Der Frühling, mit all seinen Wundern , ist endlich wieder da. Die Blumen und Knospen sprießen und verdrängen die traurige Winterlandschaft. Diese wunderschöne Jahreszeit weckt bei vielen so manche Erinnerung. So ergeht es auch Philip.Still sitzt er vor seinem Essen. „ Schmeckt dir das Essen nicht, mein Junge?“ fragt ihn seine Mutter .
„Doch schon, du hast wie immer leckeres Essen gemacht !.“ . Die Mutter schaut zum Fenster hinaus. Ihr Blick haftet an dem Fichtenwald,über dem gerade ein Mäusebussard seine Kreise zieht.“ Wie wunderschön ist unser neues zu Hause .Ostern sind es bereits zwei Jahre, seit wir aus der Großstadt am Rhein, wegen meinem neuen Job, hierher gezogen sind. Ich bereue keinen einzigen Tag...“ Sie wird aus ihren Gedanken zurückgeholt.
„ Mama, ich musste heute im Bus fast weinen als ich aus der Schule kam. Ich musste plötzlich an meinem Freund Benny in Köln denken. Ich vermisse ihn sehr. Und auch unsere alte Wohnung und den Spielplatz! „ Philip tippt auf sein Herz. “Und da tut`s weh, oder da?“ Seine Hand drückt auf den Bauch, und aus seinen blauen Augen tropfen Tränen und fließen über seine erhitzten Wangen. „ Jetzt hat dich das Heimweh gepackt, mein Schatz, komm her...“ Liebevoll nimmt die Vierzigjährige ihren Sprössling in die Arme. „ Alles im Leben hat einen Sinn.“
„ Du meinst, auch traurig sein nutzt was?!“
„ Du hast es erfasst, mein Sohn! Jetzt erst, entfernt von deiner Heimat, dem Ort wo du geboren wurdest, erkennst du ihren Wert. Die Erinnerungen an die vergangene schöne Zeit , begleiten dich in deiner neuen Heimat solange, bis du die schönen Dinge , wie neue Freunde , nette Nachbarn und die Umgebung die dich umgibt, entdecken und lieben lernst! Die vollschlanke, hochgewachsene Frau, weiß wovon sie spricht, denn sie hat vor zwanzig Jahren, das gleiche Leid erfahren müssen. Aus diese Erfahrung heraus, beginnt sie ihrem Sohn folgende Geschichte zu erzählen.
"An einem Ort, unweit der Nordseeküste, lebte ein Junge namens Goar. Er war sechs Jahre älter als du. Hatte ein schönes zu Hause, gute Eltern und viele Freunde. Sein zu Hause war ein Paradies auf Erden. Gärten mit Obstbäumen, auf die er täglich kletterte, Bächlein die im Sommer kühlten und Berghänge von denen er im Winter mit dem Schlitten heruntersausen konnte.
Der Nymphensee war sein Lieblingsort. Dort ging er immer hin, wenn er alleine sein wollte. Eines Tages schaute er verträumt auf die spiegelglatte Oberfläche des Sees, da sah er plötzlich, erst ein Gesicht, dann den Körper einer wunderschönen Frau., die aus dem Wasser stieg.
“Ich grüße dich im Namen der Nymphen, Goar!“
Erschrocken sprang Goar hinter eine Weide. Er wollte so schnell wie möglich diesen unheimlichen Ort verlassen, aber die Angst und die Neugier hielten ihn fest. Mit weit aufgerissenen Augen und Mund schaute er hinter der Weide hervor. „ Du darfst ruhig Angst haben, das ist ganz natürlich... für deinen eigenen Schutz von großer Bedeutung. Aber wenn die Neugier siegt, dann bist du genau der Richtige, für unseren Auftrag! Komm ruhig näher. Ich bin Lana, die Sprecherin der Nymphen.“
Sie saß nun am Ufer des Sees. Ihr silbernes, langes Haar reichten bis auf den Boden und sie lächelte und war bezaubernd schön.
„Wir wissen, dass es einen Ort gibt wo das Wasser unbegrenzt ist. Dafür würden wir unseren See gern verlassen.Wir wollen aber wissen, was auf uns zukommt, wenn wir unsere Heimat aufgeben. Sei bitte unser Vorreiter . Deine Aufgabe ist, herauszufinden, wo dieses Meer liegt und ob es für uns Nymphen geeignet ist .Als Dank, dass du unseren Auftrag erfülltst , bekommst du ein Bernsteinhaus am Nymphensee,“ sie blinzelt ihm zu:“ Falls du wieder zurückfindest ! “ Goar schluckte, das war zu viel auf einmal.
„Gebt mir bitte Bedenkzeit, ich muss alles noch mal überschlafen.“ „Einverstanden, falls du dich entschließen solltest zu gehen, schau erst mal unter diesen Stein.“ Darauf saß ein kleiner bunter Vogel. Er war gerade herbeigeflogen und schaute beide aus kleinen Knopfaugen an. Dann begann er, wie auf Bestellung ein wunderhübsches Gezwitscher. Die Nymphe hob zum Gruß die Hand und verschwand im See . Der Vogel aber flog Goar auf die Schulter und war von nun an sein Begleiter. Am nächsten Morgen, als Goar von den ersten Sonnenstrahlen geweckt wurde, war sein Entschluss gefallen.. Er will die große Reise antreten! Das Bernsteinhaus aber auch seine Neugier , waren zu verlockend! Mit großen Schritten entfernte er sich von dem Ort, der sein neues Schicksal bestimmt hatte, als ein bezauberndes Singen vom See herüberwehte. Da erinnerte er sich an den Stein. Er lief zurück und rollte ihn zur Seite. Darunter lag ein glänzender Bernstein, befestigt an einem Lederband. „ Das würde ich jetzt gerne meinen Freunden zeigen,“ sagte Goar zu dem bunten Vogel, der neben ihm herflog. Aber dafür habe ich jetzt keine Zeit. Sie können dann zugleich auch mein Bernsteinhaus bewundern, wenn ich den Auftrag der Nymphen erfüllt habe!"
Goar nahm Abschied von seinen Eltern , sie ließen ihren Sohn gehen, damit er auf seinem Weg das Erwachsen werden lernen kann.
Seine Reise ins Ungewisse machte ihm Anfangs Spaß. Als Erstes kamen sie durch das Land der Musik. Jeder Baum, jede Blume oder Strauch spielte seine eigene Melodie, wenn Goar diese gezielt betrachtete.
„Es ist zwar schön anzuhören, aber hier will ich nicht bleiben! Wir müssen das Meer finden ! Komm kleiner Vogel." Die Reise wurde beschwerlicher, denn nun musste Goar einen Berg überqueren. Raben begleiteten sie eine Weile und krähten laut. Der Tannenwald in dem Goar und sein Begleiter übernachteten war dunkel und unheimlich. Nebelschwaden sahen wie Gespenster aus . Auf einem Baum saß ein Uhu , der schaute sie mit seinen riesigen Augen an und gab wehleidige Töne von sich. Als die Sonne sie am nächsten morgen weckte, machten sie sich weiter auf den Weg. Plötzlich kamen sie auf eine Lichtung. Hier standen ganz viele kleine Holzhäuschen. Es war das Land der Trolle. Das waren Wesen die kleiner waren als Goar. Sie hatten Knollnasen und einen Schwanz. Ein Troll kam auf sie zu.: „Komm, mach mit, Fremder! “ Sie warfen einen Kürbis auf eine Vogelscheuche, die ihnen als Zielscheibe diente. Sie hatten Riesenspaß dabei, als die Kürbise der Reihe nach aufplatzten und dabei die komischsten Geräusche machten. „Die sind aber freundlich zu mir..“, dachte Goar und lief zu den lachenden Trollknaben. Abends grillten sie gemeinsam am Feuer, Froschhaxen und Stockbrot. Bevor Goar unter freiem Himmel mit seinen neuen Freunden einschlief, dachte er: “An diesem Ort könnte es mir gefallen, ich wurde von Anfang an in ihren Kreis aufgenommen, vielleicht wird das Trollland mein neues zu Hause..
Seinen Auftrag hatte er inzwischen vergessen. Umso größer war seine Enttäuschung, als er morgens aufwachte und sein Freund „Buntvogel“ verschwunden war und dazu alle Trolle. Da entdeckte Goar seinen gefiederten Freund in einem großem Käfig eingesperrt. Er zwitscherte verzweifelt und flatterte aufgeregt gegen die Gitterstäbe. Leider war Goar nicht aufmerksam genug und er wurde unter schadenfreudigem Gelächter zu seinem Vogel in den Käfig eingesperrt
„Das hast du davon, wenn du so leichtgläubig bist, noch heute werdet ihr dem Riesen „Isegrimm“ überliefert. Dann lässt er uns Trolle wenigstens in Ruh!" Verzweifelt schaute sich Goar in seinem Käfig um. Er rüttelte an den Stäben, als die Trolle sich lachend entfernten. Sein Blick fiel auf den Bernstein auf seiner Brust.
„Irgendeinen Zweck muss der Stein doch haben“, dachte er und nahm ihn behutsam in die Hand. Im gleichen Augenblick sprach der Buntvogel zu ihm.
„Endlich hast du den Bernstein berührt! Er hat Zauberkräfte, jetzt kannst du die Vogelsprache verstehen.Wünsch dir,dass wir hier raus kommen! Schnell, bevor dieTrolle kommen.!“
Kaum hatte Goar den Wunsch ausgesprochen, befanden sie sich im Freien. “Puh, das ist noch mal gut gegangen! Was bin ich froh dich zu verstehen, mein kleiner Freund. Und was machen wir jetzt?“ Sie standen auf einer Klippe und blickten herunter auf die schäumende Brandung. Dies musste das große Wasser sein, von dem die Nymphe Lana sprach. Goar blinzelte angestrengt herunter. Er sah Delphine aus dem Wasser springen und die Wellen schäumten weiß wie Schnee. Nirgends entdeckte er auch nur eine ruhige Stelle, wo er sich das Leben für die scheuen Nymphen vorstellen konnte.
„Wenn wir wieder zu Hause sind,“ sagte er überzeugt zu seinem flatternden Freund, „werden wir Lana sagen, dass das Meer kein Ort für Nymphen ist...“
Plötzlich erzitterte der Boden unter ihnen. Mit einem gewaltigem Grollen erschien ein Riese. Er sah hässlich und sehr furchterregend aus.
„Oh, das ist ja schrecklich, wenn ich gewusst hätte, welchen Gefahren ich ausgesetzt sein werde, wäre ich lieber daheim geblieben. Er zitterte am ganzen Körper, als der Riese sie erblickte und die gewaltige Hand ihnen gefährlich nah kam. Er erinnert sich an die Worte seines Vaters. „ Egal wie aussichtslos deine Lage auch erscheinen mag, mein Sohn denke immer daran,es gibt immer einen Ausweg! Vorausgesetzt du verlierst nie den Mut und überlegst was zu tun ist!“
„ Der Bernstein!“ rief ihm Buntvogel zu. Goar nahm den Stein blitzschnell in die Hand und wünscht sich : „Ein Wunder soll geschehen.“ Im gleichen Augenblick kam ein riesiger Adler und entriss dem Riesen die zwei zappelnden Gestalten. „Das war aber knapp", rief Goar seinem kleinen Freund zu, der nun neben dem Adler flog. Fest krallte Goar sich in das Gefieder und bewunderte die Welt unter sich. Das Meer erstreckte sich blau und brausend unter ihnen und um sie herum schwebten viele kleine Wolken, als würden sie begleiten und beschützen. Der Wind blies mit voller Krafft und zerzauste Goars Locken. Nur mit Mühe, blieb er auf dem Rücken des Adlers .Das Fliegen machte ein riesen Spaß und Goar schrie vor Freude und Angst, zugleich. Der Adler setzte Goar behutsam auf eine Wiese, jenseits des großen Wasser und war so schnell verschwunden, wie er erschienen war. Als die beiden Freunde sich von dem aufregendem Abenteuer erholt hatten, aßen sie Beeren und Früchte, die sie auf einer großen Lichtung fanden. Müde legten sie sich in die Sonne und schauten den vorbeiziehenden Wolken nach.Das Heimweh überkam Goar mit einer gewaltigen Wucht.
„Was werden gerade meine Freunde zu Hause machen? Werden sie mich genau so vermissen, wie ich sie? Ich sehne mich nach den liebenden Worten meiner Mutter ....nach meinem zu Hause. Wie weit weg bin ich von meinem geliebten Heimatort....ich will nach Hause! Ich fühle mich so verloren und allein! Hier draußen ist alles so fremd und beängstigend...“
„Und was ist mit mir? Bin ich Keiner?“ Der kleine Vogel schaute mit seinen kleinen Kulleraugen zu Goar auf, und flatterte was das Zeug hielt. Umsonst! Goar war nicht ansprechbar. Dicke Tränen kullerten seine Wangen herab. Er weinte ein Tag und eine Nacht. Erschöpft schlief er ein und träumte von daheim! Ein Flötenspiel weckte ihn. Er sah einen Hirten mit seinen Schafen auf sie zugekommen. Ein gefleckter Schäferhund war bei ihnen bereits angekommen und wedelte freundlich mit dem Schwanz. Die Schafe blökten und fraßen das saftige Grün.
„Hei, wo kommt ihr denn hirher?“, sprach sie der Hirte an. Als Goar überrascht hochschaute, sah er dass der Hirte ein Mädchen in seinem Alter war. Ihre blonden Haare wurden vom Wind zerzaust und ihre vorwitzigen Augen sprühten Wärme aus. Das Heimweh, das Goar gerade noch im Bann hatte, verflog und ab diesem Augenblick wusste er warum er die beschwerliche Reise gemacht hatte. Shary, hieß das hübsche Hirtenmädchen und Goar war Hals über Kopf in sie verliebt. Tag ein Tag aus streiften die beiden mit ihren Schafen dem Hund und dem Buntvogel über die weiten Wiesen.
Eines Tages rief Goar seinen kleinen Freund, und sagte : “Buntvogel, flieg bitte zurück zum Nymphensee. Sag Lana, dass ich ein neues zu Hause gefunden habe. Hier fühl ich mich wohl. Ich habe neue Freunde gefunden. Ich liebe und werde geliebt.
Auf das Bernsteinhaus kann ich verzichten, denn ich habe meinen eigenen Schatz gefunden, das ist die innere Ruhe und Zufriedenheit, die Liebe zu Shary und dem neuen zu Hause wo ich mich geborgen fühle!“
Buntvogel flog zu den Nymphen und erzählte ihnen alles .Die Nymphen freuten sich, ihren See nicht verlassen zu müssen, weil sie ja nun keinen Grund mehr hatten und weinten vor Glück, dass ihnen viel Leid erspart geblieben ist. Da es Tränen der Dankbarkeit waren, entstand aus jeder Träne ein wunderschöner Bernstein. Die Steine wurden über Flüsse bis zum Meer weiter gespühlt und erfreuten die Menschen die sie fanden. Zwei davon waren Goar und Shari..!“
„Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute..“ ergänzte der kleine Blondschopf seiner Mutters Geschichte Diese trinkt genüsslich ihren Saft, denn nun war ihre Kehle vom Erzählen ganz trocken geworden. Ihr Sohn Philip lächelt sie an : „ Mama, danke für diese wunderschöne Geschichte. Ich glaube ich weiß jetzt die Lösung zu meinem „Heimwehproblem“. Nicht leiden! Lieber was unternehmen!“ Er lief zum Telefon und wählte eine Nummer.
Es klingelt am anderen Ende. “ Hallo, hier ist Philip, kann ich bitte Benny sprechen, ich möchte ihn besuchen kommen..“ Die Mutter bringt die Gläser in die Küche und denkt voller Stolz „Mein Sohn wird langsam erwachsen !“.
ENDE
Texte: Illustration von Rosemarie Marzell,meiner Mutter
Tag der Veröffentlichung: 10.01.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Widmung meinen Söhnen Mark Oliver und Jan Patrick