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Prolog




Nele schloss die Augen und versuchte regelmäßig zu atmen. Es war nur ein Traum. Es konnte nicht Wirklichkeit sein. Die Sonne hatte schon den ganzen Vormittag geschienen. Der Tag war so schön gewesen. Die Möwen hatten ihre üblichen Kreise über ihrem kleinen Haus am Deich gezogen. Es war ein normaler Tag. Sie öffnete die Augen wieder und zwickte sich unauffällig in den Arm. Nein, der Polizist stand immer noch an ihrer Eingangstür. Er schaute ihr nicht in die Augen, sondern ließ sein Blick in die Diele hinter ihr schweifen.
"Das kann nicht wahr sein", hörte sie sich selbst sagen. "Sie müssen sich an der Hausnummer vertan haben..."
"Ich werde Ihnen einen Psychologen nach Hause schicken." Sein Gesicht war anteilnahmslos. Er lächelte höflich als er sich umdrehte um zu gehen.
"Ich brauche keinen Psychologen!", schrie Nele dem Uniformierten an.
Der Polizist beugte sich zu ihr herunter, so als würde er mit einem kleinem Kind reden. Ja, sie war eine kleine Frau, aber das war lange noch kein Grund sie so herablassend zu behandeln. Nele kochte innerlich vor Wut.
"Hören sie Frau Ekhoff, es ist etwas Schreckliches passiert und ich verstehe, dass Sie völlig aufgelöst sind. Wir wollen ihnen nur helfen."
Er legte ihr die Hand auf die Schulter, aber sie schüttlete diese energisch ab. Sie war noch nie ein großer Freund von Körperkontakt gewesen. Und schon gar nicht von solchem der von fremden Menschen ausging.
Sie schloss ohne ein weiteres Wort die Tür.
Sie würde nicht weinen. Es stimmte nicht. Sie konnten nicht tot sein. Nicht einfach so. Nicht so plötzlich. Nicht an einem so normalen Tag. Das Telefon klingelte. Auf dem Display blinkte es: OMA.
Nele´s Lunge brannte und zog sich schmerzlich zusammen. Sie hatte es also auch erfahren. Jetzt wusste Nele, dass der Polizist sich nicht an der Hausnummer vertan hatte. Oma rief an um es ihr mitzuteilen. Alle Kräft schienen Nele zu verlassen. Sie ging an das Telefon, aber bekam kein Wort heraus, stattdessen ließ sie sich auf den Boden fallen, so wie ein alter nasser Sandsack. Dass die Vase die auf dem Couchtisch gestanden hatte, dabei auf den Boden fiel und sich in tausend Einzelstücken in ihrem Wohnzimmer verteilte, nahm sie kaum wahr.
"Sie haben es dir schon gesagt?", die weise alte Stimme zitterte. Nele konnte keinen Ton von sich geben. Sie nickte nur. Oma schien es zu spüren.
"Ach, Kindchen...", seufzte sie, "ich bin gleich bei dir."
Nele sah schon vor ihrem geistigen Auge, wie die alte Dame sich auf ihr Fahrrad schwang und losradelte.
Ein Nebel legte sich um Nele. Unbeholfen torckelte sie zur Tür um nach draußen zu schauen. Der Himmel war immer noch wolkenlos. Immer noch kriesten die Möwen unbeschwert über ihr Haus. Immer noch blöckten die Schafe von Herr Gerdes seelenruhig auf dem Deich. Immer noch brummten die Autos der Touristen an ihrem Häuschen vorbei...
Es schien als sei es ein normaler Tag. Es war ein normaler Tag. Außer, dass heute etwas Schreckliches passiert war.
Nele ließ die Tür ins Schloss fallen. Sie brauchte Luft zum Atmen. Sie brauchte das Meer, das sie trösten würde. Gedankenverloren lief sie den Deich zwischen den erstaunt blökenden Schafen hinauf.
Es war Ebbe. Selbst das Meer hatte sie im Stich gelassen.
Sie lief in das Wattenmeer. Dem Meer und den Fluten entgegen.
Es schien als sei sie von allem verlassen worden - selbst von ihrem gesunden Menschenverstand.
Sie vergaß ihren kleinen Bruder, ihre Oma und ihr kleines Strandhaus. Alles schien vor ihren Augen zu verschwinden.

Kapitel 1

"Morgen", murmelte Jasmin als sie Neles Küche betrat. Nele betrachtet sie etwas genauer. Sie war einfach eine exotische Schönheit. Ihre langen schwarzen Wellen, die ihr über die schmalen Schultern hingen, sah selbst ungekämmt wunderschön aus und ihre dunklen Augen hatten sogar in ihrem schlaftrunkenen Zustand etwas Majestätisches an sich. Es war kein Wunder, dass Nils, Neles kleiner Bruder, ein Auge auf sie geworfen hatte. Und das machte Nele ein wenig Sorge. Jasmin war mit 18 zu ihnen auf den Lindenhof gestoßen. Das war bereits zwei Jahre her. Sie war damals ein verschlossenes, zierliches Mädchen gewesen, das nur eine Bleibe und Arbeit gesucht hatte. Als sie an jenen verregneten Abend an Neles Haustür geklopft hatte und Oma ihr, ohne große Fragen zu stellen, einen Kakao gekocht hatte, hat Nele sie in ihr Herz geschlossen. "Kaffee?", fragte sie Jasmin und musste wegen ihrem müden Gähnen lächeln. "Hmm", nickte diese nur. Nele goss Jasmin den Kaffee bis zum Rand der Tasse ein. Schwarz und ohne Zucker. So hatte es die stärkste Wirkung und so mochte Jasmin es am liebsten. "Wart ihr gestern noch lange aus? Ich hab euch gar nicht mehr kommen hören." "Hmm", war ihre Antwort. Sie war wirklich ein Morgenmuffel. Nele beschloss Jasmin im Frieden in den Tag anzukommen und stellte keine weiteren Fragen mehr. Jasmin braucht immer ein bisschen um zu begreifen, dass sie nicht mehr im Bett lang, sondern am Frühstückstisch saß. Auch Nils betrat nun die Küche. Seine verschlafenen Augen erhellten sich urplötzlich als er Jasmin erblickte. Sein "Guten Morgen!" fiel deutlich frischer und gut gelaunter aus, als an den Morgenden an denen er nur seine Schwester oder Oma in der Küche antraf. Auch ihm goss Nele Kaffee ein . Mit Milch und Zucker. Nils setzte sich dichter an Jasmin heran als es am frühen Morgen nötig gewesen wäre und Nele beobachtete seine peinlichen Annäherungsversuche amüsiert. Das ging jetzt 

schon ein halbes Jahr so. Aber Jasmin konnte ihn sehr gut auf Abstand halten. Es gab heute viel zu tun. Eins der Ferienhäuser würde heute neu bezogen werden. Um zwölf wollten die Gäste da sein. Das Haus war jedoch noch nicht bereit dazu. Während Nele die Aufgaben verteilte betrat Oma die Küche. "Guten Morgen meine Lieblinge." Ihre gutmütige Stimme erhellte den ganzen Raum. Selbst Jasmin erscheinen Omas Worte zu erreichen. Sie gab sich einen Ruck und war endlich wach. "Morgen Oma", sagte sie. Jasmin gehörte irgendwie schon zur Familie. Oma Barbara zu nennen wäre wahrscheinlich auch für alle befremdend gewesen. "Ihr seid aber früh auf", bemerkte Oma. Auch sie schien etwas verschlafen zu sein. "Geht es dir nicht gut?", fragte Nele besorgt. Normalerweise kam es Oma so gar nicht ähnlich verschlafen zu sein. "Frag mal lieber unsere Turteltauben wann sie gestern nach Hause gekommen sind. Abends kann man das nämlich nicht mehr nennen." Sie zwinkerte den beiden unauffällig zu, was diese noch verlegender machte. 

Nele schaute sie herausfordert an. Manchmal übernahm sie ohne dass sie es wollt eine Mutterrolle ein. Die beiden <font;_italic>Turteltauben</font>schauten jedoch verlegen zur Seite. "Ich höre!", war Neles schroffe Antwort auf das unangenehme Schweigen. "Ach, Nele! Lass die beiden in Frieden. Wir waren doch alle einmal jung. Ich erinnere mich noch genau daran als du mit diesem Björn zusammen warst. Kannst du dich noch daran erinnern?" Und ob sie das konnte, dachte Nele wütend. "Da kamst du manchmal erst um vier Uhr morgens nach Hause." Omas heitere Stimme brachte Nele ebenfalls in Verlegenheit. Das sie auch immer Björn erwähnen musste. Es war eine lange Geschichte. Und sie war eine von denen die nicht gut ausgehen. Alte Leichen sollte man nicht immer wieder aus dem Keller holen, das sagte Oma auch immer. Nur bei Björn schien sie eine Ausnahme zu machen. "Also, ich... ähm... wer bezieht die Betten neu? Ich hab die Lacken gestern schon gewaschen und gebügelt. Die Betten müssen nur noch bezogen werden", versuchte Nele von sich abzulenken. Belustigt sagte Oma: "Na da ist unsere Nele aber verlegen. Liebes wir wissen alle, dass er dir das Herz gebrochen hat, aber es ist doch immer wieder schön..." "Ja, genau er hat mir mein Herz gebrochen und ich will nicht mehr über ihn reden", unterbrach Nele ihre Oma patzig. "Wie oft soll ich dir das noch sagen?" Wütend stampfte sie davon. Als sie die Tür öffnete um in den Stall zu flüchten wurde sie von warmen Sonnenstrahlen begrüßt, die ihr wider ihren Willen ein Lächeln auf die Lippen zauberten. Es war ein wunderschöner Tag und sie würde sich das von niemand nehmen. Nicht von Oma oder Björn oder sonst irgendjemanden. 

