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Eins


„Kalter Wind pfeift umher
Eis glitzert im Licht,
die Sterne funkeln nicht mehr,
die Bäume flüstern nicht.
Langsam schreitet sie heran,
mit weißem Haar, im weißen Kleid,
am gefrorenen See entlang,
langsam ist es Zeit.
Ihre Augen sind kalt,
ihr Mund ist rot,
schon tausend Jahre alt,
und frostig wie der Tod.
Sie überquert den See,
Wellen kräuseln das Wasser,
leise darauf fällt der Schnee,
und ihre Gestalt wird immer blasser.
Eiszapfen und Schnee bedecken das Land,
Eisflocken und Kälte beherrschen die Welt,
ewig ist sie dazu verbannt und sie kommt wieder,
die Königin aus Eis.“

Es war still, sehr still. Man konnte draußen den Wind pfeifen hören und wie er die Baumkronen schüttelte und die Kastanien auf den Boden fielen. Keiner sagte einen Ton, manche warfen sich verstohlene Blicke zu. Ich fühlte mich immer unwohler und wäre am liebsten davongerannt. Doch ich blieb stehen, die Beine fest auf dem Boden, mit erhobenem Kopf. „Bravo, Eyrin! Das war einfach wundervoll!“, rief da Femera, unsere Lehrerin und klatschte begeistert in die Hände. Sie kam zu mir, legte mir eine Hand auf die Schulter und wiederholte: „Das war wundervoll! Hast du das selbst geschrieben?“ Zum mindestens tausendsten Mal nickte ich und wünschte mir im Erdboden zu versinken. „Einen kräftigen Applaus bitte“, forderte Femera meine Klassenkameraden auf. Verhaltenes Klatschen war zu hören. Ich neigte den Kopf und huschte dann eilig auf meinen Platz, wo meine Freunde Lorena und Mefirian schon lächelnd auf mich warteten. „Das war gar nicht schlecht“, flüsterte sie mir zu und Mefirian stieß mich sanft in die Seite. Ich grinste schwach und wandte me-ne Aufmerksamkeit wieder dem Unterricht zu. Warum musste Femera mich dazu auffordern, eines meiner Gedichte vor der ganzen Klasse vorzulesen?

Wenigstens lachten die anderen nicht. Das wäre mein schlimmster Alptraum gewesen. Wahrscheinlich haben die anderen nur geklatscht, weil unsere Lehrerin es ihnen sozusagen befohlen hat, dachte ich grimmig und schaute missmutig nach draußen. Die Blätter fielen von den Bäumen und bildeten einen weichen, dicken, nach Moder und Alter riechenden Teppich auf dem Boden. Es war Herbst hier im Elfenland Mydia und bald stand der Winter vor der Tür. Ich vermisste den Frühling mit den vielen duftenden Blumen und den immergrünen Bäumen und Büschen und dem frischen, duftenden Gras. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht wehmütig zu seufzen. Lorena versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln. „Was machen wir heute nach dem Unterricht?“, fragte sie mich und warf ihre schulterlangen, blonden Haare zurück. Ich bin leicht eifersüchtig auf ihre schönen Haare und die dunkelblauen Flügel, mit silbernen Wirbeln und Kreisen. Dagegen sehen meine Mottenflügel schrecklich und langweilig aus. Lorena ist ein Jahr jünger als ich, also vierzehn, aber trotzdem verstehen wir uns sehr gut. Mefirian und ich kennen und schon ewig und ich mag ihn auch sehr gerne. Unsere Mütter waren schon befreundet, als wir noch ganz klein waren. Auf ihn kann ich mich verlassen. Jeder von uns hat eine Eigenschaft, die gut und schlecht ist, aber trotzdem kommen wir damit klar. Ich bin still, manchmal etwas zu sehr und kann auch sturköpfig sein. Aber ich bin fair und bin freundlich und großherzig (sagen meine Freunde) Lorena ist manchmal ganz schön zickig und ist leicht eingeschnappt, dafür versucht sie immer Streit zu schlichten und ist verständnisvoll. Mefirian kann manchmal ein bisschen überheblich und abenteuerlustig sein, aber er hat ein gutes Herz und ist immer für einen da. Der eine mindert die Macken des anderen. „Ich weiß noch nicht. Du?“, antwortete ich etwas zu spät. „Wollen wir vielleicht in den Wald gehen?“, schlug sie vor und sah mich und Mefirian fragend an. Er zuckte mit den Schultern und meinte: „Kei-ne schlechte Idee.“ Ich stimmte auch zu und Lorena hielt mal für fünf Minuten den Mund, dann plapperte sie wieder los. „Also, wie findet ihr es, dass wir in dieser Woche gleich drei Prüfungen hinter uns bringen müssen?“ Ich knurrte nur ärgerlich, weil ich nichts vom Unterricht mitbekam, Mefirian lachte leise und sagte: „Lorena, halt mal den Mund.“

Gleich zog sie eine Schnute und nahm beleidigt ihre Feder in die Hand. Sage ich doch. Für den Rest der Stunde blieb sie still und dann fragte sie auf dem Gang: „Hast du das Gedicht wirklich selbst geschrieben?“ Ich warf ihr einen verärgerten und leicht verletzten Blick zu. Sie schlug die Augen nieder und murmelte: „Tut mir leid.“ Wir betraten den Klassensaal für die nächste Stunde. Zauberunterricht. Meine Lieblingsstunde. Ich mag zaubern viel lieber als den trockenen Theorieunterricht. Ganz gut bin ich im Zaubern schon, glaube ich. Heute stand Objekte bewegen auf dem Plan. Man musste sich vollkommen konzentrieren und zum Beispiel einen Stein oder ein Blatt schweben lassen. Wir setzten uns an den großen runden Tisch. Lorena links von mir, Mefirian rechts. Der Lehrer begrüßte uns, dann legte er vor jeden von uns einen Stein und forderte uns auf: „Bringt diesen Stein zum Schweben und lasst ihn hin und herpendeln.“ Voller Konzentration sah ich meinen Stein an, bündelte meine Magie und konzentrierte sie darauf, diesen Stein schweben zu lassen. Er erhob sich wackelig in die Höhe, fiel dann aber gleich wieder auf die Tischplatte zurück.

Ich hörte verstohlenes Kichern und Flüstern. Das weckte nur meinen Ergeiz. Ich versuchte es noch einmal und der Stein erhob sich in die Luft. Jetzt musste ich ihn in der Luft halten und hin und her schweben lassen. Es funktionierte, der Stein flog leicht nach rechts. Jetzt nach links. Plötzlich fiel ein anderer Stein auf eine steinerne Tischplatte neben mir, wohl aus großer Höhe, denn der Aufprall war so laut, dass ich erschrocken zusammenzuckte und für einen Moment unaufmerksam war. Der Stein schoss nach links, allerdings viel zu weit und raste direkt auf Lorena zu. Sie schrie auf und duckte sich hastig. Unser Lehrer drehte sich um und stoppte den Stein. Ich zog meine Magie zurück und der Stein fiel auf den Tisch. „Eyrin! Du musst lernen dich nicht so leicht ablenken zu lassen!“, rügte er mich. Ich schämte mich in Grund und Boden. Lorena kam wieder unter dem Tisch hervor und ich murmelte: „Tut mir leid.“ Sie lächelte schwach und legte mir dann beruhigend eine Hand auf die Schulter. Mefirian klopfte mir auf die Schulter und meinte tröstend: „Das wird schon noch.“ Ich schenkte ihm ein erzwungenes und missglücktes Lächeln und nahm meinen Stein vom Lehrer entgegen.

Die anderen beobachteten mich verstohlen und auf manchem Gesicht sah ich einen schadenfrohen Ausdruck. Ich hätte ihnen den Stein am liebsten an den Kopf geworfen. Zum Glück blieb ich für den restlichen Schultag von solchen Pannen verschont. Ich seufzte erleichtert, als wir das große Schuldgebäude verließen. Es ist schon sehr alt und steht mitten in einem Wald. Meine Freunde und ich sind gerade im fortgeschrittenen Unterricht. Er war so schon schwierig genug. Wenn ich es nicht einmal schaffte einen blöden Stein zum Schweben zu bringen, wie sollte ich dann erst die Abschlussprüfung in einem Jahr schaffen? Vielleicht mit harter Arbeit. Ich und meine Freunde liefen langsam durch den Wald, Äste knackten und das frische sowie das alte Laub knisterten unter unseren Lederstiefeln. Die Sonne kam nicht richtig zu uns durch und ihr Standpunkt sagte uns, dass es schon Mittag war. Wir hätten auch fliegen können, aber wir wollten lieber laufen und die Natur genießen. Außerdem wollte ich in Zukunft meine Flügel nur im Notfall benutzen, denn ich finde es blöd zu fliegen, nur weil man zu faul zum Laufen ist. In den Baumkronen raschelte es und Eichhörnchen flitzten die Baumstämme herauf und herunter und versteckten ihre Wintervorräte schon jetzt. Die Tage wurden kürzer und langsam wurde mir bewusst, dass bald der Winter mit seiner Kälte und den kurzen, frostigen Tagen kommen würde. Ich würde meinen Eltern helfen müssen, Vorräte zu sammeln und meiner Mutter, warme Fellkleidung zu nähen. Eigentlich mag ich nähen und sticken, aber ich finde es unfair, dass meine kleine Schwester nie mithelfen muss. Aber abgesehen davon liebe ich sie sehr. Obwohl vier Jahre zwischen uns liegen, verstehen wir uns gut. Auf sie kann ich mich verlassen und Geheimnisse sind bei ihr sicher.

Arlene sieht fast so aus wie ich, nur sind bei ihr die Flügel durchsichtig mit einem Blumenmuster, im Gegensatz zu meinen hässlichen Mottenflügeln. Die Augen hat sie von Vater, aber wir beide haben den Charakter unserer Mutter geerbt. Gut, vielleicht bin ich manchmal etwas sturer als sie. Wir kamen aus dem Wald heraus und überquerten ein Feld. Das Korn war schon eingebracht. Frauen sammelten Äpfel vom Boden auf und suchten im Wald nach späten Beeren. Wir beschlossen, ihnen zu helfen, schließlich gehörten sie ja auch zu unserer Gemeinschaft, die für den Winter immer Unterschlupf bei unserem Königspaar Wyran und Karla sucht und ihnen als Dank Korn, Beeren, Kastanien und Eicheln bringt. Das ist so Brauch. Wir sahen auch kleine Kinder mit winzigen Flügeln, die beim Äpfelpflücken mithalfen. Einige stibitzten sich Äpfel und bissen hinein, bevor ihre Mütter sie scholten. Ich grinste in mich hinein und pflückte Apfel für Apfel. Manche waren schon überreift, doch die konnte man noch gut zu Apfelmus oder Kompott verarbeiten. Mefirian unterhielt sich mit den Frauen, lachte und strubbelte den Kindern durchs Haar. Ich lächelte und ging dann zu ihm herüber. Er unterhielt sich gerade mit einer Erdelfe mit braunen Flügeln, schwarzen Haaren und mit einem Korb unterm Arm. „Sie hat eine neue Zofe mit der sie sehr zufrieden ist. Aber die Freundin, einer Freundin von mir, die eine der Mägde der Königin kennt, hat mir erzählt, dass die Zofe ein freches Mundwerk hat und über die anderen Zofen und Mägde spottet und ihnen das Leben schwer macht. Nur bei der Königin ist sie lieb und fügsam, hat meine Freundin mir gesagt. Au-ßerdem soll diese Frau den anderen Mädchen und Frauen gedroht haben, wenn sie der Königin etwas Schlechtes über sie sagten, würde sie sie bei ihrer Herrin anschwärzen und für ihre Entlassung sorgen“, hörte ich die Frau gerade sagen. Mefirian und sie bemerkten mich anscheinend nicht, so sehr waren sie in ihr Gespräch vertieft. Er erwiderte: „Gerüchten soll man nicht immer glauben. Viele geben sie weiter und erfinden immer mehr falsche Dinge hinzu und am Schluss kommt eine Geschichte heraus, bei der man nicht weiß, was wahr und was falsch ist.“ Die Frau nickte, wenig überzeugt und murmelte: „Meine Freundin weiß, was sie gehört und mitbekommen hat.“ Dann verabschie-dete sie sich von Mefirian und ging ihrer Wege. Erst jetzt schien mein Freund mich zu bemerken, denn er zuckte leicht zusammen, als er mich sah und fragte: „Eyrin, wie lange stehst du denn schon hier?“ Ich beschloss ihm nicht zu verraten, dass ich das Gespräch mitangehört hatte Ich dachte es würde ihn verärgern, dass ich ihn bei einem privaten Gespräch belauscht hatte. „Ich bin eben erst gekommen“, log ich und zupfte an einer hellbraunen Haarsträhne herum. Er nickte und meinte dann: „Komm, wir suchen Lorena und gehen weiter.“ Ich nickte und wir fanden unsere Freundin oben in einer spärlich belaubten Baumkorne. Sie pflückte gerade einen Apfel. Ein paar hatte sie sich in ihre Armbeuge gelegt. „Lorena wir wollen gehen!“, rief ich hinauf. Sie erschrak heftig und schwankte leicht. Dabei fielen ihr die Früchte herunter und sie reg-neten auf mich und Mefirian herab. Lachend wichen wir ihnen aus. Lorena kam zerknirscht zu uns. Ich sammelte die Äpfel kichernd wieder ein und reichte sie ihr lächelnd. „Tut mir leid“, murmelte sie und nahm die Äpfel entgegen. „Nicht der Rede wert.“ Wir überquerten das Feld und liefen nach Hause.

Meine Familie lebt wie alle anderen Elfen in kleinen zweistöckigen Steinhäusern mit aus Lehm geformten Ziegelsteinen. Manche hatten Holzbalkone oder es hin-gen bunte Blumen aus den Fenstern. Wilder Efeu und Wein wuchsen an manchen Hauswänden empor. Die Häuser standen in langen Reihen links und rechts ei-nem Kiesweg der sich nach Norden schlängelte. Es wa-ren ungefähr dreihundert Häuser. Nicht viel, unser Dorf hatte gerade einmal sechshundert Einwohner. Alles Elfen. Es gibt Elfen die her bei Tag aktiv werden und solche die erst in der Nacht ríchtig zum Leben erwe-cken. Meine Freundin Lorena gehört auch dazu. Sie läuft nachts gerne draußen herum, betrachtet den Sternenhimmel und den Mond und kommt immer erst im Morgengrauen zurück. Sie ist aber nie müde und ihre Augen funkeln dann immer so freudig und leben-dig. Hier leben auch Elfen die sich gerne im Nassen aufhalten, Elfen mit blauer Haut, Erdelfen, welche die mit Tieren sprechen können oder die ganz winzig wa-ren. Minielfen eben. Manche hier haben Flügel, manche nicht. Schon viele Generationen leben hier in diesem Dorf. Trotzdem verstehen wir uns alle gut. Lorenas Familie gehört zu den Nachtelfen und Mefirians zu den gewöhnlichen. Meine Familie ist irgendetwas zwischen Tag und Nachtelfen. Manchmal gebe ich mir den Spottnamen „Mottenelfe“ Ich hasse meine Flügel und würde alles dafür geben so schöne zu haben wie Lorena oder Mefirian. Die beiden verabschiedeten sich von mir und verschwanden in ihren Häusern. Unseren Ausflug zum See mussten wir auf morgen verschieben. Ich lief die Straße bis zu unserem Haus entlang, an dessen Seiten Brombeerranken wucherten. Eine kleine Treppe führt zur Eingangstür, auf der eine Sonne und ein Mond und unsere Namen eingeritzt sind. In jede Haustür ist ein Symbol eingeritzt, das zeigt welche Elfenart dort wohnt. Lorenas Familie trägt als Wappen einen Vollmond, Mefirians ein einfaches Blatt. Die Wasserelfen haben einen See eingeritzt, die Landelfen ein Tal und so wei-ter. Ich klopfte an die Tür, die von meiner Schwester geöffnet wurde. Sie trug ein einfaches braunes Kleid mit einer schmutzigen Schürze und hatte ihr leicht gewelltes hellbraunes Haar zu zwei Zöpfen geflochten. Ihre süßen Flügelchen schimmerten im schwachen Sonnenlicht, das durch das Fenster im Wohnraum fiel. „Wo warst du so lange? Mama hat sich Sorgen ge-macht!“, flüsterte sie mir zu. „Tut mir leid wir haben den Frauen beim Äpfelpflücken geholfen.“ Arlene nickte kurz, dann ließ sie mich eintreten. Mama saß an der Spindel und spann Wolle für dicke Pullover oder als Füllung für Stiefel und Kleider. Ich trat in den dämmri-gen Raum, der von zwei Kerzen schwach erhellt wurde. Mutter sah auf, als ich die Tür schnell hinter mir schloss, damit nicht noch mehr kalte Luft ins Zimmer kam. Die Kerzenflammen flackerten im Luftzug. „Eyrin wo warst du denn nur, ich dachte du würdest nach der Schule gleich nach Hause kommen!“ „Ich und meine Freunde haben den Frauen geholfen Äpfel zu pflücken“, erklärte ich und ging zu Mutter, die aufgehört hatte zu spinnen und von ihrer Arbeit aufsah. Ich gab ihr schnell einen Kuss auf die Wange und ging dann zur Vorratskammer, um mir eine Scheibe Brot und Käse zu holen. Ich setzte mich an den Tisch und Arlene neben mich, obwohl sie doch schon gegessen haben musste. Doch sie wollte mir anschei-nend Gesellschaft leisten. Das sind die Momente in denen ich meine Schwester am meisten liebe und sie am liebsten die ganze Zeit drücken will. Ich kaute auf dem etwas harten Brot herum und dachte an meine Panne im Zauberunterricht. Wie konnte mir so etwas passieren? Ich war doch sonst so konzentriert. Hätte mich dieser dämliche Stein nicht abgelenkt der auf den Tisch gefallen war. Ich war mir sicher, dass Camilla da-hinter steckte, diese Blöde, arrogante Kuh die meinte, nur weil ihre Mutter eine Zofe der Königin war und ihr Vater Pferdezüchter, müssten ihr alle zu Füßen liegen. Mein Vater ist leider nur ein armer Heiler. Er zieht im-mer viel herum, trotzdem hat er immer Zeit für mich, Mama und Arlene, wenn er nach Hause kommt. Obwohl sie immer lange und oft getrennt sind, lieben Mama und Papa sich noch immer wie am ersten Tag. Lorenas Eltern hatten sich leider getrennt, Mefirians Mutter war vor drei Wintern an hohem Fieber gestorben. Sein Vater Adren und er wohnten nur fünf Häuser von uns entfernt. Mefirians Vater hatte den Tod seiner Frau noch immer nicht überwunden, aber trotzdem nimmt er irgendwoher die Kraft sich um seine vier Kinder zu kümmern. Mefirian ist der älteste von ihnen. Lorena hat leider keine Geschwister, aber wenn sie mich oder Mefirian besucht, spielt sie immer mit unseren Geschwistern und wir gönnen ihr die Freude. Ich hatte mein Abendessen gegessen und machte mich fürs Bett fertig. Morgen hatten wir Verteidigungsunter-richt. Er bestand aus zwei Arten der Verteildingung: Körperlicher, bei der man auch einen schweren Flug-parcours absolvieren muss und magischer. Wir, die Fortgeschrittenen, lernten nun den zweiten Teil. Aller-dings war es die erste Stunde in diesem Fach, weil sich einfach kein Lehrer für diese Aufgabe finden ließ. Schließlich hatte unsere Lehrerin im Zaubertränkebrauen, Marena, sich dazu bereit erklärt unsere Klasse in diesem Fach zu unterrichten. Hoffentlich würde die erste Stunde nicht zu heftig wer-den. Ich schaffe dass, sagte ich mir und kämmte mein glänzendes Haar und flocht es dann zu zwei Zöpfen, damit sie beim Schlafen nicht zu sehr zerzausten, und zog mein Nachthemd an. Arlene kam ins Zimmer, wir beiden teilen das Zimmer, wie unsere Eltern auch. Sie lächelte mir zu und schlüpfte dann ins Bett. Da ich heute zu müde war, schmiss ich mein Kleid und die Stiefel einfach unordentlich in meine Kleidertruhe. Es sah aus, als hätten wilde Katzen darin herumgetobt, alles lag drunter und drüber. Morgen würde ich Ordnung schaffen. Müde tapste ich zu meinem Bett, das sozusagen in meiner Hälfte des Zimmers stand. Mein kleines Reich bestand aus drei brettern auf denen Bücher standen, meiner Kleidertruhe, meinem Bett und einem Spiegel. Er war am Rad mit Kristallen verziert. Mutter hatte ihn von ihrer Mutter geerbt und ihn dann ihrer ältesten Tochter weitergegeben: mir. In Arlenes Hälfte sah man auch Regale, nur lagen auf ihnen Stickereien, Stickrahmen und Stoffstücke. Obwohl meine Schwester erst elf ist, kann sie schon wunderbar sticken und nähen. Ihr schönstes Werk hing über ihrem Bett. Es war ein weißes Einhorn, das an einem Wasserfall trank. Ich liebe dieses Bild einfach. Leider kann ich nicht so schön nähen wie Arlene, Dinge die sie nicht kann aber ich, falle mir überhaupt nicht ein. Ich kuschelte mich in meine Decken und schlief kurz darauf ein.

Zwei


Ich erinnere mich an einen Alptraum:

Plötzlich stehe ich vor einer großen Burg, die von einer starken Mauer umfasst wird. Es gibt einen Turm an der Seite. Sie steht auf einer Klippe, gegen die Wellen schlagen und die Meeresbrandung rauscht ohrenbe-täubend. Niemand ist zu sehen und die Zugbrücke ist nicht hochgezogen. Ich drehe mich um, doch hinter mir ist nichts. Nur Schwärze. Also wage ich einen Schritt. Nichts. Noch einen Schritt und noch einen. Als ich an der Zugbrücke ankomme, zögere ich noch sie zu über-queren. Doch dann höre ich hinter mir Geflüster und Wispern. Ohne zu überlegen überquere ich den Burg-graben und wage es nicht herunterzusehen. Nur noch ein Schritt trennt mich von der sicheren Burg. Dann stößt mich plötzlich etwas in den Rücken. Überrascht und panisch versuche ich zu schreien und mein Gleich-gewicht wiederzufinden, doch es ist bereits zu spät. Mit einem lautlosen Schrei und dem Rauschen der Wellen in den Ohren, falle ich in den dunklen Burggraben...

Selbst am Morgen verfolgte mich der Traum noch. Ich versuchte mir nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen. Schließlich war es doch nur ein blöder Traum. Ich ging ganz normal, kurz nach Sonnenaufgang zur Schule. Ich holte Lorena und Mefirian ab, die schon am Ende des Dorfes auf mich warteten. Sie sahen wohl wie blass ich war, denn Lorena fragte besorgt: „Alles in Ordnung, Eyrin?“ Ich nickte und erklärte: „War nur ein Alptraum in der Nacht.“ „Was hast du denn geträumt?“, wollte Mefirian interessiert wissen. Er beschäftigt sich gerne mit Träumen und will einmal Traumdeuter werden. „Ach von so einer Burg auf einer Klippe in einem Meer. Ich bin über die heruntergelassene Zugbrücke gegangen, wurde von irgendetwas gestoßen und bin in den Burggraben gefallen“, erzählte ich und zuckte mit den Schultern. „Eine Burg auf einer Klippe, an einem Meer?“. Fragte Mefirian noch einmal nach. Ich nickte. „Das ist die Burg des Königspaares.“ Ich blieb stehen, als wäre ich gegen eine Glasmauer gelaufen und starrte meinen Freund ungläubig an. „Meinst du wirklich?“, meinte Lorena skeptisch. Mefirian nickte entschlossen. „Ich bin völlig sicher, hier gibt es keine andere Burg, die auf einer Klippe steht.“ „Woher willst du das wissen?“, fragte ich und lief langsam wieder los. „Ich weiß es einfach. Diese Frau, mit der ich gesprochen habe, hat mir die Burg genau beschrieben.“ Den Teil des Gesprächs hatte ich nicht mitbekommen. Wir kamen am Schulgebäude an, bevor ich antworten konnte. Gut, dann mal los, murmelte ich in Gedanken und betrat das Schulge-bäude. Fast alle Schüler waren schon da. Unsere Schu-le hat etwa achthundertdreißig. Es gab nicht nur unser Dorf. Wenigstens fand die Selbstverteidigungsstunde erst am Ende des Tages statt. Ein kleiner Aufschub. Jetzt mussten wir allerdings zum Zaubertrankbrauen. Wir liefen die Treppe hoch, in einen großen Raum, mit ungefähr zwanzig Feuerstellen, über denn die schon uralten Kessel hingen. Regale, vollgestopft mit kleinen Fläschchen, Kräutern und Pflanzen und Lehrbüchern, bedeckten drei der vier Wände. Es roch nach Blumen und nach knisternder Magie. Unsere Lehrerin Marena erwartete uns schon und rauschte heran. „Willkommen beim Zaubertränkebrauen.“ „Wir kennen uns doch schon. Und das ist nicht unsere erste Stunde“, bemerk-te ich vorsichtig. „Ach wirklich? Da muss ich wohl etwas verwechselt haben“, murmelte Marena zerstreut und strich sich über das Haar. „Gut, dann begebt euch hin-ter die Kessel und braut den Trank, den ich euch hier aufgeschrieben habe“, forderte sie uns auf und reichte uns allen ein beschriebenes Blatt. Darauf stand:
Wahrheitstrank. Eine Prise Salz, drei Minzeblätter, ein Löffel Honig, vier Blätter Semar. Zutaten nacheinander ins kochende Wasser geben, umrühren und warten, bis eine weiße Dampfwolke aufsteigt.

