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Kapitel 1 -Der schwarze Wald-


Ich hatte Rückenschmerzen, irgendetwas lag unter mir und drückte zwischen meinen Schulterblättern. Ich rollte mich zu Seite, als ich etwas unangenehm nasses an meiner linken Wange spürte, nun war ich endgültig verstört und stöhnte. Konnte man den nirgends ruhig schlafen? Dabei hatte ich mir U-Bahnsitze immer wesentlich bequemer
zum Schlafen vorgestellt.Ich öffnete meine Augen, schlafen hatte hier alles andere, aber keinen Sinn. Das erste was ich sah war ein Regenwurm, der keine Fingerbreite vor meinen Augen elegante Kriechbewegungen machte. Leicht angeekelt rutschte ich nach hinten und spürte sofort wieder etwas hartes im Rücken. Und so was soll gemütlich sein?
Genervt richtete ich mich auf und schaute mich um. Wald. Wald? Irritiert zwinkerte ich mit den Augen, aber das Bild änderte sich nicht im Geringsten. Überall konnte ich hoch gewachsene Bäume sehen, dicht bewachsen mit Blättern und Zapfen.
Was zur Hölle...?! Verstört schaute ich an mir runter und musste feststellen, dass ich auf hartem unbequemen Waldboden saß, zwischen Regenwürmern, Erde und abgebrochenen harten Ästen. Das erklärt so einiges!, fuhr es mir durch den Kopf. Nein, eigentlich erklärte das gar nichts!
Wo um alles in der Welt war ich hier? Das war eindeutig nicht die U-Bahn, in die ich vor zehn Minuten eingestiegen war!

Ich stand auf und klopfte mir den Dreck von meiner Jeans und zupfte mir kleine Ästchen aus den Haaren. Was war hier nur los? Was machte ich hier? In einem Wald? Dabei bin ich mir Millionenfach sicher eben, vor wenigen Minuten in meine U-Bahn gestiegen zu sein, in die U 9. Zur Kontrolle warf ich eine Blick auf meine Armbanduhr. Tatsächlich,
14.30 Uhr, jeden Tag saß ich um diese Zeit in der U 9, also was machte ich hier in diesem Wald? Träume ich etwa? Ich kniff mich in den Oberarm, bereute es aber sofort, denn leider musste ich feststellen, dass ich nicht träumte und rieb mir meinen Arm. Das gab bestimmt einen blauen Fleck!, dachte ich und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Auch wenn es eigentlich gar nicht wirklich so sehr weh tat. Aber ich bin eben eine Weichei in solchen Angelegenheiten. Noch immer reibend drehte ich mich
einmal um mich selbst, um zu sehen, was um mich herum noch war außer Wald. Nichts. Na toll!
Langsam kamen mir erste Zweifel, war ich vielleicht doch in den Wald gelaufen? Ich überlegte, nein, ausgeschlossen unser Bioprojekt
war schon vor einer Woche zu ende und wir brauchten keine Pilze mehr im Wald suchen. War ich verrückt?
Bin ich den Wald gelaufen und hab hier geschlafen? Wieder überlegte ich, nein, ebenfalls ausgeschlossen. Ich war zwar müde, aber nicht in den Wald
gelaufen, sondern in meine U-Bahn. Womit wir wieder beim Thema wären.
Das konnte doch alles nicht die Wirklichkeit sein! Unmöglich! Realistisch versuchte ich meine Gedanken über meinen derzeitigen Aufenthaltsort einzuschätzen.
Nachdem also Möglichkeiten eins und zwei ausgeschlossen werden konnten blieb nur noch... ja was? Ich hatte keine Ahnung.
"Hilfe?",fragte ich leise, wobei es wirklich wie eine Frage klang und nicht wie ein verzweifelter Ruf. Ich schüttelte mit dem Kopf, das kam mir einfach zu
unreal vor. Ich atmete tief ein und ging tapfer los. Irgendwo gab es bestimmt einen Ausgang aus diesem ... diesem Wald. Einen Schritt vor den anderen,
vorbei an Bäumen, Bäumen und Bäumen. Ich stöhnte und blieb stehen. Genug! Frustriert schaute ich auf meine Uhr, 15.06 Uhr. Na Klasse!
Seit einer geschlagenen halben Stunde irrte ich jetzt schon durch diesen Wald und konnte nichts finden, keinen Weg, keine Lichtung oder ein Ende.
Alles blieb unverändert. Bäume, Bäume, Bäume. Ungeduldig und den Tränen nahe stampfte ich mit den Füßen auf den Waldboden, als ob das was ändern würde!
"Oh man.", jammerte ich und schaute mich erneut um, hier sah aber auch alles gleich aus! Jeder Baum glich dem nächsten! Wahrscheinlich lief ich die ganze
Zeit im Kreis ohne es zu merken. "Hallo?", rief ich. "Hört mich jemand?" Nichts. Super. Mit hängenden Schultern und Blick zum Boden ging ich ziellos weiter.
Keine Ahnung wie lange ich lief, ich schaute nicht mehr auf meine Uhr, in der Hoffnung alles sei nur ein Traum und gleich würde ich in meinem Bett aufwachen.
Doch so sehr ich es mir wünschte und die Augen zu kniff es passierte nichts. Außer das es langsam dunkel wurde und ich immer verzweifelter.
Was sollte ich nur machen? Mama? Ich war verloren... endgültig.

Bald schon konnte ich nichts mehr erkennen, so dunkel war es.
Ich hörte eine Eule, die irgendwo in in den Baumkronen hockte und ihr Uhu-Lied trällerte. Dann veränderte sich das Uhu-Lied. Eine neue Strophe?
Ich überlegte und kam zu dem Entschluss, dass die Eule sehr talentiert war, sie konnte richtig gut singen, und traf dabei besonders die tiefen Töne,
auch die Texte wurden immer verständlicher und begannen über ein Uhu und Uhuuhu hinaus zu gehen. Wirklich talentiert!
Mal sang sie "Siehst du den Schatten auch?", dann sang sie "Nein, wo denn? Es ist doch so dunkel!", und dann sang sie "Du Trottel! Mach doch mal die Augen auf!
Und halt die Lampe mal was höher!", ich war begeistert, mein Bild von Eulen war immer ein recht einfaches gewesen, aber das sie singen konnten, oder besser sprechen.
Sprechen? Eulen können nicht sprechen! Oder vielleicht doch? Sprechgesang, wer weiß das schon? Hier in diesem Wald war alles möglich, daran zweifelte ich nicht mehr.
Sie sprach weiter "Ja, du hast recht, da ist was. Jetzt kann ich es auch sehen. Sieht aus wie ein Mädchen?" und weiter im Text "Aber was macht ein Mädchen hier im Wald?
Und das um diese Zeit?" Gute Frage! Als könnte die Eule Gedanken lesen!
Dann änderte die Eule die Stimmlage und sang höher und klang ängstlich. "Was ist, wenn das gar kein Mädchen ist?" "Sondern?" "Vielleicht... ein Geist?" Geister?
Och nee! Die konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen! "Bitte keine Geister! Singende Eulen reichen mir wirklich!" ,sagte ich und hob meinen Kopf, um meinem Dämmer -
zustand zu entfliehen. "Johann, der Geist hat gesprochen!?" Bitte? Ich verstand nicht, ich hatte gesprochen, kein Geist! Empört drehte ich mich um und erschrak, denn
auf zwei kleine Gestalten mit Petroleumlampe war ich nicht vorbereitet. Den beiden erging es nicht anders, der eine ließ vor Schreck einen großen Sack fallen und der andere
erlitt kurzzeitig Gleichgewichtsstörungen, wobei die Lampe ins Schwingen kam und der Lichtkegel unruhig auf und ab hüpfte.

"Was bist du?", fragte der eine, dem der Sack runter gefallen war. Was ist denn das für eine Frage? "Ein Mensch, genau wir ihr.", antwortete ich leicht gereizt.
"Nun gut, ein Mensch also...", begann der andere und hielt mir die Lampe ins Gesicht. "Willst du das ich erblinde?",fragte ich und hielt mir die Hand schützend vor die Augen.
"Oh, entschuldige, das war nicht meine Absicht..." ,sagte er und ließ die Lampe sinken. "Was machst du hier im Wald?", fragte der andere nun und suchte seinen Sack im Dunkeln.
"Ja, und warum bist du alleine?", "Genau, das ist doch viel zu gefährlich für ein Mädchen." , "Ja, viel zu gefährlich!" , "Bis zur Stadt ist es noch ein langer Weg!", "Sehr lang! Wir kommen
von dort und sind schon zwei Tage unterwegs!". Die beiden schauten sich an und nickten. Sie wirkten tatsächlich entgeistert über die Tatsache, mich hier zu finden.
Ich war weniger entgeistert, dreifach verwirrt würde es besser treffen. Was redeten die da nur? Stadt zwei Tage entfernt? Gefährlich? Ich will zurück in meine U-Bahn!
Ich atmete tief ein und versuchte mich zu beruhigen. Es gab für alles eine Erklärung, es musste sie geben. Oder? Gerade wollte ich zur ersten Gegenfrage ansetzen, als ich sah, dass
die beiden miteinander flüsterten. "Spionin....Königin ....", flüsterte der Lampenhalter dem anderen ins Ohr. "Glaubst du wirklich?", fragte der andere unsicher und schickte mir einen
Seitenblick zu. Das wurde mir allerdings zu bunt! "Jungs?! Pause!", begann ich und hob die Hände, um ihnen Einhalt zu gebieten. Aufmerksam blickten sie mich an.
"Bevor ihr irgendwelche schwachsinnigen Hypothesen aufstellt, möchte ich euch was fragen, ja?" Sie nickten. "Gut, also erstmal, wo bin ich hier?" Ich zog die Augenbrauen hoch und wartete
auf eine Antwort. Die ließ auf sich warten, die beiden schauten sich verwirrt an und begannen erneut zu flüstern. Ich verdrehte die Augen.
Dann schauten sie mich endlich an und der eine begann mir endlich zu antworten:"Du weißt nicht wo wir sind?" "Nein. Deshalb frage ich ja." "Hast du dich verlaufen?" "So in etwa."
"Nun gut, dann wollen wir dich mal aufklären.", sagte der andere und machte einen Schritt auf mich zu. "Du bist hier im <Schwarzen Wald>. Dem Wald von Königin Duretta."
Aha. "Moment mal... hast du gerade Königin gesagt?" ,fragte ich nun doch entgeistert. "Ja, das habe ich. Kennst du sie nicht?",fragend schauten mich beide an. "Nein, woher sollte..."
ich sie auch kennen? Wie leben im 21. Jahrhundert, ein Leben zwischen sozialer Marktwirtschaft und Demokratie! Aber das sagte ich nicht, wer weiß, was die mit mir anstellen würden.
Ich lächelte bloß und sagte, "Ach Duretta, klar die Königin. Sicher, sagt mir was." Der Lampenmann schien sichtlich erleichtert. "Gut. Hätten wir das geklärt." sagte er.
Das war aber noch lange nicht alles! "Im <Schwarzen Wald> also. Gut, ...und ...und.." ja? Was sollte ich fragen? Wo ich die nächste U-Bahnstation finde? Wohl kaum.
Ich überlegte. Vielleicht musste ich einfach in die Stadt? "Ihr sagtet, ihr kommt gerade aus der Stadt?" "Ja." "Wie komm ich dahin?" "Durch den Wald." Wow, der kleine war wirklich
schlau! "Geht es auch etwas genauer?" "Gerade aus, am 15ten Baum links, gleich wieder rechts, geradeaus bis zur <Hütte der sprechenden Ziegel> ,dann weiter 18 Bäumen nordwestlich folgen,
links, rechts,...." "Ähm... vielleicht doch ein wenig allgemeiner...", sprach ich. Die Antwort war ein Zeigefinger, der mitten in die Dunkelheit zeigte. Na toll! Wirklich hilfreich. Ich nickte nur
und mir war klar, ich musste es anders probieren, "Wann geht ihr denn zurück in die Stadt?" "Ich schätze in drei oder vier Tagen.", antwortete einer der beiden. Mir kippte das Kinn runter.
In drei oder vier Tagen? Das durfte nicht wahr sein! Ich konnte unmöglich vier Tage warten und dann erst wieder nach Hause! Überhaupt, woher wusste ich, ob ich in der Stadt wirklich
das finden würde, wonach ich suchte, eine U 9?! Ich schüttelte mit dem Kopf und fühlte einen Klos im Hals, der plötzlich immer weiter anwuchs. Nur nicht weinen! Bloß nicht!
Na ja wer schon jammert bei kleinen Blessuren wie einem blauen Fleck, der nicht schmerzte, wie sollte diejenige schon verhindern in einer hoffnungslosen Situation Würde zu bewahren.
Ich heulte also, die Tränen liefen, einfach so. Die beiden Persönchen blickten mich mitleidvoll an. "Das Mädchen weint." Der Andere nickte und begann in seiner Hosentasche zu wühlen.
Dann hielt er mir ein Taschentuch hin. "Danke...",schluchzte ich und nahm das Tuch entgegen. "Warum weinst du? Weil du dich verlaufen hast? Das ist doch kein Problem, wir können
dich gerne mitnehmen.",schlug der eine vor. "Ja, das wäre kein Problem, wir müssten vorher zwar eine zweitägige Rast auf <Burg Wilhelm> machen, aber dann kannst du mit uns in die Stadt kommen, wenn dir das hilft?" Ich war nun wirklich erstaunt, diesen Vorschlag hatte ich den beiden nicht zugetraut, ich schluchzte noch mal ausgiebig, dann nickte ich und fühlte mich erleichtert. Der Tag nahm also doch noch ein gutes Ende, und ich dachte schon, ich wäre endgültig verloren. "Und das ist wirklich kein Problem?" ,fragte ich vorsichtshalber. Der eine winkte ab und sagte: "Wilhelm ist ein sehr guter Gastgeber."

Also nahmen die beiden mich mit durch die dunkle Nacht. Da ich sowieso keinerlei Orientierung hatte, konnte ich auch nicht sagen, wo ich mich befand. Die beiden, deren Namen übrigens Jakob und Johann waren, liefen voraus und schienen ganz genau zu wissen nach welchem Baum sie nach links, rechts oder einfach geradeaus laufen mussten. Ich staunte immer wieder.
Nach und nach wurde das Licht der Petroleumlampe zunehmend schwächer. „Johann, sag mal haben wir noch Petroleum?“ „Ne, den letzten Rest haben wir heute verbraucht.“ „Gut, dann sollten wir uns beeilen, und Unterschlupf suchen meinst du nicht auch?“ Jakob nickte und legte einen Schritt zu. „Ach und Jungs... langsam wird mir echt kalt.“, gab ich zu. „Kein Wunder, du läufst ja auch nur im Unterhemd rum!“,sagte Johann und Jakob nickte ihm zustimmend zu. Was? Dachte ich panisch und schaute an mir runter. Erleichterung durchflutete mich, ich war nicht im Unterhemd, sondern im T-Shirt. „Was heißt denn hier Unterhemd?“ ,fragte ich und schaute Johann ungläubig an. „Na ja, so was dünnes trage ich unten drunter...“, antwortete Johann. Jakob schüttelte bloß mit dem Kopf und schlüpfte aus seiner Jacke. „Hier das wird dich wärmen.“,sagte er und hielt sie mir hin. „Danke!“ ,ich nahm die Jacke entgegen und schlüpfte schnell rein. Hupps, die war allerdings ein bisschen klein! Ganz schön kurze Arme der Kerl. Aber ich wollte mich nicht beschweren.
„Und wo gehen wir jetzt hin? Ich meine was versteht ihr unter einem Unterschlupf?“
Bestimmt kein Hotel! „Einem Unterschlupf? Für gewöhnlich schläft man dort und kann was essen.“, sagte Johann. Ach, da wäre ich nicht drauf gekommen... „Schon klar...“, sagte ich
„Lasst mich mal überlegen... noch fünf Bäume südöstlich, drei nordwestlich, sieben...
hey, bis <Burg Wilhelm> ist es nicht mehr weit! Höchstens noch eine Stunde, länger nicht.“,
sprach Jakob und marschierte los. Johann nahm ebenfalls die Beine in die Hand und richtete sich seinen Sack auf dem Rücken zu recht. „Na los, gleich sind wir am Ziel.“, sagte er zu mir, dann drehte er sich um und folgte Jakob, der mit dem Rest Licht voraus ging. Ich schleppte mich hinterher. Noch eine Stunde laufen, ob das meine Beine noch mit machen? Fraglich!
Stöhnend folgte ich den beiden und hoffte, dass die Zeit schnell vorbei ging, denn am Liebsten hätte ich mich gegen den nächst besten Baum gelehnt und geschlafen, aber daran war jetzt nicht zu denken, mithalten lautete die Devise.
Ich hatte aufgehört die Bäume zu zählen, an denen wir vorbei gelaufen waren, ehrlich gesagt hatte ich auch nie damit angefangen, dafür war es viel zu dunkel.
Nach einer halben Ewigkeit, die mir vor kam wie Lichtjahre, war es plötzlich stockduster vor meinen Augen. „Diana? Bist du noch da?“, fragte Jakob. „Ja.“ ,antwortete ich. „Gut, ich wollte nur sagen, dass unsere Lampe den Geist aufgegeben hat.“ „Unschwer zu erkennen.“, bemerkte ich. „Aber wir haben Glück.“, setzte Johann an, „wenn ich richtig gezählt habe müssen wir nur noch einen Baum nach links und wir stehen direkt vor der Burg.“ „Hoffen wir mal das du dich nicht verzählt hast, Johann.“, sagte Jakob und klang kritisch. „Du weißt ja was passiert, wenn man sich verzählt...“ „Ja ja, ist mir bewusst. Aber ich bin mir recht sicher.“ „Na gut, dann verlassen wir uns auf dein Gefühl und nehmen den nächsten Baum nach links.“.
Ich wusste nicht so recht, wie ich das Gerede verstehen sollte, was meinten die mit einem Baum nach links und wir stehen vor der Burg? Eine Burg kann sich wohl kaum hinter einem Baum verstecken! Verwirrt schüttelte ich mit dem Kopf. „Was genau heißt das mit dem Baum nach links?“ Doch ich erhielt keine Antwort, stattdessen packte Jakob mich am Arm, (übrigens genau auf dem blauen Fleck) und zog mich mit sich. Keine Sekunde später stand ich vor einem großen Tor umgeben von einer hohen Steinmauer, in die in gewissen Abständen Fackeln eingelassen waren, die wie wild fackelten und die Burg mit Licht umrahmten. Ich war mehr als sprachlos, wie konnte das passieren? Wir standen doch gerade noch mitten im Wald und jetzt vor einer großen beleuchteten Burg, die selbst ich von weitem hätte sehen müssen, erstens weil sie so groß ist und zwischen den Bäumen aufgefallen wäre und zweitens wir standen in vollkommener Dunkelheit und jetzt das viele Licht, das war doch nicht zu übersehen!
„Also das müsst ihr mir jetzt wirklich mal erklären!“ ,begann ich. „Morgen liebes, morgen.“,
gab Johann zurück. Jakob ließ meinen Arm los und ging auf das Tor zu. „Was macht er da?“, fragte ich. „Jakob klingelt.“ Aha. Klingelt? Und just in diesem Moment drückte Jakob auf einen rot blinkenden Knopf. Hallo? Was war das nun schon wieder? Ich meine, ich komme mir hier vor wie im tiefsten Mittelalter und der klingelt an einer Klingel, wie ich sie zu hause an der Haustür habe!
„Ja?“, ertönte es aus dem Lautsprecher an der Klingel. „Ja hallo, guten Abend. Johann und Jakob, die Wanderer hier.“,sprach Jakob in den Lautsprecher. Ein mürrisches Grummeln war zu hören, gefolgt von einem leisen Summen, das Tor wurde geöffnet. Jakob drehte sich zu uns um, zog die Schultern hoch und deutete uns mit dem Kopf im zu folgen. Johann nickte mir zu und wir folgten Jakob in den Burghof. „Netter Gastgeber dieser Wilhelm.“, sagte ich ironisch. „Ja, das ist er wirklich.“, gab Johann zurück. „Na ja, das Grummeln an der Klingel gibt mir zu Bedenken.“,sagte ich. „Aber nein, das an der Klingel war Wendel, der Hausmeister, der ist immer so.“ „Gut, wenn du das sagst.“,meinte ich und hörte, wie das Tor zurück ins Schloss fiel. Das war also <Burg Wilhelm> by night, dachte ich und war wirklich froh endlich angekommen zu sein, auch ohne zu wissen, was als nächstes passieren würde, denn langsam war mir durchaus bewusst, dass ich jetzt nicht die Augen schließen konnte und in meiner U-Bahn wieder öffnen, das hier war kein Traum, es war wirklich und zwar alles.


Kapitel 2 - Burg Wilhelm-


Der Burghof war spärlich beleuchtet, nur wenige Fackeln waren in unterschiedlichen Abständen im Hof verteilt. Es war unmöglich seine ganze Größe auszumachen, das müsste ich wohl bei Tageslicht nachholen.
Ich wollte mich noch weiter umschauen, doch Jakob forderte uns auf ihm zu folgen und so durchquerten wir schließlich eine weitere kleinere Mauer und gelangten unmittelbar vor eine große Tür, die wohl ins Burg innere führte. Jakob trat nahe an die Tür heran und klopfte vorsichtig an, kaum hatte er seine Hand weggezogen, wurde die Tür von innen geöffnet. Ein älterer Mann mit dunkelgrauem Stoppelbart stand mit einer Kerze in der Tür. „Ihr schon wieder.“, grummelte er und verzog das Gesicht. Dann hielt er die Kerze höher und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. „Wer ist das Mädchen?“, fragte er, die Kerze wanderte von links nach rechts, der Alte wollte mich wohl ganz genau inspizieren. „Das ist Diana. Wir haben sie im Wald gefunden...“,erklärte Johann wahrheitsgemäß. „Im Wald gefunden? ...Sieh an, sieh an. Die Jugend heutzutage...treibt sich des Nachts überall rum, nur nicht da wo sie sollen. Gesindel...“, der Mann schüttelte mit dem Kopf. „Dürfen wir eintreten?“, fragte Johann höflich. Der Alte schien zu überlegen, warf einen Seitenblick auf mich und nickte schließlich. Ein Glück! Noch länger hier draußen in der Kälte und ich wäre erfroren. Jakob ging als erster hinein, bevor Johann ihm folgte, fragte ich: „Das ist also Wendel ,ja?“ „Ja, ignoriere ihn einfach, der ist doch bloß alt und dumm!“, flüsterte er mir entgegen. Ich tat wie geheißen und beachtete Wendel nicht länger, dieser schien seinerseits auch kein weiteres Interesse an uns zu haben. „Ihr wisst ja, wo ihr hin müsst. Aber macht leise!“, sagte er und verschwand. Uns ließ er in der dunklen Eingangshalle zurück. „Los kommt!“,sagte Jakob und wir folgten ihm. Die beiden führten mich in eine Art Kellerraum, nachdem wir eine kleine Treppe runter gelaufen waren, befanden wir uns in einem langen und schmalen Flur, der mit drei oder vier Fackeln beleuchtet wurde. Es gab insgesamt sieben Türen, Jakob öffnete die dritte auf der rechten Seite. Der Kellerraum war klein, aber wenigstens warm und dank zwei Fackeln recht hell.
An jeder Wand stand ein altes Holzbett mit dünner Matratze und einer Decke. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, wo Johann als erstes seinen Sack ablegte.“Willkommen in der bescheidenen Hütte.“,sprach Johann und ließ sich direkt auf einem der Betten nieder.
Jakob wartete ebenfalls nicht lange, er zog seine Stiefel aus und wählte das Bett gegenüber seines Gefährten. Da war ich also, in einer mittelalterlichen Burg, irgendwo im nirgendwo und sollte auf einem uralt Bett schlafen. Unschlüssig stand ich neben der Tür. „Willst du nicht schlafen gehen?“, fragte einer der beiden. „Na ja, also ich... würde dann doch gerne mal Zähne putzen und so....“ „Das Bad ist über Nacht abgeschlossen.“, sagte Jakob und drehte sich zur Wand um zu schlafen. „Das ist schlecht.“, überlegte ich laut. Nun, dann blieb mir wohl nichts übrig, ich musste ohne abendliche Garderobe schlafen gehen. Ich zog die Schultern hoch und bewegte mich auf mein Bett zu. Mit der Hand testete ich zunächst die Standhaftigkeit dieses Gestells, dann legte ich mich vorsichtig hin. Das konnte ja eine Nacht werden!
„Gute Nacht.“,wünschte mir Johann und drehte sich zur Wand hin. „Gute Nacht.“, sagte auch ich. Stille. Die beiden schliefen anscheinend sehr schnell ein, ich dagegen konnte nicht schlafen, obwohl ich hundemüde war. Ich legte mich auf die Seite und blickte starr an die Tür.
Eigentlich die beste Gelegenheit mal nachzudenken und versuchen herauszufinden, was überhaupt passiert war, was ich hier machte, in einer mir fremden Welt, anstatt in meiner gewohnten Realität zu sein. Ich grübelte, doch wurde ehrlich gesagt nicht schlauer. Frustriert drehte ich mich um, wobei meine Hand auf einem Zettel landete. Ich wollte den Zettel in die Hand nehmen, doch er war fest an der Matratze, also richtete ich mich auf um Licht der Fackel auf den Zettel scheinen zu lassen. Ich erschrak , als mir vier mir sehr bekannte Buchstaben ins Auge sprangen: IKEA. Verwirrung lass nach! Was um alles in der Welt sollte das nun schon wieder? Das es IKEA bereits im Mittelalter gab, war mir nicht bewusst. Ich war mir sogar sicher!
Wie aber kommt eine IKEA Matratze hier her? Ich erinnerte mich an die Klingel von vorhin. Irgendetwas stimmt ich hier nicht. Aber was? Langsam bekam ich nun doch Angst! Um neue Tränen zu verhindern legte ich mich schnell wieder hin und kniff die Augen feste zu. Denk nicht mehr darüber nach, Diana! Hör auf! Alles wird sich klären, morgen! Ausnahmsweise half das Einreden, denn kurze Zeit später hatte sich mein Herzschlag beruhigt und ich war vorerst überzeugt, dass sich morgen alles aufklären würde. Nach und nach kehrte ich zurück in einen Dämmerzustand und letztendlich fiel ich in einen recht ruhigen Schlaf.

„Mach es gut, Diana!“,rief Selena mir zu und sprang in die U 5. Ich setze mich auf eine der Bänke und beobachtete, wie die U-Bahn den Bahnhof verließ. Mir blieben noch zehn Minuten, bis meine U-Bahn kommen würde. Ich ließ meinen Blick schweifen, einmal sah ich eine ältere Frau, die in einem der vielen Mülleimer nach leeren Pfandflaschen suchte, nicht unweit von ihr standen drei Schüler, etwas jünger als ich, schätzte ich, die irgendwelche Karten tauschten und dann fiel mein Blick auf einen jungen Mann, der auf der anderen Seite der Schienen, an Gleis 3 an der Wand gelehnt zu mir über schaute. Er sah aus wie achtzehn oder neunzehn, vielleicht auch älter, aber das glaubte ich nicht, ich schätzte er würde genauso alt sein wie ich, ja achtzehn könnte wirklich hinkommen. Er sah auch wirklich nicht schlecht aus, ich mochte seine schwarze Lederjacke und seine etwas längeren dunkelbraunen Haare, die man nicht als Langhaarfrisur, aber auch nicht mehr als Kurzhaarfrisur durchgehen lassen konnte, also irgendwas dazwischen. In seinem Blick lag etwas spannendes, abwartendes, so genau konnte ich es nicht beschreiben. Ich erwiderte seinen Blick, aber es passierte nichts weiter, er stand einfach da, und ich saß einfach hier. Dann hörte ich meine U-Bahn heranfahren und musste meinen Blick lösen. Schade. Fast wäre ich gegen eines der Fenster der U-Bahn gelaufen, anstatt durch die Tür. Ich suchte mir schließlich einen Platz, doch die U 9 war bereits so voll, dass ich keinen guten Platz erwischte und so den jungen Mann nicht mehr sehen konnte. Schade.

„Wo haben die die denn her?“, „Die schleppen doch immer wieder was neues an!“ , „Emilia! Agnes! Kommt da weg! Hört ihr? Bevor sie aufwacht!“ , „Mensch Eva, uns passiert schon nichts, das ist doch bloß ein Mädchen!“ , „Genau, Emilia hat recht. Sie ist nur ein Mädchen.“ , „Wer weiß das schon? In dieser Welt heißt Mädchen sein gar nichts! Und schaut euch nur ihre Haare an!“, sagte Eva und schüttelte mit dem Kopf. „Was soll mit den Haaren sein? Nur weil sie blond sind.“, fragte Agnes. „Blond? Das ist Wasserstoffblond! Wisst ihr was das bedeutet? Diese Mädchen kommt nicht von hier! Unsere Haare können höchstens hell braun werden, bei der Dunkelheit!“ „Vielleicht hat sie ihre Haare gefärbt?“, schlug Emilia vor und berührte eine der Haarsträhnen.
„Mach dich nicht lächerlich, Emi, so was würde Königin Duretta niemals erlauben, wir können froh sein, dass wir überhaupt noch braune Haare haben dürfen, wenn es nach dieser Duretta ging, liefen wir alle mit schwarzen Haaren herum.“ ,“Da muss ich Eva zustimmen.“ ,meldete sich Agnes zu Wort. „Schau unsere Haare an, sie sind schwarz. Bei dem wenigen Licht, das die Königin uns gibt, verlieren unsere Haare ihre helle Farbe, oder werden erst gar nicht erst hell.“ , Emilia schmollte. „Ok. Ihr habt ja recht.“ „Na, schön dann können wir ja jetzt mit der Arbeit weiter machen. Agnes, du kümmerst dich um das Gästebad, Emi, du schaust nach dem Frühstückstisch und ich werde die Kleider für Fräulein Veronica bereit legen.“

Honig? Vanille? Nein, Honig, da war ich mir sicher. Oder? Egal, es roch wunderbar. Ich öffnete meine Augen. Wo war ich? Ach ja, irgendwo im Mittelalter... Ich setzte mich aufrecht hin. Sofort stieg mir der Geruch von Honig erneut in die Nase. Ich kam mir vor wie benebelt. Was für ein Duft! Johann und Jakob erging es wohl nicht anders, die beiden lagen nicht mehr in ihren Betten. Wahrscheinlich mussten sie diesem Drogenduft folgen. Ich seufzte und erhob mich beinah schwankend. Wo kam dieser Duft her? Die Zimmertür (oder Kerkertür, wie man es nennen wollte) war nur angelehnt. Ich ging auf sie zu, dann hörte ich Stimmen draußen auf dem Flur. Die eine gehörte Johann und die andere kannte ich nicht, sie klang nach einer Frau. Neugierig wie ich war, trat ich raus auf den Flur. Johann sah mich sofort, die Frau stand mit dem Rücken zu mir. „Ah, guten Morgen Diana!“, rief er mir lachend zu und hob die Hand. Die Frau drehte sich zu mir um. Ich schätzte, sie war so was wie ein Dienstmädchen, danach sah sie jedenfalls in ihrem schwarzen Kleid und der weißen Rüschenschürtze aus. Sie lächelte mir zu. „Guten Morgen, Diana.“,sagte sie. „Guten Morgen.“, antwortete ich höflich. „Das ist Eva, sie arbeitet hier.“, stellte mir Johann die junge Frau vor, ich glaubte nicht, dass sie älter war als ich. Eher jünger.
„Möchtest du dich frisch machen? Ich habe das Bad herrichten lassen.“ ,fragte Eva. Da überlegte ich nicht lange. „Oh, sehr gerne. Das hab ich jetzt dringendst nötig!“,bedankte ich mich. „Das habe ich mir gedacht. Handtücher liegend bereit, dazu selbst hergestelltes Honigshampoo und...
eine paar frische Kleidungsstücke. Ich hoffe, dass sie dir passen.“ Daher also der umwerfende Duft! „Och bestimmt, ich passe überall rein.“,winkte ich ab und dachte dabei an Jakobs kleine Jacke. Was war hier schon normal! Ich ging also ins Bad und ließ die beiden auf dem Flur zurück.
Der nächste Schock! Was war das für ein Badezimmer? Luxus pur! Goldene Wasserhähne! Glänzende Spiegel, verteilt über alle Wände! Eine moderne Toilette, wie ich sie zu Hause hatte! Badewanne und Dusche! Mittelalter? Ich glaub ich kriege eine Föhn! Doch den brauchte ich nicht zu kriegen, der war bereits hier, angeschlossen in einer Steckdose. Ich schüttelte mit dem Kopf. Wofür die Fackeln überall, wenn es hier doch Strom gab?
Ich schloss die Türe ab und begann meine Sachen auszuziehen. Oje, meine Hose hatte auch schon mal bessere Zeiten gesehen! Die war nicht mehr blau, sondern hatte die Tarnfarben der Bundeswehr angenommen. Auch mein helles T-Shirt war nicht mehr so sauber wie in der U-Bahn. Ich entschied mich für die Dusche, die Badewanne sah nun doch zu edel aus.
Die Dusche tat wirklich gut und fühlte mich wieder sauber. Meine Haut roch nach sanftem Honig und auch meine Haare hatten Honigduft angenommen. Ich trocknete mich ab und schaute nach den Klamotten, die Eva mir her gelegt hatte. Ich zog die Augenbrauen hoch, was war das?
Ich nahm die Sachen in die Hand: eine beiges, längliches, dünnes Hemd, wohl so eine Art Unterhemd; eine braune Strumpfhose mit eingearbeiteten Strickmuster; kleine hell braune Hirtenschuhe aus weichem Leder, die innen mit Fell versehen waren und schließlich ein Knie langes Kleid. Wie sollte ich das beschreiben? Rot, braun, oben eng unten weniger eng. Ich zog es an und stellte fest, dass das Kleid von hinten zu geschnürt werden musste. Klingt schon eher nach Mittelalter, wenn ihr mich fragt. Ich beschloss mich erst um meine Haare zu kümmern. Ich trat an das Waschbecken, wo der Föhn lag. Zuvor entdeckte ich eine Zahnbürste, die nagelneu aussah und beschloss mir die Zähne zu putzen (wen wundert es, mit Honig Zahnpasta).
Nun waren meine Haare an der Reihe. Ich hatte zum Glück nie viel zu tun, um sie in Form zu bringen, das meiste machten sie von alleine, ich föhnte sie also irgendwie und am Ende waren sie wie immer kinnlang gelockt, keine Korkenzieher Löckchen, sondern schöne große Wellen, so wie Gwen Stefanie in dem Video 4 in the morning. Ich hatte sogar die gleiche Haarfarbe wie sie, knalliges Blond. Ich brauchte mal Abwechslung in Sachen Farbe.

Ich lächelte zum Abschluss noch Mal in einen der vielen Spiegel, dann trat ich zurück auf den Flur. Es war ungewohnt aus einem hell beleuchteten Badezimmer mit Deckenleuchte in einen ausschließlich mit Fackeln beleuchteten Flur zu treten.
„Hallo?“, rief ich. Eine Zimmertür öffnete sich und zwei Mädchen traten heraus, sie trugen die gleichen Kleider wie Eva, daraus schlussfolgerte ich, dass sie ebenfalls als Dienstmädchen hier arbeiteten. Sie kicherten leise und kamen auf mich zu. „Diana, stimmt´s?!“, fragte die eine. „Ja, das bin ich. Und wer seid ihr?“ „Ich bin Agnes und das ist Emilia. Wir arbeiten hier.“ „Habe ich mir fast gedacht.“ Die beiden lächelten mich an. Agnes hatte kurze schwarze Haare und hielt mit einem Haarreifen ihr Pony zurück, während Emilia ihre Haare zu einem kleinen, dunkelbraunen Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte. „Wie war die Honigdusche?“, fragte Agnes. „Wunderbar, das Shampoo riecht genial.“ ,antwortete ich. „Schön, hast du Hunger?“,fragte nun Emilia und schaute gebannt auf meine Haare. „Ja, ich wäre jetzt für ein riesiges Frühstückt.“, sagte ich und war leicht irritiert, das Emilia meine Haare praktisch mit ihren Augen aufsaugte. „Stimmt was mit meinen Haaren nicht?“, fragte ich daher und nahm einer Haarsträhne zwischen die Finger. Bevor mir eine der beiden eine Antwort geben konnte, stürmte uns Eva vom Flurende entgegen. „Emilia! Lass den Quatsch! Macht lieber das Bad sauber und kümmert euch um Fräulein Dianas schmutzige Wäsche, habt ihr verstanden?“, rief sie aufgebracht. Fräulein? Das hörte sich ziemlich wichtig an, fand ich. Emilia konnte sich von meinen Haaren losreißen und verbeugte sich rasch vor mir. Agnes tat es ihr gleich und lächelte mir noch einmal zu, bevor sie Emilia am Ärmel ins Badezimmer zog. Ich schaute den beiden nach, bis Eva leicht hechelnd neben mir zum Stehen kam. „Sind sie fertig, Fräulein Diana? War alles zu ihrer Zufriedenheit? Handtücher? Shampoo? Wassertemperatur?“ Ich fühlte mich überfordert. „Nun Eva mal ganz langsam, erstmal Diana reicht, ich bin nicht so wichtig, dass man mich Fräulein nennen muss.“
Eva bekam große Augen und sah beinah ein wenig enttäuscht aus, „Aber was redest du ähh sie, was reden sie da nur? Sie sind sehr wichtig! Bald wird alles gut, alle sind sich sicher!“ Ich hatte keinen Schimmer wovon sie da sprach, aber ich kümmerte mich erstmal nicht weiter darum, schließlich blickte ich seid gestern Nachmittag nirgends mehr durch, also warum hier?! „Wenn du das sagst. Ich hoffe es war in Ordnung, dass ich die Zahnbürste benutzt habe, die im Badezimmer lag?“, fragte ich. „Sicher, nehmen sie sich alles was sie brauchen!“ Ich werde es mir merken. „Die Herrschaften warten zu Tisch auf das Fräulein Diana, wären sie daher so gnädig und würden mir folgen?“ „ Klar, aber Eva?“ „Ja?“ „Eine Sache wäre da noch.“ „Ja?“ „ Das Kleid, könntest du es zu binden?“, fragte ich und zeigte mit dem Daumen nach hinten. „Natürlich! Emilia und Agnes, diese... so was müssen die zwei doch merken!“, regte sich Eva auf und trat hinter mich. „Aber das konnten die beiden doch nicht wissen, außerdem hätte ich ihnen das sagen können, also gib ihnen keine Schuhuuuld.“ Das letzte Wort hustete ich, „Eva? Atem!“ „Oh, entschuldigen Sie, das Fräulein Diana ist solche Kleider wohl nicht gewohnt. Ich werde mich bemühen, das zu berücksichtigen.“ „Danke.“, sagte ich und atmete erleichtert auf. Hechelnd wie ein Hund folgte ich ihr. Ganz schön eng diese Kleider! Aber einen Vorteil hatten sie schon, meine Oberweite zu betonen, die im Mittelalter wussten mit ihren Reizen zu spielen, das musste ich ihnen lassen! Während ich mein Dekolleté begutachtete, führte mich Eva durch den Flur, schließlich waren wir wieder in der großen Eingangshalle, die ich bereits heute Nacht gesehen hatte, wenn auch nur im Dunkeln. Sie war wirklich groß und dabei ziemlich modern eingerichtet.
An den Wänden hingen große Gemälde von Künstlern aus dem 21.Jahrhundert und Wandteppiche mit verschiedenen Wappen, die ich nicht kannte. In der Mitte der Halle befand sich eine weite Treppe, die in das obere Stockwerk führte, sie mündete gegenüber der Haustür.
Eva blickte sich zu mir um. „Folgen sie mir die Treppe in das Speisezimmer.“ Ich nickte und folgte ihr. Oben angekommen schaute ich mich kurz um, die Treppe endete vor einer großen Fensterfront, wobei das Fensterglas kein modernes war, sondern mehr Kirchenfenstern ähnelte, buntes Glas mit verschiedensten Mustern gestaltet.
Rechts und links lagen mehrere hohe Türen und je eine Wendeltreppe, die noch höher zu führen schienen. Die Treppen waren ein wenig versteckt und ich hatte sie erst gesehen, als ich mich einmal um mich selbst drehte. Sie waren -im Gegensatz- zu den großen Türen eher unscheinbar.
Sie wirkten bloß als Ergänzung, nicht als eigenständiges Detail des Burginnern. Eva ließ mir nicht die Möglichkeit mich noch länger um zuschauen, sie hatte es sichtbar eilig. „Burgherr Wilhelm und Fräulein Veronica erwarten sie!“, sagte sie ungeduldig und führte mich schließlich nach links auf eine der hohen Türen zu. Sie klopfte. „Herein.“ kam es von innen. Eva öffnete die Tür und wir traten in den Raum. Im ersten Moment war ich erschlagen. Der Raum, es handelte sich um ein Speisesalon, hatte sehr hohe Decken und war prächtig dekoriert. Große Samtvorhänge schmückten die hohen Fenster und der Boden war durch einen großen und dicken Teppich bedeckt. In der Mitte befand sich eine lange Tafel mit geschätzten 30 Stühlen. In der Mitte des Tisches wiederum brannten Kerzen in einem Kerzenleuchter. Am gedeckten Tisch selbst saßen mit dem Rücken zu mir, eine blonde Frau mit aufwendiger Hochsteckfrisur und ihr gegenüber am anderen Ende ein älterer Herr in adeligem Anzug. Er nahm ein mit Wein gefülltes Glas in die Hand und prostete mir zu. „Sei Willkommen Fräulein Diana!“, begrüßte er mich. Die Frau drehte sich zu mir um. Sie lächelte mir zu und nickte. Eva führte mich zur Mitte des Tisches und wies mir einen Stuhl unmittelbar neben dem Kerzenleuchter zu. Ich setzte mich ein wenig unbeholfen, da ich noch so eingenommen war von meiner neuen Umgebung. Es dauerte, bis ich die Sprache wieder gefunden hatte. „Danke.. und Hallo.“ ,sagte ich. „Mein Name ist Veronica. Du bist also Diana?“, ich blickte die junge Frau an. Wieder lächelte sie. „Ja.“, sagte ich nur und musterte Veronica. Sie war wirklich hübsch. Ihr Gesicht passte zu ihren hellen Haaren und ihrer hellen Haut. Veronica blickte nun auf ihren Teller, dann wieder zu mir. „Was möchtest du essen?“, fragte sie. „Oh, ich bin nicht wählerisch, bringt mir einfach irgendetwas.“ Ich hörte ein herzliches Lachen. Der Mann am anderen Ende und von mir aus gesehen links fing an zu lachen. „Eva, meine Gute, bring unserem Gast das beste Frühstück!“ „Ja wohl, Herr Wilhelm!“, Eva nickte und
verließ den Salon. „Bloß keine Umstände wegen mir.“, sprach ich. „Ach, das sind doch keine Umstände. Mein Name ist übrigens Wilhelm, ich hoffe du hast nach dem Essen ein wenig Zeit, damit du mir und meiner reizenden Tochter Veronica ein bisschen über dich erzählen kannst!“ „Natürlich. Ich hatte noch nichts vor.“,antwortete ich. „Schön.“, sagte Wilhelm und widmete sich wieder seinem Wein. Ob ich ein wenig Zeit hätte? Nein! Ich hatte eigentlich gar keine Zeit! Ich musste endlich herausfinden, was hier eigentlich vor sich ging und warum ich immer noch nicht aufgewacht war, aus diesem merkwürdigen Traum oder Nicht- Traum. Schließlich hatte ich noch immer keinerlei Erklärung dafür, warum und wie ich hier gelandet war.
Eva kam mit einen Wägelchen zurück. Auf ihm standen drei Teller und Schüsseln gefüllt mit den leckersten Dingen, die mir nicht unbekannt waren. Geschmierte Nutellabrötchen, Müsli mit Orangensaft, ein Häufchen Quark, dekoriert mit einem Minzblatt, noch mehr Brot und verschieden Beilagen. Eva häufte alles vor mir auf den Tisch und ich hatte das Gefühl, das es hinterher mehr war, als ich zuvor auf dem Wagen stehen gesehen hatte. Zuletzt schenkte sie mir noch etwas Tee in eine vergoldete Tasse. „Guten Appetit, Fräulein Diana.“, sagte Eva und verschwand erneut. Ich schaute noch einmal von Veronica zu Wilhelm. Wilhelm zog fragend eine Augenbraue hoch „Fehlt noch etwas?“ „Nein, nein, es ist nur...ach, schon gut. Nichts weiter.“ Nutella? Im Mittelalter? Ich schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Tee. „Der ist gut.“ betonte ich extra, um Wilhelm zu beruhigen, der schaute mich nämlich immer noch fragend an, als hätte er Angst ich könnte nicht zufrieden sein, mit dem was vor mir stand.
Ich entschied mich für das Müsli und das geschmierte Nutellabrötchen.
Kaum war ich fertig betrat Eva erneut den Raum, gefolgt von Agnes und Emilia. Die drei machten sich daran den Tisch abzuräumen. Wilhelm legte gerade die Serviette aus der Hand und Veronica lehnte sich zurück, so dass Agnes ihren Teller nehmen konnte. Dann lächelte sie mich erneut an. Ich lächelte zurück, ich musste schon sagen, Veronica war mir sehr sympathisch.
Die junge Frau blickte dann zu ihrem Vater. „Vater, was hältst du davon, wenn ich Diana zunächst ihr Zimmer zeige, bevor sie uns über sich erzählt?“ „Eine fabelhafte Idee, mein Kind. Sagen wir, wir treffen uns in einer halben Stunde im Teesalon?“ „Gut, Vater.“, sagte sie, dann wandte sie sich an mich. „Diana, möchtest du dein Zimmer sehen? Komm ich zeige es dir. Es wird dir gefallen, wir müssen nur über den Flur, vorbei an der großen Treppe und die Wendeltreppe auf der anderen Seite hoch steigen.“ Damit erhob sich Veronica und wartete, dass auch ich aufstand. Ich folgte ihr den beschriebenen Weg, als wir schließlich die Wendeltreppe hinauf gestiegen waren, standen wir in einem kleinen Flur mit zwei geschlossenen Zimmertüren.
„Rechts ist mein Zimmer, das Linke deines.“,sprach sie und öffnete die linke Tür. Ich betrat den kleinen Raum als Erste. Sofort fiel mir die Holztruhe auf, die schräg in der Ecke gegenüber der Tür stand. Links daneben befand sich ein Holzbett mit weißer Bettwäsche. Direkt über dem Bett war ein schmales Fenster. Ich schaute am Bett entlang und sah, dass sich sein Ende unmittelbar neben der Tür, in der Veronica noch stand befand. Zu meiner rechten Seite war ein übergroßes Fenster. Lange und schwere rote Gardinen verdeckten es halb. Unter dem Fenster stand eine alte Holzbank und auf ihr zwei Sitzkissen. Auf dem Boden lag ein ähnlicher Teppich wie im Speisesalon. Sonst stand hier nichts mehr. Die Wände waren aus Stein und der Boden unter dem Teppich dunkle Holzdielen. „Gefällt es dir?“, fragte Veronica und trat nun ganz in den Raum.
Ich sah sie an und sagte: „Es gefällt mir, wirklich, besonders die Truhe.“ „Da liegen deine Sachen drin, Eva hat sie eben aus dem Trockner geholt und dort hinein gelegt. Ich habe auch noch ein paar Kleider von mir rein legen lassen. Du hast genau meine Größe.“ Trockner? Noch so ein nicht Mittelalter gewöhnlicher Gegenstand! Veronica runzelte die Stirn, anscheinend bemerkte sie meine Verwirrung. „Oh, hab ich das? Das war mir bisher noch nicht aufgefallen.“ „Du trägst bereits eines meiner Kleider.“ „Oh“, sagte ich und schaute an mir herunter, tatsächlich ich hatte mir ja eben nach dem duschen dieses rote Kleid mit dem eckigen Ausschnitt angezogen. Das hatte ich schon wieder vergessen, genau wie mein eigentliches Problem. „Veronica? Darf ich dich etwas fragen?“ „Sicher.“ „Wo ist die nächste U-Bahnstation?“ Sie schaute mich irritiert an. „U-Bahn?“ Ich wusste, ich hätte anders beginnen sollen. „Was auch immer eine U-Bahn ist, ich schätze es handelt sich um ein Verkehrsmittel, weil das Wort Bahn darin steckt, was womöglich von dem Wort Eisenbahn kommt und so etwas haben wir hier. Also, eine U-Bahn haben wir nicht, und wenn überhaupt nicht hier in der Nähe der Burg, wenn dann in der Stadt. Aber ich könnte ein Taxi kommen lassen, wenn dir das hilft.“ Taxi? Keine U-Bahn aber Taxi? Das musste ich erst mal verdauen. Ich überlegte, wie ich anders an die Sache heran gehen könnte. Doch Veronica kam mir zuvor. „Diana? Ich weiß nicht wie ich anfangen soll, aber... ich habe das Gefühl, du bist ein wenig verwirrt?“ Verwirrt, das traf es gut. „Könnte man so sagen.“ Ich schaute zu Veronica. „Hab ich es mir doch gedacht, du machtest schon den Eindruck, seit du denn Speisesalon betreten hattest.“ Sie lächelte nicht mehr. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass sie mich verstehen würde, wenn ich ihr die Geschichte erzählen würde. Sie machte einen Schritt auf mich zu und fragte: „Weißt du überhaupt warum du hier bist?“ Ich schaute sie verwirrt an. Wollte sie mir etwa sagen, dass dies hier alles einen Sinn hatte? Das ich nicht rein zufällig hier gelandet bin? Das war völlig ausgeschlossen! „Nein, das weiß ich nicht und ich glaube auch nicht, dass das richtig ist, dass ich hier bin. Ich war eigentlich nur auf dem Weg nach Hause, ich saß bis gestern Nachmittag in meiner U-Bahn. Die Schule war zu ende, wir jeden Tag. Ich war müde, also habe ich mir eine freien Platz gesucht, mich hingesetzt und die Augen zu gemacht. Der Sitz war unbequem, ich öffnete meine Augen und.... .“ Ich brach ab. „warst im Wald, hab ich recht?“ ,beendete Veronica meine Satz. „Ja.“ „Dann stimmt es also was Jakob und Johann erzählen. Sie haben dich im Wald gefunden, mitten in der Nacht.“ Ich nickte und schaute auf den Boden.Plötzlich kam ich mir verloren vor, genauso, wie gestern im Wald, bevor die beiden mich gefunden hatten. Was sollte das alles? Fragte ich mich wieder und wieder. Was war nur geschehen und warum? „Das kann ich dir sagen.“ sagte Veronica. Ich hatte wohl laut gedacht. Ich blickte sie erstaunt an, „Du weißt warum ich hier bin?“ „Ich glaube es zu wissen. Mein Vater auch. Deshalb möchte er mit dir sprechen, er wird dich aufklären, weil er mehr darüber weiß als ich.“ Ich lachte, lachte vor Erleichterung. Ich wusste, dass es eine Erklärung gab, ich habe es immer gewusst. Ich schloss die Augen für einen Moment und stellte mir bereits vor wieder in meiner U-Bahn zu sitzen.
„Die halbe Stunde ist rum. Wir sollten in den Teesalon gehen, mein Vater wird dort warten.“ ,holte Veronica mich zurück aus meinen Träumereien. Ich nickte und folgte ihr aus dem Zimmer.
Wir liefen gerade von der Wendeltreppe über den Flur, als ein hochgewachsener Mann in einen schwarzen Anzug gekleidet die große Treppe hinab steigen wollte. Er erblickte Veronica und mich, doch sein Blick haftete sofort an meinen Haaren. Was hatten hier bloß alle gegen meine Haare? Der Mann zog seine Augenbrauen hoch, dabei wirkte er grimmig. Veronica blieb unvermittelt stehen. „Gerlach.“ , sagte sie ohne jegliche Betonung. „Fräulein Veronica. Schön sie zu sehen. Wollen sie mir ihre Freundin nicht vorstellen?“ Der Mann lächelte arrogant und böse zugleich. Ich mochte ihn nicht. Auch Veronica schien weniger begeistert darüber zu sein diesem Mann, den sie Gerlach nannte hier zu begegnen. Sie schwieg. Gerlach drehte sich nun ganz zu uns um, er begann mich zu mustern, von oben nach unten. Meine Haare fand er immer noch an interessantesten. Langsam wurde ich wütend. Warum starrten alle meine schönen hell blonden Haare an? „Was glotzen sie so dämlich? Stimmt was mit meinen Haaren nicht? Bin ich ihnen zu blond?“ Gerlachs hässliches Lächeln blieb. „Vielleicht. Ja. Zu Blond...“ dann nickte er, wand sich von uns ab und ging die Treppe herunter. Veronica war wie versteinert. „Dem habe ich es gegeben.“, sagte ich stolz und lächelte ihr zu, doch ihre Miene blieb versteinert. „Veronica? War das falsch? War ich zu unhöflich?!“ „Weiß ich nicht, noch nicht...“ ,mehr sagte sie nicht, stattdessen packte sie mein Handgelenk und zog mich in das Zimmer, welches links neben dem Speisesalon lag. „War das etwa dein Lehrer? Ich rede noch mal mit ihm, wenn du willst? Du kannst ja nichts dafür, wie ich zu ihm war.“, schlug ich vor. „Nicht nötig. Ich habe nichts mit ihm zu tun.“ ,sagte sie trocken. „Aber demnächst solltest aufpassen was du sagst, und vor allem mit wem du sprichst!“, sagte sie streng. Wir erreichten den Teesalon, Wilhelm stand mit einem Glas Wein in der Hand am Fenster. „Vater.“ „Veronica. Schön das ihr hier seid. Gerlach war gerade hier.“ „Ich weiß, er ist uns auf dem Flur...“ „Begegnet?“ „Ja, und er hat Diana...“ „Gesehen.“ „Ja. Ich fürchte mehr als das...“ „Er hat sieh erkannt, genau wie wir.“ Wilhelm schaute noch immer aus dem Fenster. „Ja.“, sagte Veronica. Ich verstand kein Wort. Gerlach hin, Gerlach her! Was war hier los? Und wieso erkannt? Was war daran so schlimm, dass er mich gesehen hatte? Ich versuchte es nochmal mit der Lehrernummer „Ich kann wirklich nochmal mit ihm reden, ich hätte mich wirklich nicht so benehmen müssen...“ „Schon gut Diana. Das regeln wir später. Erstmal möchte ich deine Geschichte hören, von Anfang an.“, sprach Wilhelm und zeigte auf einen der drei Sessel vor dem brennenden Kamin. Ich zögerte, dann setzte ich mich und wartete, bis sich auch die anderen beiden gesetzt hatten. Veronica war noch immer angespannt, nur Wilhelm schien die ganze Sache nicht mehr allzu kritisch zu sehen, jeden falls kam das mir so vor, oder er wollte mich einfach beruhigen und mich nicht noch mehr verwirren. „Also, Diana.“ Wilhelm wechselte einen kurzen Blick mit Veronica, diese nickte. „Ich bin sehr gespannt auf deine Geschichte.“ aufmunternd lächelte er mir zu und bedeutete mir zu beginnen. Ich erzählte ihm dasselbe, was ich Veronica bereits erzählt hatte. Wilhelm hörte aufmerksam zu. Als ich fertig war wechselte er erneut einen Blick mit seiner Tochter. Dann räusperte er sich und schaute mich an. „Diana, was du das erzählst klingt … seltsam.“ „Das finde ich auch. Aber Veronica sagte, ihr könntet mir helfen und mir sagen, wie es dazu kam, dass ich hier bin!“ Wilhelm lächelte kurz, dann sagte er: „Ich kann dir in der Tat sagen warum du hier bist, ob wir dir helfen können ist eine andere Frage, ich glaube eher, du kannst uns helfen.“ „Was?“ „Lass mich dir einiges erklären. Ich merke schon, dass du mir nicht recht folgen kannst. Also, du bist aus einem ganz bestimmten Grund hier. Du bist diejenige, auf die wir schon eine lange Zeit warten, diejenige, die uns endlich aus der Dunkelheit befreit.“ „Dunkelheit? Befreit? Was bedeutet das?“ Nun war es Veronica, die das Wort ergriff. „Mit jedem Tag wird uns ein bisschen mehr Tageslicht genommen, die Nächte werden länger, die Tage kürzer. Das gleiche betrifft den Strom. Jeden Tag haben wir ein bisschen weniger, damit wir kein Licht erzeugen können. Der Kerzenvorrat schwindet mehr und mehr. Nichts ist mehr wie es war.Schuld daran...“ „Hat unsere dunkle Königin Duretta.“, beendete Wilhelm ihren Satz. Moment mal, diesen Namen hatte ich doch schon Mal gehört. Ich überlegte. Ja! Gestern im Wald, Jakob oder Johann, sie hatten geflüstert und dabei ist der Name Duretta gefallen! „Ich habe ihren Namen schon Mal gehört. Was ist sie für eine Königin, die ihren Leuten jedes Licht nimmt?“ „Macht. Sie ist eine Königin und sie will herrschen, besitzen. Sie wird auch die Königin der Dunkelheit genannt. Je mehr Dunkelheit sie umgibt, desto mächtiger wird sie.“ ,erklärte Wilhelm mit angestrengter Miene. Ich ließ seine Worte auf mich einwirken, sie hörten sich an wie ein schlechter Traum. Ich konnte das nicht verstehen. „Ok. Aber, was hab ich damit zu tun? Ich meine, wie kann ich euch helfen? Wie stellt ihr euch das vor?“ „Na ja, unsere Hoffnung beruht ganz auf dir und deinen Fähigkeiten.“, sagte Wilhelm. „Fähigkeiten? Was für Fähigkeiten? Glaubt ihr ich habe einen Zauberstab, hole ihn heraus, stelle mich dieser Duretta gegenüber und sage „Verschwinde du böse böse Königin und gib den Menschen wieder Licht “ ? Das kann nicht euer Ernst sein!“ ,empört und hysterisch stand ich auf. Ich fühlte mich wie in einem Albtraum, gefangen in einem dicken Märchenbuch, als ob Hänsel und Gretel unten im Wald auf mich warten würden, als ob oben in „meinem“ Zimmer Rapunzel eingesperrt auf ihren Prinzen warten würde, als ob Aschenputtel gerade eben auf der großen Treppe ihren Schuh verloren hätte, als ob....
Entgeistert blickte ich in Veronica´s Gesicht. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet ihr Gesicht traurig. „Ich bitte dich, Diana, nimm uns nicht die letzte Hoffnung...“ Veronica´s Hände waren zu Fäusten geworden. Wilhelm nahm ein großen Schluck Wein. Ich blickt sie beide an, ihre Blicke waren leer. Plötzlich war meine Hoffnung verschwunden, ich bezweifelte gleich wieder in meiner U-Bahn zu sitzen. Kraftlos setzte ich mich in den Sessel und starrte ins Feuer. Warum? Warum ich?
Keine Antwort. „Ich würde euch gerne helfen, wirklich. Aber... ach, ich habe überhaupt keine Vorstellung wie! Und außerdem warum ich? Warum glaubt ihr, dass ausgerechnet ich euch helfen kann?“ Ich hatte etwas lauter gesprochen, als ich eigentlich vorgehabt hatte. Veronica blickte auf. „Deine Haare.“ sagte sie. „Meine Haare?“ „Deine Haare, deine wunderschönen Wasserstoff blonden Haare haben dich verraten.“ Ich verstand nichts. „Wie meinst du das, Veronica?“ „Welches Haarfarbe haben Eva und die anderen Mädchen?“, fragte sie. „Schwarz und dunkelbraun.“ „Welche Haarfarbe hat mein Vater?“ Ich blickte zu Wilhelm. „Schwarz mit grau.“ Welche Haarfarben haben Jakob und Johann?“ Ich überlegte. „Schwarz.“ Welche Haarfarbe hatte Gerlach?“ „Schwarz grau.“ „Was fällt dir also auf?“ Ich überlegte erneut. Schwarz. „Sie alle haben schwarze Haare.“ „Genau. Und was ist Schwarz?“, das letzte Wort betonte sie besonders.
„Eine dunkle Farbe.“ ,antwortete ich. Wilhelm nickte. Und Veronica sagte:“Ganz richtig, eine dunkle Farbe. Und was ist blond?“ „Eine helle Farbe.“ „Und wie ist Licht?“ „Hell.“ erwiderte ich und konnte nicht glauben, was ich mir gerade zusammen reimte. Alle waren dunkel, außer mir, alle lebten hier in Dunkelheit, außer mir, ich war ein Mädchen aus einer anderen Welt. Ich war die einzige, die anders war, so wie alle anderen nicht sein durften. „Halt! Veronica, du bist auch blond. Vielleicht nicht so hell wie ich, aber hell!“ Veronica´s Gesicht bekam noch traurigere Züge.
„Aber nur hier. In der Burg. Sie schützt mich. Ich wurde hier geboren, in dem Jahr als Königin Duretta das Zepter übernahm, meine Mutter ist gestorben, bei meiner Geburt. Ihre letzten Worte waren: “Mein Mädchen, du sollst immer strahlen.“ Ich weiß nicht warum, aber … wenn ich in der Burg bin sind meine Haare blond, verlasse ich die Burgmauern werden meine Haar pechschwarz.“ Mir blieb der Mund offen stehen. Diese Geschichte wurde immer verrückter. „Das tut mir Leid.“, mehr konnte ich nicht sagen. Keiner sagte etwas. Ich atmete tief ein und wieder waren tausend Fragen in meinem Kopf. Wo um alles in der Welt war ich hier? Ich gab mir selber eine Antwort. Sie gefiel mir nicht. Ich, Diana befinde mich irgendwo im Nirgendwo, in einer Welt, die einen großen Hauch von Mittelalter verspüren lässt, gleichzeitig aber auch mit dem Modernsten ausgestattet ist. Die Klingel, die Ikeamatraze, Nutella, Trockner,... Was kam wohl als nächstes? Wie kam ich hierher?
Falsch U-Bahn? Wohl kaum. Wer ist diese Duretta? Was heißt hier „dunkle Königin“? Und was war meine Aufgabe, um Wilhelm, Veronica und all den anderen zu helfen? All diese Fragen wurden von einer Frage überschattet, wie komme ich zurück, zurück in meine Welt?

Ich ließ den Kopf in beide Hände sinken. Ich hatte Kopfschmerzen vor lauter nachdenken. Was sollte ich nur machen? „Wir wollen dich nicht überfordern.“, sprach Wilhelm, als er sich Wein nach schenken ließ. „Ich glaube, dass du selbst herausfinden wirst, was zu tun ist. Aber eines lass dir gesagt sein, denke nach bevor du handelst, in dieser Welt, ist es gefährlich, besonders dann, wenn man sich mit den falschen Leuten abgibt. Merke dir meine Worte. Das könnte dir helfen.“, sagte er weiter. Dann erhob sich Wilhelm, drückte mir kurz die Schulter und verließ den Salon. Veronica und ich blieben zurück. „Du kannst uns vertrauen, Diana. Wirklich.“ „Danke.“ Ich nickte. Veronica lächelte mir zu. „Es tut mir Leid, dass ich mich eben etwas ungehalten benommen habe, dass wollte ich nicht. Trotzdem hoffe ich, dass du uns verstehen kannst.“ „Ich denke, ich verstehe euch. Und Veronica...“, dabei schaute ich sie eindringlich an.“Ich werde mich bemühen euch zu helfen.“ Sie lächelte. „Danke.“

Das war am Vormittag gewesen. Die wenige Sonne, die Duretta diesem Land noch gelassen hatte ging bereit langsam wieder unter. Es war Nachmittag geworden. Veronica hatte mir das Schloss gezeigt. Ihr Zimmer, das neben meinem lag, dir große Küche, die Bibliothek von Wilhelm und letztendlich den Burghof und den Stall hinter der Burg.
„Wir haben ungefähr zehn Pferde.“, sagte sie und führte mich vorbei an zwei kleinen Ponys. „Das sind Mewly und Momo. Die beiden kenne ich schon mein Leben lang. Und dahinten, in der letzten Box steht mein Pferd. Komm ich zeige es dir!“, sagte sie und ich lief ihr nach. Doch das Gatter der Box stand weit offen und kein Pferd war drinnen. „Oh, Jeremias hat ihn bestimmt raus gebracht. Komm wir schauen auf der Wiese nach.“
Tatsächlich stand auf der Wiese eine wunderschönes dunkelbraunes Pferd. Veronica und ich stellten uns an das Gatter und schauten ihm eine Weile zu, wie es Gras fraß und sein Fell im Licht der untergehenden Sonne glänzte.
„Ein schönes Pferd.“, sagte ich und schaute dem Spiel seiner Ohren zu. „Ja, er ist toll.“, lachte Veronica. „Wie heißt er?“ „Sein Name ist Miles.“ „Haben eure Pferde alle einen Namen mit M?“, fragte ich. Veronica lachte und nickte. „Gut erkannt Diana! Das ist eine Tradition bei uns, frag mich nicht wieso, ich kenne es nicht anders.“ Ich fiel in ihr lachen ein. Alles war verrückter hier, warum nicht auch die Traditionen der Menschen!, dachte ich.
Miles spitze die Ohren und kam schließlich wiehernd zu uns an das Holzgatter getrappt. „Er liebt es wenn ich lache.“, sagte Veronica und klopfte den Hals des Pferdes. Aus der Nähe sah er fast noch schöner aus, sein hell-braunes Fell stand im Kontrast zu seiner dunklen Mähne. Ich streichelte seinen Kopf, und Miles stupste mich sanft an. Veronica und ich mussten lachen. Es tat gut mit ihr zu lachen, für einen kurzen Moment vergaß ich meine Probleme und war einfach froh darüber auf <Burg Wilhelm> gelandet zu sein, wer weiß wo ich sonst hin gekommen wäre, wenn Johann und Jakob mich nicht hier her gebracht hätten. Und da war sie wieder, die Wirklichkeit hatte mich schneller eingeholt, als gedacht. „Veronica? Wo sind eigentlich Johann und Jakob? Die beiden, die mich her gebracht haben?“, fragte ich besorgt und schämte mich zu gleich nicht schon früher an meine Retter gedacht zu haben.. „Johann und Jakob? Ich denke, dass die beiden bei meinem Vater sind und über den nächsten Handel sprechen. Mein Vater wollte mehr Mehl und Zucker bestellen.“ „Handel?“ „Hast du das noch nicht gewusst? Weißt du, wir kommen nicht mehr... so oft in die Stadt. Also hat mein Vater die beiden Wanderer angeheuert und das nötigste zu besorgen. Irgendwie müssen wir schließlich an Essen kommen. Die beiden machen das schon seid Jahren und mittlerweile sind sie gute Freunde meines Vaters. Immer wenn sie uns neue Sachen bringen bleiben sie ein paar Tage, bevor sie weiter reisen und zurück in die Stadt gehen, um dort ähnlich Geschäfte zu machen. In der Stadt werden sie gut bezahlt, auch da geht keiner mehr... gerne raus.“ Veronica ´s Lachen war verstummt. Sie war ernst geworden und mied es plötzlich mir in die Augen zu sehen. Ich hatte ihr Zögern bemerkt, während sie gesprochen hatte: ...wir kommen nicht mehr... so oft in dir Stadt, ...geht keiner mehr ...gerne raus... . „Ist es wegen Duretta?“, fragte ich vorsichtig. Sie nickte. „Komm, wir gehen rein. Es wird bald dunkel und das Essen wird fertig sein.“, damit wandte Veronica sich ab und ging in den Stall. Ich blickte noch einmal zu Miles, der sich bereits wieder dem Gras gewidmet hatte, dann folgte ich ihr in den Stall. Ich hörte sie Lachen und wurde neugierig. „Du und deine Witze, Jeremias!“, sagte sie, als ich in den Stall kam. Ein junger Mann, nicht älter als wir saß auf einem Strohballen und fettete Zaumzeug ein. Er lachte, dann legte er die Arbeit nieder, putzte sich die Hände an einem Ledertuch ab und stand auf. Er kam auf mich zu und hielt mir seine Hand hin. „Diana? Gestatten, meine Name ist Jeremias.“, sprach er und machte einen gespielten Knicks vor mir. Veronica konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Ich stieg in sein Spiel mit ein. „Der Handkuss, mein Gnädigster.“, sagte ich und hielt ihm meine Hand mit erhobenem Kopf entgegen, anstatt einfach seine Hand zu schütteln, die er mir noch immer entgegen hielt. Seine kurzzeitige Verwirrung ließ er sich nicht anmerken und küsste meinen Handrücken. Veronica musste sich auf den Strohballen fallen lassen vor lachen. „Bravo!“, rief sie und klatschte vergnügt in die Hände.
„Freut mich dich kennen zu lernen, Jeremias.“ „Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“ Lachend ließ er meine Hand los und griff wieder zum Zaumzeug. „Du bist also die Fremde aus der Nacht. Hab schon viel über dich gehört.“ „So lange bin ich doch noch gar nicht hier, wie kannst du da schon so viel von mir wissen?“ „Glaub mir, hier in der Burg machen außergewöhnliche Neuigkeiten schnell die Runde, wie ein Feuer, das sich rasend schnell ausbreitet.“ „Leider nicht nur hier.“, fügte Veronica mit plötzlicher Ernsthaftigkeit hinzu. „Ja, das stimmt allerdings. Du solltest aufpassen, Diana. Ich meine mit wem du sprichst, und vor allem worüber und wie viel.“ ergänzte Jeremias ernst. Seine Worte erinnerten mich an die Unterhaltung mit Wilhelm und Veronica am Morgen. Wilhelm hatte ähnliche Dinge gesagt. Auch ich wurde ernst und fragte: „Was genau meint ihr alle damit? Ich meine, dass man aufpassen muss mit wem man sich abgibt, oder worüber man mit den Leuten spricht? Mir ist schon klar, das ich gegenüber einer Königin, wie Duretta nicht ohne weiteres das Wort erheben darf, weil sie gefährlich ist, aber sonst ist doch keine so mächtig etwas gegen mich zu tun.“ Jeremias lachte kurz auf und in seinem Lachen schwang ein hauch Verständnislosigkeit mit. „Da magst du vielleicht recht haben, aber Duretta, sie hat überall ihre Ohren und wenn sie dich einmal jagt, bist du verloren.“, sagte er und rieb fester mit dem Leder über die Schnallen der Trense. Veronica nickte. Und als wollte das Schicksal Jeremias Worte bestätigen betrat just in diesem Moment Wendel, der grimmige Hausmeister den Stall. Er beäugte uns misstrauisch. „Das Dienstmädchen wartet. Das Essen ist fertig.“, knurrte er und verschwand wieder. Jeremias deutete mit dem Kopf zur Tür, durch die Wendel gerade verschwunden war. „Der ist nur einer von vielen. Wendel hört alles, vor allem alles, was für Gerlach, den Botschafter der Königin von Vorteil ist.“ Ich verstand so langsam was sie mir klar machen wollten. Außerdem kam mir bei dem Namen Gerlach die Begegnung mit ihm wieder in den Kopf, als Veronica und ich diesem Gerlach heute morgen auf dem Flur begegnet waren. Nicht zu vergessen der seltsame Wortwechsel zwischen Veronica und Wilhelm kurz nach unserer Begegnung mit dem Botschafter. „Moment mal, was hat euer Hausmeister mit dem Botschafter der Königin zu tun?“
„Wendel ist leicht zu beeindrucken von Leuten wie Gerlach. Wendel gehorcht ihm wie ein Diener und läuft ihm hinterher wie ein treuer Hund.“, sagte Veronica. „Aber was hat dieser Gerlach hier überhaupt zu suchen?“ ,fragte ich weiter. „Ich habe dir doch heute morgen erzählt, dass uns nicht nur das Tageslicht genommen wird, sondern auch Strom, damit wir kein Licht machen können. Gerlach holt den Strom. Jeden Tag ein bisschen. Mal mehr mal weniger, ganz nach den Launen der Königin. Er ist so was wie ihre rechte Hand.“ ,erzählte sie weiter.
„Nicht nur das, er ist gleichzeitig ihr bester Informant. Und Wendel nur Mittel zum Zweck. Gerlach benutzt ihn, um so an Information zu kommen, die er der Königin auf dem silber Tablett servieren kann.“ ,fügte Jeremias hinzu. „Verstehst du jetzt, warum wir alle sagen ,dass du aufpassen sollst?“, fragte Veronica. Oh ja, das tat ich. „Ja.“,antwortete ich ernst. Ich glaubte langsam, dass ich die ganze Sache ein wenig unterschätzte. Wenn ich so über all die Gespräche nachdenke, die ich gestern und heute gemacht hatte und was ich dabei erfahren hatte, musste ich mir eingestehen, langsam ein wenig Angst zu bekommen. Was wenn alle recht hatten, und das glaubte ich zur Zeit, und diese Duretta wirklich so gefährlich war? Und wenn dieser Gerlach tatsächlich ihre rechte Hand war, dann war er nicht weniger gefährlich. Oder? Plötzlich musste ich wieder an meine Haare denken. Und an die Reaktionen der Leute auf das helle Blond. Ich zuckte innerlich zusammen. Auf einmal war mir völlig klar, warum Veronica so reagiert hatte, als wir Gerlach begegnet waren. Er hatte mich gesehen. Es brauchte keinen Wendel mehr, damit er wusste, wer ich angeblich war. Das Mädchen mit dem blonden Haar, das zur Rettung des Volkes kam. Er musste es nur noch seiner Königin sagen und dann war ich die Gejagte. Ich hatte verloren, bevor ich irgendetwas unternehmen konnte, geschweige denn wirklich wusste wo ich war, war es um mich geschehen. Ich war am Ende, bevor es richtig angefangen hatte. Ich schaute auf den Boden. Was soll ich nur machen? Ich wusste es nicht und hatte das Gefühl, dass die Antwort auf diese Frage in immer weiterer Ferne verschwand.
„So, ihr Hübschen, Ich hab noch ein paar Trensen vor mir, außerdem muss ich die Pferde rein holen und draußen ist es nicht mehr allzu hell. Wenn ihr mich also entschuldigt.“, sagte Jeremias und verschwand nach draußen. „Und wir müssen zum Essen, Diana, Eva wartet schon.“ Veronica stand auf und ging zur Tür. Ich nickte und folgte ihr. „Diana? Ist alles in Ordnung?“, fragte sie mich an der Tür. „Ja... nein... also ich muss die ganze Zeit über eure Worte nachdenken, die Sache mit Gerlach, meine Haare....“ ,gab ich zu. „Hey, Diana? Hier bist du sicher. Wir werden nicht zu lassen, das Duretta dich bekommt. In der Burg bist du sicher. Glaub mir!“, sagte Veronica und nahm mich bei der Hand. Ich lächelte ihr dankbar entgegen und folgte ihr ins Speisezimmer, wo Wilhelm und das Essen bereits auf uns warteten. Es gab gebratene Gans und Kartoffeln mit dunkler Soße. Zu meiner Überraschung saßen auch Johann und Jakob mit am Tisch. Ich saß auf dem gleichen Platz wie heute morgen, während die beiden mir gegenüber saßen. „Johann! Jakob!“, rief ich und war beinah erleichtert sie zu sehen. Die beiden lachten und begrüßten mich ebenfalls mit vollem Mund.
Das Essen war köstlich. Der Abend schritt voran, wir unterhielten uns lange am Tisch und Johann gab die Geschichte, wie sie mich gefunden hatten zum Besten. Alle lachten über die Sache mit dem Geist und auch ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Ich musste zugeben, dass das wirklich sehr gut tat. Ich genoss den Abend und war irgendwie froh nicht in meiner U-Bahn zu sitzen.
Kurz nach Mitternacht, zogen sich Johann und Jakob in ihre Schlafstätte zurück, auch Wilhelm trank sein letztes Glas Wein aus, bevor er mit Veronica und mir den Salon verließ. Veronica und ich eilten schnell noch ins Bad bevor wir uns eine gute Nacht wünschten und jeder in seinem Zimmer verschwand.
Natürlich hatte auch ich kein Licht in diesem Zimmer, doch der Mond schien hell und leuchtete mir den Weg zu meinem Bett. Ich kuschelte mich rein und fühlte sofort das mir bekannte IKEA Zettelchen an der Matratze. Morgen, so nahm ich mir vor, würde ich Veronica fragen, wo hier bei ihnen IKEA zu finden war, vielleicht würde ich da ja weiter kommen in Sachen Heimat. Ich schloss die Augen und hatte keine Probleme ins Land der Träume einzutreten. Miles, Veronica´s Pferd war gesattelt und Stand auf der Wiese vor der Burg. Er wieherte mir zu und ich lief los, lachend und singend. Dann stieg ich auf und wir ritten der untergehenden Sonne entgegen...


Kapitel 3 -Der schwarze Wald Teil II-


Ich ritt und ritt. Immer weiter, bis an das Ende der Wiese, vorbei an Sonnenblumen, deren Köpfe der untergehenden Sonne zu gewandt waren. Ich lachte und fühlte mich frei. Miles wieherte ab und zu, als wollte er mit mir lachen. Ich hätte mein Leben lang so weiter reiten können, weit weg von all meinen Sorgen und Problemen. So, als ob mich alles nichts mehr angeht. Doch plötzlich und ganz ohne Vorwarnung verwelkten die Sonnenblumen, alle auf einmal, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.
Ich hörte auf zu lachen. Ich schaute traurig und verzweifelt auf die verwelkten Blumen.
Doch nicht genug.Vor mir tat sich ein riesiger dunkler Wald auf und ich bekam das Gefühl, dass mich die Bäume mit ihrer Schwärze auf sogen wollten. Miles wieherte lautstark und ich zuckte zusammen, dann verschwand die Sonne, so rasend schnell, dass ich keine Zeit hatte mich an die Dunkelheit zu gewöhnen, auf einmal war sie einfach da. Miles stieg und ich hatte keinen Halt mehr... ich fiel... fiel immer tiefer... Ich wollte schreien und hätte es wohl auch getan, wenn nicht plötzlich zwei Hände an meinen Schultern gewesen wären und ich eine Stimme hörte.
„Diana!“ Ich verließ die Welt der Träume. „Diana! Los wach auf!“ Ich öffnete meine Augen. „Veronica?“, murmelte ich verschlafen. „Oh Mensch Diana! Du hast mir vielleicht eine Schrecken eingejagt. Du hast so laut geschrien, ich dachte schon dir wäre was passiert. Aber wie ich sehe geht es dir gut und du hast nur schlecht geschlafen?“ Veronica schaute mich besorgt an. Ich nickte und fühlte erst jetzt, wie verschwitzt ich war, mein ganzes Nachthemd war nass von meinem Schweiß. „Geht es wieder?“, fragte Veronica besorgt. „Ja, ich denke es geht wieder. Danke.“,bestätigte ich. „Du solltest dir ein trockenes Hemd anziehen.“ „Ja, das mache ich.“ Ich stand auf und ging zur Truhe, entschlossen griff ich nach meinem T-Shirt, was wieder sauber in der Truhe lag. Ich schlüpfte aus dem nassen Nachthemd und zog mir mein T-Shirt über. „Was hast du.....“,
weiter kam Veronica nicht. Wir hörten ein Rufen und blickten erschrocken zur Tür. „Veronica!“, rief jemand, der sich wie ein aufgebrachter Wilhelm anhörte. Keine Sekunde später ging meine Zimmer Tür auf und eine aufgeregte und verzweifelte Eva trat ein. „Schnell...das Fräulein Diana muss.... muss sich beeilen...!“, Eva war völlig aus der Puste. „Eva? Was um alles in der Welt ist los?“, fragte Veronica. „Schnell! Sie kommen! Sie kommen und holen Fräulein Diana!“, Eva schrie fast. Plötzlich ging alles ziemlich schnell. Veronica war sofort hell wach und gab Eva Anweisungen mir zu helfen, ich solle mich anziehen und sofort runter zum Stall rennen. Veronica schenkte mir einen eindeutigen Blick zu und rannte zu ihrem Vater, der noch immer nach ihr rief. Ich wusste mich nicht zu verhalten und stand da wie erstarrt. Zum Glück war Eva hier. Sie versuchte mich zurück zu holen, in die Wirklichkeit. „Los los! Sie müssen sich beeilen! Haben sie nicht gehört? Sie kommen! Sie sind schnell!“ Eva fackelte nicht lange und griff sich meine Jeans, warf sie mir zu und suchte weiter nach meinen Socken. Langsam und noch immer im Schock Zustand zog ich meine Hose an. Eva reichte mir meine Socken und Schuhe. Ich hatte das Gefühl Stunden zu brauchen, doch mein Verstand sagte mir, dass ich bloß wenige Minuten gebraucht hatte. Eva schob mich aus dem Zimmer, die Treppe runter...den Flur entlang... die große Treppe runter, in die Eingangshalle. Sie hielt kurz inne. Wilhelm stand an der Tür und lauschte nach draußen. „Diana! Sie sind schneller als ich dachte. Hör zu, lauf in den Stall, Jeremias hat dir ein Pferd gesattelt. Reite über die Wiese in den Wald! Immer weiter hast du gehört. Schau dich nicht um, oder versuch das Pferd anzuhalten. Reite!“ Wilhelm nickte mir kräftig zu. Ich nickte zögernd zurück. Eva schob mich weiter bis zur Tür, wo es zum Stall geht, dort wartete bereits Veronica, sie packe meinen Arm und zog mich weiter. „Hat mein Vater dir erklärt was du tun sollst?“, fragte sie nervös. Ich nickte erneut. „Gut. Los komm, Jeremias hat dir Memory gesattelt.
Sie ist lieb und...schnell.“ Wir erreichten das Ende der Stallgasse. Veronica umarmte mich schnell und nickte mir mutig zu. „Alles wird wieder gut. Morgen holen wir dich zurück, Memory kennt den Wald und wird dich heil zurück bringen. Viel Glück, Diana!“ Sie ließ mich los und drückte mich hinaus in die Dunkelheit.
Hier draußen war es so dunkel, wie in meiner Ankunftsnacht, es gab bloß drei Fackeln, die der Burg von dieser Seite Licht spendeten.
Jeremias stand mit dem Pferd am offenen Gatter der Wiese, deren Weite ich in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte. Ich lief auf ihn zu. Mittlerweile war ich nicht mehr so gelähmt, auch wenn ich immer noch nicht recht begreifen konnte, was hier passierte.
Schließlich erreichte ich Jeremias. Sein fröhliches und lockeres Lächeln von vorhin war verschwunden er wirkte ernst und nervös. Memory tänzelte ebenfalls nervös von einem Bein aufs andere. „Das linke Bein in diesen Steigbügel!“, wies Jeremias mich an.Ich gehorchte. „Und jetzt mit Schwung rüber!“ Ich versuchte es, aber da ich noch nie zuvor geritten war, hatte ich keine Ahnung von alledem und stellte mich ziemlich ungeschickt an. Kurzerhand packte Jeremias meine rechte Wade und drückte mich nach oben. Ich stöhnte und zog mich mit aller Kraft nach oben. Endlich, ich saß, aber alles andere als sicher. Es war verdammt hoch hier oben! „Halt die Zügel nicht so stramm, damit machst du sie nur noch nervöser. Immer locker halten, Diana.“ Ich nickte und ließ dem Pferd mehr Zügel. Jeremias nickte und sagte „Machs gut, Diana. Auch wenn ich dir lieber erst ein paar Reitstunden gegeben hätte, bevor ich dich da draußen in die Wildnis geschickt hätte.“ ,kurz huschte ein Lächeln über sein Gesicht, ich schätzte, er wollte mich aufmuntern. Oder sich selbst, ich wusste es nicht. Schließlich schnalzte er mit der Zunge und Memory gab sich in Bewegung. Ich hatte Schwierigkeiten, mich im Sattel zu halten. Memory tänzelte und schnaubte nervös, während wir immer weiter in die Dunkelheit hinein ritten und uns von dem Fackellicht der Burg entfernten. Der Mond war verdeckt, einzelne Wolkenfetzen hatten sich einfach vor ihn geschoben. Sie nahmen mir auch noch das letzte bisschen Licht, was mir in der Nacht geblieben war. In diesem Moment konnte ich die Ängste der Menschen in diesem Land voll und ganz nachvollziehen. So musste es sich anfühlen, wenn einem das Licht genommen wird.... und auch wie sehr man sich an jede Hoffnung klammern würde, die einen aus dieser Situation befreien würde. Auch eine blonde Hoffnung wie mich. Doch genauso sehr, wie ich ihre Ängste verstand, traten auch meine deutlicher hervor, als es mir in dieser Situation lieb gewesen wäre. Ich fühlte einen dicken Klos im Hals. Wie sollte ich den Menschen helfen? Wie konnte ich ihnen helfen, wenn ich nun selbst auf der Flucht war und keinerlei Ahnung hatte, wie es weiter gehen würde? Ich war den Tränen nach, doch weinen konnte ich nicht. Meine Konzentration galt nämlich weniger mir selbst, sondern Memory. Das Pferd hatte in den Galopp gewechselt, ohne das ich mein Einverständnis gegeben hatte.Ich zog an den Zügeln, doch ich konnte Memory nicht aufhalten. Im Gegenteil, ihre Geschwindigkeit nahm zu. Jagdgalopp? Wahrscheinlich! Nein!, dachte ich innerlich. Das wurde ja immer schlimmer. Ich wusste nicht, wie gut Pferdeaugen sehen konnten, aber ich meinte zu wissen, dass ihre Augen noch lange nicht so gut im Dunkeln sehen konnten, wie beispielsweise die von Katzen. Ich zweifelte, dass Memory jedes Hindernis ausmachen konnte, was sich vor ihr auftat. Einmal hatte ich das Gefühl sie sei umgeknickt, doch an ihrer Geschwindigkeit änderte sich trotzdem nichts. Langsamer! ,schrie es in mir. Ich wusste nicht wie weit der Wald noch entfernt war. 100 Meter? 50 Meter? Mein Herz klopfte immer heftiger in meiner Brust. Ich verspürte eine riesige Angst und wusste meine Gefühle nicht zu kontrollieren. Schließlich gingen sie mit mir durch. „Langsamer!“, schrie ich so laut ich nur konnte. Memory wurde so sehr von meinen Worten überrascht, dass sie vor Schreck ruckartig stehen blieb. Ich hatte nicht damit gerechnet und stieß einen weiteren entsetzten Schrei aus. Memory´s Reaktion beförderte mich auf ihren Hals, den Halt in den Steigbügeln hatte ich verloren. Auch die Zügel hatte ich verloren. Ein fataler Fehler. Memory spürte, dass ich die Kontrolle verloren hatte. Sie wieherte zwei- dreimal. Dann sprang sie hinten hoch, schlug sie mit den vorderen Hufen aus. Alles auf einmal. Ich schrie und kaum zwei Sekunden später flog ich förmlich durch die Luft. Memory hatte mich abgeworfen. Ich landete auf harten Boden, während Memory noch immer mit sich kämpfte, vorne hoch, hinten hoch,... Schließlich stieg sie und ihre panikerfüllten Laute überschlugen sich. Memory beachtete mich keines Blickes, sie warf den Kopf nach oben und galoppierte los. Zurück über die Wiese in Richtung Burg. Ich konnte ihren Lauf nur kurz verfolgen, dann hatte die Dunkelheit sie verschlungen.
Ich blieb zurück, allein, verzweifelt und zitternd. Ich hockte noch immer auf dem harten Boden, kurz unfähig mich zu bewegen. Meine ganzer Körper vibrierte und mein Herz schlug mit im Takt. Ich spürte jetzt deutlich, wie kalte Tränen meine erhitze Wange herunter liefen. Jetzt musste ich mich nicht mehr auf ein Pferd konzentrieren. Das einzige, worauf ich mich konzentrierte, war ich selbst. An Beruhigung war in diesem Moment nicht zu denken. Ich schloss meine Augen und versuchte mich auf mein Herz zu konzentrieren. Nach einer Weile verlangsamte sich mein Puls und damit auch meine Herzfrequenzen. Ich atmete tief durch und bekam mein zitternden Körper wieder in den Griff. Was war das denn jetzt schon wieder? Ein Horrorritt. Ich versuchte langsam und mit wackeligen Beinen aufzustehen. Dann stellte ich erschrocken fest, dass ich mich an Anfang des Waldes befand. Der harte Boden unter mir bildete die Grenze zwischen der Wiese und den ersten dunklen Bäumen. Hätte Memory mich fünf Meter früher abgeworfen, wäre ich noch auf der Wiese gelandet. Hätte sie mich dagegen fünf Meter später abgeworfen, wäre ich wohl gegen einen der dicken Baumstämme gefallen. Ich rieb mir den Hintern. Die Wiese wäre mir lieber gewesen, aber ich hatte mal wieder kein Mitspracherecht gehabt. Ich blickte noch einmal in die Dunkelheit in Richtung Burg, dass Einzige was ich sehen konnte, waren weit entfernte Fackeln, so groß wie mein kleiner Finger. Wie weit war ich geritten? Ich hatte keine Zeit zu überlegen, etwas anderes erregte meine Aufmerksamkeit. Ich blickte angestrengt in Richtung der Fackeln. Immer wieder verschwand eine von ihnen vor meinen Augen und tauchte im nächsten Moment wieder auf. Dann hörte ich Wiehern, das von mehr als einem Pferd kam. Und Rufe, die ich allerdings nicht verstehen konnte, dafür waren die Reiter noch zu weit entfernt. Reiter? Ich schlug mit der Hand vor meinen Mund. Oh Nein! Verfolgten die mich etwa?
Wieder verschwand eine der Fackeln. Tauchte wieder auf, die nächste verschwand und immer so weiter. Ich blickte und überlegte, wahrscheinlich ritt immer einer der Reiter genau vor der Fackel her, so dass ich sie nicht brennen sehen konnte. Aber das bedeutete,... die Reiter wussten wo ich war! Sie kamen unaufhaltsam auf mich zu geritten! Kaum verwunderlich, Memory musste ihnen entgegen gekommen sein! Warum stand ich dann noch hier rum? Wer weiß wie lange sie noch brauchten, bis sie bei mir angekommen waren? Ich begann erneut zu zittern. Suchend schaute ich mich um, doch konnte in der Dunkelheit so gut wie nichts erkennen. Ich hatte genau zwei Möglichkeiten. Erstens, ich blieb wo ich war,, damit würde ich verhindern mich irgendwo zu verlaufen und wäre nicht länger die Gejagte, sondern schon bald die Gefangene. Und Gefangene wurden so weit ich weiß eingesperrt und hatten selten irgendwelche Rechte, was bedeuten würde, diese Leute würden mich nicht gehen lassen, um die nächste U-Bahn zu suchen. Die zweite Möglichkeit, ich renne in den Wald in der Hoffnung mich hinter einem der Bäume verstecken zu können und hinterher , nach dem ich mich verlaufen hatte, irgendwie den Weg in die Stadt zu finden und eine U-Bahnstation. Ich schaute noch einmal auf die Reiter, sie kamen immer näher. Mein Kopf arbeitete auf Hochtouren.
Mein Entscheidung war gefallen, ich drehte mich um und rannte in den Wald. Vorbei an den ersten Bäumen. Dann drehte ich mich um und blieb augenblicklich wie angewurzelt stehen. Ich befand mich mitten im Wald!? Aber ich war doch bloß an ein paar Bäumen vorbei gelaufen!? Ich drehte mich einmal um mich selbst, doch egal in welche Richtung ich schaute, nirgends der Ausgang, nirgends näher kommende Reiter. Ich horchte auf, doch ich konnte auch kein Gewieher oder Stimmen wahrnehmen, Nichts, aber auch rein gar nichts außer Wald war um mich herum. Mein Zittern nahm weiter zu und mein Herz klopfte zu schnell. Ich hatte mein Atem nicht mehr unter Kontrolle. Ich packte mich an den Kopf. Was lief hier schief? So schnell wie heute hatte ich es noch nicht geschafft mich zu verlaufen. Ich war völlig verwirrt schließlich lief ich immer weiter und tiefer in den Wald und die Dunkelheit verschlang mich. Meine Füße überschlugen sich, während ich mich bemühte nicht über jede hervorragende Wurzel zu stolpern. Beruhigt hatte ich mich noch nicht wieder. Alle paar Sekunden blickte ich zurück, aus Angst gleich tauchten die Reiter auf und packen mich. Doch die Reiter blieben aus. Irgendwann blieb ich stehen. Erschöpft lehnte ich mich gegen einen Baum und ließ mich auf den Boden sinken. Ich schloss meine Augen und zog die Knie an, um meine Arme darum zu schlingen. Während ich dort so saß, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf, begleitet von einem leichten Wind, der mich frösteln ließ und mir ein Haarsträhne ins Gesicht wehte.
Eben noch hatte ich in diesem weichen Bett gelegen und geschlafen. Jetzt saß ich hier mitten im Wald und erlebte beinah ein Déja-vu von der vergangenen Nacht, wo ich ebenfalls verlassen im Wald herum geirrt war und nicht wusste wohin. Mit einer Träne im Augenwinkel musste ich an Jakob und Johann denken, die mich gefunden hatten. Heute würde mich keiner finden, dass wurde mir schmerzlich bewusst, diese Nacht war unangenehmer als die letzte. Windiger, kälter ,einsamer. Ich zog meine Beine noch näher an meinen Körper. Ich schluchzte vor mich hin. Ich wollte das alles nicht mehr, ich wollte nach Hause! Weg aus dieser Welt, in der irgend so eine Königin hinter mir her war und die Leute dachten, ich könnte ihnen helfen.
„Manchmal kann die Dunkelheit auch erlösend sein, sie kann dich deinen Kummer vergessen lassen, ihn verstecken, bis es wieder hell wird.“
Ich schluchzte erneut. „Was?“,flüsterte ich leise, mehr zu mir selbst. Ich befürchtete schon verrückt zu sein und Stimmen zu hören, wäre ja nicht das erste Mal. Ich hob den Kopf, den ich zwischenzeitlich auf die Knie gelegt hatte. Mit tränennassen Augen blickte ich in die Dunkelheit. Vorsichtig schaute ich zu allen Seiten, der Mond schien schwach zwischen den dichten Baumkronen hindurch. Die Wolkenfetzen schienen verschwunden.
Doch ich konnte nichts erkennen. Ich schniefte und ärgerte mich beinah über mich selbst,
ich war verrückt! „Du glaubst mir nicht?“ Schon wieder diese Stimme, die ich dieses Mal richtig wahrnahm, sie hörte sich weich, aber auch kraftvoll an.... und männlich. Ihr Klang gefiel mir. Neugierig schaute ich mich um, doch wieder sah ich nichts außer dunkle Bäume in schwaches Mondlicht getaucht. Die Stimme lachte leise. „Vielleicht solltest du deinen Horizont erweitern.“, hörte ich. Meinen Horizont erweitern? „Was heißt hier Horizont erweitern? Und wer spricht da überhaupt?“, fragte ich laut und ließ meinen Blick weiter schweifen. „Du denkst zu eindimensional, dass will ich damit sagen. Ich muss mich nicht mit dir auf Augenhöhe befinden, oder? Also, schau doch mal außerhalb deines Sichtfeldes.“ , hörte ich die Stimme sagen. Ich stutzte. Außerhalb meines Sichtfeldes?.
„Ist dein Nacken steif?“,wurde ich gefragt. „Nein....wieso sollte...“, sagte ich und schon während ich diese Worte aussprach viel mir ein, was die Stimme mir sagen wollte. Ich sollte hoch schauen! Ich tat es und sah im ersten Moment nur dunkle Äste und dichte Baumkronen, die vom Wind hin und her geschaukelt wurden. Dann sah ich ihn. Nur eine vager Schatten unter den Wipfeln der Bäume. Ein schwarze Gestalt im Baum....direkt über mir!
„Was?“,entfuhr es mir und ich wich vom Baum zurück. Blieb jedoch am Boden sitzen und schaute nach oben. Die Gestalt erhob sich aus ihren Sitz und sprang hinunter. Ich hielt den Atem an, ein Sprung aus geschätzten 20 Meter Höhe! Doch ich hatte nichts zu befürchten, der junge Mann landete weich und gekonnt auf dem Waldboden neben dem Baum, vor dem ich saß. Langsam kam er auf mich zu und hockte sich unmittelbar vor mich. Ich begann wieder zu atmen ich sog den ersten Atemzug ein, als sich plötzlich eine Hand in meinen Nacken legte. Ich starrte meinem Gegenüber bloß in die Augen unfähig mich zu bewegen. Die Hand begann meinen Nacken abzutasten. „Nicht steif. Hab ich es mir doch gedacht.“ sagte die Gestalt, deren Äußeres ich im Dunkeln kaum richtig ausmachen konnte. Sie trug schwarze Kleidung, was die Sache noch schwieriger gestaltete. Die Augen waren dunkel und die Haare schienen ebenfalls nicht heller zu sein, als die Kleidung. Ich konnte mich noch so sehr anstrengen, es hatte keinen Zweck. „Sprichst du auch? Oder habe ich dir die Sprache verschlagen?“ Scheint so.,dachte ich, schaffte es aber nicht es laut zu sagen. „Ich...“, begann ich. „Du?“,fragte er. „Ich...“ ich räusperte mich. „Wer bist du?“, fragte ich und war froh, meine Stimme wieder zu haben. „Wichtiger ist, wer du bist.“,war die Antwort. Ich schaute ihm verwirrt in die Augen. „Ich … ich bin Diana.“ „Diana.“ ,wiederholte er und schaute mir tief in die Augen, was mich leicht in Verlegenheit brachte. „Schön das du hier bist.“ „Schön das ich hier bin?“ „Ja, schön das du da bist. Mein Name ist Leonard.“ Mit diesen Worten verschwand die Hand aus meinem Nacken und Leonard stand auf. Er zögerte nicht lange und hielt mir seine Hand hin. „Komm. Oder wolltest du hier übernachten?“ „Äh... eigentlich nicht.“, gab ich zurück und nahm seine Hand. Ich klopfte mir die Hose ab. Morgen, so dachte ich, sehe ich im Hellen bestimmt einige Flecken in der Hose, dabei war sie frisch gewaschen... Leonard wandte sich zum Gehen. Ich zögerte, ob ich ihm folgen sollte, doch dann drehte er sich um und deutete mir ihm zu folgen und so stiefelten wir los. Ich war mal wieder vollkommen ohne Orientierung und musste dem Fremden wohl oder übel vertrauen. „Darf ich fragen, wo wir eigentlich hingehen?“,fragte ich, während ich hinter ihm herlief. „Wir gehen in die Stadt.“ Stadt! Bei diesem Wort musste ich innerlich jubeln. Leonard war mein Retter! Wenn er mich in die Stadt bringt, kann ich endlich wieder nach Hause! Ich war auf einmal ganz aufgeregt. „Und wie lange brauchen wir noch bis dahin?“ „Ich schätze noch zwei Tage.“ Diese Antwort war ernüchternd. Zwei Tage? So schnell wie meine Aufregung gekommen war, so schnell war sie auch schon wieder verschwunden. Ich sagte nichts mehr und blieb für die nächste Stunde still, nur noch damit beschäftigt hinter Leonard zu bleiben. Der Mond wies uns den Weg und Leonard zählte leise vor sich hin. Was auch immer das bedeutete. Nach einer ganzen Weile blieb er stehen. Ich hatte das nicht bemerkt und stieß an seinen Rücken. „Oh, tut mir Leid. Hab wohl nicht aufgepasst.“,sagte ich perplex. Leonard drehte sich zu mir. „Das tust du schon eine ganze Weile nicht mehr, so hab ich den Eindruck.“ „Wie auch? Wenn du wüsstest, wie müde ich bin, können wir uns nicht was zum Schlafen suchen?“
„Hier gibt es nichts.Aber bis heute Abend haben wir die <Hütte der sprechenden Ziegel> erreicht, dort können wir übernachten und von dort aus ist es gar nicht mehr so weit, bis in die Stadt. Ich stöhnte. „Und was machen wir jetzt? Ich meine, wo wollen wir schlafen?“ „Schlafen lohnt sich nicht mehr. Siehst du, der Mond wird bereits blasser. Der Tag bricht an und wenn wir jetzt schlafen würden, werden wir die <Hütte der sprechenden Ziegel> heute Abend nicht erreichen. Und du könntest wieder nicht schlafen. Was ist dir also lieber?“ „Schon gut, ich verzichte jetzt auf meinen Schlaf.“ seufzte ich. „Gute Wahl.“, sagte Leonard und ging weiter. Mürrisch folgte ich ihm.Typisch Jungs! Er war es vielleicht gewöhnt so wenig zu schlafen, ich allerdings nicht! Frustriert ging ich weiter. Leonard hatte recht, der Mond war bald kaum noch zu sehen, der Morgen kam und der Himmel nahm ein zartes blau an. Die Schatten der Bäume wichen zurück und ich konnte endlich wieder den Boden unter meinen Füßen erkennen. Und nicht nur das, meine Hose sah wie ich es erwartet hatte alles andere als sauber aus. Grüne und braune Flecken bedeckten meinen Hintern. Doch noch einen weiteren Vorteil brachte das Tageslicht, ich konnte Leonard genauer betrachten, auch wenn im Moment nur von Hinten. Wie ich vermutet hatte, trug er einen knie langen schwarzen Mantel aus weichem Wildleder. Dazu dunkle Stiefel mit silbernen Schnallen, die bis fast zum Mantel reichten. Ich konnte nur einen kleinen Teil der Hosenbeine sehen, wie es aussah trug er eine dunkelgrüne Stoffhose. Ich schaute auf und betrachtete seine Haare. Sie waren nicht kurz, aber auch nicht lang. Vielleicht sieben oder acht Zentimeter lang, leicht gewellt und standen wild in alle Richtungen ab. Die Frisur war nichts besonderes, dafür aber seine Haarfarbe. Sie ließ mich stutzig werden. Überwiegend waren seine Haare schwarz, allerdings hatte er einzelne Strähnen, die blond oder leicht orange waren. Nachdem, was ich über Duretta und Haare gehört hatte, überlegte ich, woher er die Strähnen hatte, wenn doch alle, die ich bisher hier getroffen hatte nur dunkle Haare -ohne sämtlichen Farbzusatz- hatten. Ich würde ihn später danach fragen. Ich schaute mich um, doch immer noch waren alle Bäume gleich. Wir liefen mitten durch den Wald und folgten keinem Weg. Gab es so was hier überhaupt? Bisher hatte ich noch keinen Weg oder einen Pfad gesehen. „Warum laufen wir mitten durch den Wald? Gibt es keine vorgesehenen Wege?“, fragte ich deshalb. „Nein, in diesem Wald gibt es keine Wege.“ „Und warum?“ „Weil hier nur selten Leute durchlaufen. Deshalb.“ Ich nahm die Antwort so hin und dachte an Duretta, die Leute hatten bestimmt zu viel Angst durch den <schwarzen Wald> zu laufen. Ich hatte auch ziemlichen Respekt, allerdings fühlte ich mich im Moment sicher. Was wohl an meiner männlichen Begleitung lag. Ich musste Lächeln. „Warum auf einmal so fröhlich?“ Ich hatte nicht bemerkt, das Leonard sich umgedreht hatte und rückwärts lief. Was sollte ich sagen? Im ersten Moment konnte ich gar nichts sagen, das erste Mal sah ich sein Gesicht im Hellen. Ich war überrascht, was für ein hübscher junger Mann sich hinter einem schwarzen Mantel und Lederstiefeln zeigte. Seine Augen waren tief braun, seine Stirnhaare wippten im nur leicht ins Gesicht, weitgehend wirbelten sie außerhalb seines Gesichtes herum.Ich konnte auch erkennen, dass die Haare über den Ohren kürzer und dem wilden Tatsch seiner Haare doch so etwas wie eine Art Frisur gaben Seine Nase war mit das Schönste fand ich. Sie war gerade und passte sehr gut zu seinen hohen Wangen Knochen „Ich... ääh.. also, ich … hab Hunger.“ „Hunger? Also ich bin nie fröhlich, wenn ich Hunger habe. Im Gegenteil, dann sinkt meine Laune eher.“,sagte er skeptisch. Ich ahnte, dass er mir nicht glaubte, hoffte aber, dass er keine weitere Antwort von mir verlangte. Ich hatte Glück. „Du hast Glück, ich habe noch ein bisschen zu Essen, wir können es uns teilen.“ ,er deutete auf seine Umhängetasche, die mir noch nicht aufgefallen war. Ich nickte. „Das wäre wirklich nett. Wenn schon nicht schlafen...“ Leonard lachte und öffnete die Schnallen seiner Tasche.
Er blieb stehen und holte einen Apfel und eine Tüte Rosinen heraus. „Mehr habe ich leider nicht. Wenn ich gewusst hätte, dass ich dich treffe, hätte ich mehr mitgenommen.“
Er reichte mir die Tüte mit den Rosinen.“Danke.“, sagte ich und griff beherzt in die Tüte.
Leonard nahm den Apfel und überließ mir die Rosinen. Er sagte nichts, nicht einmal, ob ich ihm etwas abgeben würde. Eigentlich unfair, ich aß eine ganze Tüte Rosinen und er nur einen Apfel. Aber ich war dankbar, dass er sie mit überließ und fühlte mich gleich wieder besser, etwas im Magen zu haben, wer weiß, wann ich das nächste Mal was bekam. Dann ging es ohne Rast weiter, wir liefen weiter durch den Wald, Leonard zählte immer wieder und ich lauschte dem Wald und erhaschte immer mal wieder ein Eichhörnchen.Gerade hatte ich wieder eines gesehen, dass kleine Ding knackte genüsslich eine dicke Nuss, ich beobachtete es und musste glucksen, wie niedlich! Die Nuss schien viel zu groß. Dann kam eine weiteres Eichhörnchen und versuchte, sich die Nuss zu holen, doch das Eichhörnchen mit der Nuss zögerte nicht lange und sprang in den nächsten Baum, allerdings... plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung verschwand das Eichhörnchen mitten im Flug. Erschrocken blickte ich zu Boden, vielleicht war es gestürzt? Doch nichts. Ich blieb verwundert stehen. Schaute noch mal genauer hin, aber das Eichhörnchen blieb verschwunden. „Was ist?“, fragte Leonard verwundert. „Hast du das gesehen?“, fragte ich. „Was soll ich gesehen haben?“ „Das Eichhörnchen mit der Nuss.... es ist..... mitten in der Luft verschwunden....“, stotterte ich. Leonard schaute auf den Baum, wo nur noch das zweite der beiden Eichhörnchen saß. „Wie meinst du das? Mitten in der Luft verschwunden?“ „Es ist gesprungen, wollte von einem Baum auf den anderen springen, siehst du, ich meine den Baum, der schräg hinter dem steht, wo das andere Eichhörnchen noch sitzt, da wollte es hin, als es sich plötzlich in Luft aufgelöst hat.“ ,erklärte ich. Leonard sagte nichts. Er überlegte bevor er ansetzte: „Sag mal, kann es sein, dass du ...die Regeln dieses Waldes noch nicht kennst?“ Ich stutze, „Was für Regeln?“ „Ich zeig es dir. Pass auf.“ Leonard ging auf den Baum zu, wo das Eichhörnchen hin springen wollte, er hatte ihn erreicht und …. war verschwunden. Wie verschluckt. Ich bekam Panik. „Leonard!“, rief ich verzweifelt. „Das ist nicht lustig! Komm wieder raus! Hörst du! Ich finde das nicht witzig! Leonard!“ Er war verschwunden. Ich zögerte nicht länger und rannte ebenfalls auf den Baum zu. Ich erreichte ihn. „Leo...“ ,brachte ich gerade noch heraus, als ich plötzlich mit ihm zusammen stieß. Leonard packte mich an den Oberarmen und wirkte beinah so erschrocken wie ich. Kurz starrte ich ihm bloß in die Augen. „Was...?“ „Leo gefällt mir ganz gut. Kannst mich weiter so nennen.“ ,er lächelte. „Das Eichhörnchen hat die Nuss im Übrigen geknackt.“, fügte er hinzu. Ich war unfähig etwas zu antworten. „Weißt du jetzt, was ich mit „Regeln“ meine?“ ,fragte er. Ich schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Er seufzte. „dann muss ich es dir wohl anders zeigen, was?“ Ich nickte. Leonard ließ mich los und trat näher an den Baum heran. „Komm her.“ Ich gehorchte. „Umarme diesen Baum.“ „Ich...soll was?“, fragte ich ungläubig. Leonard deutete auf den Baum. Ich trat heran und streckte meine Arme aus. Langsam legte ich sie um den Baum und stockte, je weiter ich den Baum umarmte, desto weiter verschwanden meine Arme. Sie waren wie weg! Wie unsichtbar! Ich zog sie zurück und je mehr ich dies tat, desto mehr war von ihnen wieder zu sehen. Bis ich schließlich meine Hände betrachte, alles wieder da. „Wie geht das?“,fragte ich und schaute ihn an. „Du musst dir das so vorstellen, dass es hier so eine Art unsichtbare Grenze gibt. Überschreitest du sie, befindest du dich in einem anderen Stück des Waldes, vielleicht sogar unmittelbar vor einem Haus, oder vor einem See. Das ist ganz unterschiedlich. Je nachdem, welchen Teil du betrittst. Solche Grenzen gibt es hunderte hier im Wald. Da vorne zum Beispiel“, Leonard zeigte in die Richtung, aus der wir eben gekommen waren. „Da ist auch so eine Grenze. Wir sind durchgegangen, ohne es zu merken. Ich wusste zwar, dass dort eine ist, aber man spürt nichts, wenn man hindurch geht. Verstehst du?“ Er sah mich fragend an. Ich verstand es, sofort fiel mir meine Ankunft mit Johann und Jakob auf <Burg Wilhelm> ein. Es war genau das selbe gewesen! Ich hatte mich noch so gewundert, wie wir so plötzlich vor einer Burg stehen konnten, obwohl wir doch mitten im Wald gewesen waren. Ich hatte gedacht, dass man die Burg schon von weitem hätte sehen müssen! Es war so klar! Sicher, dort muss auch so eine Grenze gewesen sein, deshalb konnte ich die Burg auch nicht schon früher sehen! Ich suchte nach Worten. „Das ist ja unglaublich!“, sagte ich fasziniert. „Leo.. deshalb zählst du auch immer! Hab ich recht? 18, 5,44. Du zählst die Bäume bis zur nächsten Grenze!“ Jedes Puzzle Teil fügte sich zusammen, als Johann und Jakob mir den Weg in die Stadt erklärt hatten, sie hatten mir Zahlen gesagt, so und so viele Schritte nach Nordwesten....Vorbei an der <Hütte der sprechenden Ziegel>...Alles machte einen Sinn! Ich war mehr als erstaunt, wie seltsam diese Welt doch war, und ich mitten drin. „Oh man, und ich dachte, du wüsstest das alles schon!“, sagte Leonard und schüttelte mit dem Kopf. Dann lachte er. „Du musst noch einiges lernen, Diana. Na komm, wir sollten weiter gehen!“,spontan nahm er meine Hand und führte mich weiter, wer weiß viel viele Grenzen wir noch überschreiten würden....


4 Kapitel -Ruine im schwarzen Wald-


Der Tag verlief ohne weitere Zwischenfälle, was mich sehr beruhigte. Nun wunderte es mich auch nicht mehr, dass Leo, wie ich ihn ab jetzt nannte, immer wieder die Bäume zählte. Schließlich wusste ich jetzt, warum er das tat. Ich fragte mich allerdings, woher er immer genau wusste, wie viele Bäume er zählen muss und weiß, wohin die einzelnen Grenzen führen. „Das ist eigentlich gar nicht so schwer.“,sagte er mir. „Es gibt Bücher und Karten darüber, wo welche Grenze sich befindet und wo sie hinführt. Wichtig ist, zu wissen, wo man hin möchte. Außerdem sollte man sich nicht verzählen. Einmal verzählt, landet man irgendwo anders, wo wiederum neue Zählabstände gelten, damit man dort hin kommt, wo man ursprünglich, also bevor man sich verzählt hatte hin wollte.“ „Das hört sich aber alles andere als einfach an, wenn du mich fragst.“ „Dann ist ja gut, dass ich dich nicht gefragt habe,was?“, lachte Leo. Ich boxte ihn in die Seite. Leo griff in seine Tasche und holte einen Kompass hervor. Es war ein schöner Kompass, ein silbernes Médaillon zum Aufklappen und versehen mit einem schwarzen geflochtenen Lederbändchen. Leo öffnete es und schaute auf den Kompass. „Wir haben Glück, wir sind noch auf dem richtigen Weg.“, sagte er und klappte den Kompass wieder zu, um ihn in seiner Tasche verschwinden zu lassen. „Da bin ich aber beruhigt.“, antwortete ich.
„Ich auch.“, sagte er und begann erneut zu zählen. Ich ließ ihn machen und hielt mich leise im Hintergrund. Es vergingen weitere zwei Stunden, bevor wir eine kleine Pause zwischen hoch gewachsenen Bäumen machten. Leo ließ sich auf den kalten Waldboden nieder und suchte etwas in seiner Tasche. Ich blieb unschlüssig stehen. Dann blickte er auf. „Warum setzt du dich nicht zu mir?“ „Im Gegensatz zu dir besitze ich keine Wechselkleidung und meine Hose sieht schon schlimm genug aus.“ ,antwortete ich und begutachtete meine Hosenbeine. Leo blickte an meinen Beinen entlang. Warum auch immer, meine Gesichtsfarbe wechselte von normal auf dunkel rosa. Vielleicht lag es daran, wie er meine Beine ansah. Nämlich nicht so, als suchte er nach Flecken in der Hose, jedenfalls schien es mir so. Wer weiß.... Ich räusperte mich deutlich und wandte ihm den Rücken zu. Meine Reaktion kam mir einen Augenblick später etwas übertrieben vor und ich fluchte innerlich, der sollte sich bloß nichts darauf einbilden.Hinter mir hörte ich ein leises Lachen. Abrupt drehte ich mich um. Eigentlich wollte ich ihn wütend anstarren, aber meine Augen sahen in zwei freundliche braune Augen, die nichts spöttisches in sich hatten. Im Gegenteil, sein Augen lachten mit, wenn er so lachte wie jetzt. Es war ein liebes und freundliches Lachen, eines das mir unwillkürlich eine Gänsehaut bereitete, eine angenehme Gänsehaut. Verwundert über mich selbst, rieb ich mir meine Arme und wartete, bis sich meine Härchen wieder beruhigten. „Was...?“, setzte ich an. Doch Leo schüttelte nur lachend mit dem Kopf und erhob sich schließlich aus seinem Sitz. „Wenn du dich nicht hinsetzten kannst, sollten wir weitergehen. Ausruhen können wir uns auch noch heute Abend in der Hütte.“ Ich sagte nichts. Leo ging voraus. „Wie lange müssen wir denn noch laufen?“, fragte ich . „Nicht mehr lange. Dreiviertel der Strecke haben wir bereits geschafft. Es gibt auch eine Abkürzung, allerdings weiß ich nicht, wo sich die Grenze befindet.“ Kurz blieb er stehen und schaute sich aufmerksam um. „Was ist? Warum bleibst du stehen?“ „Ich überlege, wo die Grenze ist, die Abkürzung. Ich glaube, sie ist... fünf nordwestlich... zwölf südöstlich...“ „Moment, du glaubst? Aber sicher bist du dir nicht? Du hast doch selbst gesagt, wenn am sich verzählt....“ ,zweifelte ich an seinem Vorhaben. „Aber wir könnten es doch trotzdem probieren. Selbst wenn ich mich täusche, dann gibt es immer noch einen anderen Weg zur <Hütte der sprechenden Ziegel>.“ „Wäre das dann kein Umweg, ich meine, wenn du dich irrst?“ Leo zuckte mit den Schultern. „Gut, dann entscheide du, Risiko oder Pause erst heute Abend?“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Eine Abkürzung, das hörte sich wirklich sehr verlockend an. Außerdem taten mir langsam meine Beine weh und ich hatte Hunger, dass letzte hatte wir schließlich am Morgen gegessen und nun war Leo´s Vorrat aufgebraucht. Ich überlegte. „Na gut. Wir nehmen die Abkürzung.“ Leo nickte und begann zu zählen. Ich wusste nicht wann, aber irgendwann überschritten wir eine Grenze und kurz darauf noch eine. Leo sagte: „Diana, wir haben es so gut wie geschafft, noch eine Grenze!“ „Echt?“ Ich freute mich richtig und rieb mir schon die Hände. Endlich! Eine Hütte, ein Platz um nochmal richtig zu schlafen ,sich zu waschen und etwas zu Essen. Ich seufzte erleichtert und lächelte. „Zwölf. Hier müsste dir Grenze sein.“, sagte Leo. „Dann wollen wir mal.“ ,sagte ich. Wir schritten zwischen zwei hohen Bäumen hindurch und vor meinen Augen bildeten sich in Sekundenschnelle Umrisse einer alten Burgruine. Gerade noch überlegte ich, warum diese Ruine als <Hütte der sprechenden Ziegel> bezeichnet wird, als Leo neben mir eine „Mist“ von sich gibt. „Sag mir bitte nicht, du hast dich geirrt?!“, flehte ich. „Ich gebe es nur sehr ungern zu, aber ich fürchte ja, ich habe mich verzählt.“,antwortete Leo und begann auf die Ruine zuzugehen. Ich folgte ihm. „Dann sag mir wenigstens, dass der Weg nicht länger geworden ist, ich meine bis zur Hütte.“ ,flechte ich weiter. „Auch hier würde ich dir gerne eine andere Antwort geben. Aber ich muss leider sagen, ich weiß es nicht. Ich war hier noch nie.“ „Was?“,ich war ungemein verzweifelt. „Was heißt das? Du warst noch nie hier? Heißt das, du hast überhaupt keine Ahnung, wie wir hier wieder wegkommen? Heißt das, wir haben uns verlaufen?“ Ich kreischte und hörte mich mehr als hysterisch an. „Ich fürchte ja.“, das war seine Antwort. Verzweifelt packte ich mir an den Kopf. „Was machen wir jetzt?“, fragte ich. Leo überlegte, kam vorläufig jedoch zu keiner akzeptablen Antwort. Na toll!
Ein wütender Klos entstand in meiner Kehle. „Ich habs gewusst! Ich habe es die ganze Zeit über befürchtet! Und da sagst du selbst noch, das es nicht gut, überhaupt nicht gut ist, wenn man sich verzählt! Warum bin ich überhaupt mit dir gekommen?!“ schrie ich wütend und stampfte mit den Füßen auf den harten Boden. Leo setzte an und wollte etwas erwidern. Doch ich ließ ihm keine Gelegenheit. Frustriert und aufgebracht wandte ich mich von ihm ab und stürzte mit schnellen Schnellen Schritten auf die Ruine zu. Alleine war ich wohl doch besser dran! Während ich wie eine Furie auf die Ruine zu rannte, hörte ich hinter mir, wie Leo mir etwas zu rief: „Gibst du mir jetzt die Schuld? Du hast entschieden, weißt du nicht mehr!“. Es hörte sich genauso wütend an, wie ich mich fühlte. Ich schaute nicht zurück und verschwand stattdessen in der Ruine. Erst, als ich im ersten Raum angekommen war und nur schwaches Licht durch Löcher in der Steinmauer kam, nahm ich wahr, dass es draußen gar nicht mehr so hell war. Die wenige Sonne, die es hier überhaupt noch gab schwand von Minute zu Minute. Die Schatten im Burginnern wurden länger und unheimlicher zugleich. Doch meine Wut überblendet jeglichen Anflug von Angst oder Sorge. Gezielt durchquerte ich Raum für Raum. Die Ruine hatte zwei Etagen. Ich schaute mir zunächst die untere an. Hier war es besonders dunkel und ich fröstelte leicht. Viel war hier nicht mehr. Nur noch kahle Steinwände und Unkraut, welches aus allen Fugen wuchs. Diese Burg schien mir zu Lebzeiten nicht besonders groß gewesen zu sein. Schnell hatte ich alle Räume, oder dass, was von ihnen übrig geblieben war betrachte und führte meine Erkundungstour im Obergeschoss weiter. Ich stieg die steinerne Treppe nach oben. Das erste, was mir auffiel, die Ruine hatte kein Dach mehr. Ich blickte in eine Himmel, der bereits mit fahlem Mondlicht und einer weit zurückgezogenen Sonne geschmückt war. Ich ging weiter und zählte genau vier Zimmer, deren abtrennenden Wände zum Teil schon herunter gebrochen waren oder große Löcher aufwiesen. Einmal erschreckte ich, stellte dann aber zu meiner eigenen Beruhigung fest, dass es bloß eine Ratte war, die sich hierher verlaufen hatte. Verlaufen, das war ein gutes Stichwort. Erst jetzt meldete sich mein Gewissen. Hatte Leo nicht recht gehabt? Hatte ich nicht entschieden, die Abkürzung zu nehmen? Ich biss mir auf die Lippe. Schließlich ging ich zu einem Fenster, oder was davon noch als Fenster zu identifizieren war und schaute hinaus in die anbrechende Nacht. Die hohen dunklen Bäume sahen finster aus und ließen einen erneuten Klos in meiner Kehle aufsteigen. Diesmal nicht vor Wut, diesmal vor Angst. Besorgt und ängstlich schaute ich mich um, immer wieder darauf bedacht, den dunklen Wald dabei zu meiden, was jedoch alles andere als einfach war, schließlich war diese Ruine umringt von dunklen hohen und angsterregenden Bäumen mit mächtigen Schatten und undefinierbaren Gefahren. Ich suchte nach Leo. Doch dort, wo ich ihn zurückgelassen hatte, konnte ich nichts mehr erkennen. Plötzliche bekam ich das Gefühl, dass die Nacht mich verschlingen würde, viel zu schnell für meinen Geschmack. Mit einem dicken Klos und zitternden Beine lief ich zur Treppe und tastete mich an der wand entlang nach unten, ins noch dunklere Untergeschoss. Eine unangenehme Stille lag in den Räumen. Ich wollte eine Schritt nach draußen machen, als mir der Wald wieder in den Sinn kam. Ich zögerte, und trat schließlich zurück. Ängstlich und ratlos lehnte ich mich an eine der Wände und blieb regungslos stehen. Ich schloss meine Augen und spürte meinen Puls deutlich in meiner Ader pulsieren. Zum Glück aber hörte ich mein Herz nicht schlagen, sondern spürte nur meinen Puls, wäre es anders herum, hätte ich vielleicht die Geräusche draußen nicht wahrgenommen. Zuerst waren sie noch weit entfernt, doch sie näherten sich. Ich öffnete die Augen und erschrak im ersten Augenblick vor der Dunkelheit, die mich umgab. Dann konzentrierte ich mich auf das, was von draußen kam. Wiehern, schnaufen, Hufeisen auf dem harten steinigen Boden. Danach Stimmen. Männer Stimmen. Ich drückte mich enger an die Wand. Auf der gegenüberliegenden Seite fiel ein leichter Fackelschein durch eines der Löcher in der Mauer der Ruine. Leo! Schoss es mir mit einem Mal durch den Kopf. Das da draußen war bestimmt nicht Leo! Wo war er nur? Hoffentlich in Sicherheit. Meine Pulsfrequenz stieg sekündlich .Eine weitere Fackel verharrte nur wenige Meter bei einem weiteren Loch, was kaum mehr als fünf Meter von mir entfernt war. Ich hielt den Atem an, wenn ich mich bald aus dem Staub machte, würden sie mich entdecken. „Jim? Hier ist niemand!“, brüllte jemand. „Ja, ich glaube auch nicht, dass hier einer beziehungsweise eine, also diejenige, die wir suchen hier ist.“, sagte eine andere Stimme. „Ihr habt recht, außerdem würde unsere Blondine leuchten, schließlich ist sie das Licht in der Dunkelheit, wie unsere Königin es ausdrücken würde.“ „Meinst du , wir können gehen?“ „Vielleicht, aber wir uns sollten da drinnen noch umschauen.“, mit diesen Worten wurde aus dem fahlen Fackelschein ein deutliches Licht. Jemand war näher heran getreten, wenn er jetzt noch ein, zwei Schritte machte, wäre ich entdeckt. Und dann wäre alles vorbei! Denn nun stand außer Zweifel, das waren die schwarzen Reiter, die mich schon von Wilhelms Burg holen wollten, sie waren mir gefolgt! Wahrscheinlich musste ich diesem Wald da draußen auch noch dankbar dafür sein, dass es das so viele verschiedene Grenzen gab, die überall hinführen konnten und verhindert hatten, dass sie mich nicht schon früher gefunden hatten. Ich zitterte stärker. Was soll ich nur machen? Meine Lippen bebten. Meine Augen waren starr auf die Fackel gerichtet. „Ok, dann wollen wir mal, ich nehme mir die obere Etage vor.“ Oh Nein! Ich presste mich mit aller Kraft gegen die Wand und hoffte inständig nicht entdeckt zu werden. Ein hochgewachsener Mann betrat die dunkle Ruine mit einer Fackel! Ich schrie innerlich. Doch ich hatte undenkbares Glück, ohne sich um zuschauen stieg der Mann die Treppe nach oben. Ich löste mich langsam von der Wand. Ich muss hier weg! Und zwar sofort! Nur wohin? Weiter rein zu gehen, damit würde ich nur hinauszögern, dass sie mich finden, raus konnte ich auch nicht, dann würden sie mich sofort entdecken. Ich überlegte fieberhaft. Dann war es zu spät, ein weitere Mann, nicht kleiner als der erste betrat mit der zweiten Fackel die Ruine, dieser hatte bestimme nicht vor, ebenfalls die Treppe hinauf zu steigen. Ich löste mich vollständig von der Wand. Langsam und mit leisen Schritten ging ich rückwärts in das Innere der Ruine hinein. Ich schaute nicht nach hinten. Der Mann hielt die Fackel hoch, um den Raum erfassen zu können, zuerst leuchtete er mit der Fackel dorthin, wo ich bis vor einer Minute noch gestanden hatte. Dann weiter zur Treppe... Ich spürte eine Wand im Rücken. Hier ging es wider nicht weiter. Wenn ich links an der Wand entlang ginge, würde mich der Mann nicht sehen, das wäre somit die einzig vernünftige Entscheidung.
Ich ging mit dem Rücken weiter in die Dunkelheit und behielt den Fackelschein im Blick. Der schwankte langsam auf mich zu. Meine Zittern hatte nicht nachgelassen. Mein Körper war angespannt und ich bewegte mich in Zeitlupe. Den Fackelschein immer im Blick, eine Hand immer an der Wand, Sekunde für Sekunde. Plötzlich legte sich eine Hand auf meinen Mund, mein Schrei erstickte kläglich. Panik stieg in mir auf. Wie konnte das passieren? Ich hatte doch so gut aufgepasst! Den Tränen nah kämpfte ich gegen meine Wut und meine Angst. Ich wurde nach hinten gezogen, weiter in die Dunkelheit. Ich versuchte mich aus den Fängen zu befreien. Doch es gelang mir nicht, stattdessen wurde ich mit dem Rücken gegen eine Wand gedrückt und jemand stellte sich dicht an mich, um mich zu schützen. Leo! Erleichterung machte sich in mir breit. Das Zittern ließ nach und ich konnte nichts weiter tun, als ihm in die Augen zu schauen. Ich fühlte mich wie gerettet, jedoch waren wir noch lange nicht in Sicherheit. Leo kam ganz nah an mein Ohr und flüsterte: „Kann ich deinen Mund loslassen, oder schreist du dann?“, er sah mich ernst an. Ich verneinte. Die Hand verschwand langsam. Ich atmete vorsichtig aus. Leo wand seinen Blick ab und blickte in Richtung des Fackellichtes. Der Mann war bereits nicht mehr weit von uns entfernt. Leo schaute mir wieder in die Augen. „Auf dieser Seite ist kein Ausgang! Wie müssen auf die andere Seite, vorbei an dem Mann!“ Ich starrte ihn an. „Wie wollen wir das schaffen?“ ,fragte ich leise. „Rennen. Ich renne vor und kommst hinter mir her. Und wenn wir draußen sind müssen wir auf dem schnellsten Weg in den Wald und hinter einer der Grenzen verschwinden!“ Ich nickte. Trotzdem war ich unsicher, ob wir es schaffen würden. Dann packte er meine Hand und zog mich leise von der Wand. Wir gingen auf den Fackelschein zu. Kurz schloss ich meine Augen. Das würden wir nie schaffen! Der Mann mit der Fackel kam mit jedem Schritt näher. Doch Leo ging unaufhaltsam auf ihn zu. Ich bekam Angst und immer mehr Zweifel. Ich wollte ihn schon zurück halten, als plötzlich eine Männerstimme zu hören war. „Also, hier oben ist nichts. Ich habe alles durchgeschaut. Außer Ratten nichts zu finden.“ Der Mann, der oben gewesen war, kam die Treppe herunter. Genau in diesem Moment drehte sich der andere Mann, der in unserer Nähe stand um, und ging zurück zur Treppe. „Ich habe hier auch noch nichts entdeckt.“, sagte er. Ich lauschte den Männern, bis ich unsanft weggezogen wurde. Ich hatte nicht damit gerechnet und stolperte. Jetzt ist alles vorbei! ,dachte ich. Ich fiel hin und zwar genau im Schein der Fackel. Ich starrte in vier schwarze Augen, die Reiter hatten mich gesehen! „Nein!“,rief Leo, der immer noch meine Hand hielt. Bevor die Männer reagieren konnten und mit Gebrüll auf uns los stürmen konnten, zog Leo mich schnell wieder auf die Beine und rannte gemeinsam mit mir auf die andere Seite in die Dunkelheit, die Seite, wo sich der Ausgang befand.
Die Männer folgten uns und waren alles andere als langsam. Leo war aber auch nicht langsam, er wusste genau, wo er hin wollte. Ich achtete nicht darauf, wo er mich hin führte, sondern blickte stattdessen immer wieder zurück und schaute nach der Fackel und den dunklen Gestalten, die uns folgten. Einmal musste ich durch ein kleines Loch schlüpfen, kaum war ich durch, sogen sich meine Lungen mir eisiger Nachtluft voll. Wir waren draußen! Leo ließ meine Hand los und rief mir zu: „Lauf, Diana!“ Ich gehorchte und rannte hinter ihm her. Hinter mir hörte ich Pferde wiehern und Männer, die sich gegenseitig Befehle zu riefen. Sie folgen uns! Panisch versuchte ich schneller zu laufen, doch mein Knie begann bei jedem Schritt schmerzhaft zu pochen. Als ich gestürzt bin, musste ich mich am Knie verletzt haben. Ich versuchte den Schmerz zu ignorieren. Doch der Abstand zwischen Leo und mir wurde schon bald größer und bekam bald Schwierigkeiten ihm zu folgen. Ich rannte schließlich ohne über etwas nachzudenken. Ich wusste nicht wann ich den Übergang zwischen Wiese und Wald gefunden hatte. Die Stimmen hinter mir verschwanden plötzlich und ich wusste, ich hatte eine Grenze übertreten. Ich war in einem Stück Wald gelandet, das außer hohen Bäumen nichts zu bieten hatte. „Diana!“, Leo packte mich am Arm und zog mich hinter einen Baum. „Hier können sie uns noch finden! Wir müssen weiter und noch mindestens noch eine weitere Grenze zwischen uns bringen.“, sagte er und blicke kurz an mir vorbei, um sich zu vergewissern, dass uns die Männer noch nicht eingeholt hatten. „Gib mir einen deiner Schuhe!“, forderte er mich auf. Ich zögerte, „Was willst du mit meinem Schuh?“ „Diana ,
bitte, gib ihn mir einfach! Ich kann es dir später erklären, aber jetzt musst du mir vertrauen!“ Er schaute mich intensiv an und ich hatte keine Worte mehr, um ihm zu widersprechen. Ich beugte mich hinunter und öffnete meinen Schuh. Kaum hatte ich Leo meinen Schuh gegeben, flog dieser schon durch die Luft und landete ein ganzes Stück weit weg von uns, in der Dunkelheit konnte ich ihn so wie so nicht sehen, daher konnte ich auch nicht sagen, wie weit er geflogen war, sprich wie weit Leo ihn weggeworfen hatte. Ich wollte protestieren und ihn wütend fragen, was er nun schon wieder angestellt hatte, doch dazu hatte ich keine Gelegenheit, Leo umfasste erneut mein Handgelenk und zog mich aus dem Schutz des Baumes. Wir liefen Gerade aus, und entfernten uns immer weiter von meinem Schuh. Nervös hörte ich Leo neben mir zählen. Ich schaute mich um und stellte gerade fest, dass die Männer gerade in den gleichen Waldteil gekommen waren, als wir auch schon verschwanden. Die nächste Grenze, Leo hatte sie gefunden und uns in den nächsten Teil befördert, bevor die Männer uns entdeckt hatten. „Hier wären wir wohl erstmal sicher.“, sagte er und rang nach Luft. Auch mir war die Luft ausgegangen. „...bin ...selten...so gerannt.“ brachte ich hervor. Wir blieben stehen, diesmal ungeschützt. Ich wartete darauf, dass sich mein Atem beruhigte. Während wir so da standen, spürte ich das Pochen in meinem Knie, und es kam mir schmerzhafter vor, als zu vor. Ich rieb mir das Knie. „Was ist? Hast du dich verletzt?“, fragte Leo besorgt. Er schien wieder bei Atem zu sein. Ich nickte. „Ich kenne diesen Teil des Waldes, ich glaube, nein ich weiß, dies wäre vorhin unsere Abkürzung gewesen. Es ist also wirklich nicht mehr weit bis zur Hütte. Meinst du, du schaffst es noch?“ Ich nickte wieder. Leo nickte ebenfalls und griff nach meiner Hand. „Gut, dann lass uns gehen.“ Leo zählte und wir gingen ein paar Schritte nach Norden, drei Minuten später standen wir vor einer kleinen Holzhütte, die mir umgeben von hohen Bäumen wie ein dunkler Klumpen im Nichts vor kam. „Wir haben es geschafft.“,erleichtert drückte Leo meine Hand.


Kapitel 5 - Hütte der sprechenden Ziegel-


Leo drückte kräftig mit seinem Körper gegen die Tür, mit einem lauten Knacken öffnete sie ächzend. Dann traten wir ein, drinnen war es noch dunkler, als es draußen so wie so schon war. „Warte hier!“, wies er mich an und verließ Hütte. Ich blieb zurück in der Dunkelheit, doch musste nicht lange auf ihn warten. Leo kam mit einer brennenden Kerze wieder rein und ermöglichte uns, in der Hütte mehr zu erkennen, als nichts sagende Schemen. „Ich musste sie draußen im Mondschein in meiner Tasche suchen.“, beantwortete er meine Frage, woher er die Kerze habe. Leo beleuchtete die Hütte Stück für Stück. „Wir haben Glück, hier sind noch zwei alte Kerzen.“, sagte er und hielt die Flamme seiner Kerze an die Dochte der anderen. Nachdem nun drei Kerzen leuchteten, konnte man endlich mehr erkennen. Leo verteilte die Kerzen im Raum. Die Hütte bestand nur aus einem Raum. Gegenüber der Tür, befand sich ein offener Kamin, der ziemlich verrucht und mit einiger kalter Asche gefüllt war. In der Mitte stand eine Holzbank mit einem kleinen Tisch, worauf Leo eine der Kerzen stellte. „Setz dich!“, sagte er und zeigte auf die Bank. Ich humpelte zu ihr hin und ließ mich nieder. Leo stellte eine zweite Kerze auf eine Sprosse einer Leiter, die scheinbar nach oben führte. Ich wunderte mich, dass die Hütte eine weitere Etage hatte. So groß hätte ich sie nicht eingeschätzt. Die Leiter befand sich links von mir. Während auf der rechten Seite nur noch eine kaputte Kommode stand, der mehrere Schubladen fehlten. Doch reichte sie aus, eine Kerze auf ihr nieder zu stellen. „So, hell genug haben wir es erstmal. Ich werde kurz raus gehen und ein bisschen Brennholz für den Kamin besorgen. Die Nächte sind kalt.“ ,damit war Leo verschwunden. Ich rieb mir fröstelnd die Arme. Er hatte recht, die Nächte waren kalt, besonders, wenn man nur ein T-Shirt trug, wie ich. Es war sehr still in der Hütte. Ich schaute mich um. Alles kam mir alt und verlassen vor. Überall Staub und Spinnenweben.
Ich schaute den Kerzen zu, wie sie immer weiter runter brannten. Wachs floss langsam an ihnen herunter und bildete eine kleine Pfütze um die Kerzen. Plötzlich und völlig unerwartet in dieser Stille, glaubte ich Stimmen zu hören. Schon wieder! ,dachte ich sofort. Erst waren sie zaghaft. Ich konnte die Worte kaum verstehen. Ich glaubte etwas verstehen zu können, war mir allerdings nicht sicher. Vielleicht war es auch eine andere Sprache, die ich nicht beherrschte. Sie kamen aus Richtung des Kamins. Ich lauschte, doch konnte immer noch nichts verstehen. Auf einmal kamen sie aus der Ecke der Kommode. Ich erschrak und blickte entgeistert zu Kommode. Mittlerweile waren sie lauter geworden. Die Worte aber weiterhin unverständlich. Leicht flehend. Im nächsten Moment wimmernd. Plötzlich kamen sie von oben, als würden sie die Leiter herunter steigen. Ich drehte mich zu Leiter. Aufgeregt und unsicher blickte ich drein. Ich sagte mir, ich solle mich nicht so anstellten, ich bildete mir die Stimmen doch bestimmt nur ein. Fast hätte es funktioniert. Doch dann schrie mir plötzlich jemand ins Ohr. Laut und kreischend. Entsetzt sprang ich auf und fiel beinah hin, als ich schnell rückwärts aus der Tür hinaus rennen wollte. Geschockt und verwirrt hielt ich mein Ohr. Den Blick noch immer in die Hütte gerichtet, wagte ich nach zu schauen, ob jemand da drinnen war, aber ich sah niemanden. Wer hat mir dann ins Ohr geschrien? Das Gefühl von Angst ließ mich nicht los. Ich zitterte und wollte keinesfalls alleine zurück. Langsam schaute ich mich hier draußen um, doch hier war es beinah noch schlimmer als drinnen. Die Dunkelheit wollte mich verschlingen und das schnürte mir die Kehle zu. Ohne nachzudenken rannte ich los. Umrundete die Hütte und rief dabei immer seinen Namen. „Leo!“ Mein Herz pochte und eine unangenehme Gänsehaut entstand mir am ganzen Körper. Während ich rannte- oder sagen wir lieber es versuchte, weil meine Knie mich daran hinderte, schaute ich mich immer wieder um. Ich glaubte Schatten zu sehen, die mich verfolgten. Ich hatte die zweite Ecke der Hütte erreicht, als ich plötzlich gegen etwas hartes stieß. Im nächsten Augenblick fielen Holzscheite auf den Boden. „Diana!“ Ich starrte ihm in seine Augen. Leo kümmerte sich nicht um das Holz, was aus seinen Armen gefallen war, stattdessen nahm er mich in den Arm. Ich wusste nicht, ob ich je in meinem Leben schon einmal so froh darüber gewesen war, dass mich jemand in den Arm genommen hatte. Ich hatte das Gefühl selten solche einen Schock erlebt zu haben, wie die Beengung mit den seltsamen Stimmen in dieser Hütte. Ängstlich klammerte ich mich an ihn. Leo hielt mich fest. „Diana.“, flüsterte er. „Was ist denn passiert?“ fragte er leise und rückte von mir ab, um mir in die Augen zu schauen. „Ich....Stimmen!“, flüsterte ich zurück und starrte ihn immer noch mit großen Augen an. „Ganz ruhig. Komm, ich bring dich zurück in die Hütte und dann mach ich und erstmal ein warmes Feuer.“ Ich schüttelte heftig mit dem Kopf. „Ich... nicht zurück!“ ,stammelte ich. Doch mein Widerstand blieb wirkungslos, Leo legte seinen Arm um meine Schultern und führte mich zurück. Sanft drückte er mich auf die Bank. „Diana, du brauchst wirklich keine Angst vor diesen Stimmen haben. Überleg doch mal, die Hütte heißt nicht umsonst <Hütte der sprechenden Ziegel> oder? Die Stimmen tun dir nichts, du wirst dich daran gewöhnen, glaub mir.“ Seine Worte klangen überzeugend. Außerdem sprach er ruhig und schien auch zu wissen, was er sprach. Ich nickte ergeben. Leo lächelte mit zu und zog seinen Mantel aus. „Dir ist doch kalt.“, sagte er und legte mir seinen Mantel um die Schultern. Ich schlang den Mantel fest um mich. „Ich hole jetzt das Holz von draußen.“, sagte er und verließ die Hütte. Kaum war Leo verschwunden kehrten die Stimmen zurück. Doch diesmal blieb ich sitzen und schützte meinen Kopf mit seinem Mantel, der verdammt gut roch. Ich verharrte und sog den Duft ein, sofort entspannte ich mich. Beinah hätte ich nicht mitbekommen, wie Leo zurück kam und Holz in die Feuerstelle legte. Mit einer der drei Kerzen brachte er das Holz schon nach kurzer Zeit zum Brennen. Die Flammen loderten hin und her, langsam breitete sich eine angenehme Wärme aus. Ich schaute Leo dabei zu, wie er im Holz stocherte. Parallel dazu atmete ich noch immer seinen Duft ein. Zum Glück schaute er gerade nicht hin, denn ich glaubte, dass ich rot geworden war und ihn unentwegt anstarrte, wie er da in seinem weißen Baumwollhemd und der dunkel grünen Stoffhose saß, die Schnallen der Stiefel spiegelten das Feuer wieder und auch seine Haare kamen mir seltsam leuchtend vor. Ich war völlig gefesselt. Irgendetwas sagte mir, dieser Junge sollte mir gar nicht so fremd vorkommen. Doch ich hatte keine Ahnung, mit was ich ihn in Verbindung bringen konnte.
„Diana?“ Ich horchte auf. „Ja?“ „Die schwarzen Reiter sind hinter dir her.“ Es war keine Frage, es war eine Feststellung. „Ich weiß.“ „Du weißt?“ „Ja, was meinst du, warum du mich gestern im Wald gefunden hast? Wären diese Leute nicht hinter mir her gewesen, wäre ich heute morgen in einem schönen Bett auf <Burg Wilhelm> aufgewacht.“ Jetzt drehte er sich zu mir um. „Sie waren schon gestern Nacht hinter dir her? Warum hast du nichts gesagt? Dann hätten wir uns beeilt...“ Leo erhob sich und sah mich fragend an. „Ich weiß nicht. Ich …. ich hatte doch selbst überhaupt keine Ahnung. Ich meine... ich...also...“, stammelte ich. Leo schnaubte leicht verächtlich. „Das beweist mal wieder, wie wenig du diese Welt kennst! Kannst du dir überhaupt vorstellen ,wie gefährlich es hier ist?“ rief er laut und seine Augen sprachen Bände voller Wut und Verständnislosigkeit, ich starrte ihn an und spürte mit einem Mal Wut in mir. „Was weißt du schon?! Woher soll ich wissen ,warum ich dir nichts gesagt habe? Vielleicht weil ich selbst viel zu verwirrt bin, nicht weiß was und wem ich vertrauen und glauben schenken kann? Ich wollte nicht hier sein, das kannst du mir glauben! Ich bin alles andere als freiwillig hier! Ich meine...
Was meinst du, wie es sich anfühlt, in einer fremden Welt zu landen, in der du dir vorkommst, wie im tiefsten Mittelalter und im nächsten Moment Sachen findest, die eigentlich noch gar nicht existieren dürften und in einer fremden Welt gelandet bist, wo es heißt du seist derjenige, der die Menschen vor irgendeiner bösen Königin retten kann, nur weil du blondes Haar hast! Ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst, denn ich weiß jetzt,... ich bin die Gejagte.“, schrie ich laut zurück, wobei ich meine letzten Worte nur leise hinzufügte. Zornig starrte ich ihn an. Leo stand da wie angewurzelt. Mit so einer deutlichen Aussprache meinerseits hatte er wohl nicht gerechnet. Ich konnte sehen, wie er sie Zähne zusammen biss. Dann wandte er den Blick ab und hockte sich mit einer raschen Bewegung wieder zum Feuer. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Schließlich schnaubte auch ich. „Jetzt ist mir nicht mehr kalt!“, gab ich wütend von mir und ließ seinen Mantel auf den Boden fallen, dann erhob ich mich und verließ die Hütte.
Kaum hatte ich die Hütte verlassen, umfasste mich Kälte. Frierend umarmte ich meinen Oberkörper und versuchte mich zu wärmen. Ich blickte in die Dunkelheit und kam mir einsam vor, dieses Gefühl bestärkte nur das, was ich Leo an den Kopf geworfen hatte, ich wusste nicht wem ich glauben konnte, wem ich mich anvertrauen konnte, wer mich half aus dieser verflixten Situation heraus zu kommen. Tränen liefen meine Wangen herunter und ich stampfte mit meinem Fuß feste auf den Boden, in der Hoffnung, meine Wut entladen zu können. Doch stattdessen durchzog ein jäher Schmerz mein Knie und ich wimmerte. „Verflucht!“, weinte ich und wäre am liebsten gegen den nächsten Baum gerannt. Weinend wollte ich mich zu Boden lassen, doch zwei Arme packten mich bevor meine Knie den Boden erreichen konnten. „Diana.“, sagte er und zog mich zurück auf meine Beine, meine Arme ließ er nicht los. Ich schaute weiterhin in den Wald. Ich schluchzte. Er sollte mich nicht weinen sehen, nicht denken, ich sei schwach. „Komm rein. Hier ist es viel zu kalt.“ Er zog mich leicht nach hinten, doch hartnäckig blieb ich stehen. So nicht! Ich wollte protestieren und Widerstand leisten. Niemanden mehr vertrauen. Nur noch mir selbst und irgendwie würde ich es schaffen. Widerwillig ließ Leo mich los. Ich schloss meine Augen und wartete, bis er in der Hütte verschwunden war und die Tür hinter sich schloss, damit ich hier alleine in der Dunkelheit zurück bleiben würde. Doch nichts dergleichen geschah. Ich hörte keine Schritte, die sich von mir entfernten oder gar eine Türe, die geschlossen wurde. „Es tut mir Leid.“,hörte ich stattdessen. „Ich hatte nicht das recht, so mit dir zu reden... das war falsch. Ich hatte ja nicht gewusst, dass-“ ,mitten im Satz hörte er auf. Ich schluckte. Mein Verstand sagte mir, ich solle mich nicht aufführen wie eine Fünfjährige, mein Gefühl hielt dagegen noch weiter an meinem Widerstand fest. Ich kämpfte mit mir selber. Schließlich siegte die Vernunft und ich drehte mich zu ihm um. „Schon gut, du musst dich nicht entschuldigen, woher solltest du auch wissen, was eigentlich Sache ist. Ich meine, dass ich eigentlich gar nicht hier her gehöre und von irgendwo her komme, wovon du noch nie in deinem Leben was gehört hast. Ich hätte dich nicht so anschreien brauchen, dazu hatte ich keine recht.“, sagte ich ruhig. Leo nickte erleichtert und sagte: „Dann sind wir jetzt ja quitt, was?“ Ich nickte und auch mir war leichter ums Herz. Vielleicht sollte ich die Sache mit dem Alleingang noch mal überdenken... „Kommst du jetzt wieder mit rein?“ „Aber nur, wenn du was zu Essen für mich hast!“,sagte ich. Leo grinste. „Dann ist ja gut, dass ich bei meinem letzten Besuch in der Hütte was da gelassen habe.“. Lachend traten wir in zurück in die Hütte. Ich setzte mich wieder auf die Bank, allerdings nicht ohne vorher Leo´s Mantel aufzuheben und sorgfältig gefaltet auf die Kommode zu legen. Leo legte ein weiteres Stück Holz auf, dann stieg er die Leiter nach oben. Ich horchte auf und hörte die Schritte über mir. Mehrere Minuten vergingen. Leo lief hin und her. Was machte er da oben? Ich überlegte zu ihm zu klettern, doch dann stieg er die Leiter endlich wieder nach unten. „Was hältst du von Zwieback mit Erdbeermarmelade?“ Kurz verzog ich das Gesicht. „Nicht gerade ein Festessen, aber für heute Abend reicht es.“, antwortete ich.
Zusammen saßen wir also auf der Holzbank und dipten nach einander unser Zwieback in die Marmelade. Immer wieder fiel mir mein Zwieback in die Marmelade, hinterher klebten meine Finger.“ „Draußen ist ein Wasserhahn an der Hütte angebracht. Dort kannst du dir die Hände waschen.“, schlug Leo mir vor, als ich mir sämtlich Finger ableckte. Kurzerhand stand ich auf und verließ die Hütte, um meine Hände zu waschen. In einem Atemzug wusch ich mein Gesicht und spülte mir mehrere Male kräftig den Mund aus. Katzenwäsche! In der Stadt wird alles besser! Ich kehrte zurück. Leo hatte bereits die Kerzen gelöscht, bis auf eine, die er in der Hand hielt. „Wir sollten jetzt schlafen gehen. Wenn wir morgen bei Zeiten aufbrechen, erreichen wir die Stadt vor Sonnenuntergang.“ Er drückte mir die Kerze in die Hand. „Geh schon mal nach oben, ich will mich vorher auch noch waschen.“ Er nickte mir zu und verschwand nach draußen. Ich stieg langsam die Leiter nach oben, immer bedacht, auf die Kerze zu achten, die ich vor mir her trug. Schließlich hatte ich die letzte Sprosse überwunden und stand im oberen Geschoss, oder besser Räumchen der Hütte. Hier oben gab es kein Fenster, die Kerze bot mir das einzige Licht. Ich schaute mich mit Hilfe der Kerze um. Viel war hier nicht. Außer eines, ein flaches Bett. Eine bloße Doppelmatratze ohne jegliches Gestell. Auf ihr eine große Decke, Kopfkissen gab es keine. Ich runzelte die Stirn. Hier sollte ich -oder besser wir schlafen? Diese Bett, oder wie man es auch immer beschreiben wollte hin oder her, ich meine ich sollte mit einem Jungen, den ich gerade mal einen 24 Stunden kannte auf dieser Matratze schlafen. Ich schritt auf die Matratze zu und ließ mich vorsichtig nieder. Bequem war sie wenigstens. Ich drückte sie bedächtig an einigen Stellen, schließlich stellte ich die Kerze neben Matratze und legte mich hin. Die Decke war nicht gerade sehr warm. Ich zog sie mir bis über die Schultern und schloss die Augen. Aber nur um sie zwei Minuten später wieder auf zu machen, weil ich unten hörte, wie Leo die Türe schloss. Dann stieg er die Leiter nach oben. Sprosse für Sprosse.... Es kam mir vor, als würde er in Zeitlupe hinauf klettern. Er dachte wohl ich würde schon schlafen. Aber das tat ich nicht. Ich bekam mit, wie er sich auf die andere Seite der Matratze legte. Doch er nahm keine Decke. „Warum nimmst du keine Decke?“ ,flüsterte ich fragend. „Du bist noch wach?“ „Ja.“ „Ich dachte, du würdest schon schlafen. Außerdem...“ „Was?“ „Ich wollte nicht, dass du denkst, dass ich … na ja es darauf abgesehen hätte mit dir in einem Bett zu schlafen, wo es doch nur eine Decke gibt.“ Ich lachte erleichtert auf. Dafür hätte ich ihn knutschen können. „Warum lachst du?“ „Nichts, gar nichts.“,lächelte ich und drehte mich zu ihm um und hob die Decke hoch. „Decke?“,fragte ich und schaute in seine Augen. Sein Blick ruhte kurz in meinem, bis er sicher war, dass er in ihm lesen konnte, dass es mir nichts ausmachte die Decke zu teilen. Er nickte und kroch näher an mich heran. Ich drehte mich ein letztes mal um und löschte die Kerze, dann waren wir von vollkommener Dunkelheit umgeben. Ich legte mich hin und schloss erneut meine Augen. Leo wagte es nicht mich zu berühren, so schien es mir. Er drehte sich weg von mir, sodass ich seinen Rücken in meinem nur erahnen konnte. „Schlaf gut, Diana.“ „Du auch, Leo.“ Bald hörte ich regelmäßige Atemzüge neben mir, wie schnell war er ein geschlafen? Ich lag wach und konnte nicht einschlafen. Obwohl meine Körper nach Schlaf schrie mein Verstand sagte, ich sollte jeden Schlaf nehmen, den ich bekommen konnte. Lange lag ich wach und kaum hatte ich es geschafft in einen Dämmerzustand zu entfliehen, hörte ich eine leises Zischeln. Dann war wieder Ruhe. Dann wieder eine dünne Stimme. Verzerrt und alt. Ich öffnete meine Augen und blickte vor mir in die Dunkelheit. Nichts. Die Stimme kehrte zurück. Nein, nicht nur eine, es waren mehrere. Sie kamen aus verschiedenen Ecken des Dachbodens, teilweise waren sie neben mir, ganz dicht an meinem Ohr. Einmal so nah, dass ich sogar einen Luftzug spüren konnte. Erschrocken hielt ich mit mein Ohr zu und presste die Lider auf einander. Wie unheimlich! Was war das nur für eine Hütte? Mein Herz klopfte schnell, ich kauerte ich klein zusammen. Erst jetzt wagte ich es, meine Hand noch einmal von meinem Ohr zu nehmen. Erleichtert atmete ich auf, als nichts geschah. Vorsichtig richtete ich mich auf und spähte durch den Raum. Stell dich nicht so an! ,sagte ich zu mir und wollte mich bereits wieder hinlegen, als ich fast zu Tode erschrak. Das Kreischen der Stimmen drang durch mein Trommelfell in alle Organe meines Körpers. Ich schrie mit den Stimmen um die Wette. Doch sie waren immer lauter als ich. Ich presste beide Hände an die Ohren und schloss meine Augen so fest ich nur konnte. „Diana!“ Zwei Hände legten sich auf meine Schultern, ich wurde geschüttelt. „Diana! Mach die Augen auf!“ Ich wollte sie aber nicht öffnen. Ich wollte schreien und endlich hier weg. Ich ließ sich geschlossen. „Dann nimm wenigstens deine Hände von den Ohren!“ Ich nahm meine Hände runter. Jetzt war seine Stimme ganz nah an meinem Ohr. „Und hör auf zu schreien. Dir passiert nichts!“ ,flüsterte er. Ich hörte auf zu schreien und tatsächlich waren auch die Stimmen verschwunden. Jetzt öffnete ich auch wieder meine Augen, ganz langsam und drehte mich zu Leo, dessen Arme noch immer auf meinen Schultern ruhten. „Leo, … diese Stimmen, sie machen mich wahnsinnig.“,flüsterte ich. „Die Ziegeln, sie sprechen. Du darfst keine Angst vor ihnen haben. Sie erzählen dir bloß Geschichten. Dinge, die sich hier einmal abgespielt haben. Schreckliche und Schöne. Mir erzählen sie auch, nicht mehr so viel, weil ich öfter hier bin. Aber sie werden dir nichts tun. Lass dich einfach drauf ein.“ Ich atmete tief ein und beruhigte mich. „Komm, lass uns schlafen.“ Sanft drückte er mich zurück auf die Matratze. Ich ließ mich zu decken und Leo legte sich neben mich, diesmal mit weniger Abstand. Sein Herz in meinem Rücken... „Vertrau mir.“, flüsterte er mir zu, bevor ich meine Augen schloss und nach wenigen seiner Herzschläge war ich eingeschlafen. Die Stimmen kehrten zurück, diesmal sangen sie ein fröhliches Lied.
Ich schlief durch und wachte erst am Morgen wieder auf, als sich zwei Stimmen stritten. Ich öffnete meine Augen und blickte neben mich, Leo war nicht mehr im Bett. Ich kletterte die Leiter herunter, der Kamin war aus und die Tür stand weit offen. Ich gähnte und ging schließlich nach draußen. Leo wusch sich gerade sein Gesicht und seine Haare. „Guten Morgen Leo!“, rief ich ihm entgegen und trat neben ihn. „Guten Morgen.“, sagte auch er und grinste. Ehe ich mich versah, schüttelte er seine Haare wild aus und ich wurde nass gespritzt. „Hey!“,beschwerte ich mich und lachte. Leo grinste noch breiter. „Ich dachte, du könntest eine Dusche gebrauchen?“ „Das kann ich tatsächlich.“, antwortete ich. „Hier.“,Leo hielt mir sein Handtuch entgegen. „ich verspreche dir, heute Abend kannst du dich richtig waschen. In der Stadt nehmen wir uns ein Hotel.“ „Das hört sich gut an!“, fröhlich begab ich mich daran mich zu waschen so gut es ging. Ich griff in meine Haare und stöhnte. Leo hob fragend eine Augenbraue. „Meine Haare.“, stöhnte ich. „Ich will nicht wissen wie ich aussehe! Ich hab sich seid zwei Tage nicht mehr gekämmt! Ich muss aussehen wie eine aufgescheuchte Vogelscheuche, vor der selbst sämtliche Greifvögel Angst haben.“ Leo grinste erneut. „Ich könnte es nicht besser ausdrücken.“ „Toll.“, brummte ich. Lachend drehte er sich um und ging zurück in die Hütte. Ich wusch mich zu ende und folgte ihm. Leo hatte bereits die wenigen Sachen gepackt, die wir hatten. „Wir können direkt aufbrechen, frühstücken müssen wir unterwegs, wir kommen an Beerensträuchern vorbei, Himbeeren, Erdbeeren, Johannisbeeren,... worauf wir auch immer Hunger haben.“ Beim Wort „Essen“ meldete sich sofort mein Magen. „Gehen wir.“,bestätigte ich. Leo zählte fünf Bäume südöstlich und die <Hütte der sprechenden Ziegel> war hinter uns verschwunden.

Kapitel 6 -Konstantins Hütte-

Im Laufe des Vormittags veränderte sich das Wetter. Die Sonne verschwand zunehmend hinter grauen Wolken und leichter Nebel zog durch den Wald. Wir gingen zügig und kamen gut voran, jedenfalls bis zu dem Augenblick, an dem mein Magen endgültig streikte und lauthals nach etwas Essbarem verlangte. „Leo...-“ „Ich habs gehört. Du musst nicht weiter sprechen.“ ,sagte Leo und blieb stehen. „Es ist nicht mehr weit bis zu der Lichtung, wo die Beeren wachsen.“ Ich nickte und wir zogen weiter. Leo begann zu zählen und wir liefen leicht südlich entlang der Bäume, kaum eine Minute später standen wir inmitten einer überschaubaren Lichtung, ohne Nebel und getrübten Himmel. Die Sonne schien auf die Lichtung und so schimmerte hier alles in bunten Farben. Überwiegend rot und lila und pink, ich schaute genauer hin und erkannte, dass es sich um verschiedene Beerensträucher handelte, die im Licht der Sonnenstrahlen vor sich hin strahlten. Doch noch etwas anderes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Eine kleine Hütte am Rande der Lichtung. Sie war eindeutig kleiner im Gegensatz zur <Hütte der sprechenden Ziegel> und heller. Sie wirkte freundlich und einladend. Aus ihrem Schornstein stiegen kleine Qualmwölkchen auf. „Ah, wir haben Glück, der alte Konstantin ist zu Hause, ich hatte schon befürchtet, wir müssten uns die Beeren selber pflücken.“, sagte Leo erleichtert. „Wie bitte?“, fragte ich. „Was? Hattest du vor den ganzen Tag damit zu verbringen dir Beeren zu pflücken? Konstantin hasst es, wenn man einfach an seine Sträucher geht und Selbstbedienung macht. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Also komm!“ Leo schaute mich an und erwartete, dass ich ihm folgte.
Die Tür war verschlossen. Leo trat heran und klopfte an. Innen fiel etwas zu Boden, ein Fluchen war zu hören, dann endlich wurde die Türe geöffnet. Ein kleiner alter Mann mit weißem Vollbart lächelte uns entgegen. Er trug einfache Kleidung und eine Kochschürze , die mit rötlichen Flecken übersät war. „Leonard! Was für eine Überraschung! Und....“,der Alte stockte, schaute mich intensiv an. „Diana.“, stellte Leo mich vor. „Konstantin, das ist Diana. Diana, das ist Konstantin.“ jetzt schaute Leo mich an. Ich blickte ihn kurz an, bevor ich mich ganz auf den alten Mann konzentrierte. „Diana, soso...“ Konstantin kratze sich am Bart. „Schön dich kennenzulernen. Kommt doch rein, ich hab gerade frischen Beerentee gekocht und meine berüchtigten Waldbeermuffins.“ Wir traten in die Hütte. Sofort umfing mich der köstliche Duft der Muffins, in der ganzen Hütte roch es wunderbar nach verschiedenen Beeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Brombeeren, Erdbeeren und und und. Die Hütte bestand aus nur einem Raum. Ich kam mir vor, wie in einer Küche. In der Mitte des Raumes stand ein rechteckiger Holztisch, auf dem aller möglicher Kram abgestellt war. Tassen, Körbe mit frischen Beeren, Topflappen und ein Blech mit den Muffins. Direkt an der Wand gegenüber der Tür befand sich die Küchenzeile, sie erstreckte sich über die gesamte Wand und auch hier herrschte nicht gerade Ordnung. Auf dem Herd dampfte ein altertümlicher Teekessel und neben ihm ein Topf. Als Konstantin meinem Blick folgt und erkannte, dass ich auf den Herd schaute sagte er: „Ich koche Himbeermarmelade. Ich wette, du hast noch nie so gute Himbeermarmelade gegessen, wenn du willst, gebe ich dir nachher ein Glas mit.“ Konstantin lächelte freundlich. „Das wäre wirklich nett.“, sagte ich freundlich und mir lief bereits das Wasser im Mund zusammen. „Also dann, setzt euch ich bereite alles vor. Leo und ich setzten uns nebeneinander auf eine Holzbank vor dem Tisch und warteten, bis Konstantin fertig gedeckt hatte. „Lasst es euch schmecken, meine Lieben und greift tüchtig zu!“, mit diesen Worten eröffnete er sein Buffet und biss genüsslich in eines der Muffins. Auch Leo und ich zögerten nicht lange und griffen beherzt zu. „Himmlisch!“, sagte Konstantin. Ich nickte zustimmend. Ich aß bestimmt fünf von den Muffins, meine Magen war eindeutig voll. Zufrieden leerte ich meinen Tee und rieb mir meinen vollen Bauch. Leo schaffte sogar sieben. Konstantin stapelte unsere Teller, machte aber keine Anstalten sie wegzuräumen. Stattdessen füllte er unsere Tassen erneut mit Tee und räusperte sich schließlich. Ich blickte auf und sah, das er mich musterte. „Diana, schöner Name. Woher kommst du? Nicht von hier.“ Ich blickte ihn an. Woher wusste er das? Sah er es etwa an meinen Haaren? Weil sie blond waren? „Ja, also ich bin nicht von hier. Ich komme... aus … Berlin.“ „Berlin?“ Konstantin zog die Augenbrauen hoch. Ich hätte wissen müssen, dass ihm das nichts sagt, oder gab es im Mittelalter schon Berlin? „Dachte ich es mir, du kommst aus der anderen Welt, aber dann auch noch aus Berlin. Hm.“ Sein Blick glitt kurz zu Leo. Dieser verschluckte sich. Ich blickte verwirrt von einem zum anderen. Was war hier los? Ich meine was sprach Konstantin da? Andere Welt? Berlin, er kannte Berlin! Ob er schon mal bei IKEA war? Leo hustete, ich klopfte ihm auf den Rücken. Er nickte dankbar und schaute Konstantin kurz an. Dieser zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts mehr. „Waren sie schon mal dort? In Berlin meine ich.“, fragte ich. „Nein... ich kenne diese Stadt nur aus Erzählungen. Mehr nicht.“ „Oh“,sagte ich enttäuscht. „Wie bist du hierher gekommen?“, fragte Konstantin weiter. „Na ja... dass ist eine ziemlich komische Geschichte.“ „ich hab schon viele merkwürdige Geschichten gehört.“, sagte er darauf und schaute erneut zu Leo, dieser aber zeigte keine Reaktion. „Und glaub mir, in dieser Welt passieren ständig seltsame Sachen, da kann mich selten etwas umhauen.“, fügte der Alte hinzu. Also erzählte ich meine Geschichte, von der U-Bahn und dem Wald. Ich erzählte von Wilhelm und Veronica und von Johann und Jakob und auch von deren Vermutungen bezüglich Duretta und meinen Haaren. Konstantin nickte ab und zu, hörte sich aber ansonsten das Ganze schweigend an. Leo hatte mir seinen Kopf zu gewandt, während ich erzählte. „Das wars, das habe ich erlebt.“ „Hm. Und was wirst du jetzt unternehmen?“, fragte er. Ich schaute zu Leo. „Leo, bringt mich in die Stadt. Dort werde ich eine U-Bahn suchen und hoffe irgendwie hieraus zu kommen. Ich meine, nicht das ich den Menschen hier nicht helfen würde, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, das ich das kann, nur weil ich blonde Haare habe. Das alles hört sich so unwirklich an. Es passt nicht. Ich bin keine Magierin oder eine Hexe, es liegt nicht in meiner Macht eine Königin vom Thron zu stoßen. Dafür sind meines Erachtens Politiker zu ständig. Oder von mir aus irgendwelche königlichen Berater oder Ritter. Aber ich? Nein. Das … ist unmöglich.“, beendete ich meine reden. Konstantin kratze sich wieder am Bart. Er schien zu überlegen. „So habe ich das noch nicht gesehen. Du könntest natürlich recht haben. Was solltest du schon ausrichten können. Ein gewöhnliches Mädchen, ein gewöhnlicher Mensch...“ Wieder ging sein Blick zu Leo. Dieser schaute plötzlich zu Boden. Ich runzelte die Stirn. „Sag ich doch.“,sagte ich. Irgendwie war ich erleichtert, endlich jemand der nicht erwartete, dass ich die Welt rettete. „Natürlich hast du recht, Konstantin. Und deshalb sollten Diana und ich jetzt auch aufbrechen, damit Diana so schnell wie möglich nach Hause kommt.“ Mir gefiel sein Ton nicht. Hatte ihn etwas verärgert? „Leo...“,setzte ich an. „Ja, Leonard, ich sollte deiner Meinung sein. Macht euch auf den Weg, ihr solltet die Stadt erreichen, bevor es dunkel wird.“ ,bei diesen Worten lachte er leise. „Als wäre es nicht schon dunkel genug...“, hörte ich ihn flüstern. Ich blickte ihn an. „Ja, Diana, die Sonne verliert jeden Tag an Kraft. So hell wie heute, wird sie morgen nicht mehr sein. Also, ich will euch nicht länger aufhalten. Aber bevor ihr aufbrecht, möchte ich euch noch etwas Proviant einpacken, das erleichtert den Weg.“, damit erhob er sich und wand sich seiner Küche zu. Nach fünf Minuten hielt er Leo ein Beutel hin. „Hier, Leonard. Muffins, Beerengrütze und Marmelade.“ Konstantin zwinkerte mir zu. „Die Marmelde ist ein Erinnerungsstück für dich Diana.“ „Vielen Dank, Konstantin. Für alles.“ Ich lächelte und Konstantin gab mir seine Hand. Leo trat ins Freie, ich folgte ihm. Konstantin blieb im Türrahmen stehen. „Auf Wiedersehen, meine Freunde.“ „Auf Wiedesehen.“ ,sagte Leo. „Machs gut.“, sagte auch ich und wir gingen los. Kaum waren wir ein paar Schritte gegangen, rief Konstantin uns etwas hinterher. „Geht nach Osten. Die schwarzen Ritter sind nach Westen geritten.“ Leo drehte sich so abrupt um, dass ich fast gegen ihn gelaufen wäre. „Was hast du gesagt? Die schwarzen Ritter? Willst du etwas sagen, sie waren hier?“, fragte Leo. „Ja, das will ich damit sagen. Sie haben nach einem blonden Mädchen gefragt und wirkten nicht gerade freundlich. Unsere Königin scheint aufgebracht. Macht euch schnell auf den Weg. Die Stadt ist nicht mehr fern. Und gebt acht.“ ,Konstantin winkte uns und verschwand schließlich in seinem Haus. „Los, komm Diana!“, sagte Leo und marschierte entschlossen los. Ich folgte ihm und war innerlich plötzlich nicht mehr ruhig. Bis eben war noch alles gut, aber das die schwarzen Ritter hier waren, das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich hatte ja gehofft, sie hätten nach der erfolglosen Suche aufgegeben, aber das schien nicht der Fall zu sein. sie suchten weiter. War ich vielleicht doch nicht so unwichtig? Irgendetwas auf jedenfall schien die Königin wirklich an mir zu interessieren. Unbewusst war ich langsamer geworden. Gedankenverloren trottete ich hinter Leo her, Konstantins Hütte war bereits hinter uns verschwunden. Dann drehte sich Leo um, er schaute grimmig, was hatte ihn verärgert? Ich wusste es nicht, doch er ließ seinen Ärger an mir aus. Knurrend packte er meine Handgelenk und zog mich mit sich. „Beeil dich doch! Es wird bald Dunkel!“


Kapitel 7 -An der Grenze-

Wir liefen schnellen Schrittes durch den Wald. Leo sprach kein einziges Wort. Doch es war sehr auffällig, dass er sich immer wieder umschaute, was mich verunsicherte. Glaubte er, die schwarzen Ritter könnten jeden Moment hier auftauchen? Ich schaute mich aufmerksam um, fast hätte ich einen Baum übersehen uns wäre in ihn rein gelaufenen. Erschrocken blieb ich stehen. Schock! Warum waren mir die Bäume auf einmal so unheimlich? Wahrscheinlich, weil ich jeden Moment damit rechnete, ein schwarzer Ritter würde hinter einem der Bäume hervortreten. „Diana? Was machst du da?“ ,fragte Leo genervt. „Mich vor einem Baum erschrecken.“, gab ich trocken zurück. Er stöhnte. „Kannst du das nicht später?“ Ich blickte ihn fassungslos an. „Klar, wenn du mir später einen Baum gibst.“ Leo knurrte. Jetzt reichte es mir endgültig. „Leo, was ist denn nur los mit dir? Du bist schon die ganze Zeit so komisch, um genauer zu sagen, seit wir Konstantin verlassen haben. Also? Ist es wegen der schwarzen Ritter?“ „Du sagst das so, als wäre das nichts. Diana, verstehst du das nicht? Die schwarzen Ritter sind gefährlich, wenn auch nicht so gefährlich wie Duretta, aber trotzdem. Wenn du es nicht bald schaffst zu fliehen, dann …. werden sie dich früher oder später finden. Mit denen ist nicht zu spaßen!“, schrie er. Wütend starrte ich ihn an. „Deshalb musst du mich aber nicht so anbrüllen! Ich kann doch nichts dafür! Außerdem, wer sagt, dass ich das auf die leichte Schulter nehme? Ich fürchte mich davor, dass sie mich kriegen! Mehr als du denkst!“ „Ich weiß.“ ,sagte er leise. „Schön, dann sind wir uns da ja einig!“ ,ich war noch immer aufgebracht. Schließlich stapfte ich los und ließ Leo einfach stehen. War mir doch egal. Warum benahm er sich so? Es war nicht das erste mal, dass wir es mit den schwarzen Rittern zu tun hatten. Also, warum war er jetzt auf einmal so nervös? Ich wollte das nicht! Er machte mich mit seiner Nervosität immer unsicherer.
Während ich mich so aufregte, achtete ich nicht darauf, was um mich herum passierte. Ich hörte Leo meinen Namen rufen, ich drehte mich im Laufen um, sah Leo gerade noch hinter mir hereilen, als er plötzlich verschwunden war. Was...? Oh Nein! Ich hatte eine Grenze übertreten und war allein. „Leo? Bist du hier?“ Unsicher schaute ich mich um. Nichts. Nichts außer unheimlicher Bäume. Aber dann beruhigte ich mich, Leo brauchte nur über die gleiche Grenze zu treten, wie ich, dann wäre er wieder hier... bei mir. Oder?
Minuten vergingen, er kam nicht. Ich wurde unruhig. „Leo?“ Komm schon. „Lass mich nicht alleine...“ Ich spürte einen Klos im Hals. Mist! Warum war ich einfach losgegangen? Ich ärgerte mich über mich selbst. Ich war so blöd! Dann kam mir die Idee, das ich einfach zurück über die Grenze gehen könnte. Ja klar! Entschlossen trat ich zurück und blieb auf der anderen Seite der Grenze erstarrt stehen. Zwei schwarze Ritter saßen auf ihren Pferden und unterhielten sich.... mit Leo, der auf einem der Bäume saß, außer Reichweite der Ritter. Erleichtert atmete ich aus, als ich sah, dass sie ihm nichts konnten. Ich löste mich aus meiner Starre und versteckte mich hinter einem der Bäume. Angestrengt lauschte ich. Keiner der drei hatte mich gesehen. Sonst, wären sie wohl schon hier. Ich hatte Glück, ich konnte verstehen, was sie sagten. „Sie war bei dir. Hör auf es zu leugnen. Einige von uns haben euch bei der Ruine zusammen gesehen.“ ,sagte der eine. „Genau, es hat keinen Zweck zu lügen. Wir wissen es besser. Also? Wo ist sie?“
„Ich weiß nicht, wovon ihr redet.“, sagte Leo. „Mach uns nicht sauer, Leonard. Du weißt wo sie ist! Raus mit der Sprache! Ansonsten-“ „Ansonsten was? Willst du mich fangen und in der Kerker stecken?“, Ich hörte Leo abschätzig lachen. Der Ritter hatte ihn beim Namen genannt. Das verwunderte mich ein wenig. Ich lauschte weiter. „Genau, den kennst du ja bereits sehr gut, wenn ich mich recht erinnere.“ Was? Leo war einmal Gefangener der Königin? Das hatte er mir gar nicht erzählt! „Du kannst mir nicht drohen. Ich habe keine Angst vor dir.“ ,hörte ich Leo sprechen. „Das solltest du aber.“ Der Ritter war wütend. „Sag uns sofort, wo dieses Mädchen ist!“ „Ich weiß es nicht. Ich kenne sie nicht einmal!“, gab Leo zurück. Ich hörte ein Pferd lautstark wiehern. „Na gut, Leonard. Ich sehe ein, dass du uns jetzt nichts sagen willst, aber dann lass dir eines gesagt sein, erwischen wir dich das nächste Mal, bist du fällig!“ „ja, und sollten wir herausfinden, dass du uns angelogen hast, und doch weißt, wo die kleine sich befindet, dann werfen wir euch beide in den Kerker, ohne wenn und aber!“ Sie lachten höhnisch und preschten davon. Ich wagte kaum zu atmen. Die Ritter meinten das bitter ernst. Ich konnte nur hoffen, es rechtzeitig hieraus zu schaffen. Langsam trat ich hinter dem Baum hervor. Leo sprang gerade von dem Baum und landete weich auf seinen Füßen, dann blickte er hoch und genau in meine Richtung. „Diana!“,rief er erleichtert und bewegte sich auf mich zu. Ich lief ihm entgegen. Für einen kurzen Moment glaubte ich, er wolle mich umarmen, doch dann ließ er seine Arme fallen. „Die schwarzen Ritter, sie waren hier.“ „Ich weiß.“, sagte ich. „Du weißt?“ „Ja, ich bin zurück über die Grenze gegangen, weil du nicht kamst... und dann hab ich sie gesehen und dich oben auf dem Baum.“ Leo zog scharf Luft ein. „Aber du warst vernünftig genug, dich hinter einem Baum zu verstecken.“ ,sagte er. Ich nickte. „Aber...ich habe gehört, was sie gesagt haben.“ Er blickte mich an. „Dann verstehst du jetzt vielleicht besser, warum ich sage, dass sie gefährlich sind?“ Ich nickte erneut. „Ja....und ich weiß das du gefang-“ „Sag es nicht, Diana. Das ist nicht wichtig, ok. Vergiss es am besten gleich wieder.“ Ich wollte es aber nicht vergessen, ich wollte wissen ,warum er einmal gefangen war. „Sag mir wenigstens warum.“ Leo aber antwortete nicht.
„Wir müssen weiter. Siehst du? Der Mond zeigt sich schon.“ .lenkte er ein und wies an den Himmel. Ich schaute nach oben und musste ihm recht geben, der Mond stand blass am Himmel und die Sonne schien aufzugeben. „Los, komm, wir sollten keine Zeit mehr verlieren. Auf geht’s in die Stadt der Lichter.“ sagte Leo und zählte los.

Kapitel 8 – Stadt der Lichter-

Es war mitten in der Nacht und stockduster, als wir den Waldrand erreichten. Eigentlich seltsam, oder? Ich meine beim der Name der Stadt, Stadt der Lichter, würde ich denken, dies sei ein heller, leuchtender Ort. Doch das war nicht, nicht mehr. Wir standen auf einem Hügel, hinter uns der schwarze Wald, vor uns eine Stadt. Eine dunkle, wirklich wenig beleuchtete Stadt. Ich konnte nicht sagen, wie groß sie sein mochte. Nur schemenhaft waren Stadtmauern zuerkennen, die sich als dunkle Streifen entlang der Häuser schlängelten. Zwischen den Häusern standen vereinzelt Laternen, deren schwaches Licht bloß flimmerte, als ob es jeden Moment erlöschen würde. „Ist das die-“ ,setzte ich an und zeigte auf Stadt. „Stadt der Lichter? Ja, Diana, das ist sie.“, bestätigte Leo. „Willkommen im Königreich von Königin Duretta und gleichzeitig deiner einzigen Chance heil hier weg zu kommen.“ Bei seinen Worten wurde mir heiß und kalt zugleich.Einerseits sah ich der Gefahr nun ins Auge und anderseits war es verlockend zu hören, bald nach Hause zu kommen. „Was geschieht jetzt?“, fragte ich. „Ich schlage vor, wir suchen uns erstmal ein Hotel, um diese Zeit fahren keine U-Bahnen und in einem Hotel wird es vorerst sicherer sein, als hier draußen.“ Forschend ließ er seinen Blick über den Hügel bis runter zur Stadt schweifen. „Da hast du wohl recht, denke ich. Aber... kann man denn so einfach in die Stadt rein?“ Leo lachte, es war ein verächtliches Lachen. „Rein kommen ist kein Problem, nichts leichter als das, raus kommen dagegen... fast unmöglich.“.Ich starrte ihn an. „Was?“ „Die Königin hält es sehr genau damit, wer in ihr Reich eindringt, und wer es wieder verlassen möchte. Nicht immer hat man Glück.“ Ich glaubte langsam, diese Duretta war noch schlimmer, als ich vermutete. Doch noch ein weiterer Gedanke kam mir in diesem Zusammenhang. „Leo, wäre es dann nicht besser, du würdest ...mich nicht begleiten und hier bleiben, im Wald? Ich meine, nicht dass sie dich nicht aus der Stadt lassen, wenn ich es geschafft habe und du alleine da unten bist, oder.....sie es vielleicht sogar herausfinden, dass du mir geholfen hast...“ „Bist du verrückt?“, stieß er entgeistert hervor und blickte mich mit aufgerissenen Augen an. „Ich werde dich ganz bestimmt nicht alleine in die Hölle lassen! Alleine wärst du ihr ausgeliefert, du kennst dich in der Stadt doch kein bisschen aus! Und mach dir um mich mal keine Gedanken, ich hab es schon einmal geschafft aus der Stadt zu kommen, warum sollte es dann nicht auch ein zweites Mal funktionieren?“ Mit einer derart heftigen Reaktion hatte ich irgendwie nicht gerechnet. „Ich wusste nicht, dass du so darüber denkst...“, flüsterte ich und schaute verlegen zu Boden. Ich hatte es wirklich nicht gewusst und auch nicht erwartetet. „Das habe ich gemerkt.“, antwortete er. „Und jetzt komm, bevor auch das letzte Hotel schließt, dann können wir nämlich wirklich hier draußen übernachten.“ Wie liefen den Hügel herunter und näherten uns der Stadt. Von hier unten wirkte alles noch dunkler und unheimlicher. Unbewusst lief ich ein Stück näher an Leos Seite. Man wusste ja nie.... Wir passierten einen großen Torbogen, ich schätzte, so was wie ein Stadttor und gelangten auf eine breite Straße. Doch hier blieben wir nicht lange, Leo führte uns in eine neben Straße in der es kein Licht gab. Ich lauschte nervös in die Dunkelheit. Dagegen war der Wald da draußen gar nichts! ,dachte ich. Ich hörte nichts. Kein Hund, kein Mensch. Es herrschte eine wahnsinnige Stille. „Warum hört man niemanden?“,flüsterte ich. „Was glaubst du wohl? Die Menschen hier haben Angst in der Nacht erwischt zu werden. Sie verstecken sich in ihren Häusern und versuchen so unauffällig wie nur irgendwie möglich zu sein.“, flüsterte Leo zurück. „Erwischen? Was meinst du damit?“, hackte ich leise nach. „Ich hab dir doch eben gesagt, dass die Königin genau darüber Bescheid wissen will, wer in die Stadt kommt, oder wer sie verlassen will, deshalb laufen hier nachts Wachen herum. Schwarze Ritter. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen, oder?“ „Nein.“ Das war nicht nötig, dass die Ritter gefährlich sein konnten ,war mir durchaus bewusst. Wir kamen zum Ende der Nebenstraße und Leo entschied sich für einen schmalen Weg direkt gegenüber. „Wo wollen wir eigentlich hin?“, fragte ich. „Ich kenne ein Hotel, es ist nicht weit von der U-Bahn entfernt. Allerdings müssen wir über großen Marktplatz in der Mitte der Stadt, das ist leider der einzige Weg zum Hotel.“,erklärte Leo und ließ sich seines Weges nicht beirren und so liefen wir durch die verschiedensten Straßen, und ich musste zugeben, alleine hätte ich den Weg nicht gefunden, schon gar nicht in dieser Dunkelheit. Am Ende der nächsten Gasse leuchtete eine Laterne. Leo hielt drauf zu. Dann wurde er langsamer, bis er letztlich stehen blieb. „Was ist los?“, fragte ich. „Hier, vor uns liegt der Marktplatz.“, sagte er und machte eine ausholende Geste, ich schaute und erblickte einen im Gegensatz zum Rest der Stadt relativ hell erleuchtenden Platz, einen riesigen Marktplatz. „Oh.“,brachte ich hervor. „Genau. Hier ist besondere Vorsicht angesagt. Hörst du. In diesem Bereich laufen die meisten Ritter herum. Wir müssen daher ganz leise sein! Bleib dicht hinter mir! Wir nehmen den kürzesten Weg. Ab durch die Mitte.“ Ich nickte und dann ging es los. Leo rannte förmlich und ich versuchte so dicht wie möglich hinter ihm zu bleiben, das war gar nicht so einfach, schon gar nicht mit dieser Angst im Nacken. Ich sah nicht, wie weit es noch war, bis wir den Platz überquert hätten, doch nur einen Augenblick später spielte das auch keine Rolle mehr. Leo blieb plötzlich stehen und zum x-ten Mal stieß ich gegen ihn. „Ich hätte es wissen müssen...“ ,raunte er, während ich versuchte über seine Schulter zu blicken. Leo ließ es nicht zu, sein ganzer Körper war angespannt. „Lauf.“ ,flüsterte er so leise, dass ich es nicht verstand. „Lauf, Diana lauf!“, sagte er diesmal deutlicher. „Laufen? Was-“, weiter kam ich nicht. Leo griff blitzschnell nach meiner Hand und zerrte mich mit sich. In diesem Moment sah und begriff ich endlich, was los war. Fünf schwarze Ritter kamen uns entgegen....gerannt.

Keuchend stolperte ich hinter ihm her, mir fehlte es eindeutig an Kondition! Leo dagegen schien nur so durch die dunklen Straßen zu fliegen. Wir rannten zurück durch die kleinen Gassen, fast bis zum Torbogen, doch dann bog Leo plötzlich in eine weitere Straße ein, ich hinter ihm her. Ich drehte mich ab und zu um, die schwarzen Ritter folgten uns, sie schienen sich aufgeteilt zu haben, denn hinter uns waren nur noch zwei oder drei. „Es.....fehlen.....zwei!“, brüllte ich Leo luftschnappend zu. „Ich weiß. Komm, sie wollen uns den Weg abschneiden!“ Also rannten wir weiter. Straße für Straße. Ich hatte Angst, mein Herz raste, fast schneller als meine Beine, wieder blickte ich mich um, nichts mehr. Hatten wir sie abgehängt? „Sie sind nicht mehr hinter uns.“, sagte ich und verlangsamte meinen Schritt, doch nur, um einen Atemzug später völlig unerwartet von Leo in eine wirklich winzige und dunkle Gasse, die sich als Zwischenraum zwischen zwei Häusern identifizierte gedrückt zu werden. Ich stand mit dem Rücken zur Mauer, während Leo mich fest gegen die Mauer drückte, als wolle er mich in die Mauer pressen und eine Hand auf meinem Mund legte. Seine dunklen Augen verrieten Anspannung, das konnte ich erkennen, auch ohne das er mich anschaute, denn Leo blickte zurück auf die Straße. Minutenlang standen wir zusammengedrückt an der Hausmauer und lauschten in die Nacht. Die Ritter schienen verschwunden. Langsam nahm Leo seine Hand von meinem Mund. Erleichtert atmete ich auf. Leo rückte schließlich ein weiteres Stück von mir ab und schaute vorsichtig aus unserem Versteck. „Diana?“ „Ja?“ „Ich glaube,...sie sind weg.“ Endgültig erleichtert ließ ich meinen Kopf gegen die Wand sinken. Mein Puls entspannte sich und ich spürte die Hitze in meinem Körper, die durch die Verfolgungsjagd ausgelöst war. „Komm. Wir sollten wirklich keine Zeit mehr verlieren.“, sagte Leo und nahm meine Hand, wo ich nichts gegen hatte.
Zu meiner Überraschung waren wir so lange und so weit gerannt, dass der Weg bis zum Hotel kaum mehr als ein paar Minuten weit war.

Wir betraten ein kleines Haus, das völlig unbeleuchtet vor uns lag. Leo schaute sich noch einmal um, doch in der Dunkelheit entdeckte er nichts, was eine Gefahr sein könnte.
Innen war alles dunkel und altertümlich für meine Verhältnisse. Möbel aus dunklem Holz schmückten die kleine Eingangshalle, wenn man so etwas überhaupt Eingangshalle nennen konnte. Auf einem Tisch brannte eine Kerze, die schon fast ausgebrannt war. Leo trat an den Tisch heran und klopfte mit der Hand auf die Tischplatte. Sofort hörte ich eine Tür, die über mir öffnete. Über mir? Erst jetzt erkannte ich, das über dem Tisch eine Art Balkon lag, eine länglicher Flur mit Geländer und Blick auf die Eingangshalle. „Ja? Wer besucht Ronjas Hotel zu solch später Stund?“ „Ronja, hier ist Leonard.“ „Der Gefangene der Königin?“ „Genau der.“,antwortete Leo tonlos. „Was kann ich für die tun?“ „Ich brauche zwei Zimmer.“ „Gleich zwei?“ „Ja, ich bin nicht allein. Ich habe ein Mädchen bei mir.“ „Ich sehe sie. Sie ist blond.“ „Ja, hast du nun zwei Zimmer oder nicht?“ „Nein.“ „Nein?“ „Nein. Nicht zwei, nur eins.“ „Oh.“ Leo wandte sich mir zu. „Wäre das ein Problem? Ich meine, wenn wir wieder nur ein Bett hätten? Ich möchte ungern wieder nach draußen und ein Hotel suchen, dass möglicherweise zwei Zimmer hat.“ Ich verneinte. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, warum sollte ich nicht noch eine weitere Nacht neben ihm aushalten, wenn ich es bereits eine geschafft hatte, außerdem ich mochte es ja auch … irgendwie. „Wir nehmen das Zimmer.“ „Gute Wahl. Nehmt euch die Schlüssel, liegen neben der Kerze, Zimmer 3. Frühstück ab 7 Uhr, wenn etwas ist, du weißt ja... einfach klopfen.“ „Ja, danke, Ronja. Auch das wir noch zu so später Stunde hier her kommen durften.“ „Keine Ursache. Schlaft wohl.“, dann war sie verschwunden. „Zimmer drei ist oben.“, sagte Leo und wir stiegen eine enge kurze Treppe hinauf. Es gab bloß fünf Zimmer hier. Jetzt waren alle belegt. Zimmer drei war nicht sehr komfortabel. Es gab ein Bett, was nur halb so breit wirkte, wie die Matratze in der <Hütte der sprechenden Ziegel>, einen Stuhl dem schon ein Bein fehlte und ein bescheidenes Bad, mit Dusche, Waschbecken und Toilette. Bettwäsche und Handtücher waren auch nicht mehr die neusten, sie hatten Risse und Löcher. Das konnte ja eine Nacht werden!

Erschöpft ließ ich mich auf das Bett fallen und schaute an die Decke. Leo stellte seine Tasche ab und schloss die Tür. Dann lehnte er sich an die Wand und schloss seine Augen. Sekunden verstrichen und keiner von uns sagte etwas. In diesem Moment ließ ich meinen Gedanken freien Lauf. Wer waren diese Leute hier? Die schwarzen Ritter? Die Königin? Die Einwohner dieser dunklen Stadt? Ronja? Konstantin? Wilhelm und Veronica? Und all die anderen? Was war das hier? Eine unendeckte Welt? Wo um alles in der Welt war ich hier? Noch nie waren diese Gedanken so verzweifelt wie jetzt, dachte ich. In allen Geschichtsbüchern, hatte ich noch nie was von der Herrschaft einer Königin Duretta gehört. Wo regierte sie? Ja, wie hieß das Land eigentlich, wo ich war? Tausend Fragen und ich bekam das Gefühl nicht los, dass es nicht meine letzten sein sollten. Vielleicht sollte ich Leo fragen. Ich überlegte, aber selbst ihn kannte ich nicht. Oder? Ich drehte mein Kopf in seine Richtung und beobachtete ihn, wie er dort mit geschlossenen Augen stand, die Hände an der Wand. „Leo?“, fragte ich endlich. „Ja?“, fragte er zurück, ohne die Augen zu öffnen. „Meinst du, du könntest mir ein paar Fragen beantworten?“ „Sicher.“ „Wie heißt dieses Land?“ „Nenn es wie du willst, es hat keinen richtigen Namen. Konstantin sagt, es heißt Land zwischen Licht und Schatten.“ „Land zwischen Licht und Schatten?“ „Licht regiert, aber es wirft auch Schatten, aus denen die Dunkelheit entsteht.“ „Wo Licht ist, ist auch Schatten, nicht wahr?“, sagte ich. „So konnte man es sagen.“ „Kennst du noch andere Welten? Ich meine, Konstantin kennt Berlin, meine Welt.“ Leo schluckte. „Ja, ich kenne nicht nur diese Welt.“, sagte er knapp.
„Sondern?“, ich wurde neugierig. Leo öffnete die Augen und sah mich an. „Andere halt.“
„Geht das auch etwas genauer?“ „Berlin.“ „Berlin? Wirklich?“, ich strahlte, richtig erleichtert diese Antwort von ihm zu hören, ein Stück Heimat...irgendwie. „Das ist...Wahnsinn!“ Ich sprang auf. „Warum hast du das nicht schon früher gesagt? Bei Konstantin zum Beispiel? Ich meine.... und überhaupt woher kennst du Berlin...jetzt sag nicht, du warst schon Mal dort?!“ Ich war total außer mir. Leos Blick glitt an mir vorbei.
Ich bekam keine Antwort. „Leo? Alles in Ordnung?“, fragte ich. „Ich hab schon von Berlin ...gehört.“ Diese Antwort war ernüchternd, irgendwie war ich enttäuscht, hatte mehr erwartet. „Oh. Schade.“ Leo zuckte bloß mit den Schultern. „Ich geh mal duschen.“, sagte ich und ging ins Bad. Ich schloss die Türe und zog mich aus. Meine Laune sank plötzlich immer tiefer. Warum empfand ich es als so schlimm, dass Leo „nur“ von Berlin gehört hatte, aber nie selbst dort war? Ich stieg in die Dusche, die wirklich nicht komfortabel war, die Fließen hatten Risse und der Duschkopf war vollkommen verrostet. Seufzend drehte ich das Wasser auf und ließ es über meinen Körper fließen. Wie angenehm! Auch wenn es meine Laune nicht wirklich steigerte. Kurzerhand griff ich nach einem der zerfetzen Handtücher und trocknete mich ab. Was blieb mir anderes übrig, als wieder in meine verdreckten Klamotten zu schlüpfen? Mürrisch zog ich mir mein T-Shirt wieder an. Dann trat ich vor den schmutzigen Spiegel und schaute mich an. Ich war total neben der Spur. Meine Gedanken beherrschten mich. Einerseits hing ich immer noch in den Gedanken um diese Welt und die Leute, anderseits aber beschäftigte mich auch Leo. Warum hatte ich nur erwartetet, er sei schon mal in Berlin gewesen? Vielleicht, weil er es schon Mal war? Was? Ich schüttelte den Kopf, meine innere Stimme ging eindeutig zu weit. Jetzt wurden meine Gedanken wirklich abgedreht. Seufzend wand ich mich von meinem Spiegelbild ab und zog auch noch meine restlichen Sachen an. Das hatte doch alles keinen Sinn mehr! Entnervt verließ ich das Bad und stellte fest, dass ich alleine war. Leo war verschwunden. „Leo?“ Keine Antwort. Im ersten Moment dachte ich, er wäre abgehauen, doch dann sah ich seine Tasche, sie stand immer noch dort, wo er sie hingestellt hatte. Ich atmete erleichtert aus. Ich überlegte, ob ich auf dem Flur nachschauen sollte, doch dann fiel mir Ronja wieder ein, sie wirkte merkwürdig, also entschied ich mich dagegen, außerdem meldete sich mein Magen, ich hatte Hunger, kein Wunder nach einer solchen Hetzjagd. Essen? Hm. Mein Blick fiel auf Leos Tasche. Natürlich, Konstantin hatte uns Proviant mitgegeben! Ich nahm mir die Tasche und setzte mich zurück auf das Bett. Vom Hunger getrieben öffnete ich die Tasche, ohne darüber nachzudenken, dass sie Leos gehörte und ich ihn hätte fragen sollen, bevor ich sie aufmachte. Zu spät. Das Essen war schnell gefunden und ich fiel darüber her, doch dann wurde ich jäh unterbrochen und erschreckte zu tiefst, als eines der Gestellbeine des Bettes nachgab und unter mir zusammenbrach. Mit einem lauten Schrei saß ich perplex auf dem Boden, unter mir nur noch die Matratze und Holzsplitter. Was für eine Nacht! Hatte ich es nicht gesagt? Verdattert schaute ich mich um, und erwartete fast, das jemand an die Tür klopfte und mich fragen würde, ob alles in Ordnung sei. Doch nichts dergleichen geschah. Schließlich sammelte ich das Essen wieder ein, einen Muffin mit Beerengrütze. Ich wollte gerade hinein beißen, als mein Blick auf Leos Tasche fiel, sie war bei dem Einsturz herunter gefallen und ihr gesamter Inhalt lag zerstreut auf dem Boden. Ich hielt inne, bevor ich mich schließlich auf den Boden kniete und mich der Tasche widmete. Der Kompass war heraus gefallen, ich nahm ihn in meine Hand und schaute ihn mir an, wirklich ein schöner Kompass. Sogar mit Gravur „Leonard Gerol“ Gerol? War das sein Nachname? Scheint so. ich legte den Kompass zurück in die Tasche und griff nach dem nächsten Teil, ein zerknittertes und zusammengefaltetes Zettelchen und ein großer gefalteter Zettel. Ich öffnete zuerst den großen und erstarrte. Ein U-Bahnplan.... von Berlin. Ich schaute ihn genauer an, zwei Stationen waren markiert. Warum hatte Leo einen U-Bahnplan von Berlin bei sich? Er war doch noch nie dort und hatte nur von der Stadt gehört? Verwirrt nahm ich das kleine Zettelchen in die Hand und faltete es auseinander, der nächste Schock. Eine Adresse, eine Adresse in Berlin. Ohne das ich etwas dagegen machen konnte, begannen meine Hände zu zittern. Schnell ließ ich die Zettel ebenfalls in der Tasche verschwinden und kümmerte mich um das nächste. Diesmal eine Art Brieftasche. Ich hielt sie in der Hand und es war das erste Mal, dass ich überlegte, ob ich mich wirklich wagen konnte, etwas zu öffnen, dass Leo gehörte. Doch meine Hände zitterten ohne Kontrolle und so öffnete sich die Brieftasche fast von alleine. Fotos, Briefmarken, Telefonnummern, Kassenzettel und ein Brief mit Leos Namen drauf. Wie in Trance blickte ich auf die Sachen, Briefmarken mit dem Kölnerdom, Telefonnummern mit Berliner Vorwahlen, Kassenzettel von Läden... in Berlin. Schließlich blieben nur noch der Brief und die Fotos. Ich nahm zuerst die Fotos, es waren drei an der Zahl. Auf dem einen war ein kleiner blonder Junge, der einem mit einem Schokoeis in der Hand entgegen lächelte. Ich drehte das Bild um und entzifferte die verblasste Handschrift -Leonard- . Erstaunt drehte ich das Bild wieder um, und betrachtete den kleinen Leo mehrere Minuten, bevor ich mir auch noch die anderen Fotos anschaute. Das eine, ein Familienfoto, Leo, ein etwas älter wirkendes Mädchen und zwei Erwachsene. Seine Familie? Aber auch hier war er blond und ich schätzte ihn auf dreizehn oder vierzehn Jahre. Das letzte Foto zeigte einen Hund, einen kleinen Dackel mit grünem Halsband. Das wars. Den Brief wagte ich nicht zu öffnen. Ich hatte so wie so schon zu viel gesehen. Ich verschloss die Brieftasche sorgfältig und ließ auch diese in der Tasche verschwinden. Benommen stand ich auf und legte die Tasche zurück an ihren Platz. Ich fühlte mich noch mehr verwirrt. Noch mehr Fragen drängten sich in meinen Kopf, davon eine ganz besonders, ausgerechnet die, deren Antwort ich am wenigsten ertragen konnte, wer ist Leo wirklich? Ich bekam das Gefühle, dass er mir etwas verschweigt nicht mehr los. Wer bist du? Leo, wer bist du? Was soll das alles? Berlin. Was weißt du über diese Stadt? Warst du wirklich noch nie dort? Warum der U-Bahnplan mit den markierten Haltestellen? Die Adresse? Die Nummern? Die Fotos? Ich wollte endlich Antworten! Seit Tagen hocke ich im Ungewissen, weiß nicht wo ich bin, wer die hier sind und was das Ganze überhaupt für einen Sinn hat! Es wurde Zeit für ein paar Klarheiten! Und zwar jetzt! Wütend und entschlossen stand ich auf und öffnete die Zimmertür mit Schwung. Der Flur vor mir war dunkel und mein Herz klopfte. Dann trat ich einen Schritt auf den Flur, mir doch egal, wenn mir diese Ronja begegnen würde. Ich schloss alle Ängste aus und lief mutig genug los, auf der Suche nach Leo und ein paar vernünftigen Antworten.


Dieses Kapitel ist noch nicht beendet.

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Tag der Veröffentlichung: 07.02.2010

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