Sie erreichte den Stall mit schnellen Schritten. Die Pferde begrüßten sie mit ihrem Wiehern. Nele begann mit der Arbeit. Die Ställe mussten ausgemistet werden und das Futter musste nachgefüllt werden erden. Sie würde die Pferde auf die Koppel lassen. Nele kam an Abbeys Box. Ihre Stute schnaubte zufrieden als sie Nele bemerkte. "Na, meine Kleine wie geht´s dir?" Abbey stupste Nele an die Schulter. "Ich weiß du willst ausreiten. Aber wir haben heute so viel zu tun." Daraufhin legte die Stute ihren Kopf auf Neles Schulter und Nele fing an sie hinter den Ohren zu kraulen. Es war ein stiller Akt, den sie schon seit Jahren immer wieder vollzogen. Obwohl Nele nicht der Meinung war das man Tieren menschliche Züge zusprechen sollte, wusste sie doch, dass Abbey ihr somit Trost und neuen Mut zusprechen konnte. Nele hatte sich ihre Stute in jener schweren Zeit gekauft, als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Die Stute hatte eine besondere Haltung. Sie ging voller Stolz durch das Leben und ließ nie den Kopf hängen, obwohl sie bei ihrem alten Besitzer oft geschlagen wurde. Dieses Verhalten gab Nele immer wieder Kraft nicht den Kopf hängen zu lassen und nicht aufzugeben. Sie hatte jene Zeit überstanden in der sie jeden Abend gehofft hatte am Morgen nicht wieder aufwachen zu müssen und sie würde auch noch die Stürme in ihrem Leben überstehen, die noch kommen würden. Und zurzeit schlug sie sich auch ganz gut. Abgesehen von ihren kleinen <font;_italic>Ausrastern</font>, wenn Oma auf Björn zu sprechen kam.

 

Kapitel 2

Sie mochte ihr Leben hier. Nach Jahren der völligen Orientierungslosigkeit hatte sie nun endlich einen ruhigen Hafen gefunden. Hier an der Nordsee. Hier am Deich. Hier auf dem Eichenhof. Sie hatte Menschen gefunden, die sie akzeptierten. Die ihr ein Dach über dem Kopf boten. Die ihr ein Zuhause gaben. Sie hatten sie aufgenommen wie ein lang verlorenes Familienmitglied, das wieder zurückgekehrt war. Es schien fast so als hätte Oma an der Tür gestanden und sie mit offenen Armen empfangen, so wie in einer der Geschichten, die sie manchmal zu erzählen pflegte. Wie hieß die noch gleich?... Genau, "Der verlorene Sohn"! Nur, dass sie eine verlorene Tochter war, die in ein ihr unbekanntest Haus eingekehrt war, da sonst niemand sie vermisste oder auf sie warten würde. Sie hatte in den Eckhoff´s eine Familie gefunden. Eine ihr bisher völlig unbekannte Instutition. Erst hier war ihr bewusst geworden, was sie alles in ihrem Leben verpasst hatte und gerade deshalb genoss sie dieses Leben hier in vollen Zügen. Sie hoffte, dass ihr das Schicksal nicht wieder ein Strich durch die Rechnung ziehen würde. Sie wollte hier bleiben und einfach nur ein normales Leben führen. Bis jetzt war sie noch in keine Schwierigkeiten geraten. Ihr Leben hier war perfekt! Manch einer hätte vielleicht den Kopf geschüttelt und sich gefragt, was daran so toll sei Betten in einem Ferienhaus in einem kleinem ostfriesischem Dorf zu beziehen, aber für Jasmin war es das Schönste auf der Welt. Hier gab es Ruhe und das war eines der kostbarsten Dinge in ihrem Leben. Nur die gelegentlichen Schreie der Möwen, die die Ruhe unterbrachen, holten sie manchmal zurück in die Realität und erinnerten sie daran, wer sie wirklich war. Aber heute machte es ihr nichts aus. Heute wollte sie einfach nur glücklich sein. Heute würde sie am liebsten laut singen und in die Luft springen. Es schien alles perfekt zu sein. In ihrer kleinen künstlich aufgebauten Welt lief alles glatt.

*

"It´s a drop in the ocean a change in the weather I was praying that you and me might end up together." "Ron Pope. A drop in the ocean?" Jasmin schreckte auf. Nils lehnte sich an den Türrahmen des Ferienhauses. Eine Moment blieb ihr die Luft weg. Sein schiefes Lächel haute sie jedes mal aufs Neue um und auch wenn sie sich dagegen wehrte verlor sie sich einige Sekunden in seinen tiefblauen Augen. "Hab ich gesungen?", fragte sie verlegen als sie sich endlich aus seinem Blick befreien konnte. "Ja" Er grinste "Und erstaunlich gut." "Oh..." Warum hatte sie laut gesungen? Sie hätte sich schwarz ärgern können "It´s like wishing for rain as I stand in the desert", sang Nils weiter. Krampfhaft musste Jasmin sich das Lachen verkneifen. Er sang einige Tonlagen zu tief, wenn man es überhaupt Tonlagen nennen konnte, denn von der eigentlichen Melodie war nicht mehr viel übrig geblieben. "Was?", fragte Nils und tat so als wäre er völlig entrüstet über Jasmin´s unerhörtes Verhalten. Schließlich konnte sie ihr Lachen nicht länger unterdrücken und musste laut los prusten. Er stemmte seine Arme in die Hüfte und formte mit seinen perfekten und gleichmäßig geformten Lippen einen Schmollmund "Ich finde, dass ich überdurchschnittlich gut singe." "Stimmt..." Die Ironie in Jasmins Stimme war nicht zu überhören. "Vielleicht kannst du mir das Singen beibringen?!" "Manchmal gibt es hoffnungslose Fälle." Sie zwinkerte ihm zu und im selben Moment bereute sie es auch schon wieder. Sie musste aufpassen. Sie durfte ihm keine falschen Hoffnungen machen. Er durfte sich nicht in sie verlieben. "Jasmin..." Nils verließ seinen Platz an der Tür und kam auf sie zu. "Wir müssen über gestern Abend reden", sagte er wieder ernst. Für einen weiteren kurzen Moment verlor Jasmin sich in seinen Augen. Doch dann drehte sie sich schnell wieder um und wandte ihre ganze Aufmerksamkeit der zu Decke, die sie zuknöpfen musste. Nils stand vor ihr und sie konnte seinen Atem hören und spüren aber sie weigerte sich zu ihm aufzusehen. "Jasmine ich versteh das nicht. Du lässt mich nicht an dich ran. Das ist nicht fair." "Es gibt nichts zu verstehen. So bin ich eben." "Das glaub ich dir nicht. Du bist eine verschlossene Persönlichkeit, ja das stimmt. Damit komme ich klar, aber nicht damit, dass wir nicht über die einfachsten Dinge reden können." "Das ist nicht einfach, denn ich bin so..." "Ich wünschte du würdest sehen, wer du wirklich bist." Er legte seine große Hand auf ihre schmalen Schultern. "Ich weiß wer ich bin!", sagte sie während sie seine Hand von sich schüttelte. Sie wusste nur zu gut wer sie war. Und gerade deshalb würde das mit Nils nie etwas werden. Gestern hatte sie einen schwachen Punkt gehabt. Die Gefühle waren mit ihr durchgegangen. Ihre Hormone hatten ihren sonst so rationalen Kopf ausgeschaltet. Aber heute,... Sie würde nicht noch einmal darauf reinfallen. Sie würde ihm nicht noch einmal in die Augen schauen und sie würde nicht noch einmal seine starke Hand auf ihrem Körper spüren. "Ich mag dich wirklich sehr gern, Jasmin. Wir gehören zusammen. Das weiß ich." "Woher willst du das wissen?", fragte Jasmin patzig zurück. "Als wir uns gestern geküsst haben, da hab ich es genau gespürt." "Vergess gestern einfach wieder." Ihre Stimme klang stark und emotionslos. Innerlich krapfte sich jedoch ihr Herz zusammen. Sie biss sich auf die Lippen. Und war froh , dass Nils ihr nicht ins Gesicht schauen konnte. "Wie könnte ich das vergessen!?" Er seufzte. Sie konnte sein schmerzverzogenes Gesicht vor sich sehen, dafür brauchte sie nicht zu ihm aufsehen. "Gib mir mindestens eine Chance." Sie schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass sie auch etwas für ihn empfand? Nein, nie würden diese Worte über ihre Lippen gehen. "Als ich dich gestern geküsst habe, da hast du dem Kuss erwidert. Wir sind Händchen haltend am Strand spazieren gegangen und du hast den ganzen Abend gelächelt. Wir haben über alles reden können und dabei die Zeit völlig vergessen. Und heute stehst du hier und schaust mich noch nicht einmal an? Ist das dein Ernst?" Jasmin´s Kehle schnürte sich zu. Tränen bahnten sich ihren Weg. Verzweifelt versuchte sie diese wegzuzwinkern. "Jasmin ich liebe dich..." Ein Zittern ergriff ihren Körper. Es war als würde jede Körperzelle ihres Körpers gegen die Liebe ankämpfen. Sie war so ein schlechter Mensch. Er war so ein guter Mensch. Er hatte sie nicht verdient. "Ich hab ein Bettlacken vergessen." 

Ohne Nils in die Augen zu schauen, verließ Jasmin das Ferienhaus. Nils hob die Bettbezüge hoch, die auf einer Kammode lagen. Das Bettlacken war da. Es war nur eine leere Ausrede gewesen. Nils schaute ihr kopfschüttelnd nach. Er hätte warten sollen. Sie war noch nicht bereit. Aber die Zeit würde kommen, davon war er felsenfest überzeugt.

*

Alles lief dem geregelten Tagesverlauf entsprechend. Das Ferienhaus war, laut Jasmin, Einzugs bereit und die Pferde waren inzwischen auch schon auf der Weide. Nele trat aus dem Stall und ließ ihren Blick über ihr kleines Reich schweifen: Über das weite grüne Land auf dem ein paar Kühe, Schafe und Pferde weideten, über die drei kleinen, aber perfekt ausgestatteten Ferienhäuser, über ihr eigenes Haus, das so wie alle anderen Häuser hier an der Küste mit roten Backsteinen geklickert war, über die Ställe und den Obstgarten, den Oma mit all ihrer Liebe pflegte und hegte. Die Scheune hingegen würdigte sie keinen Blick. Früher hätte sie nie daran denken können, hier den Rest ihres Lebens zu verbringen. Das Leben auf dem Land erschien ihr immer zu langweilig und primitiv zu sein. Sie hatte davon geträumt in eine Großstadt zu ziehen und dort einfach nur schnell ans große Geld zu kommen. Stattdessen hatte sie sich ein kleines Strand Haus gekauft und war in der Nähe ihres Elternhauses geblieben. Ihre Eltern hatten eine ganz besondere Gabe besessen. Diese lag nämlich darin, ihren Kindern 

Kindern ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber im Endeffekt, bereute Nele es nicht hier geblieben zu sein. Viele ihrer ehemaligen Schulkameraden und Freunde waren in Großstädte gezogen und hatten dort nicht das großes Glück finden können. Im Gegenteil, die Meisten waren gescheitert und das in vielerlei Hinsicht. Sie hingegen hatte sich ein schönes Leben aufbauen können. Trotz der vielen Schwierigkeiten, die ihr im Laufe der Jahre in den Weg gestellt worden waren, hatte sie ein eigenes Unternehmen gegründet. Sie hatte aus einem ganz normalen Bauernhof, der schon mehr als ein Jahrhundert in den Händen ihrer Familie lag und immer nur Pferde und Kühe gezüchtet hatte, einen familienfreundlichen und, ihrer Meinung nach, wunderschönen Ferienhof geschaffen. Einer der gefragtesten in dieser Gegend, wohl bemerkt. Oft waren die Häuser schon ein Jahr vorher ausgebucht. Es schien fast als würden ihr die bunten Tulpen, die die Einfahrt des Ferienhofes schmückten, anerkennend zunicken. Ihren prachtvollen Köpfen wurden vom Wind langsam hin und her wiegte. Oder nickten sie sich einfach nur in einen Mittagsschlaf? Nele musste über dieses Bild lächeln. Manchmal erschien ihr die ganze Welt wie ein riesengroßes Kunstwerk, das bereits in einer Galerie ausgestellt war, es galt nur noch die Gemälde zu bewundern. In Momenten wie diesen ließ sie die Natur auf sich einwirken und erlaubte es sich auch in

Kapitel 3

Als Nele die Küche betrat roch es köstlich nach Kartoffelgratin und nach anderen Leckereien, die Oma gerade zauberte.

Erschöpft ließ Nele sich auf eine Küchenstuhl fallen. Der erste Tag mit neuen Gästen war immer der anstrengendste von allen. Sie hatte so viele Fragen und und und.

„Sie sind interessant, was?“ Oma drehte sich nicht um, sondern rührte seelenruhig ihren Pudding weiter.

„Man sagt, dass interessant der kleine Bruder von Scheiße ist, Oma.“

„Solche Wörter gibst du nicht in meiner Küche von dir!“ Oma fuchtelte wild mit ihrem Kochlöffel.

Manchmal fühle Nele sich an ihre Kindheit erinnert. Aber sie musste sich damit abfinden, denn wenn sie sich Oma widersetzte würde, würde sie es lange noch zu spüren bekommen. Und eine schweigende Oma die auf keine Frage antwortet und einem auch keine Ratschläge gibt ist das Schlimmste. Also murmelte Nele ein leises „Entschuldigung“. Auch wenn es ihrer Meinung nach mit 28 Jahren völlig unangebracht war so einen extremen Respekt vor der eigenen Oma zu haben.

Sie schwiegen. Oma konnte sehr nachtragend sein.

Das Schweigen heilt nicht ewig. Jasmin schneite in die Küche.

„Das riecht ja richtig gut Oma“

„Hmm...“

„Was ist passiert?“

„Ich hab das böse Wort gesagt.“

„Das böse Sch- Wort.“

„Machst du dich darüber lustig, dass ich solche Wörter nicht in meinem Haushalt dulde?“

Nele könnte jetzt einwenden und sagen, dass der Hof ihr gehörte, da sie ihn von ihren Eltern geerbt hatte. Aber was würde das bringen? Oma hätte so oder so ein Totschlagargument.

„Nein Oma“, beschwichtigte sie ihre Oma stattdessen.

„Gut.“

Das Schwiegen ging weiter. Es war unerträglich. Es war so als würden die Möwen einen Tag beschließen keinen Ton mehr von sich zu geben. Ihr Schreien gehörte einfach zu Neles Leben dazu, genauso wie Omas ständig Reden über belanglose Dinge, die aber trotzdem eine beruhigende Wirkung auf alle in der Familie hatten.

„Ich finde, dass dieses süße Gebäck, was immer es auch ist, ziemlich lecker ist.“

„Es sind Zimtschnecken", erwiderte Oma emotionslos. Und hätte man ihr ins Gesicht schauen können, hätte man ebenfalls keine Emotionen gesehen.

Jasmins Versuch Oma wieder zum Reden zu animieren war kläglich gescheitert.

„Ich werde mit Abbey ausreiten“, beschloss Nele laut.

„Wir werden gleich essen.“ War Omas kühle Antwort.

„Ich bleib nicht lange weg.“

 

*

 

"Mensch, Oma, das ist ihr doch nur so rausgerutscht."

"Sie ist 28 Jahre alt. Da sollte sie alt genug sein ihre Zunge zu zügeln."

"Ich sag es nur ungern, aber du hörst dich gerade wie eine alte verbitterte Witwe an, die ihre schlechte Laune an ihrer Enkelin auslässt."

"Alt bin ich und eine Witwe auch. Aber verbittert nicht."

"Wirklich?" Die Ironie war nicht zu überhören.

"Jasmin du weißt, dass ich nicht..." Sie drehte sich energisch um. Ihre Falte zwischen den Braunen war tief. "Was?"

Jasmin hatte ihre Augenbrauen hochgezogen und schaute Oma herausfordernd an.

"Was ist hier los?" Oma war sichtlich verwirrt.

"Du hast gesagt, dass wir dir sagen sollen wenn du dich wie eine verbitterte Witwe aufspielst und das tue ich gerade."

"Ja das ist wohl war. Aber ich spiele mich nicht so auf. Ich zeige meiner Enkelin nur Grenzen auf."

"Am besten du lässt diesen Blick jetzt sein. du siehst nämlich aus wie die böse Hexe aus Hänsel und Gretel."

Oma riss den Mund auf um etwas zu sagen, dann hielt sie jedoch inne. Nach einem weitern Moment der Stille verzog sie das Gesicht. "So schlimm?"

"Du weißt doch, ich übertreibe gern."

"Puh..."

"Was nicht heißt, dass du völlig freigesprochen bist."

Oma stemmt ihr Hände in ihre wohlgeformten Hüften, wie sie sei gerne und stolz beschrieb.

"Da hast übertrieben, Oma. Das musst du zugeben. Scheiße ist..."

"Jetzt sagst du es auch schon."

"Scheiße ist ein Wort, dass uns jungen Leuten mal so rausrutscht. Man sagt es eben sehr häufig. Was nicht heißt, dass es gut ist. Wir sagen es bestimmt nicht um dich zu ärgern. Denn deinen Ärger will wirklich niemand einpaar Tage ertragen.."

Oma grinste zufrieden, denn sie wusste um ihre besondere Gabe.

"Du sagst doch selbst immer, dass man vom Ärgern nur graue Haare bekommt und dann irgendwann die ganze Welt verrückt macht, weil man graue Haare und schlechte Laune hat."

"Das stimmt wohl."

"Na also.Und du hast für dein Alter nur einpaar graue Strähnchen. Wir wollen doch nicht, dass du wegen dem Sch-Wort ganz ergraust."

"Ich bin beeindruckt wie gut man meine eigenen Waffen gegen mich verwenden kann."

"du sagst eben oft weise Dinge und manchmal kannst du dann auch noch was von den lernen. Stimmst?"

"Stimmt. Ich muss mich geschlagen geben." Anstatt, so wie viele andere alte Leute wahrscheinlich reagiert hätten, eingeschnappt zu sein, lächelte sie, was ihre tiefen Lachfalten zum Vorschein brachten. Diese Frau war einfach beeindruckend.

"Wo die Jugend Recht hat, da hat sie Recht", murmelte sie während sie sich wieder ihren herrlichen Gerichten zuwendete.

"Glaubst du Nele wird mit einem Apfelstrudel als Entschuldigung zufrieden sein?"

"Ich denk schon. Ist das nicht ihr Lieblingskuchen?"

"Ja!", sagte Oma siegessicher.

 

*

 

Der Wind der Nele entgegen blies streichelte leise ihr Gesicht. Es war Flut. Sie ritt auf dem Deich.

Dunkel erinnerte sich Nele an jenen verhängnisvollen Tag, als sie an ihrem alten Haus vorbei ritt. Abbey bemerkte Nele´s Nervosität und drosselte ihr Tempo.

"Ist schon gut, Mädchen."

Nele strich ihrer Stute durch die Mähne. Sie hatte Knoten.

"Ist schon gut."

Erst beim als Nele das zweite mal diese Worte aussprach, bemerkte sie, dass sie weniger die Stute sondern viel mehr sich selbst beruhigen musste.

Manchmal machte es ihr nichts aus an diesen Ort zu kommen. Aber manchmal fiel es ihr schwer diesen wunden Punkt zu überwinden. Jedoch musste sie, um an ihren Lieblingsplatz zu kommen, hier vorbei. Um an die schönen Plätze zu kommen muss man auch an den weniger schönen vorbei. Es war genau so wie im Leben auch.

Eins von Kelly Claksons Liedern kam ihr in den Sinn: "What doesn´t kills you makes you stronger!" Leise summte sie das Lied und trieb Abbey wieder an. Sie schaute nach vorne. Nicht mehr zur Seite. Nicht mehr nach hinten. Sie würde nicht mehr stehen bleiben. Sie schaute nur nach vorne. Ihrem Ziel entgegen.

Es gab viele einfache Bänke, die auf dem Deich oder auch am Strand standen. Holzbänke. Steinbänke. Die wenigsten Menschen hätten warum Nele immer zu dieser einen Bank ritt. Aber von hier aus sah die Welt anderes aus. Auf eine spezielle Art und Weise. Es war so wie ein Zauber der sich an dieser einen Bank für Nele auftat.

Das hatte sie schon als Kind geglaubt und sie sah nicht ein warum sie nur weil sie jetzt erwachsen war, nicht mehr an diesen Zauber glauben sollte.

Der Löwenzahn war hier gelber als sonst wo auf der Welt. Tausend Sonnen zierten hier den Deich. Das Meer sah von dieser Bank tiefblau aus, was für die Nordsee sehr beeindruckend ist. Die Inseln waren für Nele selbst bei Nebel klar zu sehen. Hier hatte sie den Durchblick. Nele wusste, dass diese Vorstellung von der "Zauberbank" verrückt war, aber so wahr sie eben manchmal: Verrückt!

Oma schüttelte immer den Kopf und sagte: "Wenn ich dich nicht besser kennen würde, würde ich dich fragen ob du Fieber hast."

Bei den Gedanken an Oma musste Nele lächeln, obwohl sie soeben noch eine Auseinandersetzung mit ihr gehabt hatte.

Welche Frau heutzutage würde sich schon über Schimpfwörter aufregen. Sie gehören schon zum alltäglichen Sprachgebrauch. Nicht so aber für Oma. Und daran war eigentlich auch nichts auszusetzen.

Oma war eine erstaunlich konsequente Persönlichkeit. Diese Eigenschaft hatte Nele schon immer schon imponiert. Ins geheim wünschte Nele sich manchmal auch einmal so zu werden wie Oma. Schon als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt so zu sein wie ihre Oma es war. Sie würde natürlich nie jemanden davon erzählen, da es ihre eigene Persönlichkeit infrage gestellt hätte.

Etwa zehn Minuten verweilte Nele auf ihrer Bank und nahm den Frieden und die Ruhe dieses Ortes in sich auf, während sie sich von einer leichten Meerbriese verwöhnen ließ. Sie massierte Neles Schläfen, die höllisch schmerzten. Das viele Denken tat ihrem Kopf nicht gut. Wenn es möglich wäre, würde Nele oftmals einfach nur ihren Kopf ausschalten und die Stille genießen. Aber leider kann der Mensch nicht aufhören zu denken.

Mit diesen Gedanken stand sie auf und schwang sich wieder auf ihr Pferd. Zuhause erwartete sie bestimmt schon ein Apfelstrudel. Oma war gut im vergeben.

 

Kapitel 4

Ein Tag kann nur besser werden, wenn es morgens heftig stürmt und man von den zuschlagenden Fensterläden geweckt wird. Das hatte Nele in all den Jahren in denen sie an der Küste lebte gelernt. Heute war einer dieser Tag.

"Der Tag ist erst schlecht, wenn man an Ende des Tages nichts Gute finden kann. Ein kleiner Regenschauer am Morgen sollte dir nie die Laune verderben", war eine weitere Weisheit die von Oma kam. Und auch heute belehrte sie jemanden mit diesen weisen Worten eines Besseren. Es war die kleine Josephine, die sich nach zwei Tagen auf dem Bauernhof nicht dem Gedanken abfinden konnte, dass man auch einen genialen Urlaub außerhalb der vier Wänden eines Hotels haben kann, die Omas Weisheit zum Opfer fiel.

Oma schüttelte den Kopf, als sie wieder vom Ferienhaus, wo sie soeben das köstliche Frühstück vorbei gebracht hatte, in die Küche kam und Nele von Josephines Unzufriedenheit berichtete. "Sie leben hier doch wie in einem Hotel. Ich steh den ganzen Tag vor dem Herd und koche mir die Hände wund und als sei das nicht schon genug, bringe ich ihnen auch noch das Essen auf einem silbernen Tablett persönlich in das Ferienhaus. Sie haben doch dieses Programm gebucht... wie heißt das noch gleich?"

"Das Deluxe Paket", war Nele ihrer Oma sofort zur Hilfe.

"Genau, das meine ich. Sie werden rund um die Uhr verwöhnt und unsere kleine Prinzessin passt das Wetter nicht. Ich doch auch nichts dafür, dass uns der liebe Gott heute Morgen einen kleinen Streich gespielte." Sie hielt kurz inne und lächelte dann über diese Vorstellung. "Naja, vielleicht kam Gott uns ein weinig zur Hilfe um ihr unverschämtes Benehmen zu rächen. Stellvertretend für uns. Weißt du, ich es fällt nur noch ein bisschen, dann hole ich meine Rute raus."

Oma kicherte vor sich hin während sie sich wieder ihren Mittagessenvorbereitungen zu wandt.Um zehn Uhr morgens wohl bemerkt.

"Würde ich an Gott glauben, würde ich das wahrscheinlich auch lustig sagen." Neles Augen waren leer, während sie Omas Bewegungen betrachtete, die vor Lebensfreude nur so strotzten.

"Ach, Kindchen. Ich wünschte du würdest es tun. Das Leben ist so viel schöner mit dem Herrn an der Seite. "

"Ja und genau deshalb kann und will ich nicht glauben. Wenn Gott und der Glaube an ihn nur eine Krücke für ein schönes und leichtes Leben ist, dass kenne ich auch genug andere Mittel."herausfordernden"Man kann die schönsten Dinge des Lebens auch ganz schön negativ ausdrücken", entgegnete Oma trocken und warf ihrer Enkelin einen herausfordernden Blick zu. "Würdest du mir erklären, was zu diesen Dingen zählt,die angeblich zu einem genauso guten Leben führen sollen, wie das Leben mit Gott?"

"Mein Date heute Abend?" Nele grinste zufriedenstellend.

"Da lehnst du dich aber weit aus dem Fenster, Schätzchen." Oma betrachtet Nele einen Augenblick. Als sie weiter sprach wurde ihre Stimme sanfter: "In Menschen täuschen man sich leider viel zu oft. Man verspricht sich so viel von ihnen: Aufmerksamkeit, nette Gesten, ja auch Geschenke, aber vor allem Liebe." Sie machte eine lange Pause. Dann holte sie tief Luft und sah Nele fest in die Augen. "Aber viel zu oft bekommen wir das Gegenteil zurück. Ablehnung, Ignoranz, falsche und leere Versprechen und leider auch Hass. Ja, wir sind alle nur Menschen..." Omas Augen waren jetzt glasig, als sie sich wieder ihre Arbeit zu wandte.

"Und deshalb schaffen wir Menschen uns einen Übermenschen, den wir dann Gott nennen. Weil wir selbst nicht in der Lage sind so zu handeln wie wir es gerne hätten", sagte Nele neutral und emotionslos. Sie war es leid ständig mit ihrer Großmutter über Gott und die Welt zu diskutieren.

Diese seufzte nur traurig, blieb jedoch zu Neles Erstaunen völlig ruhig. "Du hast zu viel dummes Zeug gelesen, Mädchen", murmelte Oma leise, aber Nele war zu müde um darauf zu antworten.

Eigentlich hatte Oma in dieser Hinsicht sogar Recht. Sie hatte viele Texte und Bücher über dieses Thema gelesen. Ob sie dumm waren, darüber lässt sich streiten. Aber sie erklärten ganz plausibel, dass es keine Gott gab und das war für Nele genau das Richtige. Zur Zeit jedenfalls.

 

*

 

Oma betrachtet ihre Enkelin. Sie war eine hübsche Frau. Früher wurde sie wegen ihrer roten Haare oft gehänselt, aber heute machte es sie zu einer ungewöhnlichen und attraktiven Frau. Die rote Lockenmähne umrahmte ihre grünen großen Augen, die sie heute, für Omas, Geschmack sehr stark geschminkt hatte. Aber Nele meinte, dass es ihre Augen noch mehr betonen würde. Oma behielt ihre eigene Meinung darüber für sich. Stattdessen lächelte sie ihrer Enkelin anerkennend zu als diese die alte Holztreppe herunterkam, die mindestens schon ein ganzes Jahrhundert überlebt hatte.

Neles braune Kleid, das von einigen süßen Blümchen verziert wurde, schmeichelte ihren Körper dezent. Sie war wirklich eine wunderschöne Frau. Aus dem durchschnittlichen Schulmädchen vom Land ist doch tatsächlich etwas geworden, dachte Oma stolz.

„Du siehst toll aus.“ Oma drückte Neles Hand liebevoll.

„Danke, Oma. Da sind deine Gene wohl nicht ganz schuld dran.“

„Ach, lass die Schmeicheleien. Ich werd gleich ganz rot.“ Die beiden Frauen kicherten und jeder Blinde konnte die aufrichtige Liebe der beiden zueinander sehn.

„Darf ich eigentlich auch wissen in welche Hände ich meine Enkelin heute Abend übergebe?“

„Wenn du mir versprichst nichts blödes zu sagen....“

„Dieses Versprechen kann ich leider nicht ablegen. Du weißt doch was für ein ungezügeltes Mundwerk deine Oma hat. Wenn es jemand blödes ist werde ich auch etwas blödes sagen.“

Nele konnte sich ihr Grinsen nicht verkneifen. Ihr Oma hatte eine sehr ehrliche Selbsteinschätzung und Nele wusste diese auch zu schätzen und auch wenn sie es oft nicht zugab war ihr die Meinung von Oma sehr wichtig. Es blieb ihr nichts anderes Anderes übrig als es frei heraus zu sagen:„Es ist Christian …!“

„Doch nicht der Sohn von dem Bürgermeister?“

„Doch genau der.“

„Nun... so hätte ich dich ja gar nicht eingeschätzt. Seid wann sind den blonde, schmierige Unternehmer in deinem Beuteschema?“

„Ich habe kein Beuteschema.“

„Ich bin deine Oma und kenne dich besser als du manchmal glaubst, Liebling. Und Christian... ist eindeutig nicht dein Typ.“

„Es ist ja auch nicht so, dass ich ihn jetzt heiraten muss, weil ich einmal mit ihm ausgehe.“

„Das stimmt wohl.“ Oma legte ihr Stirn in Falten und musterte Nele noch einmal ganz genau.

„Was?“ Nele kannte ihre Oma schon zu gut, um zu wissen dass solch eine Stirn unausgesprochene Worte waren.

„Du bist eine taffe Frau und Christian ist ein taffer Mann. Er hat ja eine ganze Hotelkette hier an der Nordsee. Das ist mal was anderes. Und was anderes muss ja nicht unbedingt was schlechtes.“

„Genau so sehe ich das auch.“

Draußen hupte ein Auto. Der schwarzer Jaguar kam vorgefahren. Nele zwängte sich eilig in ihre braunen Pumps. Oma stand am Küchenfenster und sah Nele nach, wie sie zu dem schicken Auto, das hier völlig fehl am Platzt zu sein schien, schwebte. Eigentlich hätte hier jetzt Christine stehen müssen. Bei dem Gedanken an ihre verstorbene Tochter wurde sie traurig. Hätte Christine das Date mit Christian gutgeheißen. Es gab so vieles, was Nele nicht wusste und Oma brachte es nicht übers Herz ihr die dunklen Seiten ihrer Familie zu erzählen.

*

Die meisten Besucher des luxuriös Restaurants, das direkt am Strand lag, waren Touristen. Jedoch solche, die niemlas einen Fuß auf das Grundstück von Neles Ferienbauernhof gesetzt hätten. Sie trugen Designerklamotten, die bestenfalls Einzelstücke waren und die Gesichter der Frauen waren mit Botox makellos glatt gebügelt. Nele fühlte sich ein wenig unwohl. Man sah es ihr heute Abend zwar nicht an, dass sie eigentlich nicht in diesen Kreisen verkehrte, außer dass sich auf ihrer Stirn einpaar kleine Falten abzeichneten und ihre Augen von kleinen Lachfalten umspielt waren. Sie konnte sich nicht richtig entspannen und den Gedanken ausblenden, dass sie hier fehl am Patzt war. Markus gab sich alle Mühe sie aufzulockern und ihr den Abend genießbar zu machen, aber es wollte ihm nicht richtig gelingen. Sie war eben nur ein Bauernmädchen, dass sich immer noch nicht in die höhere Gesellschaft einfinden konnte und dabei lag das ganz und gar nicht an ihrer Begleitung. Markus war auf der einen Seite ein zuvorkommender und sehr ernst zu nehmender Gentelman, der auf der anderen Seite aber auch humorvoll sein konnte und mit seinem intelligenten Humor hin und wieder ein Lächeln auf Neles Lippen zaubern konnte. Er sah überdurchschnittlich gut aus und es war erstaunlich, dass er Nele nach einen Date gefragt hatte. Schließlich hätte er eine hübschere und reichere Frau haben können, denn die meisten der Noch-Singel-Frauen in der Gegend standen auf Markus und träumten davon weiter kleine "Marküsse", wie Oma immer belustigt sagte, auf die Welt zu setzten. Nele war darauf natürlich nicht so scharf, aber das Date war eine gute Abwechslung, und es müsste ja auch nichts weiter heißen...

Während Markus an der Bar zwie Drinks bestellte, betrachtete Neles das Amiente des Restaurants etwas genauer. Die Ausicht von der großen Fennsterfront, an der sie saßen, war atemberaubend. Der weite Strand und der ausgesprochen noble Yachtclub, mit seinen langen Stegen, an denen prachtvolle und teuer Yachten anlegeten, erstrecketen sich vor ihnen aus.

So wie die Umgebung, war auch das Restaurant atemberaubend. Die Wände waren mit massiven aber sehr edlen Steinen gemauert. Einige expressionistische Gemälde, von lokalen Künstlern schmückten die Wände und ein Kamin in dem ein kleines Feuer vor sich hin brannte, schuf eine behagliche Atmosphäre. Alles hier schien auf sich abgestimmt zu sein. Die bunten Blumen, die auf den Tischen standen, bissen sich farblich keinesfall mit den Blumen an dem Nachbartisch und die dunkelen Lederstühle, man hätte schon fast Sessel sagen können, hatten genaue den gleichen Braunton, wie der Holztisch an dem sie standen und der extravaganten geschnitzten Bar, die inmitten des Restaurants trohnte. Und obwohl dieses Restaurnat erstklassig war und das Essen genauso köstlich schmeckte wie es roch, konnte Neles sich nicht von ihrem unguten Gefühl befreien.

Nach einpaar Drinks ging es ihr schon besser, aber immer wieder kam in ihr der Gedanke auf: Wenn du dich erst mit ein em gewissen Alkoholpegel in seiner Nähe wohlfühlst kann das nichts Gutes heißen. Dieser Satz hätte von Oma kommen könne, aber Nele erinnerte sich nicht daran, dass Oma ihn jemals gesagt hatte. Aber vielleicht lag das auch an ihrem Alkoholgehalt im Blut.

 

 

Kapitel 5

Der Regen prasselte erbarmungslos gegen die Fensterscheiben. Nele stand mit verschränkten Armen vor dem Küchenfenster. Sie verdrehte die Augen und lauschte dem Radio in der Hoffnung, dass die Wetteraussichten besser werden würden.

"Von der Nordsee wird uns langanhaltender Regen gemeldet, der teils heftige Böhen mit sich bringt", enttäuschte der Nachrichtensprecher Nele. Was sollte sie heute nur mit den Feriengästen anstellen und vor allem was sollte sie mit Josephine anstellen?

Das Mädchen ließ nicht davon ab sich über das Wetter, die stinkenden Tiere und das Essen zu bescheren. Man könnte an dieser Stelle eine zwei Seiten lange Aufzählung anhängen.

Nele ließ sich müde auf den Stuhl sinken.

"Das wird schon", sagte Oma, die Neles Sorge in ihren Augen gesehen hatte.

"Hatte ich jemals Gäste die mich so gestresst haben?"

"Vermutlich nicht!" Oma legte ihren Kopf schief und überlegte ob ihr noch jemand einfiel.

"Nein", sagte sie nach einer Weile. "Die Freuds kann niemand ersetzten."

Das Radio spielte ein super fröhliches Lied ab. Nele ließ ihren Kopf genervt auf den Tisch sinken.

"Jetzt bekommen die noch nicht mal hin vernünftige Lieder im Radio zu spielen."

"Ich weiß was dir helfen könnte: ein starker Kaffee", sagte Oma und machte sich gleich dran einen starken Kaffee zu zaubern.

"Ohne Zucker aber mit Sahen?", fragte Oma ohne sich umzudrehen, weil sie die Antwort schon kannte.

"Du weißt was gegen schlechte Laune hilft."

"Ich lebe schon lang genug auf dieser schrecklichen Welt."

"Das hört sich schlimm an, Oma."

"Wirklich? Ich kann dir noch was verraten, was hilft."

"Das da wäre?"

"Du stehst jetzt auf und sagst dir, dass der Tag wunderbar ist und du dir nichts Besseres vorstellen kannst, als die Scheune aufzuräumen."

"Danke Oma für diesen außerordentlich nicht hilfreichen Rat. Das wird nicht gerade meinen Tag versüßen", sagte Nele trocken.

"Du musst das schon seit Monaten machen und schiebst es schon so lange vor dich her. Heute ist der perfekte Tag dafür."

"Stimmt ich kann mir nichts besseres vorstellen."

"Ich tue mal so als wenn ich deine Ironie nicht gehört habe."

"Das blöde an der ganzen Sache ist, dass du Recht hast. Ich sollte wirklich wieder einmal aufräumen."

"Schnapp dir einfach Jasmin und Nils und dann gehts auch viel schneller."

"Ist dir aufgefallen, dass sie sich total seltsam benehmen."

"Ja", seufzte Oma. "Sie wollen sich einfach nicht eingestehen, dass sie sich lieben."

"Was?" Nele war aufgesprungen. "Du meinst sie wollen wirklich,... glaubst du wirklich, dass Nils und Jasmin...?"

"Du darfst es ruhig aussprechen. Sich ineinander verliebt haben? Ja."

"Warum sollten sie?"

"Naja, man versteht nicht immer die Liebe. Ich denke sie passen gut zusammen. Sie müssen es nur noch herausfinden. Vor allem Jasmin."

"Woher weißt du das?"

"Ich kann nur wiederholen: Ich lebe schon lange auf dieser Welt. Obwohl sie nicht immer schrecklich sein muss. Liebe ist etwas wunderschönes.", sagte Oma verträumt.

"Nicht immer", murmelte Nele.

"Ach Kindchen du musst endlich vergeben und dir eingestehen, dass die Zeit mit Björn sehr schön war. Klar, es war ein unschönes Ende, aber warum bist du nicht für die guten Dinge dankbar. Wärst du ohne Björn so eine starke Frau geworden? Ich glaube kaum."

"Oma, Du verstehst das nicht."

"Doch Liebling glaub mir ich weiß sehr wohl was das heißt."

"Ich will nicht über Björn reden Oma. Wirklich nicht." Neles Stimme war nur ein leises Flüstern und Oma wusste, dass Neles Stimme kurz davor war zu brechen.

"Wann willst du dir die Traurigkeit nur von der Seele reden, Liebling?"

"Nicht heute..."

Nele stand auf und verließ die Küche. Oma lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und sah ihrer Enkelin schweren Herzens hinterher. Sechs Jahre schon trug sie den Schmerz mit sich herum, ohne mit jemanden darüber zu reden. Ohne ihrem Herzen eine Chance zu geben wieder zu heilen. Ohne anderen Menschen eine Chance zu geben an ihr Herz heran zu kommen.

Bei diesem Gedanken, fiel Oma Neles Date mit Markus ein. Sie hatte Nele gar nicht danach gefragt. Wie es wohl gelaufen war.

 

*

 

Die Scheune betrat Nele nur an Tagen an denen es wirklich nötig war. Es war ein besonderer Ort. Ein Ort, der viele Erinnerungen und Gefühle in Nele wachrüttelte, die sie sonst krampfhaft zu unterdrücken versuchte.

Sie hatte Jasmin und Nils nicht um Hilfe gebeten. Sie brauchte Zeit für sich. Zeit zum Nachdenken. Zeit in der sie die Erinnerungen auf Neue auf sich wirken lassen konnte.

Mit schnellen Schritten ging Nele auf die alte Scheune zu. Der Regen peitschte erbarmungslos auf sie ein. Oma hatte Recht sie musst endlich über ihre Gefühle und Verletzungen reden, die Björn ihr zugefügt hatte. Der kalte Regen tat gut. Es war eine Art Therapie. Er kühlte sie ab. Brachte sie wieder runter. Gab ihr das Gefühl, dass sie es schaffen würde weiter zu machen.

Ihre Haare klebten in ihrem Gesicht als sie die Scheune erreicht hatte. Sie atmete tief durch. Dann öffnete sie die morsche Tür. Ein kleiner Lichtstrahl fiel mit ihr durch die Tür und erhellte den dunklen Raum. Im nächsten Moment schlug die Tür mit dem Wind zu. Es war wieder dunkel.

Alles war so wie früher. Es war dunkel. Es roch nach Stroh und altem Holz. Die Umrisse von alten Landwirtschaftsgeräten waren im hinteren Teil der Scheune zu sehen. Ein Haufe von nicht mehr gebrauchbaren Möbel und Haushaltsgeräten stapelte sich in einer Ecke und eine Seite der Scheune war mit Kisten vollgestellt, in denen sich wertvolle Erinnerungen versteckten. Die Heuballen nahmen den Rest der Scheune ein. Anstatt sich einen Weg durch die Unordnung zu bahnen, setzte Nele sich auf den ersten Heuballen, den sie sah.

Nele ließ den Eindruck der Vertrautheit auf sich wirken. Der Regen und das Quietschen der alten Holzwände erinnerten sie an eine ganz besonderen Tag.

 

*

 

Es hatte gestürmt. Aber Nele und Björn machte das nichts aus. Sie waren hier aufgewachsen und hatten noch nie Angst vor Stürmen gehabt. Als es anfing zu gewittern, hatte sie ihren Nachhauseweg eingeschlagen. Sie hatte viel Spaß gehabt und obwohl sie schon 17 waren, hatte es ihnen nichts ausgemacht Fangen zu spielen. Als das Gewitter sehr heftig wurde, hatten sie Gerade den Rand ihres Grundstück erreicht und waren in die Scheune geschlüpft.

Schnaufend hatten sie sich gegen die Holztür gelehnt und gelacht.

"Das war toll. Solche Aktionen liebe ich an dir", hatte Björn gesagt. Neles Herz hatte einen kleine Hüpfer gemacht. Sie waren schon immer Freunde gewesen, aber seit einiger Zeit hatte Nele andere Gefühle für Björn, als nur freundschaftliche.

"Ja", hatte Nele gehaucht und sich nicht getraut ihm in die Augen zu schauen. Sie war zu dem ersten Heuballen gegangen der ihr in der Unordnung begegnet war und hatte sich hingesetzt. Björn war ihr gefolgt. Er hatte neben ihr Platzt genommen.

Sie hatten geschwiegen. Tausend Gedanken waren Nele in diesem Moment durch den gegangen. Der Wind hatte durch die Ritze gepfiffen und am liebsten hätte sich Nele in Björns Arm geschmiegt.

In diesem Moment geschah für Nele etwas völlig Magisches. Als hätte Björn Neles Gedanken gelesen, nahm er sie in den Arm.

"Ist dir kalt?", hatte er gefragt. Von seiner tiefen Stimme hatte Nele Gänsehaut bekommen.

Sie nickte, immer noch nicht bereit ihm in die Augen zu schauen.

"Ist alles okay?", hatte Björn nach einer Weile besorgt gefragt.

"Ja, ich denke nur nach."

"Gut."

Sie sie hatten lange schweigend da gesessen und ließe beide ihre Gedanken schweifen. Dabei hatten sie nicht gewusst, dass der Andere das dachte was auch sie dachten. "Wie wäre es wenn wir ein Paar wären?"

Nele hatte schließlich unauffällig zu Björn aufgesehen. Er hatte wunderschöne grüne Augen und wenn er nachdachte, dann wurden sie immer zu zwei kleine Schlitze.

Sie hatte lächeln müssen, als sie sich wieder an Seine Brust geschmiegt hatte.

"Was?", fragte Björn daraufhin.

Sie schauten sich lange und intensiv in die Augen. Sie brauchten keine Worte um zu wissen, was der Andere gerade dachte. In Neles Bauch flogen, trotz des starken Gewitters, Schmetterling.

Björn hatte ihr Gesicht in seine Hände genommen und ihr langsam über ihre Wange gestrichen. Jetzt konnte Nele sich nicht mehr von seinem Blick lösen. Er hatte das Gleiche gedacht wie sie. Es zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.

Björn hob langsam Neles Kinn und führt seine Lippen auf ihre. Er küsste sie sanft. Es schien als würden ihre Lippen perfekt zueinander gehören. Sie erwiderte seinen Kuss zaghaft.

"Das wollte ich schon lange machen", hauchte Björn.

"Ich auch", flüsterte Nele.

"Ich bin nicht gut darin romantische Reden zu schwingen."

"Ich weiß."

Björn hatte gegrinst und ihr dann liebevoll durch das nasse Haar gestrichen.

"Ich frag dich einfach gerad heraus: Willst du meine Freundin sein? Also,... meine richtige Freundin nicht nur so eine Freundin."

"Ja..."

Sie küssten sich wieder. Ein warmer Sonnenstrahl steifte die Gesichter des Paares.

Draußen formte sich ein Regenbogen und besiegelte in seiner Farbenpracht die junge Liebe.

 

*

 

Oma hatte Recht. Nicht alles mit Björn muss schlecht gewesen sein. Es gab Leute die eine deutlich schlimmeren ersten Kuss ertragen mussten. Nele lächelte. Ihr erster Kuss war wunderschön gewesen, auch wenn viele ihn als kitschig beschreiben hätten.

Nele schaute durch die Ritze der Scheune. Der Regen prasselte unbeirrt weiter. Kein Sonnenstrahl, kein Regenbogen. Donner und Blitze. Ein Sturm.

Irgendwie spiegelte das Wetter ihr Leben wieder. Wenn so über ihr Leben nachdachte war es ein riesen Durcheinander. Auf den ersten Blick schien alles perfekt, aber wenn man genauer hinschaute... Nele schluckte und begann mit ihrer Arbeit. Sie wollte nicht wieder in Selbstmitleid versinken. Sie würde wieder aufstehen und weitermachen. So wie sie es schon so oft in ihrem Leben gemacht hatte. Sie würde sich auch diesmal nicht runterkriegen lassen. Nicht nach all dem was sie erreicht hatte.

Die Bretter der alten Scheune quietschten, und hätte Neles es nicht besser gewusst, würde sie Angst um ihr Leben haben. Aber diese Scheune stand schon seit Jahrzehnten felsenfest. Die Holzbretter der Scheune würden dem Wind der gegen sie ankämpfte standhalten.

Seufzend stand Nele auf. Sie hatte genug geträumt und gegrübelt. Jetzt war es an der Zeit wieder für Ordnung zu sorgen.

 

*

 

Eine dunkle Gestalt schlich sich auf den Eichenhof. Der Regen machte ihm nicht aus. Nein, der Regen war perfekt. Regen und Stürme. Donner und Blitze sie machte den Menschen Angst. Vielleicht nicht den Eckhoffs. Aber heute würden sie trotzdem einen ordentlichen Schrecken bekommen. Sie würden es mit der Todesangst zu tun bekommen. Ihre sichere Insel würde wieder einmal kurz vor dem Untergang stehen. Und nur er war der Grund dafür. Er baute sich in seiner vollen Größe auf als er sein Ziel erreicht hatte. Und dabei war es doch nur ein kleines Stück Papier. Er musste grinsen und konnte sich sein dreckiges Lachen nicht verkeifen. Er wünschte sich das dieses kleine Dreckschwein Nele den Brief als erste lesen würde. Von allen Eckhoffs hasste er sie am meisten. Einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken sich hinter der Hecke zu verstecken um dann ihr bleiches Gesicht zu sehn. Es wäre eine Genugtuung . Aber er konnte sich beherrschen. Es war noch nicht an der Zeit aufzufliegen. Er hatte einen Plan und den würde er durchziehen. Er konnte es nicht riskieren schon vorher gesichtet zu werden. Wenn sie nur wüssten...

Der Brief, der heute noch Angst und Schrecken verbreiten würde, flatterte leise in den Briefkasten auf dem mit großen Buchstaben Eckhoffs stand. Mit Abschaum drehte er sich ab. Er würde diesen Namen nur noch einmal in den Namen nehmen. An dem Tag der Abrechnung. An dem Tag, an dem sich zeigen wird, wer der Stärkere war. Und an diesem Tag würde es nur einen Sieger geben. Er würde keinem die Möglichkeit geben zu gewinnen. Dieses Spiel hatte nur einen Gewinner und der stand von Anfang an fest. Es war er.

 

**

 

Nele verzog ihr Gesicht als sie zu den Regalen kam, die voll mit Kisten vollgestellt waren. Diese Kisten beinhalteten viele Erinnerungen an ihre Eltern. Ihre Kleidung. Ihre Lieblingsfilme. Ihre Bücher die sie über alles geliebt hatten. Ihr ganzes Leben war in diesen Karton verstaunt. In der Scheune die Nele nur selten betrat.

Langsam strich sie über die Kiste in der Mamas Kleidung lag. Sie war die schönste Frau gewesen, die Nele jemals gesehen hatte. Ihre Kleidung war immer geschmackvoll gewesen, selbst wenn sie den Stall ausgemistet hatte, trug sie ein passendes und gut aussehendes Outfit.

Sie würde die Kisten nur von dem Staub befreien. Ihre Eltern sollten nicht verstauben. Zumindest nicht das was von ihnen übrig geblieben war. Sie würde heute nicht reinschauen. Heute würde sie mit erhobenen Kopf aus dieser Scheune gehen ohne auch nur eine Träne zu vergießen.

Ein dicker Klos bildete sich in Neles Hals. Sie schüttelte den Kopf. Nein, Nein, Nein!

Ich will nicht.

"Gott warum?", schoss es Nele durch den Kopf und im nächsten Augenblick wunderte sie sich warum die das gerade gedacht hatte.

"Deine christliche frühkindliche Prägung", versuchte sie sich einzureden.

Aber doch blieb die Frage offen. Gott warum? Warum ich? Warum muss ich das alles durch machen? WARUM? Eine Frage auf die sie wahrscheinlich nie eine Antwort bekommen würde.

*

 

Nele verzog ihr Gesicht als sie zu den Regalen kam, die voll mit Kisten vollgestellt waren. Diese Kisten beinhalteten viele Erinnerungen an ihre Eltern. Ihre Kleidung. Ihre Lieblingsfilme. Ihre Bücher die sie über alles geliebt hatten. Ihr ganzes Leben war in diesen Karton verstaunt. In der Scheune die Nele nur selten betrat.

Langsam strich sie über die Kiste in der Mamas Kleidung lag. Sie war die schönste Frau gewesen, die Nele jemals gesehen hatte. Ihre Kleidung war immer geschmackvoll gewesen, selbst wenn sie den Stall ausgemistet hatte, trug sie ein passendes und gut aussehendes Outfit.

Sie würde die Kisten nur von dem Staub befreien. Ihre Eltern sollten nicht verstauben. Zumindest nicht das was von ihnen übrig geblieben war. Sie würde heute nicht reinschauen. Heute würde sie mit erhobenen Kopf aus dieser Scheune gehen ohne auch nur eine Träne zu vergießen.

Ein dicker Klos bildete sich in Neles Hals. Sie schüttelte den Kopf. Nein, Nein, Nein!

Ich will nicht.

"Gott warum?", schoss es Nele durch den Kopf und im nächsten Augenblick wunderte sie sich warum die das gerade gedacht hatte.

"Deine christliche frühkindliche Prägung", versuchte sie sich einzureden.

Aber doch blieb die Frage offen. Gott warum? Warum ich? Warum muss ich das alles durch machen? WARUM? Eine Frage auf die sie wahrscheinlich nie eine Antwort bekommen würde.

*

 

Nele verzog ihr Gesicht als sie zu den Regalen kam, die voll mit Kisten vollgestellt waren. Diese Kisten beinhalteten viele Erinnerungen an ihre Eltern. Ihre Kleidung. Ihre Lieblingsfilme. Ihre Bücher die sie über alles geliebt hatten. Ihr ganzes Leben war in diesen Karton verstaunt. In der Scheune die Nele nur selten betrat.

Langsam strich sie über die Kiste in der Mamas Kleidung lag. Sie war die schönste Frau gewesen, die Nele jemals gesehen hatte. Ihre Kleidung war immer geschmackvoll gewesen, selbst wenn sie den Stall ausgemistet hatte, trug sie ein passendes und gut aussehendes Outfit.

Sie würde die Kisten nur von dem Staub befreien. Ihre Eltern sollten nicht verstauben. Zumindest nicht das was von ihnen übrig geblieben war. Sie würde heute nicht reinschauen. Heute würde sie mit erhobenen Kopf aus dieser Scheune gehen ohne auch nur eine Träne zu vergießen.

Ein dicker Klos bildete sich in Neles Hals. Sie schüttelte den Kopf. Nein, Nein, Nein!

Ich will nicht.

"Gott warum?", schoss es Nele durch den Kopf und im nächsten Augenblick wunderte sie sich warum die das gerade gedacht hatte.

"Deine christliche frühkindliche Prägung", versuchte sie sich einzureden.

Aber doch blieb die Frage offen. Gott warum? Warum ich? Warum muss ich das alles durch machen? WARUM? Eine Frage auf die sie wahrscheinlich nie eine Antwort bekommen würde.

*

 

Kapitel 6

Der Sturm wütete unbeirrt weiter. Die Möwen schrien jede Sekunde. Irgendwie musste sie sich ablenken.

Nils Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie musste etwas tun und ihm aus dem Weg gehen.

Jasmin packte ihre ganzen Bastelsachen zusammen und verließ das alte Bauernhaus. Der Weg zu den Ferienhäusern war nicht weit, aber als sie das Haus fast erreicht hatte, war sie froh, dass sie ihre Sachen in eine Tüte gepackt hatte. Sie selbst was klitsch nass Den Schatten hinter dem Gebüsch sah sie. War es etwas gewesen? War da etwa jemand?

Nein es war nur der Wind gewesen, der das Gebüsch stark herum gerissen hatte.

Nils beobachtete Jasmin aus dem Stall aus, wo er gerade ausgemistet hatte. Suchte sie wirklich immer eine neue Beschäftigung um ihm aus dem Weg zu gehen? Ist es denn so unerträglich in der Gegenwart eines Menschen zu sein, der einen liebt?

Jasmin klopfte an der Tür, die für die nächsten zehn Tage den Freunds gehörte. Josephine öffnete.

„Was willst du denn hier?“, fragte die kleinen Großstadtgöre, anstatt die Besucherin freundlich zu begrüßen.

„Ich hab mir gedacht, dass wir das schlechte Wetter auch mit anderen Dingen gut überbrücken können, als mit Fern sehen oder Nitendo spielen.“

„Ich war damit ganz zufrieden“, maulte Josephine zurück.

„Versuchen wir es zumindest okay?“

„Hmm“, bekam Jasmin als Antwort, nachdem Josephine einen strafenden Blick von ihrem Vater zugeworfen bekommen hatte.

„Wir können in das andere Ferienhaus gehen und eine Mama und Papa freie Zone errichten. Die Gäste für das Ferienhaus treffen erst morgen ein.“

„Au ja!“, hörte Jasmin aus dem Kinderzimmer hervor tönen und ein höchst motivierter und bereits komplett wetterfest angezogener Leo kam zur Tür gestürmt.

Wenn´s sein muss.“Das blonde Mädchen schlürfte in ihr Zimmer und ließ sich ganz viel Zeit beim Anziehen ihrer Jacke und der Gummistiefel, während ihr Bruder es nicht mehr erwartet konnte endlich in den „stürmischen Regen“ zu laufen.

Als Josephine den langen Weg bis zur Tür geschafft hatte, zählte Jasmin bis drei und darauf hin lieferten sich die Geschwister und Jasmin ein spannendes Wettrenne, das zu aller Erstauen Josephine gewann.

 

*

 

Nils beobachtete das Schauspiel und musste unweigerlich lächeln. Jasmin war ein so wunderbarer Mensch, der andere Menschen um sich herum immer wieder ermuntern konnte. Sie schaffte es einfach immer und überall Menschen glücklich zu machen und war dabei selbst im Tiefsten Inneren so unglücklich. Er hoffte irgendwann erfahren zu dürfen, woran das lag, dass sie sich selber nicht leiden mochte und ihre Gaben so unterschätze. Aber es war noch nicht an der Zeit, das wusste er. Er hatte so viele Fragen, die er klären wollte aber vor Allem wollte er eines wissen: Wann würde sie sich endlich so sehen, wie sie wirklich war und aufhören sich selbst zu verneinen und sich selbst nicht wertzuschätzen? Er würde ihr so gerne dabei helfen, aber wie? Aber wie? Er gab ein Stoßgebet zum Himmel ab, so wie seine Oma ihm immer gelehrt hatte. Ob es etwas bringen würde? Er wusste es nicht, aber zumindest hatte man so das Gefühl, dass jemand da war der alles im Griff hatte.

Nils stellte sich vor, dass Jasmin eines Tages in den Spiegel schauen würde und lächeln würde. Zufrieden mit ihrem Aussehen, das nebenbei bemerkt für alle, außer für sie selbst, umwerfend war, und zufrieden mit ihrer Persönlichkeit, die so beeindruckend war, dass Nils Tag für Tag mehr von ihr hielt. Würde es diesen Tag jemals geben und vor Allem würde Nils derjenige sein der sie von hinten betrachten würde und sie anschließend liebevoll umarmen und küssen durfte? War es dumm von ihm sich solche Hoffnungen zu machen? Er würde Oma fragen. Sie war so weise wie wahrscheinlich kein anderer Mensch, den Nils kannte. Nicht einmal seine große Schwester, zu der er immer hinauf geschaut hatte, kam an diese alte Frau heran.

Zu gern wäre er Jasmin und den Kindern in das Ferienhaus gefolgt, aber er wusste, dass er ihr den Abstand gewähren müsste. Auch wenn es noch so schmerzlich war, sie nur so kurz gehabt zu haben und dann wieder gehen lassen zu müssen. Er musste lächeln, als er an jene Nacht dachte in der sie sich geküsst hatten. Es war wie sein erster Kuss gewesen. Er hatte schon einige Mädchen vor Jasmin gehabt, aber nach dem besagtem Kuss mit Jasmin war er so beflügelt gewesen. Er hatte das Gefühl gehabt, dass er zuvor noch nie jemanden richtig geküsste hatte und erst mit Jasmin begriffen, was ein wirklichen Kuss aus machte. Es war nur der eine Kuss gewesen, aber wenn er an ihn dachte wurde ihm warm ums Herz und er beschloss jedes Mal aufs Neue, das es ein zweites ein drittes, ein zehntes, ein hundertes, ein unendliches Mal geben würde.

 

*

 

Ich hab keine Lust aufs Basteln. Ich dachte wir machen was cooles“, jammerte Josephine natürlich.

Ich bastle einen neuen Fressnapf für die Katzen. Ihr habt ja so viele und die kleinen Katzen kommen manchmal gar nicht an das Essen ran.“ Leo war natürlich total begeistert und fing sofort an. Er beklebte eine alte Blechdose mit verschiedenen bunten Papierstreifen und übte sich im Katzen-Zeichnen. Es gelang ihm nicht beim ersten Mal und auch nicht beim zweiten Mal, aber er übte unbeirrt weiter.

Josephine kaute gelangweilt auf ihrem Kaugummi und wies jede Idee von Jasmin zurück.

Diese musste sich sehr stark zusammen reißen und dem verwöhntem Mädchen nicht genauso unhöflich zu antworten.

Sie hatte sich eine gelungen Ablenkung gewünscht und jetzt war sie da, denn Jasmin hatte alle Hände voll zu tun und musste keinen einzigen Gedanken mehr an Nils verschenken.

Schau mal diese Perlen hier. Aus den könnte man eine wunderschöne Kette oder ein Armband machen. Was meinst du?“

Hmm... Ich weiß nicht...“

Man Josephine du nervst voll. Sag doch einfach ja und mach irgendwas. Wenn man nichts macht ist es ja klar, dass du Langeweile hast“, sagt Leo und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder voll und ganz dem Fressnapf für die kleinen Katzen zu.

Schau mal“, sagte Jasmin während ihre Stimme leiser wurde, „Als ich diese Perlen bei mir entdeckt habe, musste ich direkt an dich denken. Du bist so ein hübsches Mädchen und ich glaube, dass diese Perlen besonders gut zu dir passen.“

Jasmin dachte kurz über das gesagt nach. Wenn ihr früher einmal so etwas gesagt hätte, wäre sie dieser Person bestimmt weinend um den Hals gefallen, aber diesem Mädchen schien es nichts zu bedeuten. Oder etwa doch? Hatte sie da gerade in Josephines Augen etwa so etwas wie einen Funken Begeisterung gesehen?

Okay, wir können es ja mal probieren“,sagte Josephine fast kleinlaut.

Wie hatte sie das nur geschafft? War so ein nettes Wort wirklich das einzige gewesen, was das Mädchen gebraucht hatte? Sie hatte alles aber doch so wenig. Liebe. Liebe war das einzige, was ihre Eltern ihr nicht geben konnten.

Bei den Gedanken daran bekam Jasmin für einen kurzen Augenblick Gänsehaut. War es nicht das was alle Menschen gleich machte? War es nicht das, was auch sie eigentlich nur brauchte. Liebe?! Sie wollte es sich nicht eingestehen. Sie würde dem Mädchen gerne weitere Komplimente machen und ihr die Liebe geben, die sie brauchte und mit ihrem bockigem Verhalten eigentlich nur suchte.

Aber sich selbst würde sie nicht eingestehen, dass sie Liebe brauchte. Sie schloss die Augen für einen kurzen Moment.

Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Tausend Erinnerungen. Erinnerungen an jenen Tag an dem sich schließlich alles geändert hatte. An dem vielleicht nur ein kleines liebevolles Wort oder eine liebevolle Geste doch noch alles zu Guten gewand haben könnte.

 

*

Der graue Hinterhof müffelte. Sie verließ mit schnellen Schritten den Ort des Schreckens. Sie dachte an Mamis bleiches Gesicht und wusste, dass Mami schon lange nichts mehr gegessen hatte. Der Magen des kleinen Mädchen zog sich zusammen, als sie an den leeren Kühlschrank dachte. Er funktionierte schon seit einer Woche nicht mehr. Der Strom war abgeschaltet worden. Mami hatte wieder einmal nicht die Miete bezahlt. Die Hochhäuser warfen ihre Schatten auf das kleine hilflose Geschöpf. Es begann zu laufen, als es die Polizeisirenen hörte.

Du siehst scheiße aus“, hatte Mami gesagt, einfach so, dabei hatte sie noch nicht mal was gemacht. Sie hatte Mami die Bierflasche gebracht und ihr zugelächelt. „Ich hab aber meine Haare gekämmt Mami und mir die sauberen Sachen angezogen, die ich gestern erst gewaschen hab.“

Hast du was gegessen?“ Sie wusste nicht ob da Schuldgefühle mitklangen. Ihre Mutter hatte eigentlich schon lange zu vor aufgehört irgendwelche Gefühle zu empfinden.

Nein... Der Kühlschrank ist leer und Andy hat die letzten Schokoriegel aufgegessen.“

Man ey... der soll mal lieber seinen Job machen und mich wieder herstellen und nicht meiner Süßen die Schokoriegel wegfresse.“

Sie schwieg. Was sollte sie sagen? Ihre Mutter nach Geld fragen? Sie hatte keins. Es floss gerade in Mamis Mund. Sie hasste diese blöden Bierflasche und den blöden Andy und alles andere, was ihre Mutter so arm machte.

Geh dir was kaufen!“

Ich hab kein Geld mehr.“

Dann klau dir was. Du weißt doch wie´s geht. Weißt du noch das letzte Mal, das war so witzig“ Mami grunzte laut und brabbelte irgendetwas vor sich her.

Es war nicht witzig. Es war gruselig gewesen. Die Polizisten, waren hinter ihnen hergelaufen und dann waren sie in ein Auto gesprungen, das irgendeiner von Mamis Kumels gefahren war, der die ganze Zeit komisches Sachen gesagt hatte und Mami hatte gekichert und ihren Rock immer höher gezogen.

Sie musste an all das Denken, während sie anfing zu weinen. Sie wollte nicht scheiße aussehen. Aber selbst Mami sagte das. Sie wollte nicht klauen. Aber Mami hatte es ihr gesagt. Sie wollte nicht schwarz fahren. Aber genau das tat sie jetzt, als sie in die U-Bahn sprang und weg fuhr. Einfach nur weg. Sie wusste nicht wo hin. Aber sie würde irgendwo ankommen, wo sie schöner aussehen würde, wo sie keinen Hunger mehr hatte und wo Mami wieder normal sein würde.

 

*

Jasmin schluckte schwer. Schon so oft hatte sie versucht jenen Tag aus ihrem Gedächtnis zu löschen aber niemals schien auch nur eine Einzelheit zu verschwiden. Jedes mal sah sie alles genau vor Augen. Wie die U-Bahn Stationen an ihr vorbeirauschten, Cottbusser Platz, Wuhletal, Lichtenberg, Frankfurter Tor, Weberwiese, Alexanderplatz... Hätte ihr an diesem Tag jemand gesagt, dass sie ein guter Mensch war, dass sie schön war, dass alles gut weden würde, wäre nur ein einziger Mensch ihr in Liebe begegnet, vielleicht... vielleicht...

Es hatte keinen Sinn über das „Vielleicht“ nachzudeken.

Es war gekommen wie es gekommen war, wie es kommen musste!?!

„Jasmin? Wie findest du das?“, fragte Josephine und streckte ihr ein fertiges Armband entgegen.

„Wunderschön“, murmelte Jasmin und versuchte krampfhaft zu lächeln.

 

Kapitel 7

Es wurde langsam dunkel.

Nele setze sich auf einen der großen Heuballen schlug die Arme über ihre Knien zusammen und seufzte.

Langsam fing sie an, an sich selbst zu zweifeln. War es das richtige gewesen, hier zu bleiben? Würde sie jemals über all die Erinnerungen hinweg kommen?

Eine Leere breitet sich in ihr aus, als sie aufstand und sich noch einmal umdreht und ihr Werk begutachtete. Alles war wieder in bester Ordnung.

Nur ihr Herz war wieder einmal durcheinander gewirbelt worden.

Sie schüttelte den Kopf und zählte bis drei um dann durch den Strömenden Regen zum Haus zu laufen.

Oma öffnete ihr lächelnd.

Nele erwiderte nicht. Sie lief schnurstracks die Treppe hoch und verschwand im Bad um ein heißes Bad zu nehmen. Sie hörte nur Omas leisen Seufzer.

Als Nele in das heiße Wasser glitt konnte sie nicht mehr, und ließ ihren Tränen freien Lauf.

 

*

 

Der Toast von Nele wurde langsam kalt, während die anderen schweigend in der Küche saßen und appetitlos von ihren eigenen Toasts abbissen.

Oma sah sofort, dass bei Jasmin nicht alles in Ordnung war, aber sie war klug genug nicht in Nils Gegenwart nachzufragen.

„Apfelsaft?“, fragte sie stattdessen.

„Hmm...“ antworten beide gleichzeitig.

Nach Minuten des Schweigens murmelte Nils: „Ich glaube irgendetwas stimmt nicht mit ...“

„Das könnte am Wetter liegen“, antwortete Oma.

„Hmm... ja das könnte sein. Sie war total unruhig. Hat die ganze Zeit mit den Hinterbeinen geschabt.“

„Sie ist sehr sensibel.“

„Aber sie kennt doch das Wetter hier Oma. Sie ist doch nicht jedes mal bei einem Unwetter unruhig.“

„Ich werde Nele gleich mal sagen, dass sie nach ihr schauen soll.“

Jasmin stand auf und verließ schweigend die Küche.

Als Ihre Zimmertür ins Schloss fiel fragte Oma barsch: „Was hast du gemacht Nils?“

„Ich? Ich hab überhaupt nichts gemacht die Frage ist wohl eher was gerade in sie gefahren ist!“

„Du weißt genau was ich meine!“

„Ich, Ich.. hab ihr eben gesagt, dass ich was für sie empfinde ok? Und ich dachte das sie ähnlich fühlt, wenn ich gewusst hätte dass sie so reagieren würde, dann hätte ich es natürlich sein gelassen. Mensch Oma ich hab wirklich nichts falsch gemacht... Euch Frauen muss man erst einmal verstehen.“

„Ich weiß doch, dass du nichts falsch gemacht hast Kindchen“, ihre Stimme wurde weicher als sie Nils in den Arm nahm. „ 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.04.2012

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