„Ok“, murmelte ich und machte mich zögernd an die Arbeit. Ich warf nacheinander die Zutaten in den Kessel und wartete dann. Ich drehte mich noch einmal um, weil ich eine Zutat vergessen hatte: Semar. Das ist eine spezielle Pflanze, die nur bei uns wächst und bewirkt, dass man die Kontrolle darüber verliert, was man sagt. Als ich mich wieder umdrehte, blubberte und brodelte mein Trank heftig. Verwirrt fragte ich mich, was ich denn falsch gemacht hatte. Hastig warf ich Semar rein und rührte um. Es zischte und mein Trank kocht über. Er trat über den Rand, schäumend und bläulich ver-färbt. Ich wich hastig zurück. „Was ist denn jetzt los?“, rief ich panisch und wich noch weiter zurück. Der Inhalt des Kessels hatte sich inzwischen über den Boden er-gossen und kam meinen Füßen gefährlich nahe. Es war doch nur ein Wahrheitstrank, ich wusste selbst nicht warum ich so panisch war. Marena merkte nichts, sie beschäftigte sich gerade mit Camilla die doch über-haupt gar nichts konnte außer vielleicht ihre Kleidung auswählen. Ich musste das Problem irgendwie alleine lösen. Fieberhaft überlegte ich, was ich denn tun sollte. Wenn ich doch nur wüsste warum der Trank übergelau-fen ist! Hatte ich mich mit der Menge der Zutaten ver-tan? Selbst wenn man etwas zu viel erwischte, schäum-te der Trank doch nicht dermaßen über. „Marena, sieh mal was Eyrin da anstellt“, hörte ich Camilla zuckersüß sagen. Am liebsten hätte ich ihr den Hals umgedreht. Hastig streckte ich meine Hand aus und fror den Trank ein, gerade als Marena sich zu mir umdrehte. „Eyrin! Was hast du denn gemacht?“, rief Marena und kam zu mir. „Ich hatte euch doch eine Liste gegeben. Wahr-scheinlich hast du wieder nicht genau aufgepasst“, schimpfte sie ärgerlich und taute das Gemisch wieder auf. Dann machte sie es wieder rückgängig und der Trank wich in den Kessel zurück, wie ein verängstigtes Tier. Wie bitte? Ich und nicht richtig aufgepasst? Was unterstellte Marena mir denn da? Sie wusste doch selbst, dass ich immer aufpasste, besonders bei Zau-bertränken. Camilla musste ihr etwas eingeredet ha-ben. „Los, hol einen Lappen und putze das Zeug weg.“ Marena ging wieder zu Camilla die mich höhnisch an-grinste. Ohne mir meine Wut anmerken zu lassen, ging ich zum Hausmeister, holte mir einen Lappen und wischte scheinbar seelenruhig die Sauerei auf. Doch innerlich kochte ich vor Wut. Was bildete diese blöde Camilla sich eigentlich ein? Das schlimmste an der ganzen Sache war ja, dass ich die Situation nicht gera-de souverän gemeistert hatte. Das ärgerte mich am meisten. Ich hatte keine Lust mehr mich von dieser blöden Kuh verspotten und angrinsen zu lassen, des-halb tat ich so als hätte ich einen Schock erlitten und mir ginge es nicht gut. Lorena merkte was ich vorhatte und half mir. Dafür liebte ich sie noch mehr. „Marena, ich glaube Eyrin geht es nicht gut“, rief sie der Lehrerin zu. Plötzlich begann ich wie auf Kommando zu zittern. Selbst darüber verwundert wollte ich zur Lehrer gehen, doch ich rutschte auf einem Rest des Wahrheitstrankes aus und fiel auf den Boden. Marena drehte sich um, sah mich auf dem Boden liegen und kam zu mir. Auch Mefirian und Lorena hatten ihre Plätze verlassen und eilten zu mir. Marena half mir besorgt auf und meinte zu Lorena: „Bringe sie bitte zur Heilerin, ja?“ Meine Freundin nickte, legte mir einen Arm um die Hüfte und führte mich aus dem Raum. Draußen platzte ich wü-tend heraus: „Diese hinterhältige Schlange! Langsam reicht es mir mit ihr!“ „Glaubst du etwa Camilla hätte etwas damit zu tun?“, fragte Lorena mich, während wir den Gang entlang liefen. Ich schnaubte. „Hallo? Wir haben es hier mit Camilla zu tun! Beantwortet das dei-ne Frage?“ Daraufhin schwieg sie. Wir hatten das Kran-kenzimmer erreicht und sagten der Heilerin bescheid. „Gut. Leg dich ein bisschen hin. Wenn etwas sein sollte, rufe mich einfach.“ Ich nickte und ließ mich auf die unbequeme Pritsche sinken. Ich schloss die Augen, doch sofort kamen mir die Bilder aus meinem Traum wieder in den Sinn. „Soll ich bei dir bleiben?“, fragte Lorena und unterbrach meine Gedanken. „Nein, das musst du nicht. Ich will nicht, dass du zu viel vom Unterricht verpasst“, erwiderte ich und drehte mich auf die Seite. „Aber zur letzten Stunde kommst du doch oder?“ Sie erhob sich. „Vielleicht.“ Ich hörte wie ihre Schritte sich entfernten. Ich versuchte wach zu bleiben und nicht einzuschlafen, doch dann siegte doch die Müdigkeit.

Noch immer falle ich und habe keine Ahnung wie lange eigentlich. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich lande im Burggraben und tauche unter Wasser. Es ist schwarz und undurchdringlich. Verzweifelt bemühe ich mich, wieder an die Wasseroberfläche zu kommen, doch es ist so als würde ich mich keinen Millimeter von der Stelle bewegen. Langsam wird die Luft knapp und das Wasser scheint immer dunkler zu werden. Ich muss hier sofort raus! Plötzlich komme ich der Wasserober-fläche ein bisschen näher. Mit neuer Hoffnung schwimme ich schnell weiter nach oben. Ich habe die Wasseroberfläche fast erreicht, da zieht mich etwas mit einem Ruck wieder herunter. Panisch und enttäuscht will ich wieder nach oben, doch ich werde nur weiter runtergezogen. Immer tiefer und weiter weg von der rettenden Oberfläche. Der letzte Luftzug ist unerträglich und schmerzhaft. Ich werde sterben...

Erschrocken fuhr ich hoch und sah mich hektisch um. Aber ich sah kein Wasser und auch keine Burg. Nur das kleine Krankenzimmer mit dem kleinen Schränkchen und den drei Betten. Erleichtert strich ich mir das Haar aus der Stirn und schwang die Beine vom Bett. Dann suchte ich die Heilerin. Sie kümmerte sich gerade um ein Mädchen, dass sie beim Flugunterricht den Flügel verknackst hatte. „Ich fühle mich schon viel besser, also gehe ich jetzt“, sagte ich und wollte schon zur Tür hinaus. „Bist du dir sicher Eyrin? Du siehst ziemlich blass aus“, meinte die Heilerin zweifelnd und musterte prüfend mein Gesicht. „Ja, ich hatte nur einen kleinen Alptraum“, erwiderte ich schnell und verschwand aus dem Raum, bevor sie mir noch Fragen stellen konnte. Eilig rannte ich nach draußen und hinter das Schulge-bäude. Dort befindet sich ein runder abgesteckter Trai-ningskreis in dem wir trainieren können. Außerdem gibt es im Wald ja noch den Flugparcours. Von weitem sah ich, dass meine Klasse sich um den Ring versammelt hatte und gespannt bei etwas zusah. Mist, der Unter-richt hatte schon begonnen. Ich rannte eilig hin und dann sah ich, was die anderen so spannend fanden: Camilla und Mefirian kämpften gegeneinander. Ich stellte mich neben Lorena, die mich fragend ansah. Ich schüttelte den Kopf um ihr zu sagen, dass alles in Ord-nung war, dann wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Kampf zu. Die beiden Gegner umkreisten sich und ließen den anderen nicht aus den Augen. Camilla startete einen Angriff. Sie lenkte ihre Magie in den Boden und ließ die Erde hochschießen. Obwohl Mefirian seine Gegnerin nicht mehr sehen konnte, wich er ihrem plötzlichen Energiestrahl aus. Camilla ließ die Erdwand wieder in sich zusammensinken und das war ein Fehler. Denn Mefirian konnte sie jetzt wieder sehen und sie war für einen Moment unachtsam. Schnell fesselte er ihre Füße an den Boden. Camilla schien vollkommen verblüfft und versuchte vergeblich sich aus den Fesseln zu winden. Dann schien ihr einzufallen, dass sie ja magische Kräfte hatte und ließ so viel Druck auf die Fesseln prasseln, bis sie zersprangen. Meinen Freund beeindruckte das nicht im Geringsten. Er gab Camilla keine Zeit sich zu erholen und erschuf aus seiner Magie ein Seil. Er schwang es in Camillas Richtung. Sie wollte das Seil in der Luft stehen bleiben lassen, doch sie war zu langsam. Das Seil schlang sich um ihren Oberkörper, nicht fest, um ihr nicht wehzutun und zog sie zu Boden. Camilla rief: „Aua! Er tut mir weh!“ Keiner glaubte ihr. Jeder wusste, dass Mefirian ein fairer Gegner war und niemandem etwas zuleide tun konnte. „Ja, ja Camilla, du kannst mit dem Theater aufhören“, erklärte Marena und Mefirian ließ das Seil wieder verschwinden. Camilla sah ihn hasserfüllt an, doch er blieb ganz ruhig. „Gut, gemacht Mefirian, du hast eine Schwachstelle gefunden und zugeschlagen und dich nicht aus der Ruhe bringen lassen“, lobte die Lehrerin. Mefirian nickte lächelnd, dann stellte er sich neben mich. „Eyrin, schön dass es dir besser geht“, meinte er und zwinkerte mir zu. Ich lächelte und zuckte dann erschrocken zusammen, als Marena plötzlich rief: „Eyrin, Lorena! Ihr seid als nächste dran!“ Wir wechselten einen entsetzten Blick. Zögernd traten wir in den Ring. Ich bemerkte, wie Mefirian uns besorgt nachsah. Ich schluckte krampfhaft und dachte immer wieder: Ich kann doch nicht gegen meine Freundin kämpfen. Unsicher stellten wir uns gegenüber. Ich versuchte Lorena aufmunternd anzulächeln, schaffte aber nur ein leichtes verziehen der Mundwinkel. „Los!“, rief Marena. Nichts. Ich rührte mich nicht und Lorena auch nicht. „Na los ihr beiden. Ihr wollt doch keine schlechten Bewertungen.“ Lorena hob hilflos die Achseln, dann griff sie mich an. Obwohl ich es gesehen hatte, wich ich nicht zurück. Der Zauber traf mich mit voller Wucht und warf mich zu Boden. Die anderen Schüler tuschelten und flüsterten miteinander. „Was für eine Zimperliese!“ „Das ist nicht fair. Wir mussten auch alle kämpfen!“ Ich biss die Zähne zusammen und erhob mich langsam. Lorena sah mich ängstlich an, um sich zu vergewissern, dass sie mir nicht wehgetan hatte. Ich schenkte ihr kein beruhigendes Lächeln, sondern konzentrierte mich auf meine Magie. Halbherzig ließ ich einen Energiestrahl auf die zusausen. Auch sie machte keine Anstalten auszuwei-chen. „Los, weich aus!“, schrie ich sie mit Tränen in den Augen an. Doch sie rührte sich nicht. In letzter Sekunde aber schien sie ihre Meinung doch zu ändern, denn sie wehrte den Energiestrahl ab und lenkte ihn in meine Richtung. Unsere Freundschaft war vergessen, im Mo-ment war sie meine Gegnerin, nicht meine Freundin. Ich wich ihm aus und ließ eine Windböe den Sand aufwirbeln. Lorena hustete erstickt und versuchte sich vor dem Sand zu schützen. Meine Güte, ich kämpfe gegen meine eigene Freundin!, schoss es mir durch den Kopf. Ich ließ den Sandsturm aufhören und Lorena und ich starrten uns atemlos an. Ich wollte ihr nicht wehtun und nicht gegen sie kämpfen. Aber ich musste... Ohne zu überlegen rannte ich aus dem Ring heraus. Ich hörte Marena hinter mir rufen: „Eyrin halt! Der Unterricht ist noch nicht vorbei!“ Doch ich stellte mich taub und faltete meine Flügel auseinander. Ich flog weiter und wagte es nicht mich umzudrehen. Anscheinend folgte mir niemand. „Pah! So eine Heulsuse! Die kann ja gar nichts!“, hörte ich Camilla verächtlich rufen und mir stiegen Tränen in die Augen. Jetzt hatte ich ihr einen Grund zum sticheln gegeben. Jetzt konnte sie mich ewig damit aufziehen. Ich hörte Lorena wütend schreien: „Halt die Klappe du blöde Ziege! Sie ist besser als ihr alle zusammen!“ Dann hörte ich wie hinter mir jemand herflog. Ich drehte mich um und sah Lorena. „Komm, verschwinden wir von hier“, sagte ich und reichte ihr meine Hand. Sie nahm sie und zusammen flogen wir in unser Dorf und ließen die Rufe der anderen hinter uns.

Drei



Erst in unserem Dorf wurde mir bewusst, was wir getan hatten. Wir würden mächtig Ärger bekommen und nicht nur mit unserer Lehrerin, sondern auch mit unseren Eltern. Wahrscheinlich würden wir eine Strafe erhalten, wie: Die Klassenräume zu säubern oder den Lehrern zu assistieren. Alles echt ätzend, aber wenigstens mussten wir uns nicht mehr bekämpfen. „Ich will so etwas nie wieder machen!“, schniefte Lorena und wischte sich über die Augen. „Ich auch nicht“, stimmte ich ihr zu und legte ihr tröstend einen Arm um die Schulter. Ich wollte gar nicht daran denken, was meine Mutter dazu sagen würde. Sie schätzte es nicht sehr, wenn ich und meine Schwester uns danebenbenahmen. Heute war eigentlich das erste Mal, dass ich mich der Lehrerin so wiedersetzt habe. Ich war gleichzeitig stolz und wütend auf mich. Was hatte ich bloß getan? Oh weh, ich konnte froh sein, wenn Mutter mich nicht in mein Zimmer einsperrte und mich nur rausließ um in die Schule zu gehen. Andererseits: Was hatte ich denn bitte schön so schlimmes getan? Ich wollte doch nur nicht gegen meine beste Freundin kämpfen, war das gleich ein Verbrechen? Nein, aber einfach wegzulaufen und sich der Lehrerin zu wiedersetzen schon. Nicht mehr daran denken. „Warum sind wir eigentlich hierher geflogen? Hier finden uns unsere Eltern doch sofort und fragen uns, warum wir nicht in der Schule sind“, flüsterte Lorena mir zu, als würde lautes sprechen allein unsere Eltern herlocken. „Ich weiß nicht. Wollen wir lieber zur Waldhütte gehen?“, schlug ich vor. Lorena nickte. Die Waldhütte war eine kleine, verlassene Holzhütte im Wald. Lorena, Mefirian und ich kannten sie schon, seit wir klein waren. Dort hatten wir uns immer versteckt, wenn wir uns vor der Hausarbeit oder vor Ärger drücken wollten. Schnell verließen wir das Dorf wieder und wandten uns dem Wald zu, nur ein paar Meter entfernt. Wir liefen lieber, denn fliegen war hier wegen der eng aneinander stehenden Bäume schwierig. Nachdem wir ein paar verschlungene Pfade und Bäche überquert hatten, kam die Hütte in Sicht. Sie sah noch genauso aus wie in meiner Erinnerung, das letzte Mal war ich hier gewesen, als ich zwölf gewesen war. Die Hütte versank beinahe in Laub und Efeu. Sie stand ein wenig schief und es gab nur zwei Fenster. Es gab nur ein Stockwerk und einen großen Kamin. Die Tür hing schief in den Angeln und ließ die Öffnung wie einen dunklen Schlund frei. Auf einmal war ich mir gar nicht so sicher, ob ich da reingehen wollte. Lorena bemerkte nichts von meiner Unsicherheit und lief begeistert auf unser früheres Versteck zu. Da ich die Idee gehabt hatte und nicht als Angsthase dastehen wollte, riss ich mich zusammen und folgte ihr. Ein muffiger Geruch schlug mir entgegen, als ich eintrat. In der Hütte war es dunkel, obwohl keine Vor-hänge vor den zwei winzigen Fenstern hingen. Auf dem Boden lagen Staub, Laub, das der Wind hereingeweht hatte und Scherben. Ein zerbrochener Stuhl und ein kaputter Teller knirschten unter den Sohlen meiner Stiefel, als ich aus versehen darauf trat. Hastig sprang ich einen Schritt vor, wobei ich beinahe gegen Lorena stieß, die mich verärgert ansah. „Was ist denn los? Hast du etwa verlernt im Dunkeln zu sehen?“, flüsterte sie. Ich schämte mich sogleich und schnaubte: „Nein, ich bin nur gestolpert.“ Lorena erwiderte daraufhin nichts, sondern öffnete eine weitere Tür. „An diesen Raum kann ich mich nicht erinnern“, rief sie von drinnen zu mir. Skeptisch betrachtete ich das alte verstaubte Zimmer. Ein altes und durchgebrochenes Holzbett stand an der einen Wand, ein Schminktisch an der an-deren. Auf einer morschen Holztruhe entdeckte ich alte zerrissene Kleider, die vom Deckel rutschten als Lorena ihn hochstemmte und in der Truhe herumwühlte. Staub wirbelte auf und brachte sie zum husten. „Lass das lieber“, sagte ich und trat in den Raum. Ich sah mich weiter um. Mottenzerfressene schwere Vorhänge hingen vor Fensteröffnungen. Ich hatte immer gedacht es gäbe nur zwei Fenster. Komisch, ich konnte mich auch gar nicht an dieses Zimmer erinnern. Aber vielleicht war die Tür ja die ganze Zeit über geschlossen gewesen und wir Kinder hatten sie entweder nicht öffnen können oder es nicht gewagt. Keine Ahnung. Während Lorena weiter in der Truhe herumkruschte, ging ich zum Schminktisch und setzte mich auf den wackeligen Stuhl. Zu meinem Erstaunen zerbrach er unter meinem Gewicht nicht, was ich irgendwie unheimlich fand. Ich zog eine der schmalen, mit Schnitzereien verzierten Schubladen auf. In ihr befanden sich ein paar eiserne Haarklammern und ein Kamm aus Horn. In einer anderen fand ich ein kleines Fläschchen mit Rosenwasser, Haarbänder aus zerschlissenem Stoff und ein feines, zartes Goldarm-band mit einem Herzanhänger aus Rosenquarz. Ver-wundert nahm ich das Armband heraus und hielt es gegen das spärliche Licht. Ich konnte leider nichts er-kennen. Schnell ließ ich das Kettchen in einen Beutel an meiner Hüfte verschwinden. „Ich hab was gefun-den!“, rief Lorena triumphierend und zog etwas aus der Truhe heraus. Es war nicht besonders beeindruckend. Nur ein altes Stück grauen Stoffs. Unter dem Staub sah ich nicht worum es sich handelte, wahrscheinlich um eine Tischdecke oder ein Bettlacken. „Komm lass uns gehen“, drängte ich, mir war nicht ganz wohl bei der Sache. „Gut, aber heute Abend kommen wir wieder und holen es uns.“ Sie legte den Stoff wieder in die Truhe zurück. „Von mir aus. Jetzt beeil dich. Dieser Ort ist mir nicht geheuer.“ Lorena kam zu mir und ich rannte bei-nahe aus der Tür, stolperte über ein abgebrochenes Stuhlbein und ins Freie, während Lorena die Tür hinter sich schloss. Dann folgte sie mir. „Eyrin, was ist denn los? Warum bist du plötzlich so ängstlich?“, fragte sie verständnislos. Ehrlich gesagt wusste ich es auch nicht. Aber es kam mir so vor, als hätten wir gar nicht in die-sem Zimmer sein dürfen. Eigentlich war es ja Unsinn, denn die Hütte war seit Jahren verlassen und niemand wohnte mehr darin. Oder doch? Nein, die Sachen hat-ten alle nicht danach ausgesehen. Wir gingen wieder ins Dorf zurück, Lorena leicht mürrisch, ich froh aus dieser einsturzgefährdeten Hütte heraus zu sein. „Wie-so hast du denn vorgeschlagen dorthin zu gehen, wenn du doch solche Angst hast?“, wollte meine Freundin verwundert von mir wissen. „Ich weiß nicht... es ist mir so eingefallen und dann habe ich es einfach mit der Angst zu tun bekommen“, stammelte ich. Ziemlich schwache Erklärung, ich weiß, aber mir fiel nichts Bes-seres ein. Sie sah mich einen Moment von der Seite an, dann zuckte sie die Schultern und lief schneller. Ich fiel leicht zurück und grübelte vor mich hin. Mir wurde flau im Magen, als ich daran dachte, dass ich morgen Camilla wieder sehen und mich Marena stellen musste. Diese blöde Schnepfe würde doch mit Freuden darauf herumhacken, dass ich und Lorena geflohen sind wie die Feiglinge. Sie hatte sich allerdings nicht besser an-gestellt und dass Mefirian ihr eine Abreibung verpasst hatte hob meine Laune ein wenig. Lorena war an ihrem Haus angekommen und drehte sich zu mir um. „Na dann, bis morgen, wenn ich es überlebe“, verabschie-dete sie sich und trat ins Haus. Ich winkte ihr noch zum Abschied und lief dann langsam nach Hause. Plötzlich hörte ich jemanden hinter mir rufen: „Eyrin! Warte doch!“ Ich blieb stehen, atmete tief durch und drehte mich herum. Mefirian kam mir entgegen, sein Gesichts-ausdruck war ernst. Er landete vor mir und als ich mich umdrehen und weglaufen wollte, hielt er mich fest und sagte: „Was sollte denn der Unsinn?“ Wütend machte ich mich von ihm los und fauchte: „Wäre es dir lieber gewesen ich hätte gegen Lorena gekämpft und sie wo-möglich noch verletzt?“ „Nein, natürlich nicht, aber wegzulaufen ist auch keine Lösung.“ Verdammt, warum musste er immer recht haben? Trotzdem wollte ich nicht nachgeben. „Es ist immer noch besser als sich zu Prügeln!“, rief ich, drehte mich um und ging. Natürlich folgte er mir und fragte: „Was willst du machen wenn ihr wieder gegeneinander kämpfen müsst? Du kannst dich nicht ewig drücken.“ Ich biss die Zähne zusammen, er hatte ja recht, vollkommen recht, doch was sollte ich tun? Ich seufzte und drehte mich müde zu ihm herum. „Mefirian, es tut mir leid. Ich weiß ja, dass du recht hast und dass ich nicht ewig weglaufen kann... es ist nur so schwer...“ „Schon gut, versuche es einfach. Du kannst Lorena gar nicht verletzen, wenn du es nicht willst“, wehrte er ab. „Oh Mefirian, wieso bist du immer so schlau?“, neckte ich ihn und stieß ihn sanft in die Seite. Er lächelte und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich bin wie ich bin.“ Inzwischen hatten wir das Ende des Dorfes erreicht und wir trennten uns voneinander. Ich hatte beschlossen ihm nichts von unserem Vorhaben, am Abend in die alte Hütte zu gehen, zu erzählen. Er würde natürlich wieder unser Gewissen spielen und versuchen uns davon abzuhalten. Aber Lorena würde natürlich wieder darauf bestehen und ich dumme Gans würde mich natürlich wieder darauf einlassen. Als ich das Haus betrat war es still. Mutter war offensichtlich nicht da, worüber ich sehr froh war. Arlene kam aus unserem Zimmer und sagte: „Mama ist nicht da.“ „Das ist mir auch schon aufgefallen Schwesterherz“, erwiderte ich und warf meine Schultasche in eine Ecke. Ich ließ mich auf einen Stuhl am Küchentisch plumpsen und aß zu Mittag. Arlene kam zu mir, einen Stickrahmen in der Hand und nähte schweigend neben mir. Ab und zu sah ich auf und beobachtete wie die Nadel schnell auf - und untertauchte und ein Bild auf den Stoff zauberte. Wieder einmal war ich erstaunt über die unglaublichen Nähkünste meiner Schwester. „Was stickst du denn?“, fragte ich interessiert und betrachtete neugierig den Stickrahmen. Arlene sah nicht von ihrer Arbeit auf, aber sie lächelte und antwortete dann: „Ich mache ein Bild von dir.“ Mir blieb vor Überraschung die Luft weg. „Was? Ein Bild von mir? Warum?“, stammelte ich ziemlich blöde. „Weil du mein Vorbild bist“, lachte sie und nahm ihre Arbeit wieder auf. „Ich bin dein Vorbild?“ Ich war geschmeichelt. Sie gab keine Antwort, sie war ganz in ihre Stickerei vertieft. Ich stand auf und ließ sie allein. In unserem Zimmer schmiss ich mich auf mein Bett und starrte an die Decke.

Vier

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„Hey Eyrin läufst du eigentlich auch vor deinem eigenen Schatten davon?“ Ich blieb stehen und biss mir auf die Unterlippe. Dann lief ich weiter, als hätte ich nichts gehört. Doch natürlich ließ Camilla nicht locker. „Das war ja heute eine tolle Vorstellung... oh ihr seid ja einfach weggelaufen.“ Ich wirbelte wütend herum, warf so würdevoll wie möglich mein Haar zurück und zischte: „Und deine Vorstellung war auch nicht schlecht... oh ich hatte ja vergessen, dass Mefirian dich fertig gemacht hat.“ Der Schlag hatte gesessen. Einen Moment war Camilla viel zu verblüfft um etwas zu erwidern, doch dann riss sie sich zusammen und spöttelte schwach: „Ja, es ist schon praktisch, wenn man einen Beschützer hat.“ Ich ließ sie einfach stehen und lief schnell zu Lorenas Haus. Meine Freundin wartete schon ungeduldig vor der Tür auf mich. „Wo warst du denn so lange?“, fragte sie ungeduldig. „Ich hatte eine nette kleine Unterhaltung mit Camilla“, grummelte ich und sagte dann etwas grob: „Wollen wir jetzt endlich dieses nutzlose Stück Stoff besorgen, oder nicht?“ „Schon gut, du hast Mefirian doch hoffentlich nichts davon erzählt?“ „Oh doch natürlich. Ich erzähle ihm doch immer alles und er ist auch überhaupt nicht unser Gewissen!“, spöttelte ich und wir machten uns auf den Weg. Es war bereits dunkel und wir hatten uns aus unseren Häusern geschlichen, damit unsere Mütter nichts merkten. Es war sehr kühl und ein unangenehmer Wind blies. Ich zog fröstelnd meinen Umhang enger um mich und fragte mich nicht zum ersten Mal, warum ich das überhaupt mitmachte. Warum hatte ich nicht einfach Nein gesagt und wäre dabei geblieben? Dann läge ich jetzt gemütlich in meinem Bett und liefe hier nicht mitten in der Nacht herum. Lorena hielt eine Laterne in der Hand, für alle Fälle, die aber noch aus war, denn wir wollten nicht, dass jemand uns sah. Lorena, die geborene Nachtelfe, war in ihrem Element. Sie liebte die Nacht und betrach-tete sie als ihre Freundin. Ganz im Gegensatz zu mir, die ich die Nacht beinahe hasste. Die Nacht war düster und geheimnisvoll und in ihr konnte sich alles Mögliche verstecken. Noch einmal versuchte ich meine Freundin von ihrem Vorhaben abzubringen: „Lorena, das ist doch Wahnsinn. Lassen wir das, es lohnt sich doch nicht für einen Stofffetzen eine Menge Ärger zu riskieren. Und wenn unsere Mütter aufwachen?“ „Ach hör schon auf, du Angsthase!“, zischte sie und zündete die Kerze in der Laterne an. Dann flog sie eilig voraus, offenbar wollte sie schnell bei der Hütte sein. Ich nicht. Trotzdem folgte ich meiner Freundin schnell um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Der Wald kam mir bei Nacht noch unheimlicher und bedrohlicher vor als bei Tag. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Es gruselte mich richtig davor diese Bruchbude zu betreten, doch Lorena verschwand bereits darin und wo wir schon mal hier waren... Ich sah den Lichtschein der Laterne gerade noch in einem der Räume verschwinden. Der Raum an den wir uns nicht erinnern konnten. „Eyrin, komm her, hilf mir mal!“, rief Lorena und ich ging zu ihr. Sie hatte sich über die Truhe gebeugt und hielt mir auffordernd die Laterne hin. „Halte mal. Ich bin gleich soweit und dann können wir verschwinden.“ Ich nahm ihr die Laterne ab und sah mich um. Alles sah genauso wie heute Mittag aus. Der Wind pfiff, heulte und blies und wirbelte Staub und Laub auf. Ich verließ das Zimmer, meine Freundin würde sowieso noch lange nach dem Stoff suchen müssen. Ich entdeckte eine Treppe, die nach oben führte. Komisch, ich hätte schwören können, dass das Haus nur ein Stockwerk hatte und dass es keine Treppe gegeben hatte. Anscheinend ließen meine Sehkräfte und mein Gedächtnis nach. Die Treppe sah noch stabil aus, so stabil wie sie den Umständen entsprechend sein konnte. Vorsichtig setzte ich einen Fuß auf die Erste Treppenstufe. Nichts. Behutsam trat ich mit meinem ganzen Gewicht auf. Kein Mucks und sie brach auch nicht zusammen. Ermutigt wagte ich es noch zwei Stu-fen zu erklimmen, dann drehte ich mich um und rief zu Lorena: „Hey, ich habe eine Treppe gefunden! Ich kann mich gar nicht daran erinnern, aber ich glaube sie führt in ein weiteres Stockwerk!“ Anscheinend hörte sie mich nicht, denn Lorena antwortete nicht. Egal. Ich lief wei-ter, den Blick immer auf die oberste Treppenstufe ge-richtet. Plötzlich hörte ich ein Knarren und Knacken. Erschrocken stellte ich fest, dass es von der Treppe kam. Ich wollte gerade in die Luft abheben, als die Treppe mit einem lauten Bersten einstürzte. Ich schrie und versuchte mich in die Luft zu erheben, doch mein Fuß verhedderte sich irgendwo oder so was, auf jeden Fall konnte ich nicht weg und stürzte in die Tiefe. Ich hörte noch wie Lorena schrie: „Eyrin!“

Wo war ich? Verwirrt stellte ich fest, dass ich in einem Keller lag. Das Haus hat doch keinen Keller, dachte ich und sah mich um. Die Laterne lag zerbrochen neben mir, ein paar Splitter hatten sich in meinen Arm ge-bohrt, doch das war nichts verglichen mit meinen gräss-lichen Kopfschmerzen. Vorsichtig setzte ich mich auf. Von meiner Kleidung und meinem Oberkörper rieselten Staub, Dreck und Holzstücke. Ich hustete, weil ich Staub in den Hals bekam und merkte, dass Blut mir die Stirn hinabrann. Ich fluchte und stand zaghaft auf. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich mir nicht alle Knochen im Leib gebrochen hatte, sah ich mir das große Loch über mir an der Decke an. War ich wirklich zusammen mit der Treppe durch den Boden des oberen Stockwerks gestürzt? Es klang einfach zu verrückt. „Lorena?“, rief ich erstickt nach oben. Wenn ich so leise rief, konnte sie mich auch gar nicht hören! Etwas lauter rief ich noch einmal ihren Namen. Nichts. Warum antwortete sie denn nicht? Vielleicht war ihr etwas zugestoßen? Mir kam ein ganz schrecklicher Ge-danke. Was war, wenn sie mich einfach so allein gelas-sen hatte? Wenn sie sich einfach den Stoff geschnappt und das Weite gesucht hatte? Unsinn, meine Freundin ist nicht so ein Feigling, dachte ich und fühlte mich ein wenig besser, aber nicht viel. Ich sah noch einmal das Loch an, dann wollte ich mit den Flügeln schlagen und nach oben fliegen. Ein stechender Schmerz durchzuck-te sie und ich wusste: Meine Flügel waren vollkommen nutzlos. Ich musste sie mir beim Sturz verletzt haben. Oh, was soll ich denn jetzt nur machen?, fragte ich mich panisch und drehte mich einmal um die eigene Achse. Natürlich sah es immer noch so aus wie vorher, was hatte ich eigentlich erwartet? Dass eine gute Fee zu mir herunterschweben und mich retten würde? Lä-cherlich. Was blieb mir noch? Mir eine Lösung zu überlegen, oder hier zu warten. Ich seufzte und beschloss mich umzusehen. Viel zu entdecken gab es nicht, nur Schutt und Bruchstücke und noch mehr Schutt... wenigstens konnte ich im Dunkeln sehen. Vielleicht würde mir etwas aus dem Unterricht helfen hier herauszukommen, nur was? Ich kannte einen Spruch wie man sich unsichtbar machen konnte, wusste wie man jemanden dazu zwang die Wahrheit zu sagen... aber helfen würde mir das alles nicht. Irgendetwas nützliches?... Leider hatten wir noch nicht gelernt, wie man eigentlich schwebte. Das wollte ich schon immer mal lernen, doch erst jetzt würden wir es im Unterricht durchnehmen und bis dahin könnte ich schon tot sein. Nein, nicht ans Sterben denken, bleib ganz ruhig. Ich konnte mich zwar nicht zum Schweben bringen, dafür aber Gegenstände. Gab es hier irgendetwas was mir von Nutzen sein konnte? Nicht wirklich. Nur alte Möbel und Kleidungsstücke und Marmeladengläser... Musste es hier nicht irgendwo ein Seil geben? Ich bahnte mir einen Weg durch den Schutt und suchte fieberhaft nach einem Seil oder ähnlichem. Ich fand keines. Langsam wurde mir angst und bange. Na ja, ein paar zusammengeknotete Kleidungsstücke werden wohl auch gehen. Ich knotete einige Hemden und Kleider zusammen und sah skeptisch auf mein improvisatorisches Seil hinab. Irgendwie würde es schon funktionieren. Ich konzentrierte meinen Blick auf das Seil und stellte mir vor, wie meine Magie es dazu brachte nach oben zu schweben und oben am Boden festzukleben. Die zusammengebundenen Kleidungsstücke schwebten wie eine hypnotisierte Schlange durch das Loch und schlängelten sich ein Stück über den Boden, bis die Spitze aus meinem Blickfeld verschwand. So weit so gut. Jetzt nur noch das Seil an den Boden drücken und dafür sorgen, dass es auch da blieb. Ich zog kräftig an dem Seil um mich zu vergewissern, dass es auch wirklich fest saß und ergriff es mit beiden Händen. Jetzt würde es sehr schwer werden. Ich musste das Seil hochklettern, aber ohne meine Konzentration zu unterbrechen, sonst würde ich hinunterstürzen. Ich schluckte, gab mir einen Ruck und kletterte unbeholfen das Seil hoch. Meter um Meter vorwärts... Ich zwang mich an nichts zu denken und nur das Seil anzusehen. Die Hälfte war geschafft, nur noch ein bisschen, dann war ich frei. Ich wagte es nach unten zu sehen und das war ein großer Fehler. Mir wurde sofort schwindelig, ich hatte nicht gedacht, dass der Keller so tief unten lag, und war für eine Sekunde vor Schreck wie gelähmt. Mein Gehirn setzte aus. Da geschah es. Weil ich auf den Boden starrte und meine Magie nicht mehr in das Seil fließen ließ, löste es sich vom Boden und mein Gewicht ließ es wieder in das Loch zurückschnellen. Ich wollte noch eilig versuchen es wieder nach oben zu befördern, doch erstens war ich viel zu erschrocken und zweitens ließ mein Gewicht das nicht zu. Mit einem lauten Schrei fiel ich wieder in die Tiefe zurück und alles wurde schwarz.
„Eyrin! Eyrin?“ Wer rief denn da? Diese Stimme kannte ich doch, oder nicht? Die Dunkelheit hielt mich noch wie in Watte gepackt fest und wollte nicht verschwin-den. Genauso wie der erwachende Kopfschmerz der mich schier wahnsinnig machte. Ich schlug die Augen auf, doch es war noch immer dunkel. Oh nein, ich bin blind, oder tot, dachte ich erschrocken, doch dann hör-te ich die Stimme wieder rufen. „Eyrin! Dem Himmel sei Dank, du lebst!“ Mefirian. Was suchte er denn hier? „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“, schluchzte Lorena und kniete sich neben mich. Ich hob den Blick und sah, dass Mefirian gerade durch das Loch nach unten zu uns flog. Ich wollte mich aufrichten, doch der Schmerz in meinem Kopf ließ mich wieder auf den harten Boden zurückplumpsen. „Was macht ihr denn hier?“, krächzte ich heiser. „Ich habe Mefirian geholt als die Treppe eingestürzt ist“, erklärte Lorena und schob mir etwas unter den Kopf. „Aua!“, jaulte ich und krallte meine Finger in ihren Arm. „Warum hat es denn so lange gedauert?“ „Zuerst wollte ich versuchen dich alleine da rauszuholen, doch ich wusste nicht wie. Mit dir nach oben fliegen konnte ich nicht, du wärst zu schwer gewesen. Dann habe ich Mefirian geholt, aber ich musste aufpassen, dass ich seine Familie nicht wecke und natürlich hat er mir einen Vortrag gehalten...“ Ich unterbrach sie und sagte: „Würdet ihr mich freundlicherweise endlich hier herausholen?“ Mefirian kniete sich ebenfalls neben mich und erwiderte: „Selbst wenn du verletzt bist kannst du noch unfreundlich sein.“ Ich konnte nicht lachen, dazu fühlte ich mich einfach zu grässlich. Mein Freund schob seine Hände unter meinen Körper und hob mich vorsichtig hoch, trotzdem wurde mir so schwindelig, dass ich meinte mich jeden Moment übergeben zu müssen. „Pass auf, ihre Flügel sind verletzt“, warnte Lorena ihn und flog voraus. Mefirian folgte ihr. Endlich waren wir wieder oben und dort, wo vorhin noch die Treppe gewesen war, befand sich jetzt ein großes, tiefes schwarzes Loch. Ich schauderte und erkundigte mich: „Hast du wenigstens diesen blöden Stofffetzen?“ Lorena sah beleidigt aus, aber schließlich war es doch ihre Schuld gewesen. „Ja, ich habe den „Stofffetzen“ bei Mefirian versteckt.“ Ich nickte und schloss die Augen. „Warum bist du überhaupt die Treppe hochgegangen?“, wollte Mefirian von mir wissen. „Ich weiß nicht... ich war einfach neugierig. Klasse Ausrede, wirklich ein toller Grund um den Tod in Kauf zu nehmen! „Zu viel Neugier ist ungesund“, ver-suchte Mefirian zu scherzen, doch er lachte selbst nicht. Während dem Nachhauseweg überlegte ich fie-berhaft wie ich das alles meiner Mutter erklären sollte. Sie würde außer sich sein vor Wut und mir bestimmt Hausarrest geben. Das wäre ja noch eine milde Strafe... ich wollte einfach nur noch ins Bett und schlafen. An nichts mehr denken und nicht mehr reden oder etwas tun müssen, nur schlafen... „So Eyrin. Wir sind bei dir zu Hause angekommen. Sollen wir noch bei dir bleiben?“, sagte Lorena plötzlich und schreckte mich auf. Ich war kurz davor gewesen einzuschlafen. Ich nickte und Lorena klopfte an die Tür. Wie immer öffnete Arlene. Sie starrte uns drei mit großen Augen an und sah schnell ins Haus zurück. „Kommt schnell und seid leise! Mutter darf nicht aufwachen!“, flüsterte sie und winkte uns hastig herein. Wir schlichen uns wie die Diebe in unser Zimmer und Mefirian legte mich behutsam aufs Bett. Arlene deckte mich zu. Schmutzig und müde wie ich war, schlief ich sofort ein. Ich hörte noch wie die Tür geöffnet wurde und Mama rief: „Eyrin! Was ist denn passiert?“

Fünf

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Ich musste wohl nur kurz geschlafen haben, denn als ich aufwachte war es noch immer dunkel. Ich fühlte mich aber schon viel besser. Außer, dass meine Kopf-schmerzen wieder erwachten, sobald ich mich bewegte. Himmel, morgen musste ich ja wieder in die Schule! Und ich hatte doch noch Hausaufgaben auf... Ich erhob mich und merkte erst jetzt, dass Arlene am Tisch saß und nähte. Verwundert blickte sie auf, als ich aus dem Bett kletterte und benommen durch den Raum taumel-te. „Eyrin! Was machst du denn da?“, rief sie erschro-cken, schmiss ihre Näharbeit hin und kam zu mir. Be-sorgt legte sie mir einen Arm um die Hüfte. „Du sollst liegen bleiben.“ „Aber ich habe doch morgen Schule und muss noch...“, fing ich an, wurde aber von ihr un-terbrochen. „Nein, du hast heute keine Schule. Heute ist Samstag“, erklärte sie und bugsierte mich wieder ins Bett. „Was? Aber Mefirian hat mich doch heute erst hier her gebracht“, stammelte ich. Arlene sah mich ver-ständnislos an. „Es ist Samstag. Du hast zwei ganze Tage geschlafen.“ Was, ich hatte zwei Schultage ver-passt? Und wie sollte ich den ganzen Stoff nachholen? Ich stöhnte und setzte mich auf die Bettkante. „Glaube mir Arlene, mir geht es gut, ich muss nicht mehr ins Bett“, versicherte ich und stand zum Beweis noch ein-mal auf. Dieses Mal konnte ich stehen, wenn auch wa-ckelig. Meine Schwester sah mich zweifelnd an, mur-melte: „Gut, wenn du meinst.“ Und nähte weiter. „War Mama sehr böse?“, wollte ich wissen, während ich mir mit einem Kamm durch die Haare fuhr. „Ja, und wie, aber deine Freunde und ich haben sie beruhigt.“ Ich biss mir auf die Lippe und brachte schließlich mühsam die Frage heraus: „Welche Strafe habe ich bekom-men?“ „Keine, sie meinte deine Verletzungen wären Strafe genug“, antwortete meine Schwester grinsend. Ich konnte es kaum glauben, meine Mutter hatte mich wirklich nicht bestraft? Sollte das ein Scherz sein? „Bist du sicher, dass sie es ernst gemeint hat?“ Arlene ließ ihr Nähzeug sinken und sah mich entrüstet an. „Meinst du ich kenne meine eigene Mutter nicht?“, fragte sie empört, grinste dabei aber. Ich grinste zurück, legte den Kamm weg und merkte, dass ich noch immer mein ver-staubtes und zerrissenes Kleid trug. „Habt ihr verges-sen mir das Kleid auszuziehen?“, fragte ich, während ich in meiner Truhe herumwühlte. „Nein, wir wollten dich nicht wecken. Obwohl, du hast wie eine Tote ge-schlafen.“ Schließlich zog ich aus dem ganzen Kleider-, Tuch-, Strumpf-, und Schleier- Bündel mein Lieblings-kleid heraus. Es war dunkelblau, hatte ellebogenlange Ärmel und der Ausschnitt war mit silbernen Stickereien verziert, die meine liebe Schwester gemacht hat. Zu dem Kleid gehörte auch ein, schwarzer Ledergürtel. Hastig streifte ich mir das Kleid über, zog meine Schuhe an und verabschiedete mich von Arlene. „Sage Mutter dass ich nicht lange wegbleibe und dass ich ihr dankbar bin, weil sie mir keine Strafe gegeben hat.“ Meine Schwester sah mir verwundert nach, als ich zur Tür stolzierte, wohl eher taumelte, zuckte mit den Schultern und sagte: „Ja sicher Eyrin. Viel Spaß.“

„Ah Eyrin, das ist aber eine Überraschung“, begrüßte Lorenas Mutter mich freundlich und ich war mir ziem-lich sicher, dass sie Witze machte. Ich besuchte Lorena fast jede Woche und sie mich auch sehr oft. „Ist sie da?“, wollte ich wissen. „Ja, komm ruhig rein. Das muss aber schlimm gewesen sein.“ Ich wusste sofort wovon sie redete. Es hatte sich also schon im ganzen Dorf herumgesprochen, da gab es keinen Zweifel. Innerlich entfuhr mir ein Seufzer. Lorena hatte natürlich wieder geplappert, aber der Ärger den sie bekommen hatte, machte das wieder wett. Lorenas Mutter war nicht streng, doch wenn ihre Tochter sich danebenbenahm, dann konnte sie auch hart sein. Ihrer Tochter machte das nichts aus. Sie betonte immer, sie wisse, dass ihre Mutter sie liebte und nur schützen wollte. Fenja ließ mich eintreten und ich lief zielsicher in Lorenas Zimmer, das am anderen Ende des Raumes lag. Das Haus war etwas kleiner als unseres, aber es lebten ohnehin nur zwei Personen darin. Ich fand meine Freundin auf ihrem Bett, mit einem Buch in der Hand. Das war ungewöhnlich, normalerweise las Lorena nie freiwillig. „Hallo Lorena“, grüßte ich und setzte mich auf die Bettkante. „Eyrin? Was machst du denn hier, ich dachte du wärst im Bett?“, meinte sie verwundert und legte ihr Buch beiseite. „Ich weiß, aber mir geht es schon viel besser“, log ich, da ich nicht wollte, dass sie sich Sorgen machte.
„Wir haben schon gedacht du wärst tot... tut mir leid.“ „Ach, das macht nichts.“
„Na ja, du sahst ziemlich erschöpft aus und deine Mut-ter war beinahe wahnsinnig vor Sorge.“
„Was hast du für eine Strafe bekommen?“, fragte sie mich interessiert. Ich lächelte und sagte feixend: „Kei-ne! Meine Mutter meinte meine Verletzungen wären Strafe genug.“ „Hast du ein Glück! Ich habe zwei Wo-chen Hausarrest! Ich darf nur zur Schule nach draußen gehen!“, schmollte Lorena und schob trotzig die Unter-lippe vor. Doch ich kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie es gar nicht so schlimm fand, wie sie tat. „Üb-rigens kommt Mefirian auch.“ „Wie?“, fragte ich ver-wirrt. „Ja, er hat sich Sorgen um dich gemacht. Ich konnte dich leider nicht besuchen kommen, aber er war beide Tage da und hat mir erzählt wie es dir geht.“ „Woher weißt du, dass er kommt?“ Sie meinte lächelnd: „Meine hellseherischen Fähigkeiten!“ dann lachte sie und wurde wieder ernst. „Nein, ich weiß es einfach. Das passt zu Mefirian.“ Müde fuhr ich mir durch die Haare und erkundigte mich: „Habe ich viel im Unterricht ver-passt?“ „Nein, wir haben nicht viel Neues gemacht. Außer dem Flugparcours. Du wirst ihn nachholen müssen, aber warte zuerst bis deine Flügel wieder gesund sind“, erklärte sie und schlug ihr Buch wieder auf. Ich wusste, dass sie nicht wirklich las, sondern mir zuhörte. „Hast du eigentlich diesen blöden Stofffetzen, wegen dem ich beinahe gestorben wäre?“, zischte ich leise, als wäre es ein streng gehütetes Geheimnis. „Oh ja! Du wirst staunen!“, rief Lorena, schmiss ihr Buch hin und eilte zu ihrer Kleidertruhe. Sie fischte triumphierend ein weiß- lilanes Kleid mit Rüschensaum und Blumenstickereien aus schwarzem Garn heraus. Ich betrachtete es mit einer Mischung aus Enttäuschung und Verwirrtheit. „Das ist alles? Das alles haben wir für ein Kleid getan?“, meinte ich zweifelnd und leicht verärgert. Das ganze Theater für ein Kleid! „Es sieht sehr wertvoll und schön aus“, verteidigte Lorena es und sich auch gleich und drückte das Kleidungsstück wie einen besonderen Schatz an sich. Ich seufzte. „Und was meint Mefirian dazu?“ „Mefirian meint, dass die liebe Eyrin sich nicht den Kopf darüber zerbrechen sollte“, ertönte plötzlich seine Stimme von der Tür her. Mefirian stand an der Türschwelle und sah mich mit einem Ausdruck von Besorgnis und Erleichterung an. „Hast du schon einmal etwas von dem Wort ‚anklopfen’ gehört?“, sagte Lorena verärgert, schmunzelt dann aber gleich. „Tut mir leid.“ Er setzte sich neben mich auf die Bettkante und sah mich an. „Du siehst immer noch blass aus Eyrin“, meinte er leise. Ich wandte den Blick ab, doch er nahm mein Kinn in seine Hand und drehte mein Gesicht zu sich. „Sieh mich an. Hast du dich aus dem Haus geschlichen?“ Ich sah ihm fest in die Augen und antwortete: „Nein, mir geht es gut.“ Zweifelnd sah er mich an, nickte dann und wandte sich an Lorena. „Und was hast du jetzt mit deinem ‚Schatz’ vor?“ Sie zuckte die Schultern. „Ich weiß noch nicht. Ich könnte es auf dem Markt ver-kaufen oder vielleicht auch behalten...“ „Bringe es doch einfach wieder zurück“, schlug ich vor. Die beiden starr-ten mich an, als hätte ich den Verstand verloren. „Was? Ich soll noch einmal in dieses Haus gehen?“, rief Lore-na. „Ich war es schließlich die mit der Treppe einkrach-te!“, gab ich zurück. „Aber es war doch deine Idee ge-wesen in dieses blöde Haus zu gehen...“ Bevor ein Streit zwischen uns ausbrechen konnte, mischte Mefi-rian sich ein: „Ganz ruhig. Es ist eben passiert und wenn wir uns streiten nützt das auch nichts.“ Wir fun-kelten ihn wütend an, doch er sah uns nur ruhig und abwartend ins Gesicht. Schließlich seufzte ich, dann Lorena und wir murmelten gleichzeitig: „Entschuldi-gung.“ Mefirian lächelte uns an. „Sind wir wieder Freundinnen?“ „Natürlich“, bekräftigte ich und umarm-te sie. „Wie hat Marena eigentlich auf unser Verschwin-den beim Verteidigungsunterricht reagiert?“, erkundigte ich mich bange. Lorena zuckte mit den Schultern. „Sie hat mir natürlich eine Standpauke gehalten was wäre wenn... ich habe ihr nicht zugehört und dann hat sie gesagt, ich, Mefirian und du sollen am Montag, also morgen im Unterricht helfen.“ „Was denn helfen?“, stöhnte ich und stützte den Kopf in die Hände. „Ich weiß es nicht. Hoffentlich nichts Schweres.“ „Halt... wieso hat Mefirian auch eine Strafe bekommen? Er hat doch überhaupt nichts getan“, rief ich und sah meinen Freund verwundert an. „Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?“ „Weil du geschlafen hast wie eine Tote“, antwortete er leicht lächelnd. Ich verdrehte die Augen und entgegnete: „Davor hättest du es mir sagen können...“ Ich verstummte und sah, was er dachte. Ihr wart ja in der alten Hütte und ich konnte euch nicht finden. Zuvor bist du ja weggelaufen und wolltest nicht mit mir reden. „Tut mir leid, du hast ja recht“, murmelte ich müde. Allmählich fing ich an lauter Unsinn zu reden. Er lächelte anerkennend und meinte: „Du kannst einem seine Gedanken ansehen.“ Dann nahm sein Gesicht einen besorgten Ausdruck an. „Du siehst blass aus. Gehe lieber nach Hause und ruhe dich aus.“ „Ja, du siehst nicht gut aus.“ Ich fühlte mich auch nicht gut, war müde und hatte Kopfschmerzen. Meine Flügel schmerzten nur noch ein wenig. Also konnte ich morgen beim Flugparcours mitmachen... Was für ein Glück...Ich seufzte, verabschiedete mich von meinen Freunden und ich und Mefirian verließen Lorenas Haus. Die fri-sche Nachtluft tat gut. „Na dann, soll ich dich nach Hause bringen?“, wollte mein Freund wissen und sah mich abwartend an. „Nein, nein, das musst du nicht. Ich kann auch alleine gehen.“ Er zuckte die Schultern und ging nach Hause. Ich machte mich auf den Weg.

Sechs

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Ich schlief noch ein paar Stunden bevor meine Schwes-ter mich weckte. Arlene war schon fertig angezogen, mit gekämmtem und zu einem Zopf gebundenem Haar und gepackter Schultasche. Ich stöhnte, stieg aus dem Bett und machte mich ebenfalls fertig. Ich fühlte mich gräss-lich, doch ich sagte nichts. Mein Lieblingskleid, das beim Treppenzusammenbruch arg gelitten hatte, hatte meine Mutter geflickt und gewaschen. Es sah fast wie neu aus. Mama sei Dank, dachte ich während ich in das braune Kleid schlüpfte und mir die Haare kämmte. Meine Flügel waren immer noch verbunden und schmerzten ein wenig, aber ich wollte dieser doofen Schnepfe Camilla den Triumph nicht gönnen, mich vor dem Flugparcours zu drücken. Mit Kopfschmerzen und schlechter Laune ging ich los und holte meine Freunde ab. Sie sahen gleich, dass mein Gesicht wie eine Gewit-terwolke aussah, dass ich schlechte Laune hatte. Sie fragten nicht, liefen nur schweigend neben mir her. Dafür war ich ihnen sehr dankbar. Sie waren einfach die größten. Ich griff in den kleinen Beutel an meinem Gürtel und wollte meine Feder herausholen um nachzusehen ob der Kiel abgebrochen war, als meine Finger etwas ertasteten. Das hatte ich ja vollkommen vergessen! Als ich meine Hand rauszog lag das zarte Goldarmband darin und funkelte in der Sonne. Hinten in das Herz war ein Name eingraviert, den ich jedoch nicht entziffern konnte. „Was hast du denn da?“, wollte Lorena interessiert wissen. Ich überlegte fieberhaft was ich ihr sagen sollte. Die Wahrheit? Nein, ich mochte nicht sagen, dass ich ebenfalls etwas aus der alten Hütte genommen hatte. Außerdem könnte sie dann böse auf mich sein. Zuerst verlangte ich von ihr, dass sie das Kleid zurückbrachte, und dann hatte ich ein Goldarmband! „Ähm... das hat mir meine Großmutter vererbt. Mutter hat es erst gestern in ihren Sachen gefunden. Sie hatte es vollkommen vergessen“, log ich und sah erleichtert, dass Lorena mir die Lüge abkaufte. Im Gegensatz zu Mefirian der leicht missbilligend den Kopf schüttelte. Er wusste, dass ich log. Ich schenkte ihm einen drohenden Blick und knurrte stumm: Wage es nicht ihr die Wahrheit zu erzählen! Er schüttelte erneut den Kopf und zwinkerte mir verstohlen zu. „Komm, ich lege es dir um“, bot Mefirian an und ich blieb stehen. Lorena lehnte sich an eine Säule vor dem Schulgebäude und wartete auf uns. Ich reichte meinem Freund das Armband und er legte es mir ums Handgelenk. Es hing lose daran herunter in den Zwischenraum zwischen meinem Handgelenk und dem Armband hätten zwei Finger übereinander gepasst. Trotzdem fand ich es wunderschön und lächelte Mefirian dankbar an. Dann trabten wir zu Lorena und ich hakte mich bei ihr und ihm unter. Er flüsterte: „Achtung, da kommt das Ekelpaket!“ Und da sahen wir Camilla und zwei genauso dämlichen Mädchen wie sie, die auf uns zukamen. „Na Eyrin, erst läuft du wie ein Feigling weg und dann verkriechst du dich zu Hause“, säuselte sie. Ich zitterte innerlich vor Wut, ließ mir äußerlich aber nichts anmerken. „Nein, ich habe mich nicht versteckt“, erwiderte ich gelangweilt und warf mein Haar zurück. Irgendwie hatte ich es mir angewöhnt, seit Camilla hier an der Schule war. „Aber geschwänzt hast du trotzdem!“, rief sie triumphierend und am liebsten hätte ich ihr gesagt: Und was ist mit dir du Angsthase der sich dauernd vor Mefirian fürchtet? Doch ich hielt mich zurück und fragte: „Und hat Mefirian dich wieder fertig gemacht`?“ Ich sah wie sie blass wurde, dann zischte sie wütend: „Ja, deshalb hat er ja auch eine Strafe bekommen!“ „Mefirian! Was erzählt sie denn da für Mist?“, rief ich und drehte mich zu ihm um. Er funkelte wütend Camilla an und knurrte: „Ich habe überhaupt nichts gemacht. Sie hat ein Schmierentheater vom allerfeinsten zum Besten gege-ben!“ Ich sah meine Erzfeindin verächtlich an. „Ach, du brauchst jetzt sogar Hilfe um dich vor einem Kampf mit Mefirian zu drücken? Wie armselig du doch bist“, höhn-te ich und da holte Camilla aus und verpasste mir eine Ohrfeige, dass ich zu Boden stürzte. In meinem Kopf brauste und toste das Blut wie ein Wirbelsturm und meine Wange brannte wie Feuer. Ich fiel zu Boden wie ein gefällter Baum und landete auf dem Rücken. Mir war furchtbar schwindelig und schlecht, die getroffene Wange pochte schmerzhaft und ich quetschte mir die Flügel. Mit tränenblinden Augen sah ich zu Camilla hoch, die selbst ganz erstaunt, die Hand immer noch erhoben, auf mich hinabstarrte. Ich funkelte sie so hasserfüllt an, dass sie zurückwich und mit ihren Freundinnen davonflog. Feige Schlange, dachte ich, während Lorena und Mefirian mir aufhalfen. Ich brach in die Knie und wäre beinahe wieder auf den Boden geplumpst, hätten sie mich nicht an beiden Armen fest-gehalten. Sie sahen richtig erschrocken aus, auch ich hätte Camilla so etwas nie zugetraut. Meine Beine fühl-ten sich an wie Watte. „Lass uns etwas für deine Wange holen“, schlug Lorena vor und legte mir einen Arm um die Schultern. Ich nickte und sie begleitete mich zur Heilerin. „Wir sollten es einem Lehrer erzählen“, meinte meine Freundin, doch ich schüttelte den Kopf. „Nein, wie denn? Ihre Aussage steht gegen unsere, außerdem haben wir keine Zeugen.“ „Stimmt.“ Lorena ließ die Schultern hängen. „Keine Sorge, dieses Biest kriegt noch eine Abreibung“, versprach ich. Die Heilerin wickelte ein Tuch um ein Stück Eis und ich drückte es an meine Wange, während die Frau fragte: „Wie ist das denn passiert?“ „Äh... ich habe mich im Flugunterricht verletzt“, log ich und wich ihrem Blick aus. Sie erwiderte nichts und machte sich daran eine Salbe anzurühren. Ich bedankte mich für den kühlen Umschlag und ging zusammen mit Lorena den Gang entlang. Die restlichen Stunden des Unterrichts brachte ich irgendwie hinter mich, dann kam die schlimmste Stunde, die Stunde vor der ich schon den ganzen Tag Angst hatte: Der Flugparcours. Aber meine Freunde hatten es auch geschafft und wir mussten den Lehren auch beim Unterricht helfen. Wir räumten die Säle auf, bereiteten die Unterrichtsutensilien vor und halfen Schülern, wenn sie Hilfe brauchten. Es war ganz schön anstrengend, doch am meisten ärgerte mich, dass Camilla uns die ganze Zeit auf Trab hielt, uns dauernd zu sich rief, so tat als bräuchte sie Hilfe und uns Beleidigungen an den Kopf warf. Wir taten so, als würde es uns nichts ausmachen, obwohl wir innerlich vor Wut schäumten. Ich erkannte das an Lorenas vor Wut roten Wangen und Mefirians funkelnden Augen. Doch was sollten wir schon tun? Wir ließen es uns gefallen. Dann kam die letzte Stunde des Tages. Ich musste der Lehrerin nicht helfen, aber ich würde alles dafür tun wenn ich es könnte. Das wäre mir lieber gewesen als der Flugparcours. Ich stellte mir vor den Wald, der vor Blättern braun, rot und golden leuchtete. Das Rauschen des Laubes verschmolz mit meinem rasenden Herzschlag. Bumm, bumm, bumm, bumm... Du schaffst das schon, Eyrin, ganz ruhig, dachte ich und versuchte meinen rasenden Puls zu senken. „Also gut Eyrin, durchquere den Parcours, weiche den Hindernissen aus und komme so schnell wie möglich zurück“, erklärte Marena und nickte mir zu. Ich flog schnell in den Wald hinein und wich den eng beieinan-der stehenden Bäumen aus. Ich flog durch einen Reifen aus geflochtenen Ranken, über einen in der Luft hängenden Baumstamm und sank ein bisschen tiefer, um den tiefhängenden Ästen auszuweichen. Der Wind pfiff mir in den Ohren und meine Flügel schmerzten ein wenig, aber ich wollte es endlich hinter mich bringen. Jetzt musste ich zurück... Ich war fast da als meine Kopfschmerzen sich meldeten. Meine Wange pochte, meine Flügel stachen... Nein, nur noch ein bisschen. Ich flog aus dem Wald heraus, in den goldenen Sonnenschein. Schon tauchten die Gestalten meiner Mitschüler und Marena auf. Ich sah ganz deutlich die besorgten Gesichter meiner beiden Freunde und Camillas höhnisches Lächeln. Sie traute es mir wahrscheinlich nicht zu, diesen Parcours schnell zu beenden. Der werde ich es zeigen! Ich beschleunigte meine Flügelschläge. Mein Kopf schien zu bersten, doch ich war nicht erschöpft. Endlich flog ich an der Lehrerin vorbei, und sie sah lächelnd von der kleinen Sanduhr auf, in der gerade das letzte Sandkorn gefallen war. „Du warst zweimal schneller als Camilla und nur ein paar Minuten langsamer als Mefirian und Lorena. Hey du siehst nicht gut aus und was ist das auf deiner Wange?“ Ich wollte antworten, doch Lorena kam mir zuvor. „Das hast du super gemacht Eyrin! Setz dich lieber!“ Ich ließ mich einfach erschöpft auf den staubigen Boden fallen. „Gut, ruh dich aus. Die anderen können gehen“, beschloss Marena und die Gruppe die dich um uns versammelt hatte, löste sich auf und verschwand schwatzend. Ich saß erleichtert und müde da und sah auf mein kleines Armbändchen. Das Herz leuchtete so schön in der Sonne. Nach einer Weile ging es mir wieder gut genug um aufzustehen und von Mefirian und Lorena flankiert nach Hause zu gehen.

