Cover

Alles war hell, so unglaublich hell.
Sie fühlte sich so leicht, so unglaublich leicht.
Als ob sie schweben würde.
Sie sah einen Schatten, er beugte sich über sie.
Ihr Herz begann schneller zu klopfen, als wollte es aus ihrer Brust flattern.
Sie sah noch mehr Schatten, sie machten etwas an ihr.

Und auf einmal brach die Realität über ihr zusammen.
Sie spürte die Schmerzen, überall war Blut.
Der Schatten der sich über sie gebeugt hatte, war ihr Vater.
Wie aus weiter Ferne drang seine Stimme zu ihr durch.
„Mel, halte durch, Mel, ich liebe dich! Hörst du, ich liebe dich!“
Da war ein Auto gewesen, sie konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen.
Tapse? Wo war Tapse, ihr kleiner Bruder? Wo war er?
Sie sah seinen Teddy, eine Frau hielt ihn in der Hand.
Sie blinzelte, der Teddy war weg.
Sie wollte nach Tapse fragen, doch kein laut kam über ihre Lippen.
Das Licht wurde heller, drohte sie zu verschlucken.
Und auf einmal war es dunkel.





Ich war am Tiefpunkt. Ich glaube Tiefer kann man nicht mehr sinken! Mein Leben spielt sich in meiner Wohnung ab, wo ich den ganzen Tag nur auf dem Teppich liege und nachdenke.
Ich mache mir solche Vorwürfe.
Wenn ich damals aufgepasst hätte, wäre Tapse dann noch am Leben?
Hätte ich dann meine Stimme noch?
Ich erinnerte mich noch so gut an den Tag, als die Ärzte mir sagten dass ich keine Stimme mehr hatte. Der Arzt sagte es mir ohne jegliche Gefühlsregung, er war ein Arsch, ein mieses Arsch!
Seit dem schrecklichen Unfall waren zwei Monate vergangen. Zwei Monate in völliger Stille. Zwei Monate ohne meinen Bruder.
Ich dachte an seinen braunen Teddy den er immer im Arm gehalten hatte, dieser Teddy lag jetzt zusammen mit Tapse unter der Erde.
Ich hatte nicht gemerkt wie mir die Tränen übers Gesicht liefen.
Ich stand auf, ich wollte weiterleben, irgendwie, für Tapse!

Ich stellte mich unter die Dusche und ließ das heiße Wasser über meinen Rücken laufen. Danach zog ich mich an.

Ich stand vor meiner Wohnungstür. Ich hatte mein Zuhause seit Tapses Beerdigung nicht mehr verlassen! Ich wollte mich der Welt nicht preisgeben, denn ich konnte mich ihr nicht mehr mitteilen. Das war das schlimmste für mich. Ich konnte am Tag der Beerdigung, nichts zu Tapse sagen. Ich hätte geredet, mich entschuldigt für meine eigene Blödheit, aber es ging nicht. Ich konnte mich nie bei ihm entschuldigen.

Ich griff nach dem Türgriff und drückte ihn hinunter. Ich trat aus der Tür und schloss ab. Langsam ging in den dunklen Flur entlang zur Haustür und öffnete sie.
Die Sonne strahlte mir in Gesicht und trieb mir Tränen in die Augen. Tapse würde die Sonne nie wider sehen.
Langsam ging ich die Straße entlang, die Leute würdigten mich keines Blickes. Ich war unsichtbar. Ich gehörte nicht mehr dazu.
Ich rempelte einen Mann an und wollte mich entschuldigen, doch es ging nicht. Böse, blickte er mir hinterher.

Als ich mich Tapses Grab näherte, fingen meine Beine an zu zittern. Mein Atem ging schneller und ein Tränenschleier legte sich vor meine Augen. Ich kniete mich halb in die feuchte Erde und legte meine Hand auf den Blumenkranz.
Es war schlimm, schlimmer als ich gedacht hatte.
Ich legte ihm die weißen Lilien aufs Grab die ich vorher in einem Blumengeschäft gekauft hatte.

