Als ich fast vier Jahre alt war, wurde unsere Familie auseinander gerissen. Mama und meine große Schwester Elisabeth waren kurz hintereinander gestorben und Papa war im Krieg schwer verletzt worden.
Papa glaubte damals nicht daran, wieder gesund zu werden und unterschrieb die Papiere, für die Adoption seiner Kinder. Als der Krieg vorbei war, holte er meinen Bruder wieder zu sich nach Hause. Meine Schwester und ich waren inzwischen ja adoptiert, uns konnte er nicht mehr abholen. Ich wuchs bei den neuen Eltern auf, die vom Alter her meine Großeltern hätten sein können. Mit Vati verstand ich mich blendend, aber mit Mutti konnte man nicht auskommen. So wurde die Adoption wieder gelöst.
Leider war mein richtiger Vater kurz vorher verstorben, und so stand ich mit neunzehn Jahren ganz allein auf der Welt.
Da lernte ich Waltaud kennen, wir zogen zusammen in eine kleine Wohnung.
Meine Kindheit war gelinde ausgedrückt eine Katastrophe. Mit 19 Jahren fing ich an mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Nach langem Suchen fand ich ein schönes möbliertes Zimmer und eine Arbeitsstelle die mir gefiel.
Da lernte ich meine neue Freundin kennen. Waltraud hatte große braune Augen, war wie ich Vollwaise und wir zogen zusammen in eine Einzimmer- Wohnung, in einem kleinen Kurort an der Weser. Meine Freundin war kleiner als ich, verstand sich aber aufs Flirten, wie eine Weltmeisterin.
Wir gingen jeden Samstag in ein Tanzcafé. Ich muss wohl so sehr solide ausgesehen haben, mit meiner Pferdeschwanz-Frisur, denn es hatte niemand den Wunsch mit mir zu tanzen. Sollte sich dann doch ein Tänzer bei mir verirren, dann hatte er schon diverse Körbe eingesammelt.
Meine Freundin hingegen hatte jede Woche einen neuen Verehrer. Sie hatte auch eine große Auswahl an schönen Kleidern und Schuhen, während ich jeden Samstag mit dem gleichen Kleid vor meiner Orangensaft saß.
Im Gegensatz zu mir, hatte sie immer Geld, während ich mein Geld strecken konnte wie ich wollte, es reichte nie für den ganzen Monat. Zum Glück hatten wir einen gemeinsamen Haushalt und weil es eben nicht anders ging, kaufte ich die erste Monatshälfte ein und sie am Ende des Monats.
Warum hatte sie immer Geld und ich nicht? Sie verriet mir ihr Geheimnis: "Ich beziehe Waisenrente." Da hätte ich ja auch Anspruch drauf gehabt, aber mir hatte das nie jemand gesagt. Jetzt war es zu spät, in wenigen Monaten wurde ich 21 Jahre.
Trotzdem wagte ich es, mir ein Paar tolle Schuhe zu kaufen. Im Schaufenster hatte ich ein paar dunkelblaue Schuhe gesehen, mit einem sträflich hohen Pfennigabsatz. Wenn ich mich richtig erinnere war er 12 cm hoch. Der Schuh hatte einen beigen Einsatz. auf dem zwei kleine blaue Knöpfe waren. Die Schuhe waren tot chic, passten aber überhaupt nicht zu meinem Kleid. Das wiederum war weißgrundig mit roten und rosaroten Rosen und grünen Blättern. Ich glaube das war meine erste und einzige Geschmacks-Verirrung.
Mit diesen Schuhen, die auch noch sündhaft teuer waren, ging ich an dem folgenden Samstag zum Tanz. Eintritt kostete es dort nicht, aber wer ein alkoholfreies Getränk bestellte, musste dazu auch einen Schnaps bestellen. Meistens fand ich jemanden, der den Schnaps auf meine Gesundheit trank. Heute fand ich keinen Abnehmer für meinen "Kurzen". Schließlich kippte ich in selbst herunter. Meine Laune stieg dadurch nicht an, aber mein Blutdruck.
Waltraud tanzte schon wieder in einer Tour und ich schaute auf meine schönen Schuhe. Aber oh Wunder es waren drei Schuhe, die da vor mir waren. Konnte es denn sein, dass ich von einem Schnaps total besoffen war?
Ich konnte es nicht glauben und entschloss mich, die Sache jetzt abzutasten. Zuerst fasste ich mein rechtes Bein an, dann mein linkes. Danach nahm ich das mittlere Bein in Angriff. "Au, spinnst du," fragte mich das Mädchen, das auch an unserem Tisch saß. Nun begriff ich erst, die Schuhe hatten nicht nur mir gefallen.
Die ganze Woche lang gingen wir unserer Arbeit nach. Ich war mehr der Hausmütterchen-Typ, und machte nach Feierabend unser großes Zimmer und die winzige Kochnische sauber. Dann bereitete ich eine Mahlzeit, und sorgte für immer saubere Wäsche. Zwar hatte ich schon mit elektrischen Waschmaschinen gewaschen, aber ich hatte es auch gelernt, ganz ohne Maschinen die Wäsche sauber zu machen. So hatte ich den Sonntag als Waschtag erkoren, denn an diesem Tag hatte ich Zeit.
Waltraud ging jeden Sonntag aus. Wen sie sich am Samstag angelte, der durfte sie am Sonntag ausführen. Sie war da auch gar nicht anspruchslos, es musste immer etwas Besonderes sein, was dann zum Schluss mit einem Restaurant-Besuch endete. Also brauchte ich am Sonntag auch nicht zu kochen.
Mein Bruder, der hier in der Nähe wohnte, hatte mich schon lange nicht besucht. Dass ich Sehnsucht nach ihm hatte, konnte ich nicht behaupten. Er hatte mir den Vorschlag gemacht, bis ich meinen Traumprinz fand, wollte er mir die Geheimnisse der Liebe zeigen. Dankend verzichtete ich auf sein unmoralisches Angebot, und erteilte ihm eine ordentliche Backpfeife. Nun war es mir gleich, ob ich ihn traf oder nicht. Woher hatte er nur einen so widerlichen Charakter?
Trotzdem zog es mich hin und wieder in das kleine Dorf. Dort war mein Vater beerdigt und ich schien die einzige zu sein, die sein Grab besuchte. Normal lag der Ort nicht weit von meinem Wohnort entfernt, aber es ging steil den Berg hinauf.
Den Weg hatte ich einmal mit dem Fahrrad zurückgelegt. Die Strapazen würde ich nicht wieder auf mich nehmen, also fuhr ich mit dem Zug. Ich nahm eine kleine Rosenschere mit, um das Efeu nach zuschneiden, das ich im letzten Jahr angepflanzt hatte. Unterwegs kam ich immer an einer Rosenhecke vorbei, wo ich mit meiner Schere blitzschnell ein paar Rosen abschnitt.
Hans, mein Bruder war nie zu Hause. Nachbarn erzählten mir, dass er außer einer Freundin nun auch ein "Goggo-Mobil" besaß. Er wohnte inzwischen allein in dem Haus, denn seine Stiefmutter war mit ihrer Tochter zu ihrem Liebhaber gezogen.
Der Zug brachte mich in wenigen Minuten zurück an meinen Wohnort. Unsere kleine Wohnung war in einem eleganten Neubau. Im unteren Stock war ein Beerdigungsinstitut. Der erste Stock wurde von der Besitzerin des Geschäftes und ihrer Enkelin bewohnt. Wir wohnten im oberen Stock. Die kleine Wohnung war einfach schön. An den schrägen Wänden waren Wandschränke eingebaut, da hatten mehr Sachen Platz, wie wir hatten.
Ab und zu wurden wir in unsere Schranken verwiesen, wenn wir Spaß hatten und lachten, dann war es unserer Hausherrin nicht recht. Wir mussten uns im Haus so verhalten, als wären wir gar nicht da. Auch das war kein Problem, wir waren anpassungsfähig.
Eines Sonntags kam Waltraud früher heim als sonst. Sie war außer sich: "Guck mal hier, der hat mir einen Knutschfleck gemacht!" Sie wollte sich nicht beruhigen. Ihr Kavalier war mit ihr ins Kino gegangen. Als die später die Toiletten besuchte entdeckte sie den Knutschfleck. Ein ziemlich großer Fleck am oberen Halsteil. Die Stelle war nicht einmal mit einem Tüchlein zu verstecken. Daraufhin hatte sie ihn stehen gelassen, und war schnurstracks nach Hause geeilt.
Mit einem Waschlappen und Scheuerpulver, rieb sie an dem Fleck herum. Schließlich sagte ich: "Lass das, du machst es nur schlimmer, versuch es mal mit einem Umschlag aus Essigsaurer Tonerde." Sie ging in die kleine Küche um meinen Rat zu befolgen. Aber wie so oft, sie hatte nur halb zugehört. Sie machte einen Umschlag aus Essigessenz und wickelte ein Handtuch darum.
Es dauerte eine Weile bis ich den scharfen Geruch wahrnahm. Ich riss ihren Umschlag ab und die Stelle war jetzt richtig schlimm. Wie sie das gemacht hatte weiß ich nicht, möglicher Weise hatte sie damit auch noch gescheuert. "So gehe ich morgen nicht zur Arbeit“, fauchte sie.
Sie ging zur Arbeit, mit einem riesigen Seidenschal, der immer wieder rutschte und den Schandfleck preisgab.
Wir hatten beide unseren Arbeitsplatz in einer Schuhfabrik. Unser Weg führte uns durch den Kurpark. Die Herzklinik war vorwiegend von reichen Ausländern belegt. Die bekamen wir oftmals aus gewisser Entfernung zu sehen. Seit die Besatzung zum größten Teil abgezogen war, waren in unserer Gegend Ausländer eine Seltenheit. Der einzige Gastarbeiter in unserer Stadt, arbeitete in der Zuschneiderei unserer Schuhfabrik.
Wenn ich mit Waltraud durch die Stadt ging, grüßte sie jeden Erwachsenen der uns begegnete. "Kennst du den?" Wollte ich von ihr wissen. Sie lachte und meinte: "Nee aber ich grüße alle, das tut mir gar nicht weh, und die Leute freuen sich."
Ich hatte schon lange keine Gallenbeschwerden mehr gehabt, und hatte das auch schon fast vergessen. Meine Galle jedoch, verstand es, sich eindrucksvoll in Erinnerung zu bringen.
Eines Nachts bekam ich wieder furchtbare Schmerzen. Ich wälzte mich im Bett und schlug vor lauter Schmerz an die Wand. Das muss durch das ganze Haus gedröhnt haben und die junge Hausherrin kam nach oben geeilt. Eine herbeigerufene Ärztin aus der Nachbarschaft konnte aber nichts feststellen und gab mir eine schmerzlindernde Spritze. Am nächsten Tag ging ich wie immer zur Arbeit.
Als der Knutschfleck von Waltraud verheilt war, gingen wir wieder ins Tanzcafé. Wir waren spät dran und unser beliebter Stammplatz war längst besetzt. Da mussten wir notgedrungen einen anderen Tisch suchen. Waltraud steuerte auf den einzigen Tisch zu, an dem noch zwei Stühle frei waren.
Es saßen schon drei junge Männer an dem Tisch. Wie konnte es anders sein, meine Freundin kannte sie schon. Mit mindestens einem war sie schon aus gewesen. Aber da sie nie öfters als einmal mit jedem Verehrer ausging, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Herren an der Bar. Ein paar Blicke aus ihren rehbraunen Augen genügten und der erste kam angestürmt, um sie zum Tanz zu bitten.
Während sie beim Tanzen war, schaute ich meine Tischnachbarn näher an. Mir gegenüber saß Jens, er hatte die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Damit schaute er mich an und es war Liebe auf den ersten Blick.
Wir tanzten den ganzen Abend, und als die Kapelle den letzten Walzer spielte, musste er zum Bahnhof. Verträumt gingen wir zum kleinen Bahnhof, und ich wartete bis der Zug abfuhr. Von da aus hatte ich keine fünf Minuten bis zu meiner Wohnung. Kurz darauf kam Waltraud, ich hatte sie ganz vergessen. Meine Gedanken waren nur bei Jens.
"Du bist ja verliebt“, stellte sie beim Frühstück fest. "In Jens?" wollte sie wissen, der ist ganz in Ordnung, er war auf meiner Geburtstagsfeier." Jetzt erinnerte ich mich, an Waltrauds 21. Geburtstag, ich hatte ihn nicht kennengelernt, weil ich den Küchendienst übernommen hatte. Damals hatte ich dafür gesorgt, dass ihre Gäste nicht verhungerten. Aber da wohnten wir noch nicht hier.
Am Mittwoch klingelte es an der Haustür und Jens war da. Er lud mich ins Kino ein, und ich lief hinauf, um etwas Passendes anzuziehen. Wir schauten einen romantischen Film an, dann musste er schon wieder zum Bahnhof, denn er wollte ja am nächsten Tag auch zur Arbeit. Ich fragte nicht was er arbeitet, ich wollte auch nicht wissen was er verdient. Vielleicht hätte ich nach seinem Alter fragen sollen, denn es konnte sein, dass er noch nicht ganz volljährig war.
Samstags trafen wir uns wieder zum Tanz, und mit dem letzten Zug fuhr er jedes Mal heim. Dann kam der Sommer, es war heiß, und das Tanzcafé war nahezu leer. Alle Gäste tanzten im Gartencafé an der Weser. Die Kapelle spielte fast nur für uns, und schenkte uns noch eine Zugabe. Wir gingen zum Bahnhof und der Zug war schon abgefahren.
Es gab zwei Möglichkeiten entweder wir warteten auf den ersten Zug am Sonntagmorgen, oder ich schmuggelte ihn in unsere Wohnung. Waltraud kam oftmals erst gegen morgen heim. Wenn sie den passenden Verehrer hatte, ging sie des Öfteren noch in die Nachtbar. Sie konnte Tag und Nacht durch tanzen.
Ich wagte das Abenteuer, und nahm Jens mit in meine Wohnung. Im Zimmer beschwor ich ihn, ja leise zu sein. Aber für das, was wir uns zu sagen hatten, brauchte es keine Worte.
Am Sonntagmorgen wartete ich vergebens darauf, dass die beiden Damen des Hauses zur Kirche gingen. Sie gingen nicht, und es war schwierig Jens aus dem Haus zu bringen. Gegen elf Uhr kam mir der Zufall zur Hilfe. Es klingelte an der Haustür, und die Vermieterin rief nach mir, es sei Besuch da.
Wer um Himmel Willen besucht mich am Sonntagmorgen? Als ich in die Diele kam, stand da mein Bruder und seine Frau, samt neu geborenem Sohn. Ich schluckte drei Mal, da hatte ich es begriffen, Hans hatte geheiratet, und einen kleinen Sohn.
So nahm ich Hans mit in mein Zimmer, und schickte Jens hinaus. Als er dann unten war, schickte ich Hans hinterher, um etwas Durcheinander vorzutäuschen ging ich ein wenig später hinab. In dem Augenblick kam Waltraud. Irritiert vom auf und ab, kam die junge Hausfrau zum Nachsehen. Meine Freundin und die junge Hausbesitzerin bewunderten das winzige Kind, Waltraud ging ins Bett und ich mit meinem Besuch hinaus.
Ein paar Schritte entfernt wartete Jens. Den brachte ich zum Bahnhof und mein Bruder folgte uns mit seiner kleinen "Landstraßenwanze." Es fiel mir schwer mich von Jens zu trennen. Als der Zug dann abgefahren war, verließ ich den Bahnhof. Davor warteten Hans und seine Frau immer noch auf mich. Beide machten einen schlampigen Eindruck, so dass ich vorschlug eine Bank am Weserufer zu suchen.
Stolz zeigte er mir sein Auto. Ich hatte noch nie den Wunsch gehabt, ein Auto zu besitzen. Aber das hier, war gar kein Auto, es war eine Krankheit. Die Farbe war schon recht seltsam, es war kein weiß, sondern zwischen beige und grau. Oder vielleicht doch weiß und dafür schmutzig?
"Da passen wir ja gar nicht alle rein“, bemerkte ich. "Doch“, behauptete Hans und öffnete die Beifahrertür, dann klappte er den Sitz nach vorn, und ich zwängte mich durch den Spalt. Die hintere Sitzbank war so niedrig, dass ich unsanft darauf fiel. Auf jeder Eckbank wäre ich besser gesessen. Hans behauptete: "Besser schlecht gefahren als gut gelaufen." Dann fuhr er los. Ich merkte jeden Stein, der auf der Straße lag.
Nun wusste ich, wo eine Bank abseits vom Haupt-Sparzierweg stand. Seine Frau, stammte aus dem Ruhrgebiet, sie war ungepflegt. Mein Bruder sah nicht viel besser aus. Das schönste an ihnen war das Baby. Meinen Bruder fragte ich, ob es nicht an der Zeit sei eine neue Hose zu kaufen. Die, welche er trug, war verschlissen und im höchsten Grade altmodisch. "Ja, daran habe ich auch schon gedacht." Sagte er und weil er witzig sein wollte, fügte er hinzu, "bei den modernen Hosen, sind die Hosenbeine so eng, da komme ich mit meinen Schuhen nicht hindurch."
Jetzt kam er zum Grund seines plötzlichen Auftauchens. In zwei Wochen sollte die Taufe sein und er wollte mich als Patentante. Eigentlich wollte ich mich von ihm fernhalten, aber das Kind konnte nichts dafür. Außerdem hatte er ja jetzt eine Frau, dann hatte er ja keinen Grund mehr mich anzumachen. Also sagte ich zu. Hans und seine Annie waren ehrlich erfreut.
-Wen hätten sie auch sonst fragen sollen?-
Nach einer Weile fuhren wir wieder zu mir. Als es bergan ging, fing das Auto an zu stottern. Schadenfroh dachte ich: Jetzt gibt es den Geist auf. "Stell mal den Benzinhahn auf Reserve“, rief mein Bruder zu mir nach hinten. "Wo ist das Ding denn?" fragte ich. "Mitten auf der Rückbank“, rief seine Frau und fügte hinzu: "Aber nicht zumachen." Also guckte ich auf den Hahn und stellte den Hebel auf R. Jetzt lief er wieder und während ich daheim ausstieg, suchte Annie in ihrem Geldbeutel nach ein paar Mark zum tanken. "Ist das nicht teuer, wenn man immer zum Tanken muss?", fragte ich besorgt. "Nein, der fährt mit Mofa-Mischung. das ist billig“, erfuhr ich von ihr.
Ich versprach, zur Taufe mit dem Zug zu kommen Er sollte mich nicht vom Bahnhof abholen, denn den Weg kannte ich ja.
Am folgenden Samstag kam Jens nicht. Ich wartete vergebens auf ihn. Waltraud meinte: "Lass ihn zischen, dann gibs nen frischen, noch mal son rischen." Das hieß auf hochdeutsch so viel wie: Lass ihn gehen, du findest einen neuen, der doppelt so toll ist.
Er kam am Mittwoch nach der Arbeit mit dem Bus. Seine Mutter hatte ihn geschickt mit mir Schluss zu machen. Wir weinten beide und er fuhr mit dem nächsten Bus wieder zurück.
Ich ging in unsere kleine Wohnung und heulte. Er war mein Traumprinz, und unsere große Liebe hatte keine zwei Monate gehalten. Aber wenn er, wie ich fühlte, würde er zurück kommen. Daran glaubte ich fest.
Lustlos ging ich am Samstag mit zum Tanz. Den ganzen Abend saß ich allein am Tisch, während sich Waltraud ihre Füße wund tanzte. Da kam ich zu dem Entschluss, künftig nicht mehr mit zum Tanz zu gehen.
Dieser Entschluss wurde dann bekräftigt, als Waltraud am nächsten Abend nach "Camelia" fragte. Sie war, was das Hauswesen betraf, etwas chaotisch. Was sie regelmäßig brauchte, kaufte sie immer erst wenn es zu spät war. Ich ging an meinen Schrank und wunderte mich, ich hatte noch mehr als eine Packung und war doch immer vor Waltraud "fällig". Meine Feststellung behielt ich erst einmal für mich, ich musste jetzt dringend nachdenken.
In letzter Zeit hätte ich einfach besser überlegen müssen, was ich machte und was ich hätte besser nicht tun sollen. Wenn ich Jens sah, kam es mir vor, als ob mein Gehirn frei hatte. In Zukunft sollte mir das nicht mehr passieren.
Ich fuhr zur Taufe zu Hans. Meinen Geldbeutel hatte schon wieder strapaziert, indem ich fünfzig Mark für ein Sparbuch heraus genommen hatte. Aber ich wollte nicht ohne Patengeschenk da ankommen.
Mein erster Weg führte zum Friedhof, um dort die alten Rosen zu entfernen und frische darauf zu legen. Danach kam ich bei Hans an. Die Wohnung war das reinste Chaos, aber ich wollte mich auch nicht lange aufhalten. Auf dem Sofa saß ein kleiner Junge, etwa sechs Jahre alt, der sollte auch gleich mit getauft werden. Das Kind hatte seine Frau Annie mit in die Ehe gebracht. Zum Glück übernahm die Stiefschwester von Hans, für ihn die Patenschaft.
In seiner winzigen "Leukoplast-Bombe" war nicht genug Platz für alle, so ging ich freiwillig zu Fuß zur Kirche. Nie im Leben hatte ich eine so kleine Kirche gesehen. Aber es war ja auch nur ein Dorf, mit höchstens 100 Einwohnern. Der Pfarrer wartete schon und begrüßte mich freundlich. Er wollte wissen wer ich war, und begann die Beliebtheit meines Vaters und dessen unendliche Hilfsbereitschaft zu preisen. Das konnte mir über seinen Verlust nicht hinweg helfen.
Hans hingegen machte ihm Sorgen, er hatte keine feste Arbeitsstelle mehr. In seinem Garten türmten sich Berge von Schrott, sehr zum Ärgernis der Nachbarn. Ich erklärte dem Pastor, dass Hans alt genug sei, und ich meine eigenen Sorgen hatte. Inzwischen kamen die anderen auch in die Kirche.
Die Taufe dauerte nicht lange, außer uns war auch niemand aus dem Dorf gekommen. Danach lud mich Annie zum Essen ein. Mein Appetit hielt sich in Grenzen. Nie zuvor hatte ich in so dreckiger Umgebung gegessen. Ich fand einen Vorwand dringend mit dem nächsten Zug zurück zu fahren. Mein Taufgeschenk legte ich auf den Tisch dann verabschiedete ich mich.
Waltraud hatte gerade ausgeschlafen als ich zur Tür herein kam. "Ist die Taufe ausgefallen?" fragte sie erstaunt. "Nee, „ gab ich zur Antwort, "Aber ich bin gleich wieder gegangen." "Aber dann geht man doch anschließend zum Essen“, wusste sie aus Erfahrung. "Ja schon, aber seine Frau hatte gekocht und es war überall so schmutzig, da konnte ich nicht essen“, berichtete ich.
Sie kleidete sich an, und weil sie heute nichts mehr vor hatte, machten wir Reibekuchen. Das mochten wir beide besonders gern. Wir wollten essen bis wir platzten. Plötzlich sagte Waltraud: "Pass auf deinen Magen auf, nicht dass du wieder Schmerzen bekommst." Sie hatte Recht, es war besser mit dem Essen aufzuhören. Die restlichen konnten wir uns später aufs Brot legen. Vollkornbrot mit Butter und obenauf ein kalter Reibekuchen war auch jedes Mal ein Hochgenuss.
Heute wollte ich noch abwarten, und morgen würde ich Waltraud meine Vermutung mitteilen. Also machten wir uns einen gemütlichen Sonntagabend, mit leiser Musik von unserem 10-Platten-Wechser. Wir hatten immer die die neuesten Platten, die kauften wir für eine Mark pro Stück an der Kinokasse. Der Plattenspieler und die Platten waren unser einziger Luxus. So genossen wir den Abend und gingen früh ins Bett.
Ich konnte nicht schlafen, und dachte über mein neues Elend nach. Mit dem Gedanken, dass ich mich vielleicht doch täuschte, schlief ich schließlich ein.
Erst am Dienstag riss ich mich zusammen und teilte Waltraud meine Vermutung mit. Ihre Frage war: "Jens?" "Wer sonst?" war meine Gegenfrage. Sie fuhr sich mit ihren schlanken Fingern durch die langen fast schwarzen Haare. Dabei fauchte sie "Jens! Na warte!"
Am nächsten Tag wollte sie zwei Überstunden machen, und ich ging allein nach Hause.
Sie kam später und ließ sich in den Sessel fallen. Wieder verwuschelte sie ihre Haare dann gestand sie: "Ich war bei Jens, habe geklingelt dann kam er mit seiner Mutter an die Tür. Er behauptet, er sei nicht der Vater, und wir sollten ihn in Ruhe lassen. Seine Schwester und seine Mutter behaupten, er sei an dem Tag gar nicht bei dir gewesen."
Ich zog einen Schlussstrich unter das Kapitel Jens. Nie im Leben wollte ich ihm nachlaufen.
Inzwischen waren wieder vier Wochen vergangen, da kam Waltraud mit der Bildzeitung. Da wurde berichtet von Missbildungen bei Neugeborenen. Als Grund dafür wurde die Einnahme von Tabletten während der Schwangerschaft angegeben.
"Lass ja deine Finger von Tabletten," riet mir Waltraud mit Nachdruck. Beim Arzt hatte ich mich vorsichtig erkundigt, ob ich das Kind unbedingt bekommen musste. Da ich doch niemanden hatte, nicht einmal einen Vater für das Kind.
Der Arzt erklärte mir, dass dieses in Deutschland nicht möglich sei, und machte mir Mut: "Das schaffen sie schon allein, sie sind ja nicht mehr minderjährig." Der konnte gut reden, wusste er wie schwer es ledige Mütter hatten? Ich hatte sogar schon gehört, dass man den Müttern ihre Kinder weggenommen hatte, weil sie ihren Haushalt nicht sauber hatten.
Ich fing an, an allen Ecken und Enden ein wenig einzusparen. Dann fiel mir mein Fahrrad ein. Es war bestens gepflegt, und hatte keinen einzigen Kratzer. Das wollte ich verkaufen. Auf eine Anzeige hin, dauerte es nicht lange, und eine Dame war so begeistert, dass sie es unbedingt wollte. Sie bot mir 100.--Mark. Da kam Waltraud und sagte: "Ich zahle 120.-- Mark." Obwohl sie viel zu klein war, um auf meinem Fahrrad zu fahren, glaubte die Dame ihr und gab mir 130.-- Mark. Trotzdem war sie zufrieden, denn das Rad sah richtig gut aus und hatte ja auch fast 200--Mark gekostet.
Inzwischen sah man schon ein kleines Bäuchlein, wenn man richtig hinschaute. Meine Hauswirtin schaute richtig hin und sie bat mich freundlich aber mit Nachdruck auszuziehen. Dass ich ein Kind bekäme, könnte ihrem guten Ruf schaden. Waltraud durfte gern in der Wohnung bleiben.
"Frechheit“, sagte Waltraud, "Wenn einer ausziehen muss, dann gehen beide."
Am nächsten Tag ging die Zimmersuche wieder los. In der Tageszeitung waren mehrere Anzeigen, und wir hetzten von einer Wohnung zur anderen. Bald fanden wir ein Zimmer ganz in der Nähe unserer Arbeitsstelle. Die Vermieterin war gebürtig aus München, das Haus war uralt, die Frau alt und das Zimmer klein. Ziemlich klein für zwei Personen.
Wir erzählten ihr gleich von meiner Schwangerschaft. "Oh je, „ sagte sie nachdenklich, dann ist es wohl besser, ich gebe euch das Zimmer darüber noch dazu. Dann kann einer oben schlafen." Unten hatten wir Kochgelegenheit im Flur, gleich neben der Tür und ein Waschbecken. Sie zeigte uns die Toilette und das war ein Plumpsklo.
Wir zogen gleich um, unsere vorherigen Vermieterin fragte: "Warum denn so eilig, bis zum ersten habt ihr doch bezahlt." Waltraud meinte: "Wir denken an ihren guten Ruf, der soll doch nicht zu Schaden kommen.
Wir richteten unsere neuen Zimmer ein, wobei sich meine Freundin für das Zimmer über mir entschied. "Aber da gehe ich nur zum Schlafen hinauf," beschloss sie, "die andere Zeit will ich bei dir bleiben." Das war mir auch recht, ich wollte auch nicht immer allein sein.
Aus Apfelsinenkisten baute ich ein Regal zwischen Schrank und Bett, das war für unsere Lebensmittelvorräte. Die Hausfrau brachte uns einen Kürbis aus ihrem Garten. Wir suchten uns Gläser im Keller zusammen, die wie spülten, mit Kürbis süß-sauer füllten und mit Cellophan zubanden. Ach, waren wir stolz auf unser Eingemachtes.
Wir gingen täglich zur Arbeit, obwohl wir keine fünf Minuten Weg hatten, waren wir immer die letzten. Mein Abteilungsleiter fand das gar nicht gut, während zu Waltraud niemand etwas sagte.
Es war Spätherbst und die Grippe ging um. Unser Chef wollte, dass wir alle Grippetabletten schluckten. Der Abteilungsleiter ging mit einer Schüssel Tabletten von Tisch zu Tisch. Ich wollte keine und der Herr wollte wissen warum. Da er scheinbar der einzige war, der nicht gemerkt hatte, dass ich schwanger war, sagte ich es ihm. Nun begann er mich zu ärgern wo er konnte.
Es war in dem Betrieb üblich, morgens und nachmittags eine Stunde lang Musik laufen zu lassen. Die kam meistens von einem Plattenspieler. Zu der Zeit, sang Conny Francis "Die Liebe ist ein seltsames Spiel". Jeden Tag, und immer wieder legte er die Platte auf. Dann weidete er sich an meinen Tränenausbrüchen.
Die Zeit verging und es war kurz vor Weihnachten. Wir hatten vom Betrieb aus eine Weihnachtsfeier. Nach dem Abendessen gingen wir gleich heim. "Bleibt doch noch zum Tanz“, bat unser Abteilungsleiter scheinheilig. "Nein," sagte Waltraud, "wir verzichten auf ihre Musikauswahl." In den letzten Tagen war sie ziemlich gereizt. Ihr neuer Freund kam immer wieder, und wie sie ihn auch abschütteln wollte, es gelang ihr nicht.
Ich konnte sie nicht verstehen. Er war bei der Marine und hatte es schon weit gebracht für sein Alter. Seine Eltern hatten eine große Bäckerei in der Stadt. Ob sie jemals was Besseres fand? Den hätte ich sofort genommen, aber mich wollte er ja nicht.
Zum Fest kauften uns einen kleinen Christbaum und feierten richtig schön. Wir hatten auch kleine Geschenke, die wir uns gegenseitig schenkten. Waltraud schenkte mir einen dunkelroten Strampelanzug für mein Kind. Wir freuten uns beide darauf und waren überzeugt, dass es ein Junge würde. Sie bestimmte, dass er Jens heißen sollte, und sie wollte Patin werden. So saßen wir oft zusammen und träumten von der Zukunft, die gar nicht realisierbar war.
Ihr Freund war wieder auf großer Fahrt nach Asien unterwegs. Zurück kam er mit dem Flugzeug. Er hatte ihr eine Fahrkarte nach Berlin geschickt dazu eine Übernachtung in einem schönen Hotel. Sie sollte ihn am Flugzeug abholen. Widerwillig fuhr sie nach Berlin, denn es passte ihr nicht, dass sie schon wochenlang den gleichen Freund hatte. Dabei verwöhnte er sie wo er konnte.
Es wurde Frühling und ich musste nicht mehr zur Arbeit. Waltraud und ich kauften die Babyausstattung. Ich wollte gebrauchte Sachen kaufen aber Waltraud war strikt dagegen. Zuerst kauften wir die Wäsche. Sie meinte so ein Wäsche-Set sei so mickrig, da sollte man zwei kaufen. Da musste ich ihr Recht geben.
Dann kauften wir den Kinderwagen in dunkelblau, der war hochmodern, zu der Zeit. Daran ließen wir ein Netz montieren, damit ich auch damit einkaufen konnte. Sie wollte mir noch eine besondere Freude machen, und kaufte ein Kinderbett mit allem was dazu gehört, und zwei Garnituren Bettwäsche dazu.
Unsere Hauswirtin bewunderte unsere Einkäufe und freute sich mit uns. Jeden Tag schaute sie ob es mir gut ging. Es war höchste Zeit, dass ich mich um eine Hebamme bemühte. Da wusste meine Vermieterin auch Rat. Sie kümmerte sich darum, und die wiederum meldete mich in einer Privatklinik an. Ich hatte Angst, dass ich das nicht bezahlen konnte, aber die Klinik war bei der Krankenkasse zugelassen.
Nun war für die Ankunft meines kleinen Prinzen alles geregelt und ich kaufte mir eine Sonntagszeitung, um die Stellenanzeigen zu durchforsten. Dann schrieb ich Bewerbungen auf Anzeigen bei denen ich hoffte, mein Kind mitbringen zu dürfen. Als Hausgehilfin, Zimmermädchen, Hilfe für Haus und Garten und als Kindermädchen bewarb ich mich. Es war mir gleich was ich für eine Arbeit fände, Hauptsache ich fiel niemandem zur Last.
Zur Fürsorge wollte ich auf gar keinem Fall, wenn das Frau Sorge (mein früherer Vormund) erfuhr, würde ich mich in Grund und Boden schämen. Ich musste da allein durch.
Als ich die Stellenanzeigen durch hatte, kam Waltraud. Sie schaute die Zeitung an und meinte: "Guck mal, die vielen Heiratsanzeigen, da wirst du wohl einen finden!" Sie strich mir gleich einige an. Morgen sollte ich mal auf ein paar Anzeigen schreiben. Eine hatte sie besonders dick angezeichnet: Grieche, 22 Jahre, sucht Frau, gern auch mit Kind.
Wir kannten nur einen Gastarbeiter, der in unserem Betrieb. Der war Italiener und sehr nett.
Also schrieb ich noch auf drei Heiratsanzeigen. Es dauerte keine Woche, da kamen die ersten Absagen für die Stellen. Die mit dem Kindermädchen wollten kein fremdes Kind im Haus. Auch die anderen hatten nichts als Bedenken. Jetzt fehlte nur noch das Hotel, wo ich mich als Zimmermädchen beworben hatte.
In der folgenden Woche bekam ich dann auch Post von dem Griechen. Er konnte sogar ganz gut Deutsch und schrieb auch ganz freundlich. Beim nächsten Brief schrieb er, dass er mich besuchen wollte. Waltraud meinte ich sollte zum Friseur gehen und meinen Pferdeschwanz abschneiden lassen. Nein, das wollte ich nicht, denn wenn das Kind einmal da war, hatte ich kein Geld und keine Zeit mehr laufend meine Haare richten zu lassen.
Meine Frisur blieb wie sie war.
Bald kam dann auch Post von dem Ausflugshotel aus Heidelberg. Da bekam ich eine Zusage. Sie wollten mich sehr gerne einstellen. Von den zahlreichen Mädchen hatte immer eine frei, die sich um das Kind kümmern konnte. Ich sollte schreiben wann ich ankam, und man freute sich schon riesig auf das "Putzele".
Das hörte sich gut an, die Zukunft erschien mir jetzt gesichert.
Dem Griechen schrieb ich er sollte mit seinem Besuch warten, bis ich im Krankenhaus war. Ich war mir ziemlich sicher, ich wollte gar keinen Mann.
Es vergingen wieder ein paar Tage, und ich war damit beschäftigt, die Babywäsche zu waschen Das hatte meine Hausfrau mir geraten. Weil ich gerade so in Fahrt war, putzte ich auch noch mein Zimmer auf Hochglanz. Da klingelte es an der Haustür. Aber da ich niemanden erwartete, ging ich nicht an die Tür. Es wohnten ja noch mehr Leute im Haus. Vor unserer Vermieterin hatten wir keine Heimlichkeiten, sie war immer informiert.
Sie ging zur Tür und ich hörte sie sagen: "Ja Fräulein Schiller wohnt bei mir, kommen Sie mal mit." Sie klopfte an meiner Tür, und schob einen jungen Mann in mein Zimmer. "Ihr Grieche ist da," sagte sie, und machte die Tür wieder von außen zu.
War ich froh, dass es gerade fünf Uhr war. Ich hatte noch nie so dringend auf meine Freundin gewartet. Der junge Mann schaute mich so gierig an, dass mir Angst und Bange wurde. Zum Glück kam Waltraud und lockerte die Situation auf.
Wir machten etwas zum Abendessen und setzten uns zum Essen an den Tisch. Mir war ganz mulmig zumute und Waltraud legte Schallplatten auf. Dann ging sie, unsere Vermieterin zu holen. Die kam und brachte die Wäsche von der Leine. In der Zeit ging Waltraud ihr Zimmer richten, da sollte der Besuch heute Nacht schlafen. "Ach," sagte er unverschämt grinsend, "ich kann ganz gut hier unten schlafen." Unsere Hauswirtin, die immer noch Babywäsche bügelte, mischte sich ein und sagte scharf: "Das schickt sich aber nicht, junger Mann." Er wollte oder konnte das nicht verstehen. Daraufhin erklärte ihm Waltraud mit vielen Worten, dass es sich nicht gehört bei einer hochschwangeren Frau im gleichen Bett zu schlafen. Vor allem, wenn man die noch gar nicht richtig kannte. Nun hatte er begriffen und ging zum Schlafen hinauf. Waltraud blieb bei mir.
Sie musste früh wieder zur Arbeit, und meine Hausherrin lauerte darauf, dass der Grieche von oben herab kam. Dann kam sie ihm nach in mein Zimmer und behauptete, wir müssten jetzt das Köfferchen für die Klinik packen. Sie machte ihm klar, dass der Augenblick seines Besuches aber auch denkbar ungünstig war. Eine Stunde später reiste er ab.
Wir packten mein Köfferchen und meine Hauswirtin wusste genau, was da alles hineingehörte. Ich war richtig froh, dass ich sie hatte.
Waltraud blieb das ganze Wochenende bei mir, sie ging nicht aus, sie war der Ansicht, dass man mich jetzt nicht mehr allein lassen konnte. Wir machten unsere Späße und lachten den ganzen Tag.
Jeden Morgen hatte ich das Frühstück für uns gemacht, und so stand ich auch am Montag auf, um den Kaffee zu kochen. Da platzte mir die Fruchtblase und ich stand in einer Wasserlache. Vor Schreck rief ich nach unserer Vermieterin, denn darauf war ich nicht vorbereitet. Waltraud ging ohne Frühstück und rief vom Geschäft aus die Hebamme an. Bei mir hatten auch schon die Wehen eingesetzt.
Meine Wirtin verbot mir aufs Klo zu gehen, denn wenn das Kind da hinein fiele, würden wir es nicht mehr finden, wir hatten doch ein Plumpsklo.
Die Hebamme kam, und gleich danach ein Taxi. Sie ließ mich in die Klink fahren. Da war ich froh, dass mein Köfferchen gepackt war. Um elf Uhr war mein Kind auf der Welt. Meine erste Frage war: "Ist da auch alles dran?" Ich hatte nämlich furchtbare Angst auch ein verkrüppeltes Kind zu bekommen. "Ja, es ist alles dran“, beruhigte mich die Hebamme. "Willst du denn nicht wissen was es ist?" "Doch“, sagte ich erschöpft und sah, dass ich bis ins Gesicht mit Blut verspritzt war. "Es ist ein Mädchen, und guck mal wie schön es ist“, jubelte die Hebamme.
Ich dachte ein Mädchen ist auch recht, Hauptsache es ist gesund. Weil ich voller Blut war, wurde ich gewaschen und umgebettet. Die Hebamme entschuldigte sich, es sei ihr ein Missgeschick passiert mit der Nachgeburt. Die sei so schnell gekommen. Sogar die Wand hinter mir war voller Blut. War ich froh, dass ich es nicht putzen musste.
Jetzt legte sie mir mein Kind in den Arm, und es war für mich das schönste Kind auf der Welt. Was ich gar nicht glauben konnte, alle Finger und Zehen waren da. Ich war überglücklich.
Während ich immer noch mein Kind betrachtete, füllte meine Hebamme das Formular aus, für das Standesamt, das Kind musste ja angemeldet werden. "Wie soll es denn heißen," fragte sie mich. "Wenn es ein Junge geworden wäre, hätte er Jens heißen sollen, mit einem Mädchen hatte ich nicht gerechnet." Zurzeit sangen zwei Sänger aus Holland das Lied "Ramona" und ich bestimmte: "Ramona soll sie heißen." Davon war die Hebamme gar nicht begeistert, denn jetzt sei das ein Modename, alle Mädchen würden Ramona heißen, ich solle was Zeitloses nehmen. "Ja und wie heißen denn dann die Mädchen?" fragte ich. Die Hebamme schlug vor: "Martina, Regina, Bettina." Ich entschied mich für "Tina", denn ich war viel zu schwach länger nachzudenken.
Die Schwestern nahmen mir mein Kind wieder ab und beichteten, in keinem Zimmer ein Bett für mich zu haben. Da schoben sie mich in den Vorraum zum Labor. Mir war sowieso nicht gut und ich hatte wieder meine furchtbaren Magenschmerzen, da war mir egal wo ich lag.
Ein wenig schlief ich, zwischendurch bekam ich etwas zu essen. Am späten Abend kam der Arzt um nach mir zu sehen. Er hatte die Augen fast zu, und war total übermüdet. Trotzdem klagte ich über meine Bauchschmerzen und er fasste mit drei Fingern ein Stück unter die Rippen und fragte ob es da weh täte. Mit geschlossenen Augen hatte er genau die Stelle getroffen. "Das ist die Galle," sagte er, "die Schwester wird ihnen eine Spritze geben." Danach schlief ich wunderbar und lange.
Als ich aufwachte schoben die Schwestern mein Bett in die erste Klasse. Da war Platz für mein Bett. In dem Zimmer lag nur eine alte Dame.
Am nächsten Tag ging es mir bestens und ich begann Taschentücher zu häkeln, da wollte ich jeder Schwester eines machen. Als Waltraud Feierabend hatte, kam sie mich besuchen. "Gestern war ich schon mal da“, sagte sie, "aber da ging es dir nicht gut, und die Schwester hat mir die Kleine durchs Fenster gezeigt." Danach sei sie gleich nach Herford zu Jens gefahren, aber es hatte ihn nicht interessiert. Sie brachte mir einen rosa Strampelanzug mit und kleine süße Schühchen. Sie war richtig lieb zu mir.
Weil ich offiziell niemanden hatte, der mich daheim versorgen konnte, durfte ich ein paar Tage länger in der Klinik bleiben. Fleißig häkelte ich Taschentücher. Als ich nur noch eine Schwester zu beschenken hatte, saß ich im Bett an meinem letzten Spitzentüchlein.
Der Arzt kam zur Visite und schaute das Tüchlein an: "Wie lange brauchen Sie bis es fertig ist“, Ich schaute auf meine Arbeit und schätzte zwei Stunden. "Gut“, stellte er fest, "dann können Sie um elf Uhr nach Hause, wir rufen Ihnen ein Taxi."
Eine halbe Stunde vor der Zeit, hatte ich alles fertig, auch mein Köfferchen. Die Schwester hatte mir noch etwas zum Essen, damit ich nicht gleich verhungern musste, meinte sie. Die Hebamme fuhr mit mir heim um mir zu helfen, alles fürs Kind herzurichten. Wir waren überrascht, es war alles vorbereitet. Mein Kind kam in das Kinderbettchen und die Hebamme bemerkte: "Perfekt."
Sie kam täglich um mir zu zeigen, wie man ein Kind wickelt, wäscht und badet.
Kurz nachdem ich mit Tina angekommen war, kam meine Hausherrin. Sie wollte die Kleine jetzt auch endlich sehen. Von ihr bekam ich ein ganz goldiges Kleidchen mit passendem Käppchen. Tina konnte stolz sein, sie hatte sicher die beste Baby-Ausstattung.
Wenn das Wetter schön war, machte ich mit ihr einen Sparziergang. Ich war ganz angetan von dem tollen Kinderwagen.
Am Sonntag ging Waltraud dann auch mit. Sie bemerkte: "Durch dich bin ich ganz solide geworden, ich muss jetzt unbedingt mal wieder ausgehen." Ja, sie brauchte das, und ich gönnte es ihr.
An das Hotel hatte ich auch geschrieben, und zugesagt, am ersten Juni wollte ich anfangen. Da bekam ich auch gleich Antwort, und sie versicherten mir, dass sie sich riesig auf uns freuten.
So vergingen die Wochen.
Mit Tina ging ich mir regelmäßig mein Krankengeld holen, bis es für mich nichts mehr gab. Dann wurde es ernst. Sorgfältig verpackte ich meinen kleinen Haushalt und beschriftete die Kartons und Schachteln. Auch das Kinderbett hatte ich ordnungsgemäß abgebaut und verpackt. Ich überlegte wie ich das transportieren wollte. Da stand mein Grieche wieder vor der Tür, mit dem hatte ich nicht mehr gerechnet. Er bewunderte Tina und war erstaunt, dass an so einem kleinen Kind schon alles fertig gewachsen war, bis auf die Haare, die waren noch sehr spärlich.
Mein Grieche, Stephanos hieß er, hatte noch mehrere heiratswillige Frauen besucht und anscheinend nichts Besseres gefunden. Jetzt wollte er wieder zurück nach Stuttgart, von wo er gekommen war. Er bot mir an, sich um mein Gepäck zu kümmern und mich am nächsten Tag nach Heidelberg zu begleiten.
Wir brachten alle Sachen, die ich nicht selber tragen konnte, zum Bahnhof. Dort packten wir alles auf eine Palette. Mit der wurden dann die Sachen nach Heidelberg geschickt. Das kam mir recht praktisch vor und wir kauften gleich die Fahrkarten für den nächsten Tag.
Stephanos schlief wieder in Waltrauds Zimmer, er war lernfähig. Waltraud wollte heute unbedingt ausgehen, so hatte ich das Bett allein bis nach Mitternacht. Tina konnte aber im Kinderwagen nicht schlafen, so holte ich sie in mein Bett. Mit beiden Händen hielt ich sie fest, damit ihr ja nichts passieren sollte. So schliefen wir tief als Waltraud ins Zimmer schlich.
Ich nahm das im Schlaf wahr und träumte, jemand wollte mir mein Kind nehmen. Da ich aber meine Hände nicht frei hatte, wollte ich den Babydieb beißen und war gerade im Begriff mein Kind zu beißen. Waltraud machte das Licht an und ich sah, dass ich geträumt hatte. Mir wurde schlecht vor Schreck.
Dann legten wir das schlafende Mädchen in den Kinderwagen und wir versuchten zu schlafen. "Warum schläfst du nicht?" fragte ich jetzt auch hellwach. "Ach, ich muss immer denken, dass du morgen wegfährst, dann bin ich wieder allein," sagte Waltraud traurig.
Leise standen wir auf, und kochten Kaffee. Dann saßen wir am Tisch, und ließen unsere Freundschaft noch einmal an uns vorüberziehen. Wir hatten gelacht und geweint und kamen zu dem Schluss, eine schöne Zeit gehabt zu haben. Genau genommen eine unvergessliche Zeit. Wir tauschten Bilder aus, und wollten uns nie aus den Augen verlieren.
-Ich habe sie nie wieder gesehen, aber ich habe sie nie vergessen.-
Als ich mein Kind reisefertig gemacht hatte, füllte ich noch eine Thermoskanne mit Trinkmilch für unterwegs. Wenn Tina Hunger hatte, wollte sie essen, egal wo wir gerade waren. Also sorgte ich vor. Dann verabschiedete ich mich von der Hauswirtin und von meinem Zimmer.
Waltraud ging noch mit zum Bahnhof. Meine Freundin durfte noch einmal den Kinderwagen schieben. Als der Zug kam, hatten wir nicht mehr viel Zeit zum Weinen und Stephanos hob den Kinderwagen in den Zug. Durch das Fenster winkte ich noch einmal. Dann setzte ich mich auf meinen Platz und weinte ein paar Stationen lang. Bald mussten wir umsteigen und erwies sich als nützlich, dass ich nicht allein reiste.
Dieser Zug sollte bis Heidelberg durch fahren. Der Grieche nannte mich Anne und wollte, dass ich ihn Stefan nennen sollte. Er war total vernarrt in Tina, und fand sie wunderschön.
Ein Kellner kam und wir bestellten uns einen Kaffee. So verging die Zugfahrt und wir kamen am Nachmittag in Heidelberg an. Dort begleitete Stefan mich vom Bahnhof über eine große Brücke, die über den Neckar führte. Dann kamen wir mit der Zahnradbahn zu dem Ausflugshotel.
Wir wurden freundlich aufgenommen, und man hielt Stefan für meinen Verlobten. Meine Sachen brachten wir in ein großes schönes Doppelzimmer, dann wurden wir zum Essen in das Lokal gebeten. Ich hatte noch nie in einem richtigen Lokal gegessen und war erstaunt darüber, wie wir bewirtet wurden. Gegen Abend fuhr Stefan weiter nach Stuttgart, und ich hatte Zeit die Bekanntschaft des übrigen Personals zu machen.
Da war ein ganzes Stockwerk, fast nur mit Personalräumen. Ein Flügel in dem großen Haus wurde privat vom Besitzer genutzt. Das Kinderzimmer der Hotelbesitzer, war gleich im Anschluss an das meine, nur durch eine hölzerne Tür getrennt.
Was ich an Kleidung dabei hatte, räumte ich in den Kleiderschrank. In der Apotheke hatte ich einen Ballen Windeleinlagen gekauft. Das war das allerneuste und waren Dreiecke zum Abreißen, die man dann in die Stoffwindel legte. Die saugten die Feuchtigkeit auf, und das Kind wurde nicht so schnell wund. Es war ein stoffähnliches Papiergewebe und richtig praktisch. Die Kommode verwandelte ich in einen Wickeltisch, indem ich ein Badetuch darauf gelegt hatte. Da nun alles in Ordnung schien, richtete ich Tina für die Nacht.
Beim Wickeln wollte sie den Mund nicht halten und jammerte lauthals. Die Kinder im Nachbarzimmer hämmerten an die Tür und verlangten nach Ruhe. Meine Euphorie bekam einen gehörigen Dämpfer. Schließlich war es normal, dass ein Baby mal ein wenig schrie. Nach dem Wickeln nahm ich die Kleine mit in mein großes Bett. Das Badetuch legte ich darunter, damit dem Bett nichts passieren konnte.
Morgens als ich Tina richtete, ließ sich ein kleines "Konzert“ von ihr nicht vermeiden. Da Sonntag war, waren die beiden Buben nebenan noch im Bett. Sie klopften ungestüm an der Tür. Das ist aber kein guter Start, dachte ich, nahm mein Kind, um unten in der Küche, nach abgekochtem Wasser zu fragen.
Der Koch empfing mich freundlich in der Küche. Eine der Frauen sollte das Fläschchen richten, ich sollte jetzt erst mal frühstücken. Er schenkte mir Kaffee ein und fragte was ich denn gern esse. "Egal, nur nicht so viel, ich habe es an der Galle“, gab ich ihm zur Antwort. Da machte er extra für mich Toastbrot. Das hatte ich noch nie gegessen, ich war begeistert. Da gab er mir noch ein zweites. Inzwischen war die Chefin, die Mutter des Hotelbesitzers in die Küche gekommen.
Sie schalt den Koch, dass er mir was Besonderes machte. Das Fläschchen wollte sie in Zukunft machen. Von mir erwartete sie, dass ich esse was die anderen auch bekommen. Ich sollte den Kinderwagen holen und das Kind in den Garten stellen. Die Flasche konnte man auf ein Kissen legen, dann musste das Kind allein essen können.
Mir gab sie Salat zum Putzen und ich konnte auf die Terrasse hinaus damit. Das arme Kind weinte im Garten. Sie kam zum kontrollieren und ich machte ihr zu viel Abfall. Die Rippe, beim Salatblatt hatte ich immer heraus gerissen, das sei Verschwendung und ich musste sie mit einem Küchenmesser flach schneiden.
Als nächstes schickte sie mich an die Spülmaschine. Da musste ich die Teller abräumen und die Reste in zwei verschiedene Kübel verteilen. Einen Kübel kriegten die Schweine und das andere waren Knochen, die kamen auf den Kompost.
Ich hatte mich doch als Zimmermädchen beworben, jetzt war ich Küchenmagd. Das hätte mir ja auch gefallen, wenn die "Alte" nicht gewesen wäre. Ich räumte die riesige Spülmaschine ein und wieder aus, putzte das Geschirr blitzblank und polierte das Besteck. Niemand hatte was auszusetzen, nur die Chefin hatte immer was zu meckern. Nachmittags kam eines der anderen Mädchen und erlöste Tina von ihrem Elend.
Vorher hatte ich kurz Pause gemacht und mein Kind frisch gewickelt. Da ich nicht wusste, wo ich die schmutzige Windeleinlage lassen durfte, steckte ich die in eine Plastiktüte.
Der Chef hatte mir versprochen meine Sachen vom Bahnhof zu holen, wenn er in die Stadt käme.
Es war inzwischen Freitag und Tina weinte täglich im Garten, sie war schon ganz verstört. Nicht einmal zum Fläschchen trinken durfte ich sie auf den Arm nehmen. Es waren auch nur selten Mädchen bereit mit dem Kind spazieren zu gehen.
Im Restaurant waren alle ganz lieb zu mir und auch alle in der Küche. Wenn die Alte Mittagspause machte, bekam ich vom Eiskonditor immer ein Eis. Dann konnte ich auch mein Kind versorgen. Aber sonst war es eine Qual für mich und mein Kind. Als dann auch noch ein Zimmermädchen unsere Zimmer sauber machte und sich wegen der Windeln aufregte, war das Maß voll.
Die Chefin wetterte. Ich wehrte mich: Keiner hatte mir verraten, wohin ich die Windeln werfen konnte. Dann hielt ich ihr vor, dass sie ständig an mir herum meckerte. Sie war außer sich und sprach nicht mehr mit mir. Am nächsten Tag hatte ich frei.
Da nahm ich Tina und ging mit ihr zum Bahnhof. Ich wollte ein paar meiner Sachen holen die immer noch am Bahnhof waren.
Gerade war ein Zug eingefahren und viele Leute kamen durch die Bahnhofshalle. Plötzlich hörte ich Stefans Stimme: "Anne, was machst du hier?" Zum ersten Mal war ich froh ihn zu sehen. Wir setzten uns auf eine Bank und ich erzählte, wie es uns gegangen war.
Die Kleine hatte ich aus dem Wagen genommen um sie ein wenig zu verwöhnen, sie hatte ja auch eine schlechte Woche hinter sich. Mir war zum Weinen zumute ,und meine Galle meldete sich auch schon wieder. Er nahm Tina auf den Arm und sprach freundlich mit ihr halb deutsch, halb griechisch.
"Komm, " sagte er zu mir, "Wir haben keine Zeit, holen wir deine Sachen, kommt ihr mit nach Stuttgart."
Wir gingen zurück zum Hotel und packten alles ein. Während er den Koffer und die Taschen nach unten brachte, ging ich zur Chefin und verabschiedete mich. "Das war aber ein kurzes Intermezzo“, sagte sie, und mir rutschte so manchen Wort heraus, was ich wohl besser für mich behalten hatte. Sie ging ins Büro und holte meine Papiere und fünfzig Mark. Ich hatte den Eindruck, sie war froh, dass sie mich los war.
Auf dem Weg zum Bahnhof fragte ich. weshalb er denn gekommen war. Er wollte mich am Wochenende besuchen sagte er, vor allen Dingen wollte er sehen wie es Tina ging. Ich fand es rührend. Meine Palette mit dem Kinderbett und den anderen Sachen schickte er weiter nach Stuttgart. Mir wurde es schlecht, die ganze Aufregung, meine Galle und mein Kreislauf waren auch total am Boden. "Bleib sitzen mit dem Kinderwagen, ich mache alles“, sagte er und kaufte die Fahrkarte für mich. Vielleicht, dachte ich, kann ich mich ja an ihn gewöhnen. Wir stiegen in den Zug und fuhren Richtung Stuttgart.
Ich ahnte nicht, auf was ich mich jetzt wieder einließ.
Als wir in Stuttgart ankamen, war es schon dunkel. Dort stiegen wir um in die Straßenbahn und fuhren in einen Vorort. Mir war schlecht, ich konnte nicht mehr. Da kamen wir an einem Haus an, es sah aus wie eine alte Fabrikhalle. Dort waren lange Flure mit vielen Türen, die waren nummeriert. Er öffnete eine der Türen. Dort waren sechs Betten darin. Stockbetten, immer zwei übereinander.
Da hatte bis vor wenigen Stunden sein ältester Bruder gewohnt, mit seiner Frau. Die beiden hatten Hals über Kopf Deutschland verlassen. Jetzt waren sie auf dem Weg nach Australien. Die beiden Betten waren frei.
Ich legte mich in das untere Bett und guckte nicht wer in den anderen Betten lag. Aus einem anderen Zimmer kamen zwei Frauen herbei geeilt, eine kümmerte sich ganz schnell um Tina und die andere um mich. Alles waren scheinbar Griechen. Stefan erzählte, dass ich es an der Galle hatte und die Frau holte mir Selterswasser zum trinken. Kurz darauf ging es mir ein wenig besser und ich schlief erschöpft ein.
Am nächsten Morgen brachten sie Tina zu mir, der ging es gut, sie war sauber und hatte auch schon ihr Fläschchen bekommen. Mir ging es immer noch schlecht. Ich schaute mich in dem Zimmer um, es war ungefähr sechs Meter lang und zwei Meter breit. Auf der einen Seite die drei Etagenbetten und auf der anderen Seite nichts. Wo war ich hier bloß gelandet? Eine der Frauen arbeitete im Krankenhaus sie wollte bis mittags zurück sein, und eine Lösung für mich gefunden haben. Bis dahin döste ich im Bett, mal schlief ich ein wenig und mal war ich wach. Die Kleine hatte ich im Arm.
Mittags kamen die Frauen von ihren Putzstellen heim. Sie sprachen mit Stefan und gaben ihm einen Zettel. Ich musste aufstehen und Stefan nahm meine Sachen und den Kinderwagen und es ging wieder zur Straßenbahn. Nachdem wir zweimal umgestiegen waren, stiegen wir in einem ruhigen keinen Ort aus.
Dort steuerte er auf ein hübsches Haus zu und klingelte. Eine rüstige alte Dame öffnete. Sie wusste Bescheid, und nahm mich mit meiner Tina freundlich auf. Sofort rief sie einen Arzt an und brachte mich in ein Gästezimmer. Ein wenig unterhielt sie sich noch mit Stefan, dann hörte ich, dass er ging.
Der Arzt kam, nahm mir Blut ab und gab mir eine Spritze. Dann hörte ich noch wie der Arzt ging. Bald danach muss ich eingeschlafen sein. Wie lange ich geschlafen hatte, wusste ich später nicht. Mein Kind war wieder bestens versorgt worden. Mir ging es gut aber die Frau wollte, dass ich noch im Bett blieb, bis der Arzt kam. Der kam gegen Abend und war besorgt wegen der Blutwerte. Am liebsten hätte er mich gleich ins Krankenhaus geschickt, aber ich wusste nicht, ob ich versichert war. Schließlich war ich im Augenblick arbeitslos.
Ich gab ihm die Adresse von Stefan und bat ihn, wenn meine Krankenkasse nicht bezahlte, die Rechnung für mich, dort hin zu schicken. Er meinte das sei jetzt wirklich nicht das Wichtigste, ich sollte für die Spritze fünf Mark bezahlen, dann sei die Sache vom Tisch. Später ging es mir durch den Kopf: zwei Hausbesuche, Blutuntersuchung und eine Spritze alles für fünf Mark? In der folgenden Nacht blieb ich noch bei der freundlichen Dame und am nächsten Morgen, holte Stefan mich und Tina ab.
Er fuhr mit mir nach Zuffenhausen. Dort hatte er wieder eine Notunterkunft für uns. Ein Hausbesitzer hatte seinen Keller an Ausländer vermietet. In jedem Kellerraum standen drei eiserne Bettgestelle in einem Keller war noch ein Bett frei. Es schliefen noch zwei Männer darin, welcher Nationalität konnte ich nicht herausfinden. Die schliefen am Tag und gingen in der Nacht zur Arbeit. Dort übernachtete ich einmal. Die Toilette war ekelhaft und das Waschbecken auch.
Da legte ich morgens einen Zettel auf das Bett für Stefan, wenn er nach mir schauen würde. Nun wollte ich mir ein Zimmer suchen und eine Arbeit. Wenn er mich suchen würde, abends um fünf wollte ich am Bahnhof sein.
Die Zimmervermittlungen hatten wohl Zimmer zu vermitteln, aber sie wollten einen Haufen Geld für die Vermittlung. Soviel Geld hatte ich nicht.
So ging ich mit meinem Kind mutlos durch die Straße Richtung Bahnhof, da kam ich an einem kleinen Hotel vorbei. Da stand am Fenster: Zimmer zu vermieten. Ich dachte, fragen kann ich ja mal. "Ja," sagte der Hotelier, "Ich habe ihnen noch ein schönes Zimmer, für fünf Mark pro Nacht." Das Zimmer nahm ich und zahlte es gleich für eine Woche. Dann brachte ich mein Handgepäck hinauf in den 1. Stock, machte mein Kind sauber und holte mir heißes Wasser für Tinas Fläschchen. Der Hotelwirt bot mir an den Kinderwagen zu tragen, wenn ich weg wollte.
Kurze Zeit später brachte er mir einen kleinen Kocher und einen Stieltopf, damit ich jederzeit die Flasche richten konnte für das Kind. In dem Zimmer war ein Waschbecken und fließend Wasser, ich war sehr zufrieden. Endlich hatte ich ein menschenwürdiges Zimmer. Es war schon fünf Uhr vorbei, als ich mit Tina Richtung Bahnhof ging. Vielleicht wartete er ja noch auf mich, sonst war es mir auch gleich, ich hatte ja jetzt ein Zimmer.
Dann sah ich ihn, er hatte immer einen Anzug an, und war stets gut gekleidet. Dazu sah er auch noch gut aus, was mir aber im Grunde genommen nicht so wichtig war. Er hatte uns schon längst entdeckt und kam mit schnellen Schritten auf uns zu. "Anne, ich habe noch kein Zimmer gefunden, „ berichtete er etwas niedergeschlagen, "Aber eine Arbeit habe ich für dich." "Ich habe ein Zimmer“, sagte ich glücklich, "die Arbeit werde ich mir morgen ansehen." Da machte er eine seltsame Kopfbewegung zur Seite und zischte dazu ein: "Zt".
Was das zu bedeuten hatte war mir schleierhaft. Natürlich wollte er das Zimmer sehen, und er schob den Kinderwagen in die Richtung, von wo ich gekommen war. In einem Laden kaufte ich noch etwas für mich zum Essen.
Da ich aber nicht wusste, wann ich das erste Geld verdienen konnte, nahm ich ein Vollkornbrot, einen Pack Margarine, Marmelade und Leberwurst. Wenn ich dann eine Arbeit gefunden hatte, wollte ich mir noch ein Glas Pulver-Kaffee kaufen. Ihm gefiel es nicht, dass ich in einem Hotel wohnte, denn da wohnten ja auch noch mehr Leute. Das Zimmer selbst gefiel ihm gut.
Meine Sachen hatte er vom Bahnhof geholt und in sein Zimmer gebracht. Das hatte er in einem guten Wohnviertel im Hause einer alten Dame. Die hatte noch ein Zimmer vermietet und selbst nur noch ein Schlafzimmer und eine Wohnküche. Er nannte sie seine "deutsche Mutti."
Ich zog meine Tina frisch an und richtete sie besonders schön, dann gingen wir zu seiner Hauswirtin. Von meinen Sachen wollte ich etwas mitnehmen. Die alte Dame war wirklich nett, und sie war voll des Lobes wenn sie von Stefan sprach. Sie wollte sich in der Nachbarschaft umhören wegen einem Zimmer für mich. Stefan brachte mich zurück ins Hotel, und ich konnte es nicht vermeiden, dass er über Nacht blieb.
Er schien mir sehr verliebt, während ich mich zu einer neuen Liebe noch nicht durchringen konnte. Um halb fünf am frühen Morgen ging er zur Arbeit. Tina und ich schliefen noch ein wenig, wobei ich mich ganz nach ihr richtete. Mit meiner tip top angezogenen Kleinen, schob ich meinen Kinderwagen Richtung Bahnhof. Von da aus fuhr ich nach Weil der Stadt. Dort sollte ich am Bahnhof schon die großen Firmen sehen, die immer Leute einstellten. In einer der großen Firmen, arbeitete Stefan.
Ich ging zu einem Elektro-Konzern und fragte an der Pforte, ob sie freie Stellen hatten. Der Pförtner zeigte mir den Weg in die Abteilung die, die meisten freien Stellen hatten. Die Abteilungsleiterin, war eine sehr nette Frau. Sie zeigte mir einen Arbeitsplatz, ich sollte Spulen wickeln. Sie führte mich an Frauen vorbei, die alle Spulen wickelten. Es sah nicht so schwer aus, da sagte ich zu. Bedenken hatte ich wegen Tina, ich wusste nicht wohin mit ihr, wenn ich arbeiten ging.
Die nette Frau schickte mich in die werkseigene Sozialstation. Da würde man mir sicher weiterhelfen. Ich staunte, in einem Haus auf dem Gelände, war ein Betriebsarzt mit einer richtigen Praxis und einiges mehr, alles zum Wohle der Arbeitnehmer. Ein beleuchtetes Schild zeigte mir, dass ich richtig war. Zaghaft machte ich die Tür auf.
Eine junge Frau saß an einem Schalter und fragte mich nach meinem Anliegen. "Aha," meinte sie, "es geht um einen Hortplatz, zweite Tür links bitte." Mein Herz schlug bis zum Hals, und ich öffnete die Tür vorsichtig. "Kommen Sie herein, und bringen Sie den Kinderwagen gleich mit," kam es vom Schreibtisch. Die Frau trug eine Brille und schaute freundlich über die Gläser. "Wie kann ich Ihnen helfen," war ihre Frage.
Stotternd und beschämt erklärte ich ihr meine Lage. "Schön," meinte sie, "jetzt brauche ich nur noch Ihre Anschrift." Ich gab die Adresse von dem Hotel an, und sie ging an einen Stadtplan. Mit dem Finger verfolgte sie ein paar Straßenzüge, dann sagte sie erfreut, "Da haben wir ja schon etwas." Sie ging ans Telefon, rief in einem Kinderhort an und sprach mit einer Schwester.
Zwischendurch wollte sie wissen, wann ich anfange zu arbeiten. "Morgen früh um sieben." Mit der Schwester machte sie 6.15 Uhr aus. Dann erklärte sie mir alles ganz genau. Vom Hotel aus bis zum Hort waren es fünf Minuten, weitere fünf Minuten zum Bahnhof. Der Zug fuhr um halb sieben und das andere wusste ich ja schon.
Heute sollte ich mir eine Monatskarte kaufen, denn das Gedränge sei morgens zu groß. Am Monatsende sollte ich die Fahrkarte im Betrieb abgeben, sie würde von dem Arbeitgeber erstattet. "Was kostet denn der Kinderhort," wollte ich wissen. "Für alleinstehende Mütter zahlt es das Sozialamt. Den Antrag gibt Ihnen die Schwester im Hort." Als ob das jetzt noch nicht genug war, was sie für mich getan hatte, fragte sie lächelnd: "Kann ich ihnen sonst noch helfen?" Beschämt sagte ich "Danke, sonst ist alles in Ordnung."
Tina und ich kamen über das große Werksgelände, da musste die Küche sein. Es duftete herrlich nach gutem Essen. Tagelang hatte ich kein richtiges Mittagessen gehabt. Mir wurde ganz flau im Magen. Heute wollte ich mir eine warme Mahlzeit genehmigen.
Am Bahnhof kaufte ich mir eine Monatskarte, dann ging ich zum Hotel. Ein paar Häuser vorm Hotel, sah ich den Kinderhort. Auf einem Schild stand: für Kleinkinder bis zu drei Jahren. Da war ich beruhigt.
Im Hotel fragte ich ob es eine warme Mahlzeit gibt. Der Wirt hatte nur Linsen mit Spätzle und Saiten. "Ja gut“, sagte ich, hatte aber nicht den blassesten Schimmer was das war. Linsen kannte ich als Linsensuppe, Spätzle konnten vielleicht gebratene Vögel sein und Saiten????????
Schnell wickelte ich Tina, und zog sie frisch an, dann wartete ich gespannt auf mein Menü. Als der Wirt endlich kam, schaute ich verwundert auf den Teller. "Habe ich das bestellt?" kam es ungläubig von mir.
Also verlangte ich eine genaue Erklärung. Spätzle waren Nudeln und Saiten waren zwei dünne Würstchen. Weil ich Hunger hatte, aß ich die seltsame Zusammenstellung. Es ging nichts über die westfälische Küche, dachte ich. Nie wieder würde ich Spätzle bestellen, auch die Saiten fand ich nicht gerade prickelnd. Wer "Dörfler Bockwürstchen" kannte, dem würden niemals Saiten schmecken.
Stefan kam vorbei um zu sehen, ob es mit der Arbeit geklappt hatte. Ich berichtete was ich erledigt hatte, es schien ihm gar nicht so recht. Scheinbar war es ihm nicht recht, dass ich für mich und Tina eigene Entscheidungen traf.
Griechische Frauen machen nichts ohne den Mann zu fragen, warf er mir vor. "Erstens bin ich keine griechische Frau, ich bin Deutsche, und außerdem bist du nicht mein Mann." Dann machte ich die Tür auf und sagte noch, dass ich es leid sei von ihm in Drecklöcher zum Übernachten gesteckt zu werden. Er ging zur Tür hinaus, und ich war mir sicher allein zurecht zu kommen.
Als wir allein waren, holte ich meinen Wecker aus der Reisetasche und stellte ihn auf 5.30 Uhr. Auf alle Fälle wollte ich nicht ohne Kaffee aus dem Haus gehen. Löslichen Kaffee hatte ich gekauft, und dann musste ich Tina ja auch noch anziehen. Ich legte mir alles zurecht, dann ging ich ins Bett und nahm Tina in den Arm. Wenn ich den ganzen Tag bei der Arbeit war, sollte sie wenigstens bei Nacht in meinem Arm liegen.
Der Wecker klingelte morgens und ich frühstückte zuerst. Nebenbei machte ich das Fläschchen für Tina und zog sie schön an. Sie sollte ganz sauber sein, wenn ich sie im Hort ablieferte. Den Kinderwagen brachte ich immer auf zweimal die Treppe hinunter. Zuerst das Untergestell danach das Oberteil mit Tina zusammen. Sie mochte die Treppen nicht und verkrampfte sich jedes Mal.
Der Weg zum Hort war so kurz, morgen wollte ich sie ohne Kinderwagen mitnehmen. Auf mein Klingeln am Kinderhort, kam eine freundliche Nonne an die Tür. Sie nahm mir das Kind ab und zeigte mir das Kinderzimmer. In Tinas Zimmer waren noch vier Bettchen. Mir fiel es schwer mein Kind hier zu lassen, aber die Schwester versprach, gut für sie zu sorgen. Den Antrag für den Hort musste ich nur unterschreiben, alles andere würde sie machen. Dann eilte ich zum Bahnhof, damit ich den Zug nicht verpasste.
An meinem neuen Arbeitsplatz gefiel es mir gut, es waren vorwiegend deutsche Frauen in meiner Abteilung. Die Abteilungsleiterin zeigte mir die Wickelmaschine und ich musste Spulen mit Kupferdraht umwickeln. Die genauen Umdrehungen zeigte die Maschine automatisch an. Jedes Ende wurde verlötet und der Geruch war widerlich.
Bis zum Feierabend hatte ich mich daran gewöhnt. Die Frau kam mit einer Anmeldung für die Gewerkschaft und die anderen Frauen rieten mir unbedingt beizutreten. Wenn Streik sei oder ich mal krank würde, stünde ich dann besser da. Ich erinnerte mich an Vati, der war 50 Jahre in der Gewerkschaft. Dann konnte es nicht falsch sein und ich unterschrieb.
In der Kantine aß ich zu Mittag und als ich Feierabend hatte ging ich inmitten einer großen Menschentraube zum Zug. Der hatte viele Waggons und es war Platz für alle. Vom Bahnhof aus, holte ich sofort Tina aus dem Kinderhort. Mein Herz klopfte, wie hatte sie den Tag überstanden? Die Schwester saß vor Tinas Kinderbettchen, sang und drehte ihre Hände. Tina schaute gespannt und lachte. Dann legte sie Tina in den Kinderwagen und berichtete: "Die Kleine hat schon gegessen, und gebadet. Frisch angezogen ist sie auch.
Tina war so gut zufrieden und roch angenehm, man sah es ihr an, es war ihr gut ergangen.
Der Wirt half mir beim Kinderwagen und ich wollte für die nächsten Tage bezahlen. "Lassen Sie mal Fräulein Schiller," sagte er, "bezahlen sie immer am Ersten, wenn sie Geld bekommen." Das kam mir gerade recht, denn so blieb mir ausreichend Geld für den Rest des Monats.
Wenn ich jetzt noch ein billigeres Zimmer fand, dann war ich rundum glücklich.
Meinen Arbeits-Kolleginnen hatte ich erzählt, dass ich im Hotel wohnte und dringend ein Zimmer suchte. Die wollten sich umhören, aber Wohnraum sei hier große Mangelware, klärten sie mich auf. Täglich ging ich an die Aushängekästen der Zeitung und schaute nach Anzeigen. Wenn ich dann anrief, war das Zimmer schon vergeben.
Manchmal sehnte ich mich zurück an das ruhige Kleinstadt-Leben von vorher, hier war in den Straßen und eigentlich überall, nur Hektik.
Die Abende verbrachte ich mit Tina im Hotelzimmer. Ich hatte mir einen Eimer gekauft, darin weichte ich abends die Wäsche ein, die ich am nächsten Tag waschen musste. Tinas einziges Spielzeug war ein Schlappohrhase, den hatte sie zum Abschied von Waltraud bekommen. Mit dem spielten wir jeden Tag. Ab und zu zog ich dem Hasen ein paar Sachen von der Kleinen an, dann quietschte sie vor Vergnügen.
Die Schwester im Hort hatte mir vorgeschlagen, Tina auch mal später holen zu dürfen, wenn ich zum Einkaufen wollte. Sie hatte ihr schon Obstbrei gemacht und gefüttert und zeigte mir stolz den leeren Teller. Sie hatte mein Kind richtig in ihr Herz geschlossen.
Am Ersten des neuen Monats, bekamen wir unseren Lohn und ein Mädchen aus meiner Abteilung, schlug mir vor, mit ihr ins große Kaufhaus zu kommen. Sie war Griechin und hatte einen Pferdeschwanz wie ich, war aber blond. Eine halbe Stunde wollte ich mir Zeit nehmen, aber kaufen wollte ich nichts.
Nie zuvor war ich in so einem großen Laden. Sie wühlte auf den Tischen in den Pullovern herum, und ich fand die Sachen waren sehr billig. Da merkte ich, dass Stefan uns gefolgt war. Er beobachtete mich. Als er sah, dass ich ihn gesehen hatte, kam er auch an den Wühltisch. "Du brauchst nichts, komm mit“, sagte er gereizt. Dann kam ein junger Mann an uns vorbei, ihm gefiel besonders der Pferdeschwanz von meiner Kollegin. Vorsichtig streichelte er über die Haare.
Dann ging alles ganz schnell. Stefan schlug mit Fäusten auf den jungen Mann ein, innerhalb weniger Sekunden war eine Massenschlägerei zwischen den Wühltischen. Ich dachte an Tina, die ich abholen musste und zog die Kollegin mit zum Ausgang. Dort ließ ich sie stehen und eilte zum Hort. Auf dem Weg dahin, hörte ich Polizei-Autos durch die Straßen fahren.
Mein Herz klopfte immer noch von dem Schreck, als ich dann die Kleine auf dem Arm hatte beruhigte ich mich langsam. Ich war angefangen die Wäsche zu waschen, da kam Stefan. Er hielt es nicht für nötig zu klopfen, er kam einfach zur Tür herein, als ob es sein Zimmer wäre.
Mit seinem unverschämten Grinsen lobte er sich, wie er früh genug der Polizei entkommen war. Ja, und er hatte jetzt ein Zimmer für mich gefunden, prahlte er. Zwei Häuser entfernt von dem wo er wohnte, mit Kinderbetreuung für 150,-- Mark im Monat. "Dann kann ich ja gleich hier bleiben," fand ich. "Hier bezahle ich auch das gleiche und der Hort ist für mich kostenlos. Dazu bin ich hier viel näher am Bahnhof." Er gab nicht auf: "Rede doch keinen Blödsinn, meine Hauswirtin hat sich so bemüht. Dann bist du auch näher bei mir." Auf das legte ich ja keinen großen Wert, aber ich wollte es mir ansehen, seiner Wirtin zu Liebe.
Am Samstagmorgen richtete ich mein Kind und quälte mich die steile Straße hinauf, zu dem Haus wo Stefan wohnte. Die Frau erzählte von der netten Nachbarin, die das Kind auch betreuen würde, wenn wir mal ausgehen wollten. Und lud mich zum Essen ein. Es gäbe Käsespätzle. "Danke“, sagte ich, "die vertrage ich nicht, ich habe es an der Galle." Nun hatte ich die nette Frau schon verärgert.
Was sie kochte sei noch jedem bekommen, schimpfte sie. Jetzt wollte ich mir sie Nachbarin ansehen. Stefan erklärte er hatte schon alles geregelt. Trotzdem wollte ich mich dort umsehen. Er hatte von den Nachbarn zwei Anzüge bekommen, die zwar nicht der Mode entsprachen, aber von guter Qualität waren. Bei seinem nächsten Besuch in Griechenland, sollte ein Schneider die Anzüge für ihn ändern. Die Leute sollte ich ja nicht verärgern.
Wir gingen durch ein Gartentor, durch einen schönen großen Garten. Vor dem Haus standen drei Kinderwägen mit Babys, die schienen zu schlafen. Eine große kräftige Frau kam an die Tür. Sie machten keinen schlechten Eindruck. Dann zeigte sie mir das Zimmer, es war sehr klein. Ein Bett und ein Schrank waren darin. Das Kinderbett hätte vielleicht noch am Fenster Platz gehabt. Ein Waschbecken war auch im Zimmer. Die Wäsche wollte sie waschen, sie hatte eine Waschmaschine.
Das war der erste Vorteil, den ich erkennen konnte. Nun hatte ich nicht das Gefühl, hoch erfreut und sofort zusagen zu müssen. Ich dachte an Tina die es bei den Nonnen ausgesprochen gut hatte. Diese Frau machte zwar den Eindruck eine saubere Hausfrau zu sein, aber wie ging sie mit Kleinkindern um? Mir blieb keine Zeit zum Überlegen. Stefan hatte mit Hilfe seiner Vermieterin schon alles ausgemacht. Meine Sachen sollte ich gleich holen. Woher nahm er sich das Recht, über uns zu bestimmen? Es missfiel mir.
Auf dem Weg zum Hotel stellte ich klar, dass ich erwachsen war, und Entscheidungen für mich und Tina. sehr gern selbst treffen wollte. Darauf hielt er mir vor: "Ich habe Dich halbtot hierher gebracht und gesorgt, dass Du wieder gesund bist. Du bist, wie ein ungezogenes Kind." Im Stillen dachte ich, wie kriege ich den Arsch bloß wieder los.
Wenn ich Tina nahm und mit meinen Sachen wieder zurück fuhr, dann wusste ich auch nicht wohin. In der Kleinstadt in Westfalen war niemand, der mir helfen konnte. Hier wurde ich als ledige Mutter nicht verachtet. Lustlos packte ich ganz langsam meine Sachen zusammen. Während er hinunterging, um das Zimmer aufzukündigen, und die restliche Miete zu bezahlen. Leise weinte ich vor mich hin und gab Tina ihr Abendfläschchen. "Ach, „ schluchzte ich, "Wegen dir, habe ich es so schwer, aber ich liebe dich."
Mit dem Gefühl alles falsch zu machen, ging es dann mit Sack und Pack in mein neues Zuhause. Dort ging ich gleich in mein Zimmer. Für Tina sollte ich den Kinderwagen ins Zimmer stellen, und ihn morgens wieder mit nach unten bringen.
Am Sonntag ging ich mit meinem Kind spazieren. Am Bahnhof kaufte ich mir eine Kleinigkeit zum Essen und ließ mir warmes Wasser geben für Tinas Fläschchen. Als ich aus dem Bahnhof herauskam, sah ich Stefan inmitten mehreren Ausländern stehen. Er hatte es besonders wichtig.
Außer Häuser und Straßen, dazu einen Haufen Autos und Straßenbahnen, hatte ich nichts Interessantes gesehen, auf meinem Spaziergang. Also machte ich mich auf den Heimweg. Meine neue Hauswirtin, sie hieß Frau Winter, saß im Garten beim Kaffee, mit einer ihrer Mieterinnen. Die war Sekretärin und hatte ein Kind von ihrem Chef. Das Kind war hässlich.
Angeblich war das Kind so alt wie das meine, fett und viel zu groß. Mein Kind war halb so groß. Ich sollte mich dazu setzen und bekam auch einen Kaffee. Die Lust verging mir schnell, weil das Riesenbaby immerzu schrie. Da ich am nächsten Tag wieder zur Arbeit musste, ging ich bald auf mein Zimmer.
Frau Winter kam früh morgens in mein Zimmer, und verlangte die Windeln von Tina. Aus dem Koffer holte ich vier saubere fast neue Windeln. Ein paar mehr sollte ich ihr schon geben, forderte sie mich auf. Da gab ich ihr noch zwei Pack neue Windeln, die anderen waren noch im Eimer und nicht fertig gewaschen.
Sie nahm den Eimer mit Wäsche mit und füllte sie gleich in die Waschmaschine. Zusammen waren es fünfzehn Windeln ein paar Strampler und Hemdchen und Jäckchen. Mit ihren riesigen Händen schnappte sie dann auch noch Tina. Ich sollte den Kinderwagen hinunter bringen wenn ich ging.
Schnell zog ich mich vollends für die Arbeit an und eilte los. Auf dem Weg wollte schnell noch den Schwestern sagen, dass Tina ein paar Tage zu Hause betreut wurde.
Ich hatte gar kein gutes Gefühl. Am Bahnhof traf ich Stefan, er fuhr mit dem gleichen Zug und wollte wissen wie es geht. "Mir gefällt das nicht," sagte ich, "Frau Winter trägt Tina wie die Katz ihre Jungen." Er wollte wissen was ich am Sonntag gemacht hatte. "Spazieren mit Tina," antwortete ich kurz und knapp. "Eine anständige Frau geht nicht spazieren, allein," ließ er mich wissen. "Eine Griechin vielleicht nicht, eine Deutsche schon", gab ich zur Antwort. Ich ging in meinen Betrieb, und war den ganzen Tag nicht bei der Sache.
So ging es ein paar Tage. Nach der Arbeit zog es mich eilig zu Tina, Stefan war auch dabei. Da hörten wir kurz bevor wir am Gartentor waren, dass Frau Winter furchtbar schimpfte und eines der Babys im Hof schlug. Sie schlug da Riesenbaby weil es nicht ruhig sein wollte. Vielleicht zahnte der Kleine, das würde meine auch bald machen. Wird sie dann auch geschlagen, dachte ich bei mir.
Von Stefan erwartete ich nicht, dass er sich darüber aufregte. Das ständige Lächeln in seinem Gesicht verschwand augenblicklich. "Bei uns in Griechenland schlägt man keine Kinder," sagte er mit drohendem Unterton. Er stieß die Gartentür auf und rief: "Was machen Sie da?" Frau Winter behauptete das Kind gar nicht geschlagen zu haben.
Ich wollte mit Tina noch ein wenig sparzieren laufen, bekam sie aber nicht, "sie schläft gerade," behauptete sie. Wir gingen zu Stefan und erzählten seiner Vermieterin, was wir gerade beobachtet hatten. Die konnte und wollte das nicht glauben. Das würde Frau Winter nie machen, versuchte sie uns zu beschwichtigen. Ich hatte mich so geärgert, dass meine Galle sich wieder meldete. Die Nacht würde ungemütlich werden, dachte ich und zog es vor, ins benachbarte Hospital zu gehen und mir meine gewohnte Spritze geben zu lassen.
Die Schwester an der Pforte wollte eine Überweisung. "Ich habe hier keinen Arzt," klagte ich. Da nahm sie mich als Notfall. Ein junger Arzt kam, und wollte mir eine Infusion geben. Als ich jammerte so Schmerzen zu haben, und dass ich mein Kind versorgen müsste, kam er mit der Spritze, und gab sie mir gleich in der Eingangshalle. "Das ist aber keine Lösung," sagte er warnend, "gehen sie zum Röntgen und lassen sie das operieren. Das wird von mal zu mal schlimmer." Einen Augenblick blieb ich noch in der Eingangshalle sitzen. Dann eilte ich zurück, ich wollte jetzt wissen was mit Tina war.
Weil Stefan sich mit Frau Winter angelegt hatte, traute ich mich nicht allein dorthin. Stefan ging mit. Das Gartentor war verschlossen, auf dem Hof stand der Kinderwagen mit Tina. Die schrie laut und auf dem Kinderwagen war mein Koffer und meine Reisetasche. Sie hatte mich mit dem Kind raus geschmissen. Stefan stieg über das Gartentor und machte es von innen auf. Dann klingelte er an der Haustür. Niemand kam an die Tür. Er nahm den Kinderwagen, meinen Koffer und die Tasche und schob den Wagen auf den Gehsteig.
"Das deutsche Schwein," wetterte er und meinte Frau Winter, "Ich habe bezahlt für einen Monat, die zeige ich an!" Eine Quittung hatte er aber nicht von ihr bekommen.
Keinen Augenblick ließ ich mich abhalten, ich wollte zurück ins Hotel. Da hatte ich Glück, denn mein Zimmer war noch für drei Tage frei, ab dann war es neu vermietet.
Im Zimmer packte ich zuerst Tina aus, ich wollte wissen ob sie auch geschlagen wurde. Sie war nass und ich machte sie trocken. Die Windel die ich als erstes in die Hand nahm, hatte ein Loch. Das konnte meine Windel nicht sein, ich hatte ja alles neu gekauft. Da packte ich die Windeln aus und zählte, es fehlten drei Stück. Alle Windeln waren kaputt oder verschlissen. Die neuen Windeln von mir hatte sie ausgetauscht. Ich war stinksauer.
Zwar war ich kein Freund vom Bügeleisen, aber ich legte großen Wert auf saubere und heile Wäsche.
Nun wollte ich sehen ob Tina blaue Flecken vom Schlagen hatte, konnte aber nichts feststellen. Morgen früh wollte ich noch einmal nachsehen, denn mit blauen Flecken wollte ich sie nicht in den Hort zu den Schwestern bringen. Die würden sonst denken, dass ich es war.
Stefan ging heim, immer noch verärgert. Meine Kleine und ich schliefen in dieser Nacht bestens, ich hatte sie im Arm und sie spürte das.
Am Morgen weinte sie nicht beim Anziehen, sie lachte und ich fand auch keine blauen Stellen. Die Schwester im Hort freute sich und tanzte mit Tina gleich einmal ums Bettchen. Jetzt machte mir meine Arbeit wieder Spaß. Von einer Kollegin bekam ich eine Telefon Nummer, wegen eines Zimmers. Ich sollte am Sonntagabend anrufen, dann käme er aus dem Urlaub.
Im Zug zeigte ich auf der Heimfahrt Stefan den Zettel. "Ja, ruf du dann an, vielleicht ist es gut, frag ob Möbeln drin sind und was es kostet. Sag für dich und deinen Verlobten." "Seit wann sind wir denn verlobt?" fragte ich erstaunt. Es war gut, dass er nicht antwortete, ich hätte mich ja doch nur aufgeregt.
Tina war richtig gut gelaunt, in dem Hort war sie ganz besonders gut aufgehoben. Nun hoffte ich, dass ich ein Zimmer hier in der Nähe fand, damit Tina weiter dorthin konnte.
Der Hotelwirt, gab mir Zeit bis Montagnachmittag, es würde auch noch Dienstagvormittag gehen, dann wollte der neue Gast kommen.
Stefan war schon weg, er wollte noch einmal zu Frau Winter, denn er erwartete sein Geld zurück. Am nächsten Morgen würde er mich abholen, um seinen Vetter in Offenbach zu besuchen. Der wohnte direkt am Main und hatte eine schöne Wohnung.
Morgens badete ich Tina und zog sie ganz süß an. Sie bekam das Kleidchen, das ich nach der Geburt von meiner früheren Hauswirtin bekommen hatte. Als ich mich ankleidete, stellte ich fest, dass mein Rock nicht mehr zuging. Ich wunderte mich zwar, aber setzte mich hin und versetzte den Knopf. Jetzt ging er wieder zu. Der Rock von Peterchen aus Gütersloh, war immer noch mein schönster Rock.
Dann holte mich Stefan ab, um mit dem Zug nach Offenbach zu fahren. Er konnte nie gehen wie ein normaler Mensch in seiner Freizeit, er musste immer hetzen. So kamen wir auch gerade noch pünktlich zum Zug. Er bestand darauf, dass ich ein paar Wörter griechisch lernen sollte. Wenn wir bei seinem Vetter ankämen, sollte ich "kalimera" sagen. Das hieß "guten Tag." Beim gehen, "kalispera", "guten Abend." Wenn es aber schon dunkel sei, dann hieße es "kalinichta", "gute Nacht." Er fragte mich ein paar Mal ab, und war begeistert, dass ich es so schnell begriff. "Du bist Spezialist für griechische Sprache!"
Sollte das ein Lob sein, oder war es eine Feststellung? Dann kam er auf die Idee mir noch etwas beizubringen. Er sagte es mir zweimal vor, dann konnte ich es. "Emis agapjomaste" hieß der Satz. Als ich fragte was das denn heißt, waren wir schon bei seinem Vetter angekommen.
Der wohnte in einem großen Wohnblock mit mindestens acht Stockwerken. Er klingelte an einer Glocke, an der mehrere Namen auf dem Schildchen standen. Dann ging die Tür auf, und wir nahmen den Kinderwagen mit in den Aufzug.
Ein Wohnhaus mit Aufzug hatte ich auch noch nicht gesehen. Der Vetter wohnte ziemlich weit oben, und die Frau stand schon an der Wohnungstür. Die Begrüßung war überschwänglich, jeder umarmte jeden und da waren viele Leute in der Wohnung. Was mich besonders störte, war die schrille und laute Stimme der Frauen.
Die sprachen so schnell als ob sie in Eile wären. Ich hatte vergessen auf griechisch guten morgen zu sagen. Sie hatten mich mit "guten Tag" begrüßt. Sie schauten in den Kinderwagen und weil Tina schlief, ließen sie die Kleine in Ruhe. Die Wohnung war sehr schön, mit Bad und Klo, einer Küche und mehreren Zimmern. Es war auch alles sehr sauber in der Wohnung. Stefan hatte viel zu bereden, das Wort "to morro" hörte ich mindestens zwanzig Mal. Ob das morgen hieß? Ich fragte die Frau mit den besten deutsch-Kenntnissen. "Nein, das heißt: „das Kind", klärte sie mich auf.
Für Tina war das ein Stichwort und sie meldete sich zaghaft. Alle Frauen sprangen auf, um das Kind jetzt genau anzusehen. Sie nannten es "rurunaiki", dazu taten sie so als spuckten sie in den Kinderwagen.
Jetzt war ich schon sauer, und wollte wissen was "rurunaiki" hieß. "Schweinchen", sagte eine der Frauen. Ich war beleidigt, mein Kind war sauber angezogen und frisch gebadet. Die Griechinnen waren ganz verrückt nach dem Kind, machten die Flasche und wickelten es nach dem Trinken. Sie hatte ihre Windel gehörig voll, vielleicht haben sie das gerochen, und deshalb Schweinchen gesagt, dachte ich.
Den Frauen wollte ich es nicht zumuten, den Po der Kleinen zu putzen, aber sie ließen sich nicht abhalten. Es gab Mittagessen, das schmeckte besser als es aussah. Danach räumte die Frau von Stefans Vetter den Tisch ab, und holte eine elektrische Nähmaschine hervor. Sie hatte einen weißgrundigen Flanellstoff mit lustigen Kindermotiven.
Die Frau musste Schneiderin sein, denn blitzschnell hatte sie ein Nachthemd und einen Schlafanzug zugeschnitten. Dann ratterte die Maschine. Als es Kaffee geben sollte, war sie schon fertig mit dem Nähen. Die fertigen Sachen legte sie im Kinderwagen unter die Matratze.
Danach kochte sie Kaffee in einem winzigen Tiegel. Was sie, meiner Meinung nach, da zusammenbraute, hatte mit Kaffee nichts gemeinsam. Dabei hatte ich mich auf eine schöne Tasse Filterkaffee gefreut.
Plötzlich kamen wieder alle um den Kinderwagen, spuckten und sagten Schweinchen auf griechisch. Alle warfen Geld in den Kinderwagen. Damit das Kind das Geld nicht schluckte, schob ich es unter die Matratze. Dann schenkte die Frau aus ihrem winzigen Kaffeetiegel, Kaffee in winzige Tassen. Die erste Tasse schob sie mir hin: "Das ist griechischer Kaffee," munterte sie mich auf. Der Kaffee war süß, und ich hatte immer Kaffeesatz im Mund. Dann wurden die Tassen gedreht, und anschließend aus dem Kaffeesatz die Zukunft gelesen. Abgesehen davon, dass ich kein Wort verstand, glaubte ich sowieso nicht an das Theater.
Stefan bestand darauf, dass ich meine Griechisch Kenntnisse vortrug. Blöd wie ich war, sagte ich: "Kalimera, kalispera und kalinichta." Ah," sagte Stefan, sie kann noch mehr. Zögernd kam ich mit: "Emis agapjomaste," heraus. "Bravo," riefen die Frauen. "Und was heißt das?" fragte ich. "Ganz klar: Wir lieben uns, heißt das" lachte eine der Frauen.
Nun wollte ich aber wissen, warum sie in den Wagen spuckten und Geld hineinwarfen. "Das soll dem Kind Gesundheit, Schönheit und Reichtum geben," klärte mich der Vetter auf.
-Gesundheit und Schönheit hat sie bekommen aber Reichtum nicht.-
Am späten Nachmittag fuhren wir wieder nach Stuttgart zurück. Der Kinderwagen war vollgepackt mit kleinen und größeren Päckchen. Die waren aber nicht etwa für Tina, sondern die sollte Stefan überbringen. Wohin, wusste ich noch nicht.
In meinem Hotelzimmer musste ich mich jetzt erst mal sammeln. Die vielen für mich wildfremden Menschen mit ihren seltsamen Bräuchen, hatten mich fertig gemacht. Gott sei Dank hatte Tina keine Angst vor fremden Leuten. Als ich mich dann abreagiert hatte, zog ich meinen Rock aus und legte ihn zurück in den Koffer. Dann ging ich mit Tina ins Bett. Mit meinen Gedanken war ich zuerst bei meinem Rock, der mir nicht mehr passen wollte.
Wie ein Blitz schoss es durch meinen Kopf: "Schwanger? Nein nicht schon wieder!" Wann hatte ich denn eigentlich meine Periode zum letzten Mal? Richtig hatte ich sie ja gar nicht nach der Geburt von Tina. Nur einmal und da ganz wenig. Der Arzt bei dem ich damals war sagte, dass es sich einrenken würde. Dann hatte ich daran gar nicht mehr gedacht.
Scheiße, dachte ich, das fehlt mir gerade, was passiert mir sonst noch alles?
In meinen Gedanken zog mein bisheriges Leben an mir vorbei. Was hatte ich schon alles durch gemacht, das meiste ohne meine Schuld. Aber jetzt war ich für mein Unglück doch selbst verantwortlich. Was mir fehlte war mehr Selbstbewusstsein und Charakterfestigkeit.
Aber hier im Großstadtgetriebe, nützte mir beides nicht. Ich dachte an Frau Winter die mir meine guten Sachen ausgetauscht hatte, und Stefans Geld nicht zurück geben wollte. Im Stillen verfluchte ich Jens und seine Mutter, ohne ihn wäre meine Welt in Ordnung gewesen. Tina lag neben mir im Bett, und ich weinte auf ihre feinen blonden Locken.
Sonntagmorgen hatte ich es nicht so eilig mit dem Aufstehen. Geduldig wartete ich bis Tina wach war. Dann machte ich meine Hausarbeit in aller Ruhe, ich wollte meine Galle nicht wieder reizen.
Vor dem Fenster waren außen ein paar kurze Wäscheleinen gespannt, und da hängte ich gerade die gewaschene Wäsche auf, da kam Stefan zur Tür herein.
Er ging schnurstracks auf meinen Koffer zu und wühlte in meinen Sachen. "Kannst du mir sagen was du in meinen Sachen suchst," fragte ich übel gelaunt. "Ja ich brauche noch ein paar Geschenke," war seine Antwort. "Geschenke? In meinem Koffer sind keine Geschenke," ich schlug den Kofferdeckel zu, auf seine Finger. "Morgen fahre ich nach Griechenland," erklärte er, "da musst du mir Geschenke für meine Schwestern und meine Eltern mitgeben." "Du hast doch gestern einen Haufen Päckchen mitgebracht," entgegnete ich. "Die sind von anderen Leuten, für andere Leute in unserem Dorf," machte er mir klar.
Morgen wollte er zu seinen Eltern fahren und sagen, dass er heiraten wollte. Da brauchte er Geschenke von der Braut. "Ich will aber gar nicht heiraten," versuchte ich ihm beizubringen. Sein Blick verdunkelte sich und auf seiner Stirn schwoll eine Ader an. Oh je, das kannte ich von Mutti und das hieß nichts Gutes. "Lass deine komischen Späßchen," fuhr er mich an, "Du hast mir auf eine Heiratsanzeige geschrieben, und jetzt willst du nicht heiraten?" In meinem Kopf verfluchte ich Waltraud, es war ihre Idee.
Also machte ich den Koffer wieder auf und holte den schönen Rock von Peterchen heraus. "Nimm den, wenn er passt, mir passt er nicht mehr, ich bin schwanger." Er schaute den Rock an und schien zufrieden, dann überlegte er einen Augenblick. "Wir kriegen ein Kind? Ein Grund mehr zu heiraten." Während er das sagte, hellte sich sein Gesicht wieder auf. Dann holte ich mein Tanzkleid hervor, das würde ich auch nicht brauchen. Aber das wollte er nicht, denn das war ärmellos. "In Griechenland tragen anständige Mädchen keine Kleider ohne Ärmel," belehrte er mich.
Nach langem Suchen hatte er was er wollte. Ein Twin-Set, den Rock und einen Schal für seinen Vater. Es fehlte noch ein Geschenk für seine Mutter. Schließlich waren meine meisten Sachen noch in seinem Zimmer und ich beschrieb ihm den Karton, in dem sich die Haushaltsgeräte befanden. Er sollte die Gemüse-Schnitzelmaschine nehmen, mit drei Einsätzen. Er wollte wissen ob die elektrisch sei. Als ich verneinte, war es ihm recht, denn in seinem Dorf, hatten sie keinen Strom. Nun stopfte er alles in eine Plastiktüte und verschwand. Am Abend wollte er kommen, wenn ich zum Telefonieren ging. Nachdem er gegangen war, musste ich mich erst erholen.
Zurzeit war es vielleicht gar nicht so schlecht, dass ich ihn hatte. Wenn die Kinder größer sind, muss ich ihn los werden, dachte ich.
Mir war flau im Magen, ich musste jetzt etwas essen. Also nahm ich Tina und ging mit ihr Richtung Bahnhof. An einer Kneipe stand eine Tafel, halbes Hähnchen, 2,50 DM. Ich ging hinein und fragte ob ich es mitnehmen kann. Der Wirt packte mir das Hähnchen ein und ich ging zurück ins Hotel. Dort in meinem Zimmer, konnte ich es in Ruhe essen. Mittags machte ich mit meiner Kleinen einen Mittagsschlaf, das tat uns beiden gut.
Danach machte ich mir einen leichten Kaffee, versorgte mein Kind und richtete mich, um zum Telefonieren zu gehen. Da war Stefan auch schon wieder da. Er wollte natürlich dabei sein, wenn ich anrief. Lang und breit versuchte er mir vorzuschreiben was ich am Telefon sagen sollte. Genervt sagte ich: "Der Vermieter ist Deutscher, ich bin Deutsche, wo ist da das Problem?" "Die Deutschen sind alle schlecht-schlau," eröffnete er mir, was er damit meinte, war mir nicht klar.
Der Herr am Telefon hatte tatsächlich darauf gewartet, dass ich anrief. Ja, er hatte mir ein Zimmer in Ludwigsburg, das sei nicht weit von Stuttgart. Der Raum war allerdings klein, aber vielleicht hätte er später ein größeres. Er erklärte mir, wo ich den Schlüssel bekommen konnte, dann sollte ich es ansehen. Möbeln waren keine mehr darin, die hatte jemand beim Auszug mitgenommen. Einziehen konnte ich sofort, ich sollte ihn nur noch einmal anrufen, wenn ich es wollte. Bis neun Uhr wollte er auf meinen Anruf warten.
Jetzt ging die Hetze wieder los.
Mit dem Zug fuhren wir nach Ludwigsburg. Dort fanden wir etwa eine Viertelstunde vom Bahnhof entfernt die Straße, die der Hauswirt angegeben hatte. Das Haus war sicher einmal ein Herrenhaus. Wir kamen in eine große Eingangshalle, an der war die Hausmeisterwohnung. Dort sollte ich den Schlüssel holen. Ich läutete an der Tür, und der Hausmeister kam mit dem Schlüssel. Wir gingen in einen Nebenflur, da waren mindestens fünf Türen. Auf der rechten Seite waren drei, die mittlere öffnete er.
Das Zimmer hatte Holzfußboden mit Linoleum, ich schätzte 3,5 m lang und 2,5 m breit. Es hatte ein Fenster zur Straße. Stefan fand das Zimmer bestens in Ordnung, während ich bemängelte, dass kein Waschbecken darin war. Das Waschbecken war auf der anderen Seite des Flurs, im Waschraum, das Klo vorn in der Eingangshalle. Begeistert war ich nicht von dem Zimmer. Weil ich aber ab morgen obdachlos war, nahm ich es. Stefan wollte mir sofort vorschreiben, dass wir ja nur ein Bett und vielleicht einen Tisch brauchten. "Ich werde hier allein wohnen mit Tina. Du hast ja ein Zimmer." Ich war bemüht, die Ruhe zu bewahren.
Jetzt hatte er es plötzlich wieder sehr eilig. Den Hauswirt rief ich vom Bahnhof aus an, danach musste ich meine Sachen aus dem Hotel holen. Sorgfältig packte ich meinen Koffer und vergaß auch nicht die Wäsche vor dem Fenster. Stefan ging in der Zeit ein paar Helfer am Bahnhof anzuheuern, die ihm halfen, meinen kompletten Hausstand nach Ludwigsburg zu bringen. Tina und ich fuhren allein mit dem Zug.
Tina und ich kamen einen Zug früher an als Stefan. Für die Kleine hatte ich im Hotel noch ein Fläschchen gemacht, das gab ich ihr jetzt.
Ich saß auf meinem Koffer und hätte am liebsten gleich losgeheult. Ein total leeres Zimmer, kein Stuhl und wo sollte ich heute Nacht schlafen. Im sitzen auf dem Koffer, war das einzige was mir einfiel. Was sollte ich morgen machen? So konnte ich nicht zur Arbeit gehen. Wohin mit Tina?
Die Kleine schlummerte süß in ihrem Kinderwagen, und ich zerbrach mir meinen Kopf was ich morgen machen wollte. Da kam Stefan mit den fremden Griechen. Sie trugen alles in den Raum. Stefan meinte ich könne ja im Kinderbett schlafen. Saublöde Idee, dachte ich, es ist viel zu kurz und gar nicht stabil genug für einen Erwachsenen. "Mach dir meinetwegen keine Gedanken, ich komme klar," sagte ich schroff.
Er musste jetzt gehen, denn er wollte ja morgen nach Griechenland fahren. Dann zog er seine fette Brieftasche heraus und gab mir 100.-- Mark. "Kauf dir ein Bett," kam es großzügig von ihm, "Aber nicht zu klein, wenn ich mal übernachten will." Ich schaute verächtlich auf den Hunderter und sagte: "Dafür darf ich ein Bett gar nicht anschauen, du hast doch letzte Woche jede Menge Geld am Bahnhof einkassiert."
Er wurde feuerot bis hinter die Ohren und grinste: "Woher weißt du das?"
"Ich spreche nicht so viel, aber ich merke alles," sagte ich, indem ich meine Hand ausstreckte. Siehe da, es wirkte ich bekam noch einmal einen Hunderter. "Machs gut, Anne, ich komme bald wieder, lass dich krank schreiben und warte bis ich da bin." Mit diesen Worten verschwand er mit seinem Gefolge.
Als ich endlich allein war, packte ich das Kinderbett aus, nahm die Matratze heraus und packte mein Federbett und das Kissen aus. Tinas Federbett aus dem Kinderbettchen war auch noch da. So würde ich die Nacht überleben. Ich dachte an Onkel Heini, der hatte mich förmlich überredet ein Deckbett und ein Kissen zu kaufen. "In einem möblierten Zimmer weißt du nie wer in dem Bett schon alles geschlafen hat." Jetzt war ich ihm dankbar dafür.
Der Karton mit der Bettwäsche und meinen Handtüchern war völlig durchwühlt. Außer zwei Handtüchern fehlte nichts. Die wird er auch als Geschenk gebraucht haben. Den leeren Karton legte ich zu unterst in meine Schlafecke, weil ich den Fußboden nicht so sauber fand. Dann legte ich mich auf mein Behelfsbett. Weil ich total erschöpft war, schlief ich auch gleich ein.
Morgens suchte ich den Karton mit Haushaltsgeräten, ich hatte eine elektrische Kochplatte für einen Topf. Der musste jetzt her, ich brauchte einen Kaffee, und Tina ein Fläschchen. Mittags wollte ich ihr dann ihren Brei machen, denn das hatte sie bei den Nonnen essen gelernt. Nach dem Frühstück, machte ich noch eine Flasche fertig für die Kleine, die kam in den Kinderwagen. Ich würde jetzt mit ihr zur Arbeit fahren und Bescheid sagen, dass ich heute umziehen musste.
Im Betrieb ging ich zu meiner Abteilungsleiterin und erzählte ihr vom Umzug. "Dafür bekommen sie einen Tag bezahlten Urlaub," verkündete sie. Wegen einer neuen Hortstelle sollte ich wieder zur Sozialstation. Dort fand die junge Frau wieder einen Kinderhort fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt. Sie meldete mich an. Dann nahm ich meinen Mut zusammen, und fragte sie, wo ich günstig Möbeln kaufen konnte. Auf einen Zettel schrieb sie mir die Adresse der "Mittelstandshilfe" auf. Da könnte ich alles bekommen, für wenig Geld.
Dann nahm sie mein Kind aus dem Wagen, sie mochte sie es unbedingt einmal auf den Arm nehmen. Ich dachte aber, sie wollte wissen ob alles sauber war.
In der Kantine war fast niemand. Darum ging ich mit Tina hinein und holte mir ein Essen. Sie bekam die Flasche und auf der Toilette wickelte ich sie.
Dann gingen wir zur Mittelstandshilfe. Da sah es aus wie ein großer Möbelmarkt. Ein älterer Mann mit einem dicken Bauch begrüßte mich freundlich. Ich trug mein Anliegen vor, und sagte ihm gleich, dass ich nicht mehr als 200.-- Mark ausgeben konnte. "Da kommen wir mit aus," versprach er. "Betten sind nicht viel da," bedauerte er, "Alle brauchen Betten." Dann fand er eine Liege mit Lattenrost 1 m breit, 2 m lang. Er klebte einen Zettel daran, und holte eine nagelneue Matratze aus dem Lager. Die war eine Spende und ich sollte dafür 40 Mark zahlen. Wieder klebte er einen Zettel und notierte auf seinem Block: Bett und Matratze 80.-- Mark. "Das ist beides neu," bemerkte er. "Deckbett und Kissen habe ich selbst." prahlte ich. Das war gut, denn die Deckbetten sahen schlecht aus. Trotzdem nahm ich ein Kissen mit, ich suchte ein sauberes aus. Wenn Stefan übernachten wollte, dann bekam er das, und nicht mein eigenes.
Schließlich kaufte ich einen Stubenschrank. Das war ein guter Schrank mit Glasaufsatz, eben nicht mehr modern. Er kostete auch nur 30 Mark. Mit Kleiderschränken sah es auch nicht gut aus. Wir fanden einen eintürigen mit Spiegel. Der Spiegel war nicht mehr der Beste, aber das störte mich nicht.
Wir suchten nach einem kleinen Tisch, fanden aber nur einen stabilen mittelgroßen. Dazu bekam ich noch zwei passende Stühle, und er mogelte mir noch einen kleinen Vorratsschrank unter, den ich gar nicht eingeplant hatte. Der Schrank hatte vorn ein Fliegengitter in der Tür, und er behauptete, dass sich die Lebensmittel darin besser halten würden. "Wie kriege ich das denn nach Hause?" fragte ich ängstlich. "Wir bringen ihnen das," beruhigte er mich, "Wir sind immer unterwegs, holen Sachen und liefern aus." Er rechnete zusammen ,und ich zahlte.
Na, dachte ich bei der Heimfahrt, hoffentlich passen die Sachen alle in mein kleines Zimmer. In Ludwigsburg kaufte ich einen Putzlappen und ein Putzmittel, ich wollte den Fußboden wischen, bevor die Möbel ankamen.
Als ich den Fußboden sauber hatte, machte ich mich noch über das Fenster her. Dann stellte ich Tinas Kinderbettchen vorm Fenster auf. Meinen Schraubenzieher konnte ich nicht fingen, ich musste mir beim Hausmeister einen leihen. Misstrauisch kam er mir nach, er hatte Angst das Werkzeug nicht zurück zu bekommen.
Spät am Abend kam der Lastwagen und brachte meine Möbeln. Das Bett stellten wir auf die rechte Seite, gleich neben das Kinderbett. Den großen Schrank auf die linke Seite. Im Anschluss an mein Bett, war noch Platz für den Kleiderschrank. Daneben blieb mir noch ein kleines Eckchen wo ich einen Besen aufbewahren konnte.
Der Tisch war ein Problem, er passte nur vor den Kleiderschrank. Genau davor die beiden Stühle. Den kleinen Schrank für die Lebensmittel stellte ich auf das Gitter vom Kinderbett, am unteren Ende. Das Zimmer war voll. Vor dem Kinderbett war noch Platz in der Mitte, da konnte die Kleine krabbeln. Wenn das Zimmer etwas größer gewesen wäre, dann hätte ich gesagt: Das Zimmer war perfekt.
Weil wir am nächsten Morgen früh aus dem Bett mussten, ging ich mit Tina gleich schlafen. Hier musste ich zuerst einen ganz neuen Zeitplan aufbauen. Der Zimmerschlüssel war riesig, da würde ich immer eine Tasche mitnehmen müssen. Tina kam zuerst in den Hort: Im Hauseingang waren die Kinderwägen ordentlich aufgereiht. Das war kein schlechtes Zeichen. Eine Frau holte auf mein Klingeln das Kind an der Tür ab. Sie brachte mir einen Bogen zum Ausfüllen, den sollte ich beim Abholen wieder abgeben.
Dann eilte ich zum Bahnhof. Es war früh genug, und ich kam wie gewohnt bei der Arbeit an. Die Abteilungsleiterin interessierte sich dafür, ob ich denn alles hatte in meiner Wohnung. "Ja, ich habe alles gekauft was ich benötige, nur Vorhänge fehlen mir noch, und eine Kehrschaufel und ein Handfeger." berichtete ich. Vorhänge konnte ich von ihr bekommen, das andere musste ich mir besorgen.
Eine meiner Kolleginnen hatte für mich einen Waschkessel, das war nicht schlecht, denn ich hatte meinen Einkochkessel bei Waltraud gelassen. Auf meinem Heimweg kaufte ich die Kehrblech-Garnitur und eine Spülschüssel. Dann holte ich meine Kleine und gab die Anmeldung ab. Die Anmeldung für mein Zimmer, hatte mir der Hausmeister abgenommen.
Zuerst machte ich mit Tina eine Schmusestunde, denn wenn ich den ganzen Tag weg war, musste das sein. Das wollte ich in Zukunft immer so halten. Danach räumte ich meinen Hausstand in die Schränke. In meinen Lebensmittelschrank hätte noch viel hinein gepasst. Wenn ich morgen von der Arbeit kam, musste ich dringend einkaufen.
Meinen kleinen Kocher hätte ich gern auf den Tisch gestellt, aber da war keine Steckdose. Die einzige Steckdose die ich hatte, war hinter dem großen Schrank. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste auf dem Fußboden kochen. Das Kabel hatte ich unter dem Schrank verlegt. Trotz allem, ich war jetzt sehr zufrieden. Bei Nacht schliefen wir gut, jedes in seinem Bett.
Am Abend des nächsten Tages, brachte ich den Kessel und die Vorhänge heim, und ging mit Tina zum Einkaufen. Ich kaufte Bohnen und Linsen, Nudeln und Reis auf Vorrat. Für den Abend nahm ich Eier mit, heute wollte ich Spiegeleier machen. Babynahrung brauchten wir auch. Das war ganz wichtig, wenn Tina Hunger hatte, verstand sie keinen Spaß.
Im Kinderhort schien es ihr gut zu gehen. Hinein durfte niemand, um die Kinder nicht zu beunruhigen, wenn jeden Augenblick jemand hereinkam. Das verstand ich und weil Tina immer gut gelaunt war, wenn ich sie holte, musste ich mir keine Sorgen machen.
Wir hatten eine schöne Zeit, und nutzten das schöne Wetter am Sonntag, um ins "blühende Barock" zu gehen. Die Märchen waren Tina gleichgültig, aber die Enten und Flamingos hatten es ihr angetan.
Nach fast drei Wochen kam Stefan zurück. Er war erstaunt über die vielen Möbeln und noch mehr, dass überall auch was darin war. Was ihm nicht passte, dass ich kein größeres Bett gekauft hatte. "Für 200.-- Mark kann ich kein größeres Bett kaufen," behauptete ich, "und auf einer alten Matratze kann ich nicht schlafen."
Außerdem hatte er ja selbst ein Zimmer. Es passte ihm nicht so recht, er hatte geglaubt, er könnte jetzt gleich bei uns einziehen. "Wenn ich Besuch bekomme," meinte er, "da hat es ja gar keinen Platz, für ein paar Leute." "Macht nichts, ich brauche keinen Besuch, das kostet mich nur. Lade du deine Freunde in dein Zimmer ein." Ich würde keine Stunde Ruhe mehr haben, wenn er bei mir einzog. "Übrigens," fügte ich hinzu, "in Deutschland kann man nur zusammen wohnen, wenn man verheiratet ist, sonst ist das wilde Ehe." Das war nicht einmal gelogen, denn damals ging es in Deutschland noch streng gesittet zu. Er gab zu, dass es in Griechenland nicht anders war.
Dann holte er aus seiner Plastiktüte zwei goldene Ringe und legte einen auf den Tisch. Den anderen steckte er an seinen Finger. "Machst du den Fingerring an deine Hand, dann sind wir jetzt verlobt," mit den Worten verlobte er sich schnell mal mit mir. Er nahm seine Plastiktüte und verschwand Richtung Bahnhof.
Er hatte immer Plastiktüten in der Hand, in denen er sein Handgepäck herumtrug. Ich hasste diese Tüten, das sah so bescheuert aus, zu seinen Anzügen.
Gott sei Dank, den war ich erst mal los. Hoffentlich war ich weit genug weg, dass er nicht jeden Tag hier auftauchte. Er würde mir mein jetzt so schön geregeltes Leben kaputt machen.
Als er endlich weg war, holte ich mein Abendstündchen nach, mit meiner süßen Kleinen.
Ich hatte mir einen Hausarbeitsplan gemacht, damit ich immer gleichmäßig Zeit hatte für sie. Jeden dritten Tag wusch ich die Wäsche an dem Gemeinschafts-Spülstein. Zum Aufhängen musste ich in den 3. Stock, da war eine Wäscheleine auf dem Dachgarten. Am nächsten Tag holte ich die Wäsche von der Leine und räumte sie weg. Einen Tag später wusch ich die frisch angefallene Wäsche vor, und weichte sie ein für den nächsten Tag wieder ein.
Das klappte wunderbar, mit dem Essen hatte ich nur am Wochenende Arbeit. Die andere Zeit aß ich in der Kantine, da reichte mir abends ein Brot.
Vom Jugendamt bekam ich Bescheid, dass Jens jeden Monat 30.-- Mark bezahlen musste. Dreißig Mark waren damals schon allerhand, dazu bekam ich auch noch 25.-- Kindergeld.
Eine Nachzahlung bekam ich auch. Wenn Stefan jetzt Anspruch stellen wollte auf mein Bett, dann konnte ich ihm das Geld zurück geben.
Jeden Sonntag, wenn es das Wetter erlaubte, gingen wir in den großen Park. Dann saßen wir bei den Flamingos auf der Bank und Tina versuchte, die großen Vögel nachzuäffen.
Stefan tauchte auch wieder auf, er hatte jetzt ebenfalls ein Zimmer in Ludwigsburg. Ganz in meiner Nähe. Jetzt war ich keinen Tag mehr sicher vor ihm. Das fing schon morgens an, wenn ich Tina wegbrachte. Entweder er lauerte schon im Hausflur oder vorm Kinderhort. Dann ging es im Eilschritt zum Bahnhof, ich wollte aber lieber normal gehen. Denn die Hektik vertrug meine Galle nicht.
Als wir im Zug saßen bemängelte er: "Warum hast du den Ring nicht an, Kerata?" Er sprach mich immer wieder mit "Kerata" an, das heißt so viel wie Dummkopf. "Meine Schwester hat die Ringe ausgesucht, in Griechenland kostet Gold dort nicht viel." Ich zog es vor, keine Antwort zu geben.
Den Ring hatte ich in meiner Tasche, ich schob ihn auf den Finger bevor ich durchs Werkstor ging. Im Betrieb fand ich es schon besser einen Verlobungsring zu haben, denn zwei Kinder ohne Mann war doch eine Schande. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die anderen Frauen merkten, dass ich schwanger war.
Inzwischen sollte ich Akkord arbeiten, aber ich kam auf keine Stückzahl, mir riss laufend der feine Draht. Warum ich immer nur Spulen mit ganz feinem Draht wickeln musste, war mir rätselhaft. Schließlich kam die Abteilungsleiterin und schaute warum ich nichts fertig brachte. Ich erzählte ihr, dass ich mit den Nerven fertig war, immer die Schwierigkeiten mit der Galle, und schwanger sei ich auch.
"Ja, wenn sie schwanger sind, dürfen sie keinen Akkord arbeiten." erklärte sie mir. Aber meine Galle, die sollte ich dann doch so bald wie möglich operieren lassen. "Das geht nicht," sagte ich, "Wer soll denn dann mein Kind versorgen?" "Dann schicken wir die Gemeindeschwester," beruhigte sie mich. Sie wollte den voraussichtlichen Geburtstermin wissen, den wusste ich selbst noch nicht. "März-April," schätzte ich. "Dann hoffen wir nur, dass ihre Galle das so lange mitmacht," meinte sie abschließend.
In der nächsten Woche nahm ich mir einen Tag frei, um zum Arzt zu gehen. Wir bekamen früher immer jeden Monat einen Hausarbeitstag, den nahm ich mir für den Arzt. Den Urlaub wollte ich nehmen, wenn das Kind da war.
Stefan hatte eine Kusine eingeladen. Sie sei eine Kusine 2. Grades. Bei ihm hatten die Vetter und Kusinen immer einen Grad. Das fand ich albern, eine Kusine war eine solche, und wenn sie weiter entfernt verwandt war, dann war sie keine Kusine mehr. War meine Meinung. Also, die sollte am Samstag kommen, mit ihrem Mann, einen Vetter weiß der Himmel wievielten Grades.
Den Leuten sollte ich etwas auftischen. Da ich eine elektrische Backform besaß, machte ich einen Apfelkuchen. Beim Umzug hatte die Backform gelitten, deshalb wurde der Kuchen auf einer Seite nicht so hoch. Er war also schief. Für meine kläglichen Koch- und Backmöglichkeiten fand ich ihn aber gut gelungen.
Stefan fand es seltsam einen Kuchen zu backen, denn bei ihm zu Hause, in Griechenland, backte man nur zweimal im Jahr einen Kuchen, aber ohne Äpfel mit Geld darin. Ich glaube es war Neujahr, und Ostern. "Bei uns backt man Kuchen, wenn man Besuch erwartet," sagte ich bestimmt. Er konnte machen was er wollte, ich würde nie aufhören Deutsche zu sein.
Der Besuch kam, und Tina strahlte wieder in ihrem schönsten Strampelanzug. Es begann das übliche Ritual mit spucken, und Münzen und wieder wurde die Kleine als Schweinchen tituliert. Die Kusine verriet mir: "Schweinchen ist so süß, Tina ist auch süß, sie ist "schweinchenhaft." Mir rutschte ein "aha" heraus.
Nun kam man zum Grund des Besuches. Stefan hatte meinen Hausstand genau durchforstet. Er wusste also, dass ich einen Morgenrock hatte. Der war ganz besonders schön. Den hatte ich gekauft, als ich bei Tinas Geburt in die Privatklinik sollte. Ich hatte lange überlegt, ob ich den teuren Morgenmantel kaufen sollte. Er war schwarz, auf Figur gearbeitet und nach unten weit, bis auf den Boden. Dann war er mit Mohn und Kornähren bestickt. Ich würde ihn brauchen wenn ich mit meiner Galle ins Krankenhaus musste.
"Meine Kusine muss ins Krankenhaus, und du sollst ihr deinen Morgenmantel geben," verlangte er von mir. Die Frau saß am Tisch, wollte weder Kuchen noch Kaffee anrühren, Ich hatte sie schon gefressen.
Die wollte meinen schönen Morgenrock? Ihr Mann dagegen hatte Charakter, er aß von dem Kuchen und trank Kaffee. Meine Antwort war ein klares "Nein" Nun versuchte ich Stefan klar zu machen, dass ich dafür gespart hatte. Für alle meine Sachen hatte ich sparen müssen, und ich hing an jedem einzelnen Stück. "Deine Sachen sind "Pricka" das heißt so viel wie Aussteuer, und die bekommt der Mann von seiner Braut als Geschenk zur Hochzeit." Seine Eltern hätten sich gleich nach der Aussteuer erkundigt, und waren dann einverstanden mit der Hochzeit.
(Dazu muss ich erklären, dass seine Eltern aus dem Kaukasus kamen wo sie von den Russen vertrieben wurden. Sie waren griechischer Abstammung und nannten sich "Pontiakar". Die wiederum hatten ihre ganz eigenen Sitten, Gebräuche und Dialekt.)
Ich konnte nicht an den Schrank, denn da war der Tisch davor. In der Hoffnung, dass die Frau Anstand besaß und verzichten würde, weil es Umstände machte, wartete ich ab. "Oh, du kannst sitzen bleiben, die beiden Männer stellen den Tisch auf die Seite," versprach sie großzügig. "Ich will ihn wieder zurück, wenn du aus dem Krankenhaus kommst, ich brauche ihn bald selber." erklärte ich ihr deutlich und mit Nachdruck. Stefan machte wieder seine seltsame Kopfbewegung und zischte "Zt".
Als sie gegangen waren, machte er mir Vorhaltungen, ich hätte seine Familie beleidigt. Mit Freuden hätte ich ihr den Morgenrock schenken sollen.
"Du findest es also richtig, dass ich meine Sachen verschenke und wenn ich ins Krankenhaus komme, habe ich nichts zum überziehen?" Ich war stocksauer.
Mir schmeckte mein Kuchen, und ich kochte nichts anderes mehr. Wenn er keinen wollte, sollte er zu Hause essen.
Tina hatte die Hosen voll und fing an zu weinen. Jetzt musste ich mich um sie kümmern. Stefan ging, nachdem er mir eine Weile zugeschaut hatte. Montag, nahm ich mir vor, wollte ich mir ein Steckschloss kaufen, bevor er meinen ganzen Hausrat an seine Verwandtschaft verteilte.
Es war inzwischen längst Herbst geworden und es wurde langsam kalt. Zwar hatte ich nur eine kurze Außenwand in dem Zimmer, aber es war auch keine Heizmöglichkeit vorhanden. So brachte ich Tina an meinem freien Tag in den Hort, ging zuerst zum Arzt und dann in einen Elektro-Laden. Dort kaufte ich ein Verlängerungskabel mir Dreifachsteckdose und einen Heizventilator. In einer Eisenwaren-Handlung, fand ich ein Steckschloss. Stefan hatte zwar keinen Schlüssel für mein Zimmer, aber er hatte sich aus einem Schraubenzieher einen Dietrich gemacht, mit dem kam er fast überall hinein. Den hatte er immer in seiner Tasche.
Am Abend lauerte Stefan am Kinderhort. Er wollte, dass ich ihm eine Vollmacht gab, damit er Tina holen konnte. "Ich hole Tina selbst ab, und wenn ich krank bin, dann bleibt sie zu Hause, also brauchst du sie nicht zu holen." Ich stellte mir vor, wie er die Kleine abholte wann er wollte und wenn ich dann an den Hort kam, war sie schon weg. Nein was den Tagesablauf betraf, ließ ich mir nichts gefallen.
Jetzt war er schlecht gelaunt und meckerte, ich gäbe zu viel Geld aus. Er wollte, dass ich mein Geld in zugeklebter Lohntüte bei ihm abgab. Er müsste auch jeden Monat Geld an seine Eltern schicken. "Wieso das denn," fragte ich. Er wollte mir erklären, dass es sich für einen anständigen Sohn gehört, sein Vater würde dann für uns ein Haus bauen. Ich machte ihm klar, dass er mein Geld nicht bekam. Wenn ich dann mal schnell was kaufen wollte, dann hätte ich bei ihm betteln müssen. Die Kleine wurde ja größer und brauchte immer mal etwas zum Anziehen.
Das Steckschloss gefiel ihm gar nicht. "Das habe ich wegen der Nachbarn gekauft, damit sie nicht in meiner Wohnung wühlen, wenn ich arbeite." log ich mit Erfolg. Das ich zwei Schlüssel dafür hatte, sagte ich vorsichtshalber nicht. Er war auf dem Ausländeramt gewesen und eine neue Arbeitserlaubnis und eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.
Wenn ich nicht so bockig wäre, hätte er mich schon längst geheiratet, und das alles nicht mehr gebraucht. Er legte die Papiere auf den Tisch. und sagte: "Als mein Bruder noch da war, konnte man bei ihm alles kaufen, Er konnte alle Urkunden machen und hatte Stempel und Formulare für jede Behörde. Ich schaute auf die Papiere, da stand Stephanos Stephanidis, geb. 28. 10. 42. in usw. Jetzt war das Maß bei mir voll. "Du bist nicht einmal volljährig, und willst mir vorschreiben was ich zu tun habe? Angelogen hast du mich auch, behauptest 22 Jahre alt zu sein. Nimm deinen blöden Ring mit und verschwinde!" schrie ich ihn an. Da wollte er mein Geld verwalten, dabei brauchte er ja noch einen Vormund.
Mein Zorn fand keine Grenzen und Tina schrie, sie war das nicht gewohnt von mir. Er verschwand, und ließ den Ring liegen. Meine Galle konnte es auch nicht vertragen, dass ich mich so aufregte. Der Arzt hatte mir Medizin verschrieben, die musste ich jetzt testen. Meine Kleine nahm ich mit in mein Bett, um unser Schmusestündchen nachzuholen. Heute durfte sie bei mir schlafen.
Wir hatten einige Wochen Ruhe, und Weihnachten stand vor der Tür. Im Kaufhaus kaufte ich zwei Schachteln Christbaumschmuck. Tina und ich wollten ein schönes Weihnachtsfest feiern. Kerzenhalter hatte ich noch vom vorigen Jahr und auch Kerzen. Mein Baumständer war nicht mehr da. Vielleicht hatte ich ihn bei Waltraud vergessen. Morgen war Markttag, da würde ich den kleinen Baum, und in dem Eisenwaren-Laden einen Baumständer kaufen. Ja und was ganz wichtig war, ich wollte etwas Leckeres kochen zu Weihnachten. Ich war voller Vorfreude.
Zuerst kaufte ich einen tollen Braten und etwas Wurst. Auf dem Markt holte ich Kartoffeln und Rotkohl. Zwar war es mir noch nicht klar, wie ich das auf meiner Kochplatte hinkriegen wollte, aber ich war ja erfinderisch. Wir brachten die Lebensmittel nach Hause und wollten danach den Baum holen.
Vor dem Haus lief Stefan im üblichen Eilschritt aufgeregt auf und ab und wartete auf uns. Warum lief er so schnell, wenn er doch Zeit hatte? Er hatte gewartet und die Tür nicht aufgekriegt. "Was willst du denn von uns?" fragte ich und meine Weihnachtslaune war im Eimer. -In der Firma hatte es Weihnachtsgeld gegeben, und er hatte Angst, dass ich es verprasste. Dabei wollte er es doch so gerne.- So schoss es mir durch den Kopf.-
"Es ist doch Weihnachten und ich wollte sehen was ihr da macht." Sagte er scheiß-freundlich. Ich schickte ihn einen Weihnachtsbaum zu kaufen für fünf Mark und einen Baumständer. Dafür gab ich ihm zehn Mark, -was derzeit durchaus ausreichend war-. Als er nach ungefähr zwei Stunden zurück kam, traute ich meinen Augen nicht. Der Baum war keine fünf Mark wert, er hatte gewartet bis der Händler nichts mehr hatte, und dann für eine Mark den Baum genommen den keiner wollte. Den Christbaumständer hatte er gar nicht gekauft.
Er verstand nicht, warum ich mich aufregte. "Der Baum steht auch ohne das Gestell." Mit den Worten nahm er den Baum und stellte ihn in die Zimmerecke auf Tinas Bettchen, neben den Lebensmittel-Schrank. "Guck da steht er gut." "Nimm den Krüppel mit! Wenn ich jetzt auf den Markt gehe, und keinen vernünftigen Baum mehr finde, werde ich mein Leben lang mit dir nicht mehr sprechen!" Schon wieder hatte ich mich aufgeregt, und ich nahm von meinen Tabletten.
Kleinlaut stellte er fest: "Du meinst das ernst ja?" "Natürlich meine ich das so, ich lasse mir von dir doch mein Weihnachtsfest nicht verderben!" Bereitwillig ging er noch einmal los, um jetzt das richtige zu besorgen. Dieser Geizkragen, spart sogar am Weihnachtsbaum. Ich konnte es nicht fassen und machte Tina ihren Brei.
Nebenbei kochte ich Pellkartoffeln, da konnte ich einen Salat machen. Der passte dann zu jedem Essen, und musste nicht warm gemacht werden. Stefan war immer noch nicht zurück und ich überlegte wie ich den gammeligen Weihnachtsbaum ohne Ständer zum Stehen bekam. Mir wollte nichts einfallen und ich fing an, meinen Rinderbraten anzuschmoren. Es roch köstlich, aber meine Weihnachtsstimmung war getrübt.
Ich dachte an die letzten Weihnachten und weinte. Tina spielte mit ihrem Hasen, nicht einmal für sie hatte ich ein Geschenk.
In meinem Bauch rumpelte fürchterlich, immer in meiner Gallengegend. Mir wurde schlecht und ich ging in den Waschraum um mich zu übergeben. Da kam lauter grüne Gallenflüssigkeit. Heute brauchte ich keinen Versuch mehr machen etwas zu essen, das wurde mir klar.
Nachdem ich das Waschbecken wieder gescheuert hatte, kam die Nachbarin um einen Salat darin zu waschen. Sie breitete ihn im Waschbecken aus, ohne Schüssel, mir wurde erneut schlecht. Ich lief zurück ins Zimmer, um mir meinen Eimer zu schnappen. Mir stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Als ich mich erholt hatte, drehte ich den Braten um und legte mich ein wenig aufs Bett. Jetzt musste ich erst wieder zu Kräften kommen.
Tina spielte quietschvergnügt in ihrem Bettchen. Sie freute sich über ihre Füße und griff nach den bunten Söckchen. Da genehmigte ich mir es, ein paar Minuten die Augen zu schließen. Die Tabletten vom Arzt halfen mir auch nicht viel, ich versuchte tief durch zu atmen. Mein Blick fiel auf die Uhr, kein Laden hatte um diese Uhrzeit noch geöffnet. Weihnachten konnte ich vergessen. Wenn es mir besser gehen würde, dann wollte ich ein paar Zweige von dem Baum abschneiden, sie auf dem Tisch dekorieren und Kugeln und Kerzen darauf stecken. Dann war ich wohl ein wenig eingedöst.
Als Stefan ins Zimmer polterte, wachte ich auf. Mein erster Gedanke war mein Braten. Darum stand ich auf und schaute danach. Der hatte keinen Schaden genommen, im Gegenteil, er war richtig schön angebraten. Die Kleine war eingeschlafen sie hatte sich müde gespielt, ihren Hasen hatte sie noch im Arm. Vorsichtig deckte ich sie zu.
Dass er keinen Baum hatte, merkte ich sofort, aber er zog einen kleinen Christbaumständer aus seiner Tüte. Der Baum hätte schon seit Stunden stehen sollen. Er fragte: "Was soll ich jetzt damit machen?" "Am besten gar nichts," sagte ich lustlos. Nun löste ich die Schrauben an dem Ständer bis zum Anschlag und hielt ihn an den Stamm vom Baum. Viel fehlte nicht, aber die Baumrinde musste unten weg. Dazu holte ich ein Brotmesser aus dem Schrank. "Lass mich das machen," bot Stefan an und holte ein Taschenmesser aus der Hosentasche.
In der Zeit füllte ich Wasser an den Braten und legte in die Soße eine Zwiebel und eine Karotte. "Oh, du hast Fleisch für mich gekocht," freute sich Stefan. Das fand ich so doof, dass ich darauf nichts sagte. "Ich holte den Rotkohl um ihn zu putzen. "Das esse ich nicht," ließ er mich wissen. Genervt fragte ich: "Wer behauptet, dass ich für dich koche?"
Er steckte den Baum in den Baumständer und drehte die Schrauben zu. Ich bemängelte, dass er schief stand. Nachdem er nun begriffen hatte, dass der Baum geradestehen musste, kriegte er es tatsächlich hin. Derweil legte ich eine Tischdecke auf den Tisch und stellte den Baum darauf, direkt vor den Spiegel vom Kleiderschrank. Der Tisch war groß genug, es war noch Platz zum Essen übrig.
Es gefiel mir noch nicht richtig, denn die Decke rutschte. Da fielen mir die Molton Tücher von Tina ein, die sie ja nicht mehr brauchte. Davon legte ich zwei auf den Tisch und darauf wieder die Tischdecke. Jetzt war es perfekt. Nun konnte ich den Baum schmücken. Dabei ließ ich mir Zeit, denn er sollte besonders schön werden, obwohl er ungleichmäßig gewachsen war. Alles was ich hatte, hängte ich an den Baum und als ich fertig war, fand ich ihn prächtig.
Stefan lümmelte sich auf meinem Bett und schaute zu. Da war meine Geduld am Ende, ich nahm den leeren Karton, warf ihn nach ihm und verlangte, sofort von dem Bett herunter zu gehen. Mit Schuhen wo er draußen herum gelaufen war, lag er auf meinem sauberen Bett. Er fand das nicht schlimm, in Griechenland hätten sie Teppiche auf dem Bett tagsüber, und da lägen die Männer auch drauf mit Schuhen. "Überhaupt, in Griechenland dürfen Männer alles machen, die Frauen freuen sich, wenn es den Männern gut geht." -Vielleicht hätte ich fragen sollen: Liegst du gut?- An seine Manieren konnte ich mich nicht gewöhnen.
Tina schlief noch und ich putze den Rotkohl, und machte feine Streifen davon. "Warum machst du das?" Wollte Stefan wissen. Meine kurze Antwort war: "Weil ich davon Gemüse mache." "Ich esse keinen angemalten Kohl!" Er schien es ernst zu meinen. Jetzt erklärte ich ihm, dass der Kohl von Natur aus rot ist, und dass zu einem Essen mit Fleisch auch Gemüse gehört. Er glaubte nicht, dass es Kohl gibt, der nicht grün ist.
Mir war es egal, ich nahm den Braten von der Platte und setzte den Rotkohl auf. Fürs heutige Abendessen richtete ich einen Teller mit Kartoffelsalat, den ich mit Wurst und Käse garnierte. Einen Augenblick überlegte ich ob ich für ihn noch zwei Spiegeleier dazu machen wollte. Aber nein, lieber nicht, er sollte sich zu Hause satt essen und nicht bei mir.
Dann wurde die Kleine wach und ich gab ihr schnell ihr Fläschchen, dann machte ich sie trocken und zündete die Kerzen an am Weihnachtsbaum. Weil sich alles im Spiegel verdoppelte, war es das reinste Lichtermeer. Tina lachte und winkte mit den Händen. Zum Glück war sie noch klein und wollte keine Geschenke.
Stefan klärte ich auf: "Normal fehlen jetzt Geschenke unter den Baum, das gehört zu Weihnachten dazu." Er grinste wieder breit, und bemerkte verächtlich: "Wie kann man so dumm sein und für zwei Tage so viel Geld ausgeben." Dann berichtete er: "Bei uns feiert man am 6. Januar, dann gibt es einen Kuchen mit einer Münze darin. Wer die dann bekommt hat Glück das ganze Jahr." Ich dachte bei mir: wer die Münze erwischt, hat Glück wenn er sie nicht verschluckt. Dann wurde gegessen, und ich merkte sehr gut, dass er jetzt lieber von dem Fleisch gegessen hätte. "Das ist für morgen und übermorgen," stellte ich klar.
Als ich die Kerzen gelöscht hatte, wartete ich darauf, dass er heim ging. Er wollte unbedingt bei und bleiben, es sei doch Weihnachten. Komisch, jetzt war für ihn plötzlich Weihnachten, das brachte mich schon wieder auf die Palme. Mir sei es heute nicht gut gegangen mit meiner Galle, und ich wollte mein Bett allein! Er machte wieder seine Kopfbewegung und nach dem "Zt" kam: "Du bist ein guter Schauspieler und ein "Markierus", Anne!" "Was soll Markierus heißen," fragte ich erbost! "Das bist du, weil du tust krank, und hast nichts." erdreistete er sich, nahm aber vorsichtshalber seine Tüte und verschwand schnell.
Mein Rotkohl brutzelte vor sich hin und ich fügte Nelken dazu. Wegen meiner Galle kochte ich meistens mit Kümmel, dann war das Essen besser verträglich. Also kam auch noch Kümmel in den Topf. Dann schälte ich die beiden Äpfel und schnitt sie auch hinein. Während der Kohl garte, holte ich das längst fällige Schmusestündchen mit Tina nach. Wenn Stefan ganz zu mir ziehen würde, bliebe uns bestimmt keine Zeit mehr dazu.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich ganz gut. Ich nahm gleich eine Tablette, kochte mir einen leichten Kaffee und aß als Auftakt nur Zwieback. Nach seinem dämlichen Auftritt gestern, dachte ich mit ziemlicher Sicherheit, dass Stefan heute nicht kommen würde. Also brachte ich das Zimmer in Ordnung und schmeckte mein Essen ab. Dann machte ich zuerst den Braten warm und danach den Rotkohl. Den Braten hatte ich auf einen Rost auf den Tisch gestellt, ich wollte ihn nachher in Scheiben schneiden.
Nun deckte ich den Tisch für mich und weil Tina jetzt unruhig war, musste ich mich zuerst um sie kümmern. Sie hatte dringend ein Bad nötig, also zog ich einen Stuhl hervor, und stellte die Badewanne darauf. Bis ich Wasser heiß gemacht hatte, legte ich die saubere Wäsche für mein Kind aufs Bett. Dann badete ich die Kleine. Ich war noch nicht fertig, da kam Stefan zur Tür herein. Weil das Bett belagert war, setzte er sich auf den freien Stuhl am Tisch.
Er redete in einer Tour, zum Beispiel, dass es gestern vielleicht nicht ganz richtig war, was er gesagt hatte. Ich beachtete ihn nicht, zog mein Kind an und ging danach die Wanne im Waschraum ausleeren. Die Wanne stellte ich zurück auf den Schrank und wollte jetzt den Braten aufschneiden. Da saß das A....loch am Tisch, hatte sich den Bratentopf herangezogen und (fr)aß das Fleisch aus dem Kochtopf.
-In Gedanken sah ich mich in der Metzgerei es waren 950 Gramm und kostete mehr als 20.-- Mark. Ich hatte einen Moment überlegt einen Schweinebraten zu kaufen, der war bedeutend billiger. Aber ich wollte mir ganz einfach mal etwas Gutes tun. Es war auch besser für meine Galle, Schweinefleisch war zu fett für mich.-
"In Deutschland isst man vom Teller," bemerkte ich. "Nein nein, das schmeckt am besten direkt aus dem Topf, ich brauche nur ein Brot dazu," er wartete, dass ich ihm ein Brot holte. Mir war der Appetit vergangen, er machte auch keine Anstalten ein Stück von dem Fleisch abzugeben. Ich kochte mir einen Tee und aß ein paar Zwieback. Für meine Gesundheit war das bestimmt die beste Lösung.
Mit Anstrengung unterdrückte ich meinen Zorn. Nach außen blieb ich ruhig und er aß mit Genuss weiter und schmatzte und als er alles aufgegessen hatte rülpste er mindestens drei Mal. Dann wollte er sich in meinem Bett ausruhen. Da lief mir meine Galle über, aber nicht nur sinnbildlich. Kaum konnte ich den Eimer holen, da kam mir mein ganzer Zwieback hoch, mitsamt dem Tee und Kaffee.
Alles was ich heute gegessen hatte, und noch eine Extra-Zugabe, spuckte ich in den Eimer. Tina konnte es nicht lassen laut zu lachen. Stefan lauerte darauf sich jetzt in meinem Bett vom Essen auszuruhen. Ihn schickte ich den Eimer ins Klo zu leeren und danach, den Eimer im Waschraum auszuspülen. "Ja und dann musste du das Waschbecken scheuern," setzte ich noch einen obendrauf.
Er lachte unverschämt und meinte: "Am besten gehe ich jetzt, bevor mir das Essen wieder hochkommt." Plötzlich hatte er es ganz eilig und hätte fast seine Plastiktüte vergessen, in der heute scheinbar nur ein Taschenschirm war. An der Tür drehte es sich um. "Heute hast du wie eine richtige griechische Frau extra für deinen Mann gutes Fleisch gekocht," lobte er mich. Da bei mir keine Unordnung war, fand ich nichts, was ich ihm nach werfen konnte.
Die kommenden Tage ließ er uns in Ruhe. Um Tina zu versorgen, hatte ich immer Kraft genug. Meine Abteilungsleiterin merkte mir an, dass es mir schlecht ging. Sie kam zu mir, um mir zu helfen. Sie hatte ihren Terminblock dabei. "Der Arzt meint, das Kind kommt im März, 15. bis 30., genau konnte er es nicht sagen. Aber auf jeden Fall im März." Das notierte sie im Kalender und zählte die Wochen bis zum 15. März. Dann schlug sie mir vor: "Gehen Sie zum Arzt und lassen sie sich 2 Wochen krankschreiben." Den Rest wollte sie mit Urlaub füllen, damit mir kein Geld fehlen sollte. Regelmäßig sollte mich die Gemeindeschwester besuchen, aber das wollte sie von da aus regeln. Sie notierte evangelische Gemeindeschwester, weil sie in meinen Unterlagen gesehen hatte, dass ich evangelisch war.
Also suchte ich wieder meinen Arzt auf, es war mir höchst peinlich. Nie zuvor hatte ich einen Arzt gebeten mich krank zu schreiben. Der Arzt schaute mich stirnrunzelnd an und meinte: "Normal sollten Sie dringend ins Krankenhaus, aber wir müssen warten, bis das Kind da ist." Er drückte an meinem Bauch rum und meinte: "Die ganze Bauchspeicheldrüse scheint entzündet zu sein. Nur Tee und Zwieback! Sonst nichts." Danach nahm er mir noch Blut ab um den Entzündungswert der Bauchspeicheldrüse zu ermitteln. "Ich schreibe Sie krank, bis zum Mutterschutz." Wenn ich Hunger hätte, dann sollte ich Haferschleim machen mit Wasser, ohne Milch, riet er mir.
Ich holte Tina im Hort ab, und sagte, dass ich jetzt längere Zeit krank sei. Die Kinderpflegerin bat mich die Kleine mindestens zweimal in der Woche trotzdem zu bringen. Dann ginge mein Platz nicht verloren und Tina würde den Kontakt nicht verlieren.
Am Dreikönigstag kam die Gemeindeschwester das erste Mal, um nach mir zu schauen. Sie fragte was sie denn helfen konnte. "Wenn es möglich ist," sagte ich zögernd, "wäre es schön, wenn sie mir die Wäsche abnehmen können. Ich muss immer in den dritten Stock zum aufhängen." "Ja haben Sie denn keine Waschmaschine?" fragte sie erstaunt. "Nein, ich kann die hier nirgends aufstellen," sagte ich bedauernd.
Nun sollte ich die Wäsche in eine Tasche packen, sie wollte sie mitnehmen und bei sich waschen. Zu gern hätte sie mir etwas Gutes zum Essen mitgebracht, von Zwieback und Tee, konnte das Kind doch nicht wachsen. Sie legte mir ein paar Bananen auf den Tisch und meinte, da könnte ich nichts mit anrichten. Als sie gerade gehen wollte, tauchte Stefan auf. Er war leicht angetrunken, obwohl er ja eigentlich nie trank. Er hatte mit seinen Vettern gefeiert, heute sei doch Weihnachten.
Er wünschte, dass ich "chronia polla" zu ihm sagte, das hieß genau übersetzt: "Viele Jahre." Gemeint ist aber wohl: "wünsche Dir viele glückliche Jahre." Jetzt meinte ich auch "ztzt“ machen zu müssen und fragte: "Was hast Du mir zu Weihnachten gewünscht?" Die Schwester wollte jetzt Tina vom Hort holen, und dann sollte er wieder weg sein. Ich sei krank und brauchte Ruhe.
Er wollte wissen warum ich nicht arbeiten war und meinte "zt,zt, hoffentlich hast du Krankmeldung." Er wollte die Krankmeldung bei meinem Betrieb abgeben, ich sagte, dass es die Schwester für mich macht. Als er dann nichts zum Essen bei mir fand, nahm er eine Banane und ging. Das war mir gleich, eine würde ich Tina geben, ich wollte keine essen. Die Schwester kam mit Tina zurück und die war wieder bestens gelaunt. Wenn die kleine vor Freude lachte, war mir auch gleich wieder besser. Sie wollte morgen wieder nach mir sehen versprach die Schwester, nahm meine Krankmeldung und die Wäsche und ging.
Tina und ich spielten jetzt auf meinem Bett. Ich nahm den Hasen in die Hand und erinnerte mich an das Bilderbuch vom Fritzchen. Also erzählte ich ihr, dass der Osterhase jetzt verreist war und machte ihr vor, wie er in Afrika auf dem Äquator balanciert. Weil sie so schön zuschaute, übte ich mit ihr in die Hände klatschen. Dann krabbelte sie auf meinem Bett herum und weil meine Kochplatte gerade nicht im Weg war, ließ ich sie auf den Fußboden. Sie krabbelte durch den Raum und wollte sich überall hochziehen.
Mir war klar, ich musste langsam die Schranktüren sichern, damit sie mir nicht demnächst alles ausräumt. Als sie dann müde wurde, setzte ich sie wieder in ihr Bett und holte meinen Schreibblock um Waltraud zu schreiben. Ich schrieb ihr von Tina und versprach demnächst ein Bild im Automaten im Kaufhaus zu machen, mit der Kleinen auf dem Arm. Dann schrieb ich ihr auch von Stefan, und dass er heiraten wollte.
Tina war ganz ruhig geworden, sie saß im Bett und hatte die Augen schon zu. Ich legte sie schön ins Bett und deckte sie zu.
Als ich ins Bett wollte, hatte ich furchtbaren Hunger. Im Schrank fand ich nichts, was ich jetzt essen wollte, da griff ich in die Tüte mit Nudeln und aß die ungekochten Nudeln, und sie schmeckten mir. Von da an aß ich sämtliche Nudeln ungekocht und war richtig gierig danach. Als mir die ausgingen, nahm ich den Reis. Der Schwester sagte ich nichts davon. Komischer Weise, bekamen mir die auch. Ich schickte Stefan mir Nudeln zu kaufen, und als er sah, dass ich die roh aß, sagte er: "Was machst du da, Nudeln isst man doch gekocht."
Die Schwester hatte geraten, wir sollten doch noch im Februar heiraten, dann käme das Kind nicht unehelich zur Welt. Stefan erkundigte sich auf dem Standesamt was wir für Papiere brauchten. Sie hatten einen Termin frei für den 21. Februar. Das war an einem Freitag. Ich hatte alles zusammen, nur er brauchte eine Zustimmung der Eltern, er war ja nicht volljährig.
Er brauchte auch die Einwilligung der Eltern, dass er Tina als sein Kind anerkannte, das wollte er unbedingt, denn er hatte überall erzählt, dass es seine Tochter war. Jetzt schrieb er die Bescheinigung vor, und nach dem Satz mit Tina, machte er einen neuen Abschnitt. Das war für den Fall, dass unser Baby vorher kam, dann wollte er es dazwischen eintragen. Den Brief schickte er es zu seinen Eltern.
Am kommenden Tag gingen wir das Aufgebot aufgeben. Wir hatten alle Papiere bis auf die Bescheinigung. Die konnte er bei der Trauung noch nachreichen, aber sie musste beglaubigt übersetzt sein. Mir war nicht so gut zumute bei der Sache, aber als ledige Mutter mit zwei Kindern, wäre ich auch nicht gut da gestanden, in der damaligen Zeit.
Dann kam ein Brief von Jens. Er schrieb, dass er Waltraud getroffen hatte und die ihm erzählte, dass ich heiraten wollte. Den ganzen Brief jammerte er, dass er Alimente zahlen müsste und jetzt das Saufen angefangen hatte. Ich sollte doch von meinem Zukünftigem das Kind adoptieren lassen, dann hätte er wieder seine Ruhe.
Den Brief legte ich in meinen Schrank, ich wollte ihm nicht antworten.
Die Gemeindeschwester kam jeden Tag, außer mittwochs und sonntags. Jedes Mal brachte sie die frische Wäsche und etwas Obst für mich und Tina. Stefan hatte ich eine Erlaubnis gegeben das Kind in den Hort zu bringen und es zu holen wenn es die Schwester nicht machte. So kam er jeden Morgen und brachte das Kind in den Hort, damit ich meine Ruhe hatte, denn richtig gut war es mir immer noch nicht wieder. Er sorgte auch dafür, dass ich immer Nudeln und Reis hatte, denn das war fast das einzige, wovon ich mich ernährte.
Wenn ich dann allein im Zimmer war, arbeitete ich an einer Kinderwagen-Decke. Nebenbei machte ich mir Sorgen: Wenn ich jetzt das Kind bekäme, aber vielleicht wegen meiner Galle nicht überleben würde, was wird aus den Kindern? Ich ging fest davon aus, dass er die Kinder dann zu seinen Eltern brachte. In der Hoffnung, dass sie dort gut aufgehoben waren, sah ich allem ruhig entgegen.
Es war schon Mitte Februar, und am Freitag würden wir ja heiraten, dann war das Problem wegen der Kinder ja gelöst. Er mochte Tina und würde beide versorgen. Am Dienstag brachte die Schwester die Wäsche und ich räumte sie in den Schrank. Ich nahm mein Weihnachtsgeld, was ich immer versteckt hatte und legte es in die Schublade unter den Besteckkasten. Da würde es Stefan nicht vermuten. In meinem Geldbeutel ließ ich nur so viel, wie ich unbedingt brauchte.
Als Tina da war, spielte ich nicht lange mit ihr, mir war gar nicht gut, ich hatte ständig so ein Ziehen im Bauch. Also gingen wir früh ins Bett. Später klopfte Stefan noch an der Tür. Ich stand auf um zu öffnen. Er hatte den Brief bekommen mit der Erlaubnis seiner Eltern und würde ihn gleich morgen zum Übersetzer bringen. Dann fragte er: "Brauchst du noch Nudeln?" Nein ich hatte noch genug. Darauf ging er noch schnell zu Tina ans Bett und erzählte mir, dass er sein Zimmer zum ersten April gekündigt hätte. Dann ging er und schloss die Tür mit seinem Dietrich zu, damit ich nicht aufstehen musste.
In der Nacht schlief ich gut. Als ich um halb sechs aufstand um Tina zu richten, bekam ich Wehen. Zwischen den Wehen richtete ich die Kleine und fütterte sie. Ich hatte sie pünktlich fertig und als Stefan sie holte, bat ich ihn die Hebamme zu rufen. Den Zettel mit ihrer Telefon Nummer hatte ich schon auf den Tisch gelegt und Kleingeld für das Telefon. Das brachte seine Pläne durcheinander und zornig fuhr er mich an: "Musst du unbedingt heute das Kind bekommen?" "Schrei mich nicht an, ich kann doch nichts dafür" fauchte ich zurück.
Mit der Hebamme hatte ich Hausgeburt ausgemacht. Ich richtete Handtücher und Waschschüssel her. Dann schrubbte ich meinen Waschkessel im Waschraum und füllte ihn mit Wasser. Ich konnte ihn nicht tragen. Da kam eine Nachbarin, die hatte vor ein paar Tagen ihr Kind im Klo bekommen. Ich hatte nie geglaubt, dass es so etwas gibt. Die rief ihrem Mann und der brachte den Kessel in mein Zimmer auf die Kochplatte.
Die Wehen wurden immer heftiger und kamen schnell hintereinander. Langsam bekam ich Angst die Hebamme würde nicht früh genug kommen, und ich wäre allein. Mir war so nach Kaffee, ich nahm eine Tasse und schöpfte aus dem Kessel dann rührte ich löslichen Kaffee darunter und die Milch. Der Kaffee schmeckte bescheiden, ich fing an vor Angst zu zittern. Da kam sie endlich zur Tür herein. Ich ging freiwillig ins Bett und sie fragte wie üblich wie lang die Abstände waren, dann legte sie die Hand auf den Bauch und stellte fest, dass es schon Presswehen waren.
Jetzt war die Hebamme auch wach. Stefan streckte den Kopf zur Tür herein und sagte er hatte frei bekommen von der Arbeit. Die Hebamme scheuchte ihn hinaus. "Gehen Sie zum Bäcker und besorgen Sie Frühstück, für drei Personen, und lassen Sie sich Zeit dabei."
Inzwischen war das Kind schon fast da. Einmal musste ich noch pressen, da hatte sie es in der Hand. "Es ist ein Junge," sagte sie, "Aber ich glaube wir müssen den Arzt holen, es ist zu früh gekommen." Der Arzt sollte das Kind untersuchen, denn es war ganz weiß auf dem Kopf. Vom Gewicht und der Größe her war alles bestens. Nur die weiße Haut auf dem Kopf gefiel ihr nicht. "Geht das nicht mit waschen ab?" fragte ich. "Doch, schon, aber normal ist das schon ab, wenn die Kinder auf die Welt kommen." sagte sie und nabelte den Kleinen ab. Sie schaute die Finger an und die Fingernägel.
Dann kam Stefan mit dem Frühstück. Die Hebamme wusch den Kleinen, und schaute die Nachgeburt fassungslos an. Die Nachgeburt war für Zwillinge und es war nur ein Kind da. Sie deckte ein Tuch darüber, jetzt musste der Arzt her. Stefan sollte ihn holen. Der sträubte sich, er wollte zuerst das Kind sehen. Also zeigte sie es ihm, dann gab sie es mir in den Arm, und jagte ihn den Arzt zu holen.
Inzwischen machte die Hebamme Kaffee. Den löslichen wollte sie nicht, sie hatte meinen Filter gesehen und fragte ob ich auch richtigen Kaffee hatte. Dann goss sie herrlich duftenden Kaffee auf. Da ist ja alles da, sagte sie und holte aus dem Schrank Tassen und Teller für das Frühstück. Da kam Stefan mit dem Arzt. Der schaute zuerst das Kind an. Da das Gewicht und die Größe stimmten, fand er es nicht schlimm, es sei wohl etwas zu früh auf die Welt gekommen. "Die kleinen Jungen haben es oft eilig." bemerkte er. Dann schaute er die Nachgeburt an, und staunte genau wie die Hebamme.
Sorgfältig tastete er meinen Bauch ab und versprach, dass da nichts mehr darin war. Das zweite Kind sei wahrscheinlich nie da gewesen, er konnte in der zweiten Kammer der Nachgeburt nichts finden. "Das ist eine Laune der Natur", beruhigte er uns. Trotzdem wollte er sie mitnehmen, und genau untersuchen lassen, es sei auf alle Fälle sehr interessant. Dann erkundigte er sich nach meiner Galle. Er meinte, dass ich vorsichtig mit dem Essen sein sollte, meine letzten Blutwerte waren furchterregend.
Der Arzt ging und Stefan musste die den Beutel mit dem gebrauchtem Zellstoff in den Mülleimer hinaus bringen. In der Zeit putzte mich die Hebamme schön sauber.
Dann wurde gefrühstückt. Ich hatte so großen Hunger und es war mir gleich, was meine Galle dazu sagte ich wollte auch Kaffee. "Ja gut," sagte die Hebamme, "Sie haben es sich auch verdient, aber nur heute, danach nicht während der Stillzeit." Der Kleine kam jetzt ins Kinderbettchen, er war schon eingeschlafen.
Nach dem Frühstück füllte sie die Anmeldung fürs Standesamt aus. "Wie heißt es denn?" wollte sie wissen. Stefan bestimmte "Gregorius", so heißt mein Vater auch. "Das geht nicht," sagte die Hebamme, "das Kind braucht einen deutschen Namen, der zweite kann dann Gregorius sein." "Dann soll er Heinz heißen, mein Vater hieß Heinrich," bestimmte ich. Sie war ganz begeistert: "dann hat das Kind die Namen der beiden Großväter, sehr schön." Sie füllte den Schein aus und nahm ihn mit aufs Rathaus.
Stefan änderte die Einverständnis-Erklärung seiner Eltern und schrieb den Namen des Kleinen und das Geburtsdatum, dazwischen in die freie Reihe. Dann musste er einen passenden Übersetzer suchen, der die Übersetzung machte und beglaubigen ließ.
Im Stillen dachte ich: Vielleicht hat er ja noch das Material von seinem Bruder, dann bringt er das Ding schon fertig.
Tatsächlich brachte er alles fix und fertig, datiert auf den 21. Februar. Jeder normale Mensch musste wissen: Ein Brief nach Griechenland brauchte drei Tage für einen Weg, das sind sechs Tage, zusammen. Bei Luftpost waren es vier Tage insgesamt, das konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Wenn Heinz am 19.2. Geboren war, und am 21.2. der Termin für die Trauung war, blieben genau zwei Tage für den Brief hin und her. Beim Übersetzer musste man auch mit einem Tag mindestens rechnen, denn da war der Andrang groß. - Mich sollte es nicht stören, ich war volljährig und brauchte so etwas nicht.
Solange der Kleine schlief, wollte ich auch ein wenig die Augen zumachen. Stefan ging Tina holen. "Brauchst du noch Nudeln," fragte er. "Jetzt nicht mehr," sagte ich "die esse ich wieder gekocht."
Ich blieb den Tag im Bett. Die Hebamme kam am Abend und versorgte das Baby und Stefan bildete sich ein, der Kleine sähe seinem Vater ähnlich. Tina war sehr erstaunt, als jetzt plötzlich noch ein Kind im Bettchen lag. Bei Nacht fand ich es besser, den Kleinen in den Kinderwagen zu legen. Platz wäre genug im Kinderbett, aber Tina musste erst begreifen, dass es ihr Bruder war und kein Spielzeug.
Von unserem Plan, Freitag zu heiraten, war die Hebamme nicht begeistert. Wir sollten ein Taxi nehmen, und ja keine fremden Leute bringen. Das Baby sei noch viel zu klein für Besuch, vor allem weil das Zimmer zu klein war. "Wenn hier einer schnupft, ist das ganze Zimmer voll Bazillen," befürchtete sie, und mir drohte sie mit erhobenem Finger: "Wenn sie bis Freitag nicht im Bett bleiben, dürfen Sie das Haus nicht verlassen!"
Als die Schwester am Donnerstag kam, wunderte die sich, dass ich im Bett lag. "Geht es Ihnen nicht gut?" fragte sie besorgt. Dann sah sie den Kleinen im Kinderbettchen. Sie war hellauf begeistert, so ein kleines Kind hatte sie lange nicht mehr gesehen. Sie putzte mein Zimmer, und spülte das Geschirr. Dann kochte sie noch etwas für den Abend. Morgen wollte sie schon am Vormittag kommen, und die Kinder versorgen, wenn wir zum Standesamt gingen.
Stefan war den ganzen Tag unterwegs, er musste sicher allen Kusinen und Vettern sämtlicher Grade, von seinem Kind erzählen. Typisch "Pascha", die Frau hat die Arbeit und die Schmerzen, und er prahlt mit dem Ergebnis. Aber es war egal, ich liebte ihn, wenn er weg war.
"Was wollen Sie denn morgen anziehen," wollte die Gemeinde-Schwester wissen. "Was warmes, egal was," gab ich ihr zur Antwort. Am liebsten hätte ich meinen Mantel übergezogen, aber dafür war es wohl doch nicht kalt genug. Mehrmals schob sie meine Kleider im Schrank hin und her, dann zog sie ein Winterkostüm heraus, großkariert mit einer langen Jacke. Das hatte ich im Ausverkauf gekauft für zwanzig Mark, obwohl mir die Farbe nicht gefiel. Es war beige und hatte ein hellrotes Karo. Für die Arbeit wäre es gut gewesen. Die Schwester fand eine Rote Bluse, und meinte: "Das kann man anziehen," sonst wäre nur das Tanzkleid und der Mantel in Frage gekommen. Sie hängte das Kostüm und die Bluse seitlich an den Schrank. In die Tasche steckte sie ein Taschentuch und meinen Ausweis. Als alles in Ordnung war, ging sie Tina holen.
Die sah ihren kleinen Bruder in ihrem Bett und quietschte. Ob das jetzt Freude war, oder ob sie sagen wollte "Hau ab," konnte ich nicht verstehen. In den Kinderwagen kam das Kissen von Heinz und er zog um. Ihm war das egal, Hauptsache er durfte weiter schlafen. Der Kleine konnte schlafen wie ein Weltmeister. Wenn er wach war, füllte er seinen Magen und anschließend seine Windel. Dann wurde er unzufrieden, weil ich ihn sauber machte, denn der nächste Schlaf war schon wieder fällig. Ich schob den Kinderwagen ganz nah an Tinas Bettchen, damit sie ihn sehen konnte wenn sie im Bettchen spielte.
Irgendwann kam Stefan dann heim. Er hatte wieder ein paar Ouzo getrunken. Ganz klar, er hatte ja auf sein so gut gelungenes Kind anstoßen müssen. Vielleicht hatte er auch Junggesellen- Abschied gefeiert. Wir aßen das, was die Schwester gekocht hatte. Als das warme Essen in meinem Magen ankam, bekam ich Bauchschmerzen.
Schnell erkannte ich, dass es Blähungen waren. Bei mir dachte ich: Ich bin krank, und in meinem eigenen Zimmer, was hindert mich? Also hob ich mein Hinterteil an und machte mir Luft. Es dröhnte nicht nur furchtbar, es stank auch bestialisch. Nach dem ersten Mal fragte Stefan: "Anne, was machst du da?" Beim nächsten Mal lachte er und sagte: "Ich kann nicht weiter essen." Mir machte es nichts aus, und ich aß weiter. Stefan saß zwischen Tina und Heinz und weidete sich an "seinen Kindern", während ich weitere Geschosse abfeuerte. Da jammerte Stefan: "Machs Fenster auf, wir werden alle sterben." Das Gesicht, das er dazu machte, war so komisch, da bekam ich einen Lachkrampf.
Zwar machte ich das Fenster auf, aber es half nichts. es wurden immer neue Gase freigesetzt. Da stand Stefan auf und ging heim. Schnell machte ich das Fenster zu, damit meine Kinder sich nicht erkälteten. Da kam er noch einmal zurück. Er hatte seine Tüte vergessen. Ich schaute hinein, da war nur der Knirps drin. Erstaunt fragte ich: "Wozu brauchst du bei gutem Wetter einen Schirm?" Seine Antwort darauf war: "In Deutschland kannst du keine Minute aus dem Haus gehen ohne Schirm, da regnet es immer."
Dann war er endlich weg und ich konnte jetzt auch ein wenig ausruhen, bis Heinz seine Milch fordern würde. Dann wollte ich meine beiden, frisch für die Nacht richten.
Erschöpft ließ ich mich in Bett fallen. Da muss ich wohl auch gleich eingeschlafen sein. Tina hatte noch mit ihrem Hasen gespielt, als sie genug hatte zog sie es auch vor zu schlafen. So schlief ich bis nach Mitternacht, da konnte Heinz seinen Hunger nicht mehr aushalten und fing an zu schreien.
Zum Stillen nahm ich ihn in mein Bett wo ich nebenher immer wieder einschlief. Dann riss ich mich zusammen und wickelte meine Kinder frisch. Heinz war zufrieden als er wieder im Kinderwagen lag. Tina fand es nicht witzig, mitten in der Nacht sauber gemacht zu werden, denn sie schlief ja schon durch.
Der Schlaf hatte mir so gut getan, ich fühlte mich morgens richtig gut. Weil meine Kleinen noch ruhig waren, musste zuerst ein guter Kaffee her. Von mir aus konnte es Zwieback dazu geben, das war mir gleich. Danach fütterte ich die Kleinen und zog sie an. Als die Schwester kam, hatte ich die Kinder schon fertig. Sie schimpfte mich, ich sollte mich doch schonen. Dann hatte ich noch zwei Stunden Zeit, die Trauung sollte um elf Uhr sein. Ein Taxi würde Stefan nie rufen, dafür war er zu geizig. Aber es waren auch nur zehn Minuten von hier.
Statt dass er jetzt beizeiten gekommen wäre, und wir in Ruhe hätten zum Standesamt gehen können, kam er wieder im allerletzten Moment. Da hatten wir für den Weg noch genau sieben Minuten. Nach dem halben Weg war ich schon ganz schwach. "Zurück gehen wir langsam," versprach er. Wir kamen an, ich ließ mich auf den ersten Stuhl im Flur fallen.
Da wurden wir aufgerufen. Also schleppte ich mich in den Raum. "Wo haben Sie denn Ihre Trauzeugen," erkundigte sich der Standesbeamte. "Was ist das?" fragte Stefan. Er holte die Erklärung seiner Eltern aus der Tasche und fragte, ob er das meinte. Der Beamte ging ans Telefon und sagte: "Wir brauchen zwei Trauzeugen."
Eine Minute später kam der Amtsdiener mit einem Straßenpassanten. Jetzt konnte die Trauung beginnen. Er begann seinen Text vorzutragen, dann verlangte er die Bescheinigung mit Übersetzung. Nach einer Weile des Durchlesens, bemerkte er: "Da steht das Kind Heinz Gregorius geboren am 19. Februar, das war vorgestern. Ja, meinen Glückwunsch, ich dachte doch die ganze Zeit schon, die Frau ist so blass." Dann schaute er das Papier noch eine Weile an, und fragte: Woher wussten ihre Eltern denn am 15. 2. schon, dass am 19. 2. ein Junge geboren wurde?" Stefan hatte das Datum von dem Schreiben vergessen zu ändern.
"Das ist ganz einfach, der Brief war noch bei meinem Vater, ich habe ihn angerufen dass ich einen Sohn bekommen habe. Er hat das dann in den Text eingefügt. Weil ich gesagt habe es sei eilig, hat es mein Vetter mit dem Flugzeug mitgebracht."
Er log das Blaue vom Himmel, und ich denke der Standesbeamte hat ihm kein Wort geglaubt. Trotzdem beendete er die Trauung mit Würde, und fragte ob ich meinen Namen behalten wollte. Das wollte ich schon gern, aber dann hätten die Kinder doch Stefanidis geheißen. Da wollte ich doch heißen wie meine Kinder. Außer dem Familienbuch bekam ich "das Buch der deutschen Hausfrau," und Stefan einen deutschen Pass.- Das Buch habe ich meinen Kindern und Nichten geliehen als sie heirateten. Die Ratschläge darin waren unbezahlbar. Irgendjemand hat es dann nicht mehr zurück gegeben. -
Auf dem Heimweg hatte er es schon wieder eilig, unterwegs sagte er so ganz beiläufig: "So, jetzt bist du meine Sklavin." Da blieb ich stehen und drohte: "Das kann ich noch rückgängig machen." "Ach komm, Anne," lachte er, "Das war Spaß!"
Ich wollte nur nach Hause ins Bett, ich war fix und fertig.
Die Kinder waren bestens versorgt von der Schwester, und sie hatte den Tisch gedeckt. Zum Essen gab es frisch gegrillte Hähnchen, das war ihr Geschenk an uns.
Als Stefan gegessen hatte, schob er seinen Teller zur Seite. Dann schaute er sich seinen deutschen Pass ganz verliebt an und meinte: "Jetzt muss ich unbedingt, meinen Vettern und Kusinen meinen Pass zeigen." Schnell packte ich die Überreste vom Essen in eine Plastiktüte und schickte ihn am Mülleimer vorbei. Er verzog sein Gesicht, und belehrte mich, dass es nicht seine Arbeit sei.
Trotzdem hielt ich ihm die Tüte hin und deutete an, den Abfall in seinen Beutel auf den Schirm zu kippen, wenn er es nicht gleich nahm. Als er dann missmutig die Tüte an sich nahm, sagte ich ironisch: "Verwechsel die Beutel nicht!" Dann war er weg und es konnte lange dauern, denn seine Verwandtschaft war unerschöpflich. Ob er mit ganz Griechenland verwandt war, oder nur mit seinem Dorf??
Weil mein kleiner Heinz noch schlief, spielte ich mit Tina in meinem Bett. Nebenbei konnte ich wunderbar ausruhen. Der Weg zum Standesamt hatte mich doch sehr mitgenommen.
Gegen Abend kam die Schwester noch kurz vorbei, sie brachte von meiner Arbeitsstelle ein nagelneues Federbett. Sie wollte jetzt nur noch zweimal in der Woche nach uns sehen, Die Wäsche würde sie weiterhin mitnehmen.
Sobald ich konnte, wollte ich meine Arbeit wieder selbst machen, denn ich war nie der Typ, der andere ausnutzte.
Als Stefan spät, abgefüllt mit Ouzo heimkam, wollte er sich wieder in mein Bett fallen lassen. Ich drohte ich ihm mit der Annullierung der Ehe, wenn er sich nicht mir gegenüber ordentlich benahm. Das war natürlich aus der Luft gegriffen, aber es wirkte. "Dann bist du auch deinen deutschen Pass wieder los“, behauptete ich.
Das wirkte und er ging, um in seinem eigenen Zimmer zu schlafen. Vorher jammerte er noch, ihm sei es so schlecht. Normal trank er keinen Alkohol, aber ich hatte kein Mitleid. Wenn man eine so große Verwandtschaft hatte, dann musste man mit den Konsequenzen fertig werden.
In den nächsten Tagen brachte ich Tina nicht in den Hort, es war mir noch zu anstrengend. Die Gemeindeschwester sorgte dafür, dass sie zweimal in der Woche dort hin kam.
So erholte ich mich langsam und mein Mutterschutz ging dem Ende entgegen. Stefan ging wieder zur Arbeit und wohnte noch in seinem alten Zimmer. Aber das hatte er ja gekündigt. Jetzt wollte er zu mir ziehen. Mir passte das gar nicht, dann würde er mich nicht mehr lange in Ruhe lassen und ich hatte furchtbar Angst vor einer neuen Schwangerschaft. Also drohte ich ihm: "Wenn du mich nicht mindestens zwei Wochen in Ruhe lässt, werde ich dich anzeigen." Vor der Polizei hatte er Respekt. Sein Bruder hatte keine so guten Erfahrungen damit gemacht.
Er zog am 1. April, mit seinen zahlreichen Plastiktüten bei mir ein. In meinen Schränken machte ich Platz für seine Sachen, und die waren überschaubar. Die beiden Anzüge, die er von Frau Winter bekommen hatte, waren neu gerichtet und gefielen mir. Er hatte sie in Griechenland, bei seinem Besuch nach der neusten Mode ändern lassen. Es musste ein guter Schneider gewesen sein, denn man sah ihnen nicht an, dass sie gebraucht waren.
Es war Wochenende und das Wetter war sehr schön. Da half mir Stefan die Kinder anzuziehen, er wollte mit mir ausgehen. Wir brachten die Kinder zu seiner Kusine, bei der ich schon einmal war. Ich glaubte, er wollte mit mir in ein Tanzcafé gehen, denn er hatte bestimmt dass ich mein Tanzkleid anzog. Darüber zog ich eine Strickweste. Wir fuhren danach nach Frankfurt mit der Straßenbahn. Wohin er wollte hatte ich nicht gefragt. Er steuerte auf ein Lokal zu, wo wir von einem Türsteher aufgehalten wurden.
Der hatte es auf mich abgesehen, ich sollte meinen Ausweis vorzeigen. Den hatte ich nicht dabei. Nun hatte ich immer noch meine Pferdeschwanz-Frisur, und dazu das jugendliche Kleid. Der Posten glaubte mir nicht, dass ich im nächsten Monat 23 Jahre alt wurde. Stefan war ja sowieso noch keine 21 Jahre. Er wollte seinen Pass nicht zeigen. Also kehrten wir wieder um. Was das für ein Lokal war, habe ich nicht herausgefunden. Sicherlich eine Spielhölle oder was ähnliches.
Jetzt disponierte er um, und wir fuhren zurück zu seiner Kusine, um die Kinder dort abzuholen. Er wollte jetzt alle ortsansässigen Verwandten besuchen, um seine Kinder zu zeigen. "Ja," schlug ich vor, "dann können wir meinen Morgenrock bei deiner Kusine wieder abholen. Die ist doch wieder zurück aus dem Krankenhaus."
Warum ihm das peinlich war, konnte ich nicht verstehen. Schließlich hatte ich doch klar und deutlich gesagt, ich wollte ihn zurück. Ohne ihn, würde ich nicht wieder heim fahren, ließ ich ihn wissen.
Die Verwandtschaft wohnte größtenteils in bescheidenen Verhältnissen. Einen Kleiderschrank hatte fast niemand und mit Stühlen gingen sie auch sehr sparsam um. Ein Bett hatten alle, aber immer nur eines. Sie hatten auch keine Federbetten. Zum Zudecken besaßen sie etwas, was den Steppdecken ähnelte.
Bei der dritten Kusine, gab es gerade etwas zum Essen. Sie hatte kleine salzige Fische angebraten. Wir sollten auch mit essen. Da ich gern Fisch mochte, nahm ich einen, behauptete aber keinen großen Hunger zu haben. Die Fische schmeckten gut, und sie gab mir noch eine gebackene Auberginenscheibe dazu. Vom Reis wollte ich nichts, denn Vati hatte immer gesagt: "Wir essen den Chinesen den Reis nicht weg." Ich mochte den nur in der Hühnersuppe.
Bei der nächsten Kusine waren wir dann am Ziel, sie war es, die meinen Morgenrock hatte. Ich hatte ja keine Begabung mir Gesichter zu merken, aber sie hatte eine "Habichtsnase" und das konnte ich mir merken.
Zuerst ließ ich sie mein Kind bewundern, dann kam ich zur Sache: "Kann ich, bitte schön, meinen Morgenmantel wieder mitnehmen, ich werde ihn bald brauchen." Scheißfreundlich antwortete sie: "Ja sicher, wenn du ihn wieder haben willst."
Dann sagte sie etwas Unfreundliches zu Stefan und der lief rot an und meinte: "Gib ihn ihr." Sie ging in eine Ecke des Zimmers, wo sie in mehreren Kartons Kleidung hatte. Dann zog sie etwas aus dem Kasten, das meinem Morgenrock ein wenig ähnlich sah. Sie legte es auf meinen Kinderwagen.
Für einen Augenblick hielt ich die Luft an, dann nahm ich das Kleidungsstück in die Hand. -Ob ich jetzt blass wurde oder rot anlief, kann ich nicht mehr sagen.- Mein schöner teurer Morgenmantel ging mir nicht einmal bis zum Knie. Sie hatte die schöne gestickte Bordüre abgeschnitten. Auch an den Ärmeln hatte sie abgeschnitten. Den Zorn schluckte ich hinab, nahm den Morgenmantel, lächelte und sagte: "Behalt ihn nur, er passt mir ja nicht mehr."
Bei der nächsten Familie war es ein Vetter 5. Grades, der mit einer Kusine 4. Grades verheiratet war. Stefan wollte noch die Wurzeln mütterlicher- und väterlicherseits erklären, da bekam ich die ersten Gallenkoliken nach langer Zeit. Ich wollte meine Kinder trocken legen und den Kleinen füttern. Danach sollte er mit mir heim fahren. Der Vetter meinte, mir mit einem Ouzo helfen zu können. Aber ich wollte das auf gar keinem Fall trinken. Jetzt hatte ich ihn zwar beleidigt, das war mir aber egal.
Es war schon fast zehn Uhr, als wir daheim ankamen. Während ich die Kinder für die Nacht fertig machte, hielt mir Stefan vor, was ich alles falsch gemacht hatte. Als er dann fertig war mit seiner Predigt, sagte ich nur: "Sieh zu, dass du mir den gleichen Morgenrock besorgst, da musst du aber mit 100.-- Mark rechnen." Er machte sich in meinem Bett breit und als er schlief, legte ich mein Kissen auf die andere Seite und schlief am Fußende. Seine Füße stanken nach Käse, da deckte ich ein Kissen darüber.
Am nächsten Morgen waren meine Beschwerden nicht besser geworden. So begann ich damit, beide Kinder in den Hort zu bringen. Ich musste sie jetzt dringend daran gewöhnen. Lange konnte ich die Gallen Operation nicht mehr aufschieben.
Stefan hatte alles schon auf seine Weise geplant: Er wollte, dass ich bald wieder anfing zu arbeiten. Wir könnten schichten, dann sei immer nur einer zu Hause. Die Kinder brauchten nicht in den Hort, und wir könnten mit einer Fahrkarte fahren. Da ich meine Fahrkarte ja erstattet bekam, konnte er Gewinn machen. Das mit dem Krankenhaus und der Galle, war bei ihm ja sowieso gar nicht nötig.
Es machte ihn zornig, dass ich gegen seine Pläne arbeitete. "Ich bestimme das, weil ich älter bin als du," hatte ich erklärt. Er war nur noch geladen, und bei der ersten besten Gelegenheit, drohte er zu explodieren.
Wegen Geschäftsaufgabe hatte ein Laden Kindersachen im Angebot. Ich schaute mir nur die Unterhöschen an ,und fand, dass ich für fünfzig Pfennig, zwei Stück kaufen sollte. Tina brauchte dringend welche und die Qualität war bestens. Also ging ich in Laden und kaufte zwei Unterhöschen für Tina. Die waren hellgrün, und so elastisch, dass sie die lange Zeit anziehen konnte.
Gerade war ich dabei die Kinder für die Nacht frisch zu wickeln, als Stefan zur Tür herein kam. Er schaute mir auf die Finger und bemerkte sofort, dass ich Tina eine neue Unterhose anzog. "Was ist das?" wollte er wissen. Verärgert wegen der dummen Frage, antwortete ich: "Das ist eine neue Unterhose, ich habe zwei Stück gekauft in dem Laden, der zumacht." Ich hatte noch nicht ausgesprochen, da schnellte er hoch und schlug mir mit den Fäusten ins Gesicht und auf den Kopf. Tina schrie wie am Spieß, Heinz schrie auch mit. Meine Nase blutete, und tropfte auf Tinas Windel. Mir tat nicht nur der ganze Kopf weh, ich fühlte mich gedemütigt. Mit ihm wollte ich kein Wort mehr sprechen.
Nach einer Weile fragte er, warum ich denn gleich zwei Unterhosen gekauft hatte, eine hätte auch gereicht. Das sei es gewesen was ihn so zornig gemacht hatte.
Irgendwie verstand ich ihn, er hatte ja auch nur zwei Unterhosen.
Wenn ich nicht die Operation vor mir gehabt hätte, wäre ich zum Standesamt gegangen und hätte den Schwindel mit seiner Bescheinigung auffliegen lassen. Vielleicht wäre die Ehe dann ungültig gewesen. Aber ich musste das jetzt durchstehen.
Die Gemeinde-Schwester kam nicht mehr, sie wollte wieder kommen, wenn ich ins Krankenhaus musste. Nächste Woche wollte ich mir die Einweisung holen, und der Schwester Bescheid geben. In der Nacht ging ich nicht schlafen. Den Schlaf konnte ich nachholen wenn er zur Arbeit ging. Ich wusch die Wäsche und brachte sie auf die Wäscheleine. Dann kochte ich Eintopf für die nächsten zwei Tage. Als er endlich aufstand um zur Arbeit zu gehen, fing ich an die Kinder für den Hort zu richten. Er fragte nicht, ob er sie mitnehmen sollte. So wartete ich bis er weg war. Dann ging ich gleich los, um mich danach hinzulegen.
Mein Gesicht war total entstellt und ich schämte mich, als ich am Abend die Kinder holte. Meine sonst immer so ordentlichen Haare hatte ich offen gelassen, da konnte ich mein Gesicht hinter den Haaren ein wenig verstecken.
Ich konnte es nicht begreifen, mit Mutti hatte ich früher schon genug mitgemacht. Sie hatte mich auch immer geschlagen, ohne Grund, bis ich mich gewehrt hatte. Hörte das denn nie auf?
Die Zeit nutzte ich mit Tina zu spielen. Sie war so lieb und ich vergaß mein Elend. Heinz war auch wach, er lag im Kinderwagen und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum.
So vergingen ungefähr zwei Wochen, Stefan ging zur Arbeit, während ich meinen Schlaf nachholte. Die Kinder waren so lieb, dass ich nur Freude an ihnen hatte. Des nachts machte ich meine Arbeiten und stopfte die kleinen Löcher in den Strampelhosen. Eine Hose mit Loch, hätte ich den Kindern nie in den Hort angezogen. Mit Stefan sprach ich kaum, nur wenn es sein musste.
Angeblich tat es ihm leid, dass er mich geschlagen hatte. Er versprach, dass es nie wieder vorkommen würde. Ich glaubte ihm nicht, und hatte Angst er könnte die Kinder auch schlagen.
Nun möchte ich nicht behaupten, dass er unordentlich war. Wenn er an den Vorratsschrank ging, der unten über Tinas Kinderbett stand, machte er den Riegel nie richtig zu. So kam es dann, dass in einem unbewachten Augenblick, Tina anfing den Schrank auszuräumen. Ich merkte es früh genug, und stellte alles zurück in den Schrank, bevor sie den Zucker mit dem Salz vermischen konnte.
Am Abend bat ich Stefan, den Schrank richtig zu verriegeln, wenn er schon laufend an die Lebensmittel ging. Er behauptete aber, den Schrank immer zu verschließen und Tina könnte ihn nicht aufmachen. Wegen jedem kleinem Satz den ich sagte, konnte er stundenlang streiten.
Mir schlug das wieder so auf meine Galle, dass ich über Nacht meinen Putzeimer mit grüner Flüssigkeit voll spuckte. Mit jedem Mal wurden meine Schmerzen größer, es war nicht auszuhalten. Die Kinder konnte ich nur noch notdürftig anziehen. Stefan nahm widerwillig die Kinder mit, und versprach dem Arzt Bescheid zu sagen. Ich bat ihn, die Schwester anzurufen, aber er mochte sie nicht, sie war ihm zu freundlich zu mir. Von Griechenland war er es gewohnt, dass man sich in aller erster Linie um die Männer kümmerte.
Wenn die Schwester zur Tür herein kam, wünschte sie stets zuerst einen guten Morgen. Als zweites fragte sie mich: "Wie geht es Ihnen." Sie hatte nie gefragt, wie es Stefan ging, und das ärgerte ihn.
Aus dem Schrank holte ich meine Reisetasche und steckte ein paar Wäschestücke hinein und zwei Nachthemden. Ich nahm noch zwei Handtücher, Waschlappen und meine Häkelsachen. Nichtstun gefiel mir gar nicht. Dann fiel mir mein Geld ein. Den Geldbeutel nahm ich mit, das andere Geld war gut versteckt.
Der Arzt kam nicht, es kam gleich der Krankenwagen und ein Sanitäter holte mich an meiner Zimmertür ab. Ich schloss die Tür ab und steckte den Schlüssel ein, Dann wurde ich ins Krankenhaus gefahren.
Ein Arzt untersuchte mich kurz und nahm mir Blut ab, das gab er gleich ins Labor. Dann wies er die Schwester an, mir in der Intensivstation ein Bett zu richten. Dann kam ich in ein Zimmer, mit drei Betten. Das war etwas ganz besonderes, denn die meisten Patienten lagen in Sälen. In diesem Augenblick ahnte ich nicht, dass ich in diesem Bett fünf Wochen verbringen würde, bevor man mich operieren konnte.
Wochenlang lag ich in meinem Bett, und hing an Infusionen. Jeden Tag wurden meine Blutwerte überprüft, und der Arzt war sehr besorgt. Zum Essen bekam ich nichts.
Von den vielen Spritzen und Einstichen waren meine Venen so verängstigt, dass der Arzt an den Armen keine mehr finden konnte. Da verstach er mir die Hände, und als die dann geschwollen waren kam die Infusion an die Füße. Ach, ich musste viel aushalten. Meinen Fuß mussten die Schwestern am Bett anbinden, damit ich ihn beim Schlafen nicht anwinkelte. Die Schwestern hatten Mitleid mit mir und banden hin und wieder meinen Fuß los.
Nach drei Tagen kam Stefan mich besuchen. Er sah mich da liegen und stellte fest: "Du bist ja richtig krank!"
Ich fragte, wie es den Kindern ging. Dann erzählte er, dass Tina den ganzen Vorratsschrank ausgeräumt hatte. Sie hatte Zucker, Margarine, Tomaten und alles was sonst noch für sie erreichbar war, in ihrem Bett zertrampelt. Sie sei am ganzen Körper beschmiert gewesen. "Ach," bemerkte ich, "und jetzt weißt du warum der Schrank verriegelt werden muss?" "Sieh zu, dass du wieder nach Hause kommst," sagte er ernst, "ich kann mich nicht immer krankschreiben lassen."
Das passte zu ihm, darum schlug ich vor: "Mach doch vorübergehend Tagesschicht, die Kinder kannst du dann normal in den Hort bringen. Ruf die Schwester an, die hilft dir." Er schüttelte den Kopf und meint: "Ach Anne, du bist so dumm in deinem Kopf." Ich kochte innerlich, und gerade kam die Schwester zur Tür herein.
Die fragte er gleich, wann ich wieder nach Hause könnte. Sie meinte in sechs oder sieben Wochen vielleicht, da müsste er den Arzt fragen. Zu dem wollte er jetzt tatsächlich. Vorher fragte er: "Brauchst du noch etwas?" Blitzschnell schoss es mir durch den Kopf: "Ja einen neuen Morgenmantel und Hunger habe ich auch." "Wenn du im Bett liegst, brauchst du keinen Morgenmantel, und dann kommst du ja wieder nach Hause." Mit diesen Worten schnappte er seine Tüte und verschwand.
Der Arzt war verärgert über den Besuch von Stefan. Das ließ er mich merken und hielt mir vor, dass eine über Jahren versaute Bauchspeicheldrüse nicht in 10 Tagen heilen könnte.
Eine gesunde Bauchspeicheldrüse sei die Voraussetzung für eine erfolgreiche Gallen- Operation. Danach müsste ich noch mit ungefähr drei Wochen rechnen. Ich verteidigte mich und machte ihm klar, dass ich nicht auf Tempo gedrückt hatte, sondern es mir durchaus klar wäre, wie krank ich war.
Als ich ihm erzählte, dass ich zwei Kinder bekommen hatte, sah er ein, dass ich nicht früher kommen konnte. Er war zum ersten Mal zufrieden denn die Blutwerte hatten sich leicht verbessert. Freundlich fragte er: "können sie noch liegen? und fügte hinzu: "Wenn die Infusionen durch sind, dürfen sie ein wenig aufstehen." Da ich keinen Morgenmantel hatte, gaben mir die Schwestern einen herrenlosen Arztkittel, den durfte ich anziehen, wenn ich das Zummer verlassen wollte.
Das war jetzt schon ein Fortschritt und ich stellte fest, dass der Schmerz auch ein wenig nachgelassen hatte.
Die beiden anderen Frauen in dem Zimmer, bekamen jeden Tag regelmäßig zu essen. Ich war neidisch und wollte auch etwas. Darum bettelte ich eines Tages: "Kann ich nicht auch ein wenig zu essen bekommen, ich habe immer Hunger." Der Arzt schaute auf seine Akte und bestimmte: "Schwester hängen sie täglich eine Flasche mehr an, damit die Patientin keinen Hunger mehr hat." Durchschnittlich brauchte eine Flasche Infusion vier Stunden, jetzt tropfte die Flüssigkeit zwölf Stunden lang. Das mit dem Aufstehen konnte ich vergessen.
Stefan kam meistens einmal in der Woche. Er hatte jetzt für nachmittags ein Kindermädchen. Das war eine Schülerin und er zahlte ihr jede Woche zehn Mark. Wozu er die brauchte wusste ich nicht. Er wollte meinen Schlüssel für das Mädchen. Ich gab ihm den Briefkastenschlüssel und schlug vor den Schlüssel in den Briefkasten zu werfen und dem Mädchen den kleinen Schlüssel zu geben. Meinen Schlüssel wollte ich nicht hergeben. Sobald ich aufstehen durfte, würde ich durch den Park laufen und nach meinen Kindern sehen.
Er wollte zu gern wissen, wann ich denn aufstehen durfte, aber das wusste ich ja selbst nicht. Aus seiner Plastiktüte zog er eine Konservendose, in der ein gekochtes Suppenhuhn war und einen Pack Spaghetti. Damit ich nicht verhungerte. Die Sachen stellte ich in meinen Nachtschrank, allein die Tatsache, dass ich jetzt im Notfall was zum Essen hatte, gab mir ein gutes Gefühl.
Stefan kam selten, er hatte keine Lust mich zu besuchen, weil ich ja doch nur im Bett herumlag. Er war kein einziges mal auf die Idee gekommen mir ein paar Blumen mit zubringen. Da kam eines Tages die Schwester an mein Bett und meinte: "Die letzte Infusion hängen wir heute Abend an, gehen sie doch ein Stündchen in den Garten."
Nun war ich wochenlang im Bett gelegen und höchstens auf dem Flur auf und ab gelaufen. Zwar hatte ich den Arztkittel, damit lief ich auf dem Flur herum, und ich wurde auch schon mal als Frau Doktor angeredet. Aber nach draußen musste ich mich richtig anziehen.
Als ich mein Kleid an hatte, stand mein Entschluss fest: Ich wollte durch den Park laufen und meine Kinder besuchen. Ob sie mich wohl noch kannten? Am Eingang zum Schlosspark, musste ich normal Eintritt bezahlen. Der Kassierer kannte mich von meinen Besuchen mit Tina und fragte, wo ich denn mein Kind hätte. Als er hörte, dass ich schon so lange im Krankenhaus war, durfte ich ohne Karte durch. So war ich in einer viertel Stunde zu Hause.
Mit klopfendem Herzen machte ich die Tür auf. Beide Kinder waren da. Tina konnte schon Mama sagen und lachte mich gleich an, sie hatte mich nicht vergessen. Es tat mir so leid, dass ich nicht lange bleiben konnte. Heinz hatte die Hose voll, darum machte ich ihn sauber.
Ich konnte nicht verstehen, es war niemand da und die Kinder waren so lieb. Die Windel ließ ich neben dem Kinderwagen liegen, Stefan sollte ruhig merken, dass ich da war. Dann musste ich leider wieder gehen. Ich heulte den ganzen Rückweg.
Die Schwester im Krankenhaus wusste genau wo ich war. Sie richtete es jetzt immer so ein, dass ich nachmittags zwei Stunden Zeit hatte. Bei meinem nächsten Besuch traf ich das Mädchen an. "Gestern musste ich einkaufen, die Babymilch war alle," sagte sie. "Und wo ist mein Mann?" wollte ich von ihr wissen. "Ich glaube der arbeitet," sie konnte es nicht genau sagen, "aber abends kommt ein Fräulein und bleibt bei den Kindern."
Das Bett war nicht gemacht und die Kissen waren beide benutzt, ich hatte genug gesehen und wusste, dass das Fräulein nicht nur der Kinder wegen kam. Ob die hier wohnte?
Auf dem Flur traf ich eine Nachbarin, sie wohnte in einem großen Zimmer am Flurende. Im August wollte sie umziehen, und wenn ich möchte, könnte ihr großes Zimmer haben. Natürlich wollte ich es! Sie hatte auch ein Kind und ihr Mann hatte die Hausmeister-Stelle bekommen sie zogen dann in die Hausmeister-Wohnung. Na das waren jetzt gute Aussichten. Als ich an dem Abend zurück ging, war ich richtig gut gelaunt. Ich fühlte mich auch ganz gut.
Geduldig ließ ich die dritte Flasche in die Vene tropfen. Die Nachtschwester zog die Nadel am Abend heraus, und wünschte mir eine gute Nacht. Die anderen Frauen schliefen und ich stand auf, um meine Dose mit dem Hühnchen zu öffnen.
Die Schwester kam noch einmal ins Zimmer, sie hatte die Flasche vergessen. "Was um Himmelwillen machen sie denn da?" erkundigte sie sich. Sie kam um das Bett, um sich das anzusehen. "Wollen sie das wirklich essen?" fragte sie ungläubig. "Ja," entgegnete ich, "Ich habe Hunger und will zu Kräften kommen."
Die Schwester fand, dass ich dann wenigsten einen Teller und ein Besteck nehmen sollte. Sie hätte es mir auch gern warm gemacht. Ich wollte keinen Teller, ich wollte das Hühnchen! Sie war verzweifelt, dann bat sie mich, wenigsten nachher nicht zu sagen, dass sie es gesehen hatte. Wir einigten uns: Sie wollte mich nicht verraten, und ich sie nicht.
Am nächsten Tag fühlte ich mich richtig gut. Ein kleines bisschen hatte ich Angst vor der Blutprobe. Der Arzt versprach, wenn die Werte heute normal wären, dürfte ich ab morgen mit Essen anfangen. Na, dachte ich, dann habe ich eben einen Tag früher damit angefangen. Wie ein Wunder ging alles gut. Die Werte waren bestens, und die Zeit der Infusionen war fast vorbei. Zum Abgewöhnen, bekam ich noch ein paar Tage lang, eine Flasche. Nachdem ich jetzt wieder essen durfte und meine Werte konstant waren, wurde ich in den großen Saal verlegt.
Es folgten jetzt die Vorbereitungen für die Operation. In dem großen Raum gefiel es mir gar nicht. An einem Tag musste ich einen Schlauch schlucken, damit der Magensaft untersucht wurde. Stundenlang quälte ich mich mit dem dämlichen Schlauch. Dazu kam, dass es an meinem Geburtstag war. Stefan kam, und ich war immer noch mit dem Schlauch beschäftigt. Ich konnte nicht sprechen, immer musste ich würgen. Er hatte einen Morgenrock mit gebracht, der sah aus wie ein Kinderbademantel. Billig und mit Kindermotiv. Ich regte mich so auf, dass der Magensaft plötzlich aus dem Schlauch tropfte.
Schnell klingelte ich der Schwester und die befreite mich dann von dem Schlauch. "Wann kommst du wieder zu Besuch?" wollte Stefan wissen. Fast war ich mir sicher, dass ich jetzt nicht mehr weg konnte, aber ich wollte es ihm nicht sagen. Also sagte ich: "Unverhofft kommt oft." Er wollte noch wissen, wie ich das Kindermädchen fand. "Ach," tat ich traurig, "leider habe ich nur die Schülerin kennen gelernt, die andere war nicht da." Sein Gesichtsausdruck verriet, dass ich den Nerv getroffen hatte.
Am Montag sollte ich operiert werden, ich musste unbedingt noch einmal vorher meine Kinder sehen. Ich hatte unwahrscheinliche Angst vor Montag.
Nach dem Mittagessen machte ich mich noch einmal auf den Weg. Heute hatte ich viel Zeit, da wollte ich mit den Kindern spielen. Das Schulmädchen war da und legte Wäsche zusammen. Stefan hatte sie im Waschsalon gewaschen. Das Bett war wieder nicht gemacht. Also machte ich es und nahm Tina, um mit ihr zu spielen.
Sie hatte nichts verlernt und das Mädchen schaute genau zu, wie ich mit den Kindern spielte. Heinz wollte den Hasen von Tina und es tat mir leid, dass ich keinen zweiten hatte. Die Kleine war erst zufrieden als sie ihren Hasen zurück hatte. Klar, mit ihm war sie ja auch aufgewachsen. Da gab ich dem Mädchen zehn Mark und bat sie ein ähnliches Spielzeug für Heinz zu kaufen. Dann sollte sie zu meinem Mann sagen, es sei ein Geschenk von ihr.
Sie lief gleich los, denn das Geschäft mit den Kindersachen hatte nur heute noch auf. Als sie nach einer halben Stunde zurück kam, hatte sie einen Hund gekauft. Er war himmelblau und kuschelig weich. Den gaben wir Heinz und er quietschte vor Freude. Fünf Mark hatte sie noch, die schenkte ich ihr, weil sie so ein gutes Kindermädchen war.
Wir machten aus, dass sie mich besuchen sollte mit den beiden im Kinderwagen. Das Mädchen war ein richtiger Schatz, ich hatte sie in mein Herz geschlossen. Als die Kinder genug hatten vom Spielen, räumten wir noch die Wäsche in den Schrank.
Da fiel mein Blick auf meine Schublade mit meinen ganz privaten Sachen. Darin hatte ich eine Haarbürste, Nagelfeile, Schere und auch einen Lippenstift, den ich kaum benutzt hatte. Ich zog die Schublade auf und sah, dass darin gewühlt war. Der Lippenstift war fast alle und mein kleines Fläschchen mit Duftöl auch. Da machte ich die Schublade mit dem Bestecke auf, um nach meinem Geld zu sehen.
Das hatten sie noch nicht gefunden. Es wurde höchste Zeit, es in Sicherheit zu bringen. Also nahm ich einen Waschhandschuh und schob das Geld dort hinein. Im Krankenhaus würde ich es zwischen meiner schmutzigen Wäsche aufbewahren, da vermutet niemand so schnell Geld.
Vorläufig würde ich nicht mehr zu Besuch kommen können, das war mir klar. Wehmütig verabschiedete ich mich von meinen Kindern. Tina konnte schon mit bis an die Tür laufen. Das Mädchen hatte es mit ihr geübt. Aus Dankbarkeit musste ich sie noch einmal in den Arm nehmen. Tina wollte mit, und war traurig, als ich sie zurücklassen musste. Heinz nahm das nicht so genau, er schlief schon wieder.
Als ich durch den Park lief, dachte ich einen Augenblick lang: Was ist, wenn ich nicht mehr zurück komme? Das durfte ich jetzt nicht denken. Der Professor im Krankenhaus, war der beste Chirurg weit und breit für Gallenoperationen. Heute erst hatte er mir versichert, dass alles gut gehen würde. Er war der erste Arzt, der während der Operation immer wieder die Gallengänge röntgte, damit kein Steinchen in den Gängen versteckt blieb. Ich vertraute ihm.
Nun war ich schon fast sechs Wochen im Krankenkaus und hatte nicht gesehen, dass auf dem Flur eine Kaffeemaschine stand. Einen Kaffee für zwanzig Pfennig, wollte ich mir jetzt genehmigen. Als ich die Zehner in den Spalt geworfen hatte, kam zuerst etwas löslicher Kaffee in den Becher, dann ein Strahl Milch, danach das Wasser. Man konnte auswählen zwischen mit Milch, mit Zucker und Milch oder schwarz. Die Maschine war super, der Kaffee hätte besser sein können. Aber der Mensch freut sich.
Mit dem Kaffee ging ich in den Aufenthaltsraum, da waren Regale voller Bücher. Die schaute ich mir an und nahm mir ein Märchenbuch. Da wollte ich in meiner verbleibenden Zeit drin lesen, um meinen Kindern pausenlos Märchen erzählen zu können. Ich freute mich auf zu Hause, denn jetzt war es in drei Wochen soweit, hoffte ich.
Das Essen für mich am Sonntag fiel bescheiden aus. Es gab Haferschleim, morgens und mittags. am Abend bekam ich Tee. Statt Frühstück gab es für mich am Montag einen Einlauf. Meine Geduld war am Ende, ich hatte schon wieder Hunger. Mir ging der Spruch durch den Kopf: Lerne leiden ohne zu klagen.
Dann kam die OP-Schwester. Sie brachte mich in den Vorraum zum Operationssaal. Der Narkosearzt gab mir eine Spritze und hängte eine Infusion an, er war noch nicht damit fertig, da war ich weggetreten.
Viel später hörte ich die Schwestern rufen, ich sollte die Augen aufmachen. Ich war so müde, dass ich weiterschlafen wollte, und machte die Augen nicht auf. Da hörte ich, wie sie mir auf die Wangen schlugen. Gefühlt habe ich ja nichts, aber hören konnte ich es deutlich. Weil es mir nicht wehtat, machte ich die Augen auch nicht auf.
Plötzlich vernahm ich eine freundliche Männerstimme, die sagte: "Anneliese guck mal ganz kurz, du kannst gleich weiterschlafen." Den netten Mann wollte ich sehen! Schnell riss ich die Augen auf. Es war der Narkosearzt, der mir in die Augen schaute. Ich machte sie gleich wieder zu, und hoffte nicht mehr gestört zu werden. Immer wieder kam eine Schwester an mein Bett und fragte ob ich Schmerzen hätte. Sie wollte mir eine Tablette geben. Ich wollte keine Tablette, ich hatte nur Durst. Gegen die Schmerzen, die ich schon erlitten hatte, waren diese Schmerzen kein Vergleich.
Mir ging es bestens, und ich schlief noch eine Runde. Irgendwann merkte ich, dass sie mit mir über den Flur fuhren. Sie brachten mich in ein kleines Zimmer, in dem noch eine Frau lag. Die Schwester nahm die leere Blutkonserve vom Haken und hängte eine Infusion auf. Die Nadel steckte in der Hand, zwischen den Gelenkknochen. Das schmerzte ein wenig. Meine Nachbarin stöhnte leise vor sich hin, da machte ich die Augen wieder zu.
Nebenan die Frau hatte Besuch von ihrem Bruder. Langsam hatte ich ausgeschlafen. Es war jetzt also Besuchszeit. Dann hatte ich ja gar nicht so lange geschlafen, dachte ich. An meinem Bett hingen drei Flaschen und die waren durch Schläuche mit meinem Bauch verbunden. Dazu noch die Infusion, ich stellte fest: Ich war total verkabelt.
Die Schwester fragte wieder ob ich denn keine Tablette wollte. "Nein," sagte ich, gleich darauf wollte ich wissen: "Wann kriege ich denn was zum essen?" "Heute und morgen nichts, erst drei Tage nach der Operation." bestimmte die Schwester und fügte hinzu, "übermorgen also." Den Besuch fragte ich ob heute Montag oder Dienstag sei. Er lachte und fragte mich, ob mir ein Tag verloren gegangen sei, wir hätten Dienstag.
Dann hatte ich also von den Hungertagen einen verschlafen. Wenn ich nicht überall an den Flaschen gehangen hätte, dann wäre ich heute Nacht in die Küche geschlichen und hätte Spaghetti gekocht, das Nudelpäckchen hatte ich noch in meiner Reisetasche. Na ja, dachte ich, vieleicht besser so.
Der Besuch von meiner Nachbarin war gegangen, und ich versuchte sie aufzumuntern. Es ging ihr nicht gut, sie hatte eine Darmoperation gehabt. Sie stöhnte in einer Tour. Als ich am kommenden Morgen schon Stuhlgang hatte, stellte mir die Schwester ein Abendessen in Aussicht.
Sie fragte nach Blähungen, ich hatte keine. "Wenn sie dann welche bekommen, lassen sie die heraus, das ist wichtig." Sie schaute nach meiner Wunde und der Arzt kam auch, sie auch ansehen.
Der Professor entschuldigte sich, der Schnitt sei etwas groß ausgefallen. Bei mir hatte er sieben Stiche genäht, normal machte er nur fünf. Die Schwester klebte den Verband neu und legte ein Beutelchen auf die Wunde, damit beim Husten nichts aufreißen sollte. Dann kam ein Pfleger mit einem Bettfahrrad.
Meine Nachbarin und ich mussten jetzt Radfahren, wegen der Thrombose. Ich fuhr, als ob ich einen Weltrekord aufstellen wollte. Nebenbei bekamen wir Sauerstoff. Nach fünfzehn Minuten nahm der Pfleger das Fahrrad und den Sauerstoffsprüher, und ging ins nächste Zimmer.
Langsam kamen bei mir die Blähungen. Die ersten Male sagte meine Nachbarin: "Ich wollte ich könnte mitblasen." Dann erzählte ich ihr wie ich unser kleines Zimmer so vernebelt hatte und mein Mann gesagt hatte "Anne, mach’s Fenster auf, wir werden alle sterben." Wir mussten so darüber lachen, dass ich Angst um meine Wunde hatte, konnte aber nicht aufhören. Immer wenn ich dachte es sei vorbei, lachten wir schon wieder.
Jetzt tat mir alles weh und ich klingelte der Schwester. Die schaute sich meine Wunde an und sagte: "Lachen ist gesund, machen sie weiter, was der Professor genäht hat, das hält."
Meine Nachbarin hatte am nächsten Tag weder Blähungen, noch Stuhlgang. Sie hatte wieder Besuch von ihrem Bruder der mir eine Flasche Duftwasser mitgebracht hatte, als Dankeschön, weil ich so nett zu seiner Schwester war.
Stefan kam auch zu einem kurzen Besuch. Er sah die Schläuche, Flaschen und die Infusion, und meinte: "Das sieht ja aus als ob du richtig krank bist." Wenn ich nach Hause käme, hätte er schon einen Arbeitsplan. Ich sollte auf jeden Fall auch Schichtarbeit machen.
Jetzt hatte ich fast ein halbes Jahr nicht gearbeitet. Für die Zeit im Krankenhaus hatte es kein Krankengeld gegeben. Meine Blähungen regten ihn auf und er sagte: "Du bist ekelhaft." Dann ging er weil es im Zimmer so stank. "Sieh, dass du bald hier herauskommst," sagte er noch an der Tür.
Der Besuch meiner Nachbarin sagte: "Von dem seinem Geschwätz kann man auch nicht gesund werden."
Die Besuchszeit ging zu Ende, und ich bekam tatsächlich ein Abendessen. Ich wollte es genießen, aber meine Nachbarin hatte wieder starke Schmerzen. Ich klingelte der Schwester und die schob ihr eine Bettpfanne unter, weil sie glaubte dass sie jetzt Erfolg haben könnte.
Ich biss noch einmal von meinem Brot ab, da fing die Frau an zu würgen. Das was in die Schüssel sollte, kam aus ihrem Mund. Es stank wie im Klo. Wieder klingelte ich der Schwester. Sofort liefen alle Schwestern aufgeregt im Flur herum.
Die Frau kam sofort in den Operationssaal, und wurde operiert bis in die Nacht. Dann brachten sie die Ärmste wieder herein. Sie war aus der Narkosen noch nicht aufgewacht. Ich sprach trotzdem mit ihr, schließlich hatte ich ja auch alles gehört, als ich noch nicht ganz wach war. Ganz früh, wurden bei mir zwei Flaschen abgehängt. Die andere Flasche musste ich tragen, ich sollte zurück in den Schlafsaal. Da ging ich noch einmal an das Bett der Frau und sagte ihr: "Später komme ich nochmal vorbei." Ich glaubte ein Lächeln zu sehen.
Im großen Saal kam ich in das allerletzte Bett, neben eine ältere Frau. Meine letzte Flasche wurde an mein Bett gehängt und wenn ich zur Toilette wollte, dann musste ich die immer mitnehmen. Ich ordnete meine Sachen im Nachtschrank, und was ich nicht benötigte, packte ich in meine Tasche.
Es kam eine Therapeutin für Gruppengymnastik. Ich sollte nicht mitmachen "diese Woche nicht mehr," sagte sie. Stattdessen sollte ich auf dem Flur auf und ab laufen. So nahm ich meine Flasche in die Hand und machte mich aus dem Staub.
Als ich so auf dem Flur war, holte ich mir zuerst einen Kaffee. Damit setzte ich mich auf eine Bank, da fiel mein Blick auf das Zimmer, in dem ich vorher noch lag. Ja, nach dem Kaffee werde ich die nette Frau besuchen, vielleicht ist sie jetzt wach.
Niemand war in der Nähe, und ich warf meinen leeren Becher in den Papierkorb. Dann ging ich in das Zimmer. Sie lag noch genauso im Bett wie heute Morgen. Ich fragte wie es ihr ging. Weil sie keine Antwort gab ging ich näher ans Bett.
Die Augen hatte sie weit aufgerissen, aber sie guckte nicht. Konnte das möglich sein, war sie tot? Wir hatten gestern doch noch zusammen gelacht. Ich ging zur Schwester in Schwesternzimmer und sagte ihr, was ich bemerkt hatte.
Sie rannte in das Zimmer, und drückte den Signalknopf. Mich schickte sie nach draußen und sagte: "Die muss gerade verstorben sein." Es tat mir so leid, dass sie allein war, als sie sterben musste.
Wieder saß ich auf der Bank, ich fand es einfach traurig und weinte. Die Schwester fand einen Moment Zeit für mich und setzte sich zu mir. "Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sie überlebt hätte," sagte sie tröstend zu mir, "aber glauben sie mir, die Ärzte haben alles versucht." Sie ermunterte mich, an mich zu denken, damit ich bald zu meinen Kindern könnte. Ja, die Schwester hatte recht. Ich wollte nicht mehr hinsehen, wenn die anderen Patienten es nicht schafften.
Am Nachmittag kam das Kindermädchen mit den beiden Kleinen. Tina lief allein den Flur entlang, direkt in meine Arme. Heinz war im Kinderwagen. Den Wagen mussten wir im Flur lassen. Er war nicht sauber genug für die vielen Kranken. Wir blieben auf dem Flur, im Saal ging es laut zu, fast alle hatten Besuch.
"Wie heißt du eigentlich," fragte ich sie. Ich erfuhr, dass sie Marita hieß. Sie hatte mir ein paar Blümchen mitgebracht. Ich freute mich riesig darüber. Jetzt hatte ich auch etwas Blühendes auf dem Nachtschrank. Tina konnte schon so schön laufen. "Sie macht auch schon aufs Töpfchen", berichtete Marita stolz.
Zwei Schwestern kamen vorbei und bewunderten die Kinder, die so schön gerichtet waren, obwohl ich schon so lange im Krankenhaus war. "Marita ist der kleine Engel, der es möglich macht," lobte ich das Mädchen. Tina hatte ein süßes Kleid an, das musste neu sein. "Woher hast Tina denn das Kleidchen," fragte ich. "Das ist ein Kleid von mir, meine Mutti hat es mir mitgegeben, damit sie heute schön ist. Das darf sie behalten." Marita zeigte beschämt auf ein kleines Löchlein, das ihre Mutter gestopft hatte. "Sieht man ja gar nicht," bemerkte ich ehrlich.
Sie hatte einen weiten Umweg gemacht, weil sie keinen Eintritt im Park zahlen wollte. Schnell ging ich, ihr zwei Mal Eintrittsgeld zu holen. Ich verriet ihr was sie an der Kasse sagen soll, um hin und zurück nur eine Karte zu brauchen. Diese Woche war ja schon fast um und in der nächsten Woche wollte sie wieder kommen.
Dann ging ich noch bis zur Pforte und war traurig, als ich die drei Richtung Park verschwinden sah. Schluchzend ging ich die Stufen hinauf. Da kamen die beiden "Leukämie-Mädchen" aus dem 1. Stock die Treppe herunter gesprungen. Die beiden hatten Leukämie und hingen tagsüber an ihren Apparaten und abends gingen sie aus. Die Schwestern ließen sie, und die Ärzte sagten nichts. Sie waren beide schlecht dran und sollten das Leben genießen. "Warum weinen Sie denn, wollen Sie mit, wir gehen noch tanzen." Ich erklärte, dass ich nicht weg konnte, und dass meine Kinder gerade gegangen waren.
Das nächste Mal sollte ich mit den Kindern zu ihnen hinaufkommen, sie wollten die Kleinen sehen. Die größere strahlte: "Nächsten Freitag heirate ich." Wie ein Wirbelwind waren sie auch schon hinaus. Die kleinere der beiden, konnte meine Kinder nicht mehr kennen lernen.
Trotz aller Vorsätze konnte ich es nicht lassen an das Mädchen zu denken. Das Leben kann so gemein sein, dachte ich.
Im Bett neben mir lag eine ältere Frau, die stöhnte laufend und die Ärzte konnten nichts finden. Ihr Mann kam täglich und brachte Blumen, Kekse und Schokolade. Den ganzen Tag war sie am Naschen. Wenn dann Fieber gemessen wurde, hatte sie immer hohes Fieber. Mit ihr habe ich nie gesprochen, ich mochte die Schleckerei nicht.
Die Ärzte bemühten sich ihre Krankheit zu finden. Dann stellte es sich heraus, dass sie nichts hatte, und das Thermometer solange an der Bettdecke rieb, bis es nach Fieber aussah. Als der Schwindel aufflog, musste sie sofort ihre Sachen packen. Sie wollte nicht nach Hause, aber die Schwestern jagten sie regelrecht hinaus. Die hatten Recht, es waren so viel Patienten da, die auf die Schwestern angewiesen waren.
An meiner Wunde hatten die Schwestern den letzten Schlauch und die Fäden gezogen. Jetzt noch die letzten Untersuchungen und in ungefähr einer Woche durfte ich nach Hause. Marita kam, und freute sich, dass ich wieder richtig laufen konnte. Tina hatte ein kleines Blumensträußchen in ihrer Hand. Die Kinder waren auch heute ganz goldig angezogen, darum gingen wir in den Schlafsaal.
Es war kaum Besuch da, und die Frauen wollten alle die Kinder streicheln. Tina fand das aufregend und plapperte halb verständliche Wörter. Vom Mittagessen hatte ich noch den Nachtisch, den wollte ich der Kleinen füttern.
Da wurden wir plötzlich aufgeschreckt. In das frisch bezogene Bett neben mir, brachten sie eine junge hübsche Frau. Auf beide Seiten wurde Sichtschutz aufgebaut. Wir zogen es vor, mit den Kindern auf den Flur zu gehen. Marita überlegte und glaubte, sich sicher zu sein, dass sie die junge Frau kannte. "Sie ist Verkäuferin im Kaufhaus," erfuhr ich von ihr.
In der nächsten Woche wollte sie noch einmal kommen. "Vielleicht", sagte sie, "können wir dann zusammen nach Hause." Ich freute mich schon so, wieder täglich meine Kinder zu sehen. Als sie sich verabschiedeten gab ich mir Mühe nicht zu weinen. Acht Wochen war ich jetzt schon hier, diese eine Woche durfte doch kein Problem mehr sein.
Die ganze Nacht kamen Ärzte und Schwestern in den Saal, sie brachten Blutkonserven und jede Stunde wurde das Blut untersucht. Die junge Frau war dabei recht gut gelaunt. Sie erzählte, dass sie immer Anfälle hatte und Tabletten dagegen bekam. Dass sie vor ein paar Wochen geheiratet hatte. Sie wollte so gern ein Kind, und da hatte der Arzt ihr eine neue Sorte Tabletten verschrieben.
Der Arzt im Krankenhaus wollte die Tabletten sehen, aber sie hatte sie nicht dabei. Mitten in der Nacht hatte jemand ihren Mann erreicht und der kam mit den Tabletten. Jetzt schloss man sie an eine Maschine an, das Blut musste gereinigt werden. Die Tabletten hatten dem Blut geschadet. Die Frau wurde immer stiller. Sie musste viel durchmachen. Nach ein paar Tagen dachte ich: Jetzt hat sie es geschafft, sie sprach wieder.
Dann schoben die Schwestern sie auf den Flur, denn es war nirgends ein Zimmer frei. Ich bot den Schwestern an, die letzten zwei Tage im Flur zu schlafen, dann hätte sie mehr Platz gehabt. Vor allem mein Bett stand genau in der Ecke, da lief niemand vorbei. Die Schwester sagte traurig: "Das ist lieb von Ihnen, aber es ist zu spät."
Gegen Morgen kam die Schwester in den Saal und bat: "Wer aufstehen kann, bitte auf den Flur, da ist der Pfarrer da." "Ich bin evangelisch," sagte ich. Es gingen nur drei Frauen mit auf den Flur, da schloss ich mich ihnen an.
In aller Eile hatten die Schwestern Blumen und Kerzen herbei gebracht und hatten eine festlich dekorierte Ecke gemacht. Der Pfarrer war dabei aus der Bibel zu lesen. Dann ging er übe,r zur letzten Ölung. Ich vergesse nie, die junge Frau schlug dem Pfarrer das Kreuz aus der Hand. Sie wollte nicht sterben.
Als ich ins Zimmer ging, lebte sie noch. Später sammelte die Schwester Blumen. Sie sollte meinen Strauß mit nehmen, bat ich sie. Der junge Ehemann saß auf der Bank im Flur und weinte. In den letzten Tagen hatte ich so viel mitgemacht, ich konnte den Mann nicht trösten.
Eine Lernschwester kam und brachte mich zur Abschluss-Untersuchung. Der Arzt war mit mir zufrieden, und schaute auf die Uhr. "Ja, dann packen Sie mal ihre Sachen und essen Sie noch was, damit Sie nach dem Essen nach Hause gehen können. Als ich ihn verdutzt ansah, fragte er: "Oder wollen Sie nicht?" Natürlich wollte ich, und vor Freude fing ich an zu heulen.
"Das ist doch kein Grund zum weinen," meinte der Professor. "Da sind so viele gestorben", sagte ich verzweifelt, ich kann es gar nicht glauben, dass ich gesund bin. "Nicht jeder Kampf wird gewonnen", gab mir der Arzt mit auf den Weg, "Manchmal kommen die Leute auch zu spät."
Ich ging meine Sachen packen, und dann wartete ich auf das Essen. Mit dem Essen bekam ich meine Entlassungspapiere. Da war auch eine Krankmeldung dabei. Die nächsten zwei Wochen sollte ich auf jeden Fall nicht zur Arbeit gehen.
Nach dem Essen verabschiedete ich mich von den Frauen in dem Saal, dann ging ich ins Schwesternzimmer. Die Schwestern waren immer so nett zu mir, darum holte ich zehn Mark aus meiner Tasche. Gerne hätte ich jeder zehn Mark gegeben, aber das konnte ich nicht. "Vielen Dank," sagte ich und das war ehrlich gemeint. Die Stationsschwester lachte: "Bei Ihnen müssen wir uns bedanken, sie waren eine angenehme Patientin."
Bevor mir wieder die Tränen kamen, ging ich zum Ausgang. Die hatten recht, wenn ich das Gejammer der anderen bedachte, denen kaum etwas weh tat.
Es war nicht weit bis zum Park, ich wollte mich nicht umsehen, auf gar keinem Fall. "Wer sich umschaut, will zurückkommen," hatte ich gelernt. Das wollte ich aber nicht.
Meine Hände zitterten vom Tasche tragen, und mein Herz raste vor Freude. Da klopfte ich an die Tür. Marita war da und machte auf. Tina rief "Mama", nun wusste ich nicht, wen ich zuerst in den Arm nehmen sollte. Ein paar Sekunden später saß ich auf der Bettkannte und hatte beide Arme voll Kinder. Dann zeigte mir Tina ihr Töpfchen, und Heinz konnte schon ein wenig sitzen.
Marita schickte ich zum Bäcker, der war schräg gegenüber sie sollte Kuchen holen. Dann machten wir Kaffee. Es war wie eine Geburtstagsfeier. Heinz war schon wieder eingeschlafen und Tina erkundete das Zimmer, da packte ich meine Tasche aus, um die Wäsche einzuweichen. Marita wollte wissen, wie es der Verkäuferin geht. "Die ist leider gestorben," bedauerte ich.
Sie konnte es nicht glauben, dass wollte sie ihrer Mutter erzählen, die kannte sie näher. Ich hatte mir vorgenommen, jetzt täglich mit Marita spazieren zu gehen, aber sie hatte Ferien und freute sich darauf ihre Oma zu besuchen. "Ach schade," sagte ich, "du wirst mir fehlen."
Als sie gegangen war, fing für mich der Werktag an. Das Bett war so dreckig, ich musste es dringend frisch beziehen, denn da konnte ich auf gar keinem Fall drin schlafen. Ich drehte die Matratze, warum wusste ich nicht so genau. Bei der Gelegenheit legte ich meinen Waschhandschuh mit dem Geld darunter.
Das Kinderbett war sauber, dafür hatte Marita gesorgt. Als ich alles einigermaßen sauber hatte schaute ich, was ich kochen konnte.
Da ich nichts Besonderes fand, wollte ich Spaghetti machen, da konnte ich Tina auch etwas geben. Nun wartete ich auf Stefan, allerdings hatte ich keine Ahnung welche Schicht er hatte. Seine schnellen Schritte hörte ich draußen auf dem Gehsteig. Ein paar Sekunden danach kam er zur Tür herein.
Er freute sich sichtlich, dass ich wieder da war. "Gut, dass du gekommen bist," sagte er und ich dachte, er freut sich ehrlich mich zu sehen. "Komm schnell mit, es ist dringend," drängte er, "die Kinder können solange allein bleiben." Er versprach in fünfzehn Minuten wären wir wieder zurück. Ich vergewisserte mich, dass Tina nichts anstellen konnte und ging gespannt mit Stefan hinaus.
Er steuerte direkt auf die Praxis meines Arztes zu. Was wollte er jetzt da mit mir? Wollte er dass ich morgen wieder zur Arbeit ging? Zu der Sprechstunden-Hilfe sagte er: "Meine Frau ist schon gekommen." Das Fräulein wollte dem Arzt Bescheid geben.
Mich schickte sie in ein kleines Behandlungszimmer. Der Doktor kam mit einer Spritze in der Hand. "Was soll das," fragte ich verblüfft. Der Arzt war nicht gerade freundlich zu mir, haute mir die Spritze in den Hintern und sagte: "Hat ihr Mann nicht erzählt, dass er eine Geschlechtskrankheit hat?" "Das kann aber nicht sein, ich komme ja eben aus dem Krankenhaus, wegen meiner Galle," machte ich ihm klar.
Er erkundigte sich kurz wie es mir denn geht, dann hatte er keine Zeit mehr. Im Hinausgehen belehrte er mich noch: "Keinen Verkehr bis es weg ist." Na die Lust darauf war mir schon vergangen. Der Arzt hatte mich wie eine Dirne behandelt. Ich war bis ins Mark gekränkt.
Stefan hatte wieder sein gewohntes Tempo drauf, ich blieb ein Stück zurück. Er blieb stehen und fragte: "Wo bleibst du denn? Das war doch nicht schlimm." "Ich kann die Hektik nicht vertragen, lauf schon vor und lass mich in Ruhe," schimpfte ich. "Und übrigens warum hast du die Nutte nicht mit zum Arzt genommen, bei der du dir die Krankheit geholt hast?" Er versicherte die nur einmal gesehen zu haben und die hätte ihn verführt. Ja sicher! Das konnte ich ihm nicht glauben.
Wir kamen zu Hause an, und Tina saß auf dem Töpfchen. Sie hatte die Hose nicht unten, woher sollte sie denn wissen, wie man die herunterzieht.
Daheim zog er widerliche Teile vom Ochsen aus seiner Tüte, er sagte, das wären Hoden und ich sollte die in der Pfanne anbraten. "Nein, so unkultivierte Sachen brate ich nicht an." Ich zog den Kocher vor, stellte ihm die Pfanne hin und sagte "Bitte sehr und deck einen Deckel darauf, sonst wird’s mir schlecht." Mir reichte in dem Fall ein Brot.
Heute Nacht wollte ich nicht ins Bett gehen, die Zeit würde ich mir mit Waschen vertreiben. Als er sein "Festessen" eingenommen hatte, ließ er sein Geschirr auf dem Tisch. Er ging an den Vorratsschrank holte die Flasche "Rotbäckchen" hervor, die Marita für Tina gekauft hatte. Die war noch gar nicht offen, darum öffnete er sie, setzte sie an den Hals und trank sie in einem Zug aus. Dann rülpste er mindestens zweimal, zog seinen Anzug aus und ließ sich krachend in mein Bett fallen. Ich holte tief Luft und schluckte.
Meine Kinder musste ich noch für die Nacht frisch anziehen, Heinz bekam ein Fläschchen und Tina gab ich einen Brei. Frisch angezogen und gefüttert, würden sie vielleicht schon durchschlafen.
Beide legte ich ins Kinderbett und es war wunderschön, wie sie da so friedlich schliefen. Dann klopfte es am Fenster. So spät, dachte ich, das kann doch nicht wahr sein. Ich zog den Vorhang zur Seite. Ein Mädchen stand draußen und rief Stefan. Ich ging leise hinaus zur Haustür. Das Mädchen war höchstens fünfzehn und wollte bei Stefan übernachten. Sie war dreckig und ungekämmt. Als ich sie nicht herein lassen wollte, schob sie mich zur Seite und ging an mir vorbei ins Zimmer. Bis ich richtig gucken konnte, lag sie auch in meinem Bett.
Meine Krankenhaus-Entlassung hatte ich mir ein wenig anders vorgestellt. Morgen wollte ich zu Polizei gehen und das Mädchen anzeigen, sie war minderjährig und gehörte nach Hause zu ihren Eltern und nicht in mein Bett.
Stefan stand früh auf und wollte zur Frühschicht. "Was ist das für ein unmögliches Mädchen," wollte ich von ihm wissen. "Ich habe keine Ahnung, die war schon mal da, sie hat kein Zimmer. Ich hatte ihr aber gesagt, dass sie nicht mehr kommen darf, weil meine Frau zurück kommt." erklärte er, als ob es das normalste von der Welt war. "Wie heißt sie denn," wollte ich wissen. "Doris", mehr wusste er auch nicht. Er ging zur Arbeit und ich versorgte meine Kinder. Heinz kam in den Kinderwagen und Tina durfte am Fußende sitzen. Dann ging ich zur Polizei.
Die staunten als ich am frühen Morgen mit zwei Kindern in die Wache kam. Einer der Beamten kam gleich und wollte wissen, was passiert war. Ich erzählte, dass ich lange im Krankenhaus war und sich in der Zeit ein Mädchen bei mir eingenistet hatte. Möglicher weise hieße sie Doris, ob sie vielleicht vermisst wurde.
Ein anderer Polizist schob Mappen hin und her und brachte eine Mappe mit einem Foto. "Ist sie das?" wollte er wissen. "Ich erkenne ja keine Gesichter, aber den Haaren nach glaube ich schon." Die wurde seit zwei Monaten vermisst. Ich gab meine Adresse an und bat, dass man sie holen sollte. Der Beamte wollte fünf Minuten warten und dann nachkommen.
Er hielt sein Wort und kam, als ich gerade zur Haustür hineinging. Doris hatte sich so richtig breit gemacht, und fand es unverschämt als sie geweckt wurde. Der Polizist zog sie unsanft aus dem Bett. Ich verlangte die Anschrift der Eltern, die sollten mir mein Bett ersetzen. da wollte ich nicht mehr drin schlafen. Als ich sagte, dass sie geschlechtskrank sei, verstand er mich sogar. Er wollte mit den Eltern reden, das waren ordentliche Leute, versprach er.
Nun fing ich an meine Wäsche zu waschen, gestern war ich ja nicht dazu gekommen, da hatte ich sie nur aufgekocht. Tina durfte mit in den Waschraum, bei jedem Teil was ich in die Hand nahm guckte sie genau hin. Wenn es was von ihr war, rief sie „Tina“ alles andere war „Mama“ wenigstens für sie.
Gerade waren wir fertig da kam ein Herr. Er stellte sich höflich vor, er sei der Vater von Doris. Er wollte den Schaden bezahlen. Die Angelegenheit war ihm furchtbar peinlich, vor allem, weil seine Tochter meinen Mann angesteckt hatte. Keinen Augenblick hatte er an meiner Aussage gezweifelt, denn seine Tochter hatte schon sehr viel angestellt. "Ein Federbett, ein Kissen, und eine Matratze," sagte ich, "aber neu, denn ich hatte es gerade gekauft und ich bin sehr eigen." Er schaute mich an, als ob er etwas fragen wollte, da fügte ich noch hinzu: "Wenn sie möchten können die die benutzten mitnehmen." Er rechnete und zog seinen Geldbeutel und gab mir 400.--Mark.
Dann fragte er mich ob die Angelegenheit damit aus der Welt sei. Weil ich nicht gleich ja sagte, legte er noch einen Schein obendrauf. Ich gab ihm versöhnend die Hand und verabschiedete mich, ich müsse jetzt die Wäsche aufhängen. Als ich im Zimmer war, nahm ich meine Kinder und drückte sie an mich und sagte: "die Mama hat ein richtig gutes Geschäft gemacht." Die 500.-- Mark kamen in den Waschlappen in ein neues Versteck. Ich brauchte ja nur eine neue Matratze ein neues Federbett hatte ich ja von meiner Firma bekommen, es lag im Kleiderschrank.
Wenn ich in zwei Wochen das größere Zimmer bekam, sollte Stefan sehen, dass er ein eigens Bett kaufte. Für ihn war das versaute Bettzeug gut genug.
Tina durfte im Zimmer spielen und ich ging Wäsche aufhängen. Von meinem "Baby Doll" Nachthemd war nur noch das Hemd da. Ich nahm an, dass er es der Doris gegeben hatte. Um elf war ich dann so müde. Schnell gab ich den Kindern zu Essen, dann nahm ich das Kissen aus dem Kinderbett und legte mich unten ans Fußende von meinem Bett. Die beiden Kleinen nahm ich auch mit. Weil ich so müde war, dachte ich nicht mehr viel nach und schlief ein.
Als Tina keine Lust mehr hatte allein im Bett zu spielen, wurde sie unruhig. Es blieb mir nichts anderes übrig, jetzt musste ich aufstehen. Ich kochte die Nudeln, die ich gestern nicht gemacht hatte und dachte: Morgen muss ich einkaufen gehen. Tina mochte die Spaghetti und wir aßen gemeinsam. Nachher sah sie aus wie ein Clown ich hielt sie vor den Spiegel und wir mussten beide lachen.
Heinz war seine Flasche wichtiger. Danach wollte Tina aufs Töpfchen und sie freute sich, wie es so schön klappte. Dann gingen wir gemeinsam zu Klo um es zu leeren. Tina war ganz stolz, als sie mit dem leeren Topf über den Flur ging. Sie räumte ihn sogar selbst, an die richtige Stelle.
Spät abends kam Stefan. Er hatte zwei Tüten voll eingekauft. Ich räumte sie Lebensmittel ein und strafte ihn mit Verachtung. Er hatte keine Ahnung, wo Doris war, und so sollte es auch bleiben. Er spielte mit den Kindern, da konnte ich die Wäsche von der Leine holen. Die legte ich auch gleich zusammen und versorgte sie in den Schrank. Er aß den Rest Nudeln und danach noch ein Brot. Nebenbei grinste er immer zu mir herum und glaubte scheinbar, alles sei wieder in Ordnung.
Mich ärgerte es, dass ich keine Wolle hatte zum Stricken, da hätte ich mir gern einen Pullover gestrickt. Der Winter würde bald kommen und richtig warme Pullover kosteten sicher 50.-- Mark. Morgen würde ich mir Wolle kaufen. Jetzt legte ich mir ein Kissen auf den Tisch und schlief auf dem Stuhl. Ich ekelte mich ins Bett zu gehen.
Am nächsten Tag hatte ich viel vor. Zuerst wollte ich meine Firma besuchen und sagen, dass ich bald wieder kommen konnte. Die Abteilungsleiterin hatte für mich eine saftige Nachzahlung, mit der hatte ich gar nicht gerechnet. Meine Maschine wartete auch noch auf mich. Wenn ich gesund sei, sollte ich Akkord arbeiten, teilte sie mir mit. Das waren schlechte Aussichten, denn bei mir riss laufend der Draht, da würde ich wenig verdienen. Aber vielleicht hatte sie ja auch eine andere Arbeit für mich. Jetzt war ich noch krankgeschrieben.
In Stuttgart machte ich Zwischenstopp, ich hatte vor, das Kaufhaus zu durchforsten. Mit meinem Kinderwagen zwängte ich mich durch die Abteilungen. Die Kinder brauchten dringend ein paar Sachen und Tina benötigte Schuhe. Schließlich kaufte ich Schuhe für Tina und zwei warme, gleiche Hosen. Die Hosen waren praktisch, dunkelblau und mit Punkten Auf der Schulter wurden sie geknöpft. Ich hatte zwei verschieden Größen genommen, eine für Heinz, und eine Hose für Tina. Wolle fand ich nicht, aber das Speiselokal. Ich schob meinen Kinderwagen hinein und setzte mich an einen Tisch.
Tina nahm ich aus dem Wagen, sie durfte auch an den Tisch, Heinz bekam seine Flasche, die ich zu Hause warm eingepackt hatte. Dann bestellte ich mir das Tagesessen. Bei mir dachte ich: Was ich unterwegs esse, habe ich später nicht in meiner Tasche, die anderen Sachen wollte ich vor Stefan verstecken. Tina bekam von meinem Teller, bis sie satt war und Heinz hielt seine Flasche schon selbst.
Als er sie leer hatte, warf er sie aus dem Kinderwagen. Die Leute am Nebentisch lachten. Als Nachtisch aßen wir noch ein Eis, das schmeckte beiden Kindern. Von da aus ging ich wieder zur Mittelstandshilfe um eine neue Matratze zu kaufen. Die wollte ich auf jedem Fall selbst kaufen, weil ich bei Stefan wusste, dass er an allen Ecken sparte. Am Ende würde er sicher mit einer gebrauchten kommen. Ich kaufte die gleiche wie letztes Mal und bezahlte wieder 40.-- Mark. Der Verkäufer bedauerte, dass sie erst nächste Woche nach Ludwigsburg kämen. Das fand ich früh genug.
Die Zeit verstrich, und ich hatte noch so viel vor. Als nächstes ging ich in eine Apotheke. Ich wollte ein gutes Desinfektionsmittel, um mein Bett sauber zu bekommen. Mein Federbett sollte ich in die Reinigung geben, riet mir der Apotheker. Für die Matratze gab er mir eine Sprühflasche und ein flüssigen Mittel für die Wäsche. Das sollte ich ins Waschwasser mischen. Dazu nahm ich noch eine Flasche Desinfektionsmittel, für die Körperhygiene. Als ich es gezahlt hatte, fühlte ich mich schon besser, obwohl ich es noch gar nicht benutzt hatte.
Jetzt musste ich aber dringend in den Hort, und fragen, ob ich die Kinder wieder bringen durfte. Als ich geklingelt hatte, kam ein Fräulein, die musste die Hortleiterin fragen. Die hatte zuerst gar kein Verständnis, weil wir die Kinder so lange nicht gebracht hatten. Als ich ihr dann erklärte, dass ich neun Wochen im Krankenhaus war, lenkte sie ein. Ich durfte beide wieder bringen. Sie brachte einen neuen Anmeldeschein zum ausfüllen, denn sie hatte die Kinder schon abgemeldet.
Als ich dann heim ging, hatte ich noch keine Wolle gekauft, aber der Wollladen, lag nicht auf meinem Weg, der war abseits.
Tina und Heinz waren fix und fertig und wollten gleich schlafen. Zuerst mussten sie aber noch trocken gemacht werden. Tina durfte aufs Töpfchen und Heinz wurde ganz frisch gewickelt. Dann lagen sie im Bettchen und schliefen gleich ein.
Jetzt kam das Bett an die Reihe. Die Wäsche zog ich schon wieder ab und öffnete das Fenster. Den Kindern spannte ich einen Regenschirm auf, damit sie weder Zugluft, noch Sprühnebel abbekommen sollten. Dann fing ich an die Kissen, das Bett und die Matratze zu besprühen. Ich hörte erst auf, als die Flasche leer war. Dann legte ich das Bett ins Fenster und stellte die Matratze zum Trocknen auf. Der Apotheker hatte eine halbe Stunde gesagt, ich musste das Doppelte rechnen. Die Wäsche weichte ich im Kessel ein und fügte von den Mittel hinzu. Es wurde mir langsam wohler in meinem Zimmer.
Nun überlegte ich, wie ich meine Arbeit einteilte, wenn ich wieder zur Arbeit musste. Mit der Wäsche würde ich dann in den Waschsalon gehen, nahm ich mir vor. Nebenbei setzte ich das Essen auf den Kocher, Stefan hatte ein Suppenhuhn eingekauft. Das Huhn konnte er ganz haben, ich wollte nur von der Suppe.
Das mit dem Kochen auf dem Fußboden war schon ein Problem, darum holte ich auch noch schnell die frische Bettwäsche aus dem Schrank. Mir war schon einmal der Topf beinahe umgefallen, als ich an den Schrank ging. Nächste Woche würde ich ja das große Zimmer bekommen, dann konnte es nur besser werden. Ich war voller Zuversicht, und freute mich auf die nächste Woche.
Nun würde es nicht mehr lange dauern, dann musste Stefan kommen. Schnell überlegte ich noch einmal, ob ich auch nichts liegen gelassen hatte, was er nicht sehen sollte. Da fiel mir der Geldbeutel ein. Ich nahm alles daraus, was über 20.-- Mark war. Dann stieg ich auf den Stuhl und packte es in den Waschhandschuh, den ich auf dem Schrank hinter einer Zierleiste versteckt hatte. Kurz überlegte ich, ob es nicht besser sei, es auf die Bank zu tragen. Dann hörte ich Stefan kommen und stieg vom Stuhl herab.
Er kam ins Zimmer und sah das auseinander gebaute Bett und wollte wissen, was ich da machte. "Tripper-Bekämpfung!" gab ich ihm zur Antwort. "Ach, Anne du hast doch ein Spritze gekriegt." belächelte er mich. "Ich kann nicht in einem Bett schlafen, wo du deine Tripper-Orgien gehabt hast!" schrie ich ihn an. Er wurde böse: "Nicht so laut, das Fenster ist offen," bettelte er. Jetzt war ich richtig in Fahrt und schrie: "Das können die Leute ruhig wissen, was du für ein dreckiger Mann bist." Er hatte Angst, dass ich noch mehr zum Fenster hinaus preisgab. Da ging er an seine Schublade holte sein Waschzeug und wollte sich waschen gehen. "Dann zieh auch frische Wäsche an und tu Seife ins Waschwasser, sonst wirst du nicht sauber."
Es tat mir gut, ihn bloßzustellen. Er hatte mich genug gedemütigt. Im Schrank suchte er nach einer Unterhose und einem Unterhemd. Seine einzige Unterhose fand er schließlich Hemden hatte er genug. Drum bohrte ich aufs Neue: "Wenn man den Tripper hat, muss man jeden Tag eine frische Unterhose anziehen." Ich solle wie eine Griechin freundlich, und mit leiser Stimme mit ihm sprechen. Statt zu schimpfen müsste ich Mitleid haben, glaubte er.
Ich versuchte ihm klar zu machen, dass er aber mit einer deutschen Frau verheiratet sei, dafür ja auch einen deutschen Pass bekommen hatte. Er hätte ja eine Griechin heiraten können, die mit sanfter Stimme zu ihm sagte: "Ach lieber Stefan, wie geht es dir und deinem Tripper?" Jetzt wurde er böse und hob seine Faust. "Wenn du mich noch einmal schlägst, zeige ich dich an!" schrie ich. Da hatte er genug und ging in den Waschraum.
Die Kinder waren schon wach. Ich holte die Betten ins Zimmer und schloss das Fenster.
Das Suppenhuhn war schon gut. In die Suppe gab ich etwas Reis und schmeckte das Essen ab. Dann schaltete ich den Topf aus, und bezog das Bett. Tina wollte aufs Töpfchen, das war jetzt denkbar ungünstig, aber ich ließ sie, und blieb daneben ihr stehen. Nebenbei versuchte ich ihr zu erklären, dass der Kochtopf heiß sei, und dass heiß immer weh tut. Sie sagte heiß, heiß und pullerte in ihr Töpfchen. "Fein hast du das gemacht," lobte ich sie.
Dann musste sie im Kinderbett weiter spielen, und ich machte das Bett fertig. Stefan kam aus dem Waschraum, und hatte sogar die Haare mit dem kalten Wasser gewaschen. Seine schmutzige Wäsche schob er in den Waschkessel und bemerkte: "Ich kann nicht jeden Tag eine saubere Unterhose anziehen, ich habe nicht so viele." Im Kaufhaus kannst du ganz viele kaufen," beriet ich ihn. Daraufhin sagte er: "Kaufen kaufen, das ist dein Lieblingswort." Jetzt musste ich tief Luft holen damit ich nichts sagte.
Dann stellte ich den Topf auf den Tisch, und zwei Teller und eine Schüssel für das Huhn. Den Kocher schob ich unter den Schrank, jetzt konnte Tina aus dem Bett heraus. Als ich den Deckel vom Topf nahm, sagte ich ironisch: "Ich habe dir ein Hühnchen gekocht, damit du wieder gesund wirst." Gleichzeitig nahm ich das Hühnchen aus dem Topf und legte es in die Schüssel.
Ein Beinchen war abgebrochen. Wenn er es in seiner Gier nicht noch suchte, konnte ich es mit Tina essen. Er aß gleich aus der Schüssel und legte die Knochen in den Teller. Dann war er fürs Erste satt und und suchte nach Rotbäckchen-Saft. Es war aber nur Milch im Schrank. Durstig trank er die Milch aus und sagte: "Die war nicht mehr gut." Er wollte jetzt noch Sprudel kaufen gehen.
Da die Läden schon zu hatten, ging er zum Bahnhofs-Kiosk. Genug Zeit für mich und Tina einen Teller Suppe zu essen. Als Heinz merkte, dass wir am Essen saßen, wollte er auch seine Flasche. Ich machte ihm das Fläschchen und dachte typisch, wie der Papa, er will immer zuerst bedient werden. Dann lachte er, als er die Flasche in der Hand hatte.
Stefan kam lange nicht, wahrscheinlich war er bis nach Stuttgart gefahren um den billigsten Kiosk ausfindig zu machen. Was auch immer, wir nutzten die Zeit um zu spielen. Auch Heinz war dabei, er sollte müde werden, damit ich durchschlafen konnte. Als beide die Augen nicht mehr aufhalten konnten, zog ich sie um und legte sie ins Bett. Ich musste jetzt auch dringend schlafen. Ich legte mich ans Fußende ganz an die Wand, und hoffte dass er seine Füße auch gewaschen hatte.
Als er kam, war Mitternacht schon vorbei. Ich stellte mich schlafend und als er das sah, holte er den Topf mit der Suppe und machte ihn warm auf der Kochplatte. Dann aß er die Suppe und schob das dreckige Geschirr zur Seite. Während er sich auszog, schob mit dem Fuß den Elektro-Kocher unter den Schrank. Danach ließ er sich erschöpft ins Bett fallen. Ich regte mich im Stillen auf und konnte lange nicht einschlafen.
Da lag ich also halbwach und dachte über den Tag nach. Wenn mir die Zeit gereicht hätte, wäre ich gern noch zum Friseur gegangen, Ich wollte meinen Pferdeschwanz abschneiden lassen. Dann überlegte ich, wann ich wohl in das neue Zimmer könnte.
Etwas roch seltsam im Zimmer. Ich überlegte, was es sein konnte. Licht brauchte ich keines, die Straßenlaternen waren hell genug. Ich schaute unter den Schrank, da glühte es und knisterte leise. Als ich den Kocher vorzog, war die Platte glühend heiß.
Jetzt musste ich doch Licht anmachen. Im Schrank schmorte meine teure Bettwäsche. Der Boden vom Schrank war schon durchgebrannt. Ein richtiges Feuer war noch nicht ausgebrochen, aber man konnte schon kleine Funken sehen. Schnell holte ich den Eimer unter dem Tisch vor und rannte in den Waschraum. Dann goss ich das Wasser über die glimmende Bettwäsche. Jetzt stank es noch mehr im Zimmer. Es blieb mir nichts andere übrig, als das Fenster zu öffnen.
Dann guckte ich noch einmal nach dem Feuerchen. Das war gelöscht. Meine Bettwäsche war jetzt auch zum Waschen fällig. Jetzt hatte ich Beschäftigung und putzte meinen Schrank sauber aus. Dann legte ich alles zurück in den Schrank bis auf die Sachen, die nass geworden waren.
Wenn ich in den Waschsalon ging, wollte ich die ganze Wäsche frisch waschen, der Gestank würde sonst nicht weggehen. Der untere Bettbezug hatte so gelitten, für den kam alles zu spät, den konnte ich auch nicht mehr flicken. Die Kinder waren gut zugedeckt, drum machte ich die Tür zum Flur auf, und lüftete noch einmal richtig durch.
Stefan schlief gut und hatte nichts mitbekommen, dabei war er der Übeltäter. Gegen Morgen hatte ich genug gelüftet. Ich machte das Fenster zu und legte mich wieder ins Bett. Am nächsten Morgen stank es immer noch im Zimmer, es konnte sein, dass es von der Bettwäsche kam. Ich musste das Fenster wieder aufmachen. Dann räumte ich den Tisch ab und spülte das Geschirr, damit ich die Kinder auf dem Tisch anziehen konnte.
Auf dem Flur wurden Möbeln hin und her geschoben. Der neue Hausmeister zog um. Stefan wurde wach und tobte was da los sei, heute war doch Sonntag. Er zog sich an und rannte auf den Flur. "Ja, pack mal mit an, sagte der Italiener." Als der große Schrank in der neuen Wohnung war, kam Stefan zu mir und sagte: "Frag mal ob du das große Zimmer haben kannst, der Italiener zieht aus." "Weiß ich doch," kam es von mir, "in das Zimmer können wir." "Warum weiß ich das nicht?" wollte er wissen. "Weil ich neun Wochen im Krankenhaus war und du mich nicht einmal jede Woche besucht hast," bemerkte ich mit spitzer Zunge.
Ich musste die Kinder noch fertig anziehen, und ihnen das Essen machen. "Hilf denen mal ein wenig, dann helfen die uns nachher auch," versuchte ich ihn los zu werden. Jetzt musste ich schon wieder mein Geld in Sicherheit bringen. Stefan hatte es plötzlich eilig, er wollte jemanden für das Zimmer finden und da sicherlich auch wieder abkassieren. Notfalls schiebe ich meine Möbel allein über den Flur, dachte ich.
Ich heizte meinen Waschkessel auf, damit ich die Wäsche noch vorher fertig machen konnte. Denn wenn die auf der Leine hing, brauchte ich die nicht schmutzig mit zu nehmen. Mir ging die Arbeit nicht aus und nebenbei beschäftigte ich mich mit den Kleinen.
Tina hatte ich eine Banane gegeben. Sie wollte Heinz etwas abgeben und konnte es nicht fassen, dass er nichts wollte. Schließlich schlug er Tina ins Gesicht. Die fand das nicht lustig und fing an zu weinen. "Ja Tina, so sind die Männer, wenn denen was nicht passt, kriegst du die Backe voll", tröstete ich sie.
Dann gab sie mir den Schlappohrhasen, und wollte das Osterhasenlied hören. Na toll, sagte ich zu mir, warum hat sie nicht auch einen Hund oder eine Katze, das wäre zeitlos. Also sang ich von blauen und roten Eiern. Nebenbei machte ich den Kindern ihr Essen und hatte Glück, weil sie beide einen Mittagsschlaf machten.
Die Frau des Italieners kam, sie war auch Deutsche, und sagte, dass sie mir noch was zeigen wollte. Wir gingen in das Zimmer, was sie gerade geputzt hatte und zeigte mir eine dunkelrote Liege, und ein eisernes Bettgestell. Sie hatten doch ein neues Schlafzimmer gekauft und das war jetzt übrig.
Wenn ich es wollte, könnte sie es stehen lassen. Das war gerade recht, dachte ich und sagte. "Von mir aus, können sie es stehen lassen." "Gut," bemerkte sie, "Aber die Matratze haben wir selbst gebraucht." "Nein, das macht nichts," sagte ich erleichtert, denn ich mochte keine gebrauchte verpinkelte Matratze von Leuten, die ich nicht richtig kannte.
Das Geschirr packte ich in meinen Wäschekorb und trug den in das neue Zimmer. Danach folgten die zwei Stühle und der Tisch. Den Tisch stellte ich in die Fensterecke. Der Witz war, dass genau da auch der Briefschlitz war, wenn Post kam, landete die direkt auf dem Tisch. Die rote Liege kam gleich neben den Tisch, so hatte Tina auch Platz am Tisch wenn wir zusammen essen wollten.
Die Betten stellte ich einzeln, eines an die Außenwand und eines an die Innenwand. In die die Mitte davor, das Kinderbett, so dass ich von allen Seiten heran konnte. Ich schob den Lebensmittelschrank über den Flur und ich glaube zu träumen, da kam Tina mit ihrem Töpfchen hinterher. Sie hatte gemerkt, dass wir umzogen.
Da war auch ein kleines Waschbecken in dem Zimmer. Daneben stellte ich den kleinen Schrank mit den Lebensmitteln und oben darauf den Kocher. Jetzt fehlten nur die großen Schränke. Ich war zufrieden, es sah auch fast gut aus. In der Mitte vom Zimmer war noch jede Menge Platz zum Spielen für die Kinder. Ein Ofen war auch in der Ecke, neben der Eingangstür. Normal fehlte nichts, nur ein Teppich vielleicht später. Aber jetzt wollte ich Kaffee.
Ich trank gemütlich meinen Kaffee, und gab Tina einen Zwieback. Ihr hatte ich einen Kakao gemacht. Den hatte ich mit Wasser angegossen und mit Dosenmilch aufgefüllt. Er schmeckte ihr.
Stefan hatte einen Nachmieter gefunden. Er zeigte ihm das kleine Zimmer und fragte mich: "Brauchst du die Schränke nicht mehr?" jetzt wollte er ihm doch tatsächlich die Schränke verkaufen. "Natürlich brauche ich die. Du musst mir helfen, das kann ich nicht allein." Die beiden Männer schoben die Schränke herüber. Da sah Stefan dass ich jetzt zwei Betten hatte, und wollte gleich eines verkaufen.
Nun wurde ich ungemütlich: "Wir sind zwei erwachsene Personen und brauchen zwei richtige Betten. Nur Gesindel schlafen alle in einem Bett." Dann sollte ich ihm wenigstens die Liege geben, wollte Stefan, aber ich wollte nicht. "Ich habe auch alles kaufen müssen, und um ein Haar hättest du heute Nacht alles angezündet." fauchte ich.
Als ich sagte, dass er den Kocher nicht ausgemacht hatte, stritt er es ab, er hätte die Hühnersuppe kalt gegessen, behauptete er. Jetzt mussten die beiden wieder weg, sie hatten irgendwo Sperrmüll gesehen, das war mir gleich. Ich richtete sein Bett, selbst würde ich heute Nacht auf der Liege schlafen. Die Schränke konnte ich morgen fertig einräumen.
Am Montag schlief Stefan länger, er hatte Spätschicht. Pünktlich brachte ich Tina und Heinz in den Hort. Dann ging ich heim um mein Zimmer vollends aufzuräumen. Als ich mit den Schränken fertig war, stand Stefan auf. Ich machte Kaffee und er trank ihn im Stehen. Nebenbei stecke er ein Brot in den Mund, er war schon wieder in Eile.
Bevor er zur Arbeit ging, hatte er noch viel zu erledigen ,für seine Verwandten. Wer s glaubt wird selig, dachte ich und hatte das Gefühl, dass er die "Geschäfte" seines Bruders fortführte. Das wollte ich gar nicht so genau wissen und ich hakte nicht nach. "Wann gehst du wieder zur Arbeit?" wollte er wissen. "Jetzt bin ich noch zwei Wochen krank und dann habe ich noch den Urlaub vom letzten Jahr," triumphierte ich. Er wackelte wieder mit seinem Kopf und nach dem "Zt zt," kam "Faulentia."
Danach schaute er in meinen Geldbeutel und meinte: "Ich warte immer darauf, dass du mir Geld gibst für meine Familie in Griechenland. Wenn du dein Geld holst, bring es geradeaus direkt zu mir!" Ja ja," gab ich zur Antwort, "Dir werde ich mein Geld geben, und die Kinder und ich haben nichts zum Anziehen."
Seine Schuhe waren schon wieder durchgelaufen ich sollte sie zum Schuster bringen. Nach kurzem Überlegen, nahm er die Schuhe, stellte sie in den Schrank zurück und sagte: "Lass das, ich werde es in Griechenland machen lassen." Dann war er weg, und ich ging ins Dachgeschoss um die Wäsche zu holen.
Die Wäsche wollte kein Ende nehmen, dazu kam, dass ich auch noch bügeln musste. Ungebügelte Bettwäsche mochte ich nicht, sonst war ich nicht scharf auf Bügeln. Während ich noch mit der Wäsche kämpfte, kam meine Matratze. Mein Bett konnte ich jetzt also auch beziehen. Höchst zufrieden über mein schönes geräumiges Zimmer, kochte ich mir eine Suppe. Das reichte mir, denn Stefan aß in der Werkskantine, und die Kinder wurden im Hort versorgt.
Heute wollte ich unbedingt Wolle kaufen. Für den Winter hatte ich keinen keinen Pullover. Also nahm ich noch ein wenig Geld mit, und machte mich auf den Weg zum Wollgeschäft. Das war am anderen Ende der Stadt und es ging immer bergauf. Ich war froh, dass ich die Kinder nicht mitnehmen musste. Die Ladenbesitzerin saß an einer Strickmaschine und strickte einen Norwegerpulli. Sie stand auf und fragte was ich möchte. Mich interessierte ihre Arbeit. Sie strickte mit einer Strickmaschine, die ich von meiner früheren Chefin, der Frau Herzig kannte.
Sie erklärte mir die Maschine und als sie den Preis nannte, fiel ich fast in Ohnmacht. "Ja," sagte sie, "das ist auch das allerneueste Modell, und die hat ein Doppelbett." Sie nahm mich mit in die Ecke, da stand eine einfache Maschine. "Die hatte ich als Vorführmaschine, die bekommen sie für 150.--Mark, wenn sie möchten." Ich überlegte, und bedauerte leider nicht so viel Geld dabei zu haben, weil ich ja nur Wolle kaufen wollte.
Sie hatte zusätzlich einen Wollbehälter und einen Wollwickler, ein paar Ersatznadeln legte sie auch noch dazu. Dann hob ich die Maschine an und klagte: „Die kann ich sowieso nicht den weiten Weg nach Hause tragen.“ "Wenn sie das Geld zu Hause haben, bringe ich ihnen die Maschine heute Abend mit meinem Auto," bot sie mir an.
Extra für Stickmaschinen hatte sie Restposten in großen Beuteln abgepackt. Das waren Posten vom Fabrikverkauf. Sie brachte noch ein paar Stickmodehefte, direkt für die Strick-Maschinen zwei waren älter, die gab sie mir so, die neuesten musste ich bezahlen. Ich hatte zwar Angst vor Stefan, aber ich konnte nicht widerstehen. Nun zahlte ich alles bis auf die Maschine, das Geld wollte ich ihr bei Lieferung geben.
Es kann gut sein, dass ich keinen so wohlhabenden Eindruck gemacht hatte. Als ich zur Tür ging fragte sie noch einmal nach: "Aber die 150.--Mark haben sie doch, nicht dass ich umsonst komme." "Wollen Sie, dass ich noch einmal mit dem Geld komme?" fragte ich beleidigt. Nachdem sie verneint hatte, ging ich mit meinen Wolltüten heim.
Dort suchte ich mir ein Muster aus, für einen Pulli für mich und fing an das Garn dafür aufzuwickeln. Als ich Tina und Heinz vom Hort abholte, ging ich beim Metzger vorbei und kaufte Bratwürstchen für das Abendessen. Tina war die ganze Zeit am singen, sie ging gern in den Hort. Heinz war auch schon bei den Krabbelkindern, und war rundum zufrieden.
Das Geld für die Maschine hatte ich auf den Schrank gelegt. Wenn sie jetzt käme, könnte ich gleich anfangen mit dem Pullover, damit ich schon ein Stück fertig hatte bis Stefan kam. Ich hatte immer noch meinen Nähkasten, den ich bekommen hatte, bevor ich in die Schule kam. Daraus holte ich mein Zentimetermaß, denn das würde ich brauchen. Tina sang das Handwerkerlied, man konnte es kaum verstehen, aber mit den Händen machte sie die passenden Bewegungen.
Das mit dem Schwätzen wird schon, dachte ich, wann hätte sie es auch lernen sollen. Stefan wollte ja nicht, dass sie in den Hort ging. Ich hatte Zeit, und half ihr beim Singen. Sie strahlte.
Da klopfte es, und die Frau kam mit der Strickmaschine. Als sie meine ärmlichen Verhältnisse sah, hielt sie krampfhaft den Karton fest. "Stellen Sie die Maschine doch bitte auf den Tisch, das Geld liegt auf dem Schrank," sagte ich als wäre es das normalste auf der Welt. "Wenn es Fragen gibt, kommen sie vorbei," bot sie an, nahm das Geld und verabschiedete sich.
Ich überlegte: Erst als ich meine Adresse angab, und sie meinen griechischen Namen gehört hatte, war sie misstrauisch geworden. Vielleicht hätte ich doch den Namen Schiller behalten sollen, dachte ich.
Bevor ich jetzt mit der Arbeit begann, machte ich Abendessen. Für Tina und mich gab es drei Bratwürste und Kartoffelbrei. Die restlichen drei Würste waren für Stefan. Heinz bekam auch von dem Kartoffelbrei ein wenig, und Tina aß ein ganzes Würstchen und Brei dazu. Dann durfte Tina aufs Töpfchen. Danach legte ich beide ins Bett. Ich hatte festgestellt, dass die beiden, wenn sie zusammen im Bett lagen viel besser einschliefen.
Sie waren zufrieden und ich fing jetzt an einen Musterlappen zu stricken. Danach berechnete ich dann die Maschenzahl. Mir war ein schönes Streifenmuster aufgefallen, drei-farbig, mit breiten und schmalen Streifen. Das sah gut aus, und ging schnell. Die Bündchen musste ich später von Hand anstricken, denn die Maschine strickte nur linke Maschen. Die andere Seite war dann nur rechts gestrickt. Es lief wunderbar und fing auch noch beim Vorderteil an.
Es war fast elf Uhr, und ich arbeitete den Ausschnitt in das Vorderteil. Wenn es gut lief, würde ich fertig bis Stefan kam. Um elf Uhr hatte er Schichtwechsel. Bis er kam hatte ich das Teil fertig, und ich hatte die Bratwürste in der Pfanne. Heute würde ich ihm was zum Essen anbieten.
Die Maschine schob ich ein wenig zur Seite, damit sie nicht im Weg stand. Nebenbei hatte ich mir schon ausgedacht, was ich ihm vorlog wenn er fragte. Einen Schrubber und einen nassen Putzlappen hatte ich auch bereit gestellt. Jedenfalls wusste ich, dass er zuschlagen konnte und würde es nicht einfach so hinnehmen. Ich war für alle Fälle vorbereitet.
Dann kam er zur Tür herein. Als erstes sah er die Würstchen, und seine Augen blitzten gierig auf. "Sind die für mich?" war seine erste Frage. "Ja sicher," entgegnete ich und holte einen Teller und Besteck. Dazu hatte ich noch ein paar Scheiben Brot. Er setzte sich an den Tisch und sah die Maschine und den halbfertigen Pulli.
"Kannst du damit stricken?" kam es jetzt erstaunt von ihm. Dann schaute er die unfertigen Teile an und meinte: "Kannst du das morgen fertig machen, dann ziehe ich das an und alle Griechen wollen Pullover von dir." Als er gegessen hatte, stand er auf, und schaute die Maschine von vorn an. Er stellte fest: "Auch wenn du nichts machst damit, es ist ein schönes Stück Möbel."
Seine nächste Frage war der Preis. "Vier Raten zu fünfzig Mark," gab ich ihm zur Antwort. "Das ist gut," grinste er, "das ist richtig gut." Zwar wunderte ich mich sehr darüber, aber es sah so aus, als ob ich den Schrubber umsonst geholt hatte. Mir ging es aber nicht aus dem Kopf, warum er die Ratenzahlung so gut fand. Ihn musste ich mit seinen eigenen Waffen schlagen, er wollte überall dran verdienen, ich hatte den Dreh jetzt raus.
Er legte sich in sein Bett und merkte nicht, dass ich jetzt auch eine Matratze hatte. Mein Blick fiel auf seine Plastiktüte, in der heute mehr drin zu sein schien. Er hatte sich tatsächlich Unterhosen gekauft. Es kam mir wie ein Wunder vor. Vielleicht hatte er seine Kusinen zuerst gefragt, ob man mehr als zwei Unterhosen brauchte.
Ich schlief himmlisch in meinem Bett. Lange war ich nicht mehr so ausgeschlafen, als ich um sieben Uhr aufstand. Als ich Tina die Schuhe anzog, sang sie schon wieder: Zeigt her eure Füße zeigt her eure Schuh. An der Aussprache mussten wir noch arbeiten.
Als beide gefrühstückt hatten, brachte ich sie weg. Jetzt hatte ich Zeit bis um fünf. Ich machte mir Gedanken was ich kochen sollte. Beim Lebensmittelladen nahm ich eine Dose Gulasch mit, ich wollte Linsen kochen, und zum Schluss das Gulasch in die Suppe rühren.
Dann sah ich die Apfelsinen-Kisten und bettelte zwei ab. Die Kisten stellte ich zwischen Vorratsschrank und Waschbecken. Im Waschraum lagen Reste vom Fußbodenbelag, da suchte ich mir ein passendes Stück auf die zwei Kisten. Darauf kam jetzt der Kocher und in die Kisten mein Putzzeug und Kartoffeln und Zwiebeln. Mir gefiel es, weil es praktisch war. Als Stefan aufstand machte ich noch einmal Kaffee und für ihn ein Brot. Er wollte gerne Spiegeleier.
Als ich mit der Pfanne kam, fragte er: "Machst du das, oder muss ich das machen?" "Ich mache das schon," sagte ich. "Willst du nicht weiter stricken?" drängte er. Er konnte mich nicht aus der Ruhe bringen, ich glaubte, dass er schon jeden Tag einen Pullover vor sich sah, für fünfzig Mark. "Doch, ich mache gleich weiter, wenn alles andere fertig ist, sonst verzähle ich mich mit dem Muster, wenn ich immer abgelenkt bin.
Seltsamer Weise, hatte er es heute nicht eilig. Er schaute immer wieder die fertigen Teile an und nahm die Schere und fragte: "Die Fäden an den Seiten, kann ich die Abschneiden?" Durch den laufenden Farbwechsel, hingen einige Fäden an den Rändern. "Um Himmels Willen, nein die müssen vernäht werden," rief ich entsetzt.
Nun wollte er, dass ich ihm zeigte wie man die Fäden vernäht. Er begriff sofort und machte es sorgfältig, genau so, wie ich es ihm gezeigt hatte. Komisch dachte ich und fing an, die Ärmel zu stricken. Als er nach dem Mittagessen zur Arbeit losging, sagte er: "Die Fäden kannst du für mich lassen, ich mache das schon."
Während ich mich auf die Ärmel konzentrierte, ging mir das seltsame Benehmen von Stefan nicht aus dem Kopf.
Für die Ärmel brauchte ich etwas länger. Beim nächsten Pulli wollte ich vorher genau alles berechnen und am Rand der Modellzeichnung eintragen. Außerdem musste ich mir etwas einfallen lassen, was mir das Bündchenstricken ersparte. Als die Ärmel fertig waren, ging ich die Kinder holen. Das machte ich gemütlich, es sollte wie ein Sparziergang werden. Wir bogen von der Hauptstraße ab und Tina durfte neben dem Kinderwagen laufen.
Sie sah süß aus, in ihrem Kleidchen mit rot und grünem Karo. Ihr Kopf war voll blonder Locken. Sie sah aus wie Lena, meine kleine Schwester, die ich nie wieder getroffen hatte. Ich dachte an Papa, ob er stolz wäre auf seine Enkelkinder?
Zu Hause angekommen, trug ich Tina die zwei Stufen zur Haustür, sie war fast den ganzen Weg gelaufen. Den Kindern machte ich gleich das Essen, Tina aß gern, was die Großen auch aßen, und Heinz liebte seinen Brei. Ich suchte krampfhaft nach etwas zum Spielen für Tina, sie hatte nur den Hasen. Morgen musste ich etwas für sie kaufen. Schließlich fand ich ein paar leere Verpackungen, die gab ich ihr und sie hatte sogar Spaß daran. Nebenher strickte ich die Bündchen an die Pulloverteile.
Um acht brachte ich die Kinder ins Bett, und eine Stunde später hatte ich den ersten Pullover fertig. Als ich die Nähte gedämpft hatte, legte ich ihn aufs Bett zum ansehen.
Danach stellte ich mir das Garn für den nächsten Pulli zusammen. Genau rechnete ich aus, wann ich wie viel ab- oder zunehmen musste, und trug es im Heft ein. Die Bündchen würde ich durch einen Saum ersetzt, das ersparte mir viel Zeit. Den Saum konnte ich mit der Maschine machen. Dann fing ich wieder beim Rückenteil an.
Stefan war begeistert, und rechnete: "Jeden Tag einen Pullover für 50.-- Mark, ist mehr wie wir in der Fabrik verdienen." "Moment," sagte ich, "und die Wolle? Die kostet doch auch." Für einen Beutel hatte ich 30.-- Mark bezahlt und ich schätzte das ich aus einem Beutel drei Pullover stricken konnte, so sagte ich: "Für jeden Pulli brauche ich 20.-- Mark. Damit ich wieder neue Wolle kaufen kann." Er kratzte sich hinterm Ohr und meinte dann, "dreißig Mark ist auch gut für einen Pullover." Das sind im Monat 900.-- Mark. Wir verdienen in der Fabrik zusammen nur 1000.-- Mark. Das ist gut, wir werden Kapitalisten."
Ich erklärte ihm, dass ich Tina ein Spielzeug kaufen musste, sonst konnte ich nicht arbeiten. Das sah er sogar ein, und ich sollte gleich morgen etwas kaufen. Er schaute in meine Börse. Da hatte ich aber nicht viel darin. So legte er mir noch zwanzig Mark auf den Schrank.
Weil Stefan so maßlos war, in seiner Verkaufsplanung, ging ich am nächsten Tag ein Kleingewerbe anmelden. Der Beamte nannte mir einen Betrag, den ich schätzungsweise verdienen könnte, was darüber sei, müsse ich versteuern. Dann bekam ich einen Gewerbeschein. Bei mir musste alles seine Ordnung haben, jetzt war ich zufrieden.
Im Kaufhaus kaufte ich Bauklötze für Tina und ein Bilderbuch von den fleißigen Handwerkern. Dann ging ich wieder an meine Arbeit.
Es ging einige Wochen gut, und ich musste wieder zur Arbeit. Jetzt sollte ich auch Schicht arbeiten. Das machte mir nichts aus, aber beim Akkord kam ich auf keinen Stundenlohn. Das hatte ich schon gewusst, und auf die Dauer würde ich es nicht machen wollen. Die Kinder kamen regelmäßig in den Hort, das war mir wichtig, denn da lernten sie viel. Stefan verdiente gut mit meinen Pullis, und vernähte fleißig Fäden. Ich glaubte schon fast an ein Wunder.
Zwischendurch ging ich in das Wollgeschäft, um neues Strickgarn zu kaufen. Von Stefan verlangte ich fünfzig Mark, die angeblich erste Rate, für die Strickmaschine. Dann nahm ich noch das neueste Modeheft mit und ließ mir die Knöpfe für das Norwegermuster erklären. Ihm war es nicht recht, dass ich die Wolle nicht im Kaufhaus kaufte. Er wollte sich vor der Rate drücken.
Er hatte schon mehrmals Post aus Griechenland bekommen. Ich konnte es ja nicht lesen, aber es war ganz bestimmt von einer Behörde. Da er nichts sagte, glaubte ich er hätte dort auch krumme Sachen gemacht und fragte nicht.
Die Nachbarin, die mit einem Italiener verheiratet war, bestellte bei mir einen Pulli für ihr Kind. Er war sehr goldig mit norwegischen Musterstreifen. Weil ich von ihr das Zimmer bekommen hatte, wollte ich mich dankbar erweisen und verlangte nur zwölf Mark. Das war ihr zu teuer und sie fragte, ob ich denn eigentlich mein Gewerbe angemeldet hätte, sie könnte mich ja anzeigen. Als ich ihr meinen Gewerbeschein zeigte, schaute sie dumm aus der Wäsche. "Bei mir hat alles immer seine Richtigkeit," versicherte ich ihr.
Sie wollte trotzdem den Preis runter handeln, da nahm ich den Pulli und sagte: "Kaufen sie ihre Kindersachen wo sie wollen, aber nicht bei mir." Heinz würde sicher gut aussehen damit.
Dann kam Stefan eines Abends von der Arbeit, es war wieder Post gekommen. Ärgerlich öffnete er den Brief. Danach schlug für mich der Blitz ein.
"Ich muss in zwei Wochen in Griechenland sein, zum Wehrdienst," eröffnete er mir. "Du hast aber doch deutsche Staatsangehörigkeit," fiel ich ihm ins Wort. "Die deutsche Heirat gilt in Griechenland nicht. Wenn ich nicht pünktlich ankomme, kann ich nie wieder nach Griechenland," klagte er. "Und wie lange bleibst du?" Wollte ich wissen. "Zwei Jahre und zwei Monate, aber ihr kommt mit, ihr werdet bei meinen Eltern wohnen."
Das musste ich jetzt zuerst verdauen.
Ich musste noch einige Pullover stricken, die waren schon bestellt. Ja und Wolle sollte ich auf Vorrat kaufen, aber nichts sagen, dass wir nach Griechenland fuhren, denn die letzten Raten wollte er nicht bezahlen. Ich hatte die Maschine ja bezahlt, jetzt war ich die dumme, die einhundertfünfzig Mark hätte ich schon gern noch einkassiert.
Die Idee nach Griechenland zu fahren, fand ich nicht mal schlecht, wer weiß ob ich sonst jemals dorthin käme. Aber gerade jetzt, wo ich alles hatte und mich hier im Zimmer wohlfühlte, kam es mir ein wenig plötzlich. Vor allem hing ich sehr an meinem Hausrat, und der passte nicht mehr in zwei Koffer.
Also schlug ich vor, dass er allein nach Griechenland fuhr, und ich wollte ihn dann mit den Kindern besuchen. "Das geht nicht," klärte Stefan mich auf. "Die Kinder müssen in meinen Pass, und können nur mit mir reisen." Ob das stimmte, habe ich nicht nachgeprüft, und siehe da, sie standen schon drin.
Ich musste jetzt dringend einen Pass beantragen, und bekam ihn auch nach wenigen Tagen. Am Abend ging ich noch zur Nachtschicht. Weil mir wieder laufend der Draht riss, fiel es mir nicht schwer zu sagen, dass es mir zu wenig sei, was ich verdiente. Ich erklärte der Abteilungsleiterin, dass mein Mann zum Wehrdienst nach Griechenland müsste, und die Kinder und ich mitsollten. In drei Tagen konnte ich meine Papiere holen. "Wenn sie wieder nach Deutschland kommen, können sie kommen, bis sie etwas anderes finden," bot sie mir an. In den darauf folgenden Tagen holte ich meinen Pass, und strickte die Pullis die bestellt waren.
Stefan hatte furchtbar viel zu erledigen. Von seinen zahlreichen Kusinen und Vettern, musste er Geschenke holen, um sie mit nach Griechenland zu nehmen. Er kaufte haufenweise Uhren vorwiegend Armbanduhren. Dann ging er mit den Steuerkarten zum Finanzamt um die Lohnsteuer zurück zu fordern. Er löste sogar meine Rentenversicherung auf, das Geld bekam er aber nicht gleich ausgezahlt, er gab eine Bank in Griechenland an. Wie er das alles machte ohne meine Unterschrift, war mir rätselhaft.
Ich ging noch einmal in das Wollgeschäft und kaufte noch zwei Säcke Wolle. In Griechenland würde ich wohl Zeit haben, für mich und die Kinder zu stricken. Da ich darauf bestand, meinen Hausrat mit zu nehmen, mietete er einen Container. Den füllte er. Das Kinderbett war mir wichtig und mein Bettzeug. Die Strickmaschine, meine Töpfe, ich hatte schon einen Schnellkochtopf, und mein Geschirr, das Besteck und die Wäsche. Ich wollte alles mitnehmen.
Das war Stefan sogar recht, er wollte angeben mit dem, was er hier alles erstanden hatte. Sogar den Kleiderschrank, die Stühle und den Tisch, baute er auseinander. In die Koffer kam das, was ich dringend gleich benötigte, denn der Container brauchte voraussichtlich zwei Wochen. Dann kaufte er die Fahrkarten. Ich verlangte, dass er Platzkarten kaufte, denn im überfüllten Zug, zwei Tage mit zwei Kindern, war mir zu unsicher. Am letzten Tag kaufte ich Gläser mit Kindernahrung für unterwegs und Bananen. Für Heinz füllte ich Babynahrung in Thermosflaschen. und in den Koffer kamen auch zwei Dosen Babynahrung.
Stefan behauptete das könnte ich in Griechenland auch kaufen. Die letzten verbliebenen Möbel verkaufte er eine Stunde vor unserer Abreise.
Zum letzten Mal fiel die Post durch den Briefschlitz. Ein Brief war von dem Professor im Krankenhaus, er erkundigte mich nach meinem Befinden. Ihm würde ich von Griechenland aus schreiben. Mein Bruder Hans schrieb, dass er mich, wenn ich ins Ausland ginge nicht besuchen könnte. Ich dachte: So ein Blödsinn, er hat mich kein einziges Mal hier besucht. Ihm hatte ich nur geschrieben, damit er weiß wo ich bin.
Nun nahm ich den Kinderwagen mit beiden Kindern und Stefan hatte zwei Koffer, und natürlich noch diverse Plastiktüten. Wehmütig verließ ich das Haus, wir gingen Richtung Bahnhof.
Von Ludwigsburg aus fuhren wir zuerst nach Stuttgart. Wir suchten nach einem Bahnangestellten, der uns half die bezahlten Plätze zu finden. Er fand den Waggon mit unseren Plätzen und half uns in den Zug. Zum Glück ging er mit, zu der Stelle, wo unsere Plätze sein sollten. Die Plätze waren belegt. Wie sich herausstellte, hatten Griechen die von Holland nach Stuttgart fuhren, ihre Platzkarten weiterverkauft. Die Männer wollten ihre Plätze nicht räumen, sie hatten eine Quittung.
Der Schaffner ging durch den ganzen Zug und konnte keine freien Plätze finden. Jetzt wurde ich ungehalten. Wir hatten der Kinder wegen extra Platzkarten gekauft, und in dem völlig überfülltem Zug war kein Platz mehr. Fremde Betrüger durften sitzen bleiben, und eine deutsche Mutter mit zwei Kindern hatte keinen Sitzplatz.
Der Schaffner musste noch einmal Rücksprache halten. Dann kam er und half uns in den Waggon, mit der ersten Klasse. Nun hatten wir ein ganzes Abteil für uns allein. Wir zogen zwei Sitze aus, und die Kinder konnten herrlich schlafen. Von irgendwoher hatte Stefan eine große Jahrmarktspuppe bekommen, die saß auch mit im Abteil. Sie hatte ein rotes Kleid an und einen großen Hut. Mein Geschmack war es nicht, und ich legte sie uns Gepäcknetz.
Wir fuhren durch München und Österreich. In Österreich waren die Zollbeamten ganz besonders freundlich. Bei jeder Zollkontrolle wurden unsere Pässe einkassiert. In einem dicken Buch standen alle Namen der polizeilich gesuchten Leute. Stefanidis war da bestens bekannt. Ich dachte es ging zurück auf seinen Bruder, der ja nach Australien entwischt war.
Als wir durch das schöne Alpenland fuhren war es dunkel und ich hatte kaum Möglichkeiten etwas von der schönen Landschaft zu sehen. Einmal kamen wir durch einen riesigen Tunnel, ich hatte den Eindruck der wollte nicht enden. Gegen Morgen führen wir über die Grenze nach Jugoslawien. Da war es schon so hell, dass ich Hammer und Sichel an einem riesigen Felsen erkennen konnte. Er war mit roter Farbe aufgemalt. Den Maler hätte ich gern gesehen, vor allem die Leiter, die er da benutzt haben musste.
Wir spielten mit den Kindern, denn die Landschaft neben der Bahnstrecke war nicht so umwerfend. Wenn der Zug hielt, stiegen jedes Mal einige Reisende aus, die auch aus Deutschland oder Holland kamen. Der Zug fuhr von Amsterdam bis Istanbul.
Die Fahrt durch Jugoslawien war schier endlos. Belgrad kam mir vor wie eine graue Stadt, ich konnte nichts Schönes an der Stadt finden. Jedenfalls nicht vom Zug aus. Was mir auffiel, waren die schmutzigen Fenster und die vielen zerbrochenen Scheiben. Gegen Abend erreichten wir Skopje.
Der Zug hielt und um den Zug herum war große Aufregung. Nach einer Stunde stand der Zug immer noch. Dann kam ein Schaffner, er teilte uns mit, dass wir aussteigen mussten mit allem Gepäck. Auf einem anderen Gleis stand ein uralter Zug, in dem wir jetzt weiterfahren sollten. Unser Zug hatte einen Schaden.
Inzwischen war es schon wieder dunkel geworden. Wir stiegen um und suchten einen Platz. Alle Abteilungen waren mit Holzbänken. Wir fanden Plätze, in einem Abteil mit Griechen und Türken. Wenn die Kinder schlafen wollten, mussten immer zwei Männer Platz machen. Die gingen dann spazieren durch den Zug.
Meine Essvorräte wurden immer weniger. Vor allem das Wasser für das Fläschchen von Heinz wurde langsam kalt. Die Heizung im Zug, die unter dem Fenster verlief, heizte auf Hochtouren und ließ sich nicht abstellen. Da drauf wärmte ich die Kindernahrung auf. An einem Bahnhof kaufte Stefan etwas zum Essen von einem Händler, der am Zug entlang lief. In Thessaloniki würden wir dann richtig essen, versprach er, falls der Zug so früh ankäme, dass wir Zeit genug dafür hätten.
Die Tüte mit den schmutzigen Windeln von Heinz war schon voll. Ich hatte noch eine einzige Windel, die nicht schmutzig war. Kurz vor der Grenze nach Griechenland, wurde Stefan unruhig. In einer Plastiktüte hatte er die Uhren, und wusste nicht wohin damit. Ich sollte zur Toilette gehen und die Uhren unter meinem Rock verstecken. Das WC in dem Zug war so widerlich, dass ich da nicht schon wieder hin wollte. Außerdem war da statt einer Kloschüssel, nur ein Loch im Boden. Wenn mir seine teure Ware aus der Hand fiel, war sie vielleicht weg.
Ich nahm aus der Windeltüte eine Windel, die nur nass war. Da sollte er die Uhren hinein knoten, und dann wieder in die Tüte unter die schmutzigen Windeln stecken. Die Windeln stanken so, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie da jemand hinein greifen wollte.
Als die anderen aus dem Abteil sich wieder mal die Füße vertraten, packte Stefan seine Waren ein. Ich leerte die Tüte, legte unten eine dreckige Windel hinein, dann Stefans Bündel und oben auf den Rest Windeln. Von der Grenze bis Thessaloniki hatten die Grenzbeamten zu tun mit Pass- und Zollkontrolle. Sie zeigten auf verschiedene Koffer, die sie sich dann ansahen. Bei uns interessierten sie sich nur für die Kinder.
Mit viel Verspätung kam der Zug in Thessaloniki an. Wir hatten eine gute Stunde Zeit, um etwas zu essen. Ich schob den Kinderwagen mit beiden Kindern, und die lästige Puppe. Stefan schleppte die beiden Koffer und seine Tüten. Die dreckigen Windel waren im Kinderwagennetz. Dann trug ich noch meine Tasche, in der ich die Reste vom Essen für die Kinder hatte. So gingen wir zum Bahnhof hinaus auf die Straße.
Gleich an dem ersten Imbiss machten wir halt. Die Speisetheke war direkt an der Straße und man konnte wählen, was man essen wollte. Da ich keine Ahnung hatte wie das Essen in Griechenland war, nahm ich grüne Bohnen und gebackene Kartoffelspalten, dazu eine Frikadelle. Wir aßen gleich an der Straße, da standen Tische und Stühle. Mir schmeckte das Essen, es schmeckte anders als in Deutschland. Das lag an den Gewürzen und wahrscheinlich auch an der Zubereitung. Die Bohnen waren breit und platt, das hatte ich noch nie gesehen.
Der Wirt holte die Teller und fragte nach unseren Wünschen. Stefan sagte mir hätte es bestens geschmeckt und ich sei Deutsche. Da bekam ich noch ein kleines Gläschen Wein und Stefan einen griechischen Kaffee. Aber jetzt wurde es Zeit, für die letzte kurze Etappe.
Wir stiegen wieder in einen Zug, der auch total überfüllt war. Im Gang standen wir zwischen großen Körben und Hühnerkäfigen, mit unserem Kinderwagen und den Koffern. Die Windeln stanken lästerlich. Der Zug fuhr Richtung Norden, und es wurde schon wieder dunkel.
Als der Zug in Kilkis hielt, sagte Stefan: "Jetzt sind wir bald da." Bis wir dann in Stefans Ort kamen, war es richtig dunkel. Wir stiegen aus dem Zug, mit Koffern, Tüten und Kinderwagen. Außer uns stiegen noch mehrere Leute aus, und es war ein Gedränge auf dem kleinen Bahnhof.
Viele waren nur neugierig und gekommen weil es hieß: Stefan kommt mit einer "Germanisa". Ich wurde von vielen Leuten in den Arm genommen und geküsst, Stefan sagte zwar immer wer das war, aber es war mir alles zu viel. Im Arm hatte ich immer noch die hässliche Puppe.
Da kam Stefans Vater auf mich zu, der wollte mir etwas vom Gepäck abnehmen und ich gab ihm die Puppe. Mit beiden Kindern im Wagen, ging es jetzt an einer Kaserne, einem Gymnasium, und zwei weiteren Häusern vorbei. Das eine Haus war der Arzt, und in dem anderen wohnte die Krankenschwester, die auch gleichzeitig die Hebamme war. Das nächste, war das Haus seiner Familie.
Mein Schwiegervater hatte geglaubt ich hätte ihm eines meiner Kinder zum tragen gegeben und er hatte es vorsichtig nach Hause gebracht. Als er die Puppe absetzte, bemerkte er den Schwindel. Er musste darüber lachen und meinte, er hätte sich doch schon gewundert wie leicht die Kinder in Deutschland waren.
Ich schob den Kinderwagen ins Haus, und das Haus füllte sich mit Neugierigen. In den Zimmern brannten Petroleum-Lampen, wie ich sie von der Kriegszeit her kannte. Unten waren vier Zimmer und eine Küche. Das größte Zimmer hatten sie mir hergerichtet. Es standen ein großes Bett darin und ein Schreibtisch. Heute brauchte ich nicht mehr, ich war müde. Die Kinder musste ich noch gründlich waschen und frisch anziehen, und Hunger hatten sie auch.
Die Leute schauten mich an, als ob ich vom Himmel gefallen war. Stefan schickte sie schließlich weg, sie sollten morgen wieder kommen, wenn wir uns ausgeruht hatten. Stefan holte aus dem Koffer die Geschenke die er überbringen musste, nahm die Uhren und machte seine Begrüßungsrunde. Meine Schwiegermutter machte mir Wasser warm, damit ich die Kinder waschen konnte.
Stefans Schwestern schauten mir zu. Die jüngere hieß Irena und die ältere Sophia. Wie die beiden Töchter des Königs von Griechenland. -Den gab es damals noch.-
Irena hatte nur einen Arm, trotzdem, sie war die nettere. Sie schaute genau zu, wie man die Kinder wäscht und anzieht und ging dann, das Wasser für Heinz sein Fläschchen warm zu machen. Die beiden Mädchen konnten ein ganz kleines bisschen englisch. So verständigten wir uns mit Händen und Füssen und ein paar Wörter englisch.
Für sie hatte ich in Deutschland noch an den letzten Tagen, beiden den gleichen Pullover gestrickt, mit grün meliertem Garn, einem grünem Kragen und einer gestrickten Krawatte. Ich holte die Pullover aus meinem Koffer sie passten und gefielen ihnen.
Die Kinder legte ich zum schlafen in mein Bett, dann machte ich den Mädchen klar, dass ich jetzt schlafen wollte. Sophia drehte die Lampe ganz klein, und ich hätte mich gern gewaschen, wollte aber jetzt niemanden mehr belästigen. Also ging ich so dreckig wie ich gekommen war ins Bett. Bevor ich einschlief, hörte ich, dass es regnete.
Im Zug hatte ich das Klo gemieden, es war meiner Ansicht nach unmöglich. Jetzt hatte ich keine Ahnung wo hier im Haus ein Klo sein konnte. Also holte ich das Töpfchen von Tina aus dem Koffer. Weil es mir aber peinlich war, schaute ich das Fenster an.
Das konnte man aufmachen. Da es draußen Bindfäden regnete, leerte ich den Topf direkt zum Fenster hinaus. Das Fenster war praktisch, man konnte gut hinaus und hinein steigen. Ein praktischer Notausgang, wenn ich ihn dann mal brauchen würde. Das Töpfchen stellte ich unter das Bett. Tina würde es morgen sicherlich auch benutzen wollen. Dann ging ich ins Bett und schlief auch sofort ein.
Ich hatte fast den ganzen nächsten Tag verschlafen. Die Zeitumstellung von zwei Stunden, und der unaufhörlich rauschende Regen, waren schuld daran. In der Nähe meines Bettes war ein Stück vom Putz aus der Decke gefallen. Das hätte mich ja treffen können, dachte ich, und war verärgert. Im Bett war niemand mehr, also stand ich auf.
Auf gar keinem Fall wollte ich mich anziehen, ohne mich vorher gewaschen zu haben. Am liebsten hätte ich das Fenster auf gemacht und wäre nackt in den Regen hinaus gegangen. Aber so etwas würde ich natürlich nicht machen. Aber heute Nacht wäre das möglich gewesen. Es gab ja keine Straßenlaternen, und mein Fenster ging zum Garten hinaus. Vorsichtig schob ich meinen Kopf durch den Spalt der Tür.
In der Küche stand Ireni mit dem Kleinen auf dem Arm und machte ihm ein Fläschchen. Wie sie das machte mit einem Arm, war mir ein Rätsel. Sie machte es sogar ganz nach Vorschrift. Die Gebrauchsanweisung hatte sie genau studiert, und anhand der Zeichnungen hatte sie es auch verstanden. Als sie mich sah, winkte sie mir, und zeigte wie sie Heinz so schön angezogen hatte.
Ich dankte ihr, und machte ihr klar, dass ich mich waschen musste. Da rief sie nach ihrer Schwester, denn den Kleinen, wollte sie nicht aus der Hand geben. Sophia kam mit Tina an der Hand. Die war auch schon angezogen. Beide Schwestern hatten die neuen Pullis an. Die Pullis waren wirklich richtige Schmuckstücke und kleideten beide sehr gut.
Ireni sagte ihrer Schwester, dass ich mich waschen wollte und die zeigte mir das Waschbecken im Flur, neben der Haustür. Über dem Waschbecken hing ein Behälter mit Wasser und an dem Behälter war ein kleiner Wasserhahn. Aufgefangen wurde das gebrauchte Wasser, in einem Eimer. Ireni wurde laut mit ihrer Schwester und die ging mit zwei Eimern zum Brunnen, der auf der anderen Seite des Marktplatzes war. Ich sollte im Zimmer warten. Sie sagte umständlich "fife Minutes."
Die fünf Minuten verbrachte ich damit, mein Waschzeug zusammen zu suchen, was teilweise im Koffer und zum Teil in meiner Tasche war. Dann stellte ich fest, dass in Griechenland fünf Minuten durchaus eine halbe Stunde dauern konnten. Dann brachte Sophia eine Schüssel, füllte sie halbvoll mit kaltem Wasser und deutete an, dass da noch etwas hinein käme. Nach kurzer Zeit brachte sie einen Kessel heißes Wasser. Zuerst wusch ich meine Haare. Sie kam mit einem Behälter und goss mir damit sauberes, warmes Wasser über den Kopf, zum Nachspülen.
Als ich meine Haare abtrocknete, zeigte Ireni auf den Kinderwagen. Schnell verstand, ich dass sie spazieren gehen wollten, denn der Regen hatte aufgehört und die Sonne schien. Das Wort "pamme," kannte ich schon, es heißt "gehen wir" und "wolters" erinnerte mich an das englische Wort "walking".
Ich ließ die Mädchen also gehen, und machte weiter an meinem Körper-Großputz. Dann zog ich frische Wäsche an, und fühlte mich wie neu geboren. Die ganze Zeit hörte ich laute Musik und überlegte, wer von den Nachbarn wohl sein Radio so laut an hatte.
Mein Waschwasser leerte ich in den leeren Eimer. Ich wollte Wasser sparen und die Kinderwäsche in dem Wasser einweichen. Aber die Kinderwäsche war nicht in meinem Zimmer.
Da kam Stefan zur Tür herein, "Mein Vater hat Halsweh, hast du Medizin?" fragte er. Ich hatte von meinem letzten Halsweh her noch eine graue Paste. Die musste man warm machen, auf den Hals spachteln, dann ein Tuch darüber binden und einen Schal. In der Küche stand ein seltsamer Kocher, der wurde mit Spiritus angeheizt. Stefan musste den Kocher anmachen, und ich erhitzte die Paste im Wasserbad. Dann ging ich mit der Paste zu seinem Vater und schmierte ihm die Salbe auf den Hals. Nachdem er ein Tuch und einen Schal hatte, ging er wieder ins Bett. Er war entweder richtig krank oder wehleidig. Einmal würde die Salbe noch reichen, dann musste er entweder gesund sein, oder zum Arzt gehen.
Ich fragte Stefan, wo die schmutzige Wäsche sei, ich brauchte sie dringend, weil für die Kinder fast nichts sauberes mehr im Koffer war. Da seine Mutter im Haus nicht zu finden war, nahm er mich mit hinter das Haus. Hinter dem Haus war ein großer Lagerraum, der früher einmal ein Laden war. Darin hatte mein Schwiegervater Fässer für Wein und saures Kraut. Ich dachte es sei Sauerkraut und freute mich, etwas zu sehen was ich kannte. Aber es war nicht einmal annähernd zu vergleichen mit unserem Sauerkraut. Die ganzen Kohlblätter schwammen zusammen mit Paprika und Tomaten in einer Flüssigkeit. Die anderen Fässer waren alle für die Weintraubenernte hergerichtet.
Da seine Mutter nicht darin war, gingen wir weiter. Wir kamen an dem Klo vorbei, und ich überlegte, ob ich nicht wieder abreisen wollte. Das Klo-Haus war ca. einen Meter lang und einen Meter breit, vielleicht auch nicht ganz, aber es hatte eine Tür. In der Mitte vom Fußboden war ein Loch, und davor zwei Fußabdrücke im Beton. Auf die Fußabdrücke sollte ich mich stellen, dann würde ich genau ins Loch treffen. Daneben stand eine kleine Wasserkanne, die wahrscheinlich zum Nachspülen gedacht war.
Als er meinen Unmut sah, belehrte er mich, das so ein Klo hygienischer sei als jedes andere. In Deutschland hätte er sich nie auf ein Klo gesetzt, er wäre immer auf das Klo gestiegen. - Wie kann man bloß so ekelhaft sein, dachte ich bei mir. Jetzt wusste ich auch, warum an das Gemeinschaftsklo im Flur in Ludwigsburg, immer die Klobrille verschissen war. -
Wir gingen weiter durch den Hof, vorbei an Hühnern und Puten, zum Back- und Waschhaus. Unter einem Vorbau war eine offene Feuerstelle, über der ein großer Kupferkessel hing. Darin kochte meine Wäsche.
Seine Mutter war im Backhaus und hatte einen Haufen runde Brote im Ofen. So was hatte ich noch nie gesehen. Ein Backofen mit richtigem Holzfeuer. Jedes Brot war auf einer niedrigen Blechform. Es waren sicher zwanzig Stück. Dann gingen wir noch den Stall ansehen. Da war Platz für mindestens acht Kühe, und ein Stall für Pferde, aber es war nichts im Stall außer Mist.
Inzwischen hatte meine Schwiegermutter die fertigen Brote in einen Holztrog gelegt und mit sauberen Tüchern zugedeckt. Aus Teigresten formte sie jetzt kleine runde Fladen, die sie mit der restlichen Hitze backte. Stefan sollte Wasser holen für die Wäsche, er fand das unter seiner Würde und zeigte mir, wie man an dem Brunnen Wasser holt. Tatsächlich gingen nur Frauen zum Brunnen. Der Eimer wurde eingehängt und hinabgelassen. Dann prüfte man an der Kette ob der Eimer voll war und kurbelte ihn wieder hoch.
Ich glaube es war der einzige Brunnen hier im Dorf. Es war nicht weit, zwischen dem Brunnen und dem Haus war nur der Marktplatz. Stefan war schon wieder weg, sonst hätte er vielleicht doch etwas arbeiten müssen. Darum brachte ich mehrmals Wasser für die Wäsche, und meine Schwiegermutter wurde schnell fertig damit. In dem großen Hof war eine lange Leine gespannt und ich fing an aufzuhängen. Meine Wäscheklammern waren bei meinen Sachen noch unterwegs, und ich musste mich mit dem behelfen was da war.
Plötzlich hörte ich hinter mir schwere Schritte und ein widerliches Schnaufen. Ich schaute mich erschrocken um, und sah in die großen Augen einer schwarz-weißen Kuh. Die war nicht allein, sie hatte eine ganze Familie dabei. Nun kamen auch die beiden Mädchen mit dem Kinderwagen und Tina lief nebenher. Als die Kühe sahen, dass ich nichts für sie hatte, gingen sie von selbst in den Stall.
Auf dem Weg hinter dem Haus liefen Ziegen und Kühe, Die meisten waren allein, manchmal war eine Frau dabei, die eine braune Wasserkanne hinterher trug. Sophia hatte auch eine Wasserkanne im Kinderwagen. Ich verstand schnell, das war Trinkwasser aus der Quelle.
Den ganzen Tag hatte ich gewartet, dass jemand was zum Essen machte. Aber heute blieb die Küche kalt. Am Abend gab es die Fladenbrote, dazu stellte meine Schwiegermutter Oliven, weißen Schafskäse und selbstgemachte Butter auf den Tisch. Mein Schwiegervater kam auch, er brachte eine Flasche Ouzo auf den Tisch. Jeder bekam ein Glas Wasser. Ich probierte von allem, fand aber, dass es für meinen Geschmack zu salzig war. Deshalb aß ich nur das Fladenbrot, und das war köstlich.
Es waren nur zwei Stühle in der Küche. Die Mädchen nahmen sich ihr Essen mit in ihr Zimmer. Da wollte auch nicht auf dem Stuhl sitzen, während meine Schwiegermutter auf dem Fußboden in der Hocke saß. Mein Schwiegervater wollte, dass ich bleiben sollte, aber ich nahm die Kinder und ging in mein Zimmer. Die Kinder hatten nass gemacht. Natürlich, sie waren ja auch lange unterwegs. In meinem Koffer war keine Windel mehr, ich stieg durchs Fenster und holte die trockenen ins Haus. Zum Glück hatte die Sonne es gut gemeint.
Da fiel mein Blick auf den Halbmond. Der lag auf dem Rücken, bei uns in Deutschland da steht er immer, seltsam, dachte ich.
Tina hatte von dem frischen Brot gegessen, die hatte keinen großen Hunger. Aber Heinz quengelte, er wollte seine Flasche. In der Küche war auch ein Wasserhahn über dem Spülbecken. Da putzte ich die Flasche von Heinz und das Wasser war alle. Ich zeigte meiner Schwiegermutter, dass ich ein wenig heißes Wasser brauchte. Nachdem ich heute so viel Wasser geholt hatte, wusste ich wie es auf Griechisch heißt.
Während sie das Wasser für den Kleinen erhitzte, fing mein Schwiegervater an, mir die Gegenstände auf dem Tisch auf Griechisch zu erklären. Im Gegenzug wollte er wissen wie es auf Deutsch hieß. Bei manchen Sachen, fand er Ähnlichkeiten in dem Dialekt, was die meisten hier sprachen. Alles konnte ich mir nicht auf einmal merken, aber im Notfall hatte ich ja das Wörterbuch. Das Wasser kochte, und ich goss die Flasche auf, den Rest füllte ich in die Thermosflasche. Da hatte ich dann noch einmal Wasser in Reserve. Die Kinder waren müde und schliefen gleich ein.
Stefan holte mich ab, er wollte mich jetzt noch durch das Dorf führen. Fast das ganze Dorf war auf den Beinen. Sie spazierten von der Kirche, bis zum Marktplatz, und wieder zurück und das mehrmals. Die meisten Frauen spannen nebenher Wolle, die Spindel mit dem Garn hing an der Seite herunter und einen Poppel ungesponnener Wolle hatten sie in den Rock- oder Schürzentaschen.
In dem Ort gab es alles, jeder Handwerker war hier vertreten. Es gab einen Herren- Friseur, eine Damenfriseuse, und zwei Lebensmittelläden. Einen Metzger, einen Bäcker, ein Kino ein Café und eine Wirtschaft, wo die Männer den ganzen Tag Brettspiele machten und dazu Ouzo tranken. In der Wirtschaft waren nur Männer, mit einer Hand spielten sie mit einer Perlenkette, die andere Hand war fürs Brettspiel und den Ouzo.
Vor der Wirtschaft war ein Plattenspieler mit einem riesigen Lautsprecher. Das war das Ding, was ich schon den ganzen Tag gehört hatte. Von hier aus wurde also der ganze Ort mit Musik versorgt, und das von früh bis spät und ohne Unterbrechung.
Es waren auch noch zwei kleine Wege, die am Marktplatz abzweigten, an dem einen Weg war der Kindergarten, und die Grundschule. Danach kamen wir zu einer großen Militäreinrichtung, danach war das Dorf zu Ende. Auf der anderen Seite standen das Rathaus und die Post. An dem zweiten Weg befanden sich eine Flickenteppich-Weberei und eine Halle, in dem die Schafwolle gewaschen und gekämmt wurde.
Der Ort war sehr überschaubar. Die Häuser habe ich nie gezählt, aber ich denke es waren weniger als hundert. Die meisten Leute die hier herumliefen, waren Soldaten, die hier stationiert waren. Immer wieder wurde ich angesprochen, und mein Mann musste übersetzen. Es waren nur Frauen, die wollten wissen, wie ich heiße und sagten mir ihre Namen, ich hatte den Eindruck: Alle hießen "Gizza" oder "Nizza". Die Männer schienen alle "Aiki" und "Laiki" zu heißen.
Zu einer Frau, mussten wir unbedingt mit ins Haus kommen. Das Haus war sauber, in Jedem Zimmer war ein Flickenteppich und ein Bett oder eine Liege. Stühle, Tische und Schränke habe ich keine gesehen. In dem größten Zimmer setzten sich alle auf das Bett. Der Mann drehte an der Kurbel eines Plattenspielers, dann legte er eine Schallplatte auf. Für mich war die Musik furchtbar. Nun fingen die Männer an zu tanzen, es waren drei, mehr hätten keinen Platz gehabt. Dazu wedelten der erste und der letzte mit ihren Taschentüchern.
Dann sollte die Frau tanzen. Sie war klein und dicklich, konnte aber tanzen wie eine Tänzerin. Dabei bewegte sie ihre Füße schneller als ich gucken konnte. Dazu trug sie auch noch ein Kopftuch und selbst gestrickte Socken. Ich war beeindruckt.
Die Frau servierte danach griechischen Kaffee und "Liko". Das waren eingekochte Früchte es schmeckte nach Apfelsinen, und die Stücke darin schienen Schalen von Apfelsinen zu sein. Es wurde auf winzigen Tellern serviert der Sirup war süß, sehr süß sogar, die Stückchen darin leicht bitter. Am Schluss las sie noch den Kaffeesatz. Danach konnten wir uns verabschieden. Ich wollte nach Hause, denn die Kinder waren ja allein. Stefan mischte sich noch einmal unter die Leute, denn morgen musste er wegen dem Wehrdienst in die Stadt.
Ireni hatte nach den Kindern gesehen, aber sie hatten die ganze Zeit gut geschlafen. Nachdem ich gute Nacht auf Griechisch gesagt hatte, ging ich ins Zimmer. Auf der anderen Seite stieg ich zum Fenster hinaus, um die Wiese im Hof zu "wässern." Der Mond, der mir hier besonders groß vorkam, war seit gestern fetter geworden. Es ging auf Vollmond zu. Zurück im Zimmer, legte ich mich zu meinen Kindern. Morgen wollte ich mir mehr Zeit für sie nehmen.
Morgens wurde ich von der Musik geweckt, und auf dem Marktplatz war reges Treiben. Heute war Markttag. Mit dem morgentlichen Waschen war schon wieder nichts los, im Haus gingen Leute ein und aus. Alle gingen in das Zimmer der Mädchen, die waren aber schon in der Schule. Was die Leute in dem Zimmer wollten, war mir rätselhaft.
Also machte ich den Kindern zuerst etwas zum Essen. Danach zog ich sie schön an, um mit ihnen über den Markt zu gehen. Da ich Hunger hatte, suchte ich nach etwas Essbarem. Das war aber gar nicht einfach. Es gab massenhaft Tomaten, die jeder hier selbst hatte und Auberginen, Gurken und Bohnen. Aber die Leute hier hatten alle einen Garten. Dann kam ich an einen Eselskarren der war mit Orangen beladen. Das waren Navelfrüchte so groß, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich kaufte eine, die war so groß wie der Kopf von Heinz.
Es gab Schuhe und Stoffe sowie Wäsche. Dann lief ein ca. 15-jähriger Junge mit einer langen Stange umher, daran hing Gebäck, das sah ähnlich aus wie Brezeln. Davon kaufte ich eine, und teilte mit Tina. Es war nichts, was ich unbedingt noch einmal kaufen musste.
Mit meinem Kinderwagen fiel ich auf, denn außer mir hatte niemand sein Kind im Wagen. Die Frauen trugen ihre Kinder auf dem Arm, und wurden nicht müde davon. Die fremden Frauen sprachen mich an, da ich nichts verstand machte ich es wie die Ausländer in Deutschland und sagte "dsen katalavo" , das war das selbe wie, "nix verstehen".
Wenn das so weitergeht, werde ich hier verhungern, dachte ich und schob den Kinderwagen Richtung Lebensmittel-Laden. Ich schaute mich um und konnte keinen Gefallen an dem Laden finden. Nach meinem Begriff war es eher ein Lager wie ein Geschäft. Da mir die Butter zu salzig war, fragte ich nach Margarine. Die Händlerin schaute mich an und fragte: "Margarini?" Dann zeigte sie mir was sie da hatte, ich war unschlüssig da nahm sie eine Messerspitze und kratzte ein wenig am Rand ab und gab es mir zum Probieren. Ja, das war das Richtige.
Ich hatte schon mein Wörterbuch aus der Tasche geholt, aber mutig versuchte ich es noch einmal: "Marmelade?" Sie ging ans Regal und holte einen kleinen Eimer, mit mindestens fünf Pfund und sagte: "Marmelasa." Während sie mir den Eimer zeigte, sah ich das Bild darauf. Es waren Pfirsiche. Lieber hätte ich Erdbeere gehabt. Also winkte ich ab und schaute auf die anderen Eimer. Da war Erdbeere dabei und ich holte den Eimer herab. "Fraula", sagte die Händlerin. Aha, dachte ich, das muss ich mir merken und stellte fest, dass das Einkaufen ja gar nicht so schwer war.
Jetzt zeigte ich ihr, dass ich nur Deutsches Geld hatte. Sie zeigte mir mit den Fingern: eine Mark sieben Drachmen. (Soweit ich mich erinnere.) Jetzt wurde es Zeit, dass ich mein Wörterbuch zückte. Da Suchte ich nach Haferflocken, weil Tina immer Brei aus Schmelzflocken bekam, und die waren alle. "Orchi," sagte sie das heißt nein, aber dazu nickte sie mit dem Kopf nach oben und machte "zt". Was jetzt, ja oder nein, und fragte auf Griechisch: "nä i orchi?" Wieder das komische Nicken und "zt".
Nach kurzem Überlegen suchte ich im Wörterbuch nach Grieß. Das wäre auch eine Möglichkeit für einen Brei. Dieses Mal kam ein halbes Kopfschütteln. Sie ging an das Regal, und ich dachte hier gibt es gar nichts. Sie kam mit einer Handvoll Grieß zurück und schaute mich fragend an. "Nä" bestätigte ich und sie zeigte mir die Tüte, die ich ihr abnahm. Zucker fehlte noch.
Im Wörterbuch suchte ich wieder. Sie sagte "sachari" und holte Zucker. Ich zahlte und mir reichten fünf Mark. Für die Kinder gab sie mir noch einen Riegel Schokolade und nannte es "Tschokolata". Plötzlich schoss es mir durch den Kopf, Kaffee wäre gut und ich drehte mich noch einmal um und fragte: "Nescaffee?" "Mechawrio," kam es von ihr, und ich hatte keine Ahnung, was sie meinte. Sie ging an den Kalender, und zeigte auf das Datum von heute, morgen und übermorgen. Da lernte ich "simera, awrio und mechawrio". Ich stellte fest, von ihr konnte ich viel lernen.
Was ich jetzt noch brauchte, war eine Leberwurst, dann könnte ich noch ein paar Tage überleben. Also ging ich in die Metzgerei, die gleich nebenan war. Tina wollte jetzt nicht mehr laufen, da setzte ich sie auch in den Wagen und steuerte auf die Ladentür zu.
In dem Laden war ein etwa 14- bis 15-jähriger Junge. Da meiner Meinung nach, alle Männer "Aikis" oder "Laikis" hießen sagte ich: "Kalimera Laikis." Der zeigte auf seine Brust und sagte "Jannis". "Aha, Jannis," begrüßte ich ihn nun, zückte mein Wörterbuch und zeigte auf Leberwurst. Er bekam ganz große Augen und überlegte. Er zeigte auf das Fleisch was er da hatte. Ich suchte wieder in meinem Buch.
Damit machte ich ihm klar, dass ich Wurst will kein Fleisch. Aber er hatte das ja schon begriffen, und nach einer halben Stunde war ihm klar, dass Leberwurst aus Schweine- oder Kalbfleisch gemacht wird. Er schnitt ein paar Scheiben Salami ab und gab sie mir als Geschenk. Ich war enttäuscht. Da zeigte er auf sich und sagte auf Deutsch: "Leberwurst" danach zeigte er auf mich. Es sah so aus, als ob er für mich Leberwurst machen wollte.
Jetzt musste ich aber nach Hause, nicht dass man mich am Ende vermisste. Meine Schwiegermutter hatte mich tatsächlich schon gesucht. Sie war sichtlich erleichtert, als ich mit dem Kinderwagen kam.
Die Tür stand offen ,zu dem Zimmer der Mädchen und es waren immer noch Leute darin. Eine Frau mit einem weißen Kittel stand mitten im Zimmer, mit einem Gestell aus Holz. Das sah im ersten Moment wie ein Spinnrad aus. Mit dem Fuß trat sie auf ein Pedal, und das große Schwungrad drehte sich. In der Hand hielt sie einen Bohrer und bohrte gerade einer Frau am Zahn. Sie war Zahnärztin. Nun verstand ich, dass am Markttag die Zahnärztin hier die Leute vom Land behandelte. Darum war auch kein Stuhl mehr in der Küche.
Ich nahm die Kinder um in mein Zimmer zu gehen. Da war mein Schwiegervater mit einem anderen Mann damit beschäftigt, einen kleinen Herd aufzustellen. In meinem Leben hatte ich noch nie so einen kleinen, richtigen Herd gesehen. Ob der zum Kochen gedacht war, oder ob die Kinder damit spielen sollten, war mir nicht ganz klar.
Meine Schwiegermutter hatte einen großen Topf auf ihrem Spirituskocher. Es war eher eine Schüssel. - Es war das, was heutzutage fast jeder Haushalt hat, ein Wok.- Darin bereitete sie ein Essen zu, mit viel Tomatenmark, Olivenöl und kleinen Körnern, die wie Reis aussahen, aber etwas länger und spitzer waren.
Mein Wörterbuch kam wieder zum Einsatz. Reis war es nicht, und als ich ratlos schaute, sagte meine Schwiegermutter "Makkaroni." Das konnte nicht stimmen, aber vielleicht ist es eine Nudelart, dachte ich, und probierte eines. Sie schaute mich an und wartete. Ich wollte zuerst mit dem Kopf nicken, aber das konnte zu Missverständnis führen also sagte ich: "Kala" und das heißt gut. Darüber freute sie sich und ihr Gesicht hellte sich auf. Sie trug ein dunkelbraunes Kleid, ziemlich lang, und ein dunkel braunes Kopftuch, was sie unter dem Kinn verknotet hatte.
Fast alle Frauen trugen Kopftücher, aber ich hatte auch schon welche ohne Tuch gesehen. Ich konnte es nicht verstehen, es war warm wie im Sommer und die Leute waren orthodox und keine Muslime.
Immer wieder kamen Frauen, die einen Blick auf die Deutsche werfen wollten. Als die beiden Männer mit dem Herd fertig waren, gingen sie durch die Küche, und zum Haus hinaus. Sie gingen sicher jetzt in die Wirtschaft.
Die Zahnärztin packte ihre Sachen zusammen und beendete ihre Sprechstunde. Kurz darauf kamen die Mädchen aus der Schule. Sie trugen schwarze Schulkleider mit weißen Krägen. Die brachten die Stühle zurück in die Küche und hatten Hunger. Ihre Mutter füllte ihnen zwei Teller. Und sie aßen gleich in der Küche. Ich hatte auch Hunger und die Kinder sicher auch, aber es war kein Stuhl mehr da.
Also ging ich in mein Zimmer um die Kinder frisch anzuziehen. Tina hatte nicht in die Hose gemacht, und ich setzte sie auf ihr Töpfchen. Heinz fing schon an, sich am Bett hoch zu ziehen. Er wollte alles machen, was Tina schon konnte.
In meinen Schreibtisch, hatte ich in ein Fach die gekauften Lebensmittel gestellt. In der Mitte war eine Schublade, da waren meine Papiere drin. Mein Pass, diverse Fotos, Zeugnisse und was sonst noch wichtig war. Meine Kleidung hatte ich in einem Koffer und die Kinderkleidung in dem zweiten. Wenn mein Schrank käme, würde sich das ändern, dann konnte ich meine Kleidung aufhängen.
Den Kleiderschrank hatte Stefan auseinander gebaut, und in dem Container verpackt. Auch das Kinderbett und den Tisch und die Stühle. Ich hoffte, dass er es bald brachte.
Als die Kinder wieder gerichtet waren, ging ich in die Küche um etwas Wasser für Heinz sein Fläschchen zu holen. Tina sprang gleich zu meiner Schwiegermutter, und sagte "Giaja" zu ihr. Das heißt Oma. Die strahlte übers ganze Gesicht. Sie machte mir das Wasser und ich schüttelte das Fläschchen.
Die Oma saß mit Tina am Tisch und beide aßen von dem Essen. Es schmeckte Tina. Als ich dann den Kleinen fertig hatte, setzte ich mich auf den freien Stuhl in der Küche und bekam auch etwas zum Essen. Ich machte ihr klar, dass es gut schmeckte. Das war auch nicht gelogen, aber ein anständiges Kotelett hätte ich heute gut vertragen können.
Nun war ich schon ein paar Tage hier, und konnte nicht aufs Klo. Immer wenn mein Hintern das Klo sah, ging nichts mehr. Ich klagte Sophia mein Leid und die lachte. Sie machte mir vor, wie ich mich dahin hocken sollte. Mit den Händen sollte ich die Zehenspitzen halten dann würde es sicher klappen. Ich hatte Horror-Vorstellungen. Wenn ich das Gleichgewicht verlieren würde, und nach hinten kippte, -- ich durfte gar nicht daran denken.
Gegen Abend nahm meine Schwiegermutter mich mit, Trinkwasser zu holen und die Kühe, die wieder mit dem Hirten unterwegs waren. Sie nahm die Wasserkanne mit, und ich den Kinderwagen mit Heinz darin. Ireni wollte auch mit, sie nahm Tina an die Hand.
Wir gingen zum Ort hinaus und kamen an der Kirche vorbei. Die kam mir von der Form her vor, wie eine Friedhofskapelle, oder wie ich von Bildern her kannte, eine Bergkapelle. Der Pastor, der sich hier Pope nannte, und einen Haarknoten trug, zog am langen Seil, um den Feierabend ein zu läuten. Dabei wurde er immer, ein Stück vom Seil hoch gezogen. Es sah putzig aus. Dann gingen wir bergab und kamen an die Quelle. Gleich daneben hatte meine Schwiegermutter ihren Garten.
Ich musste ihren Garten ansehen. Da wuchs haufenweise Gemüse, vorwiegend Tomaten und Paprika. Alles auf steinhartem, trockenem Boden. Die Pflanzen lagen auf dem Boden und trugen reichhaltig, reifes Gemüse. Die Schwiegermutter füllte mein Netz am Kinderwagen und ihre Schürze. Wir spülten die Kanne aus, und machten sie voll mit frischem Wasser. Ein Fluss war auch ganz in der Nähe, und eine Brücke führte darüber. Dahinter fingen die Felder an.
Über die Brücke kamen jetzt die ersten Ziegen und Kühe gerannt. Die meisten hatten Glocken um. Später erfuhr ich, dass sie Glocken haben, damit die Besitzer hörten wenn die Tiere kamen und ihnen die Stalltüre aufmachten.
Wir gingen jetzt wieder heim, und die Kühe kamen uns nach.
Im Dorf rief jemand, dass der Zug kam, denn der kam nie genau nach Fahrplan. Der konnte auch mal mit einer halben Stunde Verspätung kommen, mindestens. Nun eilten einige zum Bahnhof. Sophia meinte Stefan käme mit dem Zug, und glaubte, ich würde dann gleich loslaufen. Aber der fand auch ohne mich nach Hause. Dann ging sie ihm allein entgegen.
Unterwegs muss sie ihm erzählt haben, dass ich auf dem Klo nichts machen konnte. Zuerst ging er in die Küche, und aß einen gehörigen Teller voll von dem Essen. Dann kam er zu uns ins Zimmer und erzählte mir, dass im oberen Stock ein Lehrerpaar wohnte. Die wollte er jetzt mit mir besuchen. Wir nahmen die Kinder mit.
Die Treppe ging von außen hoch. Das junge Paar freute sich, als wir sie besuchten. Sie saß an der Nähmaschine und nähte für sich Unterhöschen aus Satin und Spitze. Den Stoff hatte sie heute auf dem Markt gekauft. Nun legte sie die Arbeit weg und kochte, wie hätte es anders sein können, griechischen Kaffee. Die Lehrerin konnte ein wenig englisch. Französisch konnte sie besser, aber das konnte ich nicht.
Dann erfuhr ich, dass während des Krieges hier in dieser Wohnung, deutsche Soldaten gewohnt hatten. Oben in der Wohnung war auch ein WC. Aber die Deutschen hatten auch nicht auf das Klo gekonnt. Da hatten die sich einen Balken montiert, auf dem sie dann saßen, wenn sie mussten. Wie ein Blitz schoss es mir durch den Kopf:
Als ich, bevor ich von der Schule abging, in Oberschwaben zur Erholung war, hatte ich eine Postkarte gekauft, auf der war das Lied der Schwaben. Da hieß es in einer Strophe: „Wo jeder zweite Fritzle heißt, wo man noch übern Balken scheißt, oh Schwabenland geliebtes Land wie wunderbar bist du....“ Das war also damit gemeint, ich hatte mich damals so gewundert, und nicht gedacht, dass es das gibt.
Der Balken war immer noch da und das Lehrerpaar fand ihn gut und sie benutzten ihn auch. Mir bot man an wenn ich wollte, könnte ich hinaufgehen auf ihr Klo. Das wollte ich nicht, es war mir peinlich.
Die Hausfrau brachte den Kaffee, der in winzige Tassen gefüllt war, dazu gab es ein großes Glas Wasser. Dann kam das übliche Ritual mit "Liko" und Kaffeesatzlesen. Das Wasser rührte ich nie an, ich hätte lieber genügend Wasser für meine Körperwäsche gehabt.
Mich interessierte ihre Nähmaschine. Ein kleines niedliches Ding, was sie auf dem Tisch stehen hatte, und mit der Hand kurbelte sie an einem Rad. Ich stellte fest: Das Leben hier hinkte mindestens hundert Jahre hinterher.
Stefan merkte, dass meine Augen an der Nähmaschine hingen, und er sagte: in dem Raum, unten, gegenüber von dem Zimmer der Mädchen sei die Nähmaschine seiner Mutter. Sie konnte nicht nähen, aber ich dürfte sie benutzen. "Ja," sagte die Lehrerin, und holte Stoffreste, die schenkte sie mir, ich sollte etwas für die Kinder nähen.
Wir gingen die Treppe hinunter, und das Dorf war wieder auf den Beinen, zum abendlichen Spaziergang. Man hätte es auch Schaulaufen nennen können, denn die jungen Mädchen hatten sich alle herausgeputzt. Sie wollten den Soldaten gefallen, von denen hier mindestens hundert stationiert waren.
Stefans Schwestern waren auch dabei, Sophia die ältere, musste noch ein Jahr das Gymnasium besuchen. Dann war es bei den Mädchen üblich, dass sie entweder heirateten oder einen Beruf ergriffen, was allerdings die Ausnahme war. Die meisten der Mädchen gingen dann zur Universität nach Thessaloniki.
Wir kamen ins Zimmer, und ich machte das Fenster auf, draußen war es warm wie im Sommer, dabei war der Oktober fast zu Ende. Am ersten November musste Stefan antreten. Die Grundausbildung würde er weit weg haben. In der Zeit bekam er auch keinen Urlaub. Mir war es gleich, ich würde zurechtkommen.
Vorher wollte er noch einmal nach dem Container sehen, denn er glaubte, dass er bald in Thessaloniki ankam. Aber jetzt musste er dringend ins Café, denn für das Wirtshaus war er ja zu jung, die alten Männer wollten unter sich sein. Im Café dagegen hielten sich die jungen Männer auf. Da hatte ich gestern einen Mann gesehen, den ich von Deutschland kannte, er hatte eine farbig getönte Brille auf und schwarze Locken. Auch da waren Frauen kaum zu sehen, höchstens sie kauften ein Eis für die Kinder.
Als mein Mann weg war, machte ich für mich ein Marmeladenbrot, für Tina ein Brot mit Salami und Heinz bekam einen Brei, die Milch dafür bettelte ich bei Stefans Mutter. Die hatte so viele Kühe, und fast keine Milch im Haus. Dabei kam hier kein Milchwagen, um für die Molkerei Milch zu holen. Es war mir ein Rätsel was sie mit der Milch machte.
Tina hatte wieder keine nasse Hose. Ich war stolz auf sie, und wollte ihr jetzt nur noch bei Nacht eine Windel anlegen. Mit den Windeln musste ich sparsam umgehen, mein Waschkessel war ja noch nicht da. Ich wollte nicht, dass meine Schwiegermutter wieder für mich waschen musste.
Für heute hatte ich genug gesehen, ich machte das Fenster zu und ging mit meinen Kindern schlafen. Im Bett gingen mir die wenigen griechischen Wörter, die ich heute gelernt hatte, durch den Kopf. Es war mir klar, dass ich diese Sprache lernen musste, sonst hatte ich schlechte Karten.
Morgens wurde ich besonders früh wach. Die Kinder schliefen noch und Stefan lag auch in dem Bett. Vorsichtig arbeitete ich mich aus dem "Massenlager" und ging in den Flur um mich zu waschen. Heute hatte ich Glück und hatte meine Ruhe. Wasser war auch in dem Behälter. Ich war gerade am Zähneputzen als ich hörte, dass die Mädchen aufstanden. Schnell nahm ich mein Waschzeug und verschwand, um mich anzukleiden.
Sophia tobte auf dem Flur, das Wasser war alle, und alle Eimer waren leer. Sie zog ihr Schulkleid über und ging zum Brunnen. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Meine Tür hatte ich etwas auf gelassen und da sah ich, dass es vier Mädchen mit Schulkleidung waren, die sich in der Küche Brot und Käse nahmen.
Die Schwiegermutter kam aus ihrer Kammer. Die band ihr Kopftuch um und ging Richtung Stall. Ich nahm die Abkürzung durchs Fenster, und wollte sehen wie sie melkt und eventuell dabei helfen. Sie nahm einen Eimer und molk ohne Schemel in der Hocke sitzend. Das war jetzt aber nichts für mich. Zwar zeigte ich ihr, dass ich auch melken konnte, aber wie sie in die Hocke ging, mit dem Eimer zwischen den Knien, war mir zu dumm.
Die Kühe gaben wenig Milch ca. drei Liter pro Kuh. Dann ließ sie es durch ein Tuch in einen anderen Eimer. Sie füllte zum Schluss einen Steinkrug mit Milch, die andere brachte sie in den Lagerraum. Davon wollte sie Käse und Butter machen. Ein Butterfass hing an der Decke und wurde hin und her geschleudert. Den Krug mit der Milch nahm sie in die Küche. Es waren etwa zwei Liter und ich glaubte es sei für meine Kinder. Aber kurz darauf kam eine Frau und holte von der Milch die Hälfte.
Ohne Milch, kein Grießbrei für Tina, dachte ich und überlegte was ich für sie machen konnte. Der Schwiegervater kam in die Küche, und setzte sich auf seinen Stuhl. Er ließ sich von seiner Frau bedienen. Die stellte ihm wie jeden Tag, Brot, Käse, Oliven und Butter auf den Tisch. Dazu die Flasche mit dem Ouzo und ein großes Glas Wasser.
Dann schaute er zu mir und sagte "kaze". Ich schaute mich um und suchte die Katze. Da war keine und ich schaute ihn fragend an. Er zeigte auf den Stuhl und wiederholte: "kaze" Als ich mich darauf setzte sagte er "bravo". Aha, ging es mir durch den Kopf, das heißt: setz dich. Jetzt sollte ich mit ihm frühstücken. Also stand ich auf, und holte aus meinem Zimmer Margarine und Marmelade. Er schaute mir gespannt zu und probierte.
Dann musste seine Frau aus dem Schrank Marmelade holen und ich sollte probieren. Mein Geschmack war es nicht. Die Marmelade war viel zu süß, und die Früchte waren undefinierbar. Außerdem knisterte es zwischen den Zähnen, das mochte von Zucker kommen, konnte aber auch Sand sein. Wenn sie an der Feuerstelle draußen die Marmelade gekocht hatte, und der Wind wehte, konnte Sand in den Kessel gekommen sein. Die Erde war ja überall trocken. Letzten Endes nahm ich meinem Schwiegervater noch einen Ouzo ab, was ihn scheinbar glücklich machte.
Jetzt kam Stefan und wollte auf den Stuhl. Ich schnappte meine Sachen und flüchtete, die Kinder anzuziehen. Für Tina machte ich ein Brot mit Marmelade und Heinz hatte noch genügend Vorrat für sein Fläschchen. Für die Flasche brauchte ich wieder heißes Wasser. Die Bettelei hing mir zum Hals heraus. Stefan erklärte, dass ich ja jetzt einen Herd hätte, den sollte ich anmachen wenn ich etwas kochen wollte.
Hinter dem Haus war ein wenig Holz, von dem durfte ich nehmen. Als ich nach Kohlen fragte, zeigte er mir einen Haufen getrockneten Kuhmist, den sollte ich ins Feuer legen, wenn es brannte. Das war jetzt auch geregelt, heute bekam ich noch einmal Wasser in der Küche, ich füllte meine Thermoskanne und war für heute versorgt.
Sein Vater wollte aufs Feld und Trauben ernten, dazu musste er aber erst ins Wirtshaus um jemanden zu finden, der ihm seinen Esel mit Karren auslieh. Wenn sich keiner fände, müsste er die Kühe einspannen, aber die waren schon unterwegs auf die Weide.
Wir machten die Kinder fertig. Stefan wollte mir die Felder seines Vaters zeigen. Heinz saß im Kinderwagen und Tina lief nebenher und fühlte sich ganz groß. Am liebsten hätte sie den Kinderwagen geschoben.
Stefan hatte wieder Uhren eingesteckt, denn er hatte noch nicht alle verkauft. Am Café musste ich warten und er ging hinein, seine billigen Uhren, teuer anzupreisen. Er wurde auch tatsächlich drei Stück los. Von seinem Vetter, den ich aus Offenbach kannte, bekam er zwei Eis für die Kinder.
Tina wurde fertig mit dem Eis, Heinz machte eine Riesensauerei. Wenn ich mich auf einen Stuhl hätte setzen können, wäre es besser gegangen. Aber er hatte es ja schon wieder eilig, und die Kinder mussten das Eis unterwegs essen.
Wir kamen wieder an der Kirche vorbei und an der Quelle, dann gingen wir über die Brücke und da mussten wir steil bergan. Dort gab es tatsächlich einen Weg nach irgendwohin.
Ein Dorf war weit und breit nicht zu sehen. Das was hier als Weide angesehen wurde, war knochentrockener Boden, mit Unkraut und vereinzelten Grasbüscheln bewachsen. Kein Wunder gaben die Kühe keine Milch, wovon auch?
Mitten in der Einöde stand ein Baum, der war voller herrlich reifer Früchte. Ich glaubte, dass es Birnen waren. Mein Mann pflückte eine und gab sie mir. Ohne Vorahnung, biss ich hinein und dachte mir fallen gleich die Zähne aus. Die Dinger hatten eine Schale wie aus Holz.
Etwas weiter wuchsen Melonen, ob die jemand in den Boden gebohrt hatte, oder ob die wild wuchsen, war nicht ganz klar. Stefan nahm eine und schlug sie auf. Dann gab er mir zum probieren. Ich aß nur wenig davon, das kannte ich nicht. Hier in Griechenland war alles maßlos süß.
Zwar mochte ich süße Dinge, aber leicht gesüßt. Stefan erklärte mir, dass der Zucker die Sachen haltbar machte. Es gab je keine Kühlschränke. Die Marmelade war auch in offenen Töpfen und nicht mit Cellophan zugebunden, wie in Deutschland. Butter, Käse und Fische wurden mit Salz haltbar gemacht.
Inzwischen kamen wir bei den Feigen an. Stefan zeigte mir, wie man die isst, damit man die Lippen nicht verbrannte. Die waren nicht schlecht, fand ich. Wir kamen an ein großes Tabakfeld und daneben wuchs der Wein. Die Weintrauben hatten Muskatgeschmack, eine gute Sorte, aber schlecht gepflegt. Korn stand auch noch auf einem Acker, Es schien Weizen zu sein, die Ähren waren extrem klein.
Nachdem er mir alles gezeigt hatte, drehten wir um und gingen heim. Auf dem Rückweg nahmen wir noch Tomaten mit und für mich eine Zwiebel. Ich wollte mir Tomatenbrote machen, mit Zwiebeln. Das schmeckte meinem Mann auch.
Wir kamen zu Hause an, Da wartete bei meiner Schwiegermutter eine Frau mit einem Mädchen auf uns. Das Mädchen war etwa so alt wie Tina, und sie wohnte am anderen Ende des Marktplatzes. Die Kleine wollte mit Tina spielen. Da ich hier noch nie ein Auto gesehen hatte, war ich bedenkenlos und ließ Tina mit ihr gehen.
Ich legte Tina ans Herz nicht in die Hose zu machen. Bevor sie ging ließ ich sie noch aufs Töpfchen. Von da an hatte ich mit Tina fast keine Arbeit mehr. Sie streifte mit ihrer neuen Freundin durchs ganze Dorf und kam nur, wenn sie richtig hungrig war. Stefan fragte seine Mutter, ob ich die Nähmaschine benutzen durfte. Sie hatte nichts dagegen. Sie wusste nur nicht wie sie funktioniert. Als erstes musste ich die Maschine putzen und ölen, denn sie war total ausgetrocknet. Maschine Putzen konnte ich. Das hatte ich bei Mutti gelernt, da durfte ich zwar nicht nähen auf der Maschine, aber putzen durfte ich sie regelmäßig.
Nach einiger Zeit, war sie einsatzbereit, aber nähen konnte ich jetzt nicht mehr, denn die Mädchen kamen von der Schule. Sie waren wieder zu viert. Mein Mann erklärte mir, dass es Mädchen aus einem anderen Dorf waren, die hier aufs Gymnasium gingen weil es nicht in jedem Dorf eines gab. Zum Essen gingen sie zu einer Tante, die aber leider kein Zimmer für sie hatte.
Als der Schwiegervater hungrig heimkam, erfuhr mein Mann, dass er keine Trauben geerntet hatte. Das sollte nun morgen passieren, und Stefan sollte helfen. Nun war er, wie alle Männer hier, nicht gerade ein Freund von körperlicher Arbeit, aber wenn sein Vater es so wollte, dann blieb ihm nichts anderes übrig. Sie aßen zusammen in der Küche, und gingen anschließend jeder in sein Stammlokal. Richtige Arbeiten überließen die Männer gern ihren Frauen, sie machten am liebsten alles, was man im Wirtshaus erledigen konnte.
Pünktlich, als die Kühe in den Stall gingen, kam Tina auch nach Hause. Sie hatte sich gehörig schmutzig gemacht. Morgen wollte ich deshalb ein paar schöne Schürzen für sie nähen. Ich ging zum Brunnen um zwei Eimer Wasser zu holen, damit meine Morgenwäsche gesichert war.
Heinz bekam seine Babymilch und während ich die Flasche schüttelte, gab ich ihm ein Stückchen Brot, weil ich heute keinen Brei gekocht hatte. Morgen wollte ich den Herd anzünden und etwas kochen. Ich hatte den Eindruck hier in Griechenland wurde erst gekocht, nachdem der erste vor Hunger umgefallen war. Morgen wollte ich Eintopf kochen, sofern es einen Topf gab.
Es war noch nicht dunkel darum öffnete ich noch eine Weile das Fenster. Dort setzte ich mich auf die Fensterbank und schaute hinaus. Auf dem Marktplatz spazierte wieder das Dorf, und die Musik spielte wie jeden Tag. Allmählich gewöhnte ich mich daran, ich hatte sogar schon ein Lieblingslied.
Vom Hof her kam ein junges Mädchen, die aber etwas älter war, als die Schwestern von Stefan. Sie lachte mich freundlich an und fragte "Anne"? Ich antwortete auf Griechisch ja. Weil ich heute das Wort für sitzen gelernt hatte, forderte ich sie auf, zu mir auf die Fensterbank zu sitzen. Sie war ruhig und deshalb mochte ich sie. Mit ihr saß ich auf zusammen im Fenster.
Am Zaun lief eine Katze. Ich zeigte auf sie und sagte: "Germanika: Katze". Sie lachte unbeschwert und sagte "Ratta". Sie sah wie ich ungläubig schaute, und bestätigte noch einmal, dass die Katze hier Ratta heißt. Nun holte ich mein Wörterbuch aus der Tasche und schlug das Wort "Ratte" auf. Sie wollte sich kaputt lachen. Dann stiegen wir ins Zimmer, und sie schaute die Kinder an. Mit ganz viel Geduld und mit Hilfe des Wörterbuches unterhielten wir uns.
So erfuhr ich, dass morgen im Kino ein deutscher Film lief. Kino hieß "Cinema" das war mir gleich einleuchtend. Sie wollte, dass ich mit ihr dahin ging. Als sie ging, brachte ich sie noch ein Stück bis an das Ende vom Hof. Sie zeigte mir das Haus, das an der gegenüber liegenden Seite des Weges stand. Dann machte sie mir klar, dass sie dort bei ihrer Oma wohnte. Wenn ich etwas sofort verstand und nicht nachfragen musste, war ich immer ganz stolz, und das kam immer häufiger vor.
Auf dem Rückweg versuchte ich noch einmal mein Glück auf dem Klo. Es war zum heulen, es ging nicht. Morgen wollte ich gleich in der Frühe zur Krankenschwester. nach nebenan gehen. Vielleicht konnte die mir etwas geben.
Die Männer kamen heute zeitig nach Hause, die hatten ja auch morgen viel vor. In der Küche saßen sie wieder am Tisch, und aßen das gleiche wie jeden Tag. Ich machte mir noch schnell ein Tomatenbrot und dann zog ich mein Nachthemd an. Stefan sagte mir Bescheid, dass er heute im vorderen Zimmer schlafen würde mit seinem Vater, die fremden Mädchen waren nach Hause gefahren. Das fand ich gut, denn mein Bett war wirklich zu klein für zwei Erwachsene und zwei Kinder.
Die beiden Männer standen tatsächlich früh auf, um zur Traubenlese zu gehen. Der Vater von Stefan ging einen Eselskarren holen und dann zogen sie los. Ob mein Schwiegervater die Ouzo-Flasche dabei hatte oder nicht, rätselte ich. Nicht, dass ihm am Ende der Arbeitsgeist ausging.
Kurz darauf ging die Mutter von Stefan in den Stall. Ich half ihr und molk eine Kuh, dann zeigte ich ihr meine lange Operationsnarbe, die immer noch rot war. Da erschrak sie und glaubte, dass ich da Schmerzen haben musste. Dass es überhaupt nicht weh tat, musste sie ja nicht wissen. Also gab ich ihr zu verstehen, wenn ich dabei sitzen könnte, würde ich sehr gern helfen, aber im stehen konnte ich das nicht.
Dafür brachte ich ihr die Kühe auf den Weg. In einem alten Eimer weichte ich meine Wäsche ein, denn ich musste dringend waschen. Dann ging ich mit den Kindern in den Laden, um Waschmittel zu kaufen. Die Händlerin hatte auch den Kaffee für mich da, aber keine Milch. Weil ich noch nicht wusste, ob ich einen Topf fand, kaufte ich noch nichts für den Eintopf ein. In meinem Zimmer zündete ich jetzt den Herd an, um Wasser für meine Wäsche heiß zu machen. Das Feuer brannte und ich holte den Wasserkessel aus der Küche.
In einem kleinen Topf machte ich Grießbrei mit Wasser, dann mischte ich von dem Pulver fürs Fläschchen einen Löffel voll darunter. Tina war nicht verwöhnt und Heinz bekam auch davon, er musste jetzt von der Flasche bald wegkommen. Es konnte sehr gut sein, dass ich das Pulver hier nicht kaufen konnte.
Meine neue Freundin klopfte ans Fenster. Ich ließ sie herein und zeigte ihr, dass ich Wäsche waschen wollte. Sie sah, dass ich es im Eimer eingeweicht hatte und machte mir klar, dass Eimer nur zum Wasser holen waren, nicht zum Waschen. Meiner Schwiegermutter würde das sicher nicht gefallen. Sie stieg wieder zum Fenster hinaus und sagte, warte eine Minute.
Während ich überlegte wie lang in Griechenland eine Minute sein könnte, kam sie schon zurück, mit einer Wanne. Wir leerten die Wäsche um und sie fing an den Eimer sauber zu machen. Das Putzwasser vom Eimer kippte sie immer in die Waschwanne, denn Wasser wurde hier nicht verschwendet. Der Brunnen sei auch schon mal ausgetrocknet, erklärte sie mir.
Tina und Heinz wollten auch Wäsche waschen, aber dann kam Gizza, die kleine Freundin von Tina und sie gingen spielen. Stefans Mutter sah ich an, dass ihr mein Besuch nicht gefiel, aber es störte mich nicht. Maria war meine Freundin und ich lernte viel von ihr. Zum Waschen nahmen wir die Wanne nach draußen in den Hof. Man konnte sie nirgends hinauf stellen, wir mussten auf dem Boden arbeiten. Als wir die Wäsche einigermaßen sauber hatten, leerten wir die Lauge aus und gingen mit der Wäsche an den Fluss zum spülen.
Wir nahmen die Wanne zu zweit, denn der Weg war weit. Die meisten Frauen gingen direkt zum Waschen an den Fluss. Ich war aber der Meinung, dass man mit kaltem Wasser nichts sauber machen konnte. Mit schön sauberer Wäsche gingen wir wieder nach Hause. Dort hingen wir die Sachen auf die Leine zum Trocknen.
Heinz war bei der Oma geblieben, und die saß mit ihm in der Küche auf dem Fußboden. Er spielte mit seinen Socken, ich mochte es gar nicht, wenn er die Socken auszog, denn dann sind sie schnell verloren. Drum zog ich sie ihm wieder an und sagte auf griechisch, nicht verlieren. Die Oma staunte, dass ich schon etwas griechisch gelernt hatte.
Maria fragte ob ich die Wanne noch brauchte. Zwar hätte ich gern die Kinder gebadet, aber ich traute mich nicht, noch einmal Wasser zu benutzen. Also gab ich ihr die Wanne zurück, denn ich hatte ja eine bei meinen Sachen. Die ging die Wanne versorgen und sagte sie kommt bald zurück. Ich fragte wann? Da machte sie mit dem Zeigefinger ein paar Kreise in die Luft und sagte "z" Was das heißen sollte? Ich war geduldig, und konnte warten.
Die Stoffreste von der Lehrerin, legte ich auf den Schreibtisch und suchte ein Stück für Tinas Schürzen aus. In meinem Koffer hatte ich eine mittelgroße Schere, die musste für den dünnen Stoff gehen. Dann begann ich zwei niedliche Schürzen für Tina zuzuschneiden.
Bei der Arbeit sah ich wie alle Leute wieder Richtung Bahnhof gingen. Die meisten gingen nur aus Neugier. Mir fiel die Krankenschwester ein, zu der hatte ich ja heute gehen wollen. Da ich aber keine Ahnung hatte ob ich sie schon einmal gesehen hatte, wollte ich lieber auf Maria warten. Heinz schrie in der Küche, und ich ging nachschauen. Er war ganz allein und hatte sich am Stuhl hochgezogen. dabei war der Stuhl umgekippt. Es sah so aus, als ob meine Schwiegermutter auch zum Bahnhof geeilt war.
Stefan kam mit seinem Vater und dem Eselskarren. Sie hatten den Karren voll Trauben geladen. In dem Lagerraum luden sie die Trauben ab. Von mir wollte mein Schwiegervater wissen, wo seine Frau war. Er fragte: "Pu ine Lena?" Da ich nicht genau wusste, ob sie jetzt zum Bahnhof war oder nicht, sagte ich lieber: "Sen xero" das heißt: ich weiß es nicht. Beide waren überrascht, dass ich schon einiges gelernt hatte. Der Opa sagte wieder "bravo".
Er schaute in die Küche und suchte scheinbar was zum Essen, das hatte ich aber auch schon erfolglos hinter mir. Dann aß er das, was er immer aß, und Stefan gesellte sich zu ihm. Inzwischen konnte man den Zug pfeifen hören, und der Vater schnellte hoch und sagte etwas von Gregor. Ich verstand Gregor kommt. Auch Stefan, lief seinem Vater nach vor die Haustür. Schnell ging ich mit Heinz in mein Zimmer, ich wollte nicht stören wenn Besuch kam. Im Stillen dachte ich: Hoffentlich hat der Besuch keinen Hunger.
Nun ging ich nach meinem Feuerchen zu gucken, der Kuhmist glimmte immer noch und stank leise weinend vor sich hin. Jetzt dachte ich, mache ich mir einen Kaffee, und blies das Feuer neu an. Dazu werde ich ein Marmeladenbrot essen, und gleichzeitig meinem Kind das Fläschchen richten.
Weil das Wasser ja eine Ewigkeit braucht bis es kocht, zog ich den Kleinen frisch an. Leider konnte ich ihn nicht jeden Tag baden, darum nahm ich einen Waschlappen und machte den, mit warmem Wasser nass. Dann putzte ich seinen Popo richtig schön sauber. Heinz lachte, als ich ihm zum Schluss auf den Bauch pustete. Danach legte ich ihn auf mein Bett und gab ihm seine Flasche. Er war rundum zufrieden.
In der Küche wurde es laut, es war tatsächlich Besuch gekommen. Die Männer hatten es wichtig, und die Mutter kam in mein Zimmer um zu schauen, ob ich den Herd an hatte. Sie machte mir klar, dass sie ein großes Feuer wollte. Da stieg ich zum Fenster hinaus und holte ein paar Stücke Holz. Da es hier nirgends Wald gab, war das Holz knapp. Man musste damit sparsam umgehen. Aber wenn sie ein großes Feuer wollte, brauchte ich Holz.
Es sah so aus, als ob es nun ein Festmahl geben sollte. Sie nahm das Kuchenblech aus dem Herd und fettete es ein. Dann ging sie zum Metzger. Und ich hatte schon gedacht, dass sie gar nicht wusste, dass man Fleisch essen kann. Als sie zurückkam hatte sie Hackfleisch gebracht.
Die Männer gingen wieder auf den Acker und ich sah durch den Türspalt, dass ein Soldat gekommen war. Der ging auch mit die restlichen Trauben zu holen. Meine Schwiegermutter brachte Kartoffeln, und begann umständlich daran herum zu schneiden. Ich nahm sie ihr ab und schälte sie schön sauber, sie staunte. Woher ich das so schön konnte, wollte sie wissen. Ich ging an den Kalender und ging den ganzen Monat durch und sagte an jedem Tag "Patates" Sie sagte daraufhin "anassemasse" das gibt es nur im ihrem Dialekt und hieß so viel wie: kaum zu glauben, oder wers glaubt wird selig. Jedenfalls drückte der Ausdruck, Erstaunen und Ungläubigkeit aus.
Mir gefiel der Ausdruck. Die Kartoffeln musste ich jetzt in Spalten schneiden, ungefähr einen Finger dick und sie mischte ihr Hackfleisch. Sie mischte viele Kräuter darunter und formte Würstchen davon. Bis sie dann alles auf das Blech verteilt hatte, wusste ich dann auch, dass es ihr Sohn war, der zu Besuch gekommen war. Er war zwei Jahre älter als Stefan und gerade mit dem Militär fertig. Einmal musste er noch zur Verabschiedung. Mein armes Wörterbuch hatte gehörig gelitten, sie wollte immer das Buch und hatte Hackfleisch an den Fingern. Also machte ich einen Lappen feucht und putzte das Buch ab.
Zum Schluss brachte meine Schwiegermutter noch eine Aubergine, die sie in Scheiben zwischen Fleisch und Kartoffeln legte. Dann sparte sie nicht mit Tomatenmark und schob alles in den Backofen. Auf das Feuer legte sie ein paar getrocknete Kuhfladen. Jetzt wusste ich auch, warum da Kühe im Stall waren, aber kein Misthaufen da war. Wenn sie den Stall morgens sauber machte, warf sie den Mist draußen an die Wand vom Stall. Nachdem er getrocknet war, stapelte sie die Kuhfladenbriketts im Hof, das sah aus wie ein kleines Mäuerchen um den Stall herum.
Heinz schlief noch und die Mädchen kamen nach Hause. Sie schauten beide in den Backofen und schlugen sich gegenseitig auf die Finger, weil jede naschen wollte. Ich ging zum Brunnen und holte zwei Eimer Wasser. Damit nicht immer kein Wasser da war, wenn man welches brauchte. Maria war auch am Brunnen und erinnerte mich an den Kinofilm. Aber ich wollte doch noch zur Schwester, ein Abführmittel holen. Sie zeigte auf eine nette Frau, die gerade über den Marktplatz kam und sagte "Das ist sie."
Wir gingen zu ihr. Sie erklärte, dass sie in einem anderen Dorf war, und eine Stunde lang durch die Einöde gelaufen war. Dort hatte eine Frau ein Kind bekommen. Ich dachte bei mir: Eine Stunde Weg zu Fuß, da konnte ja das Kind schon längst da sein. Aber der Doktor hatte ein Motorrad, und der hatte sie dahingefahren. Ob der ein Telefon hatte, habe ich nie erfahren.
Nun klagte ich, was mich plagte und sie schmunzelte. Dann ging sie an einen Schrank und holte mir zwei Tabletten. Wenn ich wieder etwas brauchte sollte ich zu ihr kommen. Wenn meine Regel ausfiele, könnte sie auch helfen, versicherte sie. Das beruhigte mich, denn ich wurde ja schon schwanger, wenn jemand seine Hose an mein Bett hängte.
Maria nahm ihre Wassereimer und zeigte auf meiner Uhr, die ich an einer Kette um den Hals trug, um wie viel Uhr sie kommen wollte. Meine Uhrkette gefiel ihr. Ich hatte noch eine in der Schublade, die Stefan nicht verkauft hatte, ich wollte sie ihr demnächst schenken.
Tina war wieder den ganzen Tag unterwegs, als sie total erschöpft, mit roten Wangen heimkam, hatte sie sich ihrer Unterhose entledigt. Sie wusste nicht wo sie die gelassen hatte, behauptete sie. Na dachte ich, dann werden die Unterhosen nicht lange reichen. Von den Tabletten nahm ich eine, die andere legte ich in meine Schublade, in den Schreibtisch.
Als ich die Wäsche von der Leine holte, kamen die Kühe auch. Sie gingen gleich in den Stall, und meine Schwiegermutter kam hinterher mit der Trinkwasserkanne. Gleich darauf kamen auch die Männer mit dem Karren voller Trauben. Die verschwanden mit den Trauben wieder in der Lagerhalle. Mein Mann brachte den geliehenen Karren mitsamt dem Esel zurück und die anderen saßen in der Küche und warteten aufs Essen.
Die Schwiegermutter stellte das Blech direkt auf den Tisch, und alle nahmen mit den Fingern und aßen. Bis auf die Mädchen, die nahmen sich einen Teller, legten sich etwas darauf und gingen in ihr Zimmer zum Essen, denn es war ja kein Stuhl frei.
Es wurde höchste Zeit, die Kinder zu füttern und für die Nacht zu richten. Danach legte ich sie ins Bett und sagte meinem Mann, dass ich jetzt ins Kino ging. Zuerst warf er mir einen erschrockenen Blick zu, dann sagte er: "Ja geh mal Anne, da kommt ein deutscher Film." Maria wartete vor der Tür auf mich, und wir gingen in den Kinosaal.
Jetzt wusste ich auch weshalb mein Schwiegervater heute die Trauben holte. Er konnte heute nicht in die Wirtschaft, weil da das Kino eingerichtet wurde. Da standen haufenweise Stühle und eine große Leinwand war gespannt. Von mir wollten sie kein Eintrittsgeld, ich sei Gast im Dorf. Als der Film anfing, wusste ich sofort, dass der Film auch das Eintrittsgeld nicht wert war. Es war ein alter schwarz-weiß Film mit griechischen Untertiteln der Ton war ganz leise gestellt. Er handelte vom Krieg und Hitler und interessierte mich überhaupt nicht. Was die anderen da gut dran fanden, wollte mir nicht einleuchten.
Der Film war noch nicht zu Ende, da bekam ich Bauchschmerzen. Meiner Freundin sagte ich, dass ich jetzt dringend heim müsste sie konnte ja zu Ende gucken. Sie wollte mir noch etwas sagen, aber ich huschte hinaus. Eilig ging ich auf das Klo zu, und hoffte, dass es nicht besetzt war. Es war offen und ich hatte Erfolg. Jetzt fühlte ich mich richtig wohl und wollte schlafen gehen. Stefan saß in der Küche und wartete auf mich. "Der Film war richtig blöd," sagte ich. "In Griechenland geht eine Frau nirgends allein hin." rügte er mich. "Ich war mit Maria im Film" verteidigte ich mich. "Maria ist nicht der richtige Umgang für dich, sie wohnt bei ihrer Oma und macht was sie will." "Ich kann sie aber gut leiden, und ich lerne viel von ihr." Sagte ich zu meiner Rechtfertigung.
Dann erfuhr ich noch, dass die Oma von Maria und die Mutter von ihm, sich nicht leiden konnten. Wenn er etwas dagegen hätte, dann würde ich wieder nach Deutschland fahren, beschloss ich. Langsam lenkte er ein, er hätte ja nichts gegen sie, aber ich durfte mir ihr nirgends hinfahren oder gehen, höchstens ins Kino. Ich wollte ja auch gar nicht ausgehen, bei so einer Männer-Gesellschaft wie hier, sowieso nicht.
Seine Mutter hatte mich gesehen, dass ich bei der Krankenschwester im Haus war, das sei auch verboten. Die Schwester, die gleichzeitig Hebamme war, nannte man "Mami". Sie war alleinstehend und wohnte im Nachbarhaus. Die Familie bei der sie wohnte, war aber schuld daran, dass Ireni nur einen Arm hatte. Die kleinen Nachbarkinder hatten immer miteinander gespielt und eines Tages hatte der Junge von nebenan das Gewehr seines Vaters genommen und auf die kleine Ireni geschossen. Der Arm war nachher nicht mehr zu retten.
Mir reichten für heute die Verhaltensregeln, und ich ging ins Bett. Als Stefan auch noch kommen wollte, war das Bett schon voll. Er wollte, dass ich Heinz in den Kinderwagen legen sollte, aber ich musste ihm erklären, dass Heinz im Kinderwagen nicht gut aufgehoben war, weil er ja schon aufstehen konnte. Mit "zt zt zt" ging er zur Tür hinaus, in das Zimmer, wo sonst die beiden auswärtigen Mädchen schliefen, die ja schon seit gestern weg waren.
Am nächsten Morgen ging Stefan mit seinem Bruder in das Café und der Vater in seine Gaststätte.
Ich war dabei, meine Kinder anzuziehen, da klopfte eine alte Frau an mein Fenster. Ich machte auf und schaute sie fragend an. Sie war die Oma von Maria und brachte mir einen Topf Milch.
Skeptisch guckte ich auf die Milch und fragte: "Kazikka i Angelasa?" Ziege oder Kuh hieß das. Sie versicherte es sei Kuhmilch. Gerne hätte ich es ihr gezahlt, aber sie war schon weg. Da schmiss ich meinen Herd an und stellte den Topf, mit der Milch aufs Feuer. Heute würden meine Kinder Grießbrei satt bekommen.
Ein wenig probierte ich davon, war mir aber nicht so sicher, ob ich der Frau glauben konnte. Aber egal, Milch war eben Milch, und für den Kaffee würde sie sicher auch gut genug sein. Ich kochte also auch gleich einen Kaffee und machte dazu ein Marmeladenbrot. Brot hatte ich ja eines bekommen, von meiner Schwiegermutter, das ging aber schon dem Ende zu.
Als der Kaffee mich langsam in Schwung brachte, dachte ich an das Essen von gestern. Durch meine Bescheidenheit, hatte ich nichts abbekommen. Ich wollte das essen was übrig blieb, aber es blieb nichts übrig. Heute war Sonntag und die Läden hatten bis Mittag offen. Also beschloss ich jetzt für mich und meine Kinder, ganz allein ein vernünftiges Essen zu machen. Heute wollte ich auch einmal richtig satt werden. Wie man das auf dem Blech macht, hatte ich ja gestern gesehen.
Stefans Mutter hatte die Kühe weggebracht, und kam mit einer Kanne Wasser zurück. Dann nahm sie einen Reisbesen, mit einem kleinen Handgriff und kehrte gebückt die Zimmer aus. Warum da wohl kein richtiger Stiel dran war? Mein Zimmer fegte ich selber, für mich sollte sie sich nicht bücken müssen. Tina zog ich zum Spielen an, denn sie wollte schon wieder zu Gizza. Heinz nahm ich im Kinderwagen mit.
Mehrere Kleidungsstücke hatte ich mit geheimen Taschen versehen, damit ich mein Geld immer unter Kontrolle hatte. Ich schaute in mein Täschchen und stellte fest, dass es mir zwar noch eine Weile reichen würde, aber dennoch langsam weniger wurde. Zum Einkaufen nahm ich mir zwei Zehner und steckte die in meinen Geldbeutel.
Zuerst ging ich zum Schlachter. Jannis lachte übers ganze Gesicht, als ich kam. Er hatte die Tage mit der Kreation einer Leberwurst verbracht, und ich musste probieren. Sie war gut gewürzt und essbar. Ob da denn noch Salz daran müsse, wollte er wissen. Nein da war genug Salz dran aber irgendein Gewürz das ich nicht kannte. Er hatte ein paar Dosen damit gefüllt, die nahm ich ihm ab und machte ihm klar, dass es mindestens vier Wochen reicht. Woher hatte er bloß das Rezept?
Nun wollte ich aber Hackfleisch. Er hatte Eselsfleisch, Ziegen- und Schafsfleisch und Schwein, aber kein Rind. Da nahm ich nur Schweinefleisch und ließ es ihn durch den Wolf drehen. Im Stillen dachte ich: ob der Fleischwolf sauber ist, oder hängt da innen noch das Fleisch von der ganzen Woche? Ich roch an dem Hackfleisch und es war gut. Als ich gezahlt hatte wollte Jannis unbedingt was Deutsches lernen. "Vielleicht morgen," vertröstete ich ihn, und ging in den Lebensmittel-Laden.
Die Frau in dem Laden, begrüßte mich mit Anne, und war sehr erfreut als ich kam. Auf gut Glück sagte ich Gizza zu ihr, aber nein, sie hieß Nizza. Auch gut, dachte ich und kaufte Kartoffeln. Sie schaute mich ein bisschen schräg von der Seite an, gab mir dann aber fünf Pfund. Ich fragte sie ob es ihr schwer fiele, mir Kartoffeln zu verkaufen, da lachte sie entweder hatte ich mich dumm ausgedrückt oder es falsch ausgesprochen ich weiß es nicht.
Dann wollte ich Öl und sie stellte Olivenöl auf den Tisch, in einem 10- Liter Behälter. Nein das wollte ich nicht. Sie hatte eine kleine Dose Sonnenblumenöl, das war besser für mich. Heinz wurde unruhig, er hatte die Schokolade vom letzten Mal nicht vergessen. Also kaufte ich zwei Riegel. Die Schokolade in Griechenland schmeckte aber auch besonders gut. Zum Hackfleisch brauchte ich jetzt noch eine große Zwiebel und ein Ei. Weil sie so blöd schaute, nahm ich drei Eier.
Dann sah ich im Regal Brot liegen und ich kaufte ein Weißbrot, falls meine Schwiegermutter keines mehr hatte. Ich dachte an Gemüse, sah aber keines, meine Töpfe waren ja auch noch nicht da. Da fragte ich nach Essiggurken. Sie las es in meinem Wörterboch, und hatte keine Ahnung was das sein mochte. Da ging sie an einen großen Kanister und zog eine Paprika heraus zum Probieren. Die war sauer eingemacht und in der Brühe schwammen auch noch Kohlblätter und Tomaten. Sie füllte etwas in eine Plastiktüte, während ich in meinem Wörterbuch nach Kohlen suchte. Sie holte eine große Tüte unter dem Regal hervor und legte sie in meinen Kinderwagen. Dann zahlte ich und ging schwer bepackt heim.
Neugierig, wie sie war, wollte meine Schwiegermutter meinen Einkauf sehen. Dann hörte ich, wie sie "anassemasse" sagte, als sie hinausging. Sie schaute recht böse drein. Mir war das gleich, ich wollte mich jetzt auch richtig satt essen, ohne betteln zu müssen. Was ihr an der Angelegenheit nicht passte, würde sie schon meinem Mann sagen, dachte ich.
Tina war fast immer den ganzen Tag unterwegs, mich wunderte es, dass sie keinen Hunger hatte um die Mittagszeit. Später wollte ich mal schauen, wo sie sich den ganzen Tag herumtrieb. Aber jetzt wollte ich zuerst ein gutes Essen kochen. Den Anschnitt vom Brot gab ich Heinz und setzte ihn aufs Bett. Das hatte ich mit einer Wolldecke abgedeckt.
Aufs Feuer schüttete ich ein paar Kohlen aus der Tüte, damit ich mehr Hitze im Ofen bekam. Dann ging ich das Blech von gestern scheuern. Mit kaltem Wasser und Waschpulver ging ich der Sache zu Leibe. Als es dann endlich sauber war, spülte ich es noch mit heißem Wasser nach. Ich hatte sicherlich einen Eimer Wasser gebraucht dafür. Das war mir egal, ich hatte ja heute früh zwei Eimer voll Wasser geholt.
Dann machte ich Kartoffeln in Spalten geschnitten und legte sie auf das geölte Blech. Danach ging ich an die Frikadellen. Die machte ich so wie ich es gewohnt war mit Zwiebeln, Ei und dem alten Rest Brot. Danach legte ich sie zwischen die Kartoffeln und schob das Ganze in den Backofen.
In der Küche hörte ich die Männer, wie sie sich stärkten, mit Käse und Oliven und trocken Brot. Dazu füllten sie ihre Mägen mit Wasser auf. Stefan schaute zur Tür herein und sagte sie gingen jetzt Wein machen. Wenn ich ihn suchte, er sei hinten im Lager.
Bis zum späten Abend sah ich nichts mehr von ihm, und er sah danach auch nichts mehr von meinem Essen. Allerdings zog der Duft meines guten Essens durch das Haus und lockte meine beiden Schwägerinnen an. Sophia verkündete, sie machte Diät schnappte sich eine Frikadelle und zischte ab. Ireni war nicht so direkt, erkundigte sich aber wann es denn das Essen gäbe. "Wenn Tina zu Hause ist," gab ich ihr zur Antwort.
Eigentlich hatte ich ja vor, nach Tina zu sehen, aber wenn ich hier wegging, bliebe mir zum Schluss nur das schmutzige Backblech, schoss es mir durch den Kopf. Also blieb ich mit Heinz zu Hause, und bewachte meine Ofentür. Normal wäre das Essen genug für einen oder zwei Mitesser, ich hatte ja auch für meinen Mann mitgekocht, falls er Hunger hätte.
Ireni kam mit Tina und sagte stolz: "Jetzt sind wir da." Sie brachte Teller und ich stellte das Blech auf den Schreibtisch. Wir füllten uns auf die Teller, und setzten uns aufs Bett. Ireni schmeckte mein Essen, sie vermisste nur Knoblauch im Hackfleisch.
Dann nahm sie ein wenig von dem sauer Eingelegtem und verriet mir, dass ihre Mutter auch so was in dem Lager hatte. Als wir satt waren, war noch ein wenig auf dem Blech, ich würde es aufheben, falls Stefan von meiner Kocherei Wind bekam. Vorsichtshalber lüftete ich gründlich.
Stefan und sein Bruder wuschen ihre Füße in der Küche. Sie wollten dann ins Fass steigen und die Trauben zu Matsch trampeln. Ich kannte die nach Stinkkäse riechenden Füße meines Mannes und nahm mir vor von dem Wein nichts zu wollen.
Meinen fast leeren Geldbeutel legte ich auf den Tisch, damit Stefan denken sollte mein Geld sei jetzt alle. Dann schlief ich gut mit meinen Kindern. Stefan muss spät noch in unserem Zimmer gewesen sein, und dann später mit seinem Bruder, wieder im vorderen Zimmer geschlafen haben.
Am nächsten Morgen beschwerte er sich, kein einziges Mal die Gelegenheit gehabt zu haben, in unserem Zimmer zu schlafen.
Heute wollte er nach dem Container sehen, und anschließend mit seinem Bruder sich in Thessaloniki beim Militär melden. Sein Bruder sollte dann dafür sorgen, dass ich meine Sachen bekäme. Weil der zum letzten Mal als Soldat in die Kaserne ginge, und dann als normaler Bürger wieder heraus kommen würde. Er würde einige Wochen keinen Heimurlaub bekommen. Nun erwartete er von mir, dass ich ihn zum Zug begleitete. Also zog ich die Kinder an, gab ihnen schnell zu essen und ging mit ihm zum Bahnhof. Sein Bruder ging auch mit.
Der Zug fuhr in den Bahnhof ein, und Stefan verabschiedete sich liebevoll von den Kindern. Er nahm auch mich in den Arm. Abschiedstränen konnte ich mir aber keine abringen. Ich hatte das Weinen auch ganz verlernt, bei allem, was ich in meinem jungen Leben schon durch gemacht hatte. Marie war meine dritte Freundin, ich mochte sie, aber sie würde nie in meinem Herzen bleiben wie Margot.
Tina hatte es eilig, sie wollte zu ihrer Freundin. Vorher musste sie aber noch aufs Töpfchen, denn ich konnte es mir nicht leisten, dass sie jeden Tag ohne Unterhose heimkam. Also versprach ich ihr: "Wenn du noch einmal ohne Hose heimkommst, werde ich dir den nackten Hintern versohlen." Sie schaute mich noch einmal mit ihren strahlenden Augen an, dann marschierte sie los. Heinz wollte hinterher krabbeln, aber ich machte die Tür zu.
Die Sonne meinte es schon wieder gut. Es war warm, trotzdem musste ich den Herd anzünden, wenn ich Kaffee wollte. Ich öffnete das Fenster weit und machte ein Feuerchen. Das Blech mit meinen Resten von gestern, stellte ich auf den Schreibtisch und deckte eine Zeitung darüber. Dass Gregor, der Bruder von Stefan heute meine Sachen bringen würde, glaubte ich nicht. Wie auch, in der Hosentasche? Vielleicht im Gepäckwagen vom Zug, wenn es hier so etwas gab.
Nun wollte ich zuerst Kaffee trinken, etwas Milch hatte ich noch, da konnte nichts schief gehen. Dazu gab es Marmeladenbrot.
Mit der Marmelade ging ich sparsam um und auch mit meiner Margarine. Ich konnte nicht jeden Tag einkaufen. Mein Blick fiel auf den Geldbeutel, ich schaute hinein, und Stefan hatte mir ein paar Scheine griechisches Geld hineingesteckt. Viel war es nicht, aber umgerechnet zwanzig Mark. Heinz brauchte dringend ein Spielzeug. Er spielte zwar wenn Tina nicht da war mit ihrem Hasen und dem hellblauen Hund, aber die Sachen waren schon schmutzig, ich musste etwas Abwaschbares für ihn kaufen. Übermorgen wollte ich auf dem Markt danach schauen.
Als ich meinen Kaffee aufgoss, kam Maria durch die Tür. Ich erschrak, denn sie benutzte sonst das Fenster. In der Hand hatte sie einen Topf mit Milch. Sie erklärte mir langsam und verständlich, dass meine Schwiegermutter im Hof am offenen Feuer hockte, und in einem großen Kessel Marmelade kochte. Deshalb hatte sie den Weg über den Marktplatz genommen, um mit der Milch nicht an meiner Schwiegermutter vorbei zu müssen. Ich trank meinen Kaffee und mein Marmeladenbrot schmeckte mir bestens.
So schauten wir uns gegenseitig an, und wussten nicht recht, was wir machen sollten. Da fielen mir die Schürzen ein, die ich für Tina nähen wollte. Maria hatte nähen gelernt so nahmen wir Heinz mit ins vordere Zimmer, in dem gerade niemand war. Neben der Nähmaschine stand sogar ein Stuhl. Der sah so klapprig aus, dass ich es nicht wagte, mich darauf zu setzen. Ich schaute mir den genau an und sah, dass er total aus dem Leim gegangen war. Da half nur Holzleim. Vielleicht hatte ich noch einen bei meinen Sachen, wenn ihn Stefan nicht schon weggeworfen hatte. Also war erst mal nichts los, mit nähen. Von den Küchenstühlen traute ich keinen zu holen.
Wir setzten Heinz in den Kinderwagen, und machten eine Runde durchs Dorf. Maria hatte gestern gewaschen, und ich musste morgen unbedingt auch waschen. Aber heute wollte ich mit ihr das Dorf noch einmal ansehen. Tina spielte mit Gizza auf dem Weg, der vor der Schule vorbei zum Rathaus führte. Der Weg war dort so trocken, dass die Kinder in den Schlaglöchern mit dem Sand spielten. Gizza sang auf Griechisch das Lied von den kleinen Enten, die beim Nachbarn aus dem Wassereimer tranken, und Tina sang mit.
Auf den Wegen waren kaum Kinder zu sehen, die Geburtenrate schien hier geregelt zu sein. Maria erklärte mir, dass die "Mami" dafür sorgt, dass die Frauen nicht jedes Jahr ein Kind bekommen. "Wer seine Regel nicht pünktlich bekommt, geht zu ihr und bekommt eine Tablette oder Spritze, dann ist alles in Ordnung."
Wir ließen die Kinder spielen und gingen den Weg wieder zurück. Als wir an der Wirtschaft vorbei kamen, saß mein Schwiegervater am Tisch mit zwei anderen Männern, sie hatten jeder einen Teller voll Essen vor sich. Ja, dachte ich, wenn der im Wirtshaus isst, reichen ihm daheim Brot, Käse und Oliven.
Jannis, der Sohn vom Metzger, saß auf einem Stein vor der Ladentür und wartete auf Kundschaft. Mit einem breiten Lachen kam er auf uns zu. Heute sollte ich ihm was „Deutsches“ beibringen, bettelte er. Nein, das geht hier nicht, wimmelte ich ihn ab und zeigte auf den Lautsprecher. Da konnte man ja sein eigenes Wort nicht verstehen. Wir sollten mit in den Laden kommen. Das wollte ich auch nicht, ich fühlte mich beobachtet von Stefans Vater. Wir sollen den Weg zur Kapelle gehen, bat Jannis, er hatte noch eine Lieferung für den Pope.
Wir gingen los und lachten, weil er so wild auf was Deutsches war. Als wir abbogen Richtung Kirche, war Jannis auch schon da. Dort stand eine behelfsmäßige Bank, denn hier war auch die Bushaltestelle, da kam hin und wieder ein Bus vorbei. Es war sogar ein Fahrplan an einem Pfosten. Da stand an welchen Tagen der Bus fuhr. Morgens nach Thessaloniki und abends in die "Wüste", so nannte ich es, weil weit und breit kein Dorf zu sehen war.
Wir setzten uns auf die Bank. War es jetzt die Freude, einen Sitzplatz gefunden zu haben, oder der Übermut? Es schoss mir durch den Kopf dem lästigen Jannis, etwas Unanständiges auf Deutsch beizubringen.
Jannis drängelte, er musste ja wieder in seinen Laden, obwohl sein Vater, der richtige Schlachter gegenüber vor der Wirtschaft saß. "Ja gut, was willst du denn, ein Gedicht oder ein Lied?" Als ich das Gedicht im Wörterbuch aufgeschlagen hatte, winkte er ab. Ein Lied, ja das wäre genau das Richtige, denn er konnte gut singen.
Da sang ich ihm das Lied vor: "Banane, Zitrone, an der Ecke steht ein Mann...." alle Strophen und er jubelte begeistert, das wollte er lernen. Nun fing ich an mit ihm die erst Zeile zu üben. Dabei legte ich großen Wert auf eine saubere Aussprache. Als er die erste Zeile fehlerfrei singen konnte, bat ich ihn, fleißig zu üben, morgen konnten wir dann weiter machen.
Er bedankte sich mindestens fünf Mal und verbeugte sich, dann lief er zurück in seinen Laden und wir hörten ihn von weitem noch fleißig üben.
Maria und ich schoben den Kinderwagen durch eine Gasse, die ich noch nicht kannte. Da waren ein paar Häuser, in Deutschland hätte man Hütten dazu gesagt, wo neugierige Frauen in Hocke vor der Hauswand saßen, sie spießten Tabakblätter auf Stangen zum Trocknen. Fast alle Häuser hatten zur Eingangsseite ein Vordach, unter dem trockneten sie den Tabak, und viele Zöpfe aus Knoblauch.
Ich kam von der hinteren Seite auf den Hof, und Stefans Mutter rührte immer noch in der Marmelade. Ich sollte probieren und sie reichte mir einen Holzlöffel mit dem Finger nahm ich etwas und leckte ihn ab. "Sehr süß", war mein Urteil.
Sie verriet mir, dass es Trauben waren, zuerst trampelt man den Saft heraus für Wein, dann macht man Marmelade von den ausgequetschten Trauben. Da dort keine Flüssigkeit mehr drin war, dickte die Marmelade schneller ein. Das nennt man Materialverwertung, dachte ich und mein Vorsatz, von der Marmelade nichts zu essen, wurde bekräftigt.
Ich versprach ihr die Kühe zu holen und die Trinkwasser Kanne zu füllen. Damit sie ihre Arbeit zu Ende machen konnte. Sie fragte, ob ich noch zwei Eimer Wasser holen konnte. Das machte ich als erstes. Dann gab ich Heinz ein Stück Brot, um ihn daran zu gewöhnen und schob den Kinderwagen Richtung Quelle.
Normal ging ich ungern mit dem Kinderwagen zum Fluss hinunter. Der Rückweg bergauf, ein Schlagloch nach dem anderen, war doch sehr beschwerlich. Dazu auch noch umringt von Kühen und Ziegen. Vorsichtshalber ging ich jedes Mal den Weg, an dem ich nicht bei Jannis vorbei musste. Heute wollte ich nicht mehr mit ihm pauken.
Zuhause schob ich mein Blech in den Herd, um das Essen ein wenig aufzuwärmen. Viel Restwärme war nicht mehr im Herd, und ich wollte auch nicht mehr nachlegen. Heinz bekam das Fläschchen, dafür hatte ich Wasser in der Thermoskanne. Die Milch hatte ich nicht gebraucht, morgen musste ich dann sofort Grießbrei machen.
Jetzt aßen wir unsere Reste, und danach wollte ich die Kinder ins Bett legen. Vorm Haus war wieder Völkerwanderung zum Bahnhof. Scheinbar war der Zug schon unterwegs. Jetzt fiel mir Gregor ein und mein Container. Ich glaubte ja nicht an Wunder, aber ich fand es besser noch nicht ins Bett zu gehen, falls er etwas zu berichten hatte.
Von der Fensterbank aus, beobachtete ich die Leute auf dem Marktplatz. Es dauerte eine halbe Stunde, da hörte ich den Zug zum ersten Mal pfeifen. Nach einer Ewigkeit kam der erste vom Bahnhof zurück. Er trug etwas auf der Schulter, was aussah wie ein Teil von Tinas Kinderbett. Wenn das meine Sachen waren, dann hatten alle Leute auf dem Bahnhof schon jedes Teil angesehen.
Gregor klopfte an die Tür und berichtete, dass meine Sachen da waren. Die Teile vom Kinderbett kamen auf die eine Seite neben dem Herd. Der Schreibtisch wurde neben das Fenster gestellt. Vor den Schreibtisch kam ein Stuhl. "Dir reicht doch ein Stuhl," stellte Gregor fest. "Ja, und wohin stelle ich den Kleiderschrank?" fragte ich und stellte fest, dass neben der Tür noch Platz war. Gregor dagegen hatte den schon bei den Mädchen abstellen lassen. "Die müssen auch etwas abbekommen," bestimmte er. Außerdem sei da ein großer Spiegel dran, und junge Mädchen brauchten so etwas.
Zumal in das Zimmer auch immer die Zahnärztin kam, und die vielen Leute würden den Schrank dann bewundern. "Du kannst ja auch noch etwas hinein hängen“, erlaubte er mir großzügig. "Da geht es ja nicht drum, es geht darum, dass da auch noch ein Fach für Wäsche darin ist, und ich habe gern Ordnung," wehrte ich mich verzweifelt. Jetzt kam der große Sack mit der Wäsche, die Kartons mit Töpfen und der Pfanne und mein Backgerät, das ich ja ohne Strom nicht benutzen konnte.
Einer brachte den Sack mit der Wolle und zum Schluss brachte jemand die Strickmaschine. Hoffentlich ist die noch heile, dachte ich bei mir. Mein großer Waschkessel war auch dabei. Ich war stinksauer, dass ich keinen Schrank mehr hatte. Meine Schwiegermutter hatte alle ihre Habseligkeiten in Bündeln unter dem Bett, musste ich das jetzt auch so machen? Einen Karton brachten sie noch, da waren Kleider darin.
Jeder Sack war offen, ob das der Zoll gemacht hatte, oder ob Gregor großzügig Geschenke verteilt hatte? Den kleinen Lebensmittelschrank hatte jemand in die Küche gestellt. Gregor konnte sehr gut Deutsch, und musste schon einmal in Deutschland gewesen sein.
Er meinte der Lebensmittelschrank sei doch gut für seine Mutter. Ich wehrte mich verbissen: "Deine Mutter hat einen richtigen Küchenschrank und ich habe nur den Schreibtisch, der kleine Schrank kommt zu mir!" Dafür hatte seine Mutter ja jetzt einen weiteren Stuhl in der Küche.
Normal hätte ich jetzt damit angefangen das Kinderbett aufzustellen, aber ich hatte mich so geärgert, dass mir die Lust vergangen war. Nachdem ich die Tür verriegelt hatte, lege ich mich zu meinen fest schlafenden Kindern und versuchte mich abzureagieren. Anfangs war an Schlafen nicht zu denken. Gegen Morgen muss ich dann doch eingeschlafen sein, und ich fand es lästig, als Tina an meinen Haaren zog. Es fehlte nicht viel, da hätte sie eine Backpfeife gekriegt. Als ich in ihre munteren Augen sah, stand ich lieber auf, nahm mein Waschzeug und ging in den Flur.
Dann war ich so wach, dass ich meine Kinder versorgen konnte. Tina setzte ich zuerst auf den Topf, und da konnte sie warten, bis ich Heinz fertig hatte. Zuerst sang sie ihr Entenlied, dann protestierte sie lautstark. Sie wollte jetzt die vielen Säcke und Kartons ansehen. Während ich Feuer machte, zog sie meine ersten Kleider über den Fußboden. Ich schaute in den Karton mit den Töpfen und holte einen kleinen passenden Topf für den Grießbrei heraus.
Wo sollte ich nur meine Sachen lassen, es fehlte ja nicht nur der Kleiderschrank, sonder auch mein großer brauner Schrank. Den hatte Stefan gar nicht mitgenommen, der war zu schwer. Aber der Platz fehlte mir trotzdem. Heinz hatte Hunger und wollte nicht länger warten. Der Grießbrei war aber noch nicht fertig. Im Zimmer konnte man fast nicht laufen, mit lauter Kästen und Säcke. Das Chaos war perfekt und ich kurz vorm Heulen.
Jetzt musste zuerst ein Kaffee her. Der Grießbrei war inzwischen fertig und ich holte Tinas Märchenteller aus dem Karton. Den hatte sie von der Schwester in Ludwigsburg bekommen. Er war wunderschön. Tina schien jetzt erst zu merken wie schön ihr Teller war, und machte Heinz klar, dass dieses ihr Teller war. Sie haute ihm den Löffel auf den Kopf.
Wenn das so weitergeht, dachte ich, gibt es bis heute Abend drei Leichen hier im Zimmer. Heute war ich zu allem fähig. Jetzt schrie Heinz auch wie am Spieß, und mein Schwiegervater klopfte an der Tür. Der kam mir gerade recht. Ich machte die Tür auf, sagte zornig: "Guten Morgen", und ließ die Tür lautstark wieder zufallen. Sophia steckte ihren Kopf zur Tür herein, und ließ ein erstauntes "Poh poh poh" hören. Sie sollte die Tür zumachen, schrie ich sie an, und sie flüchtete.
Als Tina gegessen hatte, ließ ich sie gleich zu ihrer Freundin und ermahnte sie, heute ja nicht ohne Unterhose heim zu kommen. "Die Mama ist heute nicht gut gelaunt“, warnte ich sie. Nun hatte ich nur noch einen Schreihals im Zimmer. Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
Ich machte das Bett und warf Heinz die beiden Plüschtiere auf den Boden, da konnte er mit spielen. Als ich das Bett gemacht hatte, legte ich eine Wolldecke darüber. Das war jetzt der einzige ordentliche Platz in diesem Zimmer. Als nächstes kam das Kinderbett dran.
Es war alles zum einhängen und schieben, ganz ohne Schrauben. Etwas umständlich baute ich es zusammen, denn meine Geschicklichkeit war mir scheinbar abhanden gekommen. Danach kam die Matratze hinein. Jetzt musste ich in den Säcken nach Bettwäsche suchen, es war alles durcheinander. Scheinbar hatte Gregor auf dem Bahnhof jedes einzelne Teil vorgeführt.
Der Gedanke daran, dass er jedes einzelne Teil zur Besichtigung freigegeben hatte, ließ den Zorn wieder in mir hoch kommen. Heilfroh war ich deshalb, dass ich wenigstens meine Unterwäsche alle im Koffer hatte. Schließlich fand ich die Bettwäsche und bezog das Bett. Fürs Kinderbett hatte ich auch eine Decke, die deckte ich immer darauf, wenn die Kinder im Bett spielten. Die kam jetzt auf das frisch gemachte Bett und Heinz obendrauf. Der war jetzt auch aus dem Weg, und ich konnte nicht mehr über ihn stolpern.
Durchs offene Fenster stieg ich nun um Tinas Töpfchen zu leeren, denn das war heute auch eine Gefahr für mich. Ich leerte es direkt ins Klo und war schon wieder auf dem Rückweg, als ich Jannis singen hörte: "Banane Zitrone.........." Mit dem Töpfchen flüchtete ich schnell ins Zimmer und schob es unter das Bett.
Er klopfte an der Küchentür und fragte grinsend: "Können wir weiter machen?" "Heute nicht," kam es boshaft von mir. Er schaute in das Zimmer, sah die Strickmaschine und wollte wissen was man damit macht. "Stricken, Pullover stricken“, sagte ich kurz angebunden.
"Oh, sehr gut," meinte er ehrlich, den ersten Pulli sollte ich für ihn stricken, er wollte gut bezahlen. "Ja ja," sagte ich, "aber heute nicht mehr, fertig!" Er verstand: Der wird aber heute nicht mehr fertig, und beruhigte mich: "Macht nichts morgen oder übermorgen." Nach kurzem Überlegen dachte ich er könnte mir nützlich sein und ich erklärte ihm, dass ich zwei oder drei Kisten brauchte. Obstkisten für ein Regal ohne Inhalt.
Nachdem ich ihm genau erklärte, was ich damit vor hatte, zog er los so etwas für mich zu besorgen. Wieder ertönte sein Banane Zitrone über den Marktplatz.
Als er weg war, musste ich erst mal Kaffee kochen. Wenn ich heute schon nicht dazu kam, etwas zu kochen, dann wollte ich wenigstens Kaffee trinken. Heinz versuchte verzweifelt den Hasen in das Maul vom Hund zu stecken. Ich musste lachen und versicherte, dass der Hund keinen Hunger hatte. Meine Kleider, die alle auf einem Kleiderbügel hingen, hängte ich nun an das Oberteil von meinem Bettgestell, zwischen Bett und Wand. Das Bettgestell sah aus, wie ein altes ausgedientes Krankenhausbett, aber ich musste feststellen, es war praktisch.
Die großen Fächer vom Schreibtisch räumte ich aus, die Lebensmittel kamen in den kleinen Schrank und meine Töpfe in den Schreibtisch. Ich hatte noch nie gehört, dass jemand Töpfe im Schreibtisch hatte. Für meine Bett- und Tischwäsche machte ich einen Koffer leer. Dort legte ich alles sauber und ordentlich hinein. Langsam bekam ich Ordnung in mein Zimmer.
Die Wolle kam auf den Schreibtisch hinter die Strickmaschine. Für meinen Besen und die Kehrgarnitur hätte ich gern einen Nagel in der Wand gehabt, solange stellte ich alles hinter das Kinderbett. Auf den Tisch legte ich eine Tischdecke, die selbst gestickt war. Ehrlich gesagt, das war nicht nötig, aber ich wollte damit angeben.
Nun fing ich an, meine Wolle zu sortieren. Da waren noch Ersatznadeln und Werkzeug für die Strickmaschine in den Tüten. Die wollte ich in die obere Schreibtisch-Schublade legen, da wartete eine Überraschung auf mich.
Meine Papiere, die in der Schublade waren, hatten die Mäuse zerfressen. Das Abgangszeugnis von der Realschule, um das war es ja nicht schade. Aber leider auch das Zeugnis von dem Lehrhof, wo ich als Kindermädchen war. Ein paar Fotos waren auch angeknabbert. Nur mein Pass nicht, den hatte ich in meiner Handtasche und die hatte Reißverschluss.
Vorsichtig schaute ich nach, ob die Tasche noch heile war. Für die Tasche brauchte ich auf alle Fälle einen Nagel an der Wand. Sogar die eine Abführtablette, die ich mir aufgehoben hatte, war weg. Die arme Maus dachte ich, wie die wohl Bauchweh hatte. Ich musste Blechdosen suchen für meine wichtigsten Sachen.
Das Zimmer gefiel mir jetzt einigermaßen. Ich nahm Heinz aus dem Bett und setzte ihn auf den Flickenteppich, der vor meinem Bett lag. Dann schöpfte ich von dem Grießbrei und aß mit ihm zusammen davon. Später richtete ich ihm eine neue Windel und zog ihn frisch an.
Wenn Tina auftauchen würde, hatte ich noch Leberwurstbrot für sie. Nun da ich meine Töpfe hatte, würde es jetzt oft Eintopf geben, nahm ich mir vor. Gemüse war hier billig und schmeckte immer gut.
Gerade wollte ich die Wanne und den Waschkessel in die Ecke hinter den Herd schieben, da fiel mir ein, dass ich ja auf den Kessel gewartet hatte, weil ich dringend waschen sollte. Na heute wird das nichts mehr dachte ich, aber einweichen konnte ich die Kochwäsche noch. Also kam der Kessel auf den Herd und ich ging Wasser holen. Meine Schwiegermutter hatte ich heute noch gar nicht gesehen. Vielleicht war sie im Garten.
Heinz war inzwischen eingeschlafen, und ich pustete das Feuer an. Dann kam Maria zum Fenster herein. Sie fand mein Zimmer sehr schön, besonders bewunderte sie die Tischdecke. Als ich sagte, dass ich morgen waschen wollte, versprach sie, mit mir zum Fluss zu gehen. Sie hatte auch Wäsche. Im Stillen grauste es mich, vor dem weiten Weg und die schwere Wäsche. Ich zeigte ihr, was die Maus angerichtet hatte und sagte, dass ich dringend Blechdosen brauchte.
Einen billigen Blechtopf hatte ich, den hatte ich für das Brot genommen. Sie wollte in den Läden schauen, was da in Blechdosen war, die sie wegwarfen, wenn sie leer waren. Dafür war ich ihr sehr dankbar.
Sie schaute sich die Strickmaschine an, dann musste sie wieder heim, ihrer Oma helfen, die sei am Backen. Tina kam abgekämpft vom Spielen heim und hatte wieder ihre Unterhose ausgezogen. Jeden Tag verlor sie ein Höschen, das war zu viel für mich. Ich wollte von ihr wissen, wo sie die Hose gelassen hatte. Angeblich wusste sie es nicht. Da schnappte ich sie, und haute ihr dreimal gehörig auf den nackten Hintern.
Jetzt hatte ich wieder das Geschrei am Hals. Am liebsten hätte ich ihr jetzt noch auf den Mund geschlagen. Aber nein, das musste jetzt reichen. Morgen sollte sie zur Strafe im Haus bleiben und mit Heinz spielen. Die Mädchen kamen neugierig um zu schauen warum Tina weinte. Als sie sahen, dass ich meine Kleider am Bett hängen hatten, schlugen sie mir vor meine Sachen in ihren Schrank zu hängen. Meine Antwort darauf war "Haha". Sie gingen kopfschüttelnd hinaus, und wussten nicht wie ich das meinte.
Als auf dem Marktplatz die Leute wieder ihre Runden drehten, kam Jannis und brachte mir drei stabile Obstkisten. Er hatte sogar einen Hammer und ein paar Nägel dabei, um das Regal zusammen zu hämmern. Ich nahm ihm gleich drei Nägel weg und sagte, der Rest reicht für die Kisten. Dann stellten wir auf die Kisten den Vorratsschrank.
Die restlichen Nägel kamen an die Wand für den Besen den Schrubber und die Kehrgarnitur. Den letzten Nagel musste er an den Schreibtisch schlagen, damit ich meine Tasche daran hängen konnte. Er fand das recht eigenartig und ich zeigte ihm, dass ich Mäuse hatte. Auch ihm zeigte ich im Wörterbuch, dass ich dingend Blechdosen wollte.
Er ließ keine Ruhe, und wollte noch einen Satz zu dem schönem, deutschen Lied lernen. Also sang ich ihm den nächsten Satz zweimal vor, und er sang es nach, beinahe fehlerfrei. Dann sangen wir den Satz noch einmal zusammen und er ging mit seinem Hammer, singend zur Tür hinaus. Später klopfte er noch einmal an der Tür, er hatte das Wort "Weiber" vergessen. Wir sangen das Lied noch einmal, danach hatte ich für heute meine Ruhe.
Die letzte Stunde des Tages, gehörte jetzt meinen Kindern. Wir aßen Leberwurstbrot und spielten auf dem Fußboden. Ich freute mich schon auf morgen, denn da war wieder Markttag und ich wollte den Kleinen etwas zum Spielen kaufen.
Bei den ersten Sonnenstrahlen stand ich auf, um den Herd einzuheizen. Meine Wäsche wollte ich bis zum Mittag fertig haben. Nebenbei kochte ich unseren täglichen Grießbrei, der mir schon armlang zum Hals heraus hing.
Bis Heinz wach wurde, hatte ich die weiße Wäsche schon gewaschen, und in der Wanne fertig zum Spülen. Jetzt war die Buntwäsche an der Reihe. Während die Wäsche eingeweicht war, hatte ich reichlich Zeit, die Kinder zu waschen und anzuziehen. Nun rückte ich den Tisch vors Bett, ich hatte das Bedürfnis, mit meinen Kindern einmal zu frühstücken, wenn alle am Tisch saßen. Tina und Heinz kamen aufs Bett, wobei ich Heinz direkt neben mir hatte.
Zum Grießbrei gab es noch ein Brot mit Marmelade, für alle. Heinz aß auch schon ein wenig von dem Brot, und ich war froh darüber. Nach dem Frühstück sollten beide auf dem Fußboden spielen, und ich erinnerte Tina, dass sie heute Hausarrest hatte. Sie versprach bestimmt die Hose nicht
auszuziehen, aber das war zwecklos. Bis nachmittags würde ich sie nicht hinaus lassen.
Die Zahnärztin hatte ihre Praxis auch wieder eröffnet und im Haus ging es unruhig zu. Der Schwiegervater schickte sich an, eine Arbeit zu verrichten, und ich erfuhr, dass er jetzt Tabak ernten wollte. Dann war er sicher heute den ganzen Tag beschäftigt. Gregor war auch noch da, und ging mit seinem Vater auf die Felder.
Als sie mich sah, fragte meine Schwiegermutter: "ti kanis?" Das konnte jetzt heißen: Wie geht es dir? Es konnte aber auch heißen: Was machst du? Ich gab ihr Antwort auf die zweite Möglichkeit und sagte: "Klino Rucha". Ob das jetzt richtig ausgesprochen war oder falsch, war egal, sie verstand was ich meinte. Ich war froh, denn ich konnte mich schon sehr gut verständigen.
Dann wollte sie auf meine Kinder aufpassen, wenn ich zum Fluss ging, bot sie mir an. Einen Augenblick überlegte ich, dann erklärte ich ihr erfreut, dass ich danach, mit ihr auf den Markt gehen wollte. Man sah ihr die Freude an, denn sie ahnte, dass ich noch immer Geld hatte, sie hatte scheinbar keines.
Maria rief am Fenster und ich ließ die Kinder bei der Oma. Sie hatte ein seltsames Wägelchen dabei, da hatte sie ihre Wäsche darauf gestellt. Meine Wanne passte gerade noch daneben, und wir zogen den Karren durch das Dorf. Maria hätte sicherlich ihre Wanne getragen, den Wagen hatte sie bestimmt für mich gebracht. Am Fluss waren wir allein, denn am Markttag war hier kein Waschtag, da mussten die Frauen auf den Markt. Wenn sie auch nichts kaufen wollten, so traf man Frauen aus den anderen Dörfern, mit denen man schwätzen konnte.
Das Wasser war kalt, das wunderte mich, denn es war draußen immer noch sommerlich warm. Maria zeigte in die Ferne, wo man die Umrisse von hohen Bergen sah. Daher kam der Fluss und dort sei es jetzt kalt.
Zügig spülten wir unsere Wäsche, und wrangen das kalte Zeug aus. Dann machten wir uns auf den Heimweg, um die sauberen Sachen auf die Leine zu hängen.
Meine Schwiegermutter kam mit den Kindern in den Hof, um mir Gesellschaft zu leisten. In Wirklichkeit war sie voller Erwartung, mit mir auf den Markt zu gehen. Ihre Vorfreude war ihr anzusehen. Meine Wanne stellte ich ganz zur Seite an den Zaun, da kam am Abend die trockene Wäsche wieder hinein. Jetzt schickte ich mich an, in mein Zimmer zu gehen um mir ein wenig Geld in meinen Geldbeutel zu packen.
Sie schaute mich traurig an, und glaubte, dass ich meine Meinung geändert hatte und nun doch nicht wollte. Sie sollte warten, bat ich sie, dann kam ich mit dem Kinderwagen für Heinz wieder aus meinem Zimmer. Ich setzte ihn hinein und Tina durfte laufen. Erwartungsvoll ging sie mit Tina an der Hand hinter mir her. Bei den ersten Ständen, holte ich sie zu mir vor und fragte sie, was sie denn brauchen konnte. Als ich sie aufforderte einzukaufen und ihr versprach, dass ich es bezahle, da blitzten ihre Augen.
Sie kaufte Gewürze und fragte mich jedes Mal ob sie es nehmen darf. Es fehlte ihr an vielem und so kamen Reis und kleine spitze Nudeln, Kartoffeln und Öl in das Netz vom Kinderwagen. Immer wieder warf sie einen ängstlichen Blick in mein Gesicht, ob ich noch gut gelaunt war. So wurde Kaffee gekauft und Zucker und einen Sack Mehl wollte sie auch gern haben, damit sie wieder Brot backen konnte. Den Sack ließ ich in die Küche bringen und zahlte ihn erst, als er ohne den Sack zurückkam.
Als sie alles hatte, kamen wir an den Stand mit Halva. Sie ließ mir ein Stück zum Probieren abschneiden und fragte ob es mir schmeckte. Die zweifarbige Sorte mit den Nüssen schmeckte mir am besten, obwohl ich darauf hätte ganz gut verzichten können. Von dem süßen Zeug, würde ich Zahnweh bekommen, stellte ich fest. Da fragte ich sie, ob sie das denn brauchte. Sie begann davon zu schwärmen wie alle in der Familie sich darüber freuen würden, es sei was ganz besonderes.
Mir schoss meine Liebe zum Butterkuchen durch den Kopf. Deshalb machte ich ihr die Freude und nahm von dem hellen, der billiger war aber auch süßer und von dem mit Nüssen. Inzwischen war Tina ausgerissen, sie hatte einen Augenblick abgepasst, an dem wir abgelenkt waren.
Verzweifelt suchte ich nach normalem Kaffee, konnte aber keinen finden. Mit den Spielsachen, für kleine Kinder war auch nicht viel los. Also kaufte ich zehn Unterhosen für Tina, die ja so verschwenderisch damit umging, und meine Schwiegermutter konnte es nicht fassen, dass ich zehn Stück kaufte. Schließlich fand ich ein paar Bälle, die waren in einem Netz und es war auch noch etwas anderes darin. Da ich nichts Besseres fand, nahm ich das Netz.
Bei den Schuhen machte ich noch einmal halt, da waren Kunststoff-Sandalen, wie ich sie noch nie gesehen hatte, in bunten Farben, die kosteten nicht viel mehr als eine Mark. Es waren auch einfarbig braune dabei, für die entschied ich mich. Tina suchte ich noch ein buntes Paar in ihrer Größe. Meine Schwiegermutter hatte überall erzählt, dass ich Deutsche sei und eine Strickmaschine hätte. So kam es denn, dass ich den ganzen Mittag Besuch hatte, alle wollten die Strickmaschine sehen.
Jannis hatte schon die Wolle ausgesucht, für seinen Pullover, und ich schlug die Maschen an und zeigte den neugierigen Leuten wie man mit einer Maschine strickt. Sie bewunderten die weiche Wolle, die ja so schön gleichmäßig war und fragten, ob ich für sie auch strickte. Nur wer eine gute Wolle hätte, könnte von mir etwas gestrickt bekommen. Die selbstgesponnene Wolle hier in Griechenland war hart und ungleichmäßig und ich wollte meine schöne Maschine damit auf gar keinem Fall quälen.
Die Frauen waren geteilter Meinung, ein paar von ihnen wollten mit schöner Wolle wieder kommen. Andere schimpften in der Küche bei meiner Schwiegermutter über mich. Ich sei eine eingebildete Faschistin, oder sie nannten mich Hitlaristin. Das ärgerte mich, und ich regte mich auf, dass sie dann auch noch Filme aus der Hitlerzeit im Kino anschauten.
Da die Strickerei gut lief, machte ich das Rückenteil fertig. So konnte Jannis jedenfalls den Anfang sehen, und würde zufrieden sein. Dass ich jetzt wieder nicht zum Nähen kam, war mir aber nicht recht. Heinz spielte mit der Oma und den neuen Bällen.
Ihr Kopftuch war so abgewetzt, dass ich dachte, ihr doch noch ein neues kaufen zu müssen. Als ich sie danach fragte, versicherte sie, noch zwei neue Tücher zu besitzen, die sie in einem Bündel unter dem Bett hatte. Ich machte für Heinz ein Fläschchen, denn lange würde es nicht mehr dauern, dann hatte er Hunger. Da wollte ich vorbereitet sein.
Den Nachmittag verbrachte ich mit meinen Arbeiten und als die Frauen sich auf den Weg machten, um das Vieh und Trinkwasser zu holen, nahm ich Heinz und ging mit meiner Schwiegermutter zur Quelle. Mein Ziel war ihr Garten. Nachdem ich heute für sie eingekauft hatte, ging ich davon aus, dass sie mir von ihrem Gemüse geben würde, damit ich morgen Eintopf kochen konnte. Sie nahm mich mit in ihren Garten und pflückte von allem was mir gefiel.
Meine Vorfreude auf den Eintopf morgen, war riesig. Die Wasserkanne stellte ich in den Kinderwagen und das Gemüse kam ins Netz, so konnte sie sich auf ihre Kühe konzentrieren. Ich schob den Kinderwagen, den Berg hinauf, und der war heute richtig schwer.
Als ich mein Gemüse ausgepackt, und die Wasserkanne an ihren Platz gestellt hatte, kam Tina. Sie war genau so schmutzig wie jeden Tag, aber sie hatte ihre Unterhose noch an, und die war sogar trocken.
Vor Freude nahm ich sie in den Arm. Heinz wurde neidisch und wollte uns auch umarmen. Sie brachten es fertig, dass ich umfiel. Da machten sie sich erst richtig über mich her. Also blieb ich eine Weile liegen und ließ mich von den beiden quälen. Dann rappelte ich mich wieder auf und setzte Tina aufs Töpfchen. Immer wieder beteuerte ich, dass Tina heute das liebste Mädchen der Welt war, und sie war mächtig stolz.
Die Schwiegermutter kochte in ihrer Küche ihr Nudelgericht mit spitzen kleinen Nudeln, und viel Tomatenmark und Olivenöl. Ich machte den Herd an und kochte Grießbrei für mich und die Kinder. Morgen wollte ich keinen Grießbrei sehen, denn dann würde ich so viel Eintopf kochen, dass es für zwei Tage reichen musste.
Nebenbei strickte ich an dem Pullover von Jannis. Dann setzte ich meine beiden wieder an den Tisch, wie gestern und wir aßen unseren Grießbrei. Tina konnte das schon selbst, machte aber den Tisch schön dreckig. Das hatte ich geahnt und die Decke zum Essen zusammen gelegt. Heinz bekam von meinem Teller: Ein Löffel für Heinz, zwei Löffel für Mama. Das klappte gut.
Nach dem Essen zog ich die Kinder für die Nacht an. Als Heinz nackt auf dem Bett lag, kam Jannis. Er guckte den Kleinen an, und war sichtlich überrascht, dass deutsche Kinder genau so aussehen wie die griechischen. Wieso, was hatte er denn gedacht? Glaubte er die deutschen Kinder würden mit Hakenkreuz geboren? Ich machte meine Arbeit zu Ende und legte die Kinder ins Bett.
Dann zeigte ich ihm wie weit ich mit dem Pulli war. Er war sichtlich erfreut und verkündete, dass er den schönsten Pullover im ganzen Dorf bekäme. Er wollte von dem Lied wieder einen Satz lernen. Also übte ich mit ihm. Meine Schwiegermutter schaute zu und lernte auch mit. Da ich sie noch nie singen gehört hatte, dachte ich, dass sie davon auch keinen Gebrauch machte.
Für meinen Eintopf wollte ich von Jannis noch einen Knochen mit Fleisch dran. Singend ging er heim, und brachte ein Stück Lammfleisch mit Knochen. Zwar war ich es nicht gewohnt, mit Lammfleisch zu kochen, aber meine Schwiegermutter versicherte, das sei gut.
Der Schwiegervater kam mit einem Karren voll Tabak heim. Den Tabak warfen sie vor die Haustür. Jetzt mussten die Frauen den Tabak aufspießen und zum Trocknen unter das Vordach hängen. Die Schwiegermutter kam und schwärmte, dass sie, wenn der Tabak verkauft wäre viel Geld hätte. Als ich sie fragte wie lange der trocknen muss, meinte sie, indem sie mit dem Finger kreiste: "drei Monate", vielleicht. Na, dachte ich, dann braucht sie ja nur noch drei Monate zu hungern.
Sie spießte jetzt in jeder freien Minute ihre Tabakblätter auf, und nahm meistens Heinz mit vors Haus. Ich dagegen widmete mich ausgiebig meinem Eintopf, und dem dazu sehr wichtigem Feuer, auf das ich sparsam mit der Hand ein paar Kohlen legte. Die getrockneten Kuhfladen wollten nicht so richtig brennen, sie waren mehr mit Brikett zu vergleichen. Mein Eintopf duftete, und voller Vorfreude probierte ich, mit einem Löffel ein wenig. Das Essen war verdammt scharf. Was hatte sie mir denn da gegeben? Es muss an den Paprikas liegen, dachte ich ,und rannte hinaus zu meiner Schwiegermutter.
Die kam an den Herd und schaute in den Topf hinein. Dann nahm sie den Löffel und suchte nach einer ganz bestimmte Paprika, die sie aus dem Essen fischte. Davon hatte ich viel zu viel hinein getan, ein kleines Stück hätte gereicht. Das Essen konnte noch etwas Flüssigkeit gebrauchen. Damit es jetzt nicht zu dünn war, rührte ich eine Mehlpampe an, mit der ich die Suppe etwas andickte. Jetzt war sie fast perfekt und ich ging ein Brot zu kaufen, davon würde ich eine Scheibe zu dem Essen geben.
Die Händlerin hatte mir zwei leere Teedosen aufgehoben. Ich war froh, dass ich schon etwas darin in Sicherheit bringen konnte, denn meine Angst, Mäuse in den Tüten zu finden, war groß.
Weil ich Hunger hatte, aß ich von meinem Eintopf sofort einen Teller voll. Es war gut essbar. Meiner Schwiegermutter sagte ich, dass ich jetzt an die Nähmaschine wollte. Mit weißem Garn und den zugeschnittenen Schürzen, machte ich mich an die Arbeit. Ich konnte es nicht leiden, eine Arbeit tagelang angefangen liegen zu haben.
Der Lederriemen am Antriebsrad war zu locker, ich musste immer wieder zwischendurch die Handkurbel drehen, aber die Nahte wurden richtig gut. Zwischendurch machte ich eine Pause um Heinz zu füttern, dann ging es weiter. Am Abend hatte ich die Schürzen fertig und deckte die Nähmaschine zu.
Mit meiner Arbeit war ich zufrieden, Jannis allerdings nicht. Er kam am Abend und glaubte, sein Pullover sei fertig. Jetzt war er enttäuscht, dabei hatte er das Geld dafür schon in der Hand. Ich stellte fest, dass ich mit meinem guten Garn hier Verlust machen würde. Um ihn zu erfreuen, übte ich mit ihm weiter an dem Lied. Dabei dachte ich daran, wie in Deutschland die Jugendlichen auch Lieder singen auf Englisch und nicht wissen, was sie da singen. Im Stillen amüsierte es mich, mit welcher Selbstverständlichkeit, er den unanständigen Text des Liedes vortrug.
Meiner Schwiegermutter nahm ich den Weg zur Quelle ab, und brachte die Kühe gleich mit nach Hause. Heinz blieb in der Zeit bei seiner Oma. Als Tina kam, freute ich mich, dass sie es jetzt verstanden hatte, die Hose hatte sie noch an. Sie aß von dem Eintopf und hatte richtig Hunger. Kein Wunder, sie war auch wieder den ganzen Tag beim Spielen.
Solange es hell war, strickte ich an dem Pullover weiter, der sollte ja endlich fertig werden. Als es dann dämmerte, wollte ich die Kinder ins Bett bringen. Also ging ich vors Haus um Heinz zu holen. Meine Schwiegermutter saß allein vor der Tür, und stocherte an ihren Tabakblättern. Heinz sei beim Opa, berichtete sie. Mich wunderte, dass er überhaupt im Hause war und schaute ins Zimmer der beiden Töchter.
Was ich da sah war richtig witzig. Da saßen die Mädchen und Gregor auf dem Bett und der Opa auf dem Stuhl der Zahnärztin. Gregor hatte eine Taschenlampe in der Hand und Heinz sollte die ausblasen. Heinz konnte nicht pusten, er blies immer durch die Nase, und jedes Mal machte Gregor die Lampe aus. Heinz freute sich, wenn er die Lampe ausgepustet hatte und der Opa amüsierte sich köstlich.
Für den Kleinen bereitete ich Grießbrei vor, weil er danach immer besonders gut schlief. Dann fing ich an Tina zu waschen. Sie fand das unnötig, weil sie ja morgen wieder spielen wollte.
Langsam gewöhnten wir uns an das einfache Leben hier im Dorf. Jannis bekam seinen Pullover, den er bei jedem Wetter, tagaus und tagein an hatte. Ich strickte noch ein paar Pullover und Westen, das Geld teilte ich mit meiner Schwiegermutter. Dafür half sie mir, wenn Bündchen zu stricken waren.
Wir kamen gut miteinander aus, und sie zeigte mir eines Tages alle ihre Schätze, die sie unter ihrem Bett aufbewahrte. Sie bewahrte alte Kleider der Kinder auf, bei denen sie immer wusste, wann und wer es angehabt hatte. Da kam auch das rote Kleidchen hervor, das hatte Ireni an dem Tag an, als sie ihren Arm verlor. Bei der Erinnerung weinte meine Schwiegermutter. Ihr ganzer "Reichtum" befand sich aber in einer grünen Holztruhe. Darin war die Aussteuer der beiden Töchter.
Nun erfuhr ich auch wie die Mädchen hier verheiratet wurden. Jedenfalls wie es ablaufen sollte. Im Herbst würde Sophia ihr Abitur haben und dann rechnete man damit, dass die Freier in Haus kamen und sich vorstellten. Vater und Mutter sprachen dann immer zuerst mit den Herren. Sie prüften dann ob der Mann eine Frau ernähren konnte, wie viel Vieh er hatte, wie viel Land, oder ein Geschäft, einen Beruf, vielleicht sogar Beamter? Dann zeigen sie die Aussteuer der Tochter und erzählten wie viel Geld sie ihr mitgeben könnten.
Falls dann beide Seiten zufrieden waren, wurde die Tochter gerufen. Wenn ihr der Mann nicht gefiel, wartete man auf den nächsten. In dem Fall, dass die Tochter niemanden heiraten wollte, musste sie auf die Universität um zu studieren, oder einen Beruf ergreifen. Das fand ich nicht so komisch, ich hatte schon ganz andere Sachen gehört.
Es war schon Ende November und das Wetter war immer noch sommerlich, für mein Gefühl jedenfalls. Da bekam ich Post aus Deutschland. Das Geld von meiner Rentenversicherung war überwiesen worden, und ich sollte es in Kilkis bei einer bestimmten Bank abholen. Sophia und Ireni boten sich gleich an, mit mir nach Kilkis zu fahren. Wir könnten Gregor mitnehmen, der in Kilkis im Krankenhaus als Krankenpfleger arbeitete.
Während wir noch überlegten, ob wir mit dem Zug oder mit dem Bus fahren sollten, kam eine alte Frau ins Haus gepoltert. Sie trug einen Krückstock vor sich her, auf dem waren schön in Reihe und Glied, Tinas Unterhosen aufgehängt. Mit strengem Blick schaute sie mich an und fragte: "Germanisa, afta dikossu ine?" Das hieß auf Deutsch: "Deutsche, sind das Deine?" Mir war es im höchsten Grade peinlich.
Ich zeigte auf Tina und die Frau spuckte Tina vor die Füße, sie sollte sich schämen! Auf dem Weg zum Rathaus, hatte sie ihre Schlüpfer in den Schlaglöchern verbuddelt. Tina weinte, sie versprach es nie wieder zu machen. Obwohl ich mich am liebsten verkrochen hatte, für Tina war es die beste Lehrstunde.
Am nächsten Tag kamen die Mädchen beide um elf Uhr aus der Schule. Wir wollten den Bus nehmen, der um die Mittagszeit nach Kilkis fuhr. Wann genau, wusste niemand. Ich aß noch ein wenig von meiner Suppe, damit ich nicht gleich hungrig war. Dann ließ ich Heinz bei seiner Oma, Tina war ja ohnehin den ganzen Tag unterwegs.
In meine Handtasche steckte ich meinen Pass und das Familienbuch (für alle Fälle). Sophia, Ireni und ich verließen das Haus Richtung Kirche, denn da war die Haltestelle. Wir warteten geduldig und die Sonne brannte. Über die Brücke, bei der Quelle, tauchte schließlich ein uralter Bus auf, wie seit Kriegsende in Deutschland keiner mehr zu sehen war. Der Bus hielt, und war übervoll mit Frauen, und Körben. Auch ein paar Soldaten standen in dem Mittelgang. Wir quälten uns in den Bus. Sophia versicherte: "Die Fahrt dauert nicht lange."
Für die Zustände in dem Bus, war die halbe Stunde Fahrt, eine lange Zeit. Die meisten Fenster waren zerschlagen und der Wind pfiff uns um die Ohren. Ich hatte Angst Ohrenschmerzen zu bekommen. Endlich kamen wir in Kilkis an. Das sollte eine Stadt sein? In meinen Augen war es ein größeres Dorf, mit einer Hauptstraße, die nicht einmal geteert war.
Wir gingen zuerst zum Krankenhaus, um Gregor von der Arbeit ab zu holen. Das funktionierte auch reibungslos. Wir warteten fünf Minuten und er war schon umgezogen. Dann marschierten wir zur Bank. Da hatten wir Glück, dass geöffnet war, denn mit den Öffnungszeiten nahm es niemand genau. Wer etwas zu erledigen hatte, schloss seinen Laden.
Der Mann in der Bank nahm meinen Pass, und verschwand mit dem Vorwand das Geld zu holen. Aber in der Zeit hätte er es auch machen können. Zuerst bekam ich, nach mindestens zwanzig Minuten, den Pass zurück und dann ging die Warterei weiter. Als er endlich mit dem Geld kam, zählte er es zweimal und Gregor auch zweimal. Dann bekam ich endlich das Geld in Drachmen ausgehändigt. Ich ließ es in meiner Tasche verschwinden. Es waren mehr als zwanzigtausend Drachmen, und die Mädchen meinten jetzt wäre ich reich.
Sophia bettelte, ich soll ihr doch bitte ein Stück Stoff für ein Kleid kaufen, für ihre Abi-Feier. Gregor schimpfte sie, schließlich hatte ich für das Geld gearbeitet. Trotzdem zog sie uns in ein Stoffgeschäft. Bald war sie fündig geworden und zeigte mir einen wirklich schönen Stoff, der sich auch angenehm anfühlte. Als der Verkäufer den Preis nannte, tadelte Gregor wieder, sie sei unverschämt.
Von dem sündhaft teueren Stoff wollte sie auch noch fünf Meter, denn es sollte ein langes Kleid werden. Schließlich kaufte ich ihr den Stoff. Da Ireni immer zweitklassig behandelt wurde, bestand ich darauf, dass sie auch einen Kleiderstoff bekam. Die allerdings war nur halb so anspruchsvoll. Für mich nahm ich zum Schluss nur einen Rest, der grade für einen Rock reichte.
Sophia fing an von Schuhen zu schwärmen, die würde sie von mir bekommen, denn ich hatte noch zwei paar tolle Schuhe mit Absätzen, die fast neu waren. Selbst machte ich mir nichts aus Stöckelschuhen. Die Mädchen hatten beide die gleiche Schuhgröße wie ich.
In meinen Gedanken war ich froh, dass wir nicht in Thessaloniki waren, denn Sophia hatte massenhaft Wünsche. Sie war der Meinung wenn einer in der Familie Geld hatte, gehörte es allen. Auf Deutsch sagte ich Gregor, dass ich mit dem Geld meine Heimfahrt sichern wollte, damit ich jederzeit abreisen konnte falls mir danach war. Ich machte ihm klar, dass ich dann in Deutschland auch ein wenig Startgeld brauchte. Er sah das ein, und verteidigte mein Geld vor seinen Schwestern. Als wir am Krankenhaus vorbei kamen, ging Gregor wieder an seine Arbeit.
Am Abend erreichten wir noch den Zug und kamen in der Dämmerung im Dorf an. Auf dem Bahnhof waren wie jeden Tag, viele Neugierige und Jannis sang dazwischen "Banane Zitrone". Stolz trug er den Pullover, den ich gestrickt hatte und er sorgte dafür, dass jeden Tag jemand kam um einen Pulli zu bestellen.
Sophia zeigte die Sachen, die wir gekauft hatten, und ihre Mutter hoffte, dass Sophia die Schönste auf der Abi-Feier war. Scheinbar besorgt fragte sie, ob ich denn mein Geld alles für die Mädchen ausgegeben hatte. Ich sagte ihr, dass ich für Notfälle noch etwas aufbewahrt hätte. Sie meinte ich solle es in der Ikone aufbewahren, denn dort war noch nie etwas weggekommen. Leider vergaß ich zu fragen ob da überhaupt schon mal Geld darin war.
Nun wollte ich aber nicht den Eindruck erwecken, dass ich ihr mistraute und legte das Geld in die Ikone. Etwas ließ ich in meiner Handtasche, denn für meinen täglichen Unterhalt, wollte ich mein Geld jeden Tag bereit haben.
Solange ich Wolle hatte, strickte ich schöne Pullover. Von dem Geld gab ich immer meiner Schwiegermutter die Hälfte, damit sie nicht in Versuchung kam, an die Ikone zu gehen.
Für mich fing die Adventszeit an, für die anderen nicht. Ich kaufte vier Kerzen und sammelte ein paar grüne Zweige, damit schmückte ich unser Zimmer vorweihnachtlich. Die anderen schmunzelten darüber. Sonntags zündete ich dann die Kerzen an, und sang mit meinen Kindern Weihnachtslieder. Tina war sehr gelehrig und sang kräftig mit. Heinz duldete unseren Gesang. Mit dem Essen ging ich sparsam um, und machte vorwiegend preiswerte Mahlzeiten, die aber auch den anderen schmeckten. Jeden Tag kamen sie zum probieren, denn sie kannten weder Bratkartoffeln noch Kartoffelpuffer.
Ireni lernte von mir Pfannkuchen und Püfferchen backen. Sie war interessiert an deutscher Kochkunst. Das ganze Dorf belächelte meinen Adventskalender, den ich für die Kinder gemacht hatte. Aus Stoffresten hatte ich lauter Beutelchen genäht, in die ich kleine Leckereien hinein gesteckt hatte. Das ganze hatte ich an einen Bindfaden geknotet und über den Türrahmen gehängt. Tina durfte täglich einen Beutel abschneiden und dann mit Heinz teilen.
Ich hätte so gern Plätzchen gebacken, hatte aber dafür keine passende Geräte. Weihnachten ohne Plätzchen? Jetzt hatte ich zum ersten Mal Heimweh. Je mehr Weihnachten nahte, umso trauriger wurde ich. Kein Mensch hier dachte an Weihnachten. Auf dem letzten Markt suchte ich vor Weihnachten, nach kleinen Geschenken für meine Kinder.
Die Auswahl an Spielzeug war gering, aber ich fand für Heinz ein hölzernes Auto, und für Tina eine Stoffpuppe. Einen Tag vor Heiligabend hatte ich gewaschen. Ich hängte die Wäsche an die Wäscheleine. Es war immer noch warm, und hatte einen Rock und eine weiße kurzärmelige Bluse an. Dazu trug ich Sandalen und keine Strümpfe. Am Nachmittag des Heiligabends brachte ich die Kinder zu meinen Schwägerinnen ins Zimmer. Dann schmückte ich die grünen Zweige mit Kugeln und Lametta, und machte das Zimmer so gut es ging weihnachtlich.
Anschließend ging ich mit Sophia in die Kirche, denn das machte ich in Deutschland auch wenn es eben ging. Da erhoffte ich mir, in richtig feierliche Stimmung zu kommen. In der Kirche mussten wir die ganze Zeit stehen. Ob es überhaupt Sitzplätze gab, konnte ich nicht feststellen. Der Pope sang unentwegt, seine monotone Predigt. Als die Kirche um war, hatte ich kein Verlangen mehr die Kirche wieder aufzusuchen. Wir gingen nach Hause und als wir über den Hof liefen fing es an zu schneien. Der Wind war kalt und ich hatte nur meine Bluse an.
Schnell flüchteten wir ins Haus. Den Kindern zeigte ich, wie es schneite. Dann zündete ich die Kerzen an ,und rief die Kinder in unser Zimmer. Meine Schwiegermutter wolle mir eine besondere Freude machen, und legte Esskastanien in den Backofen meines Herdes. Das war für mich neu, so etwas hatte ich noch nie gegessen.
In unserem Zimmer war es kuschlig warm, während es draußen unentwegt schneite. Wir zündeten die Kerzen alle an und sangen Weihnachtslieder. Tina erzählte ich die Geschichte vom Christkind. Dann bekamen die zwei ihre Weihnachtsgeschenke, und waren alle glücklich.
Im Haus war es kalt geworden. Meine Schwiegermutter stellte eine Schale auf, in der sie ein Kohlefeuer machte. Das erwärmte die Räume etwas, roch aber gefährlich nach Kohlengase. Sie wußte, dass sie regelmäßig die Tür aufmachen musste, um frische Luft hereinzulassen. Es schneite die ganze Nacht, und am nächsten Tag, lag der Schnee mindestens einen halben Meter hoch, vielleicht auch mehr.
Die Männer schaufelten schmale Gänge zum Brunnen und zur Wirtschaft. Das sah aus wie Schützengräben. Schon in den ersten Tagen, erstickte eine alte Frau an dem Feuer, das sie in einer Schale hatte. Die Art zum heizen war sehr gefährlich. Der Sarg mit der Toten wurde durchs Dorf getragen. Das ganze Dorf ging hinterher und jammerte laut. Sie quälten sich durch die engen Gänge, die in den Schnee geschaufelt waren. Immer wieder wurde der Sarg drei Mal in die Höhe gehoben.
Ob der Schnee eine Woche liegenblieb oder zehn Tage, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich war froh, als er weg war. Als die Griechen ihr Weihnachtsfest am sechsten Januar feierten, war der Schnee geschmolzen. Von den Feierlichkeiten war nicht viel zu merken. Der Pfarrer ging mit einem Palmwedel durch jedes Haus und verspritzte geweihtes Wasser. Als der Pope in mein Zimmer kam, war ich gerade an der Strickmaschine. Obwohl für mich ja kein Weihnachten war, mir war es peinlich.
Von den Resten meiner Wolle, strickte ich für meine Kinder. Meine Schwägerinnen bekamen auch noch einen gestreiften Pulli. Aus den letzten Resten bekam Gregor einen Pullover. Als ich dann mit griechischem Garn stricken wollte, brachen mir einige Nadeln ab und der Zauber war vorbei.
Der Frühling hatte es genau so eilig wie der Winter. Es dauerte wenige Tage, da holte ich meine Blusen wieder aus dem Koffer. Tina ging mit ihrer Puppe zu Gizza und mit der Puppe im Arm, durchstreifte sie wieder täglich das ganze Dorf. Heinz spielte mit seinem Auto und fuhr von einem Zimmer ins andere.
Es kam ein Soldat ins Haus und benachrichtigte mich, ans Telefon zu kommen. Da ich als Deutsche die Militär-Einrichtungen nicht betreten durfte, musste ich aufs Telefonamt, was sich oben in der Post befand. Ich machte mich auf zur Post. Die Treppe zum oberen Stockwerk, war so beschädigt, sodass ich mit meiner krankhaften Höhenangst, die Stufen hinauf krabbelte.
Es dauerte mehr als eine halbe Stunde bis die Verbindung stand. In der Zeit hatte die Telefonistin mindestens hundertmal: "Mbross" ins Telefon gerufen. Den Ausdruck kannte ich als "herein." Stefan war am Telefon, er wollte sein erstes freies Wochenende, mit mir in Thessaloniki verbringen. Ich sollte mit dem Bus am Samstag dorthin fahren. Am Bahnhof wollte er auf mich warten.
Auf alle Fälle freute ich mich auf Thessaloniki. Sophia und Ireni waren gern bereit die Kinder zu versorgen, während ich nicht da war.
Mit Maria saß ich abends auf der Fensterbank und sie erzählte mir, was ich unbedingt ansehen müsste, wenn ich in die Stadt fuhr. Sie nahm den Stoff mit, den ich in Kilkis gekauft hatte und wollte mir einen schönen Rock daraus nähen. Ich freute mich darauf, ein Wochenende das Dorfleben zu verlassen.
Am liebsten hätte ich die Kinder mitgenommen, aber Heinz war für den Kinderwagen fast zu groß, und zum Laufen noch zu klein. Tina hätte schon laufen können, aber ich hatte Angst, dass sie mir im Gedränge verloren ging. Also war es klar, die Kinder blieben bei ihren Tanten.
Bevor ich am Abend ins Bett ging, dachte ich unwillkürlich an mein Geld. Ich schlich in die Küche und schaute in die Schublade unter der Ikone. Das Geldbündel lag da, und schien unberührt. Da ich es vorher nicht genau gezählt hatte, brauchte ich es auch nicht nachzuzählen.
Mitten in der Nacht wurde ich von einem ungewöhnlichen Gepolter geweckt. Mein erster Gedanke waren Einbrecher, aber die gab es ja hier nicht. Also schwang ich mich aus dem Bett um nachzusehen. In der Küche hantierte mein Schwiegervater mit einem großen Prügel. Stühle fielen um und die Wasserkanne. Er war in seinem nächtlichen Aufzug, und machte sich jetzt unter dem Küchenschrank zu schaffen. Um die Kinder nicht zu wecken, machte ich meine Zimmertür zu und fragte ihn, was er denn da machte.
In dem Augenblick sauste eine Ratte vom Küchenschrank quer durch die Küche direkt an meiner Zimmertür vorbei in die Ecke unter das Spülbecken. Dort wurde sie von meinem Schwiegervater erschlagen. Er warf den Prügel weg sagte "kali nichta" und verschwand wieder in seinem Schlafzimmer. Ich putzte das Wasser auf, was er verschüttet hatte und ging wieder ins Bett. Mit dem Schlafen war jetzt nichts mehr los, immer musste ich an die Ratte denken, die sich in der Küche verlaufen hatte.
Am Morgen stand ich zeitig auf, um mich in Ruhe zu waschen. Dann kleidete ich mich an, für meinen Stadtausflug. Es war genügend Zeit um die Kleinen zu füttern und anzuziehen. Seit Weihnachten musste ich auch täglich, der Puppe neue Zöpfe flechten, denn ungekämmt wollte Tina sie nicht hinaus lassen.
Um elf Uhr ging ich zur Bushaltestelle. Dort stand ein alter Mann, der vielleicht auch auf den Bus wartete. Ich fragte ihn wann der Bus denn käme. Er schaute mich an, als hätte ich etwas unanständiges gesagt. Dann steckte er sich Sonnenblumenkörner in den Mund. Mit der Zunge legte er sich die Körner zwischen die wenigen Zähne, es knackste und die Schale spuckte er vor sich auf den Boden.
Dann legte er seinen Kopf zur Seite, und mit den Finger malte er Kreise in die Luft. Ich verstand das immer als vielleicht, oder irgendwann. Dann machte er weiter mit seinen Kernen, während er die, mit der rechten Hand aus der Hosentasche holte, spielte er mit der linken Hand an seiner Perlenkette.
Nach ungefähr einer Stunde kam noch jemand, der auf den Bus wartete. Die Zeit war unendlich, vielleicht war er ja schon weg.
Endlich kam der Bus über die Brücke. Der Bus sah aus wie nagelneu, und der Fahrer fuhr vorsichtig, um den Schlaglöchern auszuweichen. Wir stiegen in den Bus, und alle Fenster waren heile. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Was in Deutschland selbstverständlich war, kam mir hier vor, wie ein kleines Wunder.
Ob wir bei dem Tempo heute noch nach Thessaloniki kamen, war nicht so sicher. Nach einer Weile hielt der Bus an. Alle Leute sollten kurz aussteigen, wollte der Busfahrer, da sei auf der Straße ein Hindernis. Als wir alle ausgestiegen waren, stieg der Fahrer wieder ein und wir mussten zehn Meter zu Fuß laufen. Auf der Straße hatte sich durch die Schneeschmelze ein ganz kleines Rinnsal gebildet, der Fahrer fuhr vorsichtig über die kleine Unebenheit und wir durften wieder einsteigen.
So fuhren wir von Dorf zu Dorf und kamen am späten Nachmittag in Thessaloniki an. Stefan wartete schon seit drei Stunden und fragte, warum der Bus so spät kam.
Der Tag war jetzt schon fast um und wenn wir uns beeilten, könnten wir noch bis zu seinem Vetter nach "Ano Tumba" kommen. Das heißt "Auf dem Berg, oder so ähnlich. Also war schon wieder Eile angesagt, und das konnte ich nicht leiden. Meine Laune war schon getrübt.
Es ging also mit Tempo die Hauptstraße entlang, durch die ganze Stadt. Alles was ich mir ansehen wollte, konnte ich vergessen. Wo die Stadt zu Ende war, zeigte Stefan auf einen Berg, auf dem viele kleine weiße Häuser standen. Das Haus ganz oben das sei das Haus zu dem er jetzt wollte. Und dahin zu kommen, ging es steil bergauf.
Wir kamen an, bevor es ganz dunkel war. Natürlich waren wir nicht angemeldet. Ich hasste es unangemeldeten Besuch zu bekommen Also konnte ich mir nicht vorstellen ,dass wir willkommen waren.
Die Hausfrau tischte auf, was sie so auf die Schnelle fand und tat höchst erfreut. Natürlich sollten wir über Nacht bleiben. Mir war es nicht angenehm das Haus war klein, und wir schliefen alle in einem Zimmer. Hier gab es Wasser und Strom, das gefiel mir allerdings. Die Küche war fast wie in Deutschland und es war sogar ein Kühlschrank vorhanden. Nach dem Frühstück ging der Vetter noch mit uns auf den höchsten Punkt des Berges. Danach verabschiedeten wir uns, nachdem wir seine vielen Vogelkäfige bewundert hatten.
Auf dem Weg nach unten kamen wir an einem Speiselokal vorbei. Zuerst glaubte ich in eine Garage zu kommen, so sah es jedenfalls von außen aus. In dem Lokal waren kleine viereckige Tische mit rot-weiß karierten Tischdecken. Am Buffet kochte der Chef. Alles war überraschend sauber und appetitlich.
Ich schaute mir die Auswahl an und wollte von dem Brechbohnen-Gemüse mit Kartoffelspalten. Natürlich gab es jede Menge Fischspezialitäten, aber ich konnte mich nicht entscheiden, weil ich mein Wörterbuch nicht dabei hatte. Der Koch nötigte mich von dem Tintenfisch zu nehmen, das sei so gut, dass es mir garantiert schmecken würde. Stefan pflichtete ihm bei und nahm auch davon.
Die Tintenfischringe waren paniert und frittiert und schmeckten köstlich. Ich habe später nie wieder bessere bekommen. Dazu war das Essen spottbillig. Ich ass alles auf, nur das Wasser, das ließ ich stehen.
Wir stiegen den Rest des Berges hinab, und kamen nach einiger Zeit wieder in die Stadt. Stefan zeigte mir die Verkaufsstände, die ich aber gar nicht sehen wollte. Genau gesagt wollte ich den Strand sehen, den weißen Turm und die großen Schildkröten, die es hier haufenweise geben sollte.
Für den Strand hatten wir keine Zeit mehr. Beim weißen Turm eilten wir durch den Park, vorbei an schönen schattigen Parkbänken zur Uferpromenade. Dort durfte ich ins Wasser gucken und sah zuerst ganze Massen großer Quallen. Dann sah ich die Schildkröten. Ich hätte stundenlang zuschauen können.
Bei genauem Hinsehen, sah jede Schildkröte anders aus. Am liebsten wäre ich noch ein wenig geblieben, aber Stefan drängte, er wollte noch in ein Café. Dort bestellte er für mich einen nahezu deutschen Kaffee und ein Stück Torte. Das nannte sich "Liko" und machte seinem Namen alle Ehre. Die Torte war zuckersüß. Ich konnte es fast nicht essen.
Während ich in meinem Kuchen stocherte, kam Stefan zur Sache. Er hatte die glorreiche Idee wir sollten drei Kinder adoptieren. Das sei ganz einfach und er wüsste auch wie. Mit ein paar hundert Drachmen würde ihm der Bürgermeister die kleine Gefälligkeit tun. Die Kinder würden weiterhin bei ihren Eltern bleiben und uns gar nichts kosten. Nur in Deutschland bekämen wir dann eine bessere Steuerklasse, und viel mehr Kindergeld.
"Du kannst doch von der Rückzahlung die du bekommst eine wenig investieren. Wir haben dann jeden Monat Nutzen davon, wenn wir wieder in Deutschland sind." Innerlich kochte ich vor Wut, wie kann man ein Gastland so betrügen, dachte ich. Da würde ich ganz sicher nicht mitmachen. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Nun mussten wir zum Bahnhof, denn Stefans Zug war schon eingelaufen. "Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen, das mit der Adoption“, sagte ich scheinheilig. In meinem Kopf dachte ich an etwas ganz anderes.
Als sein Zug abgefahren war, hatte ich noch eine Stunde Zeit. Ich ging zurück in das Café und bestellte bei dem Ober: "Bitte bringen Sie mir einen Kaffee ohne Zucker mit ein ganz klein wenig Milch und ein Stück Torte, aber nicht so süß." Er verstand mich, denn mein griechisch war doch schon beachtlich fortgeschritten.
In aller Ruhe ging ich dann zum Bahnhof zurück um auf den Zug zu warten. Im Dorf waren genügend Leute am Bahnhof, so dass ich nicht allein heim laufen musste. Maria war extra meinetwegen gekommen. Sie wollte wissen ob ich jetzt den Strand gesehen hätte. Ich erzählte ihr wie mein Besuch in Thessaloniki verlaufen war. Von Stefans Plan erzählte ich aber nichts.
Die ganze Nacht saß ich in meinem Zimmer und grübelte wie ich es anstellen konnte, mit meinen Kindern von hier zu verschwinden. Ich musste auf jeden Fall zum deutschen Konsulat gehen und schauen, dass ich die Kinder in meinen Pass bekäme. Dann kam die nächste Frage, wohin wollte ich mit zwei kleinen Kindern? Wer würde mich aufnehmen?
Am nächsten Tag fing ich an Briefe zu schreiben. Zuerst schrieb ich an meine Freundin Waltraud. Sie bat ich, eine Unterkunft zu suchen für mich und die Kinder. Dann schrieb ich an Mutti, sie hatte doch ein großes Haus und ich bat sie mich vorübergehend aufzunehmen, bis ich etwas anderes fände.
An Onkel Heini dachte ich auch, der hatte immer ein offenes Ohr für mich, aber ich traute mich nicht. Dann schrieb ich einer Frau, bei der ich schon einmal gewohnt hatte, ob sie mich aufnehmen konnte. Die Briefe schickte ich ab und wartete auf eine Antwort.
Meinem Bruder schrieb ich nicht, denn den hatte ich nicht in so guter Erinnerung.
Wegen dem Pass konnte ich hier im Ort nicht aufs Rathaus gehen, denn hier waren alle irgendwie mit einander verwandt. Ich brauchte eine Verbündete. Aber wen?
Wenn ich Jannis traf, fragte ich ihn immer ein wenig aus. So fragte ich einmal, wo es denn ein Deutsches Konsulat gäbe. Ein andermal fragte ich ihn, wo das Konsulat in Thessaloniki sei. Als er fragte weshalb ich das wissen wollte, sagte ich, dass ich demnächst mal wieder nach Deutschland wollte, und ein Visa für Jugoslawien brauchte.
Wenn ich mit meinem Schwager dorthin fahren würde, wäre das Gesprächsstoff für die Dorfbewohner, also das konnte ich vergessen. Also fragte ich Sophia ob sie mit mir nach Thessaloniki möchte, weshalb sagte ich nicht. Ich gab vor nach Stricknadeln für die Maschine schauen zu wollen. Da wollten natürlich beide Mädchen mit.
Ireni schwärmte mir vor: Die schönsten Stellen der Stadt wollte sie mir zeigen, und ich sollte meinen Fotoapparat mitnehmen. Die Fahrt nach Thessaloniki zögerte ich hinaus, denn ich wollte die Post abwarten, und hoffte, dass ich irgendwo willkommen war.
Es verging eine Woche, da kam die erste Antwort. Mutti hatte es besonders eilig mir mitzuteilen, dass sie gar keinen Platz für mich hätte. Oben sei vermietet und mein Zimmer, würde immer noch von ihrer Nichte gebraucht. Ich wusste genau, dass es nicht stimmte, denn das Mädchen hatte eine Wohnung in Bielefeld, bei ihrer Arbeitsstätte. "Wenn du dann wieder hier bist, darfst du mich aber gern besuchen“, schrieb sie als letzten Satz. Wie konnte ich so dumm sein, und von ihr Hilfe erwarten.
Als nächstes kam der Brief von Waltraud. Sie bedauerte sehr, mir gar nicht helfen zu können, denn sie war jetzt Bardame in einer Tanzbar am Moor und hatte dort ein Personalzimmer. Sie würde mir aber gern mit etwas Geld aushelfen, wenn ich vorbei käme.
Als der dritte Brief kam, wusste ich schon im Voraus, dass es zwecklos war ihn zu öffnen. Die nette Frau teilte mir mit, dass sie mir ja so gern helfen würde, aber mein Zimmer an einen jungen Mann vermietet hätte, dem sie nicht wegen mir kündigen konnte.
Jetzt blieb mir doch nur noch mein Bruder. Ihm wollte ich aber nicht schreiben, bei ihm würde ich einfach vor der Tür stehen, nahm ich mir vor.
Inzwischen dachte ich an gar nichts anderes mehr, ich war unkonzentriert und lief oft vollkommen in Gedanken umher. Heinz war inzwischen ein Jahr alt geworden, und rannte durchs ganze Haus. Immer wieder zog er seine Söckchen aus, und versteckte sie.
Eines Tages, saß der Opa am Tisch und frühstückte. Wie immer ließ er sich von seiner Frau bedienen. Als sie ihm das Wasser in das Glas goss, kam ein Socken von Heinz mit in das Glas. Der Opa fragte: "Was ist das?" Er fischte den Socken aus dem Glas, schaute ihn an und sagte: "Oh ein Strumpf von Heinz." Dann frühstückte er weiter.
Als ich abends mit der Oma zur Quelle ging, spülte sie die Kanne aus und der zweite Socken kam zum Vorschein. Anstatt zu schimpfen, sagte sie: "Ah da ist ja der zweite Socken, jetzt ist alles in Ordnung."
Eines Nachmittags war große Aufregung im Dorf. Die Prinzessin Ireni wollte die Soldaten besuchen. Sie war mit einem Sonderzug gekommen und das ganze Dorf stand Spalier. Meine Schwägerinnen wollten, dass ich zu ihr gehen sollte. Ich müsste ihr unbedingt erzählen, dass ich Deutsche sei, denn die Königin, ihre Mutter, sei auch aus Deutschland. Das würde ich ganz bestimmt nicht machen, versicherte ich, und schaute nur aus der Entfernung wie sie vorbei schritt.
Sie war ganz in Pastell gekleidet, ob es rosa oder lindgrün war, weiß ich nicht mehr. Sie winkte ein wenig, war aber damit beschäftigt auf den Weg zu gucken, damit sie nicht stolperte. Tina war enttäuscht, eine Prinzessin ohne langes Kleid? Das konnte sie nicht begreifen.
Wir planten unsere Fahrt in die Stadt Ende März, kurz vor Ostern. Die Mädchen hatten schon Ferien, und die Kinder blieben bei der Oma. In meiner Tasche hatte ich meinen Pass, das Familienbuch mit den Geburtsurkunden. Ich hatte genügend Geld mitgenommen um die Fahrkarten, das Visa und eventuelle Schreibgebühren, bezahlen zu können. Ireni machte darauf aufmerksam, dass es am Strand windig sein könnte, wir zogen also Jacken über.
In Deutschland hatte ich mir eine eierschal-farbige Jacke aus Kunstleder gekauft, die täuschend echt aussah. Die zog ich an, und die kleidete mich sehr gut. So standen wir am Bahnhof und warteten auf den Zug. In den Bergen tauchte schließlich eine Rauchfahne auf. Jemand lief zurück ins Dorf und schrie: "Der Zug kommt." Langsam füllte sich der Bahnhof. Sophia schaute auf die Uhr und meinte: "Heute haben wir nur fünfundvierzig Minuten gewartet.
Wir stiegen ein und ich hatte Sorge, ob wir das Konsulat noch vor der Mittagspause erreichtem. Eine Mittagspause in Griechenland, konnte sich bis zum Abend ausdehnen. Als wir in der Stadt waren, gingen wir zuerst zum Konsulat. Dort wollte ich das Visa für meinen Pass. Sophia und Ireni standen laufend neben mir. Ich äußerte den Wunsch mit dem deutschen Konsul zu sprechen. Der sei jetzt zur Mittagspause, teilte man mir mit. Da sollte ich um drei Uhr wieder kommen. Wir gingen ein wenig durch die Stadt. Ich lud die Mädchen in das Café ein, in dem ich schon einmal war.
Dort bestellte ich das gleiche, wie beim letzten Mal, und die Mädchen nahmen süße Tortenstücke. Wasser gab es jedes Mal, wenn man etwas bestellte und das war kostenlos. Mir brachte er wieder eine Schokoladentorte, die nicht so süß war. Das Wasser ließ ich stehen der Kaffee war für griechische Verhältnisse sehr gut.
Danach gingen wir wieder an die Uferpromenade denn die war unweit des Konsulates. Wir saßen auf einer Bank und machten Fotos. Sophia war scharf auf meine Jacke und wollte sie unbedingt anprobieren. Sie meinte: "Die Jacke ist direkt für mich gemacht." Ich hielt es für besser sie wieder anzuziehen, denn ich liebte die Jacke.
In der Parkanlage, wo wir saßen, waren lauter schmale Gräben die zum Meer hin flossen. In denen paddelten Schildkröten, die für mich riesig waren. Das waren Tiere, die ich nur aus Büchern kannte in Deutschland hatte ich nie welche gesehen. Ireni warnte mich: "Die darfst du nicht anfassen, die sind geschützt." Ich verstand nicht, wieso etwas, was so massenhaft vorkam, geschützt war.
Pünktlich nach deutscher Art, war ich um drei Uhr im Konsulat. Zuerst wurde mein Pass wieder besichtigt, dann wollte man wissen weshalb ich zum Konsul wollte. Nun sagte ich, dass es um die Ausreise nach Deutschland ging und um die Eintragung meiner Kinder, in meinen deutschen Pass. Sophia hatte schon zu viel mitgekriegt, das kostete mich nachher meine Lieblingsjacke.
Es dauerte nicht lange, da wurde ich in ein Zimmer gebeten, in dem ein Herr saß. Der angebliche Konsul. Ich glaubte es nicht, denn der deutsche Konsul konnte doch nicht Grieche sein.
In schlechtem Deutsch erklärte er mir die griechischen Gesetze und wies mich darauf hin, dass ich ins Gefängnis käme, wenn ich die Kinder mitnehmen würde. Ich allein dürfte jederzeit ausreisen. Verzweifelt wies ich darauf hin, dass ich die Kinder hatte bevor ich Stefan heiratete. Aber es war zwecklos. Ich konnte nicht glauben, dass es der deutsche Konsul war. Enttäuscht ging ich wieder hinaus. Wenn ich mein Geld dabei gehabt hätte, dann hätte ich es mit tausend Drachmen "Geschenk" versuchen können, aber mein Geld war ja in der Ikone.
Meine Laune war wieder am Tiefpunkt angekommen und nach einem kurzen Aufenthalt auf der Parkbank, wollte ich den Heimweg antreten. Ireni meinte es sei viel zu früh. Sie hatte schon mit bekommen um was es ging schwieg aber und ich bereute es, Sophia mitgenommen zu haben. Ireni hatte meiner Ansicht nach, den besseren Charakter. Sie hatte das Wesen ihrer Mutter und das ihres Bruders Gregor. Sophia jedoch, ähnelte mehr ihrem Vater und Stefan. Sie war nicht vertrauenswürdig.
Sie begann auch gleich mich zu bedrängen, wenn sie nichts verraten sollte, dann möchte sie bitte schön meine Jacke haben. Damit hatte ich schon fast gerechnet, und ich gab sie ihr, denn es war mir warm genug ohne Jacke. Ireni schimpfte mit ihrer Schwester, das sei ja Erpressung und sie sollte doch Verständnis haben für meine Lage. Sie ging sogar so weit, sie zum Teufel zu wünschen.
Mir war die Lust vergangen noch irgend etwas zu unternehmen, drum schlug ich den Weg zum Bahnhof ein. Ich war total niedergeschlagen. Nach Deutschland zu fahren ohne meine Kinder, war für mich wie eine Strafe Gottes. Ireni munterte mich auf und schlug vor: "Jetzt fahr mal allein und arbeite ein paar Monate in Deutschland. In kurzer Zeit hast du wieder genug Geld und kommst im Herbst zurück. Dann kannst du ja bis Ostern wieder hier bleiben." Die Tatsache nur ein halbes Jahr weg zu sein, tröstete mich ein wenig.
Aber in einem halben Jahr hatte ich kaum die Möglichkeit Geld anzusparen. Bei meiner Arbeitsstelle verdiente ich schlecht, seit dem ich Akkord arbeiten musste. Die Vorstellungen der Griechen, von Deutschland waren komplett überzogen. Wir gingen zum Zug und warteten eine Ewigkeit, bis der abfuhr. Ich war so deprimiert, dass mich im Dorf, nicht einmal der Gesang von Jannis aufheitern konnte. Ireni versuchte mich zu trösten, und saß noch eine Weile bei uns im Zimmer.
Sie würde jeden Tag nach meinen Kindern sehen und ihnen von mir erzählen. "Du kannst sicher sein, sie werden dich nicht vergessen," versprach sie mir. Darüber war ich so gerührt, dass ich meinen Ring vom Finger nahm und ihn ihr schenkte. Ich hatte mir aus Schmuck noch nie etwas gemacht. Wenn ich aber Schmuck kaufte, dann musste er echt sein. Dieser Ring war echt und hatte eine Koralle als Stein. Blitzschnell steckte sie den Ring an ihren Finger, wobei mir das ein Rätsel war, sie hatte doch nur eine Hand.
Als sie ging, geleitete ich sie bis in der Küche. Dort schauten wir nach dem Geld in der Ikone, und es war noch da. "Das stiehlt dir niemand," beteuerte sie, "es ist hier sicherer als in deinem Zimmer."
In der Nacht schlief ich nicht gut. Sollte ich es wirklich tun, ohne meine Kinder nach Deutschland fahren? Am nächsten Tag kaufte ich meiner Schwiegermutter zehn Eier ab. Die kochte ich und bemalte sie so gut ich konnte mit den Farben, die ich von Ireni auslieh. Sie half auch mit Eier bemalen, obwohl das für sie vollkommen unbekannt war.
In Griechenland färbte man nur rote Eier für Ostern. Die wurden dann aneinander geschlagen, und wessen Ei heile blieb, der hatte Glück und der andere Pech. Vielleicht wars auch anders herum. So war es wenigstens hier der Brauch.
"Was machst du dann mit den Eiern?" wollte sie wissen. "Die werde ich verstecken und die Kinder müssen sie suchen." Erklärte ich ihr. Sie fand das komisch und fragte, wann das Eier verstecken stattfand. "Am Ostermorgen, danach werde ich nach Deutschland fahren."
Wir weinten ein Stündchen oder auch länger, bis der Lehrer, der oben im Haus wohnte von der Jagd heimkam. Er hatte ein paar kleine Vögel geschossen, die waren etwas größer als Spatzen und kleiner als Tauben. Die schenkte er mir und meinte, ich sollte sie für mich und meine Kinder machen.
Ich hatte nicht den Kopf danach besondere Rezepte auszuprobieren. Also machte ich davon eine Art Hühnersuppe mit Reis. Der Karfreitag verlief ruhig, und am Nachmittag gingen alle in die Kirche. In der Zeit packte ich meinen Koffer mit dem Notwendigsten. Dann ging ich noch einmal in die Küche um nach meinem Geld zu sehen.
Morgen wollte ich meine Schwiegereltern von meinem Vorhaben in Kenntnis setzen, anschließen zum Bahnhof gehen und meine Fahrkarte kaufen. Mit den Kindern sang ich Osterhasen-Lieder, und freute mich auf das Eier verstecken am Sonntagmorgen.
Ostern nach Deutschland zu fahren, meinte Maria, sei eine gute Idee. Dann wäre der Zug nicht so voll, denn kein Grieche würde Ostern sein Land verlassen. Die würden nach den Feiertagen zurück nach Deutschland fahren.
Am Samstagmorgen hörte ich meine Schwiegereltern schon früh in der Küche. Das wunderte mich zwar, aber irgendwann mussten die Feldarbeiten ja wieder beginnen, dachte ich, und drehte mich im Bett noch einmal um. Als ich dann aufgestanden war, und die Kinder spielten, nahm ich die Wasserkanne um mit der Schwiegermutter die Kühe wegzubringen.
Auf meine Frage wo denn ihr Mann sei, wusste sie keine Antwort. Der sei in der Frühe aus dem Haus und irgendwo hin gefahren. Der Vater von Jannis hatte ihn abgeholt mit einem kleinen Transportauto. Ich erzählte ihr auf dem Heimweg, was ich vorhatte, und sie war danach sehr verwirrt. Sie stürzte sich anschließend in ihre Oster-Vorbereitungen und war von da an nicht mehr ansprechbar.
Da nahm ich meine Kinder und machte einen kleinen Ausflug zum Dorf hinaus in die Nähe des Flusses. Dort spielten und sangen wir bis zum späten Nachmittag. Jetzt war es schon zu spät, die Fahrkarte zu kaufen, aber das konnte ich morgen machen, bevor ich abfuhr. Wir gingen gut gelaunt zum Haus zurück und hatten wirklich einen schönen Tag.
Den Kindern machte ich die Suppe warm und Ireni kam ins Zimmer um mir zu sagen, dass ich heute die Fahrkarte nicht mehr kaufen konnte, der Beamte sei schon heim gegangen. Sophia stand an der Tür und lauschte. "Macht nichts, ich werde sie morgen kaufen“, winkte ich ab. "Wovon eigentlich, „ fragte Sophia. "Sie hat selbst Geld“, entgegnete Ireni. Sophia darauf: "Glaubst du das?"
Weil ich immer das Fenster offen hatte hörte ich ein ungewöhnliches Geräusch auf dem Hof. Ich ging ans Fenster und sah wie der Schwiegervater mit einem Pferd und einem Ladewagen auf den Hof gefahren kam. In meinem Kopf schlug der Blitz ein.
Indem ich Sophia schier umwarf, stürmte ich in die Küche, ich riss die Schublade von der Ikone auf,- Mein Geld war weg.
Sophia grinste schadenfroh und Ireni verfluchte sie,- während mein Geld gerade in den Stall geführt wurde.
Ich war fassungslos und setzte mich auf meinen Stuhl. Die Mädchen stritten furchtbar miteinander und zogen sich an den Haaren. Da flüchtete Tina mit Heinz auf den Hof. Stolz zeigte der Opa den beiden Kleinen das Pferd: "Er heißt Kitscho", verriet er den Kindern. Heinz war Feuer und Flamme, indem Tina das Pferd genau so wenig mochte wie ich.
Als mein Schwiegervater in die Küche kam, ging er hinter seiner Frau, er rechnete damit, dass ich mit Gegenständen um mich warf. Nein, das hatte ich nicht vor, ich war nicht gewalttätig. Ich riss mich zusammen und sagte sehr freundlich: "Wenn ich bis morgen früh keine Fahrkarte habe, werde ich den Gaul nehmen und mit ihm nach Deutschland reiten." Dass ich weder reiten konnte noch wollte, verriet ich nicht.
Sie kannten mich aber schon so gut, und glaubten, dass ich es wahr machen würde. Am Abend kam Gregor um das Osterfest mit seiner Familie zu verbringen. Von Ireni erfuhr er was passiert war. Er war der Meinung, dass es nicht gut war, was sein Vater da gemacht hatte und ging ihn zu suchen. Der war natürlich schon in der Wirtschaft, wo er mit seinem Pferd angab.
Gregor konnte es nicht lassen, vor den anderen Männern zu sagen, dass er das Pferd und den Wagen mit dem Geld der Deutschen gekauft hatte. Von dem Augenblick an, hatte Gregor keinen Vater mehr. Er hatte ihn beleidigt vor allen Männern im Dorf, und das durfte er als Sohn nicht machen.
Mit Ireni saß ich noch eine Weile in meinem Zimmer, dann ging ich schlafen. Ich war stinksauer.
Jetzt musste ich doch hier bleiben ohne Geld und Verdienstmöglichkeiten. Um jede Scheibe Brot würde ich betteln müssen, mir war zum Heulen zu mute.
Um Mitternacht klopfte es an meinem Fenster. Ich wollte nicht aufmachen, wer sollte mich schon besuchen, und dann noch durchs Fenster bei Nacht? Da hörte ich leise die Stimme von Gregor, ich solle das Fenster aufmachen, er könnte nicht durch die Tür kommen.
Verwundert machte ich das Fenster auf und stieg auf die Fensterbank. Gregor erzählte mir, wie er seinen Vater bloßgestellt hatte, und ihm vorerst nicht begegnen durfte. Ich war gerührt über seine Freundschaft. Dann machte er seine Jacke auf und holte ein Bündel Geld heraus. "Da für deine Fahrkarte, du kannst es mir ja wieder geben wenn du im Herbst kommst. Aber komm auch, das ist wichtig für die Kinder." Danach verschwand er wieder durch den Garten. Leise rief ich ihm "danke" nach.
Den Rest der Nacht träumte ich wirres Zeug und stellte fest, dass ich auf Griechisch träumte. So fest hatte sich die Sprache schon in meinem Kopf eingenistet.
In aller Frühe, versteckte ich die Ostereier, dann weckte ich die Kinder und zog sie besonders schön an. Ja so wollte ich meine Kinder in Erinnerung behalten, wenn ich später wegfuhr.
Tina und Heinz hatten eine Riesenfreude beim Eier suchen ,und ich konnte meine Tränen nicht zurück halten. "Warum weinst du denn“, fragte Tina, "der Osterhase war doch da." Ireni, die und schon eine Weile beobachtet hatte, fragte was ich denn jetzt machen wollte, ob ich tatsächlich das Pferd nehmen würde. "Nein, aber fahren werde ich trotzdem."
Tina wollte wissen wohin und ich sagte ihr, dass ich nach Deutschland fahren wollte. Ihr machte es nichts aus, denn ich war ja schon öfters weggefahren und immer wieder gekommen. Für sie war es kein Grund zum weinen. Die Schwiegermutter rief, sie wollte den Osterkuchen anschneiden, in den ein Geldstück eingebacken war. Ich verzichtete darauf, und bat um ein paar Scheiben Brot, die wollte ich für die Reise mitnehmen. Darauf schmierte ich von Jannis seiner Leberwurst und packte sie in eine der Teedosen.
Den Koffer mit der Tisch- und Bettwäsche ließ ich da und nahm nur meine Kleidung mit, ein paar Waschlappen und zwei Handtücher. Sie wunderten sich zwar alle, woher ich nun doch Geld hatte, aber es fragte niemand. Die Mädchen brachten mich zum Bahnhof und hatten meine Kinder dabei. Wir gingen die Fahrkarte kaufen, und Sophia schaute gierig auf mein Geld. Ich verriet niemandem von wo ich es hatte.
Als der Zug langsam die Berge herunter kam, verabschiedete ich mich von meinem Schwägerinnen Sophia kam zuerst dran, von ihr fiel mir der Abschied nicht schwer. Bei Ireni fing es an, feucht zu werden. Als ich meine Kinder umarmte konnte ich nur noch heulen. Sophia sagte: "Warum weinst du? Du kannst doch bleiben niemand hat gesagt, dass du nach Deutschland fahren musst."
Auch meine Schwiegermutter kam noch im letzten Moment ,um mir gute Reise zu wünschen. "Komm bald wieder“, sagte sie noch, bevor alle Leute sich um mich drängelten, um mir eine gute Reise zu wünschen. Einige steckten mir noch ein paar Drachmen zu, die ich unbedingt in Thessaloniki ausgeben musste, denn griechisches Kleingeld konnte ich in Deutschland nicht brauchen, es hatte dort kaum einen Wert.
Ich stieg in den Zug und Tina sagte: "Ade bis heute Abend." Sie winkte mit beiden Händen. Mein Herz war kurz davor zu zerbrechen. Ich verzichtete auf einen Sitzplatz, und blieb allein mit meinem Koffer im Gang stehen.
Im Zug waren wenig Leute. Ich setzte mich nach einer Weile auf den nächsten Sitzplatz. Ein paar Geldscheine waren mir noch übrig geblieben, die würden mir in Deutschland nicht viel nutzen. Ein paar Tage was zum Essen konnte ich kaufen, aber ein Zimmer anzumieten, dafür reichte es nicht.
Ich war in Gedanken vertieft, und hatte nicht gemerkt ,dass Gregor mir gegenüber saß. Er lächelte mich an und sagte: "Ich komme mit bis Thessaloniki und sorge dafür, dass du in den richtigen Zug einsteigst." Er hatte so ein ehrliches Lächeln an sich, ich war froh, dass er da war.
In Thessaloniki stiegen wir aus und hatte mehr Zeit als wir brauchen konnten. Also gingen wir in das Café, ich wollte doch mein Kleingeld ausgeben. Darum lud ich Gregor zu einer Tasse Kaffee ein.
Er wollte auch den gleichen Kaffee wie ich, denn er war auch nicht so für das furchtbar Süße. Der Kellner kam und erkannte mich. "Für meine deutschen Gäste habe ich jetzt eine neue Torte gemacht: Torte Germania, halb so viel Zucker, aber delikat." prahlte er. "Dann bringen sie es gleich zweimal," bestellte Gregor. Die Torte war ein Hochgenuss und der Kaffee dazu kam uns köstlich vor. Wir ließen noch einen nachkommen und Gregor achtete darauf, mich von meinem Kummer abzulenken.
Am Nebentisch saßen ein paar junge Mädchen etwa im Alter von Sophia. Die tuschelten unter einander und kicherten laufend. Sie schauten auf Gregors Finger. Er trug einen großen Herrenring mit einem dunklen Stein. Ich konnte nichts erkennen was daran lächerlich sein sollte. "Kennst du die?" Fragte ich neugierig. "Nein“, schmunzelte er, "die lachen über meinen Fingernagel am kleinen Finger." Jetzt sah ich ihn auch. Der war bestimmt drei Zentimeter lang und bestens gepflegt. "Was soll das?" War meine nächste Frage. Er hob den Fingernagel an den Kopf und kratzte sich, dabei sagte er grinsend: Wenn es mich mal hier juckt oder da, dann brauche ich ihn zum Kratzen." Oh ja, das passte genau zu ihm.
Später, es war schon bald Nacht, da fuhr mein Zug in den Bahnhof ein. Gregor trug meinen Koffer. Er hatte die Jacke ausgezogen, so warm war es. Ich trug eine Bluse mit langen Ärmeln, weil ich damit rechnete, dass es in Deutschland noch nicht so warm war. Meinen Koffer hob er in das Gepäcknetz und war zufrieden, dass ich ein schönes Abteil erwischt hatte. Dann verabschiedete er sich und sprang aus dem Zug. Auf dem Bahnhof hob er noch ganz kurz die Hand zum Winken, dann war er weg. Der Zug setzte sich in Bewegung, er war fast leer.
Maria hatte recht, Ostern verlässt niemand Griechenland und wie es schien, auch nicht die Türkei. Die Sitze waren gepolstert und ließen sich ausziehen da nahm ich mir vor, gleich ein kleines Nickerchen zu machen. Letzte Nacht hatte ich schlecht geschlafen und ich war entsprechend müde.
Als ich mich so zurücklehnte und meine Augen schloss, wurde mir mein ganzes Elend wieder bewusst. So weinte ich mich in ein kurzes Schläfchen. Die Tür vom Abteil wurde aufgeschoben ein gut gekleideter Herr schaute herein und sagte auf Griechisch: "Ach schlafen Sie noch ein wenig weiter, ich komme später zu Ihnen." Meine Tränen liefen immer noch, die mussten ihn abgeschreckt haben. Wir hatten die Grenze schon hinter uns, und es war weder die Pass- noch die Zollkontrolle in meinem Abteil gewesen. Seltsam, dachte ich, da hätte ich die Kinder ja auch so mitnehmen können.
Der elegante Herr kam zurück und schob die Tür auf. Er setzte sich mir gegenüber und fragte, was mich so traurig machte. Warum ich ausgerechnet Ostern, in den Zug nach Amsterdam gestiegen sei. Ob ich vielleicht etwas zum Schmuggeln hätte, denn Ostern sei der Tag der Schmuggler. Erstaunt fragte ich, was ich denn von einem kleinen Dorf in Griechenland hinaus schmuggeln sollte. "Schildkröten vielleicht?" War seine Antwort. "Ja“, lachte ich, "davon habe ich den ganzen Koffer voll." Der Herr schmunzelte und wollte wissen, von wo ich kam.
Ich erzählte ihm grob meine Geschichte, und er hörte zu. Danach lobte er mein gutes griechisch und behauptete, dass es ihm nicht aufgefallen war, dass ich Deutsche sei. Das konnte ich aber nicht glauben.
Wir unterhielten uns noch eine Weile, dann erzählte er, dass er an der nächsten Haltestelle aussteigen müsste, und mit dem nächsten Zug zurück wollte. Er sei der Zollbeamte und mache auch heute die Passkontrolle, weil ja Ostern sei und der Zug fast leer. Er musste meinen Pass noch sehen und einen Vermerk machen. Meine Schildkröten wollte er nicht sehen, sagte er lachend. Bevor er ausstieg, bedankte er sich für die angenehme Gesellschaft und wünschte mir eine gute Reise.
Als der Zug an der nächsten Station hielt, war es schon hell.
Ich machte es mir bequem, um schnell noch ein wenig zu schlafen, bevor der Zug in die großen Städte kam, da würden sicher viele einsteigen. Kaum war ich eingeschlafen kam wieder eine Passkontrolle. Dieses Mal waren es Jugoslawen, die es wie gewohnt ziemlich genau nahmen. Der Pass wurde mitgenommen. Als ich meinen Pass zurück bekam, versuchte ich es noch einmal mit ein wenig Schlaf.
Wegen meiner knappen Wegzehrung dachte ich: Wer schläft hat keinen Hunger. Also machte ich meine Augen wieder zu und versank in einen Halbschlaf. Unter mir hörte ich das Rattern der Räder auf den Schienen, und im Gang hörte ich hin und wieder Leute vorbeigehen.
Die Tür wurde erneut aufgerissen und ein Kellner fragte ob ich Wünsche hätte. Genervt durch von den ständigen Störungen sagte ich zornig: "Später vielleicht." Die Tür wurde wieder geschlossen und es fing von neuen an. Kaum hatte ich die Augen geschlossen ging die Tür wieder auf. Es wurde Zeit, meinen Schlaf zu verschieben.
Drei Griechen waren herein gekommen, waren höflich und entschuldigten sich, dass sie mich geweckt hatten. Ich fragte empört, ob sie in dem völlig leeren Zug keinen Platz gefunden hätten. Die Männer amüsierten sich weil ich so explosiv war und fingen an, mir die Lage zu erklären. Es sei freilich reichlich Platz im Augenblick, aber wir fuhren auf die Großstädte zu und da sei Berufsverkehr. Die Arbeiter würden massenhaft in die Züge einsteigen, oftmals betrunken. Es wäre also besser wenn wir Langstrecken-Reisenden uns zusammen täten Dann bliebe genug Platz für die Jugoslawen. Wir hätten dann unsere Ruhe. Stehlen würden die auch manchmal es sei einfach besser wenn niemand allein im Abteil sei.
Die Männer brachten ihre Koffer und nahmen die eine Seite der Sitze ein. Ich sollte jetzt noch ein wenig schlafen und sie wollten aufpassen, dass niemand stört. Danach sollte der nächste zwei Stunden schlafen und so weiter. Es leuchtete mir ein, und ich schlief tatsächlich noch eine Runde. Meinen Kopf hatte ich auf meine kleine Reisetasche gelegt in der ich alles hatte was wichtig war. Die Tasche hielt ich zudem noch an den Griffen fest. Das war unnötig, denn die Männer entpuppten sich als harmlos und zuverlässig.
Sie ließen mich schlafen bis ich wach wurde und hatten mir ein Vesper auf das kleine Tischchen gestellt. Etwas Brot mit Butter, eine Tomate und ein rotes Osterei. Sie wollten mit mir das Ei anschlagen, jeder von ihnen hatte auch ein rotes Ei. Das müsste ich machen, meinten sie, sie hatten extra darauf gewartet bis ich wach wurde. Wasser hatten sie auch aufgestellt sogar in einem richtigen Glas.
Ich fing an mich wohlzufühlen, zwischen den Griechen. Nun legte sich der nächste zum Schlafen auf die Sitzbank. So würden wir die Fahrt gut überstehen. Je größer die Städte wurden, umso mehr Leute stiegen ein und bald wieder aus, nachdem sie den Zug, mit ihren Abfällen und leeren Schnapsflaschen dekoriert hatten. Hin und wieder kamen Putzfrauen durch den Zug, die für Ordnung sorgten.
Im Zug wurde es immer unruhiger und ich war wieder an der Reihe zum Schlafen. Wie lange ich geschlafen hatte, weiß ich nicht, wir waren noch in Jugoslawien und jemand weckte mich. Auf Griechisch fragte man mich ob ich "Raki" wollte, und hielt mir ein Glas vors Gesicht. Ich war noch nicht ganz wach, hatte einen ganz trockenen Mund und einen Mordsdurst. Da ich "Neraiki" verstanden hatte, und das heißt "Wässerchen" oder ein Gläschen Wasser, griff ich nach dem Glas und trank es in einem Zug aus.
Dann muss ich ein jämmerliches Bild abgegeben haben, ich hustete und keuchte und glaubte ersticken zu müssen von dem scharfen Zeug. Grund genug, dass alles um mich herum lachte. Die Jugoslawen standen im Gang mit ihrem Schnaps, lachten und hatten alle Mäntel an. In meinem Koffer hatte ich nur noch eine Wolljacke von meinem Kostüm, die wollte ich mir holen, wenn in Deutschland die Leute auch mit Mäntel herum liefen.
Niemand konnte mich noch einmal überreden, ein Nickerchen zu machen. Um nüchtern zu werden, aß ich eines meiner Leberwurstbrote. Jemand reichte mir eine Orange. Rechts und links waren hohe Berge, wir mussten an der Grenze zu Österreich sein. Wir machten kurz das Fenster auf und eiskalte Luft kam in unser Abteil. Spätestens jetzt war ich wieder nüchtern. Es kamen die Herren von der Passkontrolle und herrliche Landschaften und Orte flogen an unserem Fenster vorbei. Als die Pässe zurück bekamen, wünschte uns der Beamte eine angenehme Fahrt durch das schöne Österreich.
Es wurde schon wieder dunkel, und wir fuhren über die deutsche Grenze. Jetzt war ich wieder daheim und ich atmete tief durch. Zwar hatte ich kein einziges Mal meinen Koffer öffnen müssen, aber die Zollkontrollen gingen mir auf den Geist. Bei jeder Zollkontrolle dachte ich, sie würden meinen Koffer aufmachen und meine Wäsche im Abteil verstreuen, nichts wäre mir peinlicher gewesen.
Mehrere griechische Frauen mit vielen Plastiktüten in den Händen fragten in unserem Abteil: "Wann kommt "Monacho"? “Monacho? Monacco? Dass kommt noch lange nicht, „ gab ich Auskunft. Als wir dann in München hielten, war große Aufregung bei den Frauen sie schrien und drängelten aus dem Zug. Ich wusste es jetzt: mit Monacho war München gemeint. Meine Fahrkarte galt bis Stuttgart und ich fing an mein Gepäck bereitzustellen.
Als ich ausstieg, war es noch dunkel. Anstatt im Bahnhofsgebäude zu warten bis es hell wurde, nahm ich den nächsten Zug nach Ludwigsburg. Es war immer noch dunkel als ich dort ankam, es war kalt und es fing an zu schneien. Meine Jacke hatte ich angezogen, aber ich hatte keine Strümpfe. Mir war kalt ich war hungrig, und ich wusste nicht, wohin ich gehen konnte.
Es dauerte eine Weile, bis ich wieder Fuß fasste. Ich fand eine Arbeitsstelle und ein möbliertes Zimmer, verdiente gut und fuhr im Herbst wieder zu meinen Kindern.
Als ich dann wieder nach Deutschland kam, und ich gerade eine Stelle und ein Zimmer gefunden hatte, standen plötzlich meine Kinder vor der Tür. Da verlor ich meine Arbeitsstelle und mein Zimmer und die Sorgen waren wieder da.
Texte: Pobee: Banane, Zitrone an der Ecke steht....
Bildmaterialien: eigenes Foto : Tessaloniki
Tag der Veröffentlichung: 28.01.2013
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