Lorena und ich gingen zu Mefirian nach Hause. Seine jüngeren Geschwister kamen lärmend auf uns zugelau-fen. „Mefirian!“, rief sein jüngster Bruder, der fünf Jahre alt war und mein Freund nahm seine Geschwister la-chend in die Arme. Sie kuschelten sich an ihn und plapperten munter, bevor sie mich und Lorena überfie-len. Wir gingen beinahe unter dem Ansturm zu Boden. Ich nahm ein Mädchen an die Hand, Lorena lief neben einem zehnjährigen Jungen her. Mefirians Vater kam aus der Küche, aus der es irgendwie verbrannt roch und lächelte uns entschuldigend an. „Ihr kommt genau zur richtigen Zeit!“, sagte er lächelnd. Ich und Lorena warfen uns belustigte Blicke zu. Mefirians Vater konnte nicht besonders gut kochen und seine Kinder auch nicht. Mefirian versuchte seinem Vater so gut es ging zu helfen. Wir Mädchen stellten uns an das Herdfeuer. Wir kochten ein Mittagessen und aßen dann gemeinsam am Tisch. Mefirian, seine Familie und Lorena plapper-ten munter miteinander, während ich nur schweigend dasaß und den Mund nicht aufbekam. Wie immer ei-gentlich. Mefirian warf mir immer wieder fragende Bli-cke zu, denen ich auswich. Wir halfen noch den Tisch abzuräumen und das Geschirr sauber zu machen. Mefi-rian bedeutete mir, ihm auf sein Zimmer zu folgen. Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit ver-schränkten Armen dagegen, als wolle er mir jede Mög-lichkeit zur Flucht vereiteln. Ich schluckte und versuchte zu scherzen: „Was soll das werden? Ein Kreuzverhör?“ Sein Gesichtsausdruck blieb ernst. „Also Eyrin wir ken-nen uns schon sehr lange und haben uns gegenseitig geschworen uns immer die Wahrheit zu sagen.“ „Willst du etwa behaupten ich hätte Geheimnisse vor euch?“, fuhr ich ihm wütend dazwischen. Mefirian erwiderte ruhig: „Du hast uns nicht die ganze Wahrheit erzählt, das ist fast genauso als wenn du lügen würdest.“ Ich schnaubte und wandte den Blick ab. „Na schön, worin habe ich euch denn nicht die Wahrheit gesagt?“ „Du hast uns verheimlicht, dass du dieses Armband aus dem Haus mitgenommen hast“, erklärte er, dann fragte er: „Warum?“ Dieses eine Wort ließ mich in Panik gera-ten und fieberhaft überlegen was für eine Antwort klug wäre. „Ich hatte es vollkommen vergessen... nachdem die Treppe eingestürzt ist“, antwortete ich ehrlich. Mefi-rian musterte mich, wohl um in meinem Gesicht able-sen zu können ob ich log. Dann entspannte sich sein Gesicht zu einem entschuldigendem Lächeln. „Tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe.“ „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du auch eine Strafe bekommen hast?“ Jetzt hatte ich den Spieß umgedreht. „Na?“, hakte ich nach und rückte herausfordernd mit meinem Gesicht näher an seines heran. Er blieb vollkommen ruhig und erwiderte: „Ich wollte dir keine Sorgen berei-ten. Es hätte sowieso nichts gebracht.“ „Was? Du lässt dich einfach so unterbuttern? Dich für etwas bestrafen, dass du gar nicht getan hast.“ „Der Klügere gibt nach.“ „Ach ja? Mir scheint du wärst der Dümmere!“, rief ich aufgebracht. Warum ließ er immer alles mit sich ma-chen, warum setzte er sich nicht einmal durch? Mefirian sah mich entgeistert an und sein verletzter Blick tat mir weh, doch anstatt mich zu entschuldigen, ging ich zur Tür, mein Freund machte mir ohne zu zögern Platz, mich immer noch anstarrend. Wütend auf mich selbst und mit Tränen in den Augen verließ ich das Haus eiligst. Das letzte war ich sah, was Lorenas überraschter Gesichtsausdruck.

Sieben

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Ich hatte kaum das Haus verlassen, da fing es an zu regnen und ein heftiger Wind blies. In meinem Kleid fror ich, obwohl es mit Wolle ausgestopft war und ich Strümpfe trug. Bibbernd und schniefend begann ich zu rennen. Ich sah nicht wohin ich rannte, ich wollte nur weg, nach Hause... Ich trat in eine Pfütze, fluchte, zog das triefende Bein aus dem kalten Wasser und hinkte weiter. Langsam trieb mir den kalten Wind die Tränen in die Augen und peitschte mir den Regen ins Gesicht. Wasser lief mir die Wangen hinab und das Haar klebte mir nass am Kopf. Ich konnte nicht fliegen, da der Wind heftig an meinen Flügeln zerrte und das Wasser meine Flügel schwer werden ließ. Vor mir tauchten endlich die ersten Häuser des Dorfes auf. Erleichtert stolperte ich weiter und klopfte an unsere Tür, damit Mutter nicht dachte ich wäre eine Einbrecherin. „Eyrin! Meine Güte, komm schnell ans Feuer!“, rief Mama und zog mich ins Haus, nachdem sie die Tür beinahe aufgerissen hatte. Sie bugsierte mich auf einen kleinen Hocker vor dem kleinen Kamin, den wir hatten und drückte mir eine Tasse mit Tee in die Hand. Während ich trank, zog sie mir die Schuhe und die durchnässten Strümpfe aus. Sie rief Arlene, die unverzüglich kam und mir die Haare trocknete. Ich fühlte mich geborgen und getröstet, we-gen dem Streit mit Mefirian. Plötzlich fing ich hem-mungslos an zu weinen. Überrascht fragte Mutter: „Was ist denn los Schatz?“ Ich schniefte, schluckte, krächzte: „Ich habe mich mit Mefirian gestritten.“ „Warum?“, wollte sie wissen und legte mir eine Decke um. „Ich... wegen einem Mädchen.“ Es war ja nicht gelogen wir hatten uns wirklich wegen Camilla gestritten. Ich hätte ihr die ganze Geschichte erzählen müssen, damit ich sie nicht belügen musste, aber das hätte auch bedeutet ihr von Camillas Schikanen erzählen zu müssen. Und das wollte ich nicht. Wahrscheinlich wäre sie zu Camilla gegangen und hätte sich beschwert. Darauf hatte ich wirklich keine Lust. „Ach wirklich? Wer ist dieses Mädchen denn?“, wollte Arlene neugierig wissen. Ich zuckte bei ihren Worten zusammen und fuhr wütend hoch. Ich weiß selbst nicht, warum ich damals so empfindlich gewesen bin, Mefirian und ich waren nur Freunde und selbst wenn er eine Geliebte gehabt hatte, dann hätte ich mich für ihn gefreut. Ich bin nicht eifersüchtig, nein das bin ich nicht, niemals. Ich zog mich aus und verkroch mich in mein Bett. Müde und mit Kopfschmerzen fiel ich in einen tiefen Schlaf.

Ich war in Mefirians Haus, genauer gesagt in seinem Zimmer. Eine Kerze flackerte einsam auf dem Tisch. Das Fenster war offen und kalter Schnee wehte herein. Das Bett war leer. Plötzlich flackerte die Kerze im Luft-zug, der durch das öffnen der Tür hinter mir verursacht wurde. Mefirian stand in der Tür, den Arm um eine Per-son in einem blutroten Umhang gelegt. Die Kapuze ver-hüllte das Gesicht, doch rote Locken lugten darauf her-vor. „Hallo Eyrin, ich wollte dir meine neue Freundin vorstellen“, sagte Mefirian lächelnd und die Person neben ihm kuschelte sich eng an ihn und schlug die Kapuze zurück. Ich schrie als mir Camillas Gesicht entgegenstrahlte. Blass, höhnisch, grinsend und spöt-tisch. „Tja Eyrin, du kommst etwas zu spät“, säuselte sie. Ich zitterte vor Wut und wollte ihr am liebsten an die Gurgel, doch die Kerze erlosch, Dunkelheit umhüllte mich. Ein silberner Streifen blitzte auf, kam direkt auf mich zu. Bevor das Messer mich traf, küsste Mefirian Camilla auf die Wange...

Schreiend und weinend fuhr ich hoch und ließ mich dann wieder in die Kissen fallen. Es war nur ein Traum... doch es war trotzdem so realistisch gewesen. Es tat weh, obwohl es nicht in Wirklichkeit geschehen war. Bald schlief ich wieder ein, hatte noch weitere Alp-träume, an die ich mich aber nicht mehr erinnerte. Auf jeden Fall war Camilla in ihnen vorgekommen, da war ich mir sicher. Müde schleppte ich mich in die Schule, ohne Lorena oder Mefirian abzuholen. In den Pausen sah ich Mefirian alleine dastehen, mich völlig ignorie-rend. Gut, das konnte ich auch. Ich machte mich auf die Suche nach Lorena und fand sie auf der Treppe in den zweiten Stock. Sie saß auf den Stufen, den Kopf in eine Hand gestützt, während sie mit der anderen durch ihr Buch blätterte. „Hallo“, grüßte ich sie. Keine Antwort. „Hör mal, es tut mir leid, dass ich dich nicht abgeholt habe, aber...“ Sie unterbrach mich. „Ich rede mit keinem von euch ein Wort bevor ihr euch nicht wieder versöhnt habt und versucht nicht mich auf eure Seite zu ziehen!“ Sie klappte das Buch zu, erhob sich und lief die Treppe hoch. Ich starrte ihr fassungslos nach, ließ mich auf die kalten Steinstufen sinken und lehnte meinen mit wirbelnden Gedanken gefüllten Kopf an das Treppengeländer. Ich hatte meine zwei besten und einzigen Freunde vergrault, was hatte ich da nur angerichtet?

Während der ersten drei Unterrichtsstunden zeigten Mefirian und Lorena mir die kalte Schulter. Es über-raschte mich nicht, doch es tat trotzdem weh. Ich ver-suchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren um so zu tun als würde es mir nichts ausmachen, aber ich warf den beiden immer wieder heimliche Blicke zu. Me-firian war böse auf mich und Lorena beachtete uns nicht. Sie wollte mit mir nichts zu tun haben und nicht zwischen zwei Stühlen stehen; ich hatte sie beide we-gen eines blöden Streits verärgert, ignorierte sie und wollte einerseits mich bei den beiden entschuldigen, andererseits mein dämlichen Stolz behalten. Im Zaubertränkeunterricht standen sie beiden nicht wie sonst immer auch neben mir, sondern getrennt von mir und voneinander. Na gut, sollen sie doch, dachte ich und mischte beleidigt den Trank. Ich hörte jemanden leise lachen und bemerkte erst jetzt, dass Camilla ne-ben Mefirian stand, ihn vollquatschte, und dabei so strahlend lächelte, als hätte ihr jemand den Mund ver-eist. Heimlich beobachtete ich sie und blickte schnell wieder ins Lehrbuch, wenn ich glaubte sie sähen zu mir herüber. Ach so, jetzt lacht er sich eine andere Freundin an, dachte ich wütend und gleich darauf: was regst du dich so auf? Soll er sich doch neue Freunde suchen, dass kann dir doch egal sein. Du bist eifersüchtig, gib es zu. Ich starrte auf die Seite die wir gerade im Buch aufgeschlagen hatten und versuchte meine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Nein, ich war nicht eifer-süchtig! Aber da redete ich mir nur etwas ein. Mefirian war für mich immer wie ein Bruder gewesen und ihn mit jemandem zu teilen... eigentlich bin ich kein eifersüchtiges Mädchen, doch damals war ich es wohl. Ich weiß ich muss Mefirian ja auch mit Lorena teilen, aber das ist in Ordnung, ich mag sie, sie ist meine Freundin, aber ihn mit Camilla zu teilen... „Was findet er bloß an dieser blöden Kuh?“, schnaubte ich empört und warf schwungvoll ein paar Lavendelblätter in meinen kochenden Trank. Zum Glück schäumte dieses Mal nichts über. Ich blickte wieder von meinem Kessel hoch und sah und hörte vor allem, wie Camilla sich weiter die Mühe gab, mir meinen besten Freund zu stehlen! Warum tat sie das, abgesehen davon, dass sie mir eins auswischen wollte und die ekligste Person im ganzen Dorf war? Mochte sie Mefirian wirklich? Er war nett, höflich, hilfsbereit, jeder mochte ihn, aber ich dachte Camilla könnte ihn nicht ausstehen. Schließlich besiegte er sie immer im Kampfunterricht und war auch sonst nicht freundlich zu ihr. Zu meiner Erleichterung reagierte Mefirian nicht auf ihr Geplapper und tat so, als wäre er mit seinem Trank beschäftigt. Vielleicht war er das ja auch. Endlich klingelte es zum Ende der Stunde und wir hatten eine kleine Pause. Ich stand alleine draußen, an eine knorrige, gigantische, alte Kiefer gelehnt und ließ mir den kühlen Wind ins Gesicht wehen. Es roch nach Regen, schon wieder. Verloren und einsam stand ich da und wusste nichts mit mir anzufangen. Wieso konnte ich mich nicht einfach bei Mefirian entschuldigen? Dann wäre Lorena auch wieder meine Freundin! Doch ich war fest davon überzeugt, dass ich recht hatte uns sah eigentlich keinen Grund, mich bei ihm zu entschuldigen. Gut, ich hatte ihn einen Verlierer genannt, na und? Es stimmte doch, er gab immer nach, ließ sich alles gefallen. Ich weiß, ich war damals sehr ungerecht. Was soll man machen? Jedenfalls bezirzte Camilla Mefirian die ganze Zeit, was mich wütend und traurig machte. Ich vermisste den ruhigen Mefirian und die lustige Lorena. Mir kam mein Traum wieder in den Sinn und ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich, als mir aufging, dass Camilla denselben blutroten Umhang trug, wie in meinem Traum. „Ist alles in Ordnung, Eyrin?“, hörte ich eine bekannte Stimme fragen. Ich antwortete nicht, in meinem Kopf wirbelte immer nur derselbe Gedanke umher: Mein Traum wird wahr, er wird wahr! Panik überfiel mich, doch dann kam ich mir dumm vor. Ich war doch kein kleines Kind, das Angst vor Alträumen hatte und dran glaubte, dass sie sich erfüllten! Nein, das war nur Zufall. Da fiel mir die Person wieder ein, die mich angesprochen hatte. Ich drehte mich zu ihr um, doch sie war verschwunden. Plötzlich wusste ich, dass es Lorena gewesen war. Mit hängenden Schultern ging ich nach Hause.

Den ganzen Tag lag ich betrübt, gelangweilt und nach-denklich auf meinem Bett. Arlene merkte, dass etwas los war, ließ mich jedoch in Ruhe. Einerseits war ich froh darüber, andererseits wollte ich mich jemandem anvertrauen. Am nächsten Tag hielt ich es nicht mehr aus. Ich musste mich bei Mefirian entschuldigen, Stolz hin oder her! Mit diesem Entschluss stellte ich mich morgens, bevor die Schule anfing, vor seine Haustür und wartete. Doch er kam nicht. Ich stand zitternd und enttäuscht im Wind da und fragte mich wo er nur blieb. Da ging die Tür auf, doch es war nicht Mefirian, sondern sein Vater Adren, der mich verwundert ansah und fragte: „Was machst du denn hier?“
„Ich warte auf Mefirian.“
„Er ist nicht hier, sondern schon in Schule gegangen.“
„Was?“
„Habt ihr euch gestritten?“, wollte er besorgt wissen. „Ähm... ja... aber das wird schon wieder, bis dann“, er-widerte ich zerstreut und spurtete los um noch rechtzei-tig zum Unterricht zu kommen. Atemlos blieb ich schließlich vor dem Gebäude stehen und hielt nach Mefirian ausschau. Nach einer Weile entdeckte ich ihn wie er mit Camilla die Treppe zum Eingang hochging. Hastig rannte ich hin und versperrte ihnen den Weg. „Eyrin, mach uns Platz!“, forderte Camilla mich auf. „Ich denke ja gar nicht daran! Mefirian, was hat das zu be-deuten?“, schnappte ich und wandte mich zu ihm hin. „Was soll das? Camilla ist meine Freundin! Jetzt lass uns durch“, herrschte er mich an. Ich zuckte unter dem barschen Ton und der Bedeutung seiner Worte zusam-men und mir traten Tränen in die Augen. „Aber Mefirian, so hast du noch nie mit mir gesprochen!“
„Eyrin! Ich meine es Ernst.“
„Aber du kannst diese falsche Schlange doch nicht lie-ben! Weißt du nicht mehr was sie uns alles angetan hat?“
„Es geht nicht immer um dich und ja, ich kann sie lie-ben, weil sie im Gegensatz zu dir nicht findet, dass ich ein Dummkopf bin!“, fauchte er und schob mich kur-zerhand beiseite. Er legte einen Arm um Camillas Hüfte und verschwand mit ihr im Schulgebäude. Camilla hatte mir noch einen hämischen Blick zugeworfen. Heulend ließ ich mich auf die Stufen fallen, die verwunderten Blicke der anderen waren mir egal. Mein schlimmster Alptraum war wirklich wahr geworden.

Acht

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Gerade wollte ich mich noch bei ihm entschuldigen, doch jetzt hatte ich meine Meinung geändert. Ich fand er hatte es nicht verdient. Und wenn diese blöde Camil-la dabei war, würde ich bestimmt nicht reumütig um Vergebung bitten. Wusste sie überhaupt von unserem Streit? Natürlich wusste sie davon, sonst hätte sie sich jetzt nicht so an Mefirian herangeschmissen. Ich muss-te mich einfach jemandem anvertrauen, am besten Lorena. Doch die redete ja nicht mit mir. Ach, zum Teu-fel, das ist ein Notfall!, dachte ich, sprang auf, wischte mir übers Gesicht und suchte meine Freundin. Ich fand sie am Brunnen hinter dem Schulgelände, noch hinter dem Trainingsplatz. Dort gingen wir nur selten hin, oder waren nur selten dorthin gegangen... Zögernd näherte ich mich ihr und blieb dann vor meiner früheren Freun-din stehen. Eigentlich war ich ja gar nicht mit ihr ver-kracht und hasste sie nicht. „Darf ich mich zu dir set-zen?“, bat ich mit piepsiger Stimme. Lorena sah zu mir auf, musterte mich und schien unentschlossen ob sie meiner Bitte nachkommen, oder mich lieber davonja-gen sollte. Sie entschied sich schließlich dafür mich nicht wegzuscheuchen und machte auf dem Brunnen-rand neben sich Platz. Dankbar setzte ich mich und sah auf meine Hände hinab. Lorena kannte mich und wusste, dass es mir schwer fiel anzufangen, also fragte sie: „Was ist denn los Eyrin?“ Ich sah sie dankbar an und holte tief Luft. „Also, ich wollte mich heute bei Mefirian entschuldigen...“ „Eine gute Entscheidung“, unterbrach sie mich, doch ich ging nicht darauf ein, sondern redete weiter: „Aber er war nicht da als ich ihn zu Hause abholen wollte, ich habe ihn vor der Schule abgefangen, doch da war er mit Camilla.“ Ich sah wie meine Freundin erstaunt die Augen aufriss und fuhr hastig fort: „Ich wollte mit ihm reden, doch er hat mich abgewehrt und hat gesagt er würde sie lieben...“ „Sie lieben?“, rief Lorena empört und kreischte fast. Ich nickte betrübt. „Sie hat schon seit gestern um ihn herumgetanzt“, erwiderte ich und sah zu Boden. „Also, das ist doch...ist er völlig verrückt geworden?“ „Nein, aber ich“, murmelte ich leise. Lorena sah mich fragend an. „Na ja, ich weiß das klingt blöd, aber ich hatte vorgestern Nacht einen Alptraum. Ich habe geträumt, dass Camilla und Mefirian aufgetaucht sind und er wollte mir auch nicht zuhören und hat gesagt er würde sie lieben. Dann hat sie mich mit einem Messer angegriffen...“ „Das ist ja... beängstigend“, murmelte meine Freundin. Ich senkte meine Stimme zu einem tonlosen Flüstern. „Lorena, das unheimlichste ist, dass ist...im Traum genau diesen roten Umhang getragen hat wie jetzt. Dabei habe ich ihn noch nie zuvor gesehen.“ Lorena starrte mich fassungslos an. Meine Arme waren mit Gänsehaut überzogen.

Es fiel mir schwer das zu sagen, aber Mefirian und Ca-milla sahen glücklich aus. Ja wirklich, ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, hätte ich es nicht mit eige-nen Augen gesehen. Lorena ist meine Zeugin. Die bei-den starrten sich die ganze Zeit verliebt und verzückt an, davon konnte einem fast übel werden. Die beiden den ganzen Tag nicht aus den Augen lassend, fragte ich mich, ob sie die ganze Zeit nur so getan hatten, als würden sie sich hassen, aber es erschien mir nicht so. Vielleicht lieben sie sich ja wirklich. Zum Teufel nein, das musste irgendetwas faul sein, Mefirian konnte die-se Hexe doch nicht lieben! Ich erzählte Lorena von mei-ner Vermutung, doch sie sah mich nur zweifelnd an. „Glaubst du wirklich? Ich finde wir sollten uns nicht in sein Liebensleben einmischen und uns für die beiden freuen“, meinte sie vorsichtig. „Niemals, er ist unser Freund und ich bin mir sicher dass es da nicht mit rech-ten Dingen zugeht“, blieb ich stur und kniff die Augen zusammen, als Mefirian sich zu Camilla hinabbeugte und sie küsste. Das brachte das Blut in meinen Adern zum kochen und wütend fixierte ich einen Ast der über Camillas Kopf hing. Plötzlich bewegte er sich, brach und fiel herunter. Camilla spürte die Gefahr und sprang im letzten Moment zur Seite, bevor er sie treffen konnte. Mefirian half ihr aufzustehen und klopfte ihr fürsorglich das Laub und den Staub von ihrem roten Umhang. Nachdem er ihr die letzten Blätter aus den Haaren gepflückt und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben hatte, fing ich an zu lachen. Camilla hatte so dämlich ausgesehen, als sie in das Laub gehechtet war und geschrieen hatte wie am Spieß. Lorena sah mich ängstlich an und ich hörte abrupt auf zu lachen, als Mefirian Camilla leise etwas zuflüsterte, sie nickte und er dann wutentbrannt wie ein Stier auf mich zukam. Hastig schickte ich Lorena weg und setzte ein überraschtes Gesicht auf. „Was war das denn eben?“, fragte ich scheinheilig und sah Mefirian in die wütend funkelnden Augen. „Hör auf damit! Ich weiß dass du das warst! Bist du eigentlich ganz bei Trost?“, fauchte er mich an. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel, lächelte und wollte wissen: „Wie kommst du darauf dass ich das gewesne bin? Vielleicht war der Ast schon morsch und ist von allein abgebrochen.“ Plötzlich packte er mich am Arm und zerrte so ruckartig daran, dass ich den Schmerz bis in die Schulter spürte. „Aua! Du tust mir weh, hör auf!“, schrie ich und versuchte ihm meinen Arm zu entreißen, doch er packte noch fester zu und zischte: „Ich werde dir noch viel mehr wehtun, wenn du mich und Camilla nicht in Ruhe lässt! Es ist vorbei, deine Eifersucht ist unerträglich! Unsere Freundschaft ist entgültig vorbei Eyrin!“ Ich bekam große Rehaugen und starrte ihn einfach nur fassungslos an. „Aber... aber Mefirian ich bin doch nicht eifersüchtig. Ich will dich doch nur vor Unheil schützen“, erklärte ich atemlos. Seine Augen waren beinahe dunkelgrün vor Wut und der freundliche Ausdruck war einer Kälte gewichen, die sich in mein Herz zu schleichen schien und es zu einem Eisklotz erstarren ließ. „Natürlich bist du eifersüchtig! Erzähl keine Märchen! Ich meine es ernst, lasse mich und Camilla in Ruhe. Wenn ich dich noch einmal in unserer Nähe sehe, passiert etwas Schlimmes.“ Er ließ meinen Arm los und stieß mich zu Boden. Mit pochendem Herzen und keuchendem Atem, blieb ich benommen auf dem Boden sitzen, während Camilla Mefirian umarmte, seine Hand nahm und sie zusammen durch den Wald gingen. Lorena, die sich die ganze Zeit hinter einem Baum versteckt hatte, kam hervor und half mir aufzustehen. „Jetzt hast du es geschafft ihn noch wü-tender zu machen“, meine sie und sah den beiden kopfschüttelnd nach. „Hast du gehört was er zu mir gesagt hat?“, erwiderte ich mit zitternder Stimme und fing wieder an zu weinen. „Wir sollten es einfach akzep-tieren und sie in Ruhe lassen“, schlug sie vor. Ich sah zu Boden, Wind kam auf und wirbelte die Blätter um unsere Füße. „Ja, das sollten wir“, flüsterte ich leise. Wir sahen den beiden nach, bis sie um eine Wegbiegung verschwanden. Es schmerzte furchtbar meinen Freund verloren zu haben.

Also hielt ich mich an Lorenas Rat und ließ die beiden Liebenden in Ruhe. Es schmerzte sie zu sehen, doch damit musste ich fertig werden, Mefirian zu liebe. Lore-na und ich trafen uns alleine beim Feld oder bei ihr zu Hause und wagten es nicht Mefirians Zuhause aufzusuchen aus Angst er könne seine Drohung wahr machen. Ich versuchte mir einzureden, dass es mir nichts ausmachte und ich nicht eifersüchtig war, aber die Wahrheit war eben: Ich war eifersüchtig, wollte Mefirian nicht teilen. Mit Camilla schon gar nicht. Dieses Eingeständnis half mir leider überhaupt nicht weiter, aber wenigstens war mein Freund glücklich. Der Oktober ging zu ende und der November kam. Sobald es geschneit hatte würden wir auf die Burg des Königspaares ziehen. Die Burg, von der ich zweimal geträumt hatte. Ich vergaß mein Goldarmband, den Unfall in der alten Hütte, das Kleid das Lorena mitgenommen hatte, bis sie es eines Tages plötzlich trug. Lorena stolzierte in meinem Zimmer darin herum und ließ den Rock um ihre Beine wirbeln. Sie hatte sich ein lilafarbenes Band in die Haare geflochten und strahlte übers ganze Gesicht. Geflickt und gewaschen sah das Kleid fast wie neu aus, nur der altmodische Schnitt ließ erahnen, dass es von keiner Näherin aus dieser Zeit genäht worden war. Trotzdem stand es Lorena gut, fast als wäre es für sie gemacht worden. Aber ich hatte dennoch kein gutes Gefühl. „Ach was, du erinnerst dich an den Unfall mit der Treppe“, meinte sie nachdem ich ihr meine Sorge mitgeteilt hatte und machte eine wegwerfende Handbewegung, als wolle sie meine Bedenken beiseite wischen. Ich beschloss auszuhören ständig so paranoid zu sein und ruhig zu bleiben. Dann machte ich eine interessante Beobachtung. Ich war gerade auf dem Weg zu Lorena, um ihrer Mutter einen Kuchen vorbeizubringen den meine für sie gebacken hatte, als ich den Zipfel eines roten Umhangs sah. Camilla. Ich folgte instinktiv dem Kleiderzipfel um die Ecke eines Hauses und schob mich langsam an der Wand entlang. Da ich mich nicht weiter vorwagte, drehte ich meinen Kopf und linste um die Ecke. Camillas Umhang versperrte mir ein wenig die Sicht, doch ich sah, dass sie mit irgendetwas hantierte. Mit pochendem Herzen wartete ich. Camilla sah sich verstohlen um, dann steckte sie etwas unter ihren Um-hang und huschte eilig davon. Noch einige Sekunden verharrte ich, dann eilte ich zu der Stelle, wo sie zuvor noch gekniet hatte. Zuerst konnte ich nichts entdecken, doch dann sah ich eine Erhebung im Boden. Ich tastete darüber. Feuchte, frische Erde. Sie musste hier etwas vergraben haben. Hastig begann ich zu graben und hatte bald verschmutzte Hände. Doch ich hatte etwas gefunden. Eine kleine Glasphiole, die gerade einmal so groß war wie meine Finger. Sie war leer bis auf einige Tropfen. Verstohlen verbarg ich die Phiole in meinen Händen und konnte es kaum erwarten, damit zu Lorena zu gehen. Ich verstaute das Fläschchen in einem Täschchen an meinem Kleid, nahm den Kuchen, der in ein sauberes Tuch gewickelt war und eilte zu Lorena.

Neun



„Hallo Eyrin, was machst du denn hier?“, begrüßte mich meine Freundin erstaunt, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. „Lass mich erst einmal eintreten.“ Ich durchquerte den Flur und setzte mich dann in der Küche auf einen Stuhl. Den Kuchen stellte ich auf den Tisch und sprudelte mit meiner Erklärung hervor. Lorena setzte sich zu mir und hob nur missbilligend die Augenbrauen, als ich ihr erzählte, wie ich Camilla gefolgt war, unterbrach mich jedoch nicht. Nachdem ich fertig war, holte ich die Phiole aus meiner Tasche und erklärte aufgeregt: „Das habe ich gefunden, wo Camilla es vergraben hatte.“ „Erst schleichst du ihr nach, dann stiehlst du auch noch?“, warf sie mir vor. Mir blieb der Mund offen stehen. Ich hatte ein dunkles Geheimnis von Camilla aufgedeckt und meine beste Freundin hielt mir eine Moralpredigt! „Also, ich habe endlich einen Beweis dafür, was für eine falsche Schlange Camilla ist.“ „Das ist noch lange kein Beweis! Und außerdem war es nicht richtig“, hielt Lorena dagegen, wurde aber von mir unterbrochen. „Ja, ja, willst du mir etwa ein schlechtes Gewissen einreden? Als nächstes erwartest du noch von mir, das ich ihr die Phiole zurückgebe und sie auf Knien anflehe mir zu vergeben!“, rief ich verletzt und wütend. „Nein... aber wenn Mefirian davon erfährt...“ „Er wird es nicht erfahren, wie denn auch? Ich leihe mir die Phiole nur einmal kurz aus und bringen sie dann wieder zurück, als sei nichts gewesen.“ „Und wenn er es doch herausbekommt? Wenn Camilla bemerkt, dass du ihre Phiole genommen hast?“, ließ Lorena nicht locker. Ich seufzte und erwiderte: Das ist mein Problem, wenn er oder sie es herausfinden dann tun sie es eben. Na und? Sie können mich dann ja schlecht einsperren.“ Meine Freundin sah mich zweifelnd an, nickte dann aber und ließ das Thema sein. Sie wusste wie stur ich manchmal sein kann. Sie packte den Kuchen mit über-triebener Begeisterung aus und rief ihre Mutter, um davon zu kosten. Ich versteckte schnell die Phiole und setzte eine unschuldige Miene auf. Die Mutter meiner Freundin bedankte sich und sagte mir ich solle meiner Mutter schöne Grüße ausrichten. Die beiden verputzten beinahe den ganzen Kuchen, so gut schmeckte er ih-nen. Sie boten mir kein einziges Mal ein Stück an und fragten mich dann schließlich schulbewusst, als nur noch ein Stück übrig war. Dankend winkte ich ab und sah schmunzelnd zu, wie sie sich das letzte Stück teil-ten. Ich wollte sowieso keinen Kuchen, ich versuchte auf meine Figur zu achten. Außerdem war ich viel zu aufgeregt zum Essen und dachte die ganze Zeit an die geheimnisvolle Phiole die Camilla anscheinend gleich-zeitig loswerden und behalten wollte. Morgen würde ich es ihr schön unter die Nase reiben und dann würde Mefirian nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Wer liebte schon ein Mädchen, das Geheimnisse und an-scheinend etwas Schlimmes zu verbergen hatte? Dann würde er wieder mein Freund werden, doch es kam al-les ganze anders...

Am nächsten Morgen ignorierte ich Camilla und Mefi-rian die ganze Zeit und musste mich bemühen mir mei-nen Triumph nicht anmerken zu lassen. Ich hatte ges-tern die ganze Zeit herumgerätselt was da wohl in der Phiole sein könnte, hatte aber nicht herausfinden kön-nen was für eine Substanz es war. Nichts konnte mir meine gute Laune verderben, auch Lorenas Vorwurfs-volle und zugleich ängstliche Blicke nicht. Nach dem Unterricht stürmte ich als erste aus dem Unterrichts-raum und wartete hinter einem Gebüsch auf meinen Freund und die Schlange, wie ich Camilla bei mir nann-te. Als die beiden aus dem Schulgebäude kamen, sprang ich hinter dem Gebüsch hervor und sah mit Be-friedigung wie Camilla heftig erschrak und sich an Mefirian klammerte, der mich wütend anfauchte: „Wie kannst du uns nur so erschrecken? Bist du noch ganz richtig im Kopf?“ Ich ließ mich davon nicht beirren und zeigte auf Camilla, die mich wütend anfunkelte. „Sie ist eine hinterhältige Hexe. Sie hat Geheimnisse vor dir“ Triumphierend holte ich die Phiole hervor und wedelte damit lächelnd vorm Gesicht meiner Feindin herum. „Sie hat das hier hinter einem Haus vergraben und...“ „Warum spionierst du mir nach, du dumme Gans?“, rief Camilla und sah Mefirian flehend an. Mein früherer bester Freund streichelte ihr beruhigend über die Wan-ge, dann wandte er sich mir zu. „Eyrin, das geht wirklich zu weit. Du hörst jetzt auf meiner Liebsten hin-terher zu spionieren, hast du mich verstanden?“ „Aber sie hat...“, begann ich, doch er fuhr aufgebracht dazwischen: „Mich interessieren deine Lügen nicht“ du machst dich nur lächerlich. Sieh es doch ein, wir wer-den niemals zusammenkommen!“ „Was? Aber darum geht es doch gar nicht!“, rief ich den Tränen nahe. „Doch, es geht um deine alberne Eifersucht. Ich liebe dich nicht. Du bist ja krank!“, schleuderte er mir entge-gen. Ich wich wie von einer Peitsche getroffen vor ihm zurück und bereute es plötzlich ihn nicht doch in Ruhe gelassen zu haben, „Mefirian, warum hörst du mir nicht zu? Ich bin doch deine Freundin und Lorena auch!“ Jetzt brüllte Mefirian mich aus vollem Halse an: „Sei jetzt still! Du bist nicht mehr meine Freundin! Lasse uns in Ruhe, sonst tue ich etwas war mir später leid tun wird!“ Ich zuckte zusammen und schrie dann ebenfalls in voller Lautstärke: „Ich höre nicht auf! Mir ist egal war du sagst, ich werde nicht zulassen das diese blöde Schnepfe...“ Da verpasste er mir eine Ohrfeige, dass mir der Kopf summte. Der Schlag wurde als Echo von den Bäumen zurückgeworfen, die kahl und verletzlich aussahen. Lorena kam zu mir gelaufen und legte mir beruhigend einen Arm um die Schulter, während ich mir über die schmerzende Wange rieb und Mefirian fassungslos anstarrte. Wie konnte er es wagen mich zu schlagen? Na warte, dachte ich und wusste gleichzeitig, dass ich nichts tun würde um mich zu rächen. Verflucht, ich möchte Mefirian immer noch viel zu sehr. „Was ist bloß los mit dir? Ist das Liebe? Du bist ein Monster geworden Mefirian“, sagte Lorena leise und traurig während ich mir das Blut von der aufgeplatzten Unterlippe wischte. Mefirians Ge-sichtsausdruck wurde für einen Moment verwirrt als er sie neben mir sah, ihre sanfte traurige Stimme hörte, dann wurden seine Augen wieder kalt und hart und er verzog spöttisch den Mund. „Jetzt fängst du auch noch damit an! Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Er legte einen Arm um Camillas Schulter und sie schmiegte sich wie eine Katze an ihn. Mir wurde übel vor Wut und Enttäuschung. Plötzlich entriss sie mir die Phiole, die ich immer noch in der Hand hielt und lächelte gewinnend. Die beiden gingen an uns vorbei und Camilla stieß natürlich aus versehen gegen meine Hüfte, sodass ich beinahe gestürzt wäre und trällerte: „Oh das tut mir leid Eyrin!“ Sie betonte meinen Namen so verächtlich, dass ich mich beinahe auf sie gestürzt und ihr die Augen ausgekratzt hätte. Doch ich beherrschte mich und sah dem Liebenspaar traurig nach, als es langsam den ausgetretenen Pfad entlanglief der aus dem Wald führte. Lorena tätschelte tröstend meinen Rücken, aber sie sagte nicht: „Ich habe dich ja gewarnt.“ Das hätte ich nicht ertragen.

Die Sache mit der Phiole ließ mir einfach keine Ruhe und ich wusste nicht was ich tun sollte. Es wäre besser sich von Camilla und Mefirian fernzuhalten, aber ich hatte das Gefühl als führe diese Schnepfe etwas im Schilde und ich wollte meinen besten Freund vor Scha-den bewahren. Es war das Risiko wert zu versuchen das Geheimnis um meine Feindin zu lösen. In der Schule ging ich allen aus dem Weg, sogar Lorena die es schweigend hinnahm und mich in Ruhe ließ. Dieses Mal weihte ich sie nicht in mein Vorhaben ein, sie hätte nur wieder versucht mich zur Vernunft zu bringen und das hätte mich an meinem Vorhaben zweifeln lassen. Nach dem Zaubertränkeunterricht reichte ich Marena ein kleines Fläschchen in dem sich etwas von der Substanz befand die auch in der Phiole war und die ich heimlich abgefüllt hatte, bevor Camilla sie mir entrissen hatte, und sie betrachtete sie eingehend. Dann holte sie ein dickes Lehrbuch heraus und schlug es auf. Die Seiten waren staubig und vergilbt, aber man konnte die Schrift noch gut erkennen. Marena entfernte den Stöpsel, ließ die Flüssigkeit in dem Fläschchen kreisen, roch daran und probierte vorsichtig einen Tropfen davon. Sie blätterte in dem dicken Buch und sagte schließlich: „Ah, da haben wir es ja.“ Ihr Finger fuhr die Zeilen entlang und dann eine lange Liste herunter, die ich nicht erkennen konnte. Sie ließ ihre Augen über die Liste gleiten, dann sah sie zu mir auf und erklärte: „Die Substanz in der Flasche ist ein Liebestrank.“ Mir blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Ein Liebestrank! Natürlich warum war ich nicht früher darauf gekommen? Kein Wunder dass Mefirian sich wie ein Irrer benahm und sich in dieses Scheusal verliebt hatte! Sie musste aber eine hohe Dosis angewandt haben, denn mein Freund konnte sie genauso wenig leiden wie ich und außerdem besaß Mefirian einen starken Willen, wenn er wollte. Ich bedankte mich bei Marena, und verließ eilig den Raum, ohne auf die Frage zu achten die sie mir hinterher rief: „Wozu brauchst du einen Liebestrank?“ Ich lief einfach weiter, plötzlich mit wild klopfendem Herzen und einem Plan, wie ich unseren alten Freund wieder holen konnte.

Zehn



Es war Abend, Nebel schwebte dicht über dem Boden und umwaberte meine Beine wie geisterhafte Fesseln, die mich festhalten und mich von meinem Vorhaben abbringen wollten. Fröstelnd schlang ich meinen Um-hang enger um mich und beschleunigte meine Schritte. Ich hatte mir genau überlegt wie ich Mefirian aus den Klauen dieser Gifthexe befreien konnte. Es würde nicht einfach werden, aber mein Freund war wichtiger. Be-hutsam tastete ich nach der kleinen Glasflasche, die das Gegenmittel für den Liebestrank enthielt und das ich am Nachmittag gebraut hatte. Hoffentlich geht alles gut, dachte ich beunruhigt und sah in den dunklen Nachhimmel hinauf, als könne er mir versichern, dass alles gut gehen würde. Zu Camillas Haus war es nicht weit und als ich dort ankam, drückte ich mich gegen den kalten Stein, schlug die Kapuze meines schwarzen Umhangs hoch und verbarg mein braunes Haar darin. Dann schlich ich geduckt unter einem der Fenster vorbei und blieb schließlich zur rechten Seite der Haustür stehen. Neben der Tür befand sich ein Fenster, darüber war noch eines, das im Gegensatz zum unteren erhellt war. Ich war mir sicher dass Camilla und Mefirian dort oben waren und sich wahrscheinlich küssten. Wie sollte ich da bloß reingelangen ohne dass jemand mich bemerkte? Vor Konzentration biss ich mir auf die verletzte Unterlippe und musste einen Schmerzenslaut unterdrücken. Schließlich entschied ich mich dafür durch eines der Fenster zu klettern, am besten das unter dem er-leuchteten. Ich hoffte, dass dort nicht das Schlafzimmer von Camillas Eltern lag, sonst erwartete mich nichts Gutes... Entschlossen flog ich zum Fenster und sah mich um, ob auch wirklich niemand mich sah. Doch nirgends ging plötzlich das Licht an oder waren erstaunte Rufe zu hören. Leise brachte ich das Glas zum zerbrechen und schlüpfte durch die Öffnung. Ich plumpste ins innere des Raumes, bevor ich wusste wie mir geschah. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass das Fenster innen kein Sims hatte? Nachdem ich mich aufgerappelt hatte, sah ich mich um und erkannte eine niedrige Kommode, eine Kleidertruhe, einen Tisch und zwei Stühle. Kein Bett und keine Eltern. Erleichtert, doch immer noch angespannt schlich ich leise zur Tür und öffnete sie. Auf dem Flur war alles ruhig und an seinem Ende sah ich eine hölzerne Treppe die ins oberste Stockwerk führte und leichter Kerzenschein zeigte mir dass ich hier richtig war. Lautlos flatterte ich die Treppe hoch und fand mich in einem weitern Flur wieder an dessen Seiten sich mindestens fünf Türen befanden. Welchen war die richtige? Nur unter einer drang Licht hindurch und da wusste ich, dass es die richtige war. Inzwischen hämmerte mein Herz so schmerzhaft gegen meine Kehle, dass ich kaum Luft bekam und meine Hände waren feucht vor Schweiß. Ganz ruhig, es wird schon alles gut gehen, versuchte ich mir Mut zu machen, aber es half nicht viel. Gedämpfte Stimmen drangen zu mir durch und dann ein helles Lachen, dass sich wie eine eiserne Faust um mein Herz legte und es beinahe zerquetschte. Na warte, du Hexe, gleich wird Mefirian nicht mehr so verliebt in dich sein, dachte ich hämisch und musste mich beherrschen um die Tür nicht aufzureißen und hineinzustürmen. Wenn ich die Tür einfach öffnete würden die beiden mich bemerken, aber wie sollte ich denn sonst da reinkommen? Zögernd drehte ich den Türknauf und hielt vor Spannung die Luft an, doch anscheinend hatten die beiden es nicht bemerkt. Ermutigt öffnete ich die Tür, die offenbar geölt war und keinen Mucks von sich gab. Wie ein Gespenst ließ ich mich in den Schatten zwischen Tür und Wand gleiten, bevor die beiden es überhaupt merken konnten. Von meinem Versteck aus war es leicht die beiden unbemerkt zu beobachten. Sie küssten sich und wieder stieß Camilla dieses helle Lachen aus und mir wurde ganz übel. Jetzt oder nie, dachte ich, rührte mich jedoch nicht von der Stelle, sondern blieb wie festgewachsen stehen. Mefirian hatte die Hand gehoben und streichelte Camilla sanft die Wange und strich ihr dann eine rote Haarlocke hinters Ohr. Sie kicherte und brennende Eifersucht stieg in mir hoch. Wie eine Furie sprang ich aus meinem Versteck und riss dabei das Glasfläschchen unter meinem Umhang her-aus. Camilla und Mefirian fuhren auseinander und er sprang auf und stellte sich schützend vor sie. Mefirian starrte mich zuerst erschrocken, dann zornig an. Seine grünen Augen funkelten so drohend, dass ich beinahe einen Schritt zurückgewichen wäre. Doch ich blieb ste-hen und warf Camilla hinter Mefirians Schulter einen hasserfüllten Blick zu. Sie sah hochmütig zurück und leckte Mefirian am Hals. Ich sah rot und stürmte auf sie zu. Mefirian packte mich am Arm und hielt mich fest während ich versuchte an ihm vorbei zu kommen und Camilla den Hals umzudrehen und schrie: „lass mich! Ich werde diesem Biest die Augen auskratzen!“ Camilla sah mich nur verächtlich an, dann schnurrte sie an Me-firians Ohr: „Lass sie verschwinden, dann sind wir wie-der ungestört.“ Sie küsste ihn auf die Wange und er blickte sich kurz nach ihr um. Dabei lockerte sich sein Griff um meinen Arm und ich erkannte meine Chance. Mit einem Ruck befreite ich meinen Arm und öffnete das Glasfläschchen. Mefirian bemerkte dass ich ihm entwischt war und wollte mich noch einmal am Arm packen, doch ich wich nach hinten aus, packte statt-dessen seinen Arm und zog ihn zu mir heran. Hastig drückte ich ihm das Fläschchen an die Lippen, die er jedoch hartnäckig zusammenpresste. Ich tat das nicht gerne und noch heute habe ich ein schlechtes Gewis-sen deswegen, denn ich verpasste ihm eine schallende Ohrfeige und er öffnete den Mund leicht zu einem Pro-testlaut und das reichte mir. Blitzschnell schüttete ich das Gegenmittel in seinen Mund. Nichts geschah. Er starrte mich einfach nur ausdruckslos an. Vor Enttäu-schung hätte ich am liebsten geschrieen und ich glaube das habe ich auch getan. Ich verstummte als mich plötzlich etwas Hartes am Kopf traf. Weißes Licht explodierte vor meinen Augen und greller Schmerz schoss durch meinen Kopf. Ich fiel zu Boden und dachte: Verflucht, warum habe ich Camilla nicht im Auge behalten? Dann wurde alles schwarz.

Rasende Kopfschmerzen und das Gefühl drohender Gefahr ließen mich langsam wieder wach werden. Stöhnend schlug ich die Augen auf und bereute es so-fort wieder, als ein Stechen hinter meinen Augen ein-setzte. Es war dunkel, soviel war mir bewusst und dass es nach Fäulnis und Alter roch. Komisch, ich konnte mich an diesen Geruch gar nicht erinnern, obwohl er mir bekannt vorkam. Mein Verstand war noch zu um-nebelt um klar denken zu können und zu mehr als nur kurze Satze zu bilden war er nicht in der Lage. Trotz meiner Kopfschmerzen richtete ich mich auf und saß dann schließlich auf dem rauen Holzboden. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und durch-drang die Dunkelheit. Verdammt! Wieso endet jeder Besuch in diesem Haus mit Kopfschmerzen?, dachte ich während mir allmählich klar wurde, dass ich mich in der alten Hütte befand. Wie war ich hier bloß hinge-kommen? Meine Erinnerung kam zurück, wie ich in Camillas Haus eingedrungen war und sie angeschrieen hatte und dann... nichts. Ich konnte mich nicht erin-nern, nur an Mefirians Gesicht. Plötzlich fiel helles Mondlicht durch eines der Fenster und ich bemerkte zwei Dinge: Erstens: Ich befand mich in dem herunter-gekommenen Schlafzimmer, wo ich auch das Armband gefunden hatte. Zweitens, und diese Entdeckung ließ mich aufschreien, lag Mefirian neben mir, bewusstlos, ohne sich zu rühren. Was wurde hier eigentlich ge-spielt? Offenbar hatte Camilla mich hier herunterge-schafft, aber warum auch Mefirian? Ich hatte geglaubt sie liebte ihn... ja aber liebte er sie noch? „Mein Ge-genmittel muss gewirkt haben“, murmelte ich vor mich hin und fühlte Erleichterung, die aber zunichte gemacht wurde, als jemand von der Tür her sagte: „Ja leider. Ich konnte es nicht riskieren, dass er sich auch noch gegen mich stellt.“ Ich drehte mich um, wobei der Schmerz in meinem Kopf wieder zunahm und blickte die schmale Gestalt, die in der Türöffnung stand verächtlich und wie ich hoffte furchtlos an. Gemächlich trat Camilla zu mir hin, blieb fünf Schritte von mir entfernt stehen und betrachtete mich mit zur Seite gelegtem Kopf. „Du musstest dich ja unbedingt einmischen und herumschnüffeln. Das hast du jetzt davon“, sagte sie in bedauerndem Ton, den ich ihr aber nicht abnahm und ich fauchte: „Hätte ich etwa zusehen sollen wie du ihn dir unter den Nagel reißt und zu deinem Schoßhündchen machst?“ Sie erwiderte nichts darauf, funkelte mich jedoch wütend und herablassend an und schoss zurück: „Du bist nur eifersüchtig, weil ein Junge mir die Aufmerksamkeit schenkt die du dir immer gewünscht hast.“ Aua, damit hatte sie nicht ganz unrecht, trotzdem erwiderte ich: „Na ja, das mag ja vielleicht stimmen, aber du hast unrecht.“ „Wie bitte?“, fragte sie leicht verwirrt und gereizt. „Dieser Junge schenkte dir seine Aufmerksamkeit. Damit ist jetzt leider Schluss.“ Es tat gut zu sehen wie sie vor Wut zitterte und nach einer vernichtenden Antwort suchte. Dann schien Camilla es sich anders zu überlegen und plötzlich umspielte ein boshaftes Lächeln ihre Lippen, bei dem es mir Angst und bange wurde. Sie drehte sich um und verließ das Zimmer, bevor ich ihr noch eine Frage stellen oder sie zurückhalten konnte. Nicht dass ich ihre liebenswürdige Gesellschaft vermisste, nur war mir wohler wenn sie vor mir stand und ich sie im Auge behalten konnte. Während Camilla weg war kroch ich zu Mefirian und berührte zaghaft seine Wange. Seine Augenlider zuckten, aber er wachte nicht auf. Beunruhigt blieb ich neben ihm sitzen, mit schmerzendem Kopf, klopfendem Herzen und einem unguten Gefühl. Meine Nackenhaare sträubten sich als ich leise Schritte hörte und kurz darauf Kerzenschein den Raum erhellte. Blinzelnd sah ich Camilla an, die mit zwei brennenden roten Kerzen vor mir stehen blieb und auf mich hinablächelte. „Mefirian mag mich zwar nicht mehr lieben, aber dich wird er genauso wenig lieben und er wird auch keinem anderen Mädchen sein Herz schenken“, sagte meine Feindin und ihre blauen Augen reflektierten den flackernden Kerzenschein. „Wieso bist du dir so sicher?“, fragte ich mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. Sie seufzte als wäre ich ein dummes Kind dem man alles drei Mal erklären musste und antwortete genüsslich: „Weil ihr nicht mehr lange leben werdet.“ Zuerst glaubte ich, ich hätte mich verhört und ächzte: „Das ist nicht dein Ernst oder?“ „Lache ich vielleicht?“, spöttelte Camilla und schwenkte eine der brennenden Kerzen hin und her. Wie zufällig fiel ein Funke auf den alten Holzboden und brannte ein Loch hinein. Entsetzt starrte ich sie an und flüsterte: „Du willst uns bei lebendigem Leib verbren-nen!“ „Gut erkannt.“ Sie lächelte und schwenkte wieder eine der Kerzen. Nein, ich musste etwas unternehmen. Ich spannte alle meine Muskeln an und machte mich bereit um aufzuspringen und Camilla die Kerzen zu entreißen. Genau das hatte sie erwartet und sprang leichfüßig zurück als ich mich auf sie stürzte. Verzwei-felt und wütend setzte ich ihr nach und wollte die Ker-zen zum Erlöschen bringen, doch sie wich wie ein Fuchs vor mir aus. Ich sah ein, dass es so keinen Sinn hatte und versuchte es anders. Ich sammelte meine Magie, ließ sie kribbelnd über meine Haut jagen und versuchte die Kerzen mit meiner Magie zu löschen. Es ging nicht. Meinen Zauberkräften zum Trotz brannten die Dochte weiter und flackerten wie zum Hohn noch nicht einmal. „Was ist das?“, wollte ich wissen und schrie beinahe. „Schwarze Magie, was denn sonst?“, erklärte Camilla stolz. Schwarze Magie? Ich hatte ja immer geglaubt Camilla sei eine hinterhältige Hexe aber jetzt... Jetzt wurde es zur Gewissheit. „Aber was... wie...“, stammelte ich und brachte sie zum lachen. Doch es war kein fröh-liches Lachen, sondern kalt und emotionslos. „Meine Mutter wollte immer, dass ich wie sie eine Zofe der Kö-nigin werde und mein Vater erwartet von mir, dass ich eines Tages seine Pferdezucht übernehme, aber keines von beidem reizt oder fasziniert mich. Also ging ich heimlich bei einer Hexe in die Lehre und sie brachte mir alles über die Schwarze Kunst bei. Oh Eyrin, die schwarze Magie ist um so viel mächtiger und faszinie-render als die reine, weiße Magie die sie uns in der Schule beibringen.“ Sie klang ganz verträumt und mir wurde übel. Wie konnte eine Elfe sich der schwarzen Magie verschreiben? Als hätte sie meine Gedanken erraten sagte Camilla: „Ich wollte nie eine Elfe sein. Diese ganze Schönheit und weiße Magie und die gan-zen Regeln an die wir uns halten müssen...das ist ein-fach nicht meine Welt.“ Ich wandte angewidert den Blick von ihr ab und dachte: Jetzt ist sie erst recht mei-ne Feindin. Laut sagte ich: „Du bist eine Verräterin.“ „Vielleicht, aber was kümmert es dich? In ein paar Au-genblicken brauchst du dich nicht mehr damit herum-zuschlagen.“ „Wenn du die Elfen nicht ausstehen kannst, warum hast du dann Mefirian verzaubert?“ „Um dir eins auszuwischen und weil es mich gereizt hat meine dunklen Fähigkeiten auszuprobieren. Außerdem bin ich keine Elfe Eyrin. Das hättest du doch merken müssen“, entgegnete sie gelassen. „Ja, eine Elfe könnte niemals so boshaft und niederträchtig sein“, schnaubte ich. „Oh danke für das Kompliment, aber es wird Zeit dass ich gehe.“ Sie warf mir noch einen halb spöttischen, halb bedauerlichen Blick zu und schloss die Tür hinter sich. Dabei ließ sie die beiden Kerzen auf den Boden fallen. Ich schrie auf und sprang vor um sie aufzufangen, doch zu spät: Sie hatten bereits den Bo-den erreicht und entzündeten das morsche staubtro-ckene Holz das brannte wie Zunder. Ich versuchte mei-ne Magie das Feuer löschen zu lassen, doch es brannte einfach weiter. Die Flammen fraßen sich bis zu mir durch, machten dann plötzlich halt... und brannten neben meinen Füßen weiter. Verwirrt und ängstlich beobachtete ich, wie die Flammen langsam einen Kreis um mich und Mefirian zogen. Gleich würden wir eingekreist sein und in der Falle sitzen. Verzweifelt warf ich mich neben Mefirian auf die Knie nieder und rüttelte ihn unsanft an der Schulter, doch er wachte noch immer nicht auf. Panisch rannte ich zur Tür und rüttelte am Türgriff, aber die Tür rührte sich nicht. Langsam füllte sich der Raum mit beißendem Rauch der meine Augen tränen ließ und mich zum Husten reizte. „Oh verflucht! Mefirian, wach gefälligst auf, sonst werden wir hier sterben!“, rief ich so laut ich konnte über das Prasseln des Feuers hinweg. Noch einmal versuchte ich das Feuer mit Magie zu löschen, doch das führte nur dazu, dass ich wieder Kopfschmerzen bekam und meine Energie verbrauchte. Ich hustete, keuchte und ließ mich auf den Boden fallen. Jetzt war es auch egal, wir würden so oder so sterben... es gab keinen Ausweg, der Feuerkreis zog sich um uns, die Tür und das Fenster waren verschlos-sen und einen anderen Ausweg gab es nicht.

Elf



Ich weiß nicht, wie lange ich am Boden gekniet habe. Ich hörte weder das Prasseln des Feuers noch das Bersten des alten Holzes, wenn die Flammen es auffra-ßen. Plötzlich riss ein Geräusch mich aus meiner Star-re. Hastig wandte ich den Kopf und sah wie Mefirian sich neben mir regte. Mir kam es so vor, als würde mein Herz jeden Moment aufhören zu schlagen. Mein Freund stöhnte noch einmal und schlug dann die Augen auf. Verwirrt blinzelte er und der Feuerschein spiegelte sich in seinen Augen. Er richtete sich langsam auf, schüttel-te einmal den Kopf, verzog das Gesicht und wandte sich dann an mich. „Eyrin? Was ist denn hier los? Ich...“ er verstummte, weil er anscheinend erst jetzt bemerkte, dass wir vom Feuer eingeschlossen waren. „Was ist denn hier los? Eyrin, warum brennt es hier?“, fragte er und ich schrie ihn in Todesangst an: „Frag nicht so blöd! Wir müssen hier raus, ehe wir bei lebendigem Leib verbrennen!“ Er zuckte erschrocken vor mir zurück, dann nickte er, stand schwankend auf und half mir hoch. Ich schluchzte und drückte mich an ihn. Er strich mir beruhigend über den Rücken und ich schluchzte: „Endlich bist du wieder normal.“ Er erwiderte nichts darauf, sondern ließ mich wieder los und sah sich um. Flammen, Flammen, nichts als Flammen. Inzwischen konnte man fast nichts mehr erkennen vor lauter Rauch. Das Feuer hatte sich bis zum Bett gefressen, verschlang den Schminktisch, die Vorhänge und züngelte über den Boden und die Bruchstücke die auf ihm lagen. „Das Fenster und die Tür sind zu“, erklärte ich und wischte mir die Tränen von den Wangen. Allmählich wurde es hier heiß und ich hustete und krümmte mich. Der Rauch machte es kaum noch möglich zu atmen. Mefirian überlegte angestrengt, während wir beide husteten und das Feuer immer näher kam. Er packte mich am Arm und sagte: „Wir müssen nach oben fliegen, da kann das Feuer uns nichts anhaben.“ Ich nickte und wir erhoben uns mit ein paar schnellen Flügelschlägen in die Luft. Hier war die Luft besser und es war nicht mehr so heiß, aber das bedeutete nicht, dass wir in Sicherheit waren. Allmäh-lich wurde uns vom Rauch ganz schwummrig. Mefirian flog zum Fenster und versuchte es zu öffnen, doch es schien als seien die Fensterläden festgeklebt und egal wie fest er zog, sie rührten sich nicht, obwohl sie doch so alt und morsch waren. Mefirian fluchte und riss sich die Fingerkuppen blutig. Ich schob ihn sanft beiseite und legte meine Hände auf das Holz. Ich sah es kon-zentriert an und befahl meiner Magie es zum Bersten zu bringen. Egal wie sehr ich mich auch anstrengte, nichts geschah. Es war als stieße meine Magie gegen eine Mauer. Natürlich war das Camilla gewesen. Sie hatte die Tür wahrscheinlich auch mit einem schwarzen Zauber belegt. Doch ich machte verbissen weiter, bis ich beinahe zu Boden gestürzt wäre, hätte Mefirian mich nicht am Arm gepackt. „Lass es sein. Du verschwendest nur deine Kraft“, sagte er und ich nickte müde. Er überlegte weiter, dann sah er plötzlich zur Decke hoch und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Was hast du vor?“, fragte ich ängstlich und folgte sei-nem Blick. „Oh nein, das meinst du doch nicht ernst, oder?“, keuchte ich und starrte ihn ungläubig an. Er grinste noch immer, nahm meinen Arm und zog mich mit sich, bis wir beinahe mit den Köpfen gegen die Holzdecke stießen. Er ließ meinen Arm los und flog ein Stück nach unten. Dann sah er konzentriert auf die Decke. Ich ahnte nichts gutes, flog hastig nach unten und wollte ihn davon abhalten, doch er war schon losgesaust und krachte mit voller Wucht durch die dünne, kaputte, von Würmern zerfressene Decke. Ein riesengroßes Loch blieb zurück und Holzsplitter und Staub rieselten auf mich hinab. Kopfschüttelnd flog ich durch das Loch und entdeckte Mefirian ein paar Schritte von dem Loch entfernt am Boden sitzend und mit schmerzverzerrtem Gesicht seine rechte Schulter umklammernd. Ich kniete mich neben ihn und schimpfte laut: „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht du Narr? Siehst du jetzt was du davon hast?“ „Irgendwie mussten wir doch aus diesem Zimmer rauskommen“, erwiderte er schwach und mich überkam Angst, dass er bewusstlos werden könnte. Immer noch vor mich hin schimpfend untersuchte ich ihn auf weitere Verletzungen. Sein Kopf tat ihm natürlich weh, genauso wie meiner und seine Flügel waren an manchen Stellen geknickt. Ich wusste wie weh das tat. „Komm, bevor der Rauch nach oben steigt“, forderte ich ihn leise auf und half ihm aufzustehen. Er nickte und wir schleppten uns über den Dachboden zu einer Klappe im Dach. Ich öffnete die Klappe und eine rechteckige Öffnung offenbarte uns einen Ausschnitt des Sternenhimmels und des Mondes. Frische, kühle Luft schlug uns entgegen. Er-schöpft, hustend und mit schmerzenden Köpfen kämpften wir uns nach draußen und landeten hundert Schritt von der brennenden Hütte entfernt auf dem weichen Waldboden. Wir hatten es geschafft! „Wie ist das eigentlich passiert?“, wollte Mefirian wissen. Ich holte tief Luft und erzählte ihm was seit unserem Streit alles geschehen war. Ich verschwieg ihm nicht, dass er mich geschlagen und angeschrieen hatte und meinen Traum, in dem ich Camilla mit dem roten Umhang gesehen hatte, auch nicht. Er sah mich ungläubig an und stammelte: „Aber Eyrin... so etwas würde ich doch nie tun!“ „Dann frag doch Lorena. Sie hat es gesehen“, fauchte ich und wusste, dass ich mich ungerecht verhielt. Mefirian war eben erst aus seiner Ohnmacht erwacht, er hatte Schmerzen und ich machte ihm auch noch Vorwürfe. „Also ist Camilla eine Hexe“, sagte er nach einer Weile. Ich nickte und starrte in den Himmel, der sich langsam golden zu färben begann. Bald würde die Sonne aufgehen. Plötzlich merkte ich, wie müde ich war. „Lass uns nicht mehr darüber reden, ich bin furchtbar müde. Ich lief zu einem knorrigen Baum, setzte mich, den Rücken an die raue Rinde gelehnt und klopfte einladend auf den Platz neben mir. Mefirian kam zu mir und ich hob einladend eine Seite meines Umhangs und er griff den Zipfel und deckte sich zu. Ich lehnte müde den Kopf an seine unverletzte Schulter und schloss die Augen.
„Eyrin?“
„Hm?“
„Sollten wir nicht versuchen das Feuer zu löschen?“
„Warum denn?“
„Vielleicht kommt es bis zu uns durch“, erklärte er und betrachtete die brennende Hütte. Das Dach war einge-stürzt und das Haus sank langsam in sich zusammen. „Ich finde nicht. Es ist besser, wenn diese elende Hütte verbrennt. Zu viel Schreckliches ist in ihr passiert. Das Feuer wird schon irgendwann aufhören zu brennen. Es ist ein magisches Feuer und ewig kann Camilla es nicht am Leben erhalten“, gähnte ich und schlief dann ein. Die letzten Geräusche, die mich in den Schlaf begleite-ten, waren das Prasseln des Feuers und Mefirians lei-ser Atem.

Zwölf



Es war eiskalt und nass. Fröstelnd schlug ich die Augen auf und bemerkte verwundert, dass ich unter einer knorrigen Fichte lag, nur in meinen Umhang gehüllt und Mefirian an meiner Seite. Dann kam die Erinnerung an letzte Nacht zurück und mein Blick schoss unwillkürlich zu der Hütte, oder zu dem was von ihr übrig geblieben war. Das frühere Gebäude glich einem riesigen schwarzen Kohlehaufen, der wie ein spitzer schiefer Turm in den goldenen Himmel ragte. Das Feuer hatte sich noch fünf Schritte bis vor die ehemalige Tür gefressen, dann war es offensichtlich erloschen. Es hatte uns zum Glück nicht erreicht. Der Rücken tat mir weh von der ungemütlichen Haltung und der rauen Rinde. Mein Umhang war feucht und klamm vom Morgentau. Mein Atem stieg in kleinen weißen Wölkchen in die Luft. Wir mussten schleunigst ins Warme. Ich rüttelte Mefirian wach und schüttelte meinen Umhang aus. Er sah immer noch müde aus, aber vielleicht lag das ja auch an den Schmerzen, die er bestimmt litt. Ich wünschte ich könnte ihm helfen. „Lass uns schleunigst nach Hause gehen, bevor wir hier noch erfrieren.“ Ich wollte schon loslaufen, dann drehte ich mich um und erkundigte mich: „Kannst du laufen, oder sollen wir lieber fliegen?“ Mefirian zog ein Gesicht als grenzte beides an die Vollbringung eines Weltwunders und zuckte dann behutsam mit den Schultern. „Laufen ist glaube ich besser.“ Ich nickte und hakte mich bei ihm unter um ihn zu stützen. Mühsam kämpften wir uns durch das Unterholz und Brombeersträucher und strauchelten schließlich auf die Straße hinaus, die hinauf in unser Dorf führte. Vor Erleichterung wurden mir die Knie weich, doch ich musste an meinen Freund denken und schleppte mich mit ihm den Hügel hinauf. Oben dachte ich, mir würden jeden Moment die Beine schwach werden, doch ich biss die Zähne zusammen und schob Mefirian vor mir her auf seine Haustür zu, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ich übernahm das Klopfen. Adren sah aus als würde ihn gleich der Schlag treffen als er uns ansah und starrte fassungslos auf unsere jämmerlichen Gestalten. Plötzlich schwankte Mefirian und ich musste ihn fest am Arm packen, damit er nicht umfiel. „Um Himmels willen! Was ist denn geschehen Kinder?“ „Später“, knurrte ich und brachte meinen Freund erst einmal ins Haus und bugsierte ihn auf einen Stuhl in die Küche, wo schon ein warmes Feuer prasselte. „Meine Güte, wo seid ihr nur gewesen?“, rief plötzlich meine Mutter und ich bemerkte sie erst jetzt und schrak zusammen, dann warf ich mich in ihre Arme und schluchzte: „Es war so schrecklich! Einfach grauenvoll! Aber zuerst müssen wir uns um Mefirian kümmern, er ist verletzt...“ Ich drehte mich um und wollte zu meinem Freund, doch meine Knie gaben nach und Mutter konnte mich gerade noch auffangen, bevor ich auf die Knie sank. „Nein, zuerst einmal ruhst du dich aus. Mefirians Vater kümmert sich schon um ihn“, sagte sie bestimmt und drückte mich auf einen Stuhl. Mit leiser Stimme und hängenden Schultern erzählte ich ihr von Camillas Mordanschlag und auch von der Sache mit dem Liebestrank. Zuerst wollte sie es nicht glauben, dann schimpfte sie: „Warum habt ihr uns das nicht früher erzählt? Wir hätten euch doch geholfen!“ „Wir dachten wir könnten das alleine regeln...“, murmelte ich schwach. „Rena, lassen Sie es gut sein. Eyrin hat nur versucht mich zu beschützen“, beschwichtigte Mefirian meine Mutter, während sein Vater sich um seine Schulter sorgte. Mutter schwieg eine Weile dann sagte sie: „Gut, ich werde dich nicht bestrafen Eyrin, du hast deine Lektion bekommen. Das Wichtigste ist, dass ihr beiden hier seid.“ „So, fertig“, meinte Adren und zog den Verband um Mefirians Schulter fest. „Danke Vater“, murmelte er, doch dieser winkte ab und reichte seinem Sohn einen Becher mit heißem Tee, den ihm Mefirians kleine Schwester Persine gereicht hatte. Dann brachte sie mir auch einen und ich lächelte die Kleine dankbar an. Vorsichtig trank ich einen Schluck und fragte meine Mutter: „Warum bist du hierher gekommen? Nicht, dass ich dich loswerden will...“ Sie unterbrach mich und er-klärte: „Ich machte mir eben Sorgen um dich, als ich aufwachte und feststellte, dass du nicht da warst und Arlene auch nichts wusste. Da bin ich zu Adren gegan-gen, weil ich dachte du wärst bei ihm. Und da du es nicht warst, beschloss ich die Nacht hier zu verbringen. Und da Mefirian ebenfalls nicht hier war, glaubte ich du seiest mit ihm gegangen.“ Ich nickte und trank weiter meinen Tee. „Ihr solltet jetzt erst einmal schlafen“, meinte Adren dann und führte uns durch den Flur zu zwei Zimmern. Mefirian ging in sein eigenes, ich ins Gästezimmer. Meine Wange hatte kaum das flauschige, nach Seife duftende Kissen berührt, da war ich auch schon eingeschlafen.

Mehrere Wochen vergingen und der Winter war da. Als ich aufwachte lag eine dicke, weiche Schneedecke über Mydia. Das bedeutete Schneeballschlachten und im Schnee herum zu tollen, aber auch, dass wir zur Elfen-burg Mydia ziehen würden. Ich freute mich darauf die Burg endlich zu sehen und das Königspaar kennen zu lernen. Keines der Kinder aus dem Dorf erinnerte sich an die vorherigen Reisen zu der Burg. Sie waren entwe-der zu klein gewesen oder die Erwachsenen hatten ihre Erinnerungen daran ausgelöscht, damit sie sich nicht verplapperten und einem Feind wichtige Informationen verrieten, die den Untergang der Burg bedeuten wür-den. Meine Eltern und auch die Eltern von Mefirian und Lorena hatten dasselbe getan, bis jetzt. Wir hatten beschlossen, das nicht mehr mit uns machen zu lassen. Schließlich waren wir alt genug um Geheimnisse für uns zu behalten. Das sagte ich meiner Mutter dann auch und nachdem sie sich mit Adren und Fenja beraten hatte, stimmte sie schließlich zu. Arlenes Bitten gab sie jedoch nicht nach. „Du bist noch zu jung“, hatte sie erklärt und damit war die Sache gegessen. Arlene schmollte einige Tage, dann freute sie sich aber genauso wie ich auf die Reise. Sie würde nicht allzu lange dauern, ungefähr eine Woche, wenn es nicht noch mehr schneite und die Sonne schien. Mutter und ich packten alles nötige am Abend vor der Reise zusammen und währenddessen überschüttete sie mich mit Ermahnungen und Verhaltensregeln, dass mir der Kopf schwirrte. „Mache einen Knicks vor dem Königspaar.“ „Rede nie, ohne dass du aufgefordert wirst.“ „Sei immer höflich, hilfsbereit und gehorsam.“ „Ja Mutter“ „Natürlich Mutter“, sagte ich dann nur um sie zum Schweigen zu bringen und weil ich ja nicht an Gedächtnisschwund litt. Noch tausend solcher Sätze folgten, dann schickte sie mich schlafen. Doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen, ich war einfach zu aufgeregt. Im Haus war es inzwischen schon sehr kalt und ohne Vater, der durchs Land reiste, konnten wir kein Holz holen. Die anderen Dorfbewohner hatten zu viel mit sich selbst zu tun, da wollte Mutter sie nicht auch noch um Holz bitten. Außerdem durften wir nicht allzu viele Bäume fällen, nur das Königspaar durfte das. Über meinen Gedanken schlief ich irgendwann ein und träumte von der Burg.

Doch seltsamerweise war ich nicht tot. Ich riss die Au-gen auf und sah wieder nichts als Dunkelheit. Das Ding oder was auch immer das war zog mich weiter nach unten. Ich zappelte, schlug um mich, und strampelte mit den Beinen, doch das führte nur dazu, dass mir noch das letzte bisschen Luft aus meiner Lunge wich und das Ding noch fester zupackte. Plötzlich sah, hörte und spürte ich nichts mehr, als wäre ich bewusstlos, aber meine Augen waren offen und der Schmerz in meiner Lunge war noch da. Überrascht merkte ich, dass das Gezerre an meinem Bein aufgehört hatte. Hastig riss ich mich los und schwamm so schnell ich konnte an die Wasseroberfläche. Dieses Mal klappte es und ich tauchte nach Luft ringend aus dem Burggra-ben. Plötzlich hatte es angefangen zu schneien. Müh-sam konnte ich mich auf die heruntergelassene Zug-brücke hochziehen und das Burgtor über mir betrach-ten. Es war hoch und breit und war mit eingemeißelten Figuren und Schutzformeln verziert. Ich blickte weiter an der dicken Mauer entlang und entdeckte hohe, spit-ze Türme mit runden großen Glasfenstern. An beiden Spitzen wehte die Fahne des Elfenreiches: Eine schneeweiße Eule die über einer großen Eiche fliegt auf grünem Grund. Zögernd und mich umblickend trat ich durch das Tor in den Burghof. Kleine mit Ziegeln gedeckte Häuser drängten sich aneinander. Der Burghof lag wie ausgestorben da. Links führte eine steinerne Treppe nach oben, wand sich wie eine Schlange um einen der Türme. Zu meiner rechten erstreckte sich ein großer Stall, doch ich hörte keine Pferde wiehern oder mit den Hufen im Stroh scharren. Ein ungutes Gefühl überkam mich und wider besseren Wissens stieg ich die gewundene Treppe hoch. Je höher ich kam, desto dünner wurde die Luft und desto steiler wurde die Treppe. Der Turm schien in den Himmel hineinzuragen und ich wollte nicht mehr weiter hinauf. Doch meine Beine gehorchten mir nicht mehr und bewegten sich ohne mein Zutun weiter vorwärts. Irgendwann kam ich an der Turmspitze an und überblickte eine weite, scheinbar niemals endende grüne Fläche. Am Horizont versank die Sonne mit orangenem Schein. Die ganze Zeit hatte Dunkelheit geherrscht und auf einmal ging die Sonne unter. Ich fand diesen Anblick wunderschön und sah plötzlich eine Bewegung am Horizont. Ich strengte meine Augen an um zu sehen was da war. Dann erkannte ich, dass eine weiße Eule auf mich zugeflogen kam, die mein goldenes Armbändchen in den Klauen hielt. Ich erwartete sie mit klopfendem Herzen. Dann erreichte sie mich und legte mir das Kettchen in die Hände. Sie stieß ein Krächzen aus und flog über mir, während sich die Dunkelheit über uns senkte und der Schnee lautlos fiel.

Dreizehn



Als ich die Augen öffnete schien helles Sonnenlicht in mein Zimmer und Kälte wehte in den Raum. Zitternd kämpfte ich mich aus den Decken und zog mich an, noch ganz umnebelt von meinem Traum. Warum träumte ich ständig von dieser Burg? Ich glaubte Mefirian irgendwie nicht, dass das Burg Mydia sein sollte. Schließlich hatte ich sie noch nie gesehen und wenn doch, hatte ich keinerlei Erinnerung daran. Arlene war schon wach und frühstückte mit unserer Mutter, die unser Gepäck, vier Beutel, in eine Ecke neben der Tür gelegt hatte. Mein Herz klopfte vor Aufregung, während ich mein Brot aß und über meinen Traum nachdachte. „Wir brechen gleich auf“, riss Mamas Stimme mich aus meinen Gedanken. Ich nickte, schluckte den letzten Bissen Brot hinunter und zog mir warme Strümpfe, ein gefüttertes Kleid und einen Schal an. Mutter hatte uns noch dicke Handschuhe aus Fell und Winterstiefel aus Leder gekauft. Wir verpackten uns warm und nahmen unsere Bündel. Ich warf noch einen letzten Blick auf unser Zuhause, das wir erst in ein paar Monaten wieder sehen würden. Im Frühling würden wir hierher zurück-kehren. „Papa ist immer noch nicht zurück, nicht wahr?“, fragte ich und sah wie traurig Mama und Arlene waren. „Nein, er reist immer noch durchs Land und bedauert es ganz schrecklich nicht mit uns ziehen zu können“, antwortete Mama und seufzte. Sie zog hinter uns die Tür zu und wir gingen zum Dorfplatz, wo sich alle Dorfbewohner vor der Reise versammelten. Unser Zug wurde von der Dorfältesten geführt, die schon viele solcher Reisen erlebt hatte und am erfahrensten war. Obwohl sie mehr als hundert Jahre zählte, war sie nicht gebrechlich, lief mit geradem Rücken und starken Beinen umher und sorgte dafür, dass im Dorf alles in Ordnung war. Die Dorfbewohner respektierten sie und ihre Regeln. Es war ein kalter, grauer Tag, aber wenigstens schneite es nicht. „Ich begrüße euch alle herzlich zu unserer Wanderung zur Elfenburg Mydia. Zuerst durchqueren wir das Tal, dann überqueren wir die Brücke über dem Fluss Kirené“, grüßte Mirabella uns und fuhr dann fort: „Am Abend errichten wir unser Lager und legen uns dann zur Ruhe und brechen im Morgengrauen nach Osten auf. Ich erwarte von euch allen, dass ihr euch gegenseitig respektiert, euch helft, alle am Aufbau des Lagers mithelft, außer den Kindern natürlich, und euch nicht bestehlt. Streiten ist euch auch untersagt. Jeder trägt nur sein eigenes Gepäck und ist dafür verantwortlich. Wir lassen niemanden zurück und pflegen die Kranken und Verletzten. Und wir teilen unsere Vorräte, die Kleidung und die Decken, wenn es nötig sein sollte. Habt ihr verstanden?“ Alle nickten, sogar die Kinder. Mirabella lächelte und endete. „Wir nehmen aufeinander Rücksicht. Das heißt auf die Nacht- und Wasserelfen und auf die Kinder und Alten. Wer fliegen möchte darf fliegen, aber die meisten von uns werden laufen. Pferde sind untersagt, sie behindern uns nur und ihre Pflege würde uns nur aufhalten.“ Dann ließ sie ihren Blick über die Menge schweifen und nickte dann. „Lasst uns aufbrechen!“ Wild durcheinanderplappernd zog das Dorf los und lief den Hügel hinab, wir folgten dem Kiesweg und wandten uns nach Norden, wo wir am Abend auf den Fluss Kirené stoßen würden. Dort würden wir die erste Rast einlegen. Alle waren frisch und munter und aufgeregt. Ich lief neben meiner Familie und meinen Freunden her. Fliegen wollte ich noch nicht. Unsere Schritte klangen gedämpft auf dem weichen, flauschigen Schnee und er warf das spärliche Sonnenlicht zurück und funkelte in der Sonne. Viele Atemwolken stiegen in den Himmel und verschwanden dort. Munteres Geplapper erfüllte die kalte Winterluft und die vordere Reihe stimmte ein fröhliches Lied an. Ich hatte keine Lust zu singen und lief neben Mutter, meiner Schwester und meinen Freunden her. Unsere Eltern unterhielten sich und ich überlegte ob ich fliegen sollte. Nein, ich sollte es mir lieber für später aufheben. „Na, bist du auch so aufgeregt, dass du endlich das Königspaar und die Burg sehen darfst und dich daran erinnern kannst?“, wollte Lorena vorn mir wissen und strich sich das blonde Haar hinter die Ohren. „Ja, ich bin ziemlich aufgeregt“, antwortete ich wahrheitsgemäß und versuchte mein jetzt schon klopfendes Herz zu be-ruhigen. „Du hast die Burg doch schon in deinen Träu-men gesehen“, meinte Mefirian und ich sah ihn er-staunt an, um festzustellen ob er mich aufziehen wollte. Aber sein Gesicht sah ernst aus. „Ach ja, die Träume hatte ich schon ganz vergessen. Aber ich glaube nicht daran, dass ich von Mydia geträumt habe. Es könnte jede andere Burg gewesen sein.“ „Ach ja? Welche zum Beispiel?“, entgegnete Lorena spöttisch. Mir fiel darauf keine Erwiderung ein, deshalb hielt ich den Mund und sah stur geradeaus. Wir überquerten den Fluss Kirené und kamen an einem kleinen Dorf vorbei, das Mirene hieß. Rauch kräuselte sich aus Schornsteinen und das wunderte uns, denn wir hatten kein Holz gehabt. Offenbar mussten sich die Bewohner dieses Dorfes keine Sorgen wegen der Kälte zu machen. Schnell hatte ich genug von der Reise und wünschte mir nur in meinem wärmeren Bett zu schlafen, aber ich musste wie jedes Jahr durchhalten. Ich schalt mich: Du wolltest es so! Also hör auf zu meckern! Am Abend war die fröhliche Laune verflogen und jeder stapfte still und missmutig voran. Nur einzelne Gespräche waren zu hören. Einige flogen auch, weil ihnen das Laufen zu anstrengend wurde. Endlich hielten wir an und schlugen unsere Zelte auf. Alle halfen beim Aufbau mit, außer den Alten und den Kindern. Dann versammelten sich alle um ein großes Feuer, aßen, redeten, schnitzten, stickten oder nähten. Ich verkroch mich mit Mefirian und Lorena in ein Zelt und wir versuchten uns auszumalen was uns auf der Elfenburg erwarten würde. Wir kuschelten uns aneinander, um uns zu wärmen und lauschten dem Prasseln des Feuers und den leisen Stimmen. Langsam wurden wir müde. Lorena gähnte und sagte schläfrig: „Ich hoffe morgen schneit es nicht.“ „Hmm“, machten Mefirian und ich gleichzeitig und musste lachen. Lorena hörte uns nicht, denn sie war schon eingeschlafen. Ich und mein Freund mussten noch mehr lachen.

Am Morgen war es eisig, selbst in dem Zelt unter den dicken Decken und in die warmen Kleider gehüllt. Zäh-neklappernd und bibbernd schlüpften ich, Lorena und Mefirian aus dem Zelt und gingen zu den Erwachsenen, die bereits mehrere Kochfeuer entfacht hatten. Die Frauen kochten das Frühstück und Tee, die Männer holten Brennholz und begannen langsam die Zelte abzubauen. Wir bekamen gebratene Äpfel mit Zimt und einen Teller Suppe. Hungrig machten wir uns darüber her und halten dann das Lager abzubauen. Der Himmel war unverändert grau und es war kalt. Nachdem alle gesättigt und warm verpackt waren, brachen wir wieder auf. Mirabella hatte und unseren weiteren Weg erklärt und führte unseren Zug wieder an. Nach kurzer Zeit taten mir vom eisigen Wind die Ohren weh und meine Nase war taub. Wenigstens hatten wir die Handschuhe. Die schwache Sonne ließ den blendend weißen Schnee wie Diamanten funkeln. Kahle Bäume passierend, überquerten wir eine Hügelkette, die wie weiße Zuckerzipfel aussah. Es war mühsam, immer wieder rutschten wir aus und versanken im Schnee. Es ging auch schleppend voran, weil wir den jüngeren und älteren hinaufhelfen mussten, und denen die nicht fliegen konnten. Schweigend liefen wir weiter und machten dann eine Rast an einem gefrorenen See. Alle waren froh über ein warmes Feuer und eine Mahlzeit. Nach dem Essen er-hob Mirabella sich, klatschte in die Hände und alle wurden augenblicklich still. „Wenn wir den See umrun-den brauchen wir dazu einen ganzen Tag. Das heißt wir würden einen Tag später ankommen, aber unsere Sicherheit ist wichtiger.“ „Aber der See ist doch gefroren? Was soll uns da schon passieren?“, ertönte die Stimme einer Frau. Die Älteste schüttelte den Kopf und erwiderte: „Das geht nicht. Wir könnten einbrechen oder ausgleiten und stürzen. Und was tun wir mit den Alten?“ „Aber so würde es schneller gehen!“, protestierte die Frau und viele riefen zustimmend. Unsere Anführerin seufzte ergeben und beobachtete wachsam wie alle nach der Rast zum See gingen und dort stehen blieben. Einige betrachteten misstrauisch die gefrorene Oberfläche. Andere hatten weniger Hemmungen oder Verstand. Sie liefen auf das Eis und schlitterten darauf ungeschickt zum anderen Ufer. Manche stürzten, rappelten sich jedoch lachend wieder auf. Die Älteren ließen sich von den anderen rüberführen, machen flogen, wenn sie konnten oder nicht zu müde dazu waren. Meine Mutter traute dem Eis nicht so recht und flog lieber mit meiner Schwester und Mefirians Familie und Lorenas Mutter über den See. Ich beschloss es auch so zu machen und mit Lorena und Mefirian an meiner Seite ging ich zum See und sah eine Weile auf die spiegelglatte, beinahe weiße Eisschicht. Ich sah mein eigenes Spiegelbild. Dann erhob ich mich in die Luft, gefolgt von Mefirian. „Moment mal, wo ist Lorena?“, fragte er mich und wir sahen nach unten. Lorena hatte offenbar entschieden, dass das Eis stabil genug war um sie zu tragen und dass sie sich den Spaß nicht entgehen lassen wollte. Alle waren schon am anderen Seeufer angekommen, nur sie schlitterte noch über das Eis, schneller und schneller. Plötzlich hörte ich ein lautes Knacken und im nächsten Moment brach das Eis unter Lorenas Füßen ein. Gelähmt vor Schreck sahen wir, wie unsere Freundin im eiskalten Wasser versank. Wir hörten wie ihre Mutter schrie und weinte und völlig verzweifelt ver-suchte sich aus dem Griff meiner Mutter und Adren zu befreien. „Mein Kind! Mein armes Kind!“, rief sie immer wieder und sah aus schreckgeweiteten Augen auf Lore-na, die verzweifelt versuchte sich auf dem Loch zu zie-hen. Aber sie wurde immer schwächer und konnte sich schließlich nur noch mit letzter Kraft an dem Eis fest-krallen. Ich wollte zu ihr hinunterstürzen, doch Mefirian hielt mich am Arm gepackt. „Nicht so hastig. Wir müs-sen erst einmal überlegen“, beruhigte er mich. Überle-gen? Jetzt?, hätte ich ihm am liebsten an den Kopf ge-schmissen, doch ich sah ein, das Panik und Hysterie mich auch nicht weiterbrachten. „Ich habe eine Idee“, meinte er nach kurzem Überlegen und flüsterte mir zu: „Flieg ganz dicht an Lorena heran und versuche sie aus dem Wasser zu ziehen.“ Nachdem ich noch eine Hand-breit über Lorena schwebte, ergriff ich ihre beiden Arme und zog mit aller Kraft daran. Sie rührte sich keinen Millimeter, sah mich nur mit ihren großen, schreckge-weiteten, braunen Augen an. Ich biss mir auf die Lippe, versuchte es noch einmal und sah dann zu Mefirian hoch, nachdem es wieder nicht geklappt hatte. Er ver-stand, nickte und kam zu mir herangeflogen. Aber er half mir nicht unsere Freundin aus dem Loch zu ziehen, er richtete seine Handflächen gegen das Loch und starrte konzentriert darauf. Aha, ich erkannte seine Absicht und hielt mich bereit. Das Wasser begann auf einmal zu brodeln, als würde es kochen und das Eis schmolz rings um Lorena. Wenigstens wurde das Loch so vergrößert und das Wasser war nicht mehr eisig kalt. „Mach schnell! Bevor das Wasser zu heiß wird!“, keuch-te Mefirian und ich zog mit so einem festen Ruck an Lorenas Armen, dass sie überrascht aufschrie. Mit ei-nem Ruck zog ich sie aus dem Loch und landete kra-chend auf dem Rücken. Bevor das Eis unter mir auch noch brechen konnte, erhob ich mich in die Luft und schleppte mit Mefirians Hilfe, die zitternde und weinen-de Lorena ans sichere Ufer. Dort wurden wir von unse-ren Familien und den Dorfbewohnern empfangen. Ein paar hatten bereits ein Feuer entfacht und Decken und heißen Tee gebracht. Während die Erwachsenen sie versorgten ließen Mefirian und ich uns müde zu Boden plumpsen. Mein Atem ging keuchend, meine Arme und Hände pochten und der Rücken schmerzte von meinem Sturz. Aber Lorena war in Sicherheit. Mefirian sah müde aus, der Zauber hatte ihn Kraft gekostet. „Das haben wir gut hingekriegt“, keuchte ich überwältigt und mit leichtem Stolz. Wir hatten unserer Freundin das Leben gerettet, was ja auch selbstverständlich war. Ein Schatten fiel über uns und als wir aufsahen, stand Mirabella da und lächelte gütig auf uns hinab. Sie sah eigentlich immer freundlich und gütig aus. „Das habt ihr beiden toll gemacht. Ihr seid wahre Helden.“ „Das hätte doch jeder an unserer Stelle gemacht“, winkte ich verlegen ab, doch die Älteste schüttelte den Kopf. „Eben nicht. Was ihr getan habt erfordert viel Mut und auch etwas Leichtsinn.“ Sie schmunzelte bei ihren letzten Worten. Ich und Mefirian schwiegen und sahen verlegen zu Boden. „Kommt, wir legen eine kurze Rast ein, damit eure Freundin sich erholen kann und dann reisen wir weiter.“ Wir erhoben uns und folgten Mirabelle zu der Feuerstelle, wo eine zusammengesunkene Lorena und eine weinende und schimpfende Fenja saßen. Meine Mutter sah auf, als ich mich näherte und zwinkerte mir anerkennend zu. Adren lächelte seinen Sohn stolz an und seine jüngeren Geschwister sahen Mefirian an, als sei er ein riesiger Greif. „Das war ja unglaublich! Darf ich das auch mal machen?“, plapperte Arlene und sah mich fragend an. Mutter, ich und Fenja schenkten ihr einen bösen Blick, woraufhin sie murmelte: „War nur ein Witz.“ Ich setzte mich neben Lorena und drückte sie kurz an mich. „Wie geht es dir?“ Sie lächelte schwach und mit leicht klappernden Zähnen und sagte: „Danke, schon besser.“ Ich wusste, dass sie sich Vorwürfe machte, aber was hätte ich tun sollen? Sie waren ja berechtigt. Sie hatte sich der Anweisung der Ältesten widersetzt, wie ein paar andere auch und sie war leichtsinnig und dumm gewesen. Trotzdem versuchte ich meine Freundin zu trösten. „Ach komm, das hätte jedem passieren können. Du hast eben gedacht, das Eis wäre fester als es aussieht.“ Sie schenkte mir eine Grimasse, die eher ein Lächeln darstellen sollte und sah zu Boden. Ich klopfte ihr noch einmal auf die Schulter, dann setzte ich mich neben meine Mutter. Sie legte den Arm um mich und sagte: „Ich bin sehr stolz auf dich.“ Ich nickte nur, es war mir unangenehm eine Heldin zu sein. Ich hatte doch nur schnell gehandelt und Mefirian hatte viel mehr getan als ich. Er hatte das Wasser erwärmt und er war ruhig geblieben, während ich hysterisch wurde und in Panik verfiel, dabei war ich ja eine sehr ruhige Elfe. Tja, nicht in Gefahrensituationen.

Vierzehn



Nach einem schnellen Essen und einer kurzen Rast brachen wir wieder auf. Dank Mefirians Zauber wurde Lorena nicht krank und erfror auch nicht. Zumindest fror sie nicht mehr als wir. Es schneite leicht und bald reichte uns der Schnee bis an die Oberschenkel. Müh-sam kämpften wir uns durch den Schnee und erreich-ten einen kleinen Wald. Die kahlen Äste der Bäume bogen sich unter ihrer Last und immer wieder platschte ein Haufen Schnee auf den Boden, was uns jedes Mal erschreckte. Allmählich wünschte ich mir wieder im Dorf zu sein, in meinem Zimmer, in meinem Bett. Die Reise erschien mir plötzlich keine gute Idee zu sein. Wir wa-ren so viele und das Wetter spielte nicht mit. Wir hätten doch auch Zuhause bleiben können und hätten den Winter schon irgendwie hinter uns gebracht. Zumindest versuchte ich es mir einzureden, doch die Wahrheit sah anders aus. Wir hatten nicht genügend Vorräte und kein Brennholz. Außerdem freute sich das Königspaar immer über Besuch aus unserem Dorf. Die anderen Dörfer und Städte in Mydia kannte ich nicht, doch dort erlaubten ihnen die Ältesten Holz zu schlagen, mit offizieller Erlaubnis des Königspaares. Unser Dorf war sowieso klein und die meisten hatten keinen Kamin. Wie sollten sie da Holz verbrennen? Und so eine Reise war ja auch aufregend und eine willkommene Abwechslung, auch wenn sie so schwer und entbehrungsreich war. Auf der Burg war es wärmer als im Dorf, es gab genug zu essen und man konnte das Königspaar bewundern.. Aber vielleicht bekamen wir es ja auch nie persönlich zu sehen. Wyran und Karla hatten bestimmt besseres zu tun, als sich mit den Bewohnern eines kleinen Dorfes zu beschäftigen. Aber wir kamen auch gut allein zurecht. Während unserer weiteren Wanderung war Lorena sehr schweigsam. Schließlich lief sie neben mir und Mefirian her und flüsterte mir zu: „Es tut mir leid.“ Verwundert sah ich sie an, winkte ab und meinte: „Schon gut. Du hast uns ganz schön erschreckt.“
„Ja, ich weiß.“
„Und deine Mutter auch.“
„Hmm...“
„Außerdem hast du dich nicht bei uns zu entschuldigen, sondern bei Mirabella. Sie hat uns schließlich gewarnt“, fügte Mefirian hinzu und ich nickte zustimmend. Lorena sah uns gequält an, dann nickte sie und ging zu den Vorderen Reihen, wo Mirabella sich mit ein paar Elfenfrauen unterhielt. Ich erkannte, dass es Erdelfen waren. Lorena tippte unserer Anführerin schüchtern auf die Schultern und fing an zu reden, als diese sich zu ihr umdrehte. Sie wechselten ein paar Worte, dann reichte Mirabella unserer Freundin die Hand und Lorena kam erleichtert zu uns zurück. Sie lächelte uns an und verkündete: „Ich habe mich bei ihr entschuldigt und sie hat mir verziehen.“ „Dann ist ja alles gut“, seufzte ich und Mefirian und ich umarmten sie. Sie legte ihre Arme um uns und hakte sich bei uns unter. Fenja hatte ihrer Tochter ebenfalls verziehen und war nur noch froh, dass es ihr gut ging. Mefirians Geschwister und Arlene plapperten die ganze Zeit munter und löcherten uns mit Fragen. Unsere Eltern griffen ein und baten sie damit aufzuhören. Schmollend zogen die Kleinen davon und ich war richtig erleichtert. Allmählich wurden mir die Fragen unangenehm und ich hatte keine Lust zu antworten. Der Wald wurde allmählich lichter und hörte dann abrupt auf. Vor uns erstreckte sich eine weiße Ebene. Schnee so weit das Auge reichte. Wenigstens hatten wir den Hügel hinter uns gelassen. „Also, machen wir denn nicht einmal Halt an einem Dorf?“, murrte ich schlecht gelaunt. Meine Ohren und meine Nase waren taub vor Kälte, die Füße taten mir weh, und meine Flügel waren Eiszapfen. „Nein, wir machen nicht in einem Dorf halt. Die Leute haben selbst kaum genug für sich selbst, da werden sie uns wohl kaum mit offenen Armen empfangen“, erklärte Mefirian besonders hilfreich und machte meine Laune nur noch schlechter. „Das hilft mir auch nicht!“, knurrte ich und zog mir kurzerhand den Umhang über die Flügel. Es war unbequem und es sah wahrscheinlich aus, als hätte ich einen krummen Rücken, doch das war mir schnuppe. Lieber dumm aussehen, als erfrorene, unbrauchbare Flügel zu haben. „Wir sind ja bald da“, versuchte Lorena mich kläglich zu trösten. Ich schnaubte spöttisch: „Bald! Du bist ja gut! Wir reisen gerade einmal seit vier Tagen und müssen noch einmal drei Tage laufen. Vielleicht sogar noch länger, weil wir viel Zeit durch den Schnee und den etwas langsameren Dörflern verlieren!“ „Kein Grund seine schlechte Laune gleich an uns auszulassen!“, fauchte Lorena beleidigt und mir tat es sofort leid. „Tut mir leid. Du hast ja recht. Ich bin nur müde und beinahe erfroren.“ „Uns geht es auch nicht besser“, erwiderte sie leicht mürrisch. „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, sagte Mefirian und brachte mich zum lächeln. Lorena entspannte sich ebenfalls und unser kleiner Streit war vergessen. Wir schlugen das Lager auf und blieben über Nacht auf der Ebene. Ich wollte nur noch schlafen und tat das dann auch sobald ich unser Zelt betrat. Ich schlief sofort ein und kein Alptraum suchte mich heim.

Nur noch drei Tage, sagte ich mir immer wieder, wäh-rend ich mich bibbernd ankleidete. Mein anderes Kleid war schon durchnässt von dem ganzen Schnee und schmutzig. Warum musste es nur so kalt sein? Es ist ja Winter! Was hast du denn gedacht?, schimpfte ich mich aus und trat in die kalte Morgenluft. Natürlich war der Himmel noch immer grau und sah schwer und bleiern aus. Hoffentlich schneit es nicht, schoss es mir durch den Kopf, während ich meine Freunde suchte und mich dann mit ihnen und meiner Familie versammelte. Mirabella erklärte uns unsere weitere Route und wir brachen wieder auf. Wir waren kaum eine Stunde unterwegs, als ein heftiger Wind aufkam und es zu schneien anfing. Bald konnte man kaum noch etwas erkennen, nicht einmal die Person die vor einem lief. Die alten Elfen stolperten oft, tasteten sich beinahe blind vorwärts. Oft stürzten einige und wir mussten aufpassen, um nicht über sie zu stolpern. Unser Zug kam nun nur noch im Schneckentempo voran. Die kleinen Kinder klammerten sich ängstlich an die Eltern. Mirabelle rief etwas, was aber im Tosen des Windes unterging. Egal wir sehr sie sich anstrengte, wir hörten nicht was sie rief. Die Schneeflocken wurden uns schräg ins Gesicht gewirbelt und stachen auf der Haut. Ich stolperte blindlings weiter und merkte nicht, dass ich meine Familie aus den Augen verlor. Ich bemerkte es erst, als der Sturm ein wenig abklang und niemand zu sehen war. Um mich herum war nichts, außer ein paar schemenhaften Umrissen von Bäumen, oder waren das Menschen? Genau konnte ich das nicht sagen, aber eines war mir sonnenklar: Ich hatte mich verlaufen und die anderen verloren. Das würde mein Tod sein. Ich hatte keine Vorräte, kein Zelt, kein Brennholz, einfach nichts, außer dem was ich am Leib trug. Verzweiflung und Angst drohten mich zu überrollen und ließen mich panisch nach meiner Mutter und meinem Freunden schreien. Das einzige Geräusch war und blieb der heulende Wind, der mir die Worte aus dem Mund riss und mit sich trug. Kopflos rannte ich los, in irgendeine Richtung und hoffte auf ein wenig Glück. Doch das Glück schien mir nicht hold zu sein, denn von den anderen gab es weiterhin keine Spur. Panisch, weinend und müde rannte ich wild mal in diese, mal in eine andere Richtung und rief dabei immer wieder nach Lorena, Mefirian und meiner Mutter. Niemand antwortete mir. Noch immer sah ich nichts und erhob mich in die Luft. Der Wind schlug mir mit einem Ruck entgegen und riss an meinen zarten Flügeln. Er raubte mir den Atem und machte es schwer mit den Flügeln zu schlagen und in der Luft zu bleiben. Der Wind stieß mich und zerrte unerbittlich an meiner Kleidung und meinen Flügeln. Vor Kälte brannte meine Haut und Tränen liefen mir wegen dem Wind über die Wangen. Ich weiß nicht, wie lange ich mich vorwärtskämpfte, als meine Kräfte nachließen und ein heftiger Windstoß mich packte und herumschleuderte. Meine Flügel schmerzten von der Anstrengung in der Luft zu bleiben und ich war müde. Also ließ ich den Wind mit mir machen was er wollte. Quatsch, der Wind hat keinen eigenen Willen, dachte ich noch, dann fiel ich dem Erdboden entgegen und wartete auf den Aufprall. Doch ich schaffte es, mich kurz, bevor ich auf dem Boden aufkommen konnte, zu fangen. Aber dafür prallte ich mit voller Wucht gegen ein Hindernis und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Das Hindernis fiel zu Boden und ich gleich drauf. „Eyrin! Geh von mir runter!“, keuchte jemand und ich kroch ein wenig von der Person weg. Ich versuchte zu erkennen wer das war. Die Stimme hatte ich wegen dem Wind kaum gehört. Der oder die Fremde rappelte sich auf, massierte sich die Brust und klopfte den Schnee von Haar und Kleidung. „Wenigstens habe ich dich gefunden“, sagte die Person und jetzt erkannte ich sie auch und fiel ihr stürmisch um den Hals. „Mefirian! Bin ich aber froh!“ Er machte sich lachend von mir los und sagte: „Dann wirst du gleich noch froher sein.“ Eine zweite Person trat ne-ben ihn und sie erkannte ich sofort. „Lorena! Du hast mich also auch gefunden?“, rief ich und umarmte sie ebenso stürmisch. „Ja, aber das war nicht leicht. Man sieht ja vor lauter Schnee nichts“, erwiderte sie und sah sich um, als könne der Sturm so aufhören. Natürlich tat er das nicht. „Wo sind die anderen?“, fragte ich hoff-nungsvoll. Doch die beiden schüttelten den Kopf. „Wir wissen es nicht. Wir haben sie verloren und haben kei-nen blassen Schimmer, wo sie sind“, erklärte Lorena. Mutlos ließ ich die Schultern hängen und fragte: „Und was machen wir jetzt? Wir haben nichts zu essen, kein Feuerholz, keine Ersatzkleidung...“ „Aber wir haben unseren Verstand, außerdem zwei Hände und Flügel“, unterbrach Mefirian mich optimistisch. „Und was nützt uns das, wenn wir nicht wissen, wie wir die anderen einholen sollen?“ „Wenn sie bei diesem Sturm über-haupt weitergezogen sind“, murmelte Lorena dazwi-schen.
„Mirabella hat uns den Weg doch beschrieben.“
„Ja, aber erinnert ihr euch noch daran?“
„So ungefähr.“
„Na Klasse!“
„Wenigstens etwas! Wir können es versuchen.“
„Und uns noch hoffnungsloser verirren!“, wandte ich ein und erntete dafür ein Schulterzucken. „Dann verirren wir uns eben und verhungern oder erfrieren elendig“, erwiderte Mefirian. „Das ist nicht witzig!“, schnaubte ich und Lorena schüttelte den Kopf. „Wie kann man nur in so einer Situation Witze machen?“, meinte sie missbilligend und Mefirian wurde sofort wieder ernst. „Tut mir leid. Ihr habt ja recht. Zuerst sollten wir uns irgendwo einen Unterschlupf suchen.“ Wir nickten und kämpften uns durch den Sturm, der noch immer kein bisschen abklang. Bald waren unsere Nasen, Hände und Füßen beinahe erfroren und die Flügel unbrauchbar. Wir liefen stundenlang umher, wohin wussten wir nicht, und hielten nach einem Haus oder einer Höhle oder sonst etwas ausschau, das uns vor dem Wind oder zumindest vor dem Schnee schützen würde. Endlich entdeckten wir eine kleine Höhle in einer Felswand und quetschten uns hinein. Sie bot genug Platz, dass wir uns zu dritt zusammenkauern und uns aneinander drängen konnten. Wir spendeten uns gegenseitig Wärme und versuchten den Hunger und die Kälte zu vergessen. Es gelang nicht so ganz und wir versuchten uns mit Geschichten abzulenken. Irgendwann schliefen wir ein, begleitet vom Heulen des Windes.

Fünfzehn


Als ich erwachte war es kalt, ich hatte Hunger und mei-ne Kleidung war feucht. Schnell trocknete ich sie mit einem Zauber und rüttelte meine Freunde wach. Wäh-rend sie sich grummelnd den Schlaf aus den Augen rieben und streckten, ging ich zum Höhleneingang und sah hinaus. Der Sturm hatte aufgehört und hatte eine dicke Schneedecke zurückgelassen. Der Himmel sah etwas klarer aus. Ich trat einen Schritt hinaus und ver-sank prompt bis zu den Oberschenkeln im Schnee. Flu-chend versuchte ich mich zu befreien. Ich schlug mit den Flügeln und stieg ein wenig auf. Ich flatterte stärker und schaffte mich langsam und mühsam aus dem Schnee heraus. „Na toll. Wie sollen wir so vorankommen?“, schimpfte ich. „Wir können ja fliegen“, schlug Lorena gähnend vor. „Ach ja, und wenn wir müde werden?“ Sie zuckte mit den Schultern und ging wieder in die Höhle zurück. Ich folgte ihr und fragte: „Und was sollen wir zum Frühstück essen?“ „Es gibt hier nichts. Wenn wir Glück haben, können wir unter dem Schnee etwas Essbares finden.“ „Ja aber reicht unsere Energie aus um den Schnee zu schmelzen?“ „Wir müssen es zumindest versuchen“, meinte Mefirian. Wir suchten nach Büschen die Winterfrüchte trugen, bei uns gab es das bis zum Dezember. Wir fanden einen Busch mit wenigen Brombeeren und einen mit Haselnüssen. Wir schmolzen den Schnee und verzehrten unser karges Frühstück. Wir packten uns eine Menge Nüsse und drei Handvoll Beeren in unsere Umhängetaschen, die wir glücklicherweise immer dabeihatten. Darin befanden sich je ein Messer, ein Seil und eine Wasserflasche aus Ton. Ich hatte noch Nadel und Faden dabei um unsere Kleidung auszubessern, wenn sie beschädigt wurde und ein kleines Salbentöpfchen. Ob das zum Überleben reichen würde? Wahrscheinlich nicht. Wenn wir doch nur den Weg wüssten! Aber unser Gedächtnis spielte nicht mit. Wo waren die Träume, wenn man sie brauchte? Krampfhaft versuchten wir uns ans Mirabellas Wegbeschreibung zu erinnern, doch sie wollte einfach nicht in unseren Köpfen erscheinen. Vielleicht würden wir aus der Luft mehr erkennen. Ein Haus oder irgend-etwas, das uns weiterhelfen konnte. Es war ja alles zugeschneit, Wege oder Pfade zu finden war unmöglich. Von oben sah die Gegend auch nicht besser aus. Aber wenigstens konnten wir nicht mehr im Schnee versinken und kamen schneller voran. Ich sah immer wieder zum Himmel hoch, als könnte jeden Moment erneut ein Schneesturm losbrechen, doch es zeigte sich kein Wölkchen und ein bisschen Sonne war zu sehen. „Das hat uns nicht besonders geholfen“, seufzte ich und ließ meinen Blick erneut über die Ebene schweifen. Das Weiß des Schnees blendete mich und ließ mich zuerst nichts erkennen. Doch dann sah ich dort unten bei einem Baum eine Bewegung. „Achtung!“, rief ich, doch es war schon zu spät: Der riesige Eisvogel schoss bereits auf uns zu, mit weit aufgerissenem Schnabel, gespreizten Flügeln und Klauen. Er zischte auf uns zu, der Wind, den seine Flügelschläge verursachten, schleuderte uns nach hinten. Ich schrie und hörte nur den Wind und das Kreischen des Vogels. Jetzt sah ich, dass er ganz aus durchsichtigen Eiskristallen bestand. Nur seine Augen glitzerten schwarz und boshaft. Anstelle von Federn hatte das Tier zierliche Eisplättchen. Wie konnte es dann fliegen? Durch Magie, beantwortete ich meine Frage gleich selbst und wich eilig einer der Schwingen aus. Die Eule zischte an mir vorbei, direkt auf Mefirian zu, der zur Seite wich und dabei einen Feuerball auf die Kreatur abfeuerte. Er traf, prallte jedoch wirkungs-los ab. Der Eisvögel krächzte nur ärgerlich und schüttel-te unbeeindruckt das Gefieder, das leise klimperte und im schwachen Sonnenlicht schimmerte. Fassungslos sah Mefirian auf den Vogel, dann versuchte er es noch einmal. Nichts. Nicht einmal eine Schramme. Es hatte keinen Zweck mit Magie anzugreifen, aber was blieb uns noch? Wieder stürzte der Vogel sich auf uns, schnappte mit Klauen und riss drohend den Schnabel auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass auf seinem Rücken eine Gestalt saß. Sie war in einen langen, dunklen Um-hang gehüllt und langes blondes Haar wehte im Wind. Es musste sich um eine Frau handeln. Ob sie uns wohl auch noch attackieren oder alles dem Vogel überlassen würde? Das Biest schoss auf uns zu und erwischte Me-firian an der Schulter. Zum Glück war er noch knapp entkommen. Trotzdem taumelte er mit einem Schrei zurück und fasste sich an die Schulter aus der Blut in den Schnee tropfte. Mir wurde übel. Wütend bombar-dierte ich den Eisvogel mit Eis-, Feuer- und Energie- ku-geln, doch die Frau auf dessen Rücken lachte nur höh-nisch und ihre reizende Kreatur verpasste mir mit ei-nem der Flügel einen Schlag. Es fühlte sich an, als wäre ich gegen eine riesige Glocke gelaufen. Mir summte der Kopf und der Aufprall fuhr mir durch alle Glieder. Der Flügel war steinhart gewesen. Lorena schrie auf, als das Biest sie beinahe mit dem Schnabel erwischte und sprang mutig darauf. Natürlich versuchte der Vogel sie herunterzuwerfen, doch meine Freundin balancierte geschickt und sicher auf dem wackeligen Untergrund und trat dem Vieh mit aller Wucht in die empfindlichen Augen. Der Vogel kreischte erschrocken auf, schlug panisch mit den Flügeln und schüttelte heftig den Kopf. Nun fiel Lorena doch herunter, konnte ihren Sturz jedoch mit einem schnellen Flügelschlag abbremsen. Wir hatten keine Chance gegen diese Kreatur die unverwundbar schien. Aber irgendeine Schwachstelle musste sie doch haben! Die Augen, das war klar, aber wir konnten uns nicht so nahe heranwagen, ohne Gefahr zu laufen von dem riesigen Schnabel durchtrennt zu werden. Ohne zu überlegen holte ich mein Messer heraus und warf es blindlings nach dem Biest. Ich hörte ein lauten Kreischen und sah, dass sich die Klinge Wundersamerweise in den Eiskörper gebohrt hatte. Doch das beeindruckte die Eule nicht im Geringsten und schien sie auch nicht schwer verletzt zu haben. Vielleicht könnten wir entkommen, wenn wir uns trenn-ten. Uns allen dreien gleichzeitig konnte der Eisvogel ja nicht folgen. Ich tauschte einen stummen Blick mit meinen Freunden und sie verstanden sofort. Ohne ein Zeichen, oder Wort schossen wir alle drei in verschie-dene Richtungen und flogen um unser Leben. Der Vogel blieb offensichtlich verwirrt da wo er war, denn er folgte keinem von uns, wie es schien. Er schien zu überlegen wen von uns er jagen sollte. Zu meinem Entsetzen entschied er sich für mich. Verzweifelt bemühte ich mich meine Flügelschläge zu beschleunigen, aber es ging nicht schneller. Dazu flog ich auch noch direkt auf einen Baum zu und konnte den Flug nicht stoppen. Den Aufprall konnte ich verhindern, doch ehe ich mich wieder abstoßen und weiterfliegen konnte, war das Eisbiest schon über mir und die Klauen schossen auf mich zu. „Nein!“, schrie ich und riss schützend die Arme vors Gesicht. Doch die furchtbaren Klauen schlossen sich nicht um mich. Ver-wundert öffnete ich die Augen und sah mit großen Augen auf einen vollkommen weißen, gewaltigen Drachen, mit silbern geschuppten Flügeln, der zwischen mich und den Eisvogel geflogen war. Der Drache sah den Vogel aus Silber schimmernden weisen Augen an und aus seinen Nüstern stiegen Rauchwölkchen. Auch auf seinem Rücken hatte er ei-nen Reiter, dieses Mal war es ein Mann, noch jung, mit einem Schwert an seiner Seite und in einen blauen Umhang gehüllt. Er hatte schwarzes Haar und war groß. Eine Hand lag auf dem Heft seines Schwertes, die andere auf dem Hals seines Drachens. Ohne Vorwarnung schoss eine riesige Flamme aus dem Maul des Geschöpfes und traf den Eisvogel mit voller Wucht. Er schmolz aber nicht und seiner Reiterin geschah auch nichts. Trotzdem kam es mir so vor als würde der Vogel schwächer werden. „Gib auf Symra! Lass die Kinder in Ruhe!“, rief der Mann mit lauter Stimme und lenkte den Drachen noch ein bisschen näher am mich heran. „Dass du dich immer in Angelegenheiten einmischen musst, die dich nichts angehen!“, fauchte die Frau ver-ächtlich. „Das geht mich sehr wohl etwas an und jetzt verschwinde, bevor ich deinen Vogel in einen Eiswürfel verwandle!“ Sein Drache knurrte drohend und schlug mit den Flügeln. Die Frau zischte etwas und flog dann wütend davon. Der Mann sah ihr eine Weile nach, dann drehte er sich zu mir um und lenkte seinen Drachen so herum, dass er mich ansehen konnte. Furchtsam betrachtete ich den riesigen Dra-chenschädel, der vor mir aufragte und konnte mich selbst in den Augen sehen, wie ich mich furchtsam mit dem Rücken gegen den Baumstamm presste. „Meine Freunde!“, rief ich, stieß mich ab und wollte lossausen um sie zu suchen, aber heftiger Schwindel packte mich und ich wäre beinahe gegen den Drachen geflogen, der noch immer vor mir war. „Vorsicht!“, sagte der Fremde, beugte sich hinab und packte mich sanft am Arm. Ohne mich zu fragen, zog er mich einfach auf den Rücken seines Drachen und gab dem Tier ein Kommando. Es gehorchte und wir flogen wieder auf die Ebene. Ich sah Mefirian und Lorena auf uns zufliegen. Erleichtert sahen sie, dass mir nichts geschehen war und sahen dann voller Staunen den Drachen und den geheimnisvollen Mann an. „Sie haben uns gerettet!“, rief Lorena begeistert und ich dachte schon sie wolle sich auf unseren Retter stürzen und sich ihm an den Hals werfen. Doch sie strahlte ihn nur dankbar an und fragte dann mich: „Geht es dir gut?“ „Ja, keine Sorge“, murmelte ich und sagte zu unserem Retter: „Danke für Ihre Hilfe.“ Er lächelte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Keine Ursache. Ich konnte doch nicht zusehen wie diese Hexe euch tötet“, erklärte er und die Verachtung, mit der er das Wort Hexe aussprach, ließ erkennen wie sehr er die Frau hasste. „Wer sind sie eigentlich?“, wollte Mefirian wissen, während er noch immer eine Hand auf seine Wunde presste. „Das ist jetzt nicht so wichtig. Wir sollten euch erst einmal in Sicherheit bringen und deine Wunde versorgen“, erwiderte der Fremde und machte eine einladende Geste auf seinen Drachen, der uns ruhig ansah. „Sie wollen doch nicht etwa, dass wir uns auf den Drachen setzen?“, fragte ich fassungslos und mit einem mulmigen Gefühl im Magen. „Natürlich. Warum nicht? Der Kampf hat euch sicher viel Kraft gekostet.“ Schließlich willigten wir ein und setzten uns unbe-holfen auf den Rücken des Drachen. Unser Retter setz-te sich hinter uns, um aufzupassen damit niemand von uns runterfallen konnte. Aber wir hatten zur Not ja un-sere Flügel. Der Drachenkörper fühlte sich unter den Schuppen warm an und ich spürte wie der Drache die mächtigen Muskeln anspannte um sich höher in die Luft zu erheben. Dann schossen wir auch schon durch die Luft und die Landschaft zischte schemenhaft unter uns vorbei. Ich schloss die Augen und klammerte mich an Lorena, die ganz vorne saß. Sie hatte die Hände fest um eine der Schuppen gekrallt, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. Der Wind sauste in unseren Ohren und die Flügelschläge des Drachen kamen mir so laut wie Donnerschläge vor. Wir rasten, wie mir schien, stundenlang dahin und als ich endlich die Augen öffne-te, sah man unter uns einen Wald. Er sah aus wie viele Zuckerhügel und erstreckte sich nach Osten. Der Dra-che steuerte jetzt direkt auf eine Lichtung zu und dann tauchten wir in den Wald hinein, der kahl und leer war. Äste knackten und brachen ab, als der mächtige Dra-chenleib sie streifte und die Schuppen wetzten die Baumrinde ab. Ich zog den Kopf ein und duckte mich hinter Lorena, die sich tief über den Drachenhals ge-beugt hatte. Hinter mir hörte ich Mefirian stöhnen und drehte mich zu ihm rum. Er hatte die Augen geschlos-sen, die Hand an die Schulter gepresst und das Gesicht verzogen. Weil der Drache den Baumstämmen auswich und wir ordentlich durchgeschüttelt wurden, musste ihm jede kleine Erschütterung Schmerzen bereiten. Hof-fentlich kamen wir bald an. Als hätte der Drache meine Gedanken gelesen sank er plötzlich tiefer und landete auf der Lichtung. Ich sprang mit wackeligen Beinen vom Drachenrücken und musste mich eine Weile festhalten, weil meine Beine so zitterten. Lorena war ebenfalls abgestiegen. Ihr Gesicht war vor Kälte oder Freude gerötet. Mefirian rutschte langsam und kreidebleich nach unten und fiel beinahe zu Boden. Der fremde Mann fing ihn auf und stützte ihn, während er seinem Drachen einen Befehl in einer fremden Spra-che gab. Das Tier schnaubte und trottete hinter eine große Hütte. Dort sah ich wie er sich zusammenrollte und die Augen schloss. „Los, wir müssen euren Freund in meine Hütte bringen“, sagte der Fremde und wir öff-neten ihm die Tür und traten in die Hütte. Drinnen ver-breitete eine einzelne Kerze schwaches Licht und es war dämmrig im Haus. Unser Retter drückte Mefirian vorsichtig auf einen Stuhl und entzündete noch eine Kerze. „Bleibt bei ihm. Ich hole Verbandszeug.“ Ich und Lorena knieten uns neben den Stuhl und nahmen je eine Hand von ihm. Er lächelte uns schwach zu. „Tut es sehr weh?“, fragte ich mitfühlend und sah ihm ins Ge-sicht. Er nickte mit zusammengepressten Lippen. „Die-ser verdammte Vogel!“, zischte er. „Ja, wo ist er denn überhaupt hergekommen?“, fragte ich und äußerte auch gleich eine Vermutung: „Er könnte uns gefolgt sein.“ „Nein, das hätten wir doch gemerkt“, wandte Lorena ein. „Ja schon, aber wir haben ihn ja bei dem Schnee nicht gesehen.“
„Da hast du recht.“
„Wie konnte er uns bei dem Schneesturm finden? Seit wann folgt er uns?“
„Keine Ahnung, aber bestimmt nicht lange, denn die anderen Dorfbewohner hätten ihn doch auch bemerken müssen.“ In diesem Moment kam der Fremde wieder herein, mit einer Schüssel mit warmen Wasser, einem Leinenverband und einem kleinen Fläschchen. Er legte alles auf den Boden und bat Mefirian dann sein Wams auszuziehen. Wir halfen ihm dabei; unser Freund wurde rot und schämte sich wohl, obwohl wir ihn schon oft im Sommer ohne Hemd gesehen hatten. Eine hässliche Klauenwunde kam zum Vorschein, man sah vier lange, tiefe Kratzer und kleine Eissplitter. Unser Retter wusch die Wunde aus und das Blut weg, wobei Mefirian zusammenzuckte und schüttete etwas von der Flüssigkeit auf die Wunde. Sie roch scharf und Mefirian keuchte vor Schmerz auf, als die Substanz die Wunde berührte. „Was ist das?“, keuchte er. „Desinfektionsmittel.“ Geschickt und schnell verband der Fremde die Wunde und nickte dann zufrieden. „Gut, und jetzt essen wir etwas“, meinte er und erhob sich erneut. Er ging in einen nebenliegenden Raum und wir hörten Geschirrgeklapper. Ich beschloss ihm beim Kochen zu helfen, während Lorena bei Mefirian blieb. Der Drachenritter hatte ein Feuer entfacht und einen großen schwarzen Kessel über das Feuer gehängt. Er sah auf, als ich eintrat und fragte freundlich: „Was ist?“ Ich stand stumm im Türrahmen und brachte kein Wort heraus. „Nun? Hast du deine Zunge verschluckt?“, fragte er feixend und ich wurde rot. „Ähm... ich wollte Sie fragen ob ich Ihnen vielleicht helfen kann...“, stammelte ich unbeholfen und sah zu Boden. „Natürlich. Schneide doch schon einmal das Gemüse, ja?“ Ich nickte scheu, griff nach dem Gemüse in einem Korb auf dem Tisch und putzte es. Dann holte ich ein Messer und ein Schneidebrett, nachdem der Mann mir erklärt hatte, wo die Sachen waren, und schnippelte das Gemüse klein. „Übrigens, du kannst mich Verdan nennen“, bemerkte er nach einer Weile des Schweigens. Ich nickte nur stumm und beugte mich über das Gemüse, wobei mein langes Haar mich störte. Ich strich es ungeduldig zurück. „Und wie soll ich dich nennen?“, erkundigte er sich, während er Kräuter in das kochende Wasser streute und es abschmeckte. Zuerst wurde mir heiß vor Schreck. Was sollte ich ihm denn sagen? Die Wahrheit? War es denn klug einem völlig Fremden meinen wahren Namen zu nennen, auch wenn er unser Leben gerettet hatte? Aber er war ja schließlich ein Ritter und hatte uns geholfen. Ich warf alle Vorsicht über Bord und antwortete: „Ich... bin Eyrin.“ „Eyrin... das ist ein hübscher Name“, murmelte er und schon wieder wurde ich rot vor Verlegenheit. „Nun, Eyrin was habt ihr denn so ganz alleine da in der Wildnis gemacht?“ Er warf noch etwas Fleisch in die Suppe und sah nicht vom Kessel auf. „Also,... hm wie soll ich sagen? Wir... haben uns verlaufen. Wir wollten eigentlich zur Elfenburg Mydia.“ „Mydia. Und was wollt ihr dort?“ Jetzt sah er doch auf und sah mich mit einem durchdringenden Blick an. Ich hielt ihm mit Mühe stand und log: „Wir wollten uns dort als Mägde und Knechte verdingen. Unsere Eltern wissen nichts davon.“ „Aha, dann seid ihr also ausgerissen.“ Ich nickte gezwungen und schnitt mir plötzlich in den Finger, weil ich nur Verdan angesehen hatte. Mit einem Zischen ließ ich das Messer los und betrachtete wie langsam Blut aus der Schnittwunde quoll und auf das Brett tropfte. Mir wurde übel und schwindelig. „Oje, du bist ja ganz blass geworden. Warte, das haben wir gleich“, meinte Verdan und holte aus einem Schränkchen eine Leinenbindenrolle. Die Streifen waren so schmal wie ein Finger und lang. Er schnitt ein Stück ab und wickelte es um meinen Zeigefinger. Sofort bildete sich ein Fleck auf dem Leinen. Der Drachenritter verknotete die Enden und betrachtete zufrieden sein Werk. Mein Finger brannte und pochte, doch ich wollte mich nicht beschweren und keinen Aufstand wegen einem kleinen Schnitt machen. „Danke“, murmelte ich und schnitt weiter, vorsichtiger, das Gemüse zu Ende. Dann nahm ich das Brett und schüttete alles in den Kessel. Es duf-tete herrlich und erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich war. „Dann rufe deine Freunde zum Essen.“ Ich ging zu meinen Freunden, während Verdan den Tisch deckte.

Sechszehn

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Nach dem Essen setzten wir uns zusammen. Verdan musterte uns der Reihe nach und fragte dann: „Warum seid ihr ausgerissen um auf der Burg zu arbeiten?“ Meine Freunde verzogen keine Miene, spielten das Spiel mit. „Nun... bei mir Zuhause war es nicht sehr gemütlich. Nachdem meine Mutter gestorben ist, hat mein Vater mich dauernd geschlagen“, schwindelte Mefirian, obwohl es ihm sichtlich schwer fiel so vom seinem netten, etwas tollpatschigen Vater zu reden. „Ja, und meine Mutter bringt ständig neue Liebhaber mit, seitdem sie sich von meinem Vater getrennt hat. Ich kann sie nicht ausstehen.“ Das war Lorenas Ge-schichte. Jetzt musste nur noch ich mir etwas Glaub-würdiges ausdenken. „Meine Eltern streiten sich dau-ernd und lieben meine kleine Schwester mehr als mich“, murmelte ich und sah zu Boden. Was für eine Lüge! Meine Eltern verstanden sich prächtig und Arlene war eine gute Schwester. Verdan betrachtete uns weiter nachdenklich und murmelte: „So, so, aber ich glaube eure Eltern machen sich trotzdem große Sorgen um euch.“ Wir senkten scheinbar verlegen und mit schlech-tem Gewissen die Augen, doch wir wollten nur nicht, dass er in ihnen die Wahrheit las. „Auf jeden Fall habt ihr euch verlaufen und ich fände es besser, wenn ihr eine Weile hier bleiben würdet. Bis der Schnee ein we-nig geschmolzen ist und Symra sich verzogen hat.“ „Wer ist sie eigentlich?“, wollte Lorena wissen. „Das weiß ich nicht so genau, aber ich weiß dass sie die schwarze Kunst ausübt. Sie ist wahrhaftig eine Hexe und erschafft ihre eigenen Kreaturen.“ Bei dem Wort Hexe und bei der Erwähnung der schwarzen Kunst zuckte ich zusammen. Camillas Worte kamen mir wie-der in den Sinn. „Die schwarze Magie ist um so viel mächtiger und faszinierender als die reine, weiße Ma-gie.“ Doch davon sagte ich Verdan nichts und ließ mir auch nichts anmerken. „Ihr kennt euch?“, erkundigte Mefirian sich. „Ja, wir hatten ein paar kleine Auseinan-dersetzungen miteinander“, brummte unser Gastgeber und sein Ton machte deutlich, dass das Thema für ihn erledigt war. Die Sonne sank langsam zum Horizont und unsere Gestalten warfen lange Schatten auf den Holzboden. „Wir sollten schlafen gehen“, schlug Verdan vor und streckte sich. Wir erhoben uns und unser Retter erklärte uns bedauernd, dass wir auf dem Boden schla-fen mussten, da er nur ein Bett hatte. Wir versicherten ihm, dass es uns nichts ausmachen würde auf dem Boden zu schlafen und wickelten uns in unsere Um-hänge. Obwohl ich keinen Hunger mehr hatte und nicht mehr fror, konnte ich nicht einschlafen. Das fällt mir bei anderen Leuten immer schwer. Lorena und Mefirian waren ebenfalls wach. „Meint ihr wir können Verdan vertrauen?“, flüsterte ich leise. „Ich glaube schon. Schließlich hat er uns gerettet und Symra scheint er auch nicht zu mögen“, meinte Lorena. „Und du hältst dich an das Sprichwort: Der Feind meines Feindes ist mein Freund?“, spottete Mefirian gutmütig. „Ja, warum nicht?“ „Ich finde wir können ihm trauen. Er hat uns gerettet und schließlich ist er ein Ritter“, stimmte ich meiner Freundin zu. „Der Schein kann trügen.“ „Ja, ja aber Hauptsache wir haben eine Unterkunft gefunden und müssen nicht mehr hungern und frieren.“ Dagegen sagten meine Freunde nichts und wir verfielen in Schweigen. „Wie geht es eigentlich deiner Schulter?“, wollte ich von Mefirian wissen.
„Ganz gut. Verdan scheint sich mit der Heilkunst auszu-kennen.“
„Was ziemlich ungewöhnlich für einen Ritter ist.“
„Ja, und warum lebt er hier so alleine mit seinem Dra-chen? Hat er keine Frau oder Liebste? Warum arbeitet er nicht beim Hof des Königspaares?“
„Vielleicht ist er ein ausgestoßener Ritter?“
„Kann sein. Er erzählt uns ja nichts.“ „Mich würde ja viel mehr interessieren was diese Symra von uns wollte und warum sie uns verfolgt hat“, wandte ich ein. „Das würde mich auch interessieren.“ „Verdan hat gesagt sie wäre eine Hexe. Hexen sind eben hinterhältig und bö-se“, vermutete Lorena und gähnte. Wieder kam mir etwas an ihren Worten bekannt vor und wieder kam mir Camilla in den Sinn. Gab es da eine Verbindung... Im Moment war ich zu müde um darüber nachzudenken, drehte mich auf die Seite, wünschte meinen Freunden gute Nacht und schlief ein.

Es war herrlich aufzuwachen und keine Kälte oder Hun-ger zu spüren. So gut hatte ich während unsere Reise nicht geschlafen, obwohl wir auf dem harten Boden gelegen hatten. Verdan war schon lange auf, hatte ein Feuer im Kamin entzündet und grüßte uns gut gelaunt. „Na ihr Schlafmützen, endlich wach?“ „Wieso? Wie spät ist es denn?“, murmelte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. „Zehn Uhr.“ „Und das ist für dich lange schlafen?“ „Wenn man um fünf Uhr aufsteht, dann schon“, erwiderte Verdan grinsend und verschwand dann in der Küche. Wir setzten uns an den Tisch und schwiegen, während der Drachenritter in der Küche hantierte. „Meint ihr zwischen Symra und Camilla gibt es eine Verbindung?“, fragte ich und beugte mich ein wenig vor. „Sie sind ja beide Hexen und scheinen die schwarze Kunst zu lieben.“ Lorena verdrehte die Augen und ich musste lachen. Dann wurde sie wieder ernst.
„Welche Verbindung sollten sie zueinander haben? Camilla ist bei den Dorfbewohnern und es ist ihr be-stimmt gleichgültig was aus uns geworden ist.“
„Und woher hat Symra gewusst wo wir sind? Es könnte doch sein, dass Camilla es ihr verraten hat!“
„Sie konnte das doch auch nicht so genau wissen und wann haben sie sich denn getroffen?“
„Ich weiß es nicht, aber...“ Ich wurde unterbrochen, als Verdan mit einem Tablett eintrat und es auf den Tisch stellte. Er reichte jedem von uns einen Becher mit war-men Tee und bat mich ihm beim Tischdecken zu helfen. Ich warf meinen Freunden einen Blick zu und folgte dem jungen Mann in die Küche. Er legte gerade frisches Brot in einen Korb und füllte eine Karaffe mit Wasser. „Kannst du bitte die Teller und das Besteck auf den Tisch legen. Und dann kannst du mir helfen das Essen rüberzutragen.“ Ich nickte und nahm das Geschirr. Schnell verteilte ich es auf dem Tisch und trug dann den Brotkorb und eine Obstschale an den Tisch. Verdan brachte den Rest und setzte sich dann auf seinen Platz. Er nahm seinen Becher, legte die Hände darum und sah aus dem Fenster. Draußen hatte der Drache sich ausgestreckt und riss sein gewaltiges Maul auf, als er gähnte. Seine Schuppen schimmerten wie Silbermünzen in der Sonne. „Ist dein Drache ein Männchen oder ein Weibchen?“, erkundigte Mefirian sich interessiert. Verdan lächelte und sagte: „Es ist eine Sie. Ihr Name ist Moira.“ „Wie alt ist sie?“ „Ungefähr hundert Jahre.“ „Ist das jung oder alt?“, fragte Mefirian unsicher und erntete ein gutmütiges Lachen von dem Drachenritter. Unser Freund murmelte etwas und sah verlegen aus. Ich musste lächeln. „Das ist noch sehr jung. Und was macht deine Schulter... ihr beiden habt mir noch gar nicht eure Namen gesagt“, meinte er und sah meine Freunde abwartend an. „Lorena“, murmelte meine Freundin. „Mefirian.“ „Und wie geht es nun deiner Schulter Mefirian?“, nahm Verdan seine Frage von vorhin wieder auf. „Ganz gut. Sie schmerzt kaum noch. Wo habt Ihr eigentlich die Heilkunst erlernt?“, erwiderte unser Freund. „Als Drachenreiter muss ich so etwas können.“ Ob er wohl die Wahrheit sagte? Schwer zu sagen. „Mein Vater ist Heiler“, rutschte es mir heraus und ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. „Ach wirklich? Dann musst du sein Talent ja geerbt ha-ben.“ Ich brummte etwas und aß schnell noch einen Bissen Brot um nicht antworten zu müssen. Wieder lachte Verdan und trank seinen Tee aus. Dann stand er auf, streckte sich und schnallte sich seinen Schwertgurt um. „Ich muss einen Rundflug durch den Wald und die Ebene machen. Hoffentlich lässt sich Symra nicht bli-cken. Möchtet ihr vielleicht mitkommen?“ „Ich weiß nicht ob meine Schulter das mitmacht“, sagte Mefirian zögernd. Er sah wirklich ein wenig blass aus; offensicht-lich hatte er wieder Schmerzen. „Dann musst du nicht mitkommen. Und ihr beiden?“ Unsicher sahen Lorena und ich uns an. Sollten wir oder sollten wir nