Prolog
"Ooodin, Oooooodin!!"
Laut schallt ein Ruf durch die Stille Asgards.
Seufzend wendet sich Odin von der purpurnen Wolke ab und dreht sein Haupt zur Tür wo im gleichen Moment eine der Nornen schnellen Schrittes und mit hochrotem Kopf erscheint.
"Was tut er jetzt schon wieder?"
"Ich kann so nicht weben! Ständig zerrt er am Schicksalsfaden und reißt große Löcher in das Wyrd, dieser Mensch!!! - Odin unternimm endlich was!"
Odin wiegt das weise Haupt. "Die Söhne der Walküren sind in ihren Handlungen unberechenbar. Wir sollten ihm eine Aufgabe geben. Eine, die ihn ausfüllt, beschäftigt und ihn beherrscht... Eine Frau!"
Sein Blick fällt durch die Wolkendecke Midgards. "Aber nicht irgendeine! Eine mutige, starke Frau. Lieblich wie eine Rose und hart wie Diamant, weich wie Seide und grob wie Felsen. Eine, die ihn fallen lässt und wieder auffängt... Anna!"
Zhar’Doom
Grau waberte der Nebel über die kleine Lichtung und tauchte die Bäume in ein gespenstisches Licht. Es war noch früh am Morgen als Zhar’Doom aus seinem unruhigen Schlaf erwachte und vor das Zelt trat. Er fröstelte und sah zu dem kleinen Wald am Rande der Lichtung, wo die Äste der Bäume sich wie die skelettierten Arme von Toten zum Himmel reckten und der Nebel alles einhüllte wie ein riesengroßes Leichentuch.
Er schüttelte sich um diese Gedanken zu vertreiben. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass dieses merkwürdige Gefühl, das er seit Tagen hatte, in seinen Nacken schlich und er sich unwohl fühlte. Er sah hinüber zu dem anderen Zelt wo sich nichts regte und fuhr sich mit beiden Händen durch sein filziges, struppiges Haar. Wann hatte er sich das letzte Mal gewaschen? Es schien ihm unendlich lange her zu sein und weit weg, wie alles an das er sich von Zeit zu Zeit erinnerte. Er mochte dieses feucht-kalte Wetter nicht. Sein Körper mochte es nicht. Ließ es doch alte Narben erneut in sein Bewusstsein dringen, die ihn erinnerten, dass der Tod mehr als einmal seine kalten Hände nach ihm ausgestreckt hatte.
Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. Der Tod müsste sich schon anstrengen um ihn zu kriegen. Er war nicht irgendwer. Immerhin war er ihm fast ebenbürtig, denn niemand hatte je soviel Angst und Schrecken verbreitet. Seine Spuren waren Asche und verbrannte Erde und die Menschen flüsterten seinen Namen nur hinter vorgehaltener Hand um das Unglück nicht anzulocken. Menschen! Er verachtete sie. Sie waren ihm gleichgültig. Lästige Insekten die man zwischen den Fingern zerdrückt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Mitleid war ihm fremd wie fast alle Empfindungen den Menschen gegenüber und Gnade war eine Sache der Götter.
Seit Tagen wurden sie verfolgt. Wie ein Raubtier, das eine Falle wittert, spürte Zhar die Anwesenheit der Jäger. Wie eine unsichtbare Bedrohung, die unbegründet Unbehagen verschafft ohne greifbar zu sein. Im Zelt neben ihm rührte sich was. Er hörte das Rascheln des Stoffes und Dragonheart blinzelte gähnend ins Licht.
Dragonheart , seine Kampfgefährtin. Deren richtigen Namen er immer noch nicht wusste und der ihn eigentlich auch nie interessierte. Was waren schon Namen? Er konnte sich ja kaum an seinen eigenen erinnern, oder daran das andre ihn aussprachen. Ihr schlanker Körper reckte und streckte sich. Zhar’Doom sah zu ihr hin und lächelte. „Hunger?“ im gleichen Moment warf er ihr einen Apfel zu, den sie geschickt auffing .„Woher hast du ihn?“ fragte sie kauend. „ Vom Baum.“ antwortete Zhar und grinste.
Dragonheart stellte keine weiteren Fragen. Sie stellte nie Fragen und befreite Zhar von den Antworten über so unwichtige Dinge wie: wo kommst du her und wer bist du. Sie war einfach da und sie blieb. Sie war das Schwert an seiner Seite, verlässlich und tödlich. Zhar fühlte sich unbehaglich und wollte so schnell wie möglich aufbrechen. Bald würde der Winter kommen und dann wollte er in den Bergen sein, in Sicherheit, weit weg von den Menschen. Er sah zu wie Dragonheart ihre völlig verdreckte Lederrüstung ausschüttelte. Es wurde Zeit endlich zu verschwinden. Er sah wie sich ihre kleinen Brüste unter dem Leinenhemd abzeichneten und in seinem Kopf erhellte ein Blitz kurz eine Erinnerung an ein silberhelles Lachen, an einen weichen warmen Körper, einen kurzen Moment Glück… Zhar zuckte zusammen. Er hasste die Geister der Erinnerung.
Erinnerungen, die er nicht wollte, die ihn aber von Zeit zu Zeit heimsuchten wie ein lästiger Krähenschwarm, vor dem es kein Entrinnen gab. Der seine Seele mit spitzen Schnäbeln traktierte bis der Schmerz unerträglich wurde und sich in endloser Wut entlud.
Einer Wut, die über die Grenzen des Erdenklichen hinausging. Zerstörend. Destruktiv. Mächtig. So mächtig, dass sie einen Mann dazu veranlasste sich wie ein bösartiges Tier zu benehmen, das nur durch den Geschmack von Blut zu besänftigen ist.
Abrupt wendet sich Zhar von Dragonheart ab, sein Kopf schmerzt. Wie immer nach diesen blitzhaften Erinnerungen, die sich wie glühende Nadeln in seinen Schädel fressen. Er fängt an zu packen und Dragonheart verschluckt die Worte, die sie grade an ihn richten wollte, als sie in seine zu Schlitzen verengten Augen sieht. In ihnen glitzert und flackert es böse, ein Inferno aus grünen Blitzen und reiner Mordlust und sie packt wortlos ihr Zelt zusammen. Schon zu oft sah sie wie Zhars Schwert unbedachte Fragen mit einem Streich beantwortete.
Zhar’Dooms Vorahnungen waren nicht unbegründet. Nicht allzu weit entfernt von der kleinen Lichtung rasteten bewaffnete Reiter. Wie ein Rudel Bluthunde folgen sie Zhars Spuren und trieben ihn unbemerkt vor sich her. Im Hintergrund bleibend, lauernd. Wie eine Schlinge, die sich unmerklich und langsam, aber sicher um Zhars Hals legt. Sich von Stunde zu Stunde enger zuzieht und ihn das Leben kosten wird.
Während Zhar’Doom und Dragonheart aufbrechen in Richtung Osten, löst sich aus der Truppe der Verfolger ein einzelner Reiter und prescht davon.
*
Anna
Die Sonne wirft ein paar zögerliche Strahlen auf die sanften Hügel der Ebene, wo eine einsame Gestalt reglos am Rande eines kleinen Plateau steht. Im Licht der Sonne gleißt und schimmert ihre Rüstung, als wäre sie aus reinem Gold. Sie steht da und rührt sich nicht als warte sie. Lauschend, beobachtend, erhaben.
Ihr Blick gleitet den Hügel hinab hin zu der kleinen Zeltstadt zu ihren Füssen, den Lagerfeuern, den Männern und den Pferden. Ihr Blick ist voller Stolz und Wohlwollen und dennoch hat sie eine Sorgenfalte auf der Stirn. Ihr Blick gleitet wieder zurück zum Horizont. Seit Tagen hat sie nichts mehr gehört von den Reitern, die sie aussandte. Seufzend dreht sie sich um und betritt den schmalen Pfad der sie hinab in das Lager führen wird.
Ein plötzlicher Tumult stoppt ihren Schritt und sie sieht einen einzelnen Reiter, der sich ihr schnell nähert. Gespannt schaut sie zu ihm hin. Der Reiter springt von seinem Pferd und sinkt auf die Knie: „Mylady.“
Ein hellblaues Augenpaar mustert den Mann und ein Lächeln umspielt einen herzförmigen roten Mund, in dem schneeweiße Zähne wie Perlen auf einer Kette blitzen. Ihre weichen Züge umrahmt von langem, seidigem Haar, das in der Sonne wie gesponnenes Metall wirkt, lassen ihre edle Herkunft nicht verhehlen. „Steht auf und berichtet mir.“ ihre Stimme ist melodisch und weich wie ein warmer Sommerwind auf nackter Haut.
Der Reiter erhebt sich und berichtet. Worte auf die sie seit Tagen sehnsüchtig gewartet hat. Worte, die sie herbei gesehnt hat und die der Grund sind, dass sie die Burg verließ um sich auf diese beschwerliche Reise zu machen. Nur vier Worte, die gemessen an den ganzen Worten dieser Welt nichtig sind, aber die für sie in diesem Moment wichtiger sind als die ganze Welt:
„Wir haben ihn gefunden!“
Ihr sanfter Blick wird hart und ihre blauen Augen sprühen Funken. Ihr schöner Mund verzieht sich zu einem ironischen, zufriedenen Lächeln „Ahnt er etwas?“
„Nein, Lady Anna.“ stammelt der Mann, „Er brach auf in Richtung Osten und wir folgen ihm.“
„Gut“ antwortet sie, „dann wird es Zeit, die Falle langsam zuschnappen zu lassen. Sagt den Männern, dass sie ihn von Westen und Norden her einkreisen sollen.“
Der Mann schaut sie zweifelnd an. „Herrin, er ist nur ein einzelner Mann, wozu dieser Aufwand?“
„Schweig!“ herrscht sie ihn an und ihre Augen sind kalt und ohne Regung, wie die einer Katze die mit ihrem Opfer spielt bevor ihre tödlichen Krallen das Spiel und das Leben beenden. „Und tut was ich euch sage!!“
Der Bote dreht sich schweigend um und beeilt sich davon zu kommen, man diskutiert mit keiner Herrin. Erst recht nicht mit einer Furie wie Lady Anna, deren Wildheit und Stolz weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist und schon so manchen königlichen Freier in tiefe Verzweiflung stürzte, wenn sie ihrer Absage mit dem Schwert Nachdruck verlieh.
Anna wendet sich erneut dem Horizont zu. Zhar’Doom... Es wird Zeit dein verfluchtes Dasein in dieser Welt zu beenden. Ihre Gedanken kreisten um die Bilder die sich ihr boten nachdem Zhar’Doom ihr Land verwüstet hatte. Er war wahrlich nur ein einzelner Mann. „NUR“ - Anna verzieht das Gesicht. Er war eingefallen wie eine Landplage und hatte innerhalb kürzester Zeit ein friedliches Volk in Aufruhr versetzt. Der Zorn stieg in ihr auf wie eine glühende Flamme und trieb ihr Tränen der Wut und Abscheu in die Augen.
Abgeschlachtet wie Lämmer hat er sie. Geplündert, die Dörfer angezündet, ihre Krieger zum Narren gehalten. Dieser Dämon würde nicht mehr lange leben, das schwor sie bei den Göttern und der Zorn wurde zu einem tiefen Schmerz, der ihr die Brust zusammen schnürte und ihr den Atem nahm.
Lady Anna war nicht nur von edlem Geblüt, sondern dazu in der Lage mehr zu sehen als das, was ihre Augen ihr boten. Zu Verdanken hatte sie dies dem Umstand von einer Heilerin und Hexe erzogen worden zu sein. Schon früh erkannte diese die Gabe der jungen Anna und lehrte sie ihre Wahrnehmungen und Empfindungen zu nutzen.
Die vielen Gefühle der leidenden Menschen in ihrem Land brachen über sie herein wie eine Flutwelle und begruben sie unter sich. Sie konnte sich kaum gegen den körperlichen Schmerz wehren, der sie mit dieser Welle befiel und sie würde erst wieder Ruhe verspüren wenn sie den zur Strecke brachte der dafür verantwortlich war: Zhar’Doom.
*
Zhar’Doom zügelte sein Pferd. Seit Stunden waren sie unterwegs und immer noch schwiegen sie sich an. Irgendwas störte ihn. Irgendwas Bedrohliches kam näher und er war nicht dazu in der Lage es zu deuten. Er schob es auf die Müdigkeit, die er seit ein paar Tagen immer deutlicher spürte. Die vielen Kämpfe forderten ihren Tribut, hingen an seinem Körper wie Eisengewichte und machten ihn schwer und müde. Er bedeutete Dragonheart anzuhalten und glitt vom Pferd. Bald würden sie die Ebene erreicht haben. Von dort konnte man die Gebirgskette sehen, die ihr Ziel war. Dragonheart missfiel diese Pause offensichtlich und sie drängte ihr Pferd dicht an ihn. „Was ist los? Müde? Du lässt nach Zhar!“ ihre Worte waren voller Spott und ihr Blick kalt und nichtssagend wie aus den Augen eines Reptils. Blitzschnell fasst er ihr Bein und hebelt sie aus dem Sattel. Mit einem spitzen Schrei poltert sie auf den lehmigen Boden. Drohend steht er über ihr und wieder erhellt ein Blitz seinen Kopf. Schreie. Spitze hohe Schreie. Der Geruch von Feuer. Etwas zerrt an ihm, hält ihn eisern fest, schneidet in sein Fleisch. Dann der Schmerz. Mit beiden Händen fasst er sich an den Kopf und fällt auf die Knie…
*
Lady Anna läuft unruhig in ihrem Zelt hin und her. Tage sind vergangen seit der Bote das Lager verließ und immer noch hat sie keine Nachricht. Das Warten macht sie mürbe. Zum wiederholten Male nimmt sie ihr Schwert in die Hand und überprüft die Schärfe der Klinge und zum wiederholten Male stellt sie fest das ihr Schwert rasiermesserscharf ist. Sie streichelt zärtlich über den Griff der Waffe, in der ein großer blutroter Rubin seinen Sitz hat. Sie lächelt den Stein an… Bald...
*
Mühsam erhebt sich Zhar’Doom wieder auf die Füße, und sieht in das unbewegte Gesicht von Dragonheart, die bereits wieder auf ihrem Pferd sitzt. Wie völlig betrunken hält er sich am Sattel seines Tieres fest. „Lass uns weiter reiten.“ Er zieht seinen schmerzenden Körper nach oben auf den Rücken des Tieres und wieder fühlt er diese Bedrohung. Die sich von hinten an ihn anschleicht, ihn antreibt nach Osten, in die Berge, dort waren sie sicher. Die Ebene lag kurz vor ihnen. Am Horizont ragte die Gebirgskette wie drohende schwarze Riesen in den Himmel und bald würde die Sonne untergehen. Sobald ihr Feuerball den Gipfel des Berges küsst wird sie verschluckt werden und der Nacht Platz machen.
Einer Nacht, die mit ihrem schwarzen Tuch alles Unheil und Elend der Welt zudeckt, unsichtbar macht, als wäre es nie gewesen. Den Schmerz lindert, vergessen lässt, gnädig jedes Leid verhängt und allen Kreaturen Frieden schenkt. Zhar liebte die Nacht. Sie war seine Verbündete, seine Geliebte. Sie nahm ihm die Schwere seines Daseins, das er selber so verachtete.
Sie war die Zeit der Stille und der Ruhe. Die Zeit, wo der Himmel näher an die Erde rückt und die Menschen näher an die Götter. Oft saß er nachts vor seinem Zelt und lauschte in diese Stille, als würden hier die Antworten auf all seine Fragen liegen.
*
Hufschlag schreckt Lady Anna auf und sie legt das Schwert beiseite und tritt vor das Zelt, der Bote ist zurück. Ihre Augen leuchten erwartungsvoll und in der leichten Brise des Abendwindes, der ihr langes Haar und ihr Gewand erfasst, gleicht sie der fleischgewordenen Rache einer Göttin. Sie erkennt an dem schaumbedeckten, zitternden Pferd, dass der Mann in allerhöchster Eile unterwegs war.
„Sagt mir, sagt mir was ich hören will und dann lasst euch mit gutem Wein verwöhnen.“ Anna spricht diese Worte mit der Freude eines Kindes das mit geröteten Wangen ein sehnlich gewünschtes Geschenk auspackt, vergessend dass sie den Tod bedeuten. Den Tod eines Menschen: Zhar’Doom, der Zerstörer, der Verschlinger, der Dämon. Sie klatscht in die Hände als sie erfährt, dass ihr Plan aufgegangen ist und das Objekt ihrer Begierde nur noch wenige Stunden von ihr entfernt ist. Und sie vergisst in ihrer kindlichen Freude sogar, dass erneut Blut fließen wird.
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Die Ebene liegt vor ihnen wie ein riesiger Tisch der Götter. Nur ein paar sanfte Hügel erheben sich wie die runden Brüste einer wunderschönen Frau aus dem Boden. Zhar stoppt sein Pferd und deutet auf die Berge, die sich in der Ferne gegen den Himmel erheben. Noch hat die Nacht nicht über den Tag gesiegt, aber die Niederlage des Tages ist bereits eingeläutet. Der Himmel ist grau und es sind Minuten in denen die Zeit still zu stehen scheint. Minuten eines Todeskampfes, in denen die Augen des Sterbenden brechen und die die Welt grau werden lassen. Minuten, wo sich diese Welt mit dem Jenseits verbindet, ihre Tore weit offen stehen und die Seelen wandern.
*
Im Lager herrscht rege Betriebsamkeit. Lady Anna lässt ihre Soldaten aufsitzen. Nur noch wenige Minuten. Sie streichelt ihr Schwert, dann legt sie ihre schimmernde Rüstung an. Sie tut es mit einer Eleganz und Anmut, die sonst nur Raubkatzen zueigen ist. Und wie eine Raubkatze fühlt sie sich als sie ihr Schwert nimmt und das harte Metall warm in ihrer Hand liegt.
*
Ein Geräusch hinter sich holt Zhar zurück auf den Boden und er dreht sich im Sattel um. Dort wo der Wald aufhört und in die Ebene übergeht stehen Reiter. Zhar unterdrückt einen Fluch und tritt seinem Pferd in die Flanken. Dragonheart tut es ihm gleich und in wildem Galopp überqueren sie die Ebene, Seite an Seite, ein Bündel von Hufen und wehenden Haaren. So erreichen sie den Gipfel des nächsten Hügels, aber anstatt in das Tal zu reiten erstarrt Zhar vor Schreck.
Er reißt so hart am Zügel, dass sein Pferd sich aufgrund dieser Misshandlung wild aufbäumt. Die Talsenke ist voll mit Reitern. Ihre Rüstungen sehen unwirklich aus im grau des sterbenden Tages und Zhar begreift, das er in der Falle sitzt, denn von hinten nähern sich unerbittlich seine Verfolger. In seinem Kopf schlagen die Gedanken Purzelbäume. War es das was er seit Tagen spürte, was ihn seit Tagen beunruhigte und antrieb, die Bedrohung die er spürte?
Dragonheart sieht ihn fragend an. Wieder und wieder bäumt sich sein Pferd auf. Was er nicht wahr nimmt ist die Gestalt in schimmernder Rüstung die auf einem kleinen Plateau steht und ihn fixiert. Ihn, den Barbaren, den Dämon aus einer andren Welt, der aus der Entfernung verschmolzen scheint mit seinem tobenden Pferd. Lady Annas Herz schlägt schneller, hatte sie doch fast erwartet ein gehörntes Monstrum zu sehen anstelle dieses Mannes. Sie schalt sich selber einen Narren und lächelte, Zhar’Doom war nur ein Mann…
*
Zhar zwingt das Pferd unter seine Kontrolle und galoppiert einen Ausweg suchend auf dem Kamm des Hügels hin und her. Bis er stoppt und langsam zu Dragonheart reitet, sein Pferd an ihres zwingt und sein Schwert in die Hand nimmt. Er lächelt Dragonheart zu und durchtrennt die Seile, die die Gepäckstücke auf den Pferden halten. Er hat sich entschieden.
Dragonheart tut es ihm gleich und wieder sehen sie sich an. „Hast du etwa gedacht, du lebst ewig?“ Sie lächelt und kennt die Bedeutung dieser Worte nur zu gut. Dann holen sie aus und schlagen die Griffe ihrer Schwerter so heftig zusammen, dass es Funken regnet.
*
Die Gestalt auf dem Plateau hört das Klingen des Metalls und ein kalter Schauer rieselt ihren Rücken herab. Ihr Körper strafft sich voller Anspannung als sie plötzlich sieht wie die beiden Reiter im wilden Galopp auf ihre Truppen zustürmen.
Nur noch wenige Meter trennen ihre Truppen von den wie wild heranjagenden Dämonen und Lady Anna hört ihr Herz laut und hektisch schlagen. Was zum Teufel haben sie vor? Sie umklammert den Griff ihres Schwertes so hart das die Knöchel ihrer Handgelenke weiß hervortreten. Hat sie wirklich gedacht er würde sich kampflos ergeben? Meine Truppen sind in der Überzahl, sagte sie sich und versucht damit ihre Nervosität zu beruhigen, er hat keine Chance! Genau in dem Moment erreichen Dragonheart und Zhar’Doom die Spitze ihres Heeres und krachen mit voller Wucht in die formierten Krieger.
Lady Anna hört das Krachen und Scheppern von Metall und beisst sich auf die Unterlippe. Der Aufprall hat die Spitze ihres Heeres durchbrochen und die Hälfte der Krieger von den Pferden geholt, die wie hilflose Marienkäfer auf dem Boden zappeln. Sie sieht scheuende, wild durcheinander laufende Pferde und die Befehle brüllenden Hauptleute, die verzweifelt versuchen die Ordnung wieder herzustellen. Und sie sieht noch etwas, das ihr den Atem für einen Moment stocken lässt: Zhar’Doom, der immer noch wild um sich schlagend ihre Krieger zur Karikatur eines Heeres macht und sein Pferd gnadenlos tiefer in die Reihen der Kämpfer treibt. So wie man einen Stock in einen Ameisenbau steckt und die Ameisen völlig verwirrt, genauso verwirrte er ihr Heer.
Tiefer und tiefer schiebt sich die Vernichtung in die Truppen um dann seitlich auszubrechen und wieder zurück zu kommen. Zhar treibt die Kämpfer kreuz und quer vor sich her, reißt die Flanken des Heeres auf und sein Schwert zieht eine blutige Spur.
Minute um Minute zieht sich der Kampf in die Länge und je mehr Minuten vergehen umso mehr ihrer eigenen Leute sieht Lady Anna fallen. Der Zorn in ihr steigt und wird größer und größer... Langsam hebt sie ihr Schwert, bereit sich in den Kampf zu stürzen, als die Abendsonne einen letzten Gruß über das Gebirge schickt und ein letzter Sonnenstrahl ihr erhobenes Schwert trifft und es aufleuchten lässt.
Und es ist genau dieses Aufleuchten das Zhars Aufmerksamkeit erregt. War ihm bis dahin die Gestalt in goldener Rüstung entgangen, so zeigte sie sich ihm nun in voller Pracht. Zhar wusste instinktiv wen er da vor sich hatte und plötzlich hatte er ein neues Ziel.
Schlag der Schlange den Kopf ab war schon immer eine bewährte Strategie und noch nie hatte sich Zhar der Schlangenkopf so deutlich präsentiert wie hier. Er riss sein Pferd herum und änderte die Richtung. Der direkte Weg schien ihm immer der Bessere und dieser führte genau auf die goldene Gestalt zu, die er mit zusammengekniffenen Augen fixierte.
*
Lady Anna sieht wie dieser Wilde plötzlich sein Pferd herum reißt und zu ihr hinsieht und für einen kurzen Moment kreuzen sich ihre Blicke. So kurz wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels aber dennoch lang genug um sie die Absicht und Entschlossenheit erkennen zu lassen, die hinter diesem Blick steckt. Sie fängt unwillkürlich an zu frösteln als ihr die Unausweichlichkeit dieser Begegnung bewusst wird. Und mit Schrecken erkennt sie, dass nichts und niemand diesen auf sie zurasenden Dämon in den Weg treten kann, ohne ausgelöscht zu werden - und ihre Sorge gilt den todgeweihten Leben, die sich um sie scharen um sie zu schützen.
Stolz, gemischt mit Wut und Entschlossenheit, bewegen Anna dazu ihre Wachen zur Seite zu befehlen und einen Schritt vor zu treten. Sich mit der Entschlossenheit eines Raubtieres dem Zweikampf zu stellen und zu siegen. Sie würde Zhar’Doom töten, das war ihre Bestimmung.
*
Nicht mal mehr einen Steinwurf weit entfernt treibt Zhar sein Pferd unbarmherzig durch die Reihen. Er spürt wie sich Müdigkeit langsam in ihm ausbreitet und er weiß, dass er nicht mehr viel Zeit hat den Kampf zu seinen Gunsten zu entscheiden. Ein letzter Tritt in die Flanken seines Pferdes und er würde nah genug sein, um diese goldene Gestalt mit einem gezielten Schwerthieb hin zu strecken und zu entkommen.
Siegessicher treibt Zhar sein müdes, malträtiertes Pferd an, das mit letzter Kraft vorwärts stürmt. Nur noch wenige Meter vor der Gestalt in Gold hebt Zhar sein Schwert zum tödlichen und alles entscheidenden Schlag, als das Tier plötzlich stolpert, strauchelt und in die Knie geht. Völlig überrascht ist es Zhar unmöglich sich auf dem Rücken des Tieres zu halten und in einer großen Staubwolke landen Ross und Reiter auf dem Boden zu Füßen von Lady Anna. Nach einer kurzen Schrecksekunde nutzt sie die Gunst des Moments und springt blitzschnell von ihrem Plateau herunter um Zhars Leben zu beenden, noch ehe er überhaupt merkt was passiert ist.
Fluchend und hustend versucht Zhar seinen schmerzenden Körper aufzurichten, als eine kalte Schwertspitze an seinem Hals seine Bewegung jäh stoppt und ihn zwingt den Kopf zu heben.
*
Lady Anna, siegessicher, mit stolz erhobenem Haupt, zwingt Zhar sie anzusehen. Er soll wissen wer gesiegt hat. Er soll sie ansehen und diesen Anblick mit ins Jenseits nehmen wenn sie zustößt. Ihr harter Blick sucht seine Augen, die noch von struppigen, schmutzigen, blonden Strähnen verdeckt werden. Zhar schüttelt sich und ihre Blicke treffen sich. Anna zuckt zusammen unter der Wucht des Blickes, der sie aus grasgrünen lodernden Augen trifft und sie eintauchen lässt in ein Inferno aus Wut, Verachtung und Boshaftigkeit.
Gefühle überschwemmen sie wie ein reißender Strom. Unfähig sich zu wehren taucht sie ein in diesen Strudel, der sie unbarmherzig ins Nichts zieht. Die Zeit still stehen lässt und nichts weiter zulässt, als die Empfindungen einer Seele am Grund eines tiefen schwarzen Loches.
Ein Hagelsturm von wilden Gefühlen prasselt auf Anna ein und trifft sie wie tausend spitze Nadeln, denen sie nichts entgegen setzen kann. Wut, Verachtung und Schmerz. Ein so tiefer und intensiver Schmerz, der sich in Annas Leib bohrt und ihr fast den Atem raubt. Der sie fast dazu zwingt ihren Blick von ihm abzuwenden um dieser Pein zu entgehen. Doch noch etwas anderes bemerkte Anna: etwas kleines, unscheinbares, helles, tief unten am Grund dieser Hölle. Eine kleine flackernde Flamme, die kaum spürbare Wärme aussendet. Ein winziges Licht der Liebe, der Sehnsucht und der Fürsorge. Das Licht einer reinen, mutigen Seele, das irgendwie verloren ging in diesem Strudel von Hass und Schmerz. Und das dennoch wie ein kleiner Keim der Hoffnung vergessen und verschüttet am Grunde dieser Seele sitzt. Und Anna erkennt noch mehr. Sie erkennt das Schicksal hinter diesem grünäugigen lodernden Blick - ihr Schicksal und das Schicksal ihres Volkes. Wie es einst die weißen Hexen des Landes prophezeit hatten:
„Das Land und die Zwei, die Eins sind, werden heilen, wenn sich zusammen fügt, was zusammen gehört. Der Herr des grünen Eises und die Herrin des blauen Feuers werden das Wasser sein. Und alles wird gedeihen unter ihrer Herrschaft.“
Langsam rann ein kleiner Blutfaden von Zhar’Dooms Hals über Annas Schwert und riss sie zurück in die Wirklichkeit. Sie musterte den vor ihr knienden Mann. Sie würde ihn nicht töten, denn dann würde sie das Schicksal ihres ganzen Volkes besiegeln. Ihre wilde Entschlossenheit wandelte sich in Sorge darüber sein Leben zu schützen. Würde sie ihren Griff lockern würde Zhar sie angreifen oder zu fliehen versuchen, und dann würden ihre Männer ihn töten. Zum ersten Mal freute sie sich über ihre strenge Erziehung, die sie früh lehrte gefühllos zu handeln und mit strenger Stimme befahl sie Zhar’Doom aufzustehen. Sie verkündet seine Gefangennahme sowie die seiner Begleiterin Dragonheart, die nach Zhars Sturz freiwillig das Schwert fallen ließ.
Mühsam steht Zhar auf und Schmerzen breiten sich in seinem Körper aus. Viele kleine Wunden brennen und pochen. Der Kampf fordert seinen Tribut und macht seine Bewegungen schwerfällig und träge. Die Müdigkeit benebelt seine Sinne und er kann sich nicht einmal mehr darüber wundert, dass er noch am Leben ist. Dass jeder mühsame Atemzug seine schmerzenden Lungen füllt und das kalte Metall an seinem Hals nicht mehr in seine Haut schneidet. Zhar sieht Anna nach, die sich abwendet um voran zu gehen und als die Wachen ihm die Hände binden lächelt er zynisch. Er verachtet den Tod genauso wie das Leben. Es spielt keine Rolle mehr für ihn ob sie ihn gleich töten oder später, denn eigentlich starb er schon vor langer Zeit. Als die Wachen ihn vor sich her stoßen, schlägt erneut ein schmerzhafter Blitz in seinen Kopf ein und raubt ihm fast die Sinne.
Langsam erreicht der Trupp die Mitte der Zeltstadt, in der sich Zelt an Zelt drängt wie ein Rudel Schildkröten um eine Futterquelle, und hält an. Die Dunkelheit der Nacht hat sich durchgesetzt und nur der flackernde Schein der Laternen und Fackeln erhellt den Platz. Er lässt die Schatten auf den Gesichtern und Körpern der Männer tanzen, die nun schweigend um Zhar herumstehen und auf die Befehle ihrer Herrin warten. In der Hoffnung, dass sie die Hinrichtung des Dämons nicht um Tage verschiebt, sondern gleich vollstreckt.
*
Keiner der Männer ahnt, dass sich Zhars Gedanken in die gleiche Richtung bewegen. Es gibt nichts was ihn an dieses Leben bindet. Nichts was ihn hält und ein schnelles Ende ist ihm tausend Mal lieber als die Qual der Gefangenschaft.
Ein plötzlicher Schlag in die Nierengegend reißt ihn aus seinen Gedanken und holt ihn von den Füssen. Er erkennt das Lady Anna zurück gekehrt ist und sich mit schnellen Schritten nähert, ein böses Funkeln in den Augen, das diesmal nicht ihm gilt, sondern ihren Männern.
“Hebt ihn auf.“ ihre sonst so melodische Stimme ist hart und schneidend, keinen Widerspruch duldend und bestimmt. “und bringt ihn in mein Zelt!“ Auf dem Fuße dreht sie sich um und geht den Weg zurück, den sie kurz zuvor erst gekommen war. Niemand würde ihre Befehle in Frage stellen, das war ihr klar.
Wieder spürte sie den Strudel der Empfindungen die von Zhar ausgingen und ihre Haut kribbelte und glühte. Sie wollte, nein sie musste, dieser Sache auf den Grund gehen. Nichts und niemand hat sie je so sehr verwirrt und stürzen lassen, in einen Strudel aus Leidenschaft und Angst. Sie beeilte sich zurück in ihr Zelt zu gelangen.
Die Männer die Zhar auf die Füße ziehen sind nicht minder überrascht als er selber über die Worte von Lady Anna. Seine Schuld ist längst erwiesen und das Urteil bereits vor Wochen gefällt, was ein Verhör nicht nur unnötig macht, sondern völlig unverständlich. Was kann er Anna schon erzählen was für sie von Bedeutung wäre. Oder erwartet sie, dass er um Gnade betteln wird? In Zhars Augen glüht erneut eine Flamme. Die des Trotzes, zu der sich die Überraschung gesellt als man ihn in den Eingang eines abseits stehenden Zeltes schubst.
*
Fast geblendet von der Helligkeit des Innenraums muss er erkennen, dass es sich um Lady Annas Quartier handelt. Schnell erfassen seine geübten Augen jedes Detail des Raumes. Es entgeht ihm nicht, dass neben der üppigen Pracht der Ausstattung keine Flucht aus diesem Zelt möglich ist.
Lady Anna steht am andren Ende des Zeltes, ihm den Rücken zugewandt, ehe sie sich mit einer katzenhaften Drehung den Männern zuwendet und ihnen befiehlt zu gehen. Zhar sieht sich weiter um als Anna auf ihn zugeht und ihr Blick ihn einschätzend taxiert. Sie deutet auf einen kleinen Holzhocker und ihm befiehlt sich zu setzen. Zhar sieht sie ungläubig an. Er lässt sich von nichts und niemanden etwas befehlen. Trotzig verengen sich seine Augen zu Schlitzen, nicht gewillt dieser Aufforderung Folge zu leisten.
„Ich sagte Hinsetzen!“
Annas Stimme trifft Zhar wie ein Peitschenhieb. Im gleichen Moment trifft ihn Annas Faust auf der Brust und strauchelnd fällt er auf den hinter ihm stehenden Hocker. Tausend Teufel tanzen in seinen Augen einen Reigen des Zorns und Annas Körper überzieht eine Gänsehaut. Sie bereut es nicht, dass ihre Männer ihn sehr sorgfältig gebunden haben.
Ihre Nervosität verbergend setzt Anna sich auf einen Stuhl ihm gegenüber, so dass Zhar den Blick nach oben richten muss wenn sie mit ihm spricht. Sie betrachtet ihn schweigend. Quälende Minuten lang, in denen ihre Arroganz des Stärkeren Zhars Zorn ein unbehagliches Gefühl hinzufügt. Er sieht in Annas Gesicht, deren Züge wie aus Stein gemeißelt keinerlei Regung verraten und keinerlei Absichten erkennen lassen. Ihre Augen fixieren ihn und es ist nur sein ungebändigter Stolz, der ihn davon abbringt ihrem Blick auszuweichen oder sie anzusprechen.
*
Jede Minute die verstreicht, quält sich dahin als wären es Stunden oder Tage, als würde die Zeit still stehen und Zhar endlos in diesem Gefühl von Unsicherheit festhalten. Bis sich Anna von ihrem Stuhl erhebt und zur Rückseite des Zeltes geht. Sein Blick folgt ihr in der Gewissheit, dass ihre Blicke nur das Vorspiel zum Verlust seines Lebens sind.
Anna hat in seinen Augen die Verwirrung über die Geschehnisse lesen können. Solange seine Unsicherheit über seinem Zorn steht, wird sie dazu in der Lage sein ihn zu bändigen. Langsam kehrt sie zu ihm zurück, ein Glas Wein in den Händen und hält es ihm vor die gebundenen Hände. „Trink das.“ sagt sie knapp und drückt ihm das Glas in die Hände.
Wieder ist es die Unberechenbarkeit der Situation die Zhar’s Unsicherheit und Unverständnis steigert und mit einem Schlag wird ihm klar, dass sie ihn vergiften wird. In ihm rebellieren sein Stolz und sein Zorn. Wenn er sterben muss dann wie ein Krieger durch die Klinge seines Feindes und nicht vergiftet wie eine räudige Ratte! Seine Hand drückt zu und das Glas zerspringt mit einem lauten Klirren, während er Anna herausfordernd ansieht.
Er spürt wie die Scherben schmerzhaft in das Fleisch seiner Hand schneiden, sich Blut mit Wein vermischt und zu Boden tropft. Für einen Sekundenbruchteil sieht er einen aufblitzenden Schrecken in Annas Augen, der aber im gleichen Moment von regloser Kälte verdrängt wird. Sie steht auf und holt eine Schale mit Wasser und ein Tuch.
Vorsichtig nimmt sie seine Hand in ihre, während die andre die Glassplitter aus seinem Fleisch zieht. Zhar hält es für die reine Zeitverschwendung. Was ist schon ein bisschen Blut aus seiner Hand gegen das Blut was fließen wird, wenn sie ihm ihr Schwert ins Herz rammt.
Dennoch sieht er ihr zu und staunend registriert er die Geschicklichkeit dieser schlanken Hände die, im Gegensatz zu seinen, filigran und zerbrechlich wirken. Wie würde sich solch eine weiche, schlanke Hand wohl auf seiner Haut anfühlen?
Ein greller Blitz schneidet schmerzhaft in sein Hirn... Warme, weiche Hände, eine samtige Berührung, Finger die über seine Haut gleiten …. Gequält wirft Zhar den Kopf in den Nacken und stöhnt voller Schmerz auf, so dass Anna innehält und ihn überrascht ansieht. Genauso schnell wie der Spuk auftaucht verschwindet er jedoch wieder.
Anna fährt fort seine Hand zu verbinden. Als Empathin ist ihr keineswegs Zhars Schmerz entgangen, der sie wie ein glühendes Schwert durchfuhr. Sie muss auf irgendeine Weise das Vertrauen dieses Mannes gewinnen dachte sie, ehe sie der Herkunft dieses Schmerzes auf den Grund gehen konnte.
Erneut erhebt sie sich und wieder gibt sie ihm ein Glas Wein in die Hand. Wie einem bockigen Kind, dem man gut zureden muss damit es sich in seinem Trotz nicht selber schadet, sagt sie wieder: “Trink, aber vergiss nicht, dass du nur 2 Hände hast.“ Diesmal ist ihre Stimme nicht hart und trifft genau den Punkt, der Zhars Widerstand schmelzen lässt wie Schnee in der Frühlingssonne und er trinkt das Glas in einem Zug aus.
Es muss Ewigkeiten her sein, seitdem er das letzte Mal Wein zu trinken bekam, dessen Geschmack lieblich und betörend seine Sinne vernebelte wie der süße Geruch einer wunderschönen Frau. Wenn er jetzt sterben musste dann wenigstens mit der Gewissheit einen guten, wenn auch vergifteten Wein getrunken zu haben.
Zhar bleibt abwartend sitzen. Langsam werden seine Arme und Beine schwer und sein Kopf leicht und er wartet darauf, dass das Gift seine Wirkung zeigt und der Schmerz einsetzt.
Anna erhebt sich und geht zum Bett, das in deiner Ecke des Zeltes steht und kramt etwas unter dem Kissen hervor, hält es in der Hand betrachtet es unentschlossen. Sie seufzt leise, als wenn sie sich nicht entscheiden kann und innerlich mit sich kämpft. Ruft sich dann selber zur Ordnung und ihre innere Stimme sagt „TU ES, ES MUSS SEIN!“ Entschlossen dreht sie sich herum und geht auf Zhar zu. In ihrer Hand blitzt und funkelt ein scharfer Dolch.
Sie bleibt wortlos vor ihm stehen und sieht ihn an. Zhar sitzt bewegungslos vor ihr und sie beugt sich herab und fasst mit ihrer freien Hand seine Handfesseln. Sie hebt das Messer, schneidet die Stricke durch, die Zhars Hände binden und wirft sie zu Boden.
Zhar ist erstarrt vor ungläubigem Staunen und sieht an sich herab als könnte er nicht realisieren, dass kein Messer in seinem Körper steckt und sein Leben beendet. Verwirrung macht sich breit in ihm. Was will sie damit bezwecken? Ihn demütigen? Ihn ängstigen? Mit ihm spielen? In seinem Kopf flattern die Gedanken wie ein Vogelschwarm, in den eine blutgierige Katze eingefallen ist… Und genau diese Katze steht vor ihrem Bett und ruft seinen Namen.
Zhar sieht sie misstrauisch an und überlegt was diese unberechenbare Person wohl nun mit ihm vorhat. Zögerlich erhebt er sich und geht zu ihr.
Anna dreht ihm den Rücken zu und befiehlt: „Hilf mir die Rüstung ablegen“ Zhar sieht sie völlig verwirrt und sprachlos an, unfähig sich zu bewegen oder gar die Hand zu heben um die Schnallen an den Seiten der Rüstung zu berühren. Fauchend dreht sich Anna herum. „Du wirst doch noch wissen wie man eine Schnalle öffnet, oder muss ich doch noch meine Zofe bemühen?“
Völlig perplex und überrumpelt angesichts dieser Unverfrorenheit, denkt er einen kurzen Moment darüber nach, sie daran zu erinnern wer er ist, beschließt dann aber besser den Mund zu halten. Er macht sich an den Schnallen der Rüstung zu schaffen, bis er sie soweit geöffnet hat, dass Anna sie von sich werfen kann. Scheppernd landet die Rüstung auf dem Boden.
Zhar, der immer noch wie angewurzelt neben ihr steht, kann nur unschwer ihre weiblichen Rundungen unter dem dünnen Leinenhemd erkennen und dieser Anblick legt sich wie der schwere Wein zusätzlich über seine Sinne. Befreit von der Last der Rüstung wirft sie ihre langen Haare zurück und dreht sich zu Zhar um, der immer noch sprachlos und bewegungsunfähig den Blick nicht von ihrem Körper wenden kann.
Anna sieht ihn abschätzend an, dann rümpft sie die Nase, schiebt ihn ein Stück zurück und sagt keck: „Ihr stinkt erbärmlich!“ Noch ehe er antworten kann nimmt sie eine Glocke vom Tisch und klingelt damit. Schon im nächsten Moment steckt ein Mädchen den Kopf zum Zelt herein und Anna ruft: „Ein Bad richten, aber schnell“ Zhar sieht Anna fragend an, die im gleichen Moment mit funkelnden Augen befiehlt: „Ausziehen!“
„Was??“ fragt er völlig geschockt
„Ihr habt nicht nur Dreck am Körper, sondern wie mir scheint auch in den Ohren. Ich sagte ausziehen!“ erwidert sie streng und obwohl sie Zhars erschrockener Gesichtsausdruck zum Lachen reizt, unterdrückt sie den Impuls und sieht ihn giftig an „Ihr zieht auf der Stelle eure verdreckte Kleidung aus, verstanden?“
Zhar der das alles als äußerst demütigend und unangenehm empfindet, wagt einen letzten Versuch zu widersprechen, aber Anna brüllt ihn an: „Ausziehen oder ich lasse euch von meinen Zofen ausziehen! Und wenn euch das lieber ist auch mitten im Lager!!“
Durch Annas unberechenbares Verhalten völlig verunsichert, zweifelt er nicht eine Sekunde an ihren Worten und fängt an seine vor Dreck und Blut starrende Kleidung abzulegen, ohne Anna auch nur einen weiteren Blick zu gönnen.
Texte: Alle Rechte liegen bei dem Autor
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Von Simon für Anna