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Philinchen, Jakob und Karl

 

Auf einer Lichtung in dem Wäldchen unterhalb des Amrumer Leuchtturmes, stand ein sehr kleines Häuschen. Dies gehörte seit vielen Jahren der Inselmaus Philinchen, die es von ihrem Vater, einem sehr erfolgreichem Mäusekapitän, erbte. Im Vorgarten des reetgedeckten Hauses wuchsen Glockenblumen und an der Hauswand umrankten herrlich duftende gelbe Rosen die Wohnzimmerfenster.

Hinterm Haus hatte Philinchen einen Nutzgarten angelegt, in dem sie Salat, Gemüse der verschiedensten Art und Obst angebaut hatte. In einem Hochbeet wuchsen Kräuter. Wie auf der Insel üblich, hatte man von der Küche aus, einen direkten Zugang zum Garten. Rund ums Grundstück gab es einem niedrigen Erdwall der mit großen Steinen gesichert wurde, wie es auf Amrum üblich war. Der Betrachter entdeckte die verschiedensten Muscheln, die zwischen den Steinen steckten. An einigen Stellen am Erdwall hatte sich die Heckenrose breitgemacht. Vom Gartentor bis zur Haustür lagen flache Kiesel in den verschiedensten Farben, die vom Hausherren kurz nach seinem Einzug hingelegt hatte. Ein Windschutz schützte den Eingang gegen Regen. Die Pfützen im nassen Sand zeigten, das es noch regnete und der Duft der Kiefern stieg in die Nasen.

Im großen Wohnzimmer gab es zwei Bereiche, einen kleinen und einen Großen. Als Philinchen noch ein sehr kleines Mäuschen war, gab es dieses große Wohnzimmer noch nicht. Erst als sie selber eine Familie hatte, wurden aus zwei kleinen Zimmern ein großer Raum. Eine der Türen wurde mit Schränken zugestellt, da sie nicht mehr benötigt wurde. So stand ein Schrank im Wohnzimmer und der andere  im Flur.

Im vorderen Teil des Raumes stand ein runder Tisch und darum vier Stühle, der als Essbereich genutzt wurde. Auf dem Tisch standen vier Bechertassen, eine Teekanne, vier Kuchenteller und eine mit Krümeln versehene Tortenplatte. Auf den Bechertassen standen Namen, die den Betrachter zeigten, das in diesem Haus vier Personen lebten, und zwar: zwei weibliche und zwei männliche.

Neben der Zimmertür stand der Kachelofen, der im Winter zusätzlich zur Zentralheizung dieses große Zimmer wärmte. Die Zentralheizung gab es erst seit wenigen Jahren. Diese war ein Geschenk von Jakob. An den Wänden klebten Kacheln, mit Motiven aus Holland. Man merkte diesem Raum an, das er seit Jahren nicht mehr neu tapeziert worden war.

Philinchens Vorfahren waren erfolgreiche Mäusekapitäne, die auch beim Walfang unter holländischer Flagge tätig waren. Wer genau hinsah, bemerkte die sehr alten vergilbten Tapeten. Philinchen hatte Hemmungen, das Wohnzimmer neu zu tapezieren und umzustellen.

Vor den Kacheln stand ein Sofa, dessen rotweiß gestreifter Leinenbezug etwas verschließen und verblasst war. Passend dazu gab es drei Sessel und einen niedrigen Tisch. Auf diesem lag eine Spitzendecke und darauf eine Blumenschale worin Knabberzeug war.

Selbstgewebte Teppiche auf dem Dielenboden und gehäkelte Kissenbezüge, sowie Decken auf den Sesseln ergänzten neben den Gardinen und Schränken die Einrichtung. Zwei Lampen hingen über den Tischen.

Durch die geöffnete Tür kam man auf den Flur. Im Hintergrund die Treppe, die hinauf ins Dachgeschoss führte. An einer geschlossenen Tür zierte ein Emblem das anzeigte, dass hier das Gästebad mit dem Klo zu finden ist.

Die Küchentür stand auf und ein Blick in die Küche, zeigte die nette Einrichtung. In der Mitte des Raumes gab es die Kochinsel. Vor drei Jahren wurde die Küche mit den neuesten Geräten ausgestattet, die es auf dem Mäusemarkt gab. Der Boden der Küche, sowie die Wände bestanden aus Fliesen und Kacheln.