Ich habe doch nur an mein gemeinsames Wochenende mit Tapse gedacht. Wieso? Wieso nimmt mir ein Mensch, meinen kleinen Tapse? Wieso hat mich dieser Mensch für mein Leben lang verkrüppelt? Gott, was habe ich diesem Menschen getan?! Sprich zu mir Gott, wenn es dich gibt, dann sag mir wieso? <<, dachte ich.

Ich vergrub meine Finger in der kalten Erde und fing an zu Schluchzen. Kein Ton kam über meine Lippen. Immer wieder sagte ich lautlos, dass es mir leid tut, er soll nicht böse auf mich sein!
Ich merkte nicht wie sich von hinten jemand näherte und mir die Hand auf die Schulter legte. Ich zuckte zusammen und drehte mich um.
Ein Mann stand vor mir. Seine braunen Haare fielen ihm ins Gesicht. Er schaute mich traurig an. Er kniete sich zu mir und nahm mich in den Arm. Verwundert erstarrte ich, doch irgendwann ließ ich die Umarmung zu und legte den Kopf an seine Brust.
Es war ein schönes Gefühl, dass schönste, das ich seit langem hatte.

Als ich mich halbwegs beruhigt hatte richtete er sich mit mir auf. Er zog ein Taschentuch aus der Jackentasche seines Mantels, und reichte es mir.
„Geht es wieder, Miss?“, fragte er. Seine Stimme war wunderschön, weich und tief. Ich nickte, und klopfte mir den Dreck von der Hose. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Ich schüttelte den Kopf und schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. Da fielen mir seine Augen auf, sie waren tief blau. Ein Ozean-blau, in dem man schwimmen und sich verlieren konnte, was ich auch gerade tat. Mir wurde warm ums Herz. Es war als ob die tiefen Wunden darin, sich wieder schlossen. Er lächelte zurück und streckte mir seine rechte Hand hin. „Ich bin Adam Rees, entschuldigen Sie bitte dass ich so über Sie hergefallen bin, aber sie sahen aus als ob sie Trost gebrauchen könnten.“ Wieder schenkte er mir sein bezauberndes Lächeln und mein Herz fing an zu flattern.

Mein Gott, ich hätte nie gedacht das es auf dieser Welt einen Menschen gibt der sich um mein Wohlbefinden sorgt!!!??? <<


„Dürfte ich Ihren Namen erfahren?“ Plötzlich wurde mir wieder klar, dass ich es ihm nicht sagen konnte. Die Tränen liefen mir wieder über die Wange und hinunter zum Kinn.
„Oh bitte Entschuldigen Sie, ich hätte nicht fragen dürfen, Sie befinden sich bestimmt gerade in einer schrecklichen Lage, da wollen Sie bestimmt keine sozialen Kontakte aufbauen!“ Nervös trat er von einem Bein aufs andere. Ich schüttelte den Kopf und zog einen kleinen Block aus meiner Tasche. Ich hatte jetzt immer einen dabei, da das die einzige Möglichkeit war, mich den Menschen mitzuteilen. Ich schrieb:

Mein Name ist Melanie Greber, es tut mir leid, dass ich es ihnen nicht selbst sagen kann…Ich bin Stumm!



Ich hielt ihm den Block hin und er las. Als er mich wieder anschaute lag unendliches bedauern in seinem Blick. „Es tut mir leid, dass wusste ich nicht, bitte lassen sie uns auf die Bank dort drüben sitzen, wenn Sie wollen?“
Ich schaute ihn an. Wieso redete dieser Mann mit mir. Ich bin Stumm. Stumm und hässlich und mein Leben ist ein Albtraum! Trotzdem ging ich mit ihm mit.
Wir saßen eine Weile schweigend Nebeneinader. Ich sah einen alten Mann der wahrscheinlich über dem Grab seiner Frau lehnte. Er betete, stumm bewegten sich seine Lippen. „Wollen sie mir erzählen…was passiert ist?“ Erstaunt schaute ich ihn an. Wieso sollte ihn ihm mit meiner Geschichte belästigen? Warum sollte ich ihm von Tapse erzählen?
Aber ich mochte ihn, ich fühlte mich bei ihm beschützt! Also nickte ich und fing an zu schreiben:

Ich wollte mit meinem Bruder Tapse übers Wochenende nach Disney Land. Er hatte es sich zum Geburtstag gewünscht. Wir freuten und Tapse sang die ganze Zeit die Kinderlieder, die er in der Schule gelernt hatte. Ich bog in einen Kreisverkehr. Ich bemerkte den Geisterfahrer erst als es zu spät war. Er raste in uns hinein. Plötzlich war Tapse still, das letzte Lied was er gesungen hatte war „Bruder Jakob“. Im Krankenhaus sagte mir mein Vater das Tapse tot sei, und kurz darauf bekam ich meine Diagnose, das ich stumm sei. Für immer.



Adam hatte aufmerksam mitgelesen, die Tränen rannten mir schon wieder über die Wange. Ärgerlich wischte ich sie weg.

Es tut so weh, wenn ich hier an seinem Grab stehe und mich nicht Entschuldigen kann. Ich kann ihm nie sagen wie lieb ich ihn hab, oder was er mir bedeutet, oder wie sehr er mir fehlt. Ich werde es nie können! Und die Tatsache das ich Schuld an seinem Tod bin, macht es auch nicht besser.



Ohne ein weiteres Wort stand Adam auf und ging davon. Ich hätte wissen müssen, dass es ein Fehler war ihm davon zu erzählen. Jetzt wusste ein wildfremder Mensch meine Geschichte! Doch statt durch das Friedhofstor zu gehen ging er an Tapses Grab. Er winkte mich zu sich. Verwirrt stand ich neben ihm und schaute ihn an. Er nahm meine Hand fest in seine. „Lieber kleiner Tapse. Du kennst mich nicht, aber deine schöne Schwester Melanie, hat mir gerade von dir erzählt, “ lächelnd schaute er mich an und sprach weiter, „Sie ist jetzt Stumm und sie kann dir nicht mehr sagen wie lieb sie dich hat. Deswegen sag ich es dir. Du bedeutest ihr alles, kleiner Tapse und es tut ihr Leid was mit dir passiert ist. Sie denkt immer an dich!“ Zufrieden drehte er sich zu mir um.
Meine Tränen liefen die ganze Zeit, während seiner Rede. Stumm formte ich mit den Lippen „Danke“! Er schloss mich in seine Arme. „Ich lass dich jetzt nicht allein Melanie, ich lass dich nie mehr gehen!“ Ich genoss seine Wärme die sie wie ein Mantel um mich legte. Ich löste mich wiederwillig aus seinen Armen.

Wieso, warum lässt du mich nicht allein. Du kennst mich nicht!



„Doch ich kenne dich, ich habe dich schon so lang gekannt, aber nie angesprochen. Meine größte Angst war dass du mich zurückweißt, dass du mich nicht willst. Als ich dich das erste Mal sah, da standst du im Bücherladen und hattest ein Kinderbuch in der Hand. Ich hab mich sofort in dich verliebt Melanie!“
Das flattern in meiner Brust wurde stärker, es war als ob ich ihn schon seit Jahren kannte, obwohl ich praktisch nichts von ihm wusste. Ich legte meine Hand auf seine Wange. Sie war kalt vom Wind. Sein Gesicht kam näher und als unsere Lippen sich berührten, explodierte ein kleines Feuerwerk in meinem Bauch. Auf einmal hatte ich in meinem Leben wieder etwas, dass mir Hoffnung gab, an dem ich mich festhalten konnte. Er war mein Licht!
Und so standen wir da. Auf dem Friedhof vor Tapses Grab.

Ich frage mich heute noch ob ich ihn trotzdem getroffen hätte, wenn ich damals zuhause geblieben wäre.

Aber eins steht fest. Adam ist das größte Glück was mir je wiederfahren ist. Er hat mir wieder gezeigt was es heißt zu Liebe und zu Vertrauen. Er hat mich zum Weiterleben gebracht. Ich glaube wenn er damals nicht auch auf den Friedhof gekommen wäre, würde ich jetzt auch bei Tapse unter der Erde liegen. Ich lieb ihn aus ganzem Herzen und ich weiß das er mich nie verlassen wird und mich so akzeptiert wie ich bin!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.11.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /