, der hatte ein Holzauto bekommen. Das zog er jetzt den ganzen Tag durch die Küche, er schien auf jeden Fall glücklich zu sein.

Margot Vater stand vom Sofa auf, ihm war es zu laut in der Küche. Er fragte mich: "Hat sie dich jetzt nicht mehr geschlagen?" "Nee," sagte ich, "im Augenblick ist sie ganz nett." Herr Jürgens meinte: "Vielleicht hat sie was, vielleicht ist sie krank." Da mischte sich Uwe ein, der große Bruder von Margot: "Natürlich hat sie was, im Kopf meine ich. Da hat sie einen Vogel." "Nein, das meine ich nicht, ich dachte an Kopfschmerzen oder sogar Migräne, weil sie immer so jähzornig ist." Der Vater ging jetzt in die Stube und hoffte, dass ihm keiner nachkam. Margot kam mit zu mir, da war es auch viel ruhiger.

Mutti war am Kochen und gab wieder alles, um ein Festmenü zu machen. Wir durften in die Stube und nahmen das Deutschland-Spiel mit. Damit verging die Zeit wie im Flug. Nach dem Essen würde sie wieder kommen, und dann wollten wir weiter spielen. Nachmittags erzählte sie mir, dass die Wohnung viel zu klein sei und sie froh darüber war, morgen zu ihrer Oma zu gehen. Die hat eine riesige Wohnung in einem Beamten-Wohnblock. Margot kam ins schwärmen und erzählte da sei eine große Wohnstube rings um die Stube herum gäbe es viele Schlafzimmer und eine Küche. Einen Korridor gäbe es auch und auf der anderen Seite davon waren noch zwei Arbeitszimmer.

Der Opa war Lehrer und hatte vier Kinder und in den Arbeitszimmern hatte er Musikunterricht gegeben. Aber jetzt war die Oma allein in der großen Wohnung und da könne man herrlich spielen. Ein wenig beneidete ich Margot, aber bei meiner Oma waren noch mehr Zimmer im Haus. Ich sagte aber nichts, denn ich wollte nicht, dass wir unserer Omas wegen Streit bekämen. Jetzt war ich beim Spielen nicht mehr richtig bei der Sache und Margot gewann laufend. Das machte mir aber nichts aus. Sie fragte mich ob ich vielleicht weine, wenn sie jetzt noch einmal gewinnen würde.

Da konnte ich sie beruhigen, wegen verlorenen Spielen würde ich bestimmt nicht weinen. Wir trennten uns, als es schon dunkel wurde und verabredeten uns für den Dienstag.
Am Abend musste ich früh ins Bett, damit wir den Zug um sieben Uhr nehmen konnten.

Mutti weckte mich sehr früh und trotzdem wurden wir kaum fertig. Vati brauchte immer eine Weile um richtig wach zu werden, und zum Rasieren nahm er sich viel Zeit. Mutti versorgte die Heizung und ich die Hühner und das Schwein. Heute sollte ich die Stalltür nicht auf machen, weil es kalt war und wir dann abends schneller fertig waren.

Ich durfte meinen Rock anziehen, den ich gerade bekommen hatte, damit Oma ihn ansehen konnte. Dann eilten wir los, es war glatt und es hatte geschneit. Der Zug war noch nicht so voll und wir hatten Sitzplätze. Der nächste Zug würde sicher ganz voll sein. So kamen wir, nach einer guten halben Stunde Fahrt, in der Mühle an.

Linda kam sofort und zeigte mir ihre Geschenke. Sie hatte Perlen bekommen zum Schmuck basteln. "Habt ihr eigentlich keinen Weihnachtsbaum?" wollte ich wissen. "Doch, aber der ist in der guten Stube," klärte sie mich auf. Da war ich noch nie, deshalb hatte ich auch nie den Baum gesehen. Wir gingen auch dieses Mal nicht in die Stube. Wir spielten in der kleinen Stube, die ich schon kannte. "Wie viele Zimmer habt ihr eigentlich?", fragte ich neugierig.

Linda fand meine Fragerei komisch und sagte, dass sie die Zimmer noch nie gezählt hätte. "Hier unten haben wir die kleine Stube und die gute Stube, Omas Schlafzimmer, die Küche , die Bettenkammer und den Webraum. Auf der Dehle fünf Schlafzimmer, eine Milchkammer und eine Futterküche. Oben hat es noch mal fast so viele." Sie hatte angefangen an den Fingern mitzuzählen, dann hatte sie nicht genug Finger und ließ es sein. Ich wollte auch nicht mehr wissen, denn ich dachte, wer da wohl sauber macht?

Wir spielten mit Lindas Perlen und machten tollen Schmuck. Halsketten und Armbänder und sogar eine Brosche. Zu dumm von mir, dass ich mir einbildete ich dürfte das behalten, was ich gebastelt hatte. Wir gingen zum Kaffee trinken und ich war mächtig stolz auf meinen Schmuck. Als wir uns danach für die Abfahrt richteten, nahm mir Linda alles wieder ab. Fast hätte ich geweint, aber Vati versprach, er hätte da was, da könnte ich so viel Ketten machen wie ich möchte. Im Zug überlegte ich krampfhaft, wo Vati denn wohl Perlen versteckt hatte.

Später, als wir zu Hause waren, fragte ich gleich, ob ich jetzt die Perlen haben könnte. Aber Vati vertröstete mich auf den nächsten Tag, in der Mittagspause würde er sie mir zeigen.

Ich verließ mich darauf, dass Vati die Wahrheit sagte und ging schlafen. Im Bett dachte ich heute nur an Perlen und Schmuck.

Nach dem Frühstück kam Margot und wir erzählten uns unsere Erlebnisse vom Vortag. Margot wusste so viel, dass mir gar keine Zeit zum Erzählen blieb. Gleich bei der Oma von ihr, wohnten fünf Mädchen aus unserer Klasse, und sie hatten so schön gespielt. Jede von ihnen hatte so tolle Spielsachen. Ich war froh, dass die Oma doch ziemlich weit weg wohnte, sonst würde sie sicher jeden Tag dahin gehen.

Kurz vor dem Essen kam ich dann auch noch zum Erzählen und berichtete von dem Schmuck den wir gebastelt hatten. Sie fragte: "Und, hast du Perlen?" Kleinlaut kam es von mir, "vielleicht heute Nachmittag, Vati hat gesagt, er hat Perlen für mich." "Ich komme nach dem Essen wieder," sagte Margot und lief heim.

Vati war noch nicht da, und mich trieb es zu Ilsabein. "Ach Ilsabein," seufzte ich, "ich glaube Margot hat mich nicht mehr lieb, sie hat jetzt fünf neue Freundinnen aber zum Glück habe ich dich noch." In Gedanken machte ich meinen nächsten Sparziergang mit Ilsabein am Halsband. Dann kam Vati zum Essen und ich lief hinter ihm her in die Küche. Mir war klar, dass ich vor dem Essen nichts von den Perlen sagen durfte. Also erst mal essen, danach werde ich fragen.

Mutti wollte wissen, was Margot am zweiten Weihnachtstag gemacht hatte und ich sagte ihr traurig dass sie jetzt fünf neue Freundinnen hätte. Mutti fühlte sich sehr wichtig als sie behauptete, dass man immer nur eine richtige Freundin haben könnte. Ich dachte bei mir: Margot ist so liebenswert, da möchte jeder ihre Freundin sein. Als wir mit dem Essen fertig waren, stupste ich Vati und bat ihn mir die Perlen zu geben, damit ich bei Margot nicht als Lügner dastand.

Er holte die Rosenschere und ging in den Vorgarten, dort war ein Strauch der trug schöne rote Beeren, die ganz fest waren. Sie hatten die Form einer Rosette und in der Mitte eine Vertiefung. "Daraus haben meine Schwestern früher ihre Ketten gemacht und die waren immer wunderschön." Er gab mir noch eine Rolle Leinenfaden und einen Klumpen Wachs. Den Faden sollte ich durch das Wachs ziehen, dann sei er haltbarer.

Im Flur durfte ich die Beeren von den Zweigen abzupfen, die sammelte ich in einer Schüssel. Danach machte ich den Flur schnell wieder sauber damit, Mutti nichts zu bemängeln hatte. Ich kam gerade früh genug um das Geschirr in den Schrank zu räumen. Mutti sah die Beeren und belächelte meine Perlen. "Leg eine Zeitung darunter, wenn ihr damit bastelt," verlangte sie und ich ging gleich eine Zeitung zu holen. Die legte ich auf den Tisch, damit ich es später nicht vergessen konnte.

Margot ließ lange auf sich warten und ich glaubte schon gar nicht mehr, dass sie noch kam. Dann kam sie im Hof um die Ecke und rief wie immer "Miese". Sie wartete nicht bis ich winkte, und kam gleich hereingestürmt. "Hoffentlich hast du warm," keuchte sie. Ich schaute nach dem Feuer und legte noch eine Schüppe Kohlen darauf. Dann gab ich ihr meine Strickjacke, damit es ihr schnell warm werden sollte. "Danke," seufzte sie, "ich glaube ich werde krank, wir waren gestern wohl zu lange draußen."

Wir nahmen jeweils eine Stopfnadel, zogen den gewachsten Faden durch das Öhr, und fingen an Beeren aufzufädeln. "Guck mal, "Jubelte Margot, "das sieht ja ganz edel aus, wie lange hält das denn?" "Keine Ahnung," überlegte ich, "bis die Beeren faulen?" Wir waren uns einig, dass unsere Ketten bis dahin aber die schönsten waren. Also arbeiteten wir wie besessen, um unsere Halsketten fertig zu basteln. So lange vergaß Margot, dass sie ja krank werden wollte. Als sie fertig war mit ihrem Teil, setzte sie sich auf die Fußbank und rückte an den Ofen. Aus den Resten machte ich für sie noch ein Armband um sie zu erfreuen.

Mutti war im Keller am sauber machen, denn morgen sollte der Schlachter kommen. Sie kam herauf um zu sehen ob noch Kaffee in der Kanne war. Dann schaute sie unsere Ketten an und holte für alle ein Stück Kuchen. Margot wollte nichts und hatte rote Wangen, was bei ihr höchst selten war. "Du bist krank Margot," sagte sie sichtlich besorgt, "du hast ja Fieber." Mutti packte sie warm ein. Sie holte sogar noch einen Schal, den sie sorgfältig um sie wickelte. Dann sagte sie: "Bring sie schnell nach Hause, Anneliese, und sag ihrer Mutter, dass sie Margot ins Bett packen soll." Margot nahm ihre Kette und ihr Armband und jammerte: "Was ist mit deiner Strickweste?" "Lass sie an bis du daheim bist," erlaubte Mutti und ließ uns vorne zur Haustür hinaus.

Ich brachte sie nach Hause und Margot jammerte den ganzen Weg. "Jetzt werde ich bestimmt sterben, so schlecht wie es mir ist," stöhnte Margot. Mir fiel in dem Moment nichts anderes ein als zu sagen: "Zwischen Weihnachten und Neujahr da stirbt man nicht." Damit hatte ich ihr ein Lächeln entlockt.

Frau Jürgens packte sie gleich ins Bett und versprach einen Arzt zu rufen. Sie gab mir meine Strickweste mit und sagte beruhigend: "Ein paar Tage lasse ich sie im Bett und dann ist sie wieder gesund. Mach dir keine Sorgen, sie hat sich nur erkältet weil sie gestern so lange draußen war, ohne Mantel."

Ja, dachte ich, dann wäre ich auch krank, und machte mich auf den Heimweg. Mutti war wohl froh, dass Margot ausgerechnet jetzt krank wurde, denn so konnte ich ihr helfen im Keller alles fürs Schlachten vor zu bereiten. Ab morgen Mittag hätte ich ohnehin beim Wursten helfen müssen. Als wir in den Keller gingen, fragte ich sie ob ich denn morgen früh noch einmal schnell zu Margot schauen dürfte. Sie versprach es, und ich half ihr jetzt die vielen Dosen zu spülen, denn die würden wir morgen auch brauchen.

Als es dunkel wurde, ging ich hinauf um die Tiere zu füttern. "Das Schwein bekommt heute Abend nur Wasser, sonst nichts," rief Mutti mir nach, als ich gerade die Schüssel mit Schrot füllen wollte. Ich nahm die Schüssel mit dem Hühnerfutter und dachte, das arme Schwein. Zuerst bekam das Schwein sein Wasser, denn es grunzte und quietschte und hatte Hunger.

Dann ging ich zum Hühnerstall. Die Hühner waren schon seit Tagen nicht mehr hinaus gekommen, denn Mutti hatte Angst, wenn ich die Hühnerstalltür offen ließ, dass sich das Schwein dann erkältet. Weil es aber draußen im kleinen Hühnerhäuschen auf der Wiese jetzt so kalt war, wollte ich, dass sie ihre Eier im Stall legen konnten. Vati hatte außerdem ein Wiesel gesehen, und Wiesel stehlen Eier.

Eben war ich dabei, die Hühner zu füttern, da kam Vati mit dem Schlachter zur Hintertür herein. Wie ein Blitz rannte ich in die Küche und hielt mir die Ohren zu. Ich wollte nicht hören wie das arme Schwein schrie, wenn es in die Waschküche gebracht wurde. Als es aufgehört hatte zu schreien, wusste ich, dass es tot war. Warum mussten wir jedes Jahr ein Schwein haben, es war immer so lieb und wenn es dann geschlachtet wurde, tat es mir jedes mal leid.

Freilich hatten wir dann das ganze Jahr zum Essen, aber sicherlich kann man auch ein totes Schwein kaufen. Margot hatte einmal gesagt: Ein Tier, mit dem ich mich vorher unterhalten habe, das könnte ich nicht essen.- Darüber musste ich unbedingt mal mit Vati sprechen.

Im Keller war Ruhe eingekehrt, man hörte nur noch das Geklapper von Wassereimern. Sonst hatten wir immer nach Neujahr geschlachtet. Weil man aber zwischen Weihnachten und Neujahr nicht waschen soll wollte Mutti, dass man in der Zeit das Schwein schlachtet.Dann kann sie gleich im neuen Jahr waschen. Vati machte immer was Mutti wollte, ganz gleich ob es gut war oder nicht.

Ich fing an den Tisch zu decken, wenn das Schwein auf der Leiter hing, würden sie Hunger haben. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie endlich herauf kamen. Der Schlachter setzte sich auch an den Tisch, er würde morgen kommen das Schwein zu zerlegen. Für heute war er fertig und hatte mächtig Hunger. Als Entschuldigung gab er an, das Brot bei uns sei ganz besonders gut, er könnte nicht genug davon bekommen.

Am kommenden Tag, war Mutti damit beschäftigt alles für das Wursten vorzubereiten. Sie konnte noch nicht anfangen weil der Fleischbeschauer zuerst kommen musste um das Fleisch zu untersuchen. Wenn alles in Ordnung war, dann bekam das Schwein einen Stempel und durfte verarbeitet werden.

Heute morgen gab es für mich keine Arbeit und ich wollte mal schnell nach Margot sehen. Also lief ich durch den Keller um Mutti zu sagen, dass ich mal schnell zu meiner Freundin wollte. Sie war dabei im Keller auf dem großen Herd Bratkartoffeln zu machen, dazu würde es frische gebackene Leber geben. "Schließ die Korridortür ab, dann habe ich nichts dagegen," sagte sie, "aber komm pünktlich zum Essen." "Die Tür habe ich abgeschlossen und ich komme früh genug um den Tisch zu decken," versprach ich. Ich ging durch die Waschküche und streichelte das Schwein, welches zum Auskühlen an der Leiter hing. Es war ein armes Schwein, stellte ich fest.

Margot lag geschwächt vom Fieber im Bett. Da setzte ich mich zu ihr ans Bett und streichelte ihre Hand. "Steck dich nicht an," warnte mich ihre Mutter. "Das ist mir egal," sagte ich großzügig, "Margot leidet auch immer mit mir, schließlich ist sie meine Freundin." Als ich dann weg musste, versprach ich ihr, sie bald wieder zu besuchen, nur morgen würde ich wohl keine Zeit haben. Zu Frau Jürgens sagte ich: "Wenn meine Mutti es erlaubt, bringe ich morgen eine Fleischbrühe für Margot." Das würde sie sehr freuen versicherte sie.

Daheim angekommen, deckte ich den Tisch und schaufelte Kohlen in den Küchenherd, damit es beim Mittagessen in der Küche gemütlich warm wäre. Dann ging ich hinab um zu sehen wie weit Mutti mit dem Essen war. Sie war gerade dabei das Essen in Schüsseln zu füllen. Ich trug die Schüssel mit der Leber in die Küche, während Mutti mit den Bratkartoffeln hinterher kam. Dazu stellten wir noch eine Schüssel Senfgurken auf den Tisch.

Vati war auch schon da und es war ein leckeres Mittagessen. Mutti erkundigte sich nach Margot und ich nutzte die Gelegenheit nachzufragen, ob ich Margot morgen von der guten Brühe bringen dürfte. Sie versprach es und Vati ordnete an, ihr auch von der Stippgrütze zu bringen, damit sie schnell gesund würde.

Ach wie ich mich darüber gefreut habe, endlich konnte ich meiner kranken Freundin etwas Gutes tun. Vor lauter Freude versprach ich jetzt, die Küche allein sauber zu machen. Gleich fing ich an das Geschirr zu spülen, damit Mutti im Keller weitermachen konnte. Ich sollte oben bleiben, bis der Fleischbeschauer da war. Ihm sollte ich zuerst die Tür öffnen und ihn nachher zur Untersuchung der Proben den Küchentisch überlassen. Ich wusste wie das ablief, das hatte ich schon ein paar mal gesehen.

Als das Schwein seinen Stempel hatte, fing Mutti sofort an, das Fleisch für die Mettwust durch den Fleischwolf zu drehen. In einer großen Schüssel mischte sie die Gewürze darunter. Muttis Mettwürste waren immer einmalig, das wusste ich und ich half ihr gern. Sie hatte schon eine große Schüssel voll Zwiebeln geschält und klein geschnitten. Als Vati kam hatten wir die Mettwürstchen fertig. In den nächsten beiden Tagen würden sie mit allen Arbeiten fertig werden.

Ich musste nicht so viel machen, meistens musste ich die Würste abbinden und eine Schlaufe zum aufhängen machen. Das konnte ich und niemand hatte an meiner Arbeit etwas auszusetzen. Weil ich eine schöne Schrift hatte, durfte ich die Dosen beschriften. Auf jeden Deckel schrieb ich die Inhaltsangabe und 1948, obwohl das neue Jahr erst in wenigen Tagen anfing.

Am folgenden Tag schickte mich Mutti mit einer Milchkanne gute Brühe mit Fleischstückchen darin, und einer Schüssel voll Stippgrütze zu Margot. Die Brühe schmeckte ihr und ihre Mutter freute sich darüber.

Wir arbeitete zwei Tage lang und am Wochenende war alles aufgeräumt und sauber gemacht. Am Samstag durfte ich Margot besuchen und sollte die leeren Gefäße mitbringen. Da war sie schon wieder aufgestanden und saß mit ihrem kleinen Bruder auf dem Sofa. Sie war noch etwas blass, aber schon wieder putzmunter. Ihre Mutter wollte, dass sie noch ein paar Tage im Haus blieb, nächste Woche dürfte sie dann wieder draußen spielen.

Inzwischen hatte es wieder geschneit, und wir spielten täglich im Haus. Das neue Jahr begann und wir mussten wieder in die Schule. Margot und ich zogen uns warm an, wir hatten ja warme Strickröcke bekommen. Für die ganz kalten Tage hatten wir Trainingshosen, die unsere Mütter genäht hatten. Meistens waren die aus alten Hosen der Väter, an den Beinenden waren Gummizüge und auch am Bündchen oben. Es war aber früher nicht schicklich, dass Mädchen Hosen trugen. Also sah unsere Kleidung im Winter sehr seltsam aus.

Zuerst zogen wir ein Unterhemd an, darüber ein Leibchen. Mit den Knopfloch-Gummibändern knöpften wir dann unsere langen Strümpfe an. Danach kam die Unterhose und ein möglichst warmer Unterrock. Nun wurde die Trainingshose angezogen in die wir den Unterrock stopften. Als letztes kam dann ein Winterkleid darüber, oder ein Rock mit Pulli. Darüber zogen wir dann noch den Mantel Schal und Mütze.
Wie wir uns damit fortbewegen konnten, ist mir jetzt schleierhaft.

    So kamen wir ohne weitere Erkältung durch den Winter.

Abschied von Fräulein Schneider

 Vati und ich gingen wie jedes Jahr ein Schweinchen holen. Wir hatten immer noch Schnee und liehen uns den Schlitten von Margots Bruder aus. Darauf band Vati die kleine Ferkelkiste. Der Schlitten lief leicht auf dem festen Schnee, und wir waren genau so schnell wie mit dem Bollerwagen.

Auf dem Schlitten war kein Platz für mich wegen der Kiste mit dem Ferkel. Wir hatten eine Wolldecke über das Schweinchen gedeckt. Es sollte sich auf keinem Fall erkälten. Vati erzählte kurzweilige Geschichten und ich hörte ihm gerne zu.

Ich konnte es mir nicht verkneifen zu fragen: Warum müssen wir jedes Jahr das Schwein wieder schlachten, das tut mir immer so leid?" "Wenn die Währungsreform kommt“, dann kann man wieder alles kaufen und dann schlachten wir kein Schwein mehr. Dann kaufen wir unser Fleisch beim Schlachter." "Du hast schon so oft gesagt, dass es eine Währungsreform gibt, und sie hat es immer noch nicht gegeben“, sagte ich missmutig.

Vati war sich ganz sicher, dass es in diesem Jahr so weit war. "Wir haben schon lange Inflation, und es ist viel zu viel Geld im Umlauf, aber keiner kann etwas damit anfangen." Wir kamen zu Hause an, bevor es ganz dunkel war, und ich schaute gleich nach meinen Hühnern, die wollten von mir nichts mehr wissen, ich war einfach zu spät.

Nächste Woche hatte Mutti Geburtstag, wir hatten kein Geschenk für sie. Ich pflückte die ersten Schneeglöckchen. Vati meinte, sie würde ihr Geschenk bekommen wenn die Zeiten wieder besser wären. Trotzdem gab es Torte, und die war gut wie immer.

   Einige Tage später hatte Heinz Geburtstag, Marlies kam um mich einzuladen, sie würde mich wieder mit dem Fahrrad abholen. Mutti war nicht begeistert davon, dass ich immer noch Freundschaft hatte mit Bohnerts. Trotzdem holte sie Plätzchen, die sie noch von Weihnachten hatte und wollte sie einpacken, aber sie konnte keine passende Tüte finden. Darum klebte sie sich eine aus Cellophanpapier. Der Klebstoff war aber so ekelhaft und roch widerlich.

Mittags, als ich von der Schule heimkam, bettelte Mutti, ich sollte doch nicht zu der Feier gehen. Margot und ich könnten doch Puppengeburtstag feiern und die Plätzchen könnten wir dann essen. Als Marlies dann kam um mich abzuholen, schickte sie die fort, und behauptete ich hätte mich erkältet.

Ich wusste genau Heinz würde mich jetzt nie wieder einladen. Nachmittags legte sie uns das Gebäck auf einen Teller und wir durften es essen. Die Weihnachtsplätzchen schmeckten und rochen so nach Klebstoff, dass Margot und ich sie nicht essen konnten. Jetzt war ich heilfroh, dass ich mit denen nicht, zu Heinz zum Geburtstag gegangen war.
Langsam schmolz der Schnee und als die ersten schönen Frühlingstage kamen, wurde ich wieder besonders still. Ich saß mitten auf der Wiese und flocht Kränzchen aus Gänseblümchen und dachte an den Ausflug mit Lilibeth, Lena und Hans. Zwei bis drei Tage war ich völlig mit meinen Gedanken beschäftigt. Meine fertigen Kränzchen hängte Vati am Kirschbaum auf, da blieben sie dann hängen, bis sie herabfielen. Vati verstand mich, er wusste warum ich traurig war. Als ich mit Margot mittwochs zur Flötenstunde ging, brachte sie es fertig mich abzulenken.

Wir saßen wieder an der Else auf unserer Bank und schwärmten davon in einem Orchester mit zuspielen. Fräulein Rosenbaum hatte uns gelobt, und behauptet, wir würden es weit bringen mit unserem Flötenspiel. Stolz und mit geschwollener Brust gingen wir heimwärts, um unseren Müttern davon zu berichten.

Mutti sah das nüchtern: "Ja aber dann brauchst du eine Konzertflöte, die viel Geld kostet, und dann ist es immer noch nicht sicher ob sie dich nehmen, beim Konzert. Musiker sind Hungerleider, die gehen jeden Monat zum Blutspenden, damit sie ihre Miete bezahlen können. Das sieht man ihnen doch an, sie sind alle so blass."

Nein, das war nichts für mich, also schlug ich mir das wieder aus dem Kopf. Ich würde mit Margot darüber sprechen. Ihre Mutter hatte ganz ähnlich reagiert. Trotzdem wollten wir auf unseren Mittwoch nicht verzichten und gingen weiter in die Flötenstunde.

Margot ging freitags wieder zu Höhensonne, das sollte ihr Immunsystem stärken. Sie hatte extra den Freitag ausgesucht, weil ich dann meiner Mutti beim saubermachen half.

Zwei Wochen vor Ostern war bei Tante Martha ein großes Fest. Da würden wieder alle Onkel und Tanten kommen. Ursula und Edelgard hatten Konfirmation. Wir fuhren auch dahin und gingen in die Kirche. Meine beiden Kusinen hatten schöne Kleider an, da fiel mir der schwarze Stoff von Lilibeth ein, sie hätte ja auch Konfirmation haben sollen. Edelgard und ihre Eltern und die kleine Lieselotte feierten bei Tante Martha mit, denn sie hatten ja auch die gleichen Tanten und Edelgards Eltern hatten keinen so großen Hof. Es hieß sie waren arme Leute.

Tante Anni hatte auch ein paar Kinder dabei. Ich versteckte mich, ich wollte nicht spielen, weil ich an Lilibeth denken musste. Zum Festessen gab es Geflügel. Ursula und Edelgart hatten einen Wunschknochen auf ihrem Teller. Sie zogen zu zweit bis der Knochen zerbrach. Es hieß: wer das größere Stück hat darf sich was wünschen. Ich hoffte Edelgard würde das größere Teil haben, aber natürlich hatte es Ursula. Wie immer im Leben, die schon alles hatten, hatten auch noch Glück.

Nach dem Kaffee trinken fuhren wir wieder heim, es wollten zu viele bei Tante Martha übernachten.

Nun ging es aber auf die Osterferien zu, da würde es Zeugnisse geben. Ich hatte wieder tagelang ein komisches Gefühl im Magen. Meine Finger taten mir schon wieder weh, Mutti erwartete immer noch "sehr gut" im Zeugnis, und ich glaubte nicht, dass ich das bekommen würde. Donnerstags bekamen wir unsere Zeugnisse und ich war schon recht kleinlaut beim Frühstück.

Margot war gut gelaunt wie an jedem Tag sie grinste: "Heute gibt es Bilderbücher mit Schlagsahne." "Was ist das," fragte ich neugierig. Sie schmunzelte und meinte: "Das Zeugnis ist das Bilderbuch für deine Mutti und die Schlagsahne kriegst du wenn sie es gesehen hat." Jetzt war es mit meiner guten Laune aus.

Die Lehrerin verkündete dass sie uns jetzt eine Geschichte vorlesen möchte, dann in der zweiten Stunde wollte sie die Zeugnisse verteilen. Die Geschichte war sicher sehr schön, wie alles was sie uns vorlas. Aber ich war mit meinen Gedanken bei dem Zeugnis und hatte Angst. Margot stieß mich ein paar Mal mit dem Ellenbogen und meinte ich sollte zuhören und nicht an was anderes denken. In der zweiten Stunde bekamen wir zuerst einen bunten Bogen mit einem Osterei und einem Hasen. Das sollten wir zu Hause ausschneiden und dann könne man das aufstellen. Wir sollten es Ostern auf den Frühstückstisch stellen, um unsere Eltern zu erfreuen.

Dann gab es Schulspeise und als wir danach unsere Plätze sauber gemacht hatten, holte sie die Zeugnisse aus ihrer Tasche. Wie immer hatten Annelore und Lisa die besten Zeugnisse. Margot und ich kamen ungefähr an zehnter Stelle. Ich wagte einen kurzen Blick und sah überall "gut". Margot war hoch zufrieden und schaute meines an. "Mensch Miese das ist doch prima! Mach doch nicht so ein langes Gesicht."

Als die Schulglocke läutete, verriet uns die Lehrerin, dass sie morgen noch eine Überraschung für und geplant hätte. Sie gab uns einen Brief mit, für unsere Eltern. Die sollten ja oder nein auf den Brief schreiben, den Brief möchte sie morgen wieder einsammeln, mit den unterschriebenen Zeugnissen.

Weil jeder so einen Brief bekommen hatte, war ich nicht neugierig was darin stand. Wir gingen heimwärts, Margot war so gut gelaunt, dass ich sie am liebsten erschlagen hätte. Wie sie bemerkte, dass ich Angst hatte sang sie: "Meine Eltern freuen sich, und Miese die kriegt Schlagsahne." Jetzt war meine Geduld am Ende, und ich ging eingeschnappt an ihr vorbei, direkt nach Hause.

An der Gartentür wartete Ilsabein geduldig auf mich, sie freute sich dass ich da war. "Ja Ilsabein, ich glaube außer dir freut sich niemand wenn ich nach Hause komme." Dann erinnerte ich mich dass Margot zu mir gesagt hatte: "Du musst mutiger sein und frech."

Mutig und selbstbewusst ging ich die fünf Stufen im Flur hinauf und machte die Korridortür auf. Ich kam in die Küche und Mutti schaute mich fragend an: "Bist du schon da?" "Ja," sagte ich, "und ich habe dir auch was mitgebracht." Ich machte meinen Ranzen auf und holte das Buch heraus in dem das Zeugnis aufbewahrt hatte. Das legte ich auf den Tisch und dazu den Brief von Fräulein Schneider. "Da ist ja wieder kein "sehr gut" dabei," keifte sie missmutig. "Aber dafür lauter gut, mir gefällt mein Zeugnis." sagte ich frech, aber mit freundlichem Gesicht. Sie war völlig verwirrt, ich schien sie stutzig zu machen.

Sie wollte ein paar Mal etwas sagen, machten den Mund auf, zitterte mit dem Kinn und machte den Mund wieder zu. Schließlich nahm sie den Brief den ich ihr gegeben hatte und las ihn. Fräulein Schneider möchte sich morgen Nachmittag von euch verabschieden, sie hat eine kleine Abschiedsfeier geplant. "Oh“, fragte ich erfreut, "darf ich da mit?" "Das entscheiden wir, wenn Vati dein Zeugnis gesehen hat." bekam ich zur Antwort.

Vati kam pünktlich zum Mittagessen. Das Essen stand schon auf dem Tisch, und somit musste das Zeugnis warten. Als ich dann die Teller abgeräumt hatte, putzte ich schnell den Tisch ab und legte mein Zeugnis auf Vatis Platz. Vati schaute, drehte es einmal und sagte dann: "Wie ich es auch drehe und wende, es ist von allen Seiten gut." Er holte seinen Füllhalter aus der Innentasche seiner Anzugjacke und unterschrieb.

"Leg es wieder in dein Buch und mach keinen Fleck darauf“, riet er mir. Am liebsten hätte ich Mutti jetzt die Zunge herausgestreckt, aber stattdessen fragte ich, ob nun auf die Abschiedsfeier von unsere Lehrerin dürfte. Vati las noch schnell den Brief und bestimmte: "Dass ist doch klar, da gehst du auch mit." Er schrieb "Ja" auf den Brief und steckte ihn mir in den Ranzen. Dann nahm er seinen Hut und fuhr mit seinem Fahrrad zur Arbeit.

Langsam begriff Mutti, dass ja morgen Freitag war, und ich den ganzen Tag nicht da sein würde. Da fiel ihr plötzlich ein, dass es kein Fehler wäre heute schon mal mit dem Putzen anzufangen. Sie hatte sich an meine Hilfe schon so gewöhnt. Sie fing also gleich an das Putzzeug herzurichten wir würden in meinem Zimmer anfangen. Sie klagte über ihre Hände und könne doch den Lappen nicht aus winden. Sie wollte abstauben und ich sollte wischen. Ich machte das, was sie von mir verlangte, denn sie hatte auf mehreren Fingern Gichtknoten.

Sie behauptete, dass es weh täte und ich hatte Mitleid mit ihr. Ich musste zum Schluss auch noch die Fenster putzen. Das konnte ich überhaupt nicht. Mit Zeitungspapier sollte ich sie nachreiben. Als sie sah, dass ich dazu zu dumm war, übernahm sie das Nachreiben. Sonst müsse sie sich ja schämen. So putzten wir zwei Zimmer. Ich dachte morgen würde sie dann den Rest machen, aber da sagte sie: "Nächste Woche hast du ja Ferien, da können wir dann die anderen Zimmer putzen."

Fenster putzen war etwas Furchtbares. Früher gingen die Fenster nach außen auf und waren meistens 2-flügelig. Im Schlafzimmer meiner Eltern hatten wir ein 3-flügeliges Fenster, das war richtig schlecht zu putzen. Dazu hatten die Fenster auch noch Oberlichter, die man zwar einen Spalt öffnen konnte aber zum Putzen musste man sich draußen auf die Fensterbank stellen. Mit einer Hand konnte man sich festhalten und mit der anderen putzen. Ich hasste Fenster putzen.

Wir gingen morgens wieder zusammen zur Schule, und Margot erkundigte sich wie mir mein Zeugnis bekommen sei. "Gut“, lachte ich. Margot hatte sich nicht zu uns getraut, weil sie Angst vor Muttis schlechter Laune hatte. Umso mehr wunderte sie sich jetzt. "Ich darf auch heute Nachmittag mit zur Abschiedsfeier“, sagte ich voller Glück. "So," sagte Margot "und ich kann nicht, ich muss zur Höhensonne." "Mensch, kannst du da nicht ein anderes Mal hin," rief ich entsetzt. Meine Vorfreude war verschwunden. Wir kamen in der Schule an. Alle freuten sich auf die Feier und niemand dachte daran, dass sich Fräulein Schneider von uns verabschieden wollte.

Sie kam in die Klasse, sammelte die Zeugnisse ein und die Briefe. Alle hatten "ja" auf dem Zettel, außer Margot. Sie tat mir leid und Fräulein Schneider nahm sie in den Arm und sagte: "Dann muss ich mich ja noch heute Morgen von dir verabschieden." Margot verdrückte sich eine Träne, aber dann war sie tapfer.

Wir mussten unsere Schulbücher abgeben, weil die der Schule gehörten. Ich trennte mich ungern von meinem Lesebuch, wir hatten das ja einbinden lassen und es sah aus wie neu. Nach Ostern würden wir einen neuen Lehrer bekommen und ein anderes Klassenzimmer. Wir müssten nach den Ferien in die alte Schule, die gleich hier neben der neuen Schule stand, oben in den ersten Klassenraum. Welchen Lehrer wir haben würden, dass wusste sie noch nicht.

Wir sangen noch einmal das Lied "Es kamen grüne Vögelein" alle fünf Strophen. Danach hatten wir noch eine Stunde Rechnen. Wir machten wieder Wettrechnen, dass gefiel mir immer gut. Nachdem wir die Schulspeise bekommen hatten durften wir nach Hause gehen. Am Nachmittag um zwei Uhr sollten wir auf dem Marktplatz sein, wir würden dann erst einen Ausflug machen und dann in einem Gasthof feiern, wo sie einen Saal bestellt hatte. Margot und ich gingen gemeinsam heim. Ich konnte mich gar nicht mehr richtig freuen, weil sie doch nicht mit durfte.

Wir gingen zum Essen und ich hoffte im Geheimen, dass Margots Mutter sie doch noch zur Abschiedsfeier ließ. Ich konnte es nicht verstehen, die Höhensonne konnte sie doch immer bekommen, aber die Abschiedsfeier von Fräulein Schneider die war nur heute.

Nachmittags ging ich erwartungsvoll bei Margot vorbei und rief sie im Hof. Ihre Mutter kam ans Fenster und bedauerte, dass Margot nicht mitkönnte. Also ging ich allein zum Marktplatz. Die meisten Kinder waren schon da und Fräulein Schneider kam mit einem großen Koffer. Alle wollten wissen was in dem Koffer wäre, aber sie verriet es nicht, sie sagte nur, der sei leicht. Wir stellten uns auf in Reihen zu jeweils drei Mädchen und dann marschierten wir los, in Richtung Hasenberg. Das Wetter war schön, aber Mutti hatte darauf bestanden, dass ich meinen Mantel anzog, ich konnte ihn ja offen lassen.

An der Mergelkuhle ging es noch weiter, wir kamen zu dem Gasthof, den ich ja schon kannte. Dort zählte uns die Lehrerin, und wir durften hineingehen. Im Saal waren große Tische zusammen geschoben, die waren liebevoll eingedeckt. Den Koffer hatte Fräulein Schneider bei der Wirtin abgegeben.

Nun setzte sie sich ganz in die Mitte der U-förmig aufgestellten Tische. Alle rannten und drängelten und wollten am nächsten bei der Lehrerin sitzen. Ich nahm den Platz, der zum Schluss übrig war. Für mich war ja jetzt keine Freundin dabei. Wir bekamen Kakao oder Milch, ich weiß es nicht mehr so genau, und auf den Tisch stellte die Wirtin große Teller mit Butterkuchen. Obwohl ich fast jeden Tag Butterkuchen zu Hause hatte, der schmeckte mir immer.

Unsere Lehrerin war eine kluge Frau, sie wusste, dass viele Kinder keinen Kuchen daheim hatten. So sagte sie: "Wenn ich es euch sage, dann dürft ihr ein Stück Kuchen nehmen, also immer dann wenn ich es sage. Jetzt nehmen wir und alle das erste Stück Kuchen." Die Wirtin schenkte uns nach, wenn wir unsere Tasse leer hatten, und wir aßen ein Stück Kuchen nach dem andere.

Dann wurden die Tische abgeräumt und unsere Lehrerin spielte uns eine kleine Anekdote vor. Sie hatte ein kurzes Röckchen an und sich kleine Zöpfchen gemacht. Dann spielte das "Köfferchen, vorgetragen von Klein-Margret." Als sie fertig war, sagte sie: "Das Köfferchen, weggetragen von Klein-Margret." Ich fand es sehr goldig und musste deshalb auch lachen, aber ich hatte den Eindruck, dass die meisten Kinder es nicht komisch fanden.

Danach spielten wir "die Reise nach Jerusalem." Ich war immer die erste die keinen Platz mehr hatte, drum ging ich in den Garten, und setzte mich an den Tisch, an dem ich mit Vati meine erste Brause getrunken hatte. Ich dachte an vieles, nur nicht an das was um mich herum passierte. Es fing an zu regnen, ganz leicht, trotzdem ging ich noch nicht ins Haus.

In dem Gasthaus rüstete sich Fräulein Schneider für den Heimweg, und die ersten Kinder rannten zum Bus. Die anderen Kinder zogen ihre Mäntel an. Ich hatte meinen schon an und saß immer noch im Garten. Da nun nicht mehr alle Kinder zusammen waren, zählte sie nicht, sondern schaute nur ob alle Mäntel weg waren. Dann sah ich wie sie mit den Kindern um die Ecke bog.

Langsam kam ich in die Wirklichkeit zurück. Da schaute ich noch einmal in das Gasthaus und dort war nur noch Elli aus unserer Klasse, aber die wohnte hier. Elli berichtete: "Sie sind alle weg, du musst den Bus nehmen." Der Regen wurde schlimmer und ich machte den Mantel zu. An der Bushaltestelle war es dann zugig und ich hatte ja gar kein Geld, also ging ich nach einiger Zeit zu Fuß zurück. Den Weg kannte ich ja. Als ich dann daheim ankam war ich klatschnass. Mutti half mir aus den nassen Kleidern, ich merkte, dass es ihr nicht gefiel, aber sie sagte nichts.

Nach einer Weile wollte sie wissen wie denn die Feier war. Haarklein berichtete ich, bis auf den Schluss, den behielt ich für mich. Mutti fand ich sei zu langsam, bei der Reise nach Jerusalem habe sie immer einen Platz gehabt. Das war mir schon klar, sie konnte alles, sie wusste alles und sie hatte immer nur "sehr gut" im Zeugnis. - Ich glaubte ihr kein Wort von dem, was sie erzählte.

An diesem Tag durfte ich nicht mehr zu Margot, ich sollte mich richtig durch wärmen und am Abend mit einer Wolldecke ins Bett, damit ich nicht krank würde. Nicht einmal zu den Hühnern durfte ich. Sie ging die Tiere selber versorgen und ich erzählte Vati was ich erlebt hatte, aber auch ihm nicht den Schluss. Es konnte ja sein, dass er sich aufregen würde weil Fräulein Schneider die Übersicht verloren hatte.

Vati lobte die Lehrerin in den höchsten Tönen, dass sie außerhalb vom Unterricht sich so viel Mühe mit uns gegeben hatte. Mutti gab ihm recht. Sie packte mich warm ins Bett, als wir mit dem Abendessen fertig waren.

Am nächsten Morgen war ich gut ausgeschlafen und nicht erkältet.
Margot kam nach dem Mittagessen und hatte die Bilder dabei, die wir ausschneiden sollten für den Ostertisch. Wir gingen in mein Zimmer weil Mutti das doch nicht sehen sollte. Als wir sagten, dass es eine Überraschung sein sollte, sah sie es auch ein und ließ uns in Ruhe. Bei der Gelegenheit konnte ich ihr alles genau berichten, ihr erzählte ich auch den Schluss. "Ach, ich wäre so gern mitgekommen," sagte sie traurig aber ich tat ihr leid, dass ich so allein, im strömenden Regen heim musste.

Wir stellten probeweise unsere Osterhasen und Eier auf und fanden es sehr schön. Dann räumten wir alles gut weg bis Ostern. Der Regen hatte das schöne Frühlingswetter wieder verjagt und in der Küche war der kleine Herd wieder angeheizt. Dahin gingen wir jetzt, um unser Deutschlandspiel zu spielen. Wir spielten bis Vati kam, und dann ging ich die Hühner füttern. Die Hühner standen vor der Stalltür und wollten hinein, die Tür war nicht offen, wahrscheinlich hatte der Wind sie zugeschlagen. Jetzt musste ich schauen, ob sie ihre Eier draußen in das Häuschen gelegt hatten. In Zukunft würde ich bestimmt darauf achten dass die offene Tür mit den Riegel gesichert war.

In der Woche darauf machte Mutti mit mir ihren "dringend notwendigen" Frühjahrsputz, den sie dann ausgiebig ausweitete. Der Keller kam auch dran, da mussten die Fenster sauber gemacht werden. Es blieb nichts ungeputzt. Matratzen und Teppiche wurden geklopft und Vati bespannte das demolierte Sofa mit einer neuen Rückwand. Bis in ein oder zwei Jahren würde ihr sicherlich noch eine Krankheit einfallen, und dann würde sie am Ende gar nichts mehr putzen, sondern nur noch Anweisungen geben.

Margot traute sich die ganze Woche nicht zu mir, erst am Karfreitag kam sie vorsichtig des Nachmittags um die Ecke um zu fragen, ob ich vielleicht mit ihr ein wenig spielen würde. Mutti setzte ihr falsch-freundliches Lächeln auf und säuselte: "Aber natürlich könnt ihr beiden miteinander spielen."

Dann wurde es Ostern und wir fuhren wie immer zu Tante Martha. Frau Bollmann versprach einen Tag lang die Tiere zu versorgen, und so blieben wir wieder über Nacht. Ich spielte wie immer mit Linda. Mutti wusste so viel zu erzählen, so dass sie ständig in der Küche neben Oma saß. Vati und ich machten eine große Stallbesichtigung. Der Stall und die Tiere interessierten mich immer. Vati genoss es mit mir allein zu sein, in der Küche bei Oma, hatte er sowieso kein Mitspracherecht.

So trödelten wir auch noch zum Mühlenteich und schauten den jungen Enten zu. Da schwammen dicke Karpfen und Forellen in dem Teich. Vati und ich hätten so gern einen Fisch gehabt, aber wir trauten uns nicht zu fragen. Onkel Rudolf beobachtete uns und fragte ob wir Fisch mögen. "Gerne," bekundete ich, und hoffte, dass er uns eine Angel gäbe. "Dann kommt mal mit in die Mühle, da sind wir heute ungestört“, forderte er uns auf.

Er stellte uns zwei Stühle an einen kleinen Tisch und versprach, gleich wieder da zu sein. Wir warteten und rätselten was er uns wohl bringen würde. Er kam zurück mit drei Tellern, Besteck und einem Brotkorb. Das stellte er auf den Tisch und zog sich einen Schemel an den Tisch. Auf jedem Teller lag eine frisch geräucherte Forelle. Mir zerlegte Onkel Rudolf meinen Fisch in zwei Teile und nahm die Gräten vorsichtig heraus. Darüber war ich heilfroh, denn Gräten mochte ich nicht im Mund haben. Der Onkel hatte noch Saft auf den Tisch gestellt, damit der Fisch besser rutschte.

Wir aßen langsam und genossen die unverhoffte Fischmahlzeit. Onkel Rudolf wusste sehr gut, dass Mutti Fisch verabscheute. Darum versprach er uns, noch vor unserer Abreise, zwei Fische in unseren Koffer zu schmuggeln. Vati und ich strahlten. Es war aber schon elf Uhr und in einer Stunde würde es bald schon wieder Essen geben. Vati schlug vor, noch einen Sparziergang zu machen, dann hätte es erneut Platz im Magen. Linda wollte auch mit und wir gingen bis zum Dorf und wieder zurück.

Danach waren wir pünktlich zum Essen in der Küche. Vati und ich hielten uns vornehm mit dem Essen zurück. Wir nahmen nur wenig auf den Teller, es fiel uns nicht schwer den Teller leer zu essen, denn das Essen bei Tante Martha war immer göttlich. "Warum esst ihr denn so wenig," wollte sie wissen, und Vati kam mit seinem Spruch: "Wer nichts arbeitet muss auch nichts essen." Oma fand das sehr gut und nickte beifällig. Mutti ihr Gesicht verriet, dass sie sich für ihren Gatten schämte.

Nach dem Essen sollten wir Ostereier suchen. Linda und ich stürmten hinaus. Ursula nahm die gefundenen Eier in den Korb und zählte sie damit am Ende keines fehlte.

Abends durfte ich mit Linda, in einer der Kammern an der Dehle schlafen. Linda schwätzte noch lange. Als sie endlich eingeschlafen war, hatte ich Zeit über den Tag nachzudenken. Das war von mir eine Angewohnheit, die gehörte einfach zu jedem Tag dazu. Früher, als ich noch mit Lena im mittleren Schlafzimmer geschlafen hatte, da waren die Türen alle offen. Hans und Elisabeth hatten sich immer noch über das erlebte ausgetauscht und ich durfte dann auch immer meine Meinung äußern. Hans hatte dann immer gefragt: "Clärchen, willst du auch noch deinen Senf dazu geben?" Ach ja, damals, als ich noch Clara hieß. -

Ich wurde morgens wach, als die Magd mit den Milchkannen klapperte. Das muss ziemlich früh gewesen sein, denn als ich mich waschen wollte, erwischte mich die Magd und schickte mich wieder ins Bett. "Es ist noch viel zu früh, für kleine Mädchen", sagte sie zu mir. Also schlich ich wieder ins Bett und wartete geduldig, bis Linda ausgeschlafen hatte. Tante Martha kam herein und wollte uns wecken, aber da waren wir schon auf.

Wir wollten heute Tante Liese besuchen, aber die muss doch morgens Milch ausfahren, so konnten wir erst mittags zu ihr. Den Vormittag spielten wir mit Lindas Zauberkasten. Da waren wirklich seltsame Dinge dabei. Als wir die Tricks alle ausprobiert hatten, spielten wir mit einem Kreisel. Ich hatte so etwas schon gesehen, aber noch nie damit gespielt. Nach mehreren missglückten Versuchen, hatte ich den Dreh raus. Zuerst wurde das Band von einer Peitsche um den Kreisel gewickelt, dann wurde auf dem Boden mit Schwung die Peitsche weggezogen. Wenn der Kreisel dann langsamer wurde, musste man ihn mit Peitschenschlägen wieder auf Geschwindigkeit bringen.

Vati schaute sich das Ding genau an und wollte mir auch einen machen. Linda hatte auch eine Strickkiesel und Vati wusste wie das funktionierte. Er zeigte es mir und ich war sehr beeindruckt.

Tante Liese hatte wieder Wolle gemacht und wir bekamen auch davon. Sie machte immer so schöne Wolle, die sich weich anfühlte. Tante Liese kam selten in die Mühle, Oma war nicht so glücklich, dass sie einen kleinen armen Bauern geheiratet hatte, und dazu auch noch Milch ausfahren musste. Alle anderen Töchter waren reich verheiratet außer Mutti, aber sie hatte ja auch in die Stadt geheiratet. Da hatten sie ein eigenes Haus mit einem großen Garten, das war scheinbar für Oma in Ordnung.

Wir blieben eine Stunde etwa bei Tante Liese und ich spielte mit der Kleinen, die auch selten jemanden zum spielen hatte. Zum Kaffee blieben wir nicht, da gingen wir wieder zurück zur Mühle. Tante Martha wartete schon mit dem Kaffee. Sie hatte Mutti schon einige gute Sachen in ihr Köfferchen gepackt. Ob Onkel Rudolf an die Fische gedacht hatte? Ich stupste Vati und der nickte. Vati und ich mussten nicht reden, wir verstanden uns mit Blicken.

Nach dem Kaffee verabschiedeten wir uns von allen und gingen zu dem kleinen Bahnhof um mit dem nächsten Zug heim zu fahren. Als wir ankamen, war es noch hell. Ich versorgte die Hühner und Mutti fütterte das Schwein. Vati ging mit dem Köfferchen in die Küche und brachte die Fische in Sicherheit. Heute hatten wir ja schon Fisch, wir würden sie in den nächste Tagen essen.

Mutti kam in die Küche und schnupperte. "Was stinkt da so?" Schnell zündete Vati eine Zigarre an, er nahm einen gehörigen Zug und blies Mutti den Rauch ins Gesicht. Ich glaube ich wurde rot, und Mutti schaute mich streng an. Sie ging in die Speisekammer um die Butter und Wurst zu holen. Dummerweise lief ich ihr nach um ihr ein paar Teile abzunehmen.