Unweit des Hauseinganges gab es eine große Truhe, die von Philinchen verstorbener Großmutter stammte. Und direkt neben dem Eingang gab es ein Regal für Schuhe und Stiefel. Der Flur war lang und breit. Jakob hatte hier einige Bilder, die er von seinen Kindern und Enkeln erhalten hatte, aufgehängt. Den Garderobenschrank hatte Karl vor die nicht mehr benutzte Tür zum neuen Wohnzimmer geschoben. Durch die halbgeöffnete Tür des Garderobenschrankes blitzten Mäntel und Jacken. An der Wand hingen Hüte, Mützen und Kappen.

Flickenteppiche die an langen Winterabenden selbst hergestellt worden waren, zierten den Fußboden.

Unterm Dach lagen die Schlafräume der Hausbewohner. Leider waren die Türen geschlossen, so dass ein Hineinblicken unmöglich war. Des weiteren gab es hier oben zwei Bäder, die großzügig geschnitten waren. Die Türen zu den Bädern stand offen, so dass man sehen konnte, wie die Bäder ausgestattet waren. Das eine hatte zartgelbe Fliesen mit dazugehörigen passenden Gardinen und Handtücher und das andere hatte blaue Fliesen, die mit Meerestiermotiven geschmückt waren.

Philinchen legte hier die passenden Handtücher hin. Sie und ihr Mann benutzten das gelbe Bad, während Karl und Hannah das Blaue aufsuchten. Karl und Jakob waren Brüder, die vor Jahren mit Menschen, die auf Amrum Urlaub gemacht hatten, gekommen waren. Sie blieben, einmal weil es ihnen hier gut gefiel und zum anderen hatte Jakob sich in die Inselmaus Philinchen verliebt. Die Menschenfamilie fuhr ohne Jakob und Karl nach den Ferien zurück aufs Festland.

Es regnete immer noch an diesem Augusttag. Da tauchen vier gelbgekleidete Gestalten am Waldrand auf. Mit schnellen Schritten näherten sie sich dem Haus.

Eine der Gestalten öffnete das Gartentor und auf einmal tröpfelte es nur noch und zwischen den Wolken entdeckte man den blauen Himmel. Auf dem Weg zum Haus, schoben die vier Gestalten ihre Kapuzen vom Kopf und öffneten ihre Friesennerze. In den Pfoten hielten sie die Tüten und Einkaufsnetze.

Zwei Mäusinnen und zwei Mäuseriche betraten das Haus. Die Regenjacken wurden ausgeschüttelt und die Regenschuhe in das Regal gestellt.

Die Einkäufe brachten sie in die Küche. Aus einem Netz tauchte ein Beutel mit Krabben auf. Wenig später saßen die vier Mäuse um den Küchentisch und pulten Krabben. Der gekaufte Fisch war von Jakob in den Kühlschrank gepackt worden. Eine große Schüssel mit ausgepulten Krabben wurden mit Kräutern aus dem eigenen Garten, Gewürzen und Mayonnaise zu einem Salat verarbeitet. Dazu gab es frisches Brot, das sie vom Bäcker geholt hatten. Jakob hatte einige Stangen Queller, der auch Meeresspargel genannt wurde, die am Rand der Salzwiesen wuchsen, geerntet und säuberte ihn. Diesen gab es zartgedünstet zum Krabbensalat.

Der schlanke Jakob verließ die Küche und kam mit dem gebrauchtem Geschirr aus dem Wohnzimmer wieder. Stellte es in die Spüle und wusch es ab. Er war mit der Inselmaus Philinchen verheiratet und hatte mit ihr zwei Kinder und fünf Enkel.

Sein vollschlanker Bruder Karl schnitt das frische Brot auf und entnahm aus dem Kühlschrank zwei Flaschen alkoholfreies Mäusebier. Er lebte jahrelang ohne eine Gefährtin, bis er bei einem Spaziergang auf Hannah traf. Sie gefiel ihm und so zogen sie zusammen.

Nachdenklich saßen die vier Mäuse nach dem Abendessen im Wohnzimmer. Jakob hockte auf seinem blauen Sessel, Karl auf dem gelben und Philinchen auf ihrem braunen Fernsehsessel. Karls Partnerin Hannah, eine Maus von der Hallig Langeneß lag auf dem Sofa und sah gelangweilt die an den Wänden hängenden Bilder und Fotos an.

Philinchen räumte den kleinen Tisch frei und legte eine Fotoalbum auf den Tisch. Nachdenklich blätterte Jakob darin, bis er auf einige Fotos stieß.

“Diese Familie auf dem Foto hier“, fing der Mäuserich an, der auch als Jackie bekannt war, „würde ich gerne wiedersehen.“

“Welche meinst du?”, fragte sein Bruder Karl, der von den Kindern liebevoll Onkel Karli gerufen wurde, und trat zu ihm.

Jakob zeigte mit seiner Pfote auf ein Bild und auf andere. Jetzt erhob sich Hannah vom Sofa und sah ebenfalls die Bilder an. Tippelnd erschien Philinchen im Wohnzimmer. In ihrer linken Pfote zwei Fotos, diese legte sie neben die im Album.

Sie verglichen die Fotos und stellten fest, das die junge Frau mit dem Kind auf einem anderen Bild ähnelte. Philinchen drehte das Foto um und alle konnten lesen, wer das auf dem Foto war.

“Was haltet ihr davon, wenn wir diese Familie aufsuchen, um zu sehen wie es ihnen geht”, schlug Jakob vor.

Erneutes nachdenkliches Schweigen. Hannah gähnte: “Lasst uns darüber schlafen.“

Karl stellte die Gläser und ein Tablett und brachte es in die Küche. Er stellte sich in die Tür und sagte: “Gute Idee. Hannah kommst du?“

Hannah knüllte die Decke zusammen und wünschte den anderen eine gute Nacht und verschwand. Ächzend und stöhnend zog sie sich die Treppe hinauf und brummte etwas unverständliches in die Barthaare.

Philinchen räumte das Wohnzimmer auf und Jakob sah nach ob die Türen und Fenster verschlossen waren. Löschten die Lampen und stiegen langsam Pfote in Pfote die Treppe hinauf. Durch eine geschlossene Tür hörten sie Karl und Hannah im Duett schnarchen.

Jakob half seiner Frau beim Öffnen des Kleides und hängte das Kleid auf einen Kleiderbügel. Den Unterrock legte er fein säuberlich über einen Hocker. Dazu kamen ebenfalls fein säuberlich die gefaltete Hose und Bluse von ihm.

“Was hältst du davon?”, fragte Jakob und schlüpfte in sein Leinennachthemd.

“Keine schlechte Idee”, meinte sie. „Ob die Familie noch dort leben, wo ihr sie zum ersten Mal getroffen habt?“

Jakob klopfte sein Kopfkissen zurecht und kuschelte sich hinein. „Im Juli haben wir doch die Tochter Luise getroffen. Sie war sehr erstaunt uns wohl und munter zu sehen”, sagte Jakob.

Philinchen schlüpfte unter die Bettdecke.

“Stimmt”, meinte sie, “sie erzählte, das sie wieder in der Stadt lebt, wo sie bereits als Kind wohnte.“

Das Licht verlosch und beim Überlegen, wie die Stadt hieß, fielen ihnen die Augen zu.

Am nächsten Morgen roch es im Haus nach frischen Brötchen und warm gemachter geräucherter Makrele. Aus dem Wohnzimmer klirrte das Geschirr. Es war Philinchen, die wie üblich als erste auf den Pfoten war. Jakob tauchte kurz nach ihr in der Küche auf und half bei der Zubereitung des Frühstücks. Sie und ihr Jakob saßen bereits beim Frühstück, als sie aus dem Karls und Hannahs Schlafzimmer Geräusche vernahmen.

Langsam tappte eine Stunde später Karl die Treppe hinunter in die Küche. Die sehr sauber war. Nichts deutete darauf hin, das bereits darin gewerkelt wurde.

Wie jeden Morgen machte er für sich und seine Gefährtin das Frühstück.

“Karli!”, ertönte es aus dem Schlafzimmer. „Wo bleibt mein Frühstück?“

Ein zärtliches Lächeln tauchte auf dem Gesicht des Mäuserichs auf. Mit dem Tablett in den Pfoten tappte Karl die Treppe hinauf. Sein Lächeln gefror auf der Stelle, als Hannah ihn anblaffte. Da reifte in ihm ein Entschluss. Er würde sich von ihr trennen und in seinem Zimmer schlafen. Vorher würde er mit ihr reden. Schweigsam stellte er das Tablett neben ihr aufs Bett und frühstückte, ohne mit ihr zu sprechen.