Sie schnupperte wieder. "Du hast deine Hose nass gemacht“, behauptete sie, "du stinkst." Vati verschluckte sich und hustete. Mutti wollte meine Unterhose sehen, und ich zeigte sie ihr. "Vielleicht ist Vati der Übeltäter," lachte ich. "Ja oder Mutti selbst," hänselte Vati. Sie fand das nicht lustig, und behauptet einen guten Geruchssinn zu haben. Nach dem Abendessen brachte ich alles in die Speisekammer und jetzt roch ich es auch. Vati und ich hatten jetzt ein Problem.

Nun bot ich an, allein zu spülen, die beiden sollten ruhig ins Wohnzimmer gehen. Vati stand gleich erleichtert auf, aber Mutti wollte jetzt suchen was in ihrer Speisekammer so stankt. Da blieb er vorsichtshalber auch in der Küche. Ich hatte noch keine zwei Tassen gespült, als sie mit einem Päckchen aus der Vorratskammer kam. Sie schaute mich scharf an, "Was ist das hier?" "Das gehört mir, ich habe es von deinem Bruder bekommen“, fuhr Vati sie an, "gib das sofort her." "Bring die verstunkenen Fische in den Keller“, fuhr sie ihn an, "die könnt ihr morgen draußen essen."

Vati lachte und packte die Fische noch einmal in eine Zeitung, roch genüsslich an seinem Paket, nahm ein Netz und steckte das Päckchen darein. "Ich werde sie im Keller an einen Haken hängen, bis morgen, damit kein Mäuschen daran geht. Dazu wollen wir dann morgen ein paar Bratkartoffeln." Somit nahm er das Netz und ging in den Keller. Als er zur Küchentür hinausging hörte ich ihn "Giftzwerg" bruddeln. Sie schrie ihm nach: "Das habe ich gehört, aber die Hausordnung bestimme ich." Nach dem Spülen ging ich ins Bett, ich hatte genug für heute.

Am nächsten Tag machte Mutti mittags Bratkartoffeln für uns. Sie ging in die Stube zum Essen und wir aßen in der Küche. Wir ließen uns von nichts unsere Mahlzeit vermiesen, auch nicht davon, dass ich das Geschirr später zweimal scheuern musste. Sie schnupperte an jedem Teil, scheinbar wollte sie mir die Lust auf Fisch verderben.

Das Geld lag auf der Straße

 

Margot und ich gingen nach den Osterferien erwartungsvoll in die Schule. Unser neues Klassenzimmer, in dem alten Schulgebäude hatten wir schnell gefunden. Die Treppe war schon sehr alt, und manche Stufen hatten Löcher. Genau so waren auch die Bänke in dem Klassenraum. Die waren zwar jetzt nicht mehr so klein, aber wirklich alt und überall bemalt und verkritzelt. An jedem Platz war ein Tintenfass.

Margot setzte sich wieder zu mir, wir saßen in der Fensterreihe. Da betrat ein alter Mann unseren Klassenraum. Er war groß, und hatte leicht versetzte Ohren er sah recht seltsam aus. Dann stellte er sich vor, als unser neuer Lehrer, und wenn wir gut aufpassen würden, kämen wir gut mit ihm aus. Sein Name war "Herr Jeschke."

Unsere Sitzordnung gefiel ihm nicht. In die erste Reihe kamen die, mit Seh- oder Hörstörung. Dann brachte er die ganze Klasse durcheinander. Margot kam an die andere Seite der Klasse. Mich ließ er am Fenster sitzen. Wer neben mir saß, weiß ich nicht mehr, ich glaube ich habe nie mit ihr gesprochen.

Der Lehrer verteilte neue Schulbücher und fragte jeden nach seinem Namen und den Beruf des Vaters oder der Mutter. Kurzum er fragte mehr wie er normalerweise wissen musste. Danach, so dachte ich standen seine Lieblingsschüler schon fest. Bei mir war es so, dass ich alle Namen wusste, auch wo sie wohnten und ich kannte den Beruf der Eltern. Bis auf ein paar wenige wusste ich nicht, welcher Name zu welchem Mädchen gehörte.

Nach der Pause hatte unser Lehrer seinen Spitznamen weg. Wenn die Mädchen von ihm sprachen, dann sagten sie Opa. Nach der großen Pause gab es viele Diskussionen unter den Schülerinnen und eine stand Schmiere an der Tür. Plötzlich rief sie "Opa kommt". Herr Jeschke schien gut zu hören und er kam in die Klasse, setzte sich an sein Pult, und rief das Mädchen auf, die er erwischt hatte. "Seht euch alle mein Enkeltöchterchen an“, sagte er, das war alles. Fortan nannte er sie immer Enkeltöchterchen.

Margot konnte sich auf dem Heimweg überhaupt nicht beruhigen. "Der Opa, hat uns auseinander gesetzt“, schimpfte sie. Ehrlich gesagt, ich hatte das noch gar nicht richtig realisiert. In den Pausen hatte ich ja Margot noch und das war mir wichtig.

Mutti war schadenfroh, denn sie hatte ja immer behauptet, dass wir nicht aufpassten wenn wie neben einander in der Bank saßen. Vati behauptete dass der Lehrer Flüchtling sei, denn einen Lehrer Jeschke habe es hier noch nie gegeben.

Wir mussten einen Federhalter besorgen und eine Schreibfeder. Dazu Schreib- und Rechenhefte. Vati fand noch einen fast neuen Federhalter und eine passende Feder. Mutti ging in die Stadt um die Hefte zu kaufen. Das was sie bekam war eine Katastrophe. Die Hefte waren aus Altpapier und mit lauter Holzsplitter im Papier. Für Bleistift wäre es gut gegangen, aber für Tinte war das Papier eine wahre Herausforderung. Die Holzsplitter blieben an der Feder hängen und verschmierten die Schrift.

Dazu kam, dass die Tinte in dem Tintenfass vollkommen verschmutzt war. Ich nahm einen Lappen mit in die Schule und versuchte den Dreck aus dem Tintenfass zu holen, aber es war zwecklos. Da bekam ich von Vati ein eigenes Tintenfass, das sollte ich gut zugeschraubt nicht aus der Hand geben. Der Lehrer wollte mir das Tintenfass wegnehmen, ich hätte ja eines in der Bank.

Da half mir Lore, sie saß wieder vor mir und sie zeigte Herrn Jeschke das verdreckte Tintenfass. Dass ihre sei auch so schmutzig und sie würde morgen auch ihr eigenes Tintenfass mitbringen. Dankbar schaute ich Annelore an, die wir alle Lore nannten. Sie war bei jedem Lehrer Lieblingsschülerin, denn ihre Eltern hatten ein Bekleidungsgeschäft. Auch die Mitschülerin drängelte sich immer um sie, alle wollten ihre Freundin sein.

Ich wusste, dass sie auch adoptiert war. Niemand wusste das außer mir, nicht einmal sie selbst, und ich würde nichts verraten. Ich träumte davon, auch einmal zu ihren Freundinnen zu gehören. Einmal versuchte ich zu punkten indem ich damit angab, dass mein Onkel auch ein Bekleidungshaus hatte. Aber warum eigentlich, ich hatte ja Margot, und die war nicht nur einfach eine Freundin, sie war die beste Freundin überhaupt.

Zum Festplatz am Maifeiertag ging Mutti nicht wieder mit, sie schämte sich, weil dort vorwiegend Arbeiter mit ihren Kindern waren. Außerdem war es ihr ein Dorn im Auge das Vati bei der Gewerkschaft so bekannt war und alle ihn ansprachen. Mir machte das nichts aus und ich war stolz auf Vati. Wir konnten in Ruhe unsere Bratwurst essen, und die war wieder besonders lecker. Auf das Karussell fahren verzichtete ich, dafür wollte ich gern ein paar Lose haben. Gewonnen habe ich nichts das ärgerte mich. Dann genehmigte Vati sich ein kleines Bierchen und ich bekam ein Eis. Ich hatte noch nie Eis gegessen und leckte langsam daran. Der Tag war wegen dem Eis, wieder ein ganz besonderes Erlebnis.

Margot und ich gingen wie immer gemeinsam wie zur Schule. Dass wir nicht mehr zusammen sitzen durften, hatten wir längst verkraftet. Wir gingen auch weiterhin zur Flötenstunde obwohl wir ja schon sehr gut spielten, aber wir wollten den Mittwoch weiterhin als unseren Tag beibehalten. Unsere Viertelstunde auf der Bank an der Else, war nach wie vor für uns der Höhepunkt der Woche. Seit dem Vati sich dafür eingesetzt hatte mir etwas Spielraum zu lassen, konnten wir nun auch hin und wieder etwas länger sitzen bleiben.

Mit dem neuen Lehrer kam ich ganz gut klar, da ich von Natur aus sehr ruhig war, hatte er nichts an mir auszusetzen. Ich war nicht vorlaut und schwätzte nicht, und das gefiel ihm scheinbar. Wir bekamen immer noch Schulspeise und ich machte mir Gedanken darüber wie lange die alte morsche Holztreppe noch standhielt, wenn die großen Jungs den schweren Behälter zu uns hinauf brachten.

Wenn ich die Treppe hinauf ging hatte ich immer Angst sie würde zusammen brechen, bevor ich wieder unten war. Beim hinuntergehen hatte ich mit meiner Höhenangst zu kämpfen, vor allen wenn ich allein auf der Treppe war. So kam es dann auch, dass ich einmal die Treppe hinunterfiel. Eine Schulkameradin hatte das gesehen, und nicht glauben können, dass mir nichts passiert war.

Das Fenster, an dem ich saß war undicht und ich hatte laufend Ohrenschmerzen. Mutti gab mir ein Katzenfell mit in die Schule. Das hielt ich während des Unterrichtes immer an mein Ohr. Es dauerte eine Zeit lang, da hatte sich auch Herr Jeschke an den Anblick gewöhnt. Dann bekamen wir Pfingstferien, und mein Geburtstag stand unmittelbar bevor. Margot freute sich schon darauf, obwohl wir dem Tag mit gemischten Gefühlen entgegen sahen. Der 20. Mai war der Todestag von Muttis herzallerliebsten Heidrun. Mir kamen Zweifel ob ich ihn feiern durfte. Ich wollte es darauf ankommen lassen.

Am Abend vor meinem Geburtstag fing Mutti schon an ständig zu weinen. Sie sprach nur über Heidrun und ich war soweit, dass ich das Mädchen hätte umbringen können wenn sie nicht schon tot gewesen wäre. Abends lag ich weinend im Bett. Margots Mutter hatte recht, sie hatte vor einem Jahr gesagt: "Oh je, jetzt wirst du nie wieder deinen Geburtstag feiern dürfen." Damals hatte ich gehofft sie hätte unrecht.

Als Margot dann kam, ging ich zu ihr in den Hof um ihr die Lage zu erklären. "Das hatte ich mir schon gedacht, und habe einen Ersatzplan." Zuerst gab sie mir ein Geschenk und ich sollte gleich hineinschauen. Ich fühlte, dass es ein Buch war und band das Päckchen los. Es war ein Poesie-Album wunderschön mit goldenem Rand außen. "Da steht auch etwas darin“, machte mich Margot aufmerksam. Da schlug ich das Buch auf, und auf einer der ersten Seiten hatte Margot einen Spruch hinein geschrieben:

Wenn du einst nach vielen Jahren, diese Zeilen wirst durchlesen,
denk daran wie froh wir waren, als wir Kinder noch gewesen,
und mit frohem heit´ren Sinn, gingen zu der Schule hin.

"Das ist aber schön," sagte ich und war ganz begeistert. "Woher hast du das denn bloß?" Margots Mutter hatte es besorgt, es sollte ein ganz besonderes Geschenk sein für mich. Dabei dachte ich mir nichts, ich freute mich einfach.

Margot wollte jetzt mit mir zum Bergschlösschen gehen und Maikäfer suchen. Ich sollte eine leere Zigarrenkiste holen. Im Haus suchte ich mir eine leere Kiste und sagte Mutti, dass ich jetzt Maikäfer suchen gehe. Ihr war heute alles gleich. Also zogen wir los.

Da waren auch noch die Kinder aus der alten Fabrik und wir fanden auch ein paar Käfer. Soviel wie ich weiß, gab es da drei verschiedene Sorten. Ich fand natürlich nur die einfachen, das waren, wenn ich mich recht erinnere die "Schornsteinfeger." Wir legten Laub mit in die Kiste und am Ende hatte ich fünf oder sechs.

Ich zeigte sie stolz Mutti und die schrie: "Bring die Käfer sofort nach draußen!" Ich war ganz unglücklich und ging und zeigte sie meiner Ilsabein. Als ich die Schachtel auf machte flog der erste gleich weg. Über die anderen machte sich Ilsabein her. Na, dachte ich, wenn sie dir bekommen.

Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit den Hühnern, denn Margot war schon heim gelaufen um ihre Maikäfer ihrer Mutter zu zeigen. Sie hatte sogar einen "Müller" gefunden. Bis Vati kam blieb ich bei den Hühnern, ich wollte Mutti nicht mehr stören. Er wollte wissen ob ich einen schönen Geburtstag hatte und ich sagte, dass er mir gefallen hätte.

Wenn ich die Wahrheit sagen würde, dann hätte er vielleicht mit Mutti geschimpft, und die hatte doch heute ihren Trauertag. Später zeigte ich ihm das Geschenk von Margot und er schaute mich traurig an und meinte nur: "Ein schönes Andenken an sie." Ich merkte immer noch nichts.

Nach Pfingsten gingen wir wieder in die Schule, Herr Jeschke hatte uns Schulbücher organisiert für Mathematik und für Rechtschreibung das waren die reinsten Fetzen. Aber wenigsten hatten wir jeder ein Schulbuch. Mutti machte Umschläge um die Bücher und wies mich an, sie vorsichtig zu behandeln. Sie wollte nicht schon wieder zum Buchbinder gehen und betteln, die Bücher einzubinden.

Jeden Tag erzählte uns unser Lehrer, dass wir jetzt bald ein Diktat schreiben würden und das mit Federhalter. Dummerweise erzählte ich das zu Hause, und Mutti erinnerte mich laufend daran. "Üb auch fleißig, damit du mit null Fehlern heim kommst. Und schreib schön, die Schrift wird auch benotet." Mir taten jetzt schon meine Finger weh, und ich hatte noch gar nicht geschrieben. Es war eine Katastrophe mit meinen Fingern, sobald ich Angst hatte, oder unter Druck stand, schmerzten mich meine Gelenke an den Händen.

Ich würde ganz bestimmt keinen einzigen Satz in mein Heft schreiben können. Dazu kam auch noch das schlechte Papier. Dann kam der Tag an dem er sagte: "Morgen früh in der ersten Stunde schreiben wir ein Diktat." Ich übte am Nachmittag mit Margot, sie diktierte mir, und ich schrieb mit dem Federhalter. Wenn sie wenigsten in der Schule noch neben mir gesessen wäre, dann hätte mich das beruhigt.

Wir gingen morgens in die Schule und warteten auf Herrn Jeschke. "Achtung Opa kommt“, flüsterte wieder jemand und ich wäre am liebsten weggelaufen. Wir sollten unsere Hefte aus dem Ranzen nehmen und er fing an mit der Überschrift. Mir fiel es schwer schöne Buchstaben zu machen, ich war ganz verkrampft. Herr Jeschke ging durch die Reihen und schaute ob jeder mit der Überschrift fertig war. Dann diktierte er weiter, langsam und sehr deutlich und fragte immer ob wir mitkämen. Wer nicht mitkäme, sollte sich melden.

Da waren Mädchen, die langsamer waren als ich und ich hatte am Ende nur einmal geschmiert wegen der Holzsplitter im Papier. Ich war erleichtert, so ein Diktat bei diesem Lehrer war gar nicht so schlimm. Als wir den nächsten Tag unsere Hefte zurück bekamen, hatte ich doch einen Fehler und die Schrift war zwei minus. Trotzdem hatte ich "gut" bekommen und war ganz glücklich.

Als ich Mutti meine Arbeit zeigte fand sie es gar nicht gut. Der Fehler hätte nicht sein müssen wetterte sie, es sei ein reiner Flüchtigkeitsfehler ich sei nicht bei der Sache gewesen. Auch die Schrift ließe zu wünschen übrig.

An diesem Tag gab sie mir auf, eine Seite voll mit dem Satz - ich darf keine Flüchtigkeitsfehler machen - zu schreiben. Spielen war für heute gestrichen.

Wir gingen am nächsten Morgen in die Schule und waren unschlüssig, gehen wir Lindenstraße oder Eckstraße. Wir entschlossen uns für die Lindenstraße. Als wir die Ringstraße überquert hatten, trauten wir unseren Augen nicht, die ganze Straße lag voll mit Geld. Alles Geldscheine es waren viele Hunderter dabei. Margot und ich sammelten das Geld auf und steckten es in unseren Affen, wir hatten den ganzen Ranzen voller Geld. "Sind wir jetzt vielleicht reich?" Ich konnte Margot keine Antwort geben. Ja, Geld hatten wir jetzt in Hülle und Fülle, aber was konnten wir denn kaufen.

In der Schule ließen wir uns nichts anmerken und gingen vorsichtig an unsere Schulbücher. Wir hatten Mühe die Bücher heraus zu holen ohne das von dem Geld etwas auf den Boden fiel. Ich holte gleich alle Bücher hervor und mein Mäppchen, damit ich nicht noch einmal daran musste.

Mittags eilten wir nach Hause. Unterwegs fragte Margot ob ich genau so viel Geld hatte wie sie. "Ich denke schon, oder willst du das wir es zählen?" fragte ich. Margot meinte wir sollten es daheim zählen, danach könnten wir es gerecht verteilen. Die Idee fanden wir gut.

Mutti war in der Küche und Vati kam auch gerade ins Haus. Da wartete ich bis Vati da war und machte meine Schultasche auf. Vati war gut gelaunt, und als er das viele Geld sah, fragte er wo wir es gefunden hätten.

Ich sagte bei Baiers an der Ecke. Vati schmunzelte und sagte: "Der ist Bankdirektor und wer weiß, was das für Geld ist. Er hat es bestimmt los werden wollen, und ich bin mir sicher in den nächsten Tagen kommt die Währungsreform. Gebt so viel aus wie ihr könnt, nächste Woche hat es keinen Wert mehr. Er guckte in die Zeitung und las vor: "Schneewittchen und die sieben Zwerge." Der Film würde heute Nachmittag im Kino in hinter den Bahnschienen spielen. Ich soll alle Kinder mitnehmen aus der Nachbarschaft.

Nach dem Essen lief ich zu Margot und ihre Eltern hatten die gleiche Vermutung. Sie würde die Nachbarskinder zusammenrufen und um zwei Uhr mussten wir dann los. In der Zeitung hatte gestanden Eintritt eine Mark. Jeder von uns nahm zehn Mark mit und ich hatte Kurt und Bernd mit gebracht. Margot hatte alle Kinder aus der alten Fabrik gerufen und der älteste führte die Mannschaft an. Der Film war ja so goldig es war ein Trickfilm aber wirklich sehr schön.

Da ich noch nie im Kino war, wollte ich es gleich am nächsten Tag wiederholen und fragte was denn morgen für ein Film käme. "Nächste Woche kommt Aschenputtel, sagte die Frau an der Kasse." Wir verabredeten uns jetzt auf Montag.

Da las Mutti in der Zeitung Eintritt zehn Mark. Wir nahmen jeder einhundert Mark mit und machten uns mit der ganzen Nachbarschaft, wieder auf den langen Weg. Margots Bruder ging immer in den Indianer-Film, der kam zwei Stunden später. Als wir dann das dritte Mal ins Kino wollten, hatten wir für jeden hundert Mark dabei, aber das Kino war zu. Da mussten wir wieder umkehren. In diesem Augenblick war unser Reichtum beendet.

Es gab neues Geld, die Deutsche Mark und jede Person bekam für den Anfang dreißig Mark. Ob Vati das Geld nachher eintauschen konnte oder nicht, das weiß ich nicht. Es war ja nicht nur das Geld da, was ich gefunden hatte, sondern Mutti hatte ja im Wäscheschrank auch noch einen Haufen Geld gehortet. Hätte sie es auf ein Sparbuch getan, dann hätte sie nicht alles verloren.

Genau genommen interessierte ich mich nicht für Geld, ich war es nicht gewohnt, Geld zu besitzen. Mutti war vorher geizig und hinterher auch. Für mich hatte sich nichts geändert. Für die Geschäfte aber schon. Plötzlich gab es wieder alles zu kaufen, und ich sah in den Auslagen Dinge die ich noch nie gesehen hatte. Es war spannend die Schaufenster anzusehen. Da gab es Bananen, aber Mutti meinte die brauchen wir nicht, wir hatten Obst genug.

Auf dem Schulhof kam jetzt plötzlich der Milchmann und verkaufte Milch und Kakao. Ich hätte das schon auch sehr gerne gekauft, aber ich bekam kein Taschengeld. Am besten gefiel mir der Eisstand der jetzt täglich auf dem Marktplatz stand. Eine Eiskugel kostete zehn Pfennig und wer nur fünf Pfennig hatte, bekam eine kleine Kugel die Eisfrau war sehr nett. Bei unserem Kaufmann gab es nun auch Apfelsinchen, das war ein Getränk was sehr gut schmecken sollte, und jeder kannte es.

Ich überlegte immer wie ich wohl an so eine Flasche Apfelsinchen käme, mir fiel nichts ein.

Wir waren im Garten am Salat pflanzen und Mutti schaute immer über das Kornfeld zu Margots Haus. Ich fragte ob Margot auf der Straße sei. Sie gab mir keine Antwort und ich kletterte auf das Mäuerchen vom Zaum und sah einen großen Wagen vor dem Haus. Da ich nicht so neugierig war, wollte ich Margot am nächsten Morgen danach fragen. Ob Bernd auszog? Aber denen gehörte doch das Haus. Vielleicht zog jemand ein, die hatten doch bestimmt auch Dachzimmer. Wir pflanzten weiter Salat und Kohlrabi und ich vergaß das große Auto. Schließlich waren wir ja gestern noch zusammen in der Flötenstunde, und Margot hatte nichts von einem großen Auto erzählt.

So ging ich am nächsten Morgen, Margot abholen und da wollte ich jetzt fragen, was das große Auto gebracht hatte. Ich kam in den Hof und rief "Margot". Jürgens hatten damals schon Rollläden und die waren alle unten. Ich rief noch einmal und wollte zur Hintertür die war noch zu. Da kam Bernd die Treppe hinunter und fragte verdutzt: "Willst du Margot abholen? Die wohnt nicht mehr hier." Bernd und ich gingen gemeinsam den Schulweg und er erzählte mir, dass sie zu ihrer Oma gezogen waren.

Ich war fassungslos. In der Klasse kam Margot zu mir, nahm mich in den Arm und sagte: "Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte, du hast ja nur mich. Aber wir treffen uns ja noch zur Flötenstunde und in die Pause gehen wir auch zusammen." Tatsächlich hielt sie ihr Versprechen ein paar Tage, danach tauchte sie unter, in einen Haufen neuer Freundinnen.

Dann kam ihr Geburtstag und sie lud mich ein und auch Bernd. Mit ihm zusammen machte ich mich auf den weiten Weg. Wir hatten nicht viel von Margot, sie hatte viele Mädchen eingeladen. Zum Kaffee rief uns die Oma hinauf, sie gefiel mir nicht, sie schien mir noch eingebildeter wie Mutti. Margot zeigte uns noch kurz die große Wohnung und ihr eigenes Zimmer. Dann gingen wir alle in den Hof, um mit ihrem neuen Ball zu spielen.

Nach einiger Zeit, waren Bernd und ich nur noch allein im Hof, und wir beschlossen jetzt den Heimweg anzutreten. Bernd fragte, "Was machen wir mit dem Ball?" Margot wohnte oben und da war ein Balkon. Kurzerhand nahm ich den Ball und warf ihn hinauf. Im dem Moment klapperte oben Geschirr. Die Oma kam auf den Balkon und jagte uns fort, der Ball war auf dem Abendbrottisch gelandet.

Wie zwei Ausgestoßene gingen wir nach Hause. Ich mochte Bernd, und er wäre mir sicherlich ein guter Freund geworden, aber seine Mutter war Kriegerwitwe und bekam manchmal Besuch von einem englischen Soldaten. Das gefiel meinen Eltern gar nicht, und sie sagten es sei unschicklich für ein Mädchen, einen Jungen als Freund zu haben. Die einzige Freude die mir blieb, war unsere Musikstunde.

Wir trafen uns auf unserer Bank, aber Margot konnte nur von ihren neuen Freundinnen berichten. Für Fräulein Rosenbaum hatten wir die fünf Mark für den Monat dabei. Wir kamen ins Musikzimmer und der junge Klavierspieler war noch damit beschäftigt seine Hefte einzusammeln. Wir legten die fünf Mark wie immer auf den Tisch und packten unsere Flöten aus. Nach der Stunde fehlte ein Fünfmarktschein. Sie behauptete einer von uns hätte nicht bezahlt. Wir wussten aber beide, dass wir bezahlt hatten und durchsuchten unsere Taschen, da war kein Geld mehr darin.

Wir gingen gemeinsam bis zum Marktplatz und da trennten wir uns. An das Geld was angeblich gefehlt hatte dachte ich nicht mehr. Ich würde eher Schläge bekommen als noch einmal fünf Mark.

Unser Lehrer kam eines Morgens nicht in die Schule, es hieß er sei krank und würde längere Zeit ausfallen. Vati meinte sowieso Herr Jeschke sei schon längst im Pensionsalter. Wir bekamen einen ganz jungen Lehrer und alle Mädchen fanden ihn toll. Mich hat er zu sehr an Herrn Ritzekalla erinnert. Dazu hieß er Koschinsky. Vati sagte, "Koschinsky war ein Pole vom Scheitel bis zur Sohle." Er mochte ihn nicht obwohl er ihn gar nicht gesehen hatte.

Am kommenden Morgen kam der junge Lehrer mit einem Stapel neuer Lesebücher in die Klasse. Wir hatten noch kein Lesebuch bekommen, weil die Bücher vorher nicht geliefert wurden. Jetzt waren sie angekommen. "Wer von euch ein Lesebuch möchte," teilte er uns mit, "der muss morgen 50 Pfennig und zwei Zigarren, mit in die Schule bringen." Die Bücher verschloss er in einem Wandschrank. Das ganze Auftreten des Herrn Lehrers gefiel mir nicht. Deshalb glaube ich, im Unterricht nicht aufgepasst zu haben, denn außer der Sache mit den Büchern kann ich mich an nichts mehr erinnern.

Zu Hause berichtete ich, was der Lehrer für das Lesebuch wollte und Vati schaute ungläubig. Sie wollten sich erkundigen ob das stimmte. Mutti rannte sofort zum Kaufmann, der jetzt eine Verkäuferin eingestellt hatte. Diese hatte zwei Schwestern. Die eine ging mit mir in die Klasse und die zweite war eine ganz junge Lehrerin an unserer Schule. Sie sollte in der Mittagspause nachfragen ob das stimmte, was ich erzählt hatte.

Nach ihrer Mittagspause klingelte sie und bestätigte meine Aussage. Genau so hatte es ihre Schwester auch erzählt. Ich hatte den Eindruck fünfzig Pfennig wären ein riesiger Betrag. Am Abend richtete Vati mit ein kleines Pappschächtelchen wo normalerweise fünf Zigarren hineingehörten. Er steckte zwei gute Zigarren hinein, und zwei, die pro Stück fünfundzwanzig Pfennig kosteten. Die fünfzig Pfennig sollte ich zuerst nicht hergeben. "Du sagst zu ihm : hier sind zwei Zigarren und hier sind noch mal zwei für die fünfzig Pfennig. Wenn er dann doch das Geld will, dann gib ihm die billigen Zigarren und steck die anderen wieder in die Schachtel." Vatis Handelsschaften kannte ich und ich hatte alles begriffen.

So machte ich mich am nächsten Morgen auf dem Weg zur Schule. Der Lehrer kam gleich zur Sache. Er rief nach seiner Liste einen nach dem anderen, nach vorn zu sich an das Pult.

Wer ordnungsgemäß bezahlt hatte, bekam ein Lesebuch. Ich war stolz mein erstes eigenes Buch zu besitzen. In der letzten Stunde hatten wir Musik, als danach der Unterricht aus war, merkte ich dass mein Schulranzen fehlte. Alle Kinder waren schon aus dem Schulhaus, bis auf ein Mädchen, das mir beim Suchen half. Wir schauten unter alle Tische und unter das Pult und in alle Ecken der Ranzen war nicht da. Das Mädchen hatte jetzt keine Zeit mehr, denn sie musste zum Bus. Ich suchte noch einmal alles durch und fand nichts. Nun war es schon spät geworden, ich hatte Angst nach Hause zu gehen.

Vati kam den Berg herauf gefahren und sah mich weinend und ohne Schultasche. Er stieg ab und erkundigte sich was los war. Jetzt sollte ich zum Essen gehen, nachher noch einmal nach dem Ranzen suchen. Wenn ich ihn wieder nicht fände sollte ich bei seiner Arbeit vorbeikommen, dann ginge er selbst in die Schule. Mutti hatte endlich wieder Grund zum Schimpfen. Ich sei zu blöd auf meine Sachen aufzupassen und das viele teure Zeug in der Tasche sei ja auch alles weg. Kurzum ich sei wirklich ein unmögliches Kind.

Nach dem Essen ging ich noch einmal Richtung Schule. Ein Mädchen, die in der alten Fabrik wohnte und gerade nichts bessere zu tun hatte, ging mit mir. Allein hätte ich in dem alten Schulhaus Angst gehabt. Darum freute ich mich, obwohl Mutti das nicht wissen durfte. Wir suchten und fanden nichts. Jetzt musste ich zu Vati in die Fabrik. Da wollte Ulla nicht mit. Also ging ich allein zu Vati.

Der schaute auf die Uhr, meldete sich ab und ging gleich mit. Mir taten die Füße weh vom vielen hin und her laufen und ich wollte auf den Gepäckträger. Vati erklärte mir, dass ich schon zu groß dafür sei, denn wir müssten direkt bei der Polizei vorbei. Zum Strafe bezahlen hätte er nun wirklich kein Geld.

Vati ging gleich erst mal zum Rektor und hatte Glück dass er noch da war. Er kam gerade von einer Lehrerversammlung. Da sprach Vati gleich die Bezahlung des Lesebuches an. Er bemerkte, dass es doch wohl eine recht unübliche Handhabung sei. Der Rektor ging zurück in den Konferenzraum um den Lehrer zur Rede zu stellen. Als er dann wieder kam, meinte er, es sei außer ihm noch niemand da gewesen, der dem Lehrer diesen Vorwurf gemacht habe. Mein Vater solle doch nachprüfen ob sein Kind nicht gelogen hätte, das käme ja auch mal vor.

Wegen dem fehlenden Schulranzen solle er zum Schuldiener gehen. Wir suchten Herrn Steffen den Schuldiener, der war im alten Schulhaus am fegen. Bereitwillig kam er mit hinauf in die Klasse und zeigte auf eine Schultasche unter der Tafel. "Ist das die Tasche?" Vati nahm den Ranzen und schaute hinein. Das Schächtelchen mit den übrigen zwei Zigarren fehlte.

Er nahm mich in den Arm und meinte, ich hätte heute genug Ärger gehabt. Wir gingen nach Hause und hörten Mutti ihre vielen Vorwürfe mit halbem Ohr.

Am nächsten Tag hatten wir keinen Lehrer mehr, er war über Nacht verschwunden. Der Lehrer aus der Nachbarklasse kam immer wieder zu uns herein um uns mit Arbeit zu beschäftigen. Plötzlich ging die Tür auf und Herr Jeschke war wieder da.

Jetzt hatte ich keine Freundin mehr

 

Margot beachtete mich nicht mehr, sie hatte viele neue Freundinnen. In den Pausen hielt ich mich meistens abseits, damit ich niemandem im Weg herum ging. Oftmals ging ich die ganze Pause über aufs Klo, obwohl es da furchtbar stank.

Sie kam noch ein paarmal zur Flötenstunde und als der Monat um war, blieb sie weg. Fräulein Rosendorn fing wieder von den fünf Mark an, einer von uns hätte das Geld unterschlagen. Da sagte Margot: "Mein Vater hat gesagt wenn sie das Geld wirklich nicht bekommen haben, dann schenkt er ihnen die fünf Mark." Das Fräulein meinte, dann könnte sie uns das Geld auch schenken. Ich war mir sicher, sie hatte mich in Verdacht. Warum glaubten bloß alle, dass ich nicht ehrlich war? Ein paar Mal ging ich noch in die Stunde und dann wollte ich auch nicht mehr. Ohne Margot hatte ich keine Lust mehr.

In unserem Ort wurde ein Jubiläum gefeiert. Es wurden auch in der Schule Vorbereitungen dafür getroffen. Herr Jeschke wollte, dass wir ein Gedicht mit fünf Strophen aufsagten. Die besten Schüler sollten das machen, fünf Schülerinnen für jede Strophe eine. So mussten wir alle das Gedicht auswendig lernen und aufsagen. Ich liebte Gedichte und glaubte fest dass ich da mitmachen durfte.

Es handelte vom Luftballon. "Saß auf der Mauer mit unserer Kleinen", so fing es an. Aber ich hatte keine Chance, die Rollen gingen an die üblichen, lauter Mädchen aus Geschäftshäusern. Die letzte Strophe war noch nicht vergeben und ich machte mir Hoffnung, aber da war Veronika, die hatte eine ganz besonders sanfte Stimme, sie sagte die letzte Strophe auf. Damit war der Fall erledigt. Und ich hätte so gern auf meinen Eltern Eindruck gemacht.

Aber da war noch die Gymnastik Aufführung. Einmal mit dem Ball und dann noch einmal mit den Keulen. Gymnastik lag mir und nach Musik ganz besonders. Lore musste ans Klavier und wir mussten eine genau abgesprochene Schau machen. Das war etwas was mir lag, und ich beherrschte den Ablauf. Deshalb sollte ich auch ganz vorn am Bühnenrand auftreten. Die, die immer den Ball fallen ließen oder sonst Fehler machten, sollten nach hinten. Das einzige Problem war meine Turnhose und mein Turnhemd. Ob ich mir denn keine neue kaufen könnte, fragte die Lehrerin. Ich wollte Mutti fragen.

Die war aber schnell fertig und sagte: "Wenn du neue Sachen brauchst, dann kannst du eben nicht mitmachen." Als ich es Fräulein Talmann sagte, musste ich weinen. Lore hatte Mitleid mit mir. "Nimm meine Turnsachen und auch die Schuhe von mir, ich muss ja Klavier spielen." Ich war ganz dankbar und bot ihr an, es nachher auch gut zu waschen. "Nicht nötig“, sagte sie, "wir haben doch ein Dienstmädchen, die macht das schon."

Als dann der große Tag kam, hatte ich fürchterlich Lampenfieber. Lore beruhigte mich: "Du schaffst das fehlerfrei, munterte sie mich auf. Ich setzte mich auf eine Bank im Umkleideraum und sammelte mich. Dann machte ich die Übungen allein. Die Musik hatte ich im Kopf. Für beide Aufführungen hatten wir klassische Walzermusik von Johann Strauss. Das half, und das Lampenfieber war weg. Die Aufführung lief bei mir glatt, ich hielt mich genau an den Vorgaben und ließ weder Ball noch Keule fallen.

Das neben mir der eine oder andere Ball kullerte, lenkte mich nicht ab. Endlich konnte ich richtig stolz auf mich sein. Als die Leute klatschten nahm mich die Lehrerin an der Hand und ging vor den Vorhang dort verbeugte sie sich und ich machte einen Knicks. Dann kamen die anderen Kinder auch angerannt und schubsten mich ganz schnell nach hinten.

Ich war jetzt eine Angeberin und eine Vordränglerin. Genau genommen bei den Mädchen war ich jetzt endgültig abgemeldet.

Beim Turnen waren alle besser als ich, aber bei Gymnastik nach Musik war ich einfach die Beste.

In den nächsten Turnstunden mussten wir Handball spielen. Die Lehrerin stellte zwei Mannschaften auf, keine der Mannschaften wollte mich, dann wurde ich von der Lehrerin in eine Mannschaft gestellt. Ich hatte weder eine Ahnung von den Spielregeln noch konnte ich die Mädchen der Mannschaften auseinander halten. Sie sahen für mich doch alle gleich aus. So warf ich den Ball immer zu den falschen Mädchen. Als die das merkten riefen sie immer "Anne zu mir." Ein wenig wunderte es mich, dass sie immer von mir angespielt werden wollten.

Fräulein Talmann mochte mich trotzdem, denn wir hatten auch Handarbeit bei ihr und da arbeitete ich immer gut.

Mutti war froh, dass ich keine Freundin mehr hatte, jetzt konnte ich ihr immer im Garten helfen. Eines morgens als ich zur Schule ging, fand ich fünf Pfennig. Dafür kaufte ich mir auf dem Heimweg ein kleines Eis. In den Sommerferien bettelte ich, ich wollte so gern eine Flasche Apfelsinchen haben. Ich half immer im Garten und schließlich bekam ich zur Belohnung das Geld für eine Flasche, von dem begehrten Getränk. Ich sollte die Flasche unbedingt zurückbringen, sagte der Kaufmann, sonst müsse ich die Flasche bezahlen. Als ich die Flasche ausgetrunken hatte, sollte ich sie gleich zurückbringen. Unterwegs rutschte mir die Flasche aus der Hand, und sie war entzwei. Jetzt brauchte ich keine Sonderwünsche mehr zu äußern.

Otto, der große Sohn von Frau Bollmann hatte seine Lehre abgebrochen und sich selbstständig gemacht. Er vertrieb Zeitschriften, die er selber austrug und er verkaufte Bücher und Schreibhefte. Diesem Umstand hatte ich es zu verdanken, dass ich zu Weihnachten gleich zwei Bücher bekam. Ich hatte "Heidi" und "Rosenresli" auf den Gabentisch.

Nach Weihnachten schlachteten wir zum letzten Mal ein Schwein. Den leeren Schweinestall füllte Vati mit Holzabfällen aus seiner Firma. Darunter waren auch Nähkästen und lauter andere nette Sachen. Mit deren Herstellung sich die Firma, in den schlechten Zeiten über Wasser gehalten hatte. Vati fand unter den Abfällen einen schönen bunten Hampelmann. Den durfte ich in der Küche an die Wand hängen. Wenn ich dann traurig war, zog ich an dem Band und freute mich über seine lustigen Bewegungen.

Am 14, Februar hatte Mutti Geburtstag, sie wurde in diesem Jahr fünfzig Jahre alt.

Schließlich wurde es wieder Frühling und das Schuljahr ging zu Ende. Herr Jeschke hatte es mit uns ausgehalten und wir mit ihm. Das Zeugnis fiel nicht so gut aus wie bisher, ich hatte im Turnen ein "befriedigend." Vatis Kommentar dazu war: Turnlehrerin kannst du jetzt nicht mehr werden. Mutti hatte ihre Hoffnung auf ein Zeugnis mit lauter "sehr gut" aufgegeben.

Am letzten Schultag mussten wir unsere Bücher abgeben, auch das Lesebuch. Die Mädchen regten sich auf, wir hatten ja fünfzig Pfennig und zwei Zigarren dafür bezahlt. Das Geld hatte der Herr Koschinsky für sich selbst kassiert.

Vati hatte ja gleich gesagt er sei ein Betrüger und der Rektor hatte ihm nicht geglaubt. Herr Jeschke ging jetzt in den Ruhestand und zwei Jahre später gingen wir geschlossen zu seiner Beerdigung.

 Ich suchte immer nach einer neuen Freundin, aber ich fand keine.
So blieb Ilsabein meine einzige treue Freundin und ich hoffte, dass sie noch lange Eier legen würde, damit sie nicht im Suppentopf landete.

Irgendwann traf ich Christine, die wir Stiene nannten. Ihr ging es ähnlich wie mir. Wir wurden "Freundinnen", aber Margot konnte sie mir nicht ersetzen.

Mutti überlegte wie sie mich los brachte, sie hatte schon neue Pläne. Ich zog es in Erwägung wegzulaufen. Vati wurde immer stiller und schien vollkommen in einer anderen Welt.

 



 

Ich kam auf Mittelschule

 

Nachdem sich unser Lehrer Jeschke, mit kurzen herzlichen Worten von uns verabschiedet hatte, blieben wir anfangs ohne festen Klassenlehrer. Wir bekamen ein neues Klassenzimmer und waren jeden Tag gespannt welcher Lehrer uns wohl beglücken würde.

Als neues Lehrfach hatten wir Heimatkunde, und das gefiel mir ganz besonders. Mein Interesse am Unterricht war abhängig von dem Lehrer der uns gerade unterrichtete. Ich bevorzugte die "strengen" Lehrer, die waren gerechter und mit Disziplin hatte ich keine Probleme. Ein junger Lehrer gehörte gerade zu diesen "Gefürchteten", bei ihm hatten wir Heimatkunde.

So kam es dass dieser Lehrer uns die alten Osterbräuche unserer Heimat erklärte. Den Lehrer hatten wir einmal die Woche und so gab er uns die Hausaufgabe für die nächste Woche auf. Wir mussten einen Aufsatz schreiben über die Bräuche zu Ostern in unserer Heimat. Dazu sollten wir ein paar Bilder malen und ja nicht mit einer Seite in die Schule kommen. Die beste Arbeit würde er mit einem Preis belohnen.

Die ganze Woche arbeitete ich jeden Tag an der Arbeit. Die halbe Seite schrieb ich, auf die andere Hälfte malte ich das passende Bild dazu. Ich schrieb und malte das ganze Heft voll und war mir sicher den Preis zu gewinnen.

Dann kam der Tag an dem der Lehrer die Arbeit anschaute. Er ging durch die Reihen und anschließend an seine Aktentasche. Daraus holte er eine Apfelsine, schälte sie und teilte die in zwei Teile. Die eine Hälfte bekam ich und die andere Hälfte bekam Lore. Endlich war ich einmal so gut wie unsere Klassenbeste. Ich war glücklich und aß gierig die Orange, denn so etwas hatte ich noch nie gegessen.

Zuhause erzählte ich Mutti davon, aber ich denke, sie hat es mir gar nicht geglaubt. Mittags machte ich immer zuerst meine Hausaufgaben und da ich ja jetzt keine Freundin mehr hatte, arbeitete ich danach im Garten. Mutti kam immer seltener um zu helfen, die schweren Arbeiten musste Vati erledigen. Er machte die Arbeiten ohne zu klagen, obwohl er herzkrank war.

Mutti ging zu ihrem Arzt und ließ sich Moorbäder verschreiben. Nun fuhr sie jede Woche mit dem Fahrrad in das benachbarte Moorbad. Wenn sie dann am Abend wieder heimkam, erzählte sie immer, wie es ihr so schlecht gegangen wäre. Ihr Herz und ihr Kreislauf hätten versagt. Na wirklich in so einem Zustand konnte sie auch nicht mehr im Garten arbeiten.

Wenn sie Hausputz machen wollte, hatte sie jetzt eine Putzfrau, weil ich ja zu dumm war, die Fenster ordentlich zu putzen. Wir waren geduldig und ich ging jeden Nachmittag, wenn es nicht regnete, in den Garten. Wenn Vati dann nach fünf Uhr kam, arbeiteten wir noch gemeinsam bis sieben Uhr. Dann hatte Mutti das Essen fertig und anschließend hatte ich nur den Wunsch, sofort ins Bett zu gehen.

So vergingen die Wochen und die Sommerferien rückten näher. Mutti hatte mich für die Mittelschule angemeldet. Nach den Sommerferien würden wir die Aufnahmeprüfung haben. "Gib dir Mühe, damit aus dir mal was wird“, sagte sie, "die Schule kostet uns jeden Monat fünf Mark." Ich freute mich auf die neue Schule und hoffte dann vielleicht eine Freundin zu finden. Eines Sonntags pflückte Mutti einen großen Strauß dunkelroter Rosen. Sie holte noch etwas Spargellaub und wickelte ihn in durchsichtiges Cellophan. Ich sollte nun nach dem Mittagessen den Strauß zu Polizist König bringen, der unweit von uns wohnte.

Er hatte Silberhochzeit. "Sag es sei von uns, und wir gratulieren zur Silberhochzeit." Mit diesen Worten schickte sie mich los. Unterwegs erinnerte ich mich, dass ich schon einmal zum gratulieren musste, und dass dann schief gelaufen war. Damals war es die Tochter des Briefträgers, die geheiratet hatte. Ich nahm mir fest vor, es dieses Mal besser zu machen.

Herr König hatte einen Sohn, der war so alt wie ich. Vielleicht kommt der ja an die Tür, hoffte ich, dann konnte ich nichts falsch machen. Zögernd drückte ich die Klingel, und der Polizist kam selbst an die Tür. Ich kannte ihn an den schneeweißen Haaren. Erfreut nahm er die Glückwünsche und die Blumen entgegen und bat mich kurz zu warten.

Im Stillen dachte ich, er wird mir Kuchen einpacken. Dann kam er und hatte fünfzig Pfennig in der Hand. "Guck“, sagte er zu mir, "die sind nur für dich, lass sie dir nicht wegnehmen." Glücklich über meinen unerwarteten Reichtum ging ich heim. Mutti war in der Küche und ich fragte ob ich noch zum Bergschlösschen gehen durfte. Es war ihr recht, weil sie jetzt lesen wollte.

Also ging ich los mit meinem Geld und traf Kurt im Hof. "Wohin gehst du, fragte er, "kann ich mitkommen?" "Ich gehe zum Bergschlösschen da kaufe ich mir ein Apfelsinchen, ich habe nämlich fünfzig Pfennig," teilte ich ihm mit. Kurt wollte zuerst seine Mutter fragen.

Nach einer Weile kam er wieder auf den Hof und hatte auch fünfzig Pfennig. "Wieso hast du auch Geld“, fragte ich verwundert. "Weil ich auch Apfelsinchen will“, gab er mir zur Antwort. Wir gingen bergan bis wir an das Schlösschen kamen, wo ein Gasthof aufgemacht hatte. In der Gartenwirtschaft trauten wir uns nicht Platz zu nehmen.

Da kam ein Kellner und fragte uns nach unseren Wünschen. Wir gaben ihm beide unser Geld und sagten: "Wir möchten gerne Apfelsinchen." Kurz darauf kam er mit vier Gläser gelben Saft wieder zu uns und gab jedem von uns zwei Gläser. Wir waren es nicht gewohnt so viel auf einem Mal zu trinken und hatten Mühe die Gläser leer zu trinken.

Danach machten wir uns gleich auf den Heimweg. Mutti wartete schon mit ihrem Stock auf mich. Sie behauptete ich hätte ihr fünfzig Pfennig aus ihrem Geldbeutel gestohlen, sie hätte ihr Geld zweimal nachgezählt. Außerdem hatte sie gehört, dass Kurt zu seiner Mutter gesagt hatte er will fünfzig Pfennig, Anneliese hat auch so viel Geld. Ich erklärte: "Das Geld habe ich von dem Herrn König fürs gratulieren bekommen, und der hat gesagt es sei für mich." Sie behauptete weiterhin, dass Geld hätte ich ihr gestohlen und fing an, mich mit ihrem Stock zu schlagen.

Da ich mich letztes Mal gewehrt hatte, nahm sie sich in acht vor mir und blieb weit genug weg. Sie traf trotzdem einige Mal, bis ich ihr den Stock wegriss. Ich brach ihn in lauter kleine Stücke und warf die Fetzen in der Küche umher. "Wenn du mich so mit dem Stock verprügeln kannst, kannst du auch deinen Garten wieder selber machen“, schrie ich sie an. "Warum gehst du nicht zu dem Polizist und fragst ihn was er mir gegeben hat?" Darauf meinte sie: "Glaubst du ich will mich blamieren?"

Vati kam in die Küche um zu sehen was los ist. Mutti erzählte, dass ich sie bestohlen hätte das Geld würde genau in ihrer Börse fehlen. Vati glaubte ihr und er schlug auch noch mehrmals auf meinen Kopf. Beide waren sich einig, dass aus mir sicher nichts würde. Es kam der Tag, an dem sie ihr letztes Moorbad hatte. Wie immer fuhr sie nach dem Mittagessen zum Moorheilbad. Ich stand in der Küche und überlegte ob ich den Gashahn aufdrehen sollte, um dem Elend ein Ende zu machen.

Aber wie üblich, ließ ich mir die Möglichkeiten und die Folgen durch den Kopf gehen. Ich würde nicht nur uns, sondern auch die Mieter in Gefahr bringen. Also ließ ich die Finger davon. Bei mir dachte ich: Vielleicht kriegt sie ja dieses Mal einen Herzinfarkt. In der Hoffnung darauf, behielt ich die Uhr im Auge. Pünktlich wie immer kam sie mit ihrem Fahrrad um die Ecke auf den Hof. In der Küche ließ sie sich auf einen Stuhl fallen und jammerte, dass sie heute sogar einen Notarzt gebraucht hätte, sie sei knapp dem Tod entgangen. Ich heuchelte: "Da bin ich aber froh, dass du jetzt keine Moorbäder mehr bekommst."

Die Sommerferien begannen und danach sollten wir einen neuen Klassenlehrer bekommen. Ich war gespannt wer das wohl sein würde. Während der Ferien durfte ich morgens von sechs Uhr bis acht Uhr zum schwimmen gehen, weil es dann immer kostenlos war. Ein Mädchen mit kurzen Haaren kam auch immer so früh und ich war auf dem besten Weg, mich mit ihr anzufreunden.

Dann kam Mutti auf die glorreiche Idee, Vati hinter mir herzuschicken um zu sehen was ich dort trieb. Meine Beinah-Freundin und ich tollten ausgelassen im Wasser, während Vati uns beobachtete. Als er mittags nach Hause kam, behauptete er ich hätte mich mit einem Jungen im Schwimmbad herumgetrieben.

Mir glaubte niemand, dass es ein Mädchen mit kurzen Haaren war. Von nun an war mein Schwimmvergnügen Vergangenheit, und das letzte bisschen Vertrauen zu Vati auch. Sie hatte es geschafft Vati ganz auf ihre Seite zu ziehen. Ich sonderte mich immer mehr ab und überlegte ob ich weglaufen sollte.

Deshalb suchte ich den Zettel mit Papas Anschrift, aber ich konnte ihn nicht finden. Dann fiel mir ein, dass Margot den Zettel mitgenommen hatte, damit ihn mir niemand wegnimmt. Den konnte ich vergessen, sie war ja umgezogen und hatte den Zettel bestimmt nicht mehr. Nun verbrachte ich fast alle Ferientage im Garten, natürlich immer umringt von meinen Hühnern, die mir jetzt die liebsten Begleiter waren.

Ich pflegte und erntete das Gemüse und Mutti kochte ein. Dabei half ich ihr nur selten. Wenn sie in die Stadt ging lief ich schnell ein Viertel Stündchen zu Frau Lindemann. Wir planten einen Ausflug nach Bielefeld, sie wollte mir die Stadt zeigen und dort mit mir in ein Café gehen. Frau Lindemann und ich, überlegten wann und wie, wir es machen wollten. Ich brauchte ja die Erlaubnis dafür. Da kam uns der Zufall zur Hilfe. Mutti wollte ihre Schwester Anni besuchen. Da die in diesem Jahr kein Kind erwartete, fuhr sie ganz einfach für zwei Tage zu Besuch zu ihr. Die Gelegenheit nutzte ich um zu fragen ob ich mit Frau Lindemann nach Bielefeld dürfte.

Sie wollte wissen was wir denn da wollten, und ich verriet nur, dass wir zur Burg wandern wollten. "Wenn Vati nichts dagegen hat, kannst du dahin fahren“, erlaubte sie mir, "aber das Fahrgeld muss Frau Lindemann bezahlen." Ich eilte zu Frau Lindemann an den Zaun um ihr die Neuigkeiten zu überbringen. Sie meinte: "Ich werde alles vorbereiten, und wir werden einen schönen Tag erleben."

Damit Vati mittags nicht umsonst heimkam, hatte Frau Lindemann für ihn einen Kartoffelsalat gemacht und ein Bockwürstchen. Sie wollte, dass Vati gut versorgt war, wenn wir einen Ausflug machten. Vati nahm das Essen mit, er wollte mittags in seinem Büro bleiben. und wir fuhren gleich nach sieben Uhr mit dem ersten Bus. Als erstes bestiegen wir den Berg, um die Ruinen der Burg zu betrachten. Ich fand, das hätten wir uns sparen können, das Kaiser Wilhelm Denkmal hatte mir besser gefallen.

Nach dem Abstieg gingen wir durch die Einkaufsstraßen und bestaunten die Schaufenster. In einem kleinen Park aßen wir, das was Frau Lindemann mitgebracht hatte. Anschließend wollte sie mich zum Höhepunkt unseres Ausfluges führen. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen was da wohl noch kommen würde.

Langsam taten mir die Füße weh, denn den Großteil der Stadt hatten wir schon gesehen. Frau Lindemann führte mich an ein Café, in dem sie als junges Mädchen oft gesessen hatte. Endlich standen wir vor dem Haus und Frau Lindemann schwärmte: "Da waren früher, als ich Studentin war, seidene Tapeten an den Wänden."

Sie öffnete die Glastür und wir traten ein. Da ich noch nie zuvor in einem Café war, konnte ich nicht wissen ob es nun ein ganz besonderes war, oder doch nicht. Aber ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Die Lampen, die Sessel und die dekorierten Tische waren einzigartig. Wir fanden einen Tisch, an den wir uns setzten. Frau Lindemann studierte die Eiskarte. "Wir werden uns einen tollen Eisbecher bestellen“, verkündete sie.

Für sich selbst nahm sie einen Becher, den es schon vor zig Jahren gegeben hatte. Ich wollte Schokoladen- und Nusseis und hoffte damit die richtige Wahl getroffen zu haben. An einer Wand waren noch die alten Tapeten´, aus Seide und Frau Lindemann schwelgte in Erinnerungen. Wir warteten auf unseren Eisbecher und sie deutete auf die vielen kleinen Tische hin, an denen immer nur eine Person saß. "Das sind Studentinnen, die machen hier ihre Arbeiten für die Uni“, erklärte sie mir. Inzwischen kam unser Eis und ich probierte: "Das schmeckt ja wirklich köstlich“, war mein Urteil.

Frau Lindemann hatte mir vorher erklärt, dass man sich viel Zeit dazu lassen müsste, ich sollte das Eis genießen. Daran hielt ich mich und als sie schon fertig war, hatte ich noch einiges in meiner Eisschale. Die Zeit nutzte Frau Lindemann um sich noch einen Kaffee zu bestellen. Als sie dann bezahlt hatte, suchten wir noch die Toiletten auf. Selbst dort kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Auch hier war alles purer Luxus.

Wir gingen von da aus gleich zum Bahnhof, um dort auf den Bus zu warten. Frau Lindemann bemerkte, dass ich mich keinen Augenblick peinlich benommen hätte. Mit mir könnte man überall hingehen, fügte sie noch hinzu. Der Bus brachte uns bis an die Lindenstraße und wir kamen noch heim, bevor Vati auf den Hof fuhr. Ich schaffte es noch die Hühner zu versorgen und war dabei das Abendessen zu richten, als er in die Küche kam.

Unser Verhältnis hatte sich abgekühlt. Das gegenseitige Vertrauen war nicht mehr da. Deshalb gingen wir nach dem Essen auch gleich zu Bett. Lange dachte ich noch über den Tag nach, und darüber ob ich hier bleiben wollte oder nicht. Am nächsten Tag kam Mutti zurück und hatte allerhand zu erzählen. Da nahm ich mein Strickzeug und hörte geduldig zu. Wie groß die Kinder geworden waren, und was sie sonst von ihnen zu erzählen wusste, wollte ich nicht unbedingt wissen.

Demnächst würden sich wieder alle ihre Geschwister mit ihren Kindern bei Tante Martha treffen, dann würden wir gemeinsam auf den Blasheimer Markt gehen. Dort sei ein ganz besonders großer Rummelplatz und da gäbe es ein Riesenrad. Das würde bestimmt ein ganz besonderer Tag werden, berichtete sie. Ob ich da auch mit durfte, wusste ich nicht. Da sie nichts mehr sagte legte ich meine Handarbeit zur Seite und ging in den Garten.

Als dann die letzte Ferienwoche fast zu Ende war, fuhren wir zum Blasheimer Markt. Alle Tanten und Onkel und eine spärliche Anzahl Kinder, trafen sich in der Mühle. Von da aus gingen wir geschlossen auf den Rummelplatz. Tante Anni war ganz verrückt nach dem Riesenrad und sie brachte es fertig alle in zwei gegenüber liegenden Gondeln unterzubringen. Nur die Männer zogen es vor, anderen Belustigungen nach zugehen. Die Gondel fuhr jetzt halb in die Höhe, dann blieb sie lange stehen. Dann schwebte die Gondel auf die gegen über liegende Seite. So ging es eine ganze Weile bis alle Gondeln besetzt waren. Tante Anni war so übermütig, dass sie die Zeit mit Schaukeln vertrieb. Sie schaukelte die Gondel hin und her und mir wurde schlecht. Wie von Ferne hörte ich das Lachen von Tante Anni. Ich hielt mich krampfhaft fest und wartete darauf aus diesem "Höllengefährt" aussteigen zu dürfen.

Für mich war der Tag gelaufen, ich hatte an diesem Tag keine Wünsche mehr. Vati wollte mit mir an die Würstchenbude aber ich sagte nur: "Danke bloß nicht, mir ist schlecht." Tante Anni konnte nicht verstehen, dass ich nie wieder mitgehen wollte. Die Ferien waren zu Ende und ich freute mich auf die Schule, denn wir sollten ja einen Klassenlehrer bekommen. Im Klassenzimmer warteten wir erwartungsvoll, dann ging die Tür auf und eine nicht ganz junge, kleine dickliche Lehrerin betrat die Klasse. Sie hatte einen Haarknoten und ging zielstrebig auf das Pult zu.

Ihr Äußeres erinnerte mich an unsere Milchfrau. "Ich bin Fräulein Bockmann und bin eure neue Klassenlehrerin, ich unterrichte alles außer Handarbeit und Turnen." Mit diesen Worten stellte sie sich vor. Sie war mir völlig unsympathisch. Im Stillen dachte ich: in einem halben Jahr gehe ich auf die Mittelschule, dann bin ich sie wieder los.

Ein Grund mehr die Aufnahmeprüfung unbedingt zu bestehen. Nach der Pause brachte sie noch ein paar neue Mädchen in die Klasse. Eine war Holländerin und sprach kein Wort Deutsch. Das andere waren Mädchen aus umliegenden Dörfern, die auch demnächst auf die Mittelschule oder Mädchen-Progymnasium wollten. Die Mädchen sollten sich dem Lehrstoff anpassen damit sie nächstes Jahr einen leichteren Start hätten.

Da war auch Stine dabei, die ich bei unserem Paddelausflug kennen gelernt hatte. Sie hatte hellblonde, schulterlange Locken, war schlechter gekleidet als ich und trug meistens rote Gummistiefel.

Jetzt brauchte ich keine Angst mehr vor meinen Mitschülerinnen zu haben, sie hatten nun ein neues "Opfer". Fräulein Bockmann würde uns in wenigen Tagen die Zeugnisse bringen und dann würden wir für die Aufnahmeprüfungen lernen, versprach sie uns. Danach würde sie die Eltern einladen zum "Elternabend", um sie kennen zu lernen. Sie brachte unsere Sitzordnung durch einander und setzte mich ganz nach außen, auf eine der querstehenden Bänke. Vor ihrem Pult wollte sie die Schwätzerinnen haben, um diese besser beobachten zu können. Der Unterricht bei ihr war sehr gewöhnungsbedürftig, aber ich dachte immer daran, dass sie nur vorübergehend unsere Lehrerin war.

Als ich daheim von der Lehrerin erzählte wurde Mutti besonders nachdenklich. Der Name kam ihr bekannt vor, sie wusste nur nicht woher sie das Fräulein kannte. So verging eine Woche und wir bekamen völlig überraschend unsere Zeugnisse. Als ich mein Zeugnis in der Hand hielt, kam ich aus dem Staunen nicht heraus, ich hatte drei Mal "sehr gut". Beteiligung am Unterricht, Betragen und Heimatkunde. Alles andere war "gut", außer Leibesübungen da hatte ich wie erwartet befriedigend.

Der ständige Lehrerwechsel hatte meinem Zeugnis gut getan. Ich hoffte jetzt würden meine Eltern endlich zufrieden sein, und ging unbeschwert nach Hause. Jeden Tag hatte Mutti nach dem Zeugnis gefragt, aber heute wartete ich und es kam nichts von ihr.

Also deckte ich den Tisch und wartete bis alle beim Essen saßen. Da tat ich erschrocken und sagte: "Ach, ich habe ja heute mein Zeugnis bekommen." Mutti meinte: "Das reicht nach dem Essen noch, so gut wird es nicht sein." Dann kam das, was sie in letzter Zeit fast jeden Tag behauptete: "In meinem Geldbeutel haben wieder neunzehn Pfennig gefehlt." Ich sagte darauf: "Dann zähl doch dein Geld bevor du das Milchgeld herausnimmst."

Gerade ich müsse ihr Vorschriften machen, sie sei doch nicht dumm, aber ich sei unverschämt frech, bruddelte sie noch hinterher. Während ich den Tisch abräumte, und abputzte, fragte sie wo jetzt das Zeugnis sei. Ich holte meinen Ranzen und zog das Zeugnis heraus, das in einer nagelneuen Zeugnismappe steckte. Dabei dachte ich: Jetzt wird sie endlich mal zufrieden sein.

Sie schaute das Zeugnis an und meinte kritisch: "Die Hauptfächer sind wichtig nicht die Nebenfächer." In Deutsch und Rechnen da fehlten immer noch das "sehr gut". Vati sah das realistischer er meinte, das sei wirklich ein besonders gutes Zeugnis, holte eine Mark aus seinem Geldbeutel und gab sie mir, "damit du nicht immer von Muttis Geld nehmen musst." "Ich nehme von ihr kein Geld, sie zählt es, und nachher nimmt sie das Milchgeld heraus. Wenn sie dann wieder zählt, fehlen 19 Pfennig“, wehrte ich mich verbissen.

Ich ging an meine Hausaufgaben, denn ich hatte genug Arbeit im Garten. Die Frühkartoffeln mussten heraus, und ich freute mich auf die Gesellschaft von Ilsabein. Immer wieder schaute ich die Hühner an, da fehlt doch eines, dachte ich. Tatsächlich, es war Martha die fehlte. Überall suchte ich nach ihr, dann fiel mein Blick auf den Hauklotz, neben dem Komposthaufen. Da waren frische weiße Federn und Blut und gleich daneben sah ich ihren Kopf. Ihre Augen waren zu, arme Martha, flüsterte ich.

Es verging ungefähr eine Woche, da sollten wir nachmittags zu Prüfung kommen für die Aufnahme in die Mittelschule. Wir wurden in kleine Gruppen aufgeteilt und in viele Klassenzimmer verteilt. Ich hatte das "unwahrscheinliche Glück", in die Gruppe von Fräulein Bockmann zu kommen. Der bloße Anblick von ihr sorgte dafür, dass mir augenblicklich meine Fingergelenke weh taten.

Als erstes sollten wir ein Diktat schreiben. Sie diktierte zügig, für mich zu schnell. Ich bemühte mich in die Gänge zu kommen. Nachdem ich zwei Sätze geschrieben hatte, musste ich einen Satz auslassen um nicht ganz hinterher zu hinken. Den Rest des Diktates schaffte ich und kaum hatten wir das letzte Wort geschrieben, mussten wir das Heft zuklappen.

Zwei junge Lehrer, die zur Beobachtung dabei waren, sammelten die Hefte ein. Ich klagte: "Mir fehlt ein Satz, ich hatte einen Krampf in der Hand." Fräulein Bockmann fuhr dazwischen und verlangte sofort die Hefte. Der junge Lehrer flüsterte etwas und sie sagte nur, "jedes fehlende Wort ist ein Fehler." Sie schickte uns fünf Minuten in die Pause.

Diese Arbeit hatte ich verhauen, das war mir klar. Als nächsten mussten wir eine Nacherzählung schreiben. Die Lehrerin las einen Text vor, und wir mussten das Ganze mit eigenen Worten wiedergeben. Wir wurden streng bewacht von den zwei jungen Lehrern. Ich hatte keine Schwierigkeiten, auch nicht bei den Rechenaufgaben. Danach wurden wir noch einmal in die Pause geschickt, die recht lang ausfiel. Als wir wieder hinein gingen wurden zuerst die aufgerufen, die schon bestanden hatten. Danach die, die noch eine mündliche Prüfung über sich ergehen lassen mussten, zu denen gehörte ich. Sie hatte mir acht Fehler im Diktat angerechnet. Nur weil die anderen zwei Arbeiten gut waren, bekam ich eine zweite Chance.

Die mündliche Prüfung machte mir keine Kopfschmerzen, ich war nach fünf Minuten fertig. Die Aufnahme Prüfung hatte ich bestanden und kam auf den Hof, wo sich zwei Mädchen gerade ausgelassen freuten. Sie lagen sich in den Armen und tanzten im Kreis. Ich musste an Margot denken, und an unseren "Indianer Freudentanz." Nachdenklich ging ich heim, ob Margot auch bestanden hatte? Ganz bestimmt! Vielleicht kämen wir ja in die gleiche Klasse, und vielleicht sitzt sie ja wieder neben mir.

In diesen Gedanken versunken, kam ich in die Küche. Mutti schaute mich an und gleich kam die Frage: "Du hast wohl nicht bestanden, oder warum bist du so niedergeschlagen?" "Doch“, antwortete ich, "Aber ich sollte von der Lehrerin was ausrichten, und ich überlege was es war." "Kein Wunder," hetzte sie, "du hast deinen Kopf auch nie bei der Sache."

Ich setzte mich auf den Stuhl und tat so als wäre ich noch am überlegen. Dann holte ich den Brief aus meiner Tasche, den wir von Fräulein Bockmann bekommen hatten und gab ihn ihr, mit den Worten: "Das war es, für den Elternabend." Sie las den Brief und schien sich zu freuen, "die Bockmann" kennen zu lernen.

An diesem Abend brachte ich nur die Hühner in den Stall. Heute würde ich keinen Finger mehr krumm machen. Wir bekamen Herbstferien und ich erntete die Kartoffeln. Meine Ilsabein und Paula waren immer dicht dabei, während die drei jungen Hühner, die ich "Drillinge" nannte, Sicherheits-Abstand bewahrten. Vati hatte auch Urlaub bekommen und half mir bei den ersten zehn Reihen. Dann fing er an das Feld um zu graben. Im nächsten Jahr würde er einen Tagelöhner anheuern. Die Arbeit sei ihm langsam zu anstrengend.

Also von mir konnte er nicht mehr erwarten. Ich war gern im Garten aber ich stieß jetzt schon an die Grenzen meiner Kräfte. Im Anschluss an die Kartoffeln, pflückten wir noch die Äpfel und Birnen. Dafür stieg ich dann auch auf die Leiter, obwohl ich mich auf der Erde bedeutend wohler fühlte. So gingen die Ferien um und Mutti "donnerte" sich auf, für den Elternabend. Dort stellte sie fest, dass Fräulein Bockmann mit ihr in die Schule gegangen war.

Als der Aend um war, hatte ich bei der Bockmann nichts mehr zum Lachen. Mutti hatte ihr anscheinend sämtliche "Schandtaten" von mir, aus ihrer Sicht berichtet. Ich hoffte nur, dass sie es nicht vor allen Eltern gemacht hatte. Gleich nach dem Elternabend machte die Lehrerin darauf aufmerksam unsere Wertgegenstände, Geld usw., immer direkt bei uns zu tragen. Für die Pausen wurde eine "Klassenwache" bestimmt, die zu zweit auf alles aufpassen mussten. Das sollte wöchentlich wechseln. Ich kann mich nicht entsinnen jemals Klassenwache gemacht zu haben, das war der Bockmann sicherlich zu riskant.

Im Unterricht bemühte ich mich gut aufzupassen, denn sie ließ mich keinen Augenblick aus den Augen. Wenn sie Fragen stellte, nahm sie mich nie dran wenn ich anzeigte, sondern immer dann, wenn sie den Eindruck hatte, dass ich es nicht wusste. Dann sah ich sie in ihr Notizbuch schreiben. So nahmen wir die Hansestädte durch. Wir sahen Bilder der Städte und der schönen Häuser und Danzig hatte es mir besonders angetan. Über eine der Städte mussten wir einen Aufsatz schreiben und ich schrieb über Danzig.

Im Lexikon holte ich mir noch extra Informationen und der Aufsatz war hervorragend. Sie musste mir "gut" geben, "sehr gut" wäre sicher auch nicht übertrieben gewesen. Wir mussten alle Arbeiten von den Eltern unterschreiben lassen, und sie gab mir laufend schlechte Noten. So kam es dann, dass Mutti wieder bei jeder, nicht so lobenswerten Arbeit damit drohte, mich in ein Heim zu bringen. Als ich eines Morgens wieder total niedergeschlagen in die Schule kam, fragte eine Mitschülerin mich warum ich denn so traurig sei. In diesem Augenblick muss mich ein Teufel geritten haben. "Ich ziehe bald von hier weg," sagte ich leise. Alle Tischnachbarinnen wurden auf mich aufmerksam. "Wohin," wollten sie wissen. Ich wollte nicht sagen, dass sie mich in ein Heim stecken wollten, also sagte ich: "Zu meinem richtigen Vater nach Danzig." Ich hatte keine Ahnung was ich jetzt angerichtet hatte.

Die Bockmann kam zu Tür herein und eine der vorlauten Mädchen rief gleich: “Anneliese will nach Danzig gehen." Die Lehrerin wusste ja schon von Mutti, dass ich log, wenn ich den Mund aufmachte. Also war ihre Frage: "Was willst du denn in Danzig?" Ich sagte mit Bestimmtheit: "Ich will zu meinem Vater." Damit war der Fall erledigt, aber Gewitterwolken brauchten immer eine Weile, bis es zum Knall kommt.

Daheim räumte ich den Garten ab, und es wurde Winter. Rechtzeitig zu Weihnachten wurde der Schal fertig, den ich für Mutti gestrickt hatte. Die Wolle dafür hatte ich von Tante Liese. Ich bekam ein Buch, wieder so ähnlich wie Heidi. Ich hatte mir ein "Pucki-" Buch gewünscht, denn das war gerade der Lesestoff meiner Mitschülerinnen. Aber ich bekam nie was ich mir wünschte. Sonntagnachmittags ging ich gern ins Gemeindehaus, da war eine kleine Gruppe die sich "Freundeskreis" nannte. Wir sangen, bastelten und machten Gesellschaftsspiele. Die Gruppenleiterin, hieß Elfi, wir mochten sie.

Jeden Sonntag las sie eine Geschichte aus der Bibel, und während wir bastelten konnten wir Fragen stellen. Dort fühlte ich mich wohl und Elfi hatte für jeden ein offenes Ohr. Es wurde Frühling, Mutti hatte wieder Geburtstag und war jetzt einundfünfzig Jahre alt. Vati wird im Oktober vierundsechzig werden, und dann muss er noch ein Jahr zur Arbeit. In seiner Firma war schon eine Nachfolgerin bestimmt, die er gründlich einlernen musste. Er gab ungern seinen Posten in die Hände eines Fräuleins, und litt seelisch darunter, nicht mehr so dringend gebraucht zu werden.

Seine Abrechnungen ließ er von mir nachrechnen, weil er Angst hatte, einen Fehler zu machen. Man merkte, dass er geistig abbaute, er hatte Arterienverkalkung. Das war auch der Grund dass er alles machte was Mutti von ihm wollte. Es ging auf Ostern zu und ich hatte Angst vor dem Zeugnis. Das fiel dann auch sehr bescheiden aus. Ich hatte noch nie so viele befriedigend gesehen. Das Zeugnis bestärkte Mutti in ihrer Meinung, dass aus mir niemals etwas würde. Ich hoffte, dass es im nächsten Jahr wieder besser würde, da wir ja einen neuen Lehrer bekamen. Die Mitschülerinnen ließen mich in Ruhe sie hatten ja jetzt Stine auf der sie herumhackten.

An den Vorfall mit "Danzig" dachte niemand mehr,- außer Fräulein Bockmann. Sie schien ein ebenso gutes Gedächtnis zu haben wie ich. Die Ferien begannen, und zu Ostern wollte Mutti natürlich wieder zu ihrer Mutter. Ich wollte nicht mit, mir war es lieber in den Freundeskreis zu gehen. Ihr war es recht, da konnte sie die Fahrkarte einsparen, aber ich sollte mir selbst etwas zum Essen machen.

Das war kein Problem, mir reichten Spiegeleier. Für mich war es ein schönes Osterfest, zumal sie ja über Nacht bei Oma blieben. Gegen Abend ging ich noch zu Frau Lindemann, nachdem ich vorher die Hühner versorgt hatte. Spät abends schlich ich ins Haus, damit Frau Bollmann mich nicht verpetzen konnte.

Morgens verschlief ich und die Milchfrau klingelte. Schnell zog ich meinen Mantel über das Nachthemd und rannte mit dem Milchtopf an die Tür. "Na verschlafen?" kam es von der Bäuerin. Ich stotterte "Natürlich nicht, ich wollte gerade in die Kirche." Der Blick der Milchfrau streifte mich von oben bis unten und noch einmal von unten nach oben, dann kam aus ihren leicht verzogenen Mundwinkeln ein: "So, so." Ich nahm den Milchtopf stellte ihn in die Küche und wollte im Schlafzimmer in den Spiegel schauen. Aber da war abgeschlossen. Das hatte sie noch nie gemacht, jetzt hatte sie Angst ich würde an ihr Geld im Wäscheschrank gehen.

Also ging ich in mein Zimmer vor den Spiegel. Da sah ich das, was der Milchfrau ein "so, so" entlockt hatte. Die Haare total zerzaust, in Pantoffeln, ohne Strümpfe und das weiße Nachthemd schaute mindestens zehn Zentimeter unter dem Mantel hervor. Warum fiel ich immer bei der Milchfrau so peinlich auf? Ich redete in letzter Zeit viel zu viel. Was noch schlimmer war, ich dachte nicht nach was ich sagte.

Ein paar Tage später fing die Schule wieder an. Ich packte meinen Ranzen. Den Griffeilkasten brauchte ich nicht mehr, denn ich hatte zu Weihnachten ein ledernes Mäppchen bekommen. Warum kaufte sie mir immer Sachen aus echtem Leder, die anderen Schüler hatten viel schönere Mäppchen die billiger waren. Dann packte ich alle Schulbücher ein, die wir heute abgeben mussten.

Den Essenträger brauchte ich jetzt auch nicht mehr, denn die Zeit der Schulspeise war vorbei. Mutti richtete mir wieder ein Pausenbrot. Dann ging ich erwartungsvoll in die Schule. Auf dem Schulhof warteten wir, dass wir von einem Lehrer aufgerufen wurden, denn wir wurden in vier Klassen aufgeteilt. Zweimal Mädchen zweimal Jungen. Der Lehrer, den ich gern gehabt hätte, es war der mit dem Motorrad, der mich damals ins Krankenhaus brachte, war schon vergeben. Dann kam die Bockmann vor die Tür mit ihrer Liste. Ich wusste nicht, dass sie auch an der Mittelschule unterrichtete. Als sie gleich meinen Namen aufrief, war ich vor Schreck erstarrt. Wäre ich doch nur auf der Volksschule geblieben, dachte ich.

Wir fuhren ins Landschulheim

 

 Wir stürmten in das neue Klassenzimmer, es lag im 1. Stock. Der Raum ähnelte unserem allerersten Klassenzimmer. Nur die Bänke waren unserer Größe angepasst. Mir war es völlig egal wo, und neben wem ich sitzen würde. Ich fand einen freien Platz in einer der mittleren Reihen.

Meine Nebensitzerin hatte Milchschorf, und sie sah furchtbar aus. Niemand wollte neben ihr sitzen. Sir sagte zu mir: "Du brauchst dich nicht zu fürchten, das ist nicht ansteckend." Ich meinte nur: "Es macht mir nichts aus, dafür kannst du ja nichts." Mehr hatte ich wohl nie mit ihr gesprochen.

In der Bank vor mir vermisste ich Lore, sie hatte immer den Platz vor mir. Sie war auf die Töchterschule gegangen, wie die anderen Mädchen wohlhabender Eltern. Vor mir saß das Mädchen mit der sanften Stimme, Veronica. Sie war angenehm im Wesen und man konnte mit ihr auskommen.

Zuerst gaben wir unsere Bücher ab und ein paar Mädchen mussten die gleich ins Rektorat bringen. Auf dem Rückweg brachten sie unsere neuen Schulbücher mit. Der Büchersegen wollte gar nicht aufhören. Wir bekamen ein Lesebuch, ein Buch für Sprachkunde und Rechtschreibung, ein Mathematik- und ein Englischbuch. Ein Buch für Naturkunde, eines für Erdkunde sowie ein Religionsbuch. Ein Musikbuch sollten wir uns selber kaufen, und einen Atlas. Danach bekamen wir einen Stundenplan.

Wir sollten immer nur die Bücher in den Ranzen packen, die wir laut Stundenplan benötigten. Dann verriet uns Fräulein Bockmann, dass wir Musik und Religion bei einem anderen Lehrer hätten, Bei Herrn von Bock.

Na sauber, dachte ich bei mir, noch ein Bock. In Gedanken hakte ich dieses Schuljahr ab. Es läutete und wir gingen in die Pause. Alle Schüler mussten durch einen Ausgang. Die Tür, die auf den Mädchenschulhof führte war nie offen. Wir kamen also zur Tür hinaus, mussten ein Stück über den Jungenschulhof und dann vorbei an dem alten Schulhaus auf den Mädchenschulhof. In der fünf-Minuten Pause konnten wir dann gleich wieder umdrehen. Wir eilten also über den Jungenschulhof und passten auf, dass uns niemand ein Bein stellte.

Da passierte es dann doch, Stiene stolperte über ein Knabenbein und fiel der Länge nach auf den Schulhof. Sie bot ein jämmerliches Bild dar. Ihr Strickrock war nach oben umgeschlagen und die Unterhose, die ihren fetten Hintern bedecke, hatte ein großes Loch. Alle Jungen lachten sie aus. Sie tat mir leid und ich dachte an meinen furchtbaren Unterrock.

Da half ich ihr hoch und klopfte ihren Rock ab. Ich nahm sie an der Hand und zog sie auf den Mädchenschulhof. Die nächste Stunde mussten wir wieder unsere Familienverhältnisse preisgeben: Name, Geburtstag, Adresse, Beruf von Vater oder Mutter, Krankenkasse. Danach war die Stunde auch um. Ich war es gewohnt allein in die Pause zu gehen, jetzt klebte Stiene plötzlich an mir.

In der darauf folgenden Stunde begann die Lehrerin mit folgendem Satz. "Wir kommen jetzt zu einem dringenden Thema. Eine Schulklasse kann noch im Mai ins Schullandheim." Wenn der Großteil unserer Eltern zustimmen würde, käme nächste Woche der Schularzt damit wir die Kur bei der Krankenkasse beantragen könnten. Den Betrag in Höhe von 40.-- DM müssten die Eltern pro Kind zuzahlen. Es gab großen Jubel in der Klasse, einige sagte, sie hätten so viel Geld selbst auf dem Sparbuch.

Fräulein Bockmann zeigte Bilder von dem Schullandheim, welches in der Nordsee auf einer kleinen Insel sei. Ich machte mir keine großen Hoffnungen dabei zu sein. Also ging ich mutlos heim, verfolgt von Stiene, die ich jetzt wohl nicht mehr los werden würde. Als wir von der Eckstraße auf die Ringstraße kamen, bog Stiene ab und ging den kleinen Feldweg hinauf der direkt zu ihrem Dorf führte.

Ich ging allein weiter und kam bei dem Hund vorbei, der das Bellen nicht lassen konnte. In der Not warf ich einen kleinen Stock über das Tor, dem er nachrannte. Die Malersfrau riss das Fenster auf und rief. "Schmeiß nicht immer was in unseren Hof." "Sorgen sie dafür, dass ihr Hund die Klappe hält", war meine rotzfreche Antwort. Erfreut darüber, dass es mit der Frechheit langsam klappte, kam ich auf unseren Hof.

Mein Schulranzen war so schwer, dass ich ihn gleich in die Ecke knallte. "Warum bist du denn so schlecht gelaunt“, fragte Mutti und schaute in meinen Affen, dann rief sie entsetzt: "So viele Bücher? Das kann ja kein Mensch schleppen!" Aus der Tasche holte ich jetzt den Stundenplan und sagte: "Die Bücher brauche ich nicht alle an jedem Tag."

Dann holte ich den Zettel hervor vom Landschulheim. Sie schaute ihn an und fing an zu rechnen. Als Vati kam, brachte schnell die Teller und das Besteck. Seine erste Frage war, welchen Lehrer ich denn bekommen hatte. Ich sagte zornig: "Wieder die Bockmann und dann auch noch Herrn von Bock, zwei Böcke, das ist zu viel für mich."

Vati verzog das Gesicht zu einem winzigen Lächeln und Mutti rügte mich wegen meiner abfälligen Redensart. "Frau Bockmann ist eine sehr gute Lehrerin, und Herr von Bock ist ein feiner Herr. Er spielt auch die Kirchenorgel und leitet den Kirchenchor. Er ist eine Bereicherung für unsere Stadt."

Jetzt wusste ich es, Mutti hatte es mir genau erklärt. Vati wollte wissen neben wem ich saß, aber ich konnte ihm nur sagen, dass sie voll mit Milchschorf war. Den Namen hatte ich mir gar nicht gemerkt. Mutti sagte "Pass auf, dass sie dich nicht ansteckt," und Vati wusste genau, dass es nicht ansteckend war. Sie stocherte in ihrem Essen herum und wollte jetzt über das Landschulheim reden.

Vierzig Mark, meinte sie, sei ein Haufen Geld, und im Garten müsse gesät und gepflanzt werden. "Gut," sagte ich, "dann sage ich der Bockmann, dass ich nicht mit kann, ich müsse im Garten arbeiten." "Das heißt Fräulein Bockmann!" fuhr sie mich an. "Schön blöd, wenn man in dem Alter noch keinen Mann hat, aber die Schrulle will ja keiner." bemerkte ich abfällig. Vati hielt sich aus der Unterhaltung heraus, obwohl er heute einen guten Tag hatte, was seine Krankheit betraf. Er meinte dann, ich sollte unbedingt mit zur Nordsee, denn etwas Besseres gäbe es nicht für meine Schilddrüse.

Sie fing wieder an zu rechnen und rechnete die Lebensmittel zusammen und teilte durch drei. Sie kaufte seit einiger Zeit im Konsum ein, der hier in der Nachbarschaft aufgemacht hatte. Da war sie Mitglied geworden und sammelte die Einkaufsbelege um sie von Zeit zu Zeit zusammen zu rechen. Wenn man für ca. 100.-- Mark eingekauft hatte, wurde Rabatt ausgezahlt. Anhand dieser Zettel errechnete sie den Bedarf für mich, für vier Wochen. Sie kam nicht auf 40.-- Mark und Vati erwähnte, dass sie danach nicht gehen könnte, weil wir Obst, Gemüse und Fleisch, sowie Wurst immer noch selber hatten.

Das mit dem Garten würden sie auch vier Wochen lang allein schaffen. Vati nahm seinen Hut und verschwand und ich machte meine Hausaufgaben. Mutti fragte mich: "Möchtest du denn gerne mit?" In meinem Kopf lautete die Alarmglocke: Nur nichts anmerken lassen!! Also antwortete ich nach einiger Überlegung: "Ach ich bleibe genau so gern hier, weil Schule haben wir dort auch, die Bockmann fährt ja auch mit. Die Kinder, die nicht mitdürfen, kommen solange in eine andere Klasse."

Also wenn das Fräulein Bockmann auch mit ins Schullandheim ginge, dann sei es ganz klar, dass ich auch mitfahren sollte, denn schon wieder ein anderer Lehrer, das sei eine Zumutung. Na, dachte ich bei mir, das funktioniert doch, laut jammerte ich: "Aber ich habe keinen Badeanzug, der grüne ist zu klein." Sie meinte: "Daran soll´ s nicht liegen, ich stricke dir einen." Lieber wäre es mir gewesen, bei Onkel Heini einen Badeanzug zu kaufen.

Während Mutti nach Wolle suchte, schlug ich meine Bücher ein und schrieb den Stundenplan ab, denn was anderes hatte ich nicht auf bekommen. Mein Stundenplan kam an die Wand neben die Kaffeemühle und in meinen Affen kamen nur die Bücher, die ich laut Stundenplan am nächsten Tag brauchte. Die anderen Bücher kamen in mein Fach, unten im Küchenschrank.

Dann fiel mir ein, dass ich noch einen Atlas und ein Musikbuch brauchte. Zaghaft kam ich darauf zu sprechen und dachte, jetzt würde sie mich doch nicht an die Nordsee lassen. Aber sie sagte nur: "Einen Atlas habe ich auch für die Schule gebraucht, den muss man immer selbst kaufen und ein Musikbuch kannst du ja auch ein paar Jahre benutzen." Dann kam wieder einer ihrer billigen Witze: Kommt ein Bauernmädchen zur Mutter, "Mutti ich brauche einen Atlas." Die Mutter hörte schlecht und verstand aber das Wort Atlas. Da Atlas eine teure Seide war, die die Bauern nur in ihren teuren Festkleidern verarbeiteten, antwortete sie: "Atlas, wofür Atlas? Ein Stück Kattun wird’s auch wohl tun." - Ich verzog ein wenig meine Mundwinkel und fragte, "was ist denn Kattun?" Sie erklärte mir, dass es ein Baumwollstoff sei, dünn und dicht gewebt, und meistens einen leichten Glanz hätte.

Sie widmete sich jetzt ihrer Wolle, die nicht nur dunkelgrau war, sondern auch gräulich aussah. Die Wolle war die Luxusausgabe von der Wolle, aus der mein Unterrock gestrickt war. Sie war kratzig und es waren auch kleine Fremdkörper mit eingesponnen. Wenn ich die Holzsplitter herausziehen würde, könnte ich ein Feuerchen damit machen. Tante Martha hatte die Wolle gesponnen, sie nahm das nicht so genau. Da die Schafe immer in Gehegen mit Holzzäunen waren, blieben immer kleine Splitter im Fell hängen. Die gingen nur heraus, wenn die Wolle sorgfältig gereinigt und gekämmt wurde.

Tante Liese konnte das, ihre Wolle war immer ganz weich. Aber Tante Martha bekam die Wolle nicht so toll hin.- Na ja, beim Baden wird’s wohl gehen.

Ich ging in den Garten um das Frühbeet zu richten. Das wurde Zeit, denn sonst hätte ich nachher keine Pflanzen zum setzen. Bis zu den Eisheiligen durften die Hühner noch in den Garten, danach werden sie dann, bis ich zurück komme im Hühnerhof bleiben. Hoffentlich vergreift sie sich in der Zeit nicht an Ilsabein und Paula.

Nachdenklich ging ich in den Stall um die Eier zu zählen. Es waren fünf, nicht unbedingt viel zu dieser Jahreszeit für acht Hühner. Mit diesem Gedanken ging ich ins Haus. Mutti hatte mit dem Stricken schon begonnen. Als Vorlage hatte sie meinen alten Badeanzug geholt. Sie strickte das klassische Waffelmuster, vier rechts vier links, nach vier Reihen versetzt.

Da nahm ich eine kleine Schere und trennte das Freischwimm-Abzeichen von dem alten Badeanzug ab. Wenigstens das sollte dem "altweibergrau" ein bisschen frische Farbe geben. Ich würde es auf den Badeanzug nähen, wenn er dann pünktlich fertig würde.

Nach dem Abendessen sprachen wir noch einmal über die Fahrt zur Nordsee. Vati meinte, die Kosten voll von der Krankenkasse genehmigt zu bekommen, da ich an der Schilddrüse erkrankt sei. Das sei überhaupt kein Problem. Weil sie glaubten, dass ich gar nicht gern fahren wollte, erzählten sie mir von ihren Erfahrungen, und Erlebnissen, die sie auf der Insel hatten. "Du musst unbedingt Badeschuhe mitnehmen," riet mit Mutti. Der Strand sei voller Muscheln, und ich könnte mich verletzen. Sie lief ins Schlafzimmer um mir ihre Badeschuhe zu schenken. Die Schuhe passten, denn ich war ja inzwischen so groß wie sie.

Die seltsamen Schuhe brachte ich in meinen Schrank. Sie würde ja nicht sehen ob ich die anziehe oder nicht. Vati konnte nicht verstehen, dass ich mich gar nicht freute und meinte bevor ich gute Nacht sagte: "Jetzt freue dich doch wenigsten ein bisschen." Mutti sagte darauf: "Das kommt schon noch."

Als sie am nächsten Nachmittag in die Stadt ging um den Atlas und das Musikbuch zu kaufen, rannte ich zu Frau Lindemann und erzählte ihr die Neuigkeiten. Sie freute sich mit mir, und war belustigt, dass ich vor meinen Eltern so tat, als wollte ich nicht mitfahren. Sie fand das aber gut, weil sie wusste, dass Mutti immer das Gegenteil machte, von dem was ich gerne wollte.

Die Lehrerin kündete den Arzt an, wir sollten saubere Unterwäsche anziehen, damit sie sich nicht schämen musste. Einige Mädchen durften nicht mit, darunter war auch Stiene. Ich glaube sie war in gar keiner Krankenkasse. Sie hatte angegeben sie würden den Arzt immer selber bezahlen.

Veronica, war heute zum letzten Mal in der Schule, ihre Mutter hatte wieder geheiratet und sie würden nach Aachen ziehen. Die meisten Kinder durften fahren, und waren voller Vorfreude. Wegen der Lehrerin, hielt sich meine Vorfreude auch hier in Grenzen. Erstaunt fragte sie mich: "Du darfst doch mit, freust du dich denn gar nicht?" "Ich freue mich erst wenn ich im Zug sitze," gab ich ihr zur Antwort, "ich habe mich schon zu oft umsonst gefreut."

Die Kinder schauten mich erstaunt an und die Bockmann grinste verhalten. Gleich in der ersten Stunde kam der Arzt vom Gesundheitsamt mit einer Schwester. Wir mussten uns in einer langen Reihe aufstellen und hatten nur die Unterhose an. Einige Mädchen hatten schon kleine Brüste und dafür interessierte ich mich, denn bei mir war noch überhaupt nichts zu entdecken. Der Doktor schaute jeden einzelnen genau an ob keiner eine ansteckende Krankheit hatte.

Jedes Kind wurde gewogen und gemessen. Danach schaute er jeden von allen Seiten an. Nach einem Blick in die Unterhose, kamen immer die Worte "Kuraufenthalt befürwortet." Bei mir hatte die Schwester mehr zu schreiben. Er stellte Kreislaufbeschwerden fest, die Hände wären leicht blau, dazu eine erhebliche Schilddrüsen-Erweiterung. Ich hielt krampfhaft meine Unterhose fest, er schaute trotzdem hinein und dann kamen die Wörter: "Dringend befürwortet."

Die Lehrerin daraufhin: "Siehst du, wie nötig du es hast, ans Meer zu kommen." Wir zogen uns an und gingen zurück auf unsere Plätze. Der Platz vor mir musste normal frei sein, Veronica war doch nicht mehr da. Aber er war nicht frei. Ich stand schnell auf und schaute zuerst, ob ich auf der richtigen Bank saß. Da der Doktor noch am Zusammenpacken war, ging ich aus der Bank heraus um zu sehen, wer denn da vor mir saß.

Ich musste mich erst kneifen, denn in der Bank saß Lore und lachte mich schelmisch an. Erstaunt fragte ich: "Wo kommst du her? Ich denke du bist auf dem Lyzeum!" "Mir hat es da nicht gefallen, die Mädchen dort, und die Lehrer und die Vornehmtuerei. Ich bin wieder da, und Lisa auch, die sitzt da hinten." Das war ein kleiner Lichtblick und weil die Bockmann mich schon wieder beobachtete, freute ich mich innerlich darüber. Die Lehrerin war mir unheimlich. Wenn sie merken würde, dass ich mich freue, würde sie mich oder Lore in eine andere Reihe setzen. Lore tat mir leid, dass ihre Freundin nicht bei ihr sitzen konnte.

Der Brief vom Gesundheitsamt kam schon am nächsten Tag. Vati bemängelte, dass unser Hausarzt mir nicht schon lange eine Kur verschrieben hatte. Er war sich sicher, er nahm es nicht so genau mit den Untersuchungen. "Doch, doch," versicherte Mutti, er hat ja sogar ein Röntgengerät und hat uns beide durchleuchtet. Vati hatte keine Lust sich darauf einzulassen. Außer meinem Kurantrag waren noch zwei weitere in dem Brief. Die Kinder von Seidels, die gleich ein paar Häuser weiter Richtung Bergschlösschen wohnten, wollten auch ins Schullandheim. Heidrun war sogar in meiner Klasse.

Mutti meinte ich solle mich doch mit ihr anfreunden. "Nee“, sagte ich, "die ist so eingebildet, außerdem mag die mich nicht." In den kommenden Tagen strickte Mutti wie besessen. Mir blieb kaum Zeit meinen Aufnäher am Badeanzug anzubringen. Der Badeanzug sah bescheuert aus, aber ich probierte ihn an und es ging so. Den oberen Teil hatte sie mit einer Kordel zusammengezogen, die im Nacken gebunden wurde. Vorne musste ich aufpassen, dass die Brustwarzen nicht hervor blitzten. Mutti meinte das sei bei mir nicht schlimm, ich hätte ja noch nichts.

Am Samstag packten wir dann den Koffer. Sie hatte meinen Koffer vom Boden geholt, den Koffer, den ich hatte als ich hier ankam. Auf den Gurten stand Papas Name, ich drehte die Gurte um, damit sie es nicht merkte. Ich fragte woher der Koffer sei und sie log der sei von Vati, als er zur Kur in Bad Hersfeld war. Sie schrieb genau auf, was sie in den Koffer packte, gab mir noch fünf Briefmarken und eine uralte Geldbörse mir drei Mark Taschengeld. Zum Schluss packte sie mir noch eine Flasche Apfelsaft in den Koffer, wenn ich mal Durst hätte.

Da ich in der Zeit Geburtstag hatte, bekam ich noch den letzten Rest der Weihnachtsplätzchen, und eine Tafel Schokolade für den Geburtstag. "Aber nicht vorher essen“, sagte sie mit Nachdruck.

Am Sonntag ging ich noch einmal in den Freundeskreis. Ich erzählte Elfi, dass ich meinen Geburtstag auf der Insel allein feiern würde. Sie wollte meine Anschrift und die konnte ich ihr geben. Sie würde mir dann eine Karte schreiben. Dann gab sie mir noch eine Mark, die sollte ich aber auf keinem Fall zu Hause vorzeigen. "Steck es in deinen Strumpf und vergiss es nachher nicht“, Riet sie mir. Als ich wieder daheim war, wollte ich mich schnell noch von Frau Lindemann verabschieden.

Die saß nicht in der Laube, es war zu kalt. Darum stieg ich über den Zaum und lief ins Haus. Sie hatte mir ein Strandkleidchen genäht, aus einem alten Kleid von sich. Das gab sie mir und steckte mir fünf Mark in die Tasche. "Damit du auch etwas Taschengeld hast“, sagte sie und küsste mich zum Abschied auf die Stirn. Ich versprach, ihr eine Karte zu schreiben. Die fünf Mark hatte ich auch in den Kniestrumpf gesteckt, und die waren jetzt richtig wertvoll.

Nun musste ich noch die Hühner versorgen und ich sagte zu Ilsabein, dass ich jetzt vier Wochen nicht da sei. Ich bat sie und Paula, trotzdem immer schöne Eier zu legen, damit ihnen nichts passierte. Dann streichelte ich sie beide ausgiebig und gab ihnen einen Kuss auf den Kamm. Beide schüttelten den Kopf nachher, es schien ihnen nicht gefallen zu haben.

Beim Abendessen zeigte ich keinerlei Anzeichen von Reisefieber, obwohl mein Herz vor Vorfreude gehörig klopfte. Vati fragte ob ich die Schulbücher hätte. Die waren schon im Koffer. Mathe, Deutsch, und Englisch, die drei Bücher musste ich mitnehmen dazu unser Schreibmäppchen. Hefte brauchten wir nicht, wir würden von den Lehrern mit Papier versorgt werden.

Dann bekam ich noch eine Menge Verhaltensregeln und ich sollte nicht vergessen Linda zu schreiben. Der Oma sollte ich wenigsten Grüße bestellen, wenn ich Linda schreiben würde. Als sie dann noch predigte dass ich nicht zu weit ins Watt laufen sollte, weil ich sonst vielleicht nicht mehr zurückkäme, war meine Geduld zu Ende und ich fragte: "Und wer bitte schön, merkt überhaupt wenn ich nicht zurückkomme?" Mutti entrüstete sich, sie sei dann sehr wohl traurig. Vati meinte es vielleicht ehrlich er sagte, "ich werde dich vermissen." Bei der Gelegenheit bat ich ihn auf meine zwei Lieblingshühner aufzupassen, denn in vier Wochen käme ich ganz bestimmt zurück."

Ich gehe jetzt ins Bett, denn morgen muss ich ausgeschlafen haben." Den Koffer konnte ich noch nicht zumachen, es fehlte die Zahnbürste und die brauchte ich morgen noch. Am nächsten Morgen ging alles ganz schnell, ich zog frische Strümpfe an, steckte das Geld schnell in den Geldbeutel, den schob ich nach unten in den Koffer dann die Zahnbürste hinein und danach klappte ich den Koffer zu, nachdem ich die Haltegurte befestigt hatte. Außen war noch ein Ledergurt der gab dem Koffer zusätzlichen Halt. Vati nahm den Koffer und ich den Milchtopf.

Mutti kam als letzte aus dem Haus, sie hatte in letzter Minute noch den Hut ausgetauscht. Vati stellte den Koffer auf sein Fahrrad. Wenn der Zug abgefahren sei, wollte er gleich zur Arbeit fahren. Alle waren am Bahnhof aufgeregt, nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Ich behielt die Ruhe. Dann kam die Bockmann und fragte: "Na was ist denn jetzt, kannst du dich immer noch nicht freuen? Bist du denn gar nicht aufgeregt?" "Doch“, entgegnete ich, "Zuerst werde ich mich noch ordentlich verabschieden. Danach steige ich in den Zug ein, und wenn ich dann auch noch einen Platz finde, dann habe ich zwei Stunden Zeit mich zu freuen."

Die Lehrerin ging jetzt unruhig auf und ab, und rief die Kinder sollten Einsteigen. Die anderen Mädchen hingen an ihren Eltern weinten und küssten, ich konnte nicht hinsehen. Dann gab ich Vati und Mutti die Hand und ging auf den Zug zu. Vati brachte den Koffer in den Zug. Dort nahm er mich noch einmal in den Arm und ich gab ihm einen dicken Kuss auf die Backe. Er stieg wieder aus, ich suchte einen Platz und ein Lehrer versorgte meinen Koffer. Als der Zug losfuhr, winkte ich noch ein paar Mal.

Alle Kinder waren am heulen, ich weinte auch, weil die anderen Eltern alle so lieb zu ihren Kindern waren. Äußerlich unterschied ich mich jedenfalls jetzt nicht von den anderen Kindern. In meinem Abteil saß Lore und ihre Freundin Lisa. Lore hielt den Rekord beim Heulen, sie hatte ganz liebe Eltern und hing sehr an ihnen, obwohl sie auch adoptiert war.

Als wir durch Oldenburg kamen, gingen sie ersten Mädchen schon an ihr Gepäck. Sie holten sich etwas zum Essen heraus. Hunger hatte noch keinen. Ich hatte eine Wandertasche bekommen, in die Mutti etwas für die Reise hinein getan hatte. Die Tasche war schon leer schwer genug, sie kaufte immer nur aus echtem Leder, und wenn’s auch nur Schweinsleder war. Als wir in Carolinensiel ankamen, mussten wir auf das Schiff warten. Wir gingen in eine Wartehalle. Ich nutzte die Gelegenheit jetzt auch ein wenig zu essen. Ein Ei von Ilsabein war genau das richtige. Dazu nahm ich mir noch ein halbes Butterbrot.

Die Bockmann meinte mich warnen zu müssen: "Iss nicht so viel, auf dem Schiff könnte es dir übel werden." Da ich nicht viel gegessen hatte fragte ich: "Wieso gibt es dort Erbsensuppe?" "Blödsinn," meinte sie, "du wirst bestimmt seekrank." Lore mischte sich ein: "Anneliese wird es nur von Erbsensuppe schlecht, sonst wirft die nichts um." Die Lehrerin hatte das letzte Wort: "Abwarten."

Bald darauf kam ein Lehrer und forderte uns auf, den Koffer zu nehmen und auf das Schiff zu gehen. Der Lehrer war der, bei dem ich lauter gute Noten hatte. Ich freute mich, dass er auch dabei war. Jeder schleppte seinen Koffer. Heidrun hatte einen besonders großen Koffer, ich glaubte, dass der größer war als sie.

Ein Lehrer half ihr. "Hast du denn alle deine Sachen dabei?" fragte er sie. "Nein," antwortete Heidrun, das ist für mich und meine große Schwester. Meine Schwester kommt in der nächsten Kur, die bringt den Koffer dann wieder nach Hause." Auf der Rückfahrt würde sie dann nur ein Umhänge-Täschchen haben. Von einem Mädchen war die Mutter dabei, sie wollte in der Küche helfen.

Fräulein Bockmann stand umringt von einem Haufen Mädchen an der Reling sie göbelten abwechselnd. Ich sagte zu Lore: "Nur nicht hingucken, das ist ansteckend." Mit Atemübungen lenkten wir uns ab, und es ging uns gut. Wir amüsierten uns köstlich und konnten uns nicht satt daran sehen.

Total erschöpft suchten die Mädchen sich eine Sitzgelegenheit und die Bockmann stand allein da und hielt sich am Geländer fest. Lisa schlug vor, Lore sollte zu ihr gehen und fragen ob sie jetzt ausgekotzt hätte. Ich schlug vor, sie sollte fragen, ob sie Fische gefüttert hätten. Das fand Lore gut und sie torkelte los. Der Seegang machte ihr zu schaffen. Als sie bei der Bockmann war, fing sie auch an zu reihern.

Wir konnten nicht mehr vor Lachen und stellten fest, solange wir saßen und uns mit Späßchen ablenkten ging es uns gut. Wir würden uns hüten aufzustehen. Lisa und ich hielten durch. Die anderen Klassen waren auf der anderen Seite vom Schiff, wie es denen ging, wollten wir nicht wissen. Einige waren unten, da muss es scheinbar gut gewesen sein, denn es kam niemand herauf gerannt. Lore kam wieder und war fix und fertig.

Wir freuten uns über die Möwen die schreiend ums Schiff flogen. Sie begleiteten uns bis an den Ostanleger direkt an unserem Schulheim. Als wir auf dem Steg waren, stand da eine Wagen auf den Schienen, wir packten unsere Koffer darauf und das Fahrzeug, was sich Lore nannte, wurde von einem alten Seemann, bis vor das Landschulheim gebracht. Jeder schleppte seinen Koffer und wir fanden zwei Schlafsäle vor, die rings um Etagenbetten hatten. In der Mitte waren Einzelbetten.

Die Häuser waren alle auf Pfählen gebaut, und ganz aus Holz. Die Jungen hatten ihr Haus auf der anderen Seite der Bahnschienen. Das Haus hatte noch höhere Pfähle und einen Steg. Die Mädchen stritten um die Betten, ich schaute ihnen zu und wartete. Als alle ein Bett hatten, nahm ich von denen die noch frei waren. Ich nahm das gleich neben der Tür, das wollte niemand.

Es war ein Etagenbett und ich nahm das obere. Unten waren schon ein paar Koffer, da stellte ich meinen dazu. Mir gefiel mein Bett. Ich war im gleichen Schlafsaal wie Lore und Lisa. Eine von den größeren Schülerinnen aus der anderen Klasse, warnte mich: "Du bist die erste die einen auf den Deckel kriegt, wenn die Lehrerin abends reinschaut. Ich war letztes Jahr schon hier." "Macht nichts," bemerkte ich trocken, "Ich bin auch die erste, die sie sieht." "Dann kannst du uns warnen," meinte die andere jetzt. "Nee," sagte ich, "ich bin zwar ein bisschen ruhiger als ihr, aber nicht blöd."

Dann läutete ein Glocke und wir mussten ins Küchenhaus. Es sollte Essen geben. Im Speisesaal fing die Rangelei wieder an. Unsere Mädchen wollten alle zur Bockmann an den Tisch, nein, danke, dass wollte ich wirklich nicht. An einem Tisch, es war der, wo das Essen zuletzt hinkam, war noch reichlich Platz. Es war der Tisch mit Herrn Kunze, der strenge Lehrer, den niemand mochte. Mir war er der liebste Lehrer von allen. Er saß vorn am Tischende, ich setzte mich genau gegenüber. Die übrigen Plätze wurden auch noch besetzt, als die anderen Tische alle voll waren.

Es gab ein herrliches Essen mit Fisch, und er Lehrer sagte zu uns, es würde in den vier Wochen sehr oft Fisch geben. Die meisten jammerten, ich nicht, endlich konnte ich mich an Fisch satt essen. Das war jetzt eigentlich das Mittagessen, am Abend würden wir dann noch eine Kleinigkeit bekommen, wie sollten jetzt ruhig die Umgebung erkunden.

Die älteren Mädchen zeigten uns dem Waschraum und die Toiletten. Das Klo war das reinste Abenteuer. Es war mitten in den Dünen. Eilig durfte es da niemand haben, es war sicher fünf Minuten von dem Mädchenhaus entfernt. Ein gekentertes Schiff war mit einer großen Eckbank ausgestattet, darin waren runde Löcher und passende Deckel. Ein Gesellschafts-Plumpsklo also, ein Klo, wo man in gemütlicher Runde auch mal eine halbe Stunde klönen konnte. Die Reinigung erfolgte automatisch bei Sturmflut.

Ich fand es toll. Liebevoll nannten wir unser Mädchenklo "Eisdiele". Die Jungen hatten es näher zur Toilette, aber das war eine Bretterbude, direkt an den Bahnschienen, es war der "Donnerbalken". In unserem Bau waren zwei Lehrerinnen zur Aufsicht eingeteilt. Sie hatten ihre Zimmer auch gleich am Flur, das heißt die Bockmann hatte ihr Zimmer zwischen dem Aufenthaltsraum und unserem Schlafsaal.

Die andere Lehrerin, kannte ich gar nicht und die hatte ihr Zimmer auf der entgegen gelegenen Seite, neben dem Eingang. Da schlief auch die Mutter, die in der Küche half. Nun wollte Fräulein Bockmann unbedingt in unserem Schlafsaal die Aufsicht machen, weil ja ihre Lieblinge darin waren. Die andere Lehrerin ließ sich nicht beirren und wies darauf hin, dass es immer schon so war, unser Schlafsaal gehörte zu ihrem Zimmer.

Die Bockmann war besiegt und ich schadenfroh. Jeder bekam jetzt zwei Wolldecken. Ein Bettlaken und einen Kissenbezug hatten wir jedes mitgebracht. Wir mussten unsere Betten richten und dann gab es Abendessen. Jeder durfte so viele belegte Brote essen, wie er wollte. Lisa und Lore wollten jetzt noch an den Strand, denn wir hatten noch eine Stunde Zeit.

"Komm doch mit, „ sagte Lisa, "du bist doch sonst allein." Ich war stolz mit den beiden besten aus unserer Klasse mit zu dürfen. Wir gingen den schmalen Weg durch die Dünen und auf der anderen Seite war der Strand, unendlich, denn das Wasser war schon wieder weg. Auf einen kleinen Sandhaufen setzten wir uns und schauten den Fischreihern zu die auf den Sandbänken standen. "Morgen früh suchen wir Muscheln“, bestimmte Lore. "Morgen früh müssen wir in die Schule“, berichtigte Lisa sie. Lore hatte ihren Geldbeutel dabei darin steckte ein Zettel mir den Ferienterminen. "Stimmt, diese Woche noch, dann kriegen wir zwei Wochen Ferien," stellte sie fest. Lore und Linda hatten eine Armbanduhr. Sie sorgten dafür, dass wir pünktlich im Schlafsaal ankamen.

Auf dem Rückweg besuchten wir noch die Eisdiele, denn bei Nacht fürchteten wir uns hinaus zugehen. Ich war nicht nur müde, ich war todmüde, und kletterte auf meinen "Hühnerwiemen", so nannten wir die oberen Betten. Die Mädchen machten noch ordentlich "Rabatz" und ich zog die Decke über den Kopf.

Wie schön kann es sein, dachte ich bei mir, wenn mir niemand auf die Finger schaut. Es dauerte eine Weile, bis die Mädchen sich beruhigten. Die Lehrerin kam einmal und forderte uns auf, das Herum toben zu unterlassen. Danach wurde nur noch geflüstert und ich schlief bald ein. Nun hatte ich mir zwar vorgenommen am nächsten Morgen früh aufzustehen um Muscheln zu suchen, aber ich verschlief total.

Als ich wach wurde waren die meisten schon im Waschraum gewesen und warteten auf die Glocke die zum Frühstück läuten sollte. Schnell wusch ich mich und zog mich an und rannte mit Lisa und Lore zur Eisdiele. Da war Hochbetrieb und wir mussten auf die Wartebank. Lore sagte, "morgen gehen wir früher los."

Dann musste sie lachen. "Mensch Anne, du bist ja noch gar nicht gekämmt!" Ja, so konnte ich nicht zum Frühstück gehen und nachher war doch Schule. Die beiden machten meine Zöpfe auf und Lisa hatte ihren Waschbeutel noch immer in der Hand, darin war eine Bürste. Zu zweit machten sie an meinen Haaren rum, während ich den Standort wechseln musste, ein Klo war frei geworden. Die beiden Mädchen hatten so viel Spaß dabei und steckten mich an mit ihrem Gelächter.

Meine Haare waren fertig, und wir hörten die Glocke läuten. Ich wartete bis Lore und Lisa auch auf dem Klo waren, dann rannten wir zusammen los. Wir waren die letzten die in den Speisesaal kamen und hatten das Tischgebet verpasst. Dafür ernteten wir böse Blicke von unserer Lehrerin. Herr Kunze fragte nur: "Hochbetrieb in der Eisdiele?"

Nach dem Frühstück wurden "Posten" verteilt. Lore und Lisa, die daheim nie was tun mussten, meldeten sich zum Spülen für eine Woche. Sie wollten, dass ich mich melden sollte den Speisesaal zu fegen. Ich erklärte ihnen, dass ich jeden Tag arbeiten müsste, wenn ich zu Hause sei, jetzt wollte ich auch mal nichts tun müssen. Sie verstanden mich gut.

Fräulein Bockmann wollte ein Mädchen, welches jeden Tag ihr Zimmer sauber machte. Sie guckte eine nach der anderen an, und als sie mich anschaute ließ ich den Kaffeelöffel fallen und krabbelte unter den Tisch um ihn zu suchen. In der Zeit fand sie ein anderes Opfer. Es war schon schlimm genug, dass wir Schule hatten. Ich würde nicht noch etwas arbeiten, schließlich war ich hier um mich zu erholen.

Wir hatten täglich drei Schulstunden. Danach konnten wir machen was wir wollten, nur die Mahlzeiten mussten wir einhalten. Da ich keine Uhr hatte, war das für mich nicht so einfach.

Wir bekamen nur ein paar Regeln: Morgens die Betten machen, Nicht allein ins Dorf gehen und nicht ohne Lehrer ins Watt. Schwimmen durften wir auch nur, wenn die Lehrer dabei waren, aber es war jetzt noch zu kalt.

Mittags machte ich mich daran meinen Geldbeutel zu verstecken. Ich nahm die komischen Badelatschen von Mutti, steckte in einen Schuh den Geldbeutel und zog den anderen darüber, so dass man auf beiden Seiten nur die Sohlen sah. Dann war ich zufrieden und machte den Koffer wieder zu. Die meisten Kinder hatten schon Ansichtskarten geschrieben, ich nahm mir vor erst am Wochenende zu schreiben. Mutti sollte ruhig ein paar Tage warten.

Ich ging durch die Dünen zum Strand hinunter um Muscheln zu suchen. Unwillkürlich musste ich an Margot denken. Da sammelte ich eine Hand voll Türmchenmuscheln und setzte mich in den Sand. Alle Muscheln waren verschieden ich reihte sie zu einem Kränzchen auf und dachte daran, wie Margot immer so wild auf meine Kränzchen war. Warum suchte ich eigentlich die Muscheln? Niemand würde von mir Muscheln wollen. Also suchte ich die schönsten aus und steckte sie in die Tasche von meinem Kleid.

Ich schaute auf das Meer hinaus, und es schien mir unendlich. Den Nachmittag verbrachte ich damit aufs Meer zu starren und an Mama, Papa und meine Geschwister zu denken. Ob Lilibeth mit mir auf der Insel war? Ich baute ihr ein kleines Grab im Sand und suchte nach Blumen in den Dünen. Weil ich nichts fand, legte ich ein Kränzchen aus Muscheln, auf ihr kleines Sandgrab.

Da ich keine Ahnung hatte, wie spät es war, ging ich den Weg zurück zu den drei Pfahlbauten. Da waren dann auch die meisten Kinder, sie hatten sich eine Sprungschanze gemacht und sprangen um die Wette. Denen schaute ich zu bis die Glocke läutete. Die ganze Woche gingen wir noch in die Schule, die im Jungenbau war. Dafür mussten wir über den langen Steg, denn der Bau stand im Watt.

Am Sonntag führten uns zwei Lehrer ins Dorf. Wer da in die Kirche wollte, durfte mit einem Lehrer dorthin gehen. Der andere Lehrer ging mit uns das Dorf anschauen. Für Mutti kaufte ich eine Ansichtskarte vom "Pudding". Weil das Wetter am Nachmittag nicht so gut war, ging ich in die Aufenthaltsraum um Karten zu schreiben. Im Speisesaal hatte ich Ansichtskarten von unserem Schulheim gekauft und so hatte ich Beschäftigung bis zum Abendessen.

Ich schrieb an Mutti, Elfi, Frau Lindemann und an Linda. Als ich die Briefmarken auf die Karten geklebt hatte, blieb mir nur noch eine Marke übrig. Die übrigen Mädchen spielten Gesellschaftsspiele, es waren genügend in den Schubladen der Tische. Ich saß täglich in den Dünen und schaute auf die Wellen. Die Ruhe tat mir gut, während ich aufs Meer schaute, ließ ich mein ganzes junges Leben an mir vorbeiziehen. Mal lachte ich und mal musste ich weinen.

Der Himmelfahrtstag fiel auf meinen Geburtstag. Niemand wird daran denken, aber das war ja auch zu Hause kein Thema mehr, seit Heidrun ertrunken war. Sollte ich vielleicht mit Lisa und Lotte ins Dorf gehen und mit ihnen ein Eis im Café Pudding essen? Ich wusste nicht, ob mein Geld dazu reichte. Warum auch, sie hatten viel mehr Geld als ich. In Gedanken war ich noch ein meinem Geburtstag, da merkte ich, dass Elli sich neben mich setzte. Sie war barfuß und hatte sich am Strandhafer verletzt. "Du hast aber hier ein schönes Plätzchen, da kannst du ja das ganze Meer sehen." "Ja“, sagte ich, "und ich höre die Glocke von der Küche hier, ich habe doch keine Uhr."

Während sie an ihrem Fuß putzte, sah ich das sie seltsame Zehen hatte. An jedem Fuß waren zwei Zehen zusammen gewachsen. "Komisch, „ sagte ich, "tut das nicht weh?" Sie meinte daraufhin: "Nur wenn alle blöd glotzen, dann tut es mir schon weh." Ich fand es schön, weil die Zehen alle so gleichmäßig aussahen und praktisch, weil man dazwischen nicht zu waschen brauchte. So hatte sie das noch gar nicht gesehen. Wir schauten uns an und mussten lachen.

Elli wusste, dass Lehrer Kunze für morgen einen Burgenwettbewerb vorgesehen hatte. Immer zwei zusammen sollten eine Burg bauen. "Wenn du niemanden hast, könnten wir doch zusammen bauen." Schlug Elli vor. "Schön," sagte ich, "gerne." Als die Glocke läutete eilten wir zum Abendessen. Es gab fangfrische Makrelen die waren lecker. Ich erzählte, dass ich den Fischkutter beobachtet hatte.

Herr Kunze brachte jetzt die Post. Er verteilte Briefe und Päckchen und ich hoffte auch etwas zu bekommen. Dann sagte er: "Schluss für heute, das was ich jetzt noch habe verteile ich morgen." Alle Kinder ließen ein langgezogenes "schaaade" hören. Nicht einmal zu meinem Geburtstag habe ich Post bekommen, dachte ich traurig.

Lore und Lisa wollten, dass ich noch mit an den Strand kam. Elli kam auch hinterher gerannt. Wir vier liefen am Strand entlang und freuten uns, dass wir allein waren. Wir sangen "La Paloma" so gut wir es hinbekamen. Lore meinte, "es ist zwar etwas frisch hier draußen, aber so schön. Ich verstehe gar nicht warum die meisten Kinder immer in den Stuben rumhocken." Ich erzählte wie ich das Wasser beobachtet hatte. "Bei Flut kommt jede Welle ein kleines Stückchen näher an die Dünen und plötzlich werden die Wellen wieder kürzer, bis die Sandbänke auftauchen und die Reiher kommen.

Lisa wollte sich das dann auch einmal genau ansehen. Vielleicht morgen, wenn wir alle am Strand Burgen bauen. Wir gingen noch gemeinsam zur Eisdiele, und Elli fragte: "Was machen wir eigentlich wenn wir bei Nacht mal müssen." Lisa lachte: "Dann gehen wir unter unsern Pfahlbau." Elli guckte verwundert und ich schüttelte den Kopf. "Nein, 'ne Freundin wecken und zu zweit gehen, unter den Bauten ist meistens Wasser bei Nacht."

Wir kamen in den Schlafsaal und die Mädchen waren wieder am Blödsinn machen. Da war an schlafen nicht zu denken. Jemand hatte Blähungen und verpestete den ganzen Saal. Je mehr sie lachten, um so mehr wurde gepupst. Bis die Bockmann plötzlich in der Tür stand. Zwei Mädchen bekamen eine Strafarbeit und sie sammelte die Taschenlampen ein. Ich hatte schon vorher die Decke über die Ohren gezogen, mir konnte sie nichts anhängen. Dann verschwand sie wieder mit ihrem leinenen Nachthemd. Im Saal war Ruhe eingekehrt, und ich konnte endlich schlafen.

Morgens konnte ich vor lauter Aufregung nicht mehr schlafen, ich freute mich aufs Burgen bauen. Ich war allein im Waschraum und hatte auch endlich mal einen Spiegel. Als ich dann gewaschen und gekämmt war, ging ich gleich zu Eisdiele. Endlich einmal morgens kein Gedränge. Ich hasste lange Wartezeiten auf dem Klo.

Weil ich Zeit hatte schaute ich nach dem Wasser. Der Strand war ganz im Meer. Jetzt könnte man baden wenn es wärmer wäre. Es musste noch sehr früh sein, außer mir war noch niemand auf. Ein Stück weit, auf dem Meer waren wieder Fischer. Ich hätte zu gern gesehen wenn einer davon an unseren Anleger gekommen wäre. Aber die Fischer hatten es nicht eilig, die Möwen schon. Sie fanden bei jeder Welle etwas zum Fressen.

Während ich so aufs Meer schaute, polterten die ersten Mädchen in die Eisdiele. Auch bei den Buben war schon reges Treiben. Lore kam zu mir und fragte: "Wo warst du denn heute Morgen? Warst du die ganze Nacht hier draußen?" "Ich habe heute Nacht schneller geschlafen und war früher fertig damit. Seit dem sitze ich hier." "Und wie lange schon?" wollte sie wissen. Ich konnte es nicht sagen, denn in unserem Haus war nur im Aufenthaltsraum eine Uhr. Da war ich ja heute noch nicht. Im Stillen freute ich mich, dass Lore gemerkt hat, dass ich nicht da war.

Scheinbar war ich ihr doch nicht ganz gleichgültig. Wir liefen zum Frühstück, als die Glocke läutete. Auf meinem Platz im Speisesaal, lag ein rotes Herzchen, darauf stand: "Alles Gute zum Geburtstag." Dann kam Herr Kunze mit einem kleinen Kuchen aus der Küche. Ich musste schon wieder heulen. "Woher wissen sie, dass ich Geburtstag habe?" fragte ich ihn. "Das sage ich dir nach dem Frühstück," mehr wollte er nicht verraten.

Jetzt kam der Kaffee und Quarkbrote mit Schnittlauch. Die Mädchen aus meiner Klasse sagten alle zusammen: "Alles Gute zum Geburtstag, liebe Anne." Ich freute mich riesig und heulte auf mein Quarkbrot. Seit einiger Zeit, sagte sie nur noch "Anne" zu mir, ich war froh, dass niemand mehr "Miese" sagte. Nach dem Essen stellten wir immer das Geschirr zusammen. Da kam Herr Kunze mit einem Päckchen und zwei Briefen zu mir.

Ein Brief war von Mutti und einer von Frau Lindemann. Das Päckchen war von Elfi, darauf hatte sie geschrieben: Erst am Geburtstag abgeben am 20.5. Herr Kunze bat uns, nicht zu vergessen, um zehn Uhr alle an den Strand zu kommen. Die halbe Klasse umringte mich, sie wollten wissen was in dem Päckchen wäre. "Das ist ein Geschenk zu meinem Geburtstag," wurde ich böse, "ich werde es aufmachen wenn ich allein bin. Aber den Kuchen werde ich verteilen." Den Kuchen nahm ich mit in die Küche und bat die Köchin ihn in viele kleine Stücke zu teilen.

Dann verteilte ich die Stückchen, nahm mein Päckchen und die Briefe und verschwand im Schlafsaal. Zuerst las ich den Brief von Mutti, sie schrieb es sei so ruhig geworden und die Hühner würden mich vermissen. Sie hatte Erbsen gepflanzt und Buschbohnen. Ja und lauter so unbedeutendes Zeug. Zum Schluss kam noch, Vati ließe mich grüßen.

Der Brief von Frau Lindemann war viel herzlicher. Sie hatte mir einen richtig schönen Brief geschrieben. Jetzt machte ich das Päckchen auf von Elfi. Es waren lauter kleine Glückwunschkarten von den Mädchen aus dem Freundeskreis. Die hatten sie mit Elfi gebastelt. Außerdem hatte sie noch eine Tafel Schokolade und einen Studentenkuchen eingepackt. Der Kuchen war aus lauter Keksen, mit Schokoladenguss aufeinander geschichtet. Dann hatte sie noch ein Bildchen mit einem frommen Spruch hineingelegt, denn Elfi war ein frommes junges Fräulein. Elfi wollte Gemeindeschwester werden, sie hatte nur noch nicht das passende Mutterhaus gefunden.

Ich packte den Kuchen wieder in das Päckchen, und das legte ich in meinen Koffer. Jetzt musste ich ja zum Strand. Vor mir lief die eingebildete Heidrun. Sie hatte wieder ein Kleid von ihrer Schwester an. "Ist dir das Kleid nicht etwas zu groß?" fragte ich. Heidrun meinte: "Ich wollte immer schon von meiner Schwester die Kleider, die kriegt immer neue Kleider, mir gibt man die dann, wenn sie ihr zu klein sind."

Sie hatte sogar einen BH von ihr an, obwohl sie den wirklich nicht brauchte. "Ja, das verstehe ich schon, aber wenn du jetzt alles schmutzig machst, hat die ja nachher gar nichts zum anziehen," glaubte ich sagen zu müssen. Ich hatte das seit Tagen beobachtet, und die Schwester tat mir jetzt schon leid.

Wir mussten uns einen Platz aussuchen, wo wir vom Wind geschützt unsere Burg bauten. Der Lehrer wollte auf keinen Fall, dass wir uns im scharfen Nordwind erkälteten. Ich fand eine schöne Stelle, aber Elli kam nicht, da musste ich mit Heidrun bauen. Heidrun mochte ich gar nicht, schon wegen dem Namen. Ich musste dann immer an Muttis Heidrun denken. Der Lehrer merkte, dass ich vollkommen lustlos den Sand hin und her schob.

Da gab er uns einen Jungen zur Verstärkung, der hatte noch keinen Platz gefunden. Mit ihm sollten wir jetzt endlich anfangen. Ich hatte keine Ahnung vom Burgen bauen. Wir schoben von allen Seiten Sand auf einen Haufen. Wolfgang redete so wenig wie ich, aber was er sagte hatte Hand und Fuß. Heidrun dagegen, wenn sie sich herabließ mit uns zu sprechen, war es purer Blödsinn. Der Sand war noch feucht von der Flut, die sich schon wieder zurückgezogen hatte. Mit vereinten Kräften klopften wir den Sand fest. Dann fingen wir an das Ganze in Form zu bringen.

Die Nachbarn hatten wunderschöne Burgen und waren dabei Zacken auf die Türme zu modellieren. Heidrun wollte sich umziehen gehen und Wolfgang sagte nur: "Zieh auch was vernünftiges an, nicht wieder so ein Omakleid. Sie zog sich um und kam mit einem Strandanzug, bei dem der Zwickel von der Hose zwischen den Knien war. Das Ding war riesig. Sie sah wie Wolfgang das Gesicht verzog, da zog sie es vor, nicht mehr zu uns zu kommen.

Wolfgang fragte, ob die im Kopf schon frisch sei. "In der Schule ist sie ganz gut, aber sonst spinnt sie." War die Antwort aus meiner Sicht. Wir arbeiteten auf Hochtouren, aber das Ergebnis war zum Schluss unter Durchschnitt. So sah es Wolfgang. Ich meinte, es mit "sehr solide" bezeichnen zu müssen. Wir hatten noch Zeit, einen Hof und eine Mauer mit großem Tor herum zu bauen. Rechts und links vom Tor, bauten wir noch zwei Türmchen. Wir gingen zum Essen und nachher wollten die Lehrer die Burgen besichtigen und die Plätze vergeben.

Herr Kunze war ein strenger Lehrer, aber gerecht, und außerhalb der Schule ein ganz kinderlieber Mann. Er hatte Angst, dass die anderen Lehrer ihren Lieblingen die meisten Punkte gaben. Deshalb durfte bei der Bewertung, niemand an seiner eigenen Burg sein. Alle Burgen waren nummeriert, und sie mussten für jede Burg Punkte geben, mindestens einen und höchstens drei. Zum Schluss wurden die Punkte zusammen gezählt. wir lagen auf Platz fünfzehn. Wolfgang sagte enttäuscht: "Mehr konnte ich nicht bringen, zwischen den Weibern."

Ich glaubte mich bei ihm bedanken zu müssen: "Danke Wolfgang, das hast du ganz prima gemacht, ich hatte je gar keine Ahnung vom Burgen bauen." Mit geschwollener Brust schob er ab und ließ mich allein stehen. Da der Wettbewerb jetzt gelaufen war, ging ich den Strand entlang um alle Burgen anzusehen. Da waren richtige Kunstwerke dabei, und ich fand dass unser 15. Rang, eine gerechte Wertung war.

Jetzt konnten wir wieder den ganzen Tag machen was wir wollten. Mich interessierte, was die anderen Kinder immer den ganzen Tag machen, weil ich immer allein am Strand war. Die großen Jungen gingen mit ihrem Lehrer ins Watt, um eine Wanderung zu machen. Die übrigen Jungen gingen an die Sprungschanze. Die meisten Mädchen saßen darüber in den kleinen Dünen und schauten den Buben zu. Sie kicherten und flüsterten und kamen sich sehr wichtig vor.

Einige waren zu faul für alles, die saßen im Aufenthaltsraum und machten Gesellschaftsspiele. Lore und noch ein paar Mädchen nahmen mich mit in den Schulraum. Sie wollten Pfingsten ein paar Sachen aufführen, das sollte ich mir ansehen. "Wieso Pfingsten? wir haben dann doch noch eine Woche“, fragte ich verunsichert. Ich wollte gar nicht an zu Hause denken. Ja stellte Lore fest, "du bist ja immer in den Dünen, da kannst du ja nicht wissen, dass wir Pfingsten ein Fest am Stand feiern, mit den Lehren.

Da werden wir und die anderen Klassen ein wenig vorführen, dann macht Herr Kunze ein Lagerfeuer. Wir dürfen dann alle länger auf bleiben, und es geht bis in die Nacht." "Vielleicht tanzen wir dann auch mit den Jungen“, schwärmte Reni. "Ich kann nur Walzer," sagte ich gequält. "Nachher üben wir noch tanzen“, versprach Reni, "Tango und langsamen Walzer solltest du schon können." Bei mir dachte ich: Wenn das mal nicht in Arbeit ausartet."

Reni führte ein Stück auf mit Gesang und Tanz. Es hieß "Laura Lett" es gefiel mir gut nachdem sie mit dem Proben fertig war, da konnte ich es auch. Das wollte ich mir unbedingt merken, dafür würde ich sicher mal Verwertung haben. Es kamen noch verschiedene kleine Stücke, die auch ganz nett waren, aber nicht so, dass ich sie mir unbedingt merken musste. Dann sollte ich meine Meinung abgeben, und ob ich was verändern würde. Ich fand es gut, so wie es war.

Die Mädchen wollten, dass ich unbedingt zur Generalprobe am Freitag wieder kommen sollte. Jetzt mussten wir noch tanzen, wollte Reni unbedingt. Lore setzte sich an das Spinett. "Mein Gott, das stammt aus der Zeit vor der Sintflut," lachte sie und musste sich zuerst mal einspielen. Was sie denn spielen sollte, fragte sie uns und fing an mit einem klassischen Walzer. Wir tanzten also Walzer und Reni meinte, ich dürfte mal etwas lockerer werden, ich sei so steif. Als es dann endlich klappte, sollte sie "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“, spielen. Gewissenhaft erteilte uns Reni Tanzunterricht, als wir dann auch noch den Tango lernten, mussten wir zum Abendessen. "Am Freitag geht es weiter“, versprach Reni.

Nach dem Essen, ging ich zur Köchin und bat sie mir ein Messer zu geben. Die gab es mir und beteuerte, dass sie mir die Ohren abreißen wollte, falls ich das Messer nicht am nächsten Tag zurück brächte. Ich lud Lore, Lisa und Reni ein, mit mir in den Dünen den Rest meines Geburtstages zu feiern. Den Kuchen von Elfi schnitt ich in Finger dicke Scheiben, packte alles wieder in den Karton und nahm noch den Apfelsaft mit.

Als Lore einen besonders schönen Platz gefunden hatte, machten wir uns an den leckeren Kekskuchen. Der schmeckte allen und auch die Apfelsaft-Flasche wurde leer. Wir ließen die Flasche an unserem Platz, weil Lisa vorgeschlagen hatte morgen eine Flaschenpost abzuschicken. Sie wollte den Brief vorbereiten, dann müssten wir nur noch unterschreiben. Lore fand die Idee gut. Ich wollte kein Spaßverderber sein und stimmte zu. Meine Gedanken gingen nach Hause, was würde Mutti sagen, wenn ich die Flasche nicht heimbrachte? Hatte sie Verständnis für eine Flaschenpost? Der Gedanke trübte meine Stimmung ein wenig.

Wir schauten noch eine Weile aufs Meer, das war noch weit weg, jetzt waren die großen Reiher noch auf den Sandbänken. Reni glaubte, dass es Störche wären. Ich glaubte aber, dass Störche nicht im Salzwasser fischen. Abschließend gingen wir noch zur Eisdiele, und Lore glaubte zu wissen, dass wir heute Nacht aufs Klo müssten vom Apfelsaft. Wir machten also aus, dass der erste der wach wurde die anderen weckt, und wir dann zusammen gehen wollten.

Lisa weckte mich, als es schon hell war, "komm, wir stürmen jetzt die Eisdiele“, flüsterte sie. Ich zog einen Pulli über mein Nachthemd und wir marschierten los. Die Sonne schien, aber es war kalt in dem alten Wrack. Lore schlug vor, jetzt nicht mehr ins Bett zu gehen. Wir würden uns jetzt waschen und leise anziehen und wieder an den Strand gehen. Ja sagte Reni dann gucken wir die Burgen noch mal an. Ich wusste, dass die längst das Meer gefressen hatte, aber das würden sie schon noch merken.

Wir gingen ganz leise in den Schlafsaal und kleideten uns an. Dann nahmen wir unsere Waschbeutel und gingen, uns zu waschen. Wir waren so leise, dass uns keiner bemerkte. Reni flüsterte, "morgens schlafen alle am tiefsten." Leise schlichen wir wieder nach draußen. Die Türen waren immer offen, denn hier am Ostanleger waren nur unser Schulheim und eine Vogelwarte, die stand im Watt. Bis zum Dorf war es weit, wir brauchten keine Angst zu haben, dass hier jemand auftauchte.

Wenn, dann mit dem kleinen Schienenfahrzeug, und das würden wir hören. Manchmal, und das richtete sich nach dem Wasserstand legte ein richtiges kleines Schiff am Ostanleger an. Die Leute die auf die Insel kamen, oder von ans Festland fahren wollten, kamen dann mit einem kleinen Zug. Das passierte aber eher selten. Das Paradies hier im Osten der Insel, gehörte nur den Kindern unserer Schule.

Im Gänsemarsch ging es durch die Dünen und hinunter zum Strand. Keine einzige der Burgen war übrig geblieben. Reni trug die Flasche und den Brief den wir unterschrieben hatten, trug Lisa Die Verschlusskappe aus Gummi hatte ich. Lore steckte den Brief in die Flasche und ich spuckte in den Verschluss. und zog die Kappe über den Flaschenhals. "Und warum spuckst du nicht gleich in die Flasche?" wollte Reni wissen. "Weil die Kappe trocken nicht darauf geht." Ich musste lachen und sagte, dass ich das öfters mache. Als die drei furchtbar zu lachen anfingen, fügte ich aufklärend hinzu: "natürlich nicht das Spucken, ich meinte Flaschen zumachen, dann lege ich die Kappen immer in einen Topf voll heißes Wasser."

"Mensch Anne schade, dass du am anderen Ende unserer Stadt wohnst, du würdest so gut zu uns passen," stellte Lisa fest und Lore musste ihr recht geben. "Ihr hättet keine Freude an mir, ich muss doch immer soo viel machen“, sagte ich traurig. Mit der Flasche gingen wir ein Stück weit dem flüchtendem Wasser nach, und warfen sie in einen Priel. Dann liefen wir schnell wieder zurück an den Strand.

Wir saßen in den Dünen und ich berichtete von meinen richtigen Eltern und Geschwistern und wie ich neue Eltern bekomme hatte. Wie Papa dann Hans geholt hatte, und ich auch so gern zu ihm wollte. Als ich dann erzählte, dass Mutti immer so böse und jähzornig ist, erzählten die anderen, wie schön sie es daheim hatten, und wie lustig ihre Eltern waren.

Lore hatte ja keine Ahnung, dass sie auch mal zu fremden Leuten gekommen war. Ausgerechnet sie lobte ihre Eltern in den allerhöchsten Tönen. Ich hätte am liebsten geweint, aber ich schluckte und dachte, ob es vielleicht besser gewesen wäre, wenn ich früher von zu Hause weg gekommen wäre. Ganz klein, so wie Lena, die hatte bestimmt alles vergessen. Lisa schreckte mich aus meinen Gedanken auf: "Und jetzt ist dein Papa in Danzig?" Ich gab zu, dass es gelogen war. Mir sei in dem Moment nichts anderes eingefallen, weil ich den Namen von dem Dorf vergessen hatte, wo mein Papa, Hans hingebracht hatte. Wir hörten die Glocke und gingen gemeinsam zum Frühstück.

Die anderen drei kamen ganz bedrückt in den Speisesaal. Es sah aus, als ob wir etwas ausgefressen hatten. Nach dem Frühstück, saßen wir zusammen und die Mädchen wollten eine Menge wissen wie es mir ergangen war und was ich alles daheim machen musste. Alles konnte ich nicht erzählen, ich musste ja aufpassen, falls Mutti das erfahren würde. Eigentlich hatte ich auch schon zu viel geschwätzt.

Das Mittagessen war für mich wieder ein Festessen. Fisch gab es, und weil viele keinen Fisch mochten, hatte ich immer doppelte Portion. Nach dem Essen gingen wir zur Generalprobe mit anschließendem Tanzkurs. Der Nachmittag verging wie im Flug. Beim Tanzen hatte ich Fortschritte gemacht, es reichte jetzt für den Hausgebrauch. So hatten wir danach ein entspanntes Wochenende.

Die Mädchen schrieben wieder fleißig an ihre Eltern, ich hatte keine Lust. Vielleicht würde ich nächste Woche schreiben. Dafür nutzte ich die Gelegenheit am Sonntag ins Dorf zu gehen. Wir gingen gemeinsam los, und teilten uns in zwei Gruppen. Ich ging wieder nicht in die Kirche, ich wollte mir ein Eis kaufen. Lore und Lisa waren auch dabei, und Heidrun, die keiner mochte. In einem Café wurde Eis verkauft, ich steuerte darauf zu und sah auf dem Boden ein kleines Tütchen.

Als ich es aufhob sah ich, dass es Juckpulver war. Ich steckte es in meine Manteltasche, den hatte ich heute angezogen, weil der Wind so kalt war. Dann kaufte ich mein Eis. Lore und Lisa waren in das Café gegangen, sie wollten Torte essen. Heidrun bettelte ich sollte ihr auch ein Eis kaufen, sie wollte mir das Geld geben, wenn wir zurück kämen. Schließlich gab ich ihr eine Mark. Heute war sie ausnahmsweise ordentlich angezogen, aber ich mochte sie einfach nicht.

Wir setzten uns auf eine Bank, wo wir das Eis aßen. Ich aß mein Eis mit Genuss und brauchte wieder länger dafür. Dann wollten wir Lore und Lisa abholen, aber die waren schon nicht mehr da. Da gingen wir zur Kirche um die anderen zu treffen, aber da war auch schon niemand mehr. Wir gingen zum Dorf hinaus und kamen an die Bahnschienen. Ganz in der Ferne sahen wir die Gruppe Kinder laufen, die würden wir nicht mehr einholen.

Wenn Heidrun redete kam nur dummes Zeug, drum war ich froh, dass sie noch weniger sprach wie ich. Langsam wurde es warm und ich zog meinen Mantel aus, den ich jetzt schleppen musste. Heidrun heulte, der Weg sei so weit. Ich sagte: "Glaubst du für mich ist er nicht so weit?" Plötzlich setzte sie sich auf die Schienen und wollte nicht mehr weiter. Da ritt mich wieder der Teufel, und ich kippte ihr das Juckpulver hinter den Pullover. Sie wälzte sich auf dem Boden, schrie und drohte, sie würde es der Bockmann petzen. "Wenn du das machst“, drohte ich zurück, "kriegst du Klassenkeile."

Ich hatte jetzt genug von Heidrun und machte mich allein auf das letzte Stück Weg. Im Speisesaal wurde schon gegessen, ich traute mich nicht hinein. Als die Kinder nach dem Essen heraus kamen, berichtete Lore, dass wir nichts mehr zum Essen bekommen würden. Die Bockmann hätte es gemerkt und angeordnet. "Strafe muss sein," hatte sie gesagt.

Lisa ging mit mir von hinten in die Küche sie kannte die Frau die dort aushalf. Die war für den Pudding zuständig und da die Lehrerin gesagt hatte wir bekommen kein Mittagessen mehr, brachte sie eine Schale Pudding. "Von Pudding hat sie nichts gesagt." Es war Schokoladen-Pudding und sie brachte noch ein Schälchen. Dann brachte sie noch ein Butterbrot, das war noch vom Frühstück. Da ich noch zwei Tafeln Schokolade im Koffer hatte, war ich jetzt satt und schlich zur Hintertür wieder hinaus.

Heidrun stand im Waschraum und scheuerte an dem Juckpulver herum. Davon wurde es nicht besser. Ich sagte Lore Bescheid was passiert war, und dass ich ihr Klassenkeile angedroht hatte, wenn sie petzt. Lore, Lisa und Reni gingen daraufhin in den Waschraum. "Wenn du Anne verrätst, kriegst du Klassenkeile, ist das klar?" Heidrun wurde kleinlaut zog sich frisch an und heulte weil sie nichts zum Essen bekommen hatte. Da tat sie mir leid und ich gab ihr eine Tafel Schokolade, damit sie nicht verhungern musste.

Die Hälfte von unserer Kur war schon um und während der nächsten Woche hatten wir Gelegenheit zum Baden. Ich zog den seltsamen Badeanzug an und ging mir den anderen zum Strand. Das Wasser war ziemlich kalt aber wir hatten Spaß. Die Lehrer hatten einen Maschendraht gespannt, damit niemand verloren ging, und natürlich wegen der Quallen. Als ich dann lange genug in dem "Eismeer" geschwommen war, wollte ich wieder hinaus.

Mein Badeanzug war schwer wie ein nasser Sack. Die Kordel war ganz lang geworden, und meine Brustwarzen sahen zum ersten Mal den Sonnenschein. Lore sah das Elend und kam mit ihrem großen Badetuch. "Ach Lore, du hast mir das Leben gerettet." hauchte ich zähneklappernd. "Was ist denn das für ein Ungetüm?" sagte sie vorwurfsvoll.

Ich erzählte, dass mein Badeanzug zu klein geworden war und meine Mutter den gestrickt hatte. "Ich werde nicht mehr zum Baden gehen“, sagte ich und ich zitterte immer noch. Lore meinte ich hätte doch einen Onkel der ein Geschäft hat. "Ja schon, „ klärte ich sie auf, "aber es soll eben immer nichts kosten. Betteln mag ich aber auch nichts. Ich zog mein Strandkleid über den Badeanzug und ging mich erst mal umziehen.

Vor Pfingsten machten wir noch eine Probe am Strand und dann kam der Tag an dem wir mit den Lehrern feiern wollten. Nun gab es immer nachmittags ab zwei Uhr in unserem Speisesaal einen Teller mit Butterbroten, wo man sich, wenn man Hunger hatte eines holen konnte. Ich hatte mir da nie etwas geholt, aber Lore nahm mich mit: "Sonntags gibt es immer Butterkuchen." Das Wort Butterkuchen, klingelte in meinen Ohren immer wie das Glöckchen zu Weihnachten. Ja Butterkuchen wollte ich auch. Ich sagte zu Lore: "Wir nehmen zwei, davon kann ich nicht genug bekommen." Weil uns niemand beobachtete, schlichen wir mit fünf Stückchen Kuchen zur Tür hinaus.

Gleich hinter der Küche setzten wir uns in den Sand, und aßen genüsslich den Butterkuchen, und der war einmalig. Lore erzählte, dass ihr Dienstmädchen jede Woche Kuchen backte, aber den Butterkuchen nicht so gut hinkriegte. Dann gingen wir die anderen suchen, die waren dabei Briefe zu schreiben. Lore wollte auch an ihre Mutti schreiben, da holte ich eine der Postkarten, die Mutti mir eingepackt hatte und schrieb ihr auch.

"Was schreibst du denn," fragte Lore und wollte sich bei mir Anregung holen. "Dass es mir hier so gut gefällt, und ich am liebsten hier bleiben würde." Sie guckte mich an und lachte. Als sie sah, dass ich es wirklich schrieb, runzelte sie die Stirn und fragte: "Freust du dich nicht auf zu Hause?" "Nein, „ kam es von mir, "auf was auch? Aufs Putzen, oder die Gartenarbeiten, vielleicht auf ihre schlechte Laune, oder auf die nächste Tracht Prügel?" Darauf sagte sie in ihrer Unwissenheit: "Ich bin froh, dass ich kein angenommenes Kind bin."

Die Worte machten mich nachdenklich. Aber ich hätte mir lieber die Zunge abgebissen, bevor ich ihr verraten würde, dass sie auch angenommen wurde. Wenn ihre Eltern ihr mal das Geheimnis verraten werden, möchte ich nicht dabei sein, dachte ich.

Auf meine Karte schrieb ich dann noch: "Ich freue mich auf Ilsabein und Paula und auf meinen Freundeskreis." Damit die Karte voll wurde erzählte ich noch, dass wir heute Abend am Lagerfeuer feiern wollten. Wir gingen zum Briefkasten, der gleich an der Küche angebracht war und gingen in den Schlafsaal um Lisas Strohhut aufzudonnern.

Ich hatte Nähgarn und eine Nadel im Koffer. Weil alle wussten das meine Mutter einen Hut-Fimmel hatte, sagte sie: "Mach du das, du hast die meiste Erfahrung." Das war keine leichte Aufgabe den alles was wir hatten, war Strandhafer und zwei Zweige gelben Ginster.

Ich nähte die Büschel auf den Hut, so dass der Strandhafer ein wenig ins Gesicht fiel. Wo die zwei Sträuße aneinander stießen, fehlte irgend etwas Farbiges. "Hat niemand eine Haarschleife?" fragte ich und schaute in die Runde. Lore brachte ein rosarotes Nickituch, und fragte ob ich das brauchen könnte.

Ich überlegte und nahm das Tüchlein in der Mitte, band es dann ab so, dass es wie eine große Blüte aussah. Danach nähte ich es genau auf die kahle Stelle. Die Mädchen waren begeistert, aber ich noch nicht zufrieden. Mit Eselsgeduld nähte ich noch ein paar Zipfel am Hut fest und dann gab ich den Hut an Reni weiter.

Reni hatte ein wunderschönes weißes Nachthemd mir rosaroten Blumen. Das wollte sie anziehen und der Hut passte perfekt dazu. Reni beteuerte, dass sie froh sei, mich als Freundin zu haben, Lisa und Lore gaben ihr recht. Ich liebte es jemanden glücklich zu machen und packte Nadel und Faden in meinen Koffer. Reni legte ihren Hut auf mein Bett, weil das oben war, da war er sicher.

Da die Glocke gerade läutete rannten wir in den Speisesaal. Nach dem Abendessen lud Herr Kunze alle ein, an den Strand zu gehen. Alle Buben mussten ein Stück Holz mitnehmen. Der alte Seemann, der immer bei uns war, zeigte, wo er das Holz hatte. Er kam auch mit an den Strand und hatte sein Schifferklavier dabei.

Während der Lehrer mit dem Feuer kämpfte, führten die Mädchen ihre eingeübten Stücke auf. Mir haben die Mädchen aus unserer Klasse besonders gut gefallen. Reni war der Star des Abends. Ihr Laura Lett war köstlich. Weil sie keine Glaceehandschuhe hatte, hatte sie weiße Söckchen über die Hände gezogen, es war einfach zu komisch und alle klatschten. Sie war stolz und die Bockmann betrachtete den Hut. "Den hat Anne dekoriert," verriet sie der Lehrerin. Da war der Hut nicht mehr interessant für sie und sie gab ihn zurück.

Der Seemann spielte jetzt ein Lied nach dem anderen und das Feuer wurde immer größer. Manche Kinder tanzten tatsächlich. Mich fragte niemand, dabei hätte ich schon gern getanzt. Das Feuer brannte richtig gut und der Lehrer wollte uns von seinen Abenteuern erzählen.

Er war jung im Krieg und hatte seit dem einen steifen Arm, an dem man eine Schusswunde sehen konnte. Die Geschichte die er uns auftischte, gehörte in die Gruppe Seemannsgarn und Abenteuer von Münchhausen. Er erzählte es so spannend, dass wir echt glaubten es sei Tatsache. Zum Schluss wurde er von einer Hexe verfolgt, die ihn aber nicht einholen konnte. Da warf sie ein Brotmesser nach ihm und traf ihn am Arm. Seit dem hätte er die Narbe am Arm, die er uns dann auch prompt zeigte.

Es wurde schon langsam dunkel, und der Seemann spielte das Lied "Jenseits des Tales." Wir kannten das Lied nicht, aber es gefiel uns. Wir sangen noch viele Lieder und es war ein unvergesslicher Abend. Leider war es auch der Beginn unserer letzten Woche auf der Insel. Wir mussten wieder in den Schulraum und hatten täglich drei Schulstunden.

Dann gab es eines Abends ein heftiges Gewitter. Dazu hatte es eine Springflut, Wir schauten durch die Fenster unseres Aufenthaltsraumes, trauten uns aber nicht vor die Tür, weil es blitzte und donnerte. Da unsere Häuser auf Pfählen standen grollte der Donner furchterregend unter uns. Der alte Seemann kam zu uns, um uns während des Gewitters zu betreuen. Die Bockmann ließ sich nicht blicken, wahrscheinlich saß sie in ihrem Zimmer und betete. Schließlich war sie aus dem gleichen Dorf wie Mutti.

Als das Gewitter vorbei war verzogen wir uns ins Bett. Dann kam unser letzter Tag und wir packten unsere Koffer. Morgen müssten noch das Bettlaken, der Kissenbezug und das Waschzeug in den Koffer, und der war jetzt schon voll. Seltsam, dass auf dem Hinweg alles hineingepasst hat und auf dem Rückweg nicht. Lisa versprach, wenn wir morgen darauf sitzen, geht er bestimmt zu.

Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Bummelzug zum Westanleger. Dort kam gerade das Schiff an, mit dem wir fahren würden. Wir mussten warten, bis alle vom Schiff herunter waren. Da kam die neue Gruppe von unserer Schule. Ein kurzes Winken, und wir gingen an Bord. Ich setzte mich auf meinen Koffer und dachte nur daran, dass ich jetzt wieder zurück musste, dabei war es so schön.

Der Zug schnaufte durch die Dämmerung und als wir ankamen, stand Vati auf dem Bahnhof, mich abzuholen. Rings um war große Wiedersehensfreude, ich wollte nicht hin schauen. Vati ging es nicht gut, das konnte ich an seinem Gesicht sehen. Trotzdem zwang ich ihm einen Kuss auf, dann nahm er den Koffer und wir waren die ersten die vom Bahnsteig gingen.

Epilog

 

Ohne Freundin ging ich nun jeden Tag zur Schule. Meine Lehrerin konnte mich nicht leiden. Sie war aus dem gleichen Dorf wie Mutti und genau so altmodisch und spießig. Bei ihr verlor ich die Freude an der Schule. Deshalb verließ ich die Schule nach, der vierten Klasse, und fing eine Lehre an.

Vati lebte zunehmend in einer anderen Welt, er zog sich ganz zurück und ich sah ihn kaum noch. Mutti war ich ein Dorn im Auge und eines Tages brachte mich eine Fürsorgerin in ein Mädchenheim. Von dort aus wurde ich als Arbeitskraft vermittelt. Dann stand plötzlich Papa vor mir. Ich war glücklich, zehn Tage lang.

Mit neunzehn Jahren stand ich dann plötzlich ganz allein da.

Impressum

Bildmaterialien: Bilder eigene Das Titelbild zeit mich, als ich zur Mittelschule ging.
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2013

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