Im Mäusecafe am Kurhaus saßen Philine und Jakob vor den Telefonbüchern und blätterten. Auf dem kleinen Tisch vor ihnen, standen große Bechertassen mit Mäusekaffee und auf kleinen Tellern Kekse und jeweils ein Stück Schokolade.

“Ich habe es”, piepste Philinchen aufgeregt.

“Was?”

”Die Adresse.”

”Aha”, sagte Jakob und ließ die Tageszeitung auf den Boden fallen.

“Jetzt benötigen wir die Karte von Deutschland, um zu sehen, wie wir dorthin kommen“, sagte Philinchen und schlug das Telefonbuch zu.

“Am besten gehen wir in die Schule, dort gibt es gute Landkarten”, meinte Jakob.

Philinchen steckte den Zettel mit der Adresse in die Tasche und verließ den Raum. Die Pfoten in den Hosentaschen stapfte einige Minuten später Jakob aus dem Gebäude. Erfreut sah er, wie ihre Katzenfreundin Minka mit Philinchen plauderte.

Minka maunzte, sie sollen doch auf den Rücken steigen und sie würde mit ihnen zur Schule laufen.

Die beiden Mäuse hielten sich am Haarkleid fest, als Minka so schnell wie sie konnte durch Wittdün rannte, dann auf dem Promenadenweg an der Wattseite entlang bis Steenodde und dann durch Wiesen zur Schule. Die Tür zur Schule stand weit offen und Minka spazierte seelenruhig mit den beiden Mäusen ins Gebäude.

Die Klassenzimmertüren waren geöffnet, da die Putzfrauen die Räume reinigten. Gleich im zweiten Klassenzimmer entdeckten sie die Deutschlandkarte an einem Haken von der Decke hängen. Minka half ihnen auf eine Schulbank zu kommen, in dem sie auf einen Stuhl sprang und eine Pfote auf den Tisch legte. Jakob und Philinchen kletterten über die Pfote auf den Tisch und studierten die Deutschlandkarte .

Da tauchte ihr Freund der zwölfjährige Arnd Queden auf und fragte was denn los sei. Er hatte etwas in der Schule vergessen und gesehen, wie seine Minka ins Schulgebäude spazierte.

Philinchen erklärte es ihm. Arnd überlegte kurz und sah verschmitzt die Mäuse an. Er nahm sie hoch und verließ mit ihnen die Schule. Die getigerte Kurzhaarkatze Minka, lief Kopf erhoben neben ihnen her. Im Kinderzimmer setzte Arnd die beiden Mäuse auf seinen Schreibtisch, nahm aus seinem Ranzen den Atlas und Butterbrotpapier. Das nicht aufgegessene Frühstücksbrot mit Leberwurst, wurde von ihm in mehrere Teile geschnitten. Ein Teil erhielten die Mäuse und der andere Teil Minka. Unter den wachsamen Augen der Mäuse und Minka pauste er die Karte ab. Daneben notierte er die Orte.

Jakob bedankte sich und steckte das gefaltete Blatt Papier ein. Arnds Mutter Anne tauchte auf, sie kannte die beiden Mäuse seit vielen Jahren und stellte ihnen etwas Käse vor die Nase. Sanft strich sie über Philinchens seidige Fell.

Jakob konnte dem Duft dieses herrlich gut riechenden Käses nicht wiederstehen.

Hannah und Karl saßen im Garten in ihren Liegestühlen. Es waren zwei faule Mäuse und nur das notwendigste taten. Hannah hielt den ehemals fleißigen Karl an der kurzen Leine. Und Karl langweilte sich. Er wollte doch eine sinnvolle Beschäftigung haben und nicht für eine Mäusin, die obendrein noch faul war, springen.

Während Philinchen und Jakobs Schlafzimmer immer tipptopp aufgeräumt war, herrschte Unordnung in Hannahs Zimmer. Karl hatte ein kleines Mansardenzimmer für sich und sein Hobby eingerichtet. Er sammelte Muscheln. Hin und wieder durfte er neben Hannah liegen und mit ihr kuscheln und das aber sehr selten.

Philinchen war klug und setzte Hannah Grenzen, die sie zähneknirschend akzeptierte. Philinchen machte ihr außerdem klar, sie selber müsse ihr Schlafzimmer in Ordnung halten, das mache sie nicht. Sie sei nicht ihre Putzfrau.

Unbemerkt von den beiden tauchte Philinchen mit Jakob auf. In der sonst sauberen Küche herrschte Chaos. Philinchen stemmte ihre Pfoten in die Hüfte und schüttelte den Kopf. Schob die Ärmel hoch, räumte zügig die Küche auf und säuberte sie, dabei schimpfte sie leise über die faule Hannah.

Karl hörte Geräusche aus der Küche und erhob sich ganz langsam. Endlich wurde die Langeweile unterbrochen, schoss es ihm durch den Kopf.

“Bring was zum Trinken mit“, forderte Hannah, als sie merkte das er sich erhob und reichte ihm ihren leeren Becher.

Ohne ein Wort zu verlieren, nahm Karl den Becher und tappte zur Küchentür.

“Was ist los?“, fragte der besorgte Jakob ihn und stellte Teller und Becher auf den Tisch.

Als erstes kamen hübsch gestaltete Sets auf den Tisch und dann verteilte er das Geschirr und Besteck.

Philinchen stand am Herd und briet den am Vortag mitgebrachten Fisch.

“Hannah wird immer unmöglicher“, beklagte sich Karl. „Sie tut nichts mehr und will bedient werden.“

Er ließ sich traurig auf einen Stuhl gleiten. Da schrie von draußen eine weibliche Mäusestimme nach ihm und wo das Wasser bleibe.

Philinchen schaute durchs geöffnete Küchenfenster. „Komm lieber herein, das Essen ist fertig.“

Maulend erhob sich Hannah, schlurfte ins Haus und schob sich auf ihren Stuhl.

“Warum hast du nicht wie vereinbart die Küche aufgeräumt?“, fragte Philinchen.

“Keine Lust“, grummelte Hannah.

“Wir haben herausgefunden, wie wir nach Northeim kommen, wo die Familie lebt, die Jakob und Karl vor fünfzehn Jahren hergebracht hat“, erzählte Philinchen.

“Morgen laufen wir nach Wittdün“, sagte Jakob. „Um die Fahrkarten zu lösen.“

“Laufen?“, fragte die faule Hannah. „Könnten wir nicht mit dem Bus fahren?“

“Faulpelz“, neckte Karl sie. „Dir täte ein langer Spaziergang gut.“

Als Antwort blickte Hannah ihn sehr böse an. Erschrocken verstummte Karl und schwieg während des Mittagessens.

In der Morgendämmerung des nächsten Tages tauchte Minka vor ihrem Haus auf. Vom Rücken sprangen einige junge Mäuse. Beim Danke sagen, kraulten sie die Katze und Minka verschwand. Leise wispernd öffneten sie die Haustür. Alles war noch still. Am Horizont ging gerade die Sonne auf, das war von Philinchens Haus noch nicht sichtbar. Die Kiefern hielten die Lichtung noch im Dunkeln.

Wenig später roch es nach frisch gebackenen Brötchen. Philinchens Nase bewegte sich und sie träumte, das sie in einer Bäckerei lebte und um sie herum viele frische Brötchen lägen. Der Geruch wurde immer intensiver und ihr Gehirn realisierte, das es Wirklichkeit und kein Traum ist. Ihre schwarzen Augen blickten um sich. Jakob lag neben ihr und schlief. Durch die Wand hörte sie das Schnarchduett. Also mussten Fremde in der Küche sein. Sie erhob sich, öffnete die Zimmertür und lauschte. Ihre Ohren richteten sich auf. Das Gewisper und unterdrücktes Lachen war ihr sehr gut bekannt.

Jakobs Nase wackelte und mit einer Pfote wischte er darüber. Philinchen kehrte zurück ins Schlafzimmer. Erleichtert sah sie, das er sich auf die andere Seite drehte und weiter schlief.

Vorsichtig tappte Philinchen die Treppe hinunter und betrat, ohne das die jungen Mäuse es bemerkten, die Küche. Sie stand in der Tür und beobachtete das Treiben. Ein zärtliches Lächeln glitt über ihr Gesicht. Da drehte sich eine Mäusin um, lächelte sie an und holte aus dem Backrohr die Brötchen.

“Na Kinder, das ist eine sehr schöne Überraschung“, sagte Philinchen. „Wie kommen wir zu dieser Ehre?“

“Wir wollten euch eine Freude machen“, sagte die graubraune Mäusin Heide, Philinchens Tochter.

Ein anderes Mäuschen sagte: „Oma, ich möchte gern wissen, wie Jakob und Karl hierher gekommen sind.“

Da tauchte Jakob in der Küche auf und umarmte die jungen Mäuse. Der Geruch der frische Brötchen und gegrilltem Käse hatte auch ihn aus dem Bett geholt.

“Was höre ich? Ihr wollt wissen wie wir hergekommen sind?“, fragte Jakob sie.

Eifriges Kopf nicken als Antwort.

Der Küchentisch wurde durch die Tür in den Garten jongliert. Jedes Mäuschen schleppte eine Sitzgelegenheit nach draußen. Flink stellte Philinchen gute Inselbutter, selbstgemachte Marmelade und Fisch aufs Tablett. Auf einer Platte lag der gegrillte Käse. Eine Mäusin, die Vier gerufen wurde, eroberte den Platz neben der geliebten Oma und ihre Schwester Fünf hockte neben Jakob.

Durch das geöffnete Schlafzimmerfenster klang Lachen an die Ohren der schlafenden Hannah und Karl. Karl öffnete als erster die Augen, quälte sich aus dem Bett zum Fenster. Er riskierte einen Blick und schon war er munter. Da saßen ja seine Nichten und Neffen, jetzt war Leben im Haus. Fröhlich pfeifend eilte er ins Bad, und dann die Treppe hinunter auf die Terrasse. Es gab für ihn noch zwei frische Brötchen, die von seiner Nichte Heide für ihn geschmiert wurden.

Hannah grunzte nur und drehte sich auf die andere Seite. Erst gegen Mittag tauchte sie unten auf. Karl stand am Grill und wendete die Würstchen. Die verfressenen Jungmäuse bettelten um Nachschub für ihre Teller und ihre Mägen. Käse lag auf Brotstücken, die auf dem Grill in einer Aluschale lagen.

Die pfiffigen Inselmäuse sammelten Alufolie, reinigten sie und machten darauf Schalen. Hin und wieder wurden neue Schalen, die am Boden standen und niemand sich darum kümmerte, sofort beschlagnahmt und in ein Lager gebracht.

Hannahs braunes Fell hatte an diesem Tag noch keine Bürste gesehen und an den Barthaaren klebte etwas Zuckerwatte. Ihr Blick verhieß nichts gutes. Sie hatte sich ihr Kleid vom Vortag, das Flecken aufwies, übergeworfen und einige Knöpfe waren noch offen.

“Also Oma Philinchen erzähl wie du Jakob und Karl kennen gelernt hast“, forderte ein kleines Mäuschen mit grauem Fell, das auf der Stirn einen schwarzen Fleck hatte.

Philinchen lehnte sich in ihren Stuhl zurück und fing an zu erzählen: „Es war vor vielen Jahren, als ich noch eine sehr junge Mäusin war. An einem Julitag tollte ich mit Freunden in einem Tal, in dem noch keine Zelte standen.“

“Wo?“, fragte Hannah neugierig und stopfte sich eine dicke Wurst ins Schnäuzchen.

“Am Zeltplatz unterm Leuchtturm. Mit meinen Freunden tauchte ich am Abend wieder in diesem Tal auf“, erzählte Philinchen weiter. „Meine Freunde verschwanden und ich blieb. Hinter einem Sandgrasbüschel sitzend beobachtete ich, wie eine Familie ein Zelt aufbaute und einzog. Zufällig entdeckte ich zwei nette Mäuseriche. Langsam näherte ich mich diesem Zelt und entdeckte einen Spalt, durch den ich ins Innere kam.“

“Karl und ich lebten bei einer Familie mit drei Kindern. Bis zum Tag der Abreise gab es uns nur in Papierform“, erklärte Jakob.

Karl schwieg und legte seine Beine auf einen Hocker. Auf dem Beistelltisch neben ihm stand ein Teller mit Blaubeeren. Nach und nach verschwand eine Beere nach dem anderen in seinem Magen.

“Piepst nicht so blöd rum“, höhnte Hannah, „Das ist doch nicht interessant.“

Heide richtete sich auf und piepste ruhig zurück: „Uns Kindern sehr wohl.“

Hannah stöhnte beim Aufstehen, bewegte kurz ihre Beine und hob eine Pfote.

Heide sah die erhobene Pfote und brachte sich hinter Jakob in Sicherheit. Langsam ließ Hannah ihre Pfote runter und stapfte ums Haus. Das Mäuschen Fünf, graubraun mit weißen Flecken an den Backen, schlich hinter ihr her.

Unweit vom Haus gab es eine kleine Hütte, in der Hannah verschwand. Fünf schlich sich so nah wie möglich heran. Gut versteckt beobachtete Fünf was Hannah machte. Fünf schlug einen großen Bogen und hockte sich neben Karl. Hannah kam mampfend zurück und ließ sich in den Liegestuhl fallen. Der knirschte etwas, aber hielt.

Jakob zog Mäusin Eins auf seinen Schoß und steckte ihm ein Bröcklein Käse in die Schnauze. Eins lehnte sich entspannt zurück und blickte stolz ihre Geschwister an. Hatte sie doch einen gemütlichen Platz auf Großvaters Schoß ergattert.

“Die älteste Tochter las ihren jüngeren Schwestern aus einem kleinen Büchlein vor“, erzählte Jakob weiter.

Karl brummte: „In diesem Büchlein wurde über uns geschrieben. Es hatte auch Bilder von uns und unseren Freunden.“

Die Mäusekinder erfuhren, das sich die drei Menschenkinder eifrig mit ihnen beschäftigte. Jetzt hatten Philinchen, Jakob und Karl vor, zu dieser Familie zu fahren. Hannah sah die Mäusekinder an und teilte mit, das sie keine Lust hatte die Insel zu verlassen.

Der große Tisch wurde freigemacht, damit Jakob die Deutschlandkarte darauf legen konnte. Mit den Fingern zeigte Jakob die Strecke, die sie gefahren waren.

“In dieser Stadt“, so hörten die Mäusekinder, „lebten wir. Vor wenigen Wochen trafen wir auf die älteste Tochter, die Luise hieß. Wir machten gerade einen Ausflug an den Wittdüner Fähranleger, und sonnten uns. Die Sonne schien vom blauen Himmel und das Meer war glatt. Luise sah uns erstaunt an, als sie uns unter einem Busch entdeckte. Von ihr erfuhren wir, das sie zu dieser Zeit auf der Insel Föhr Urlaub machte. Sie hatte Lust auf Amrum und das Wetter stimmte, kaufte sie eine Fahrkarte und fuhr mit der Frühfähre hierher.“

“Wen sehe ich da?“, sprach eine junge Frau, die in der Nähe des Wittdüner Fähranlegers im Sand saß. „Wenn das nicht Philinchen die Inselmaus mit Jackie und Karli ist. Ich bin sehr überrascht, euch so munter vor mir zu sehen.“

Philinchen nickte, runzelte die Stirn und fragte sich, woher dieser Mensch sie kannte. Heimlich machte sie von diesem Menschen ein Foto.

Die junge Frau hatte die Geste der Mäusin bemerkt und fuhr fort: „Ihr fragt euch sicher, woher ich euch kenne?“

„Ja“, piepste Jackie und sein Herz schlug schneller, „sag es uns bitte“

“Ich bin Luise aus Northeim.“

„Aha!“, kam es von Karli.

Luise zerbröckelte einige Haferkekse und bot sie den Mäusen an. Weil die nicht sofort zugriffen, holte sie aus einer Tüte eine große Plattmuschel, die sie aufgehoben hatte und legte die Keksbrocken hinein. Mit den Fingern schob sie die Muschel vorsichtig zu den Mäusen.

“Es war vor etwa fünfzehn Jahren. Meine Eltern hatten uns kleine Büchlein geschenkt, damit wir für die Fahrt nach Amrum etwas zu Ansehen und zum Lesen hatten“, sagte Luise. „Mit meinen neun Jahren durfte ich als erstes eine Geschichte ausdenken. Dann kam, meine zwei Jahre jüngere Schwester Gundula und die einjährige Anke machte große Augen. Auch Anke erfand Geschichten, in denen zwei freche Mäuse die Helden waren.“

Die drei Mäuse

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Hadmut Stübner
Bildmaterialien: Hadmut Stübner
Tag der Veröffentlichung: 21.04.2013
ISBN: 978-3-7438-0820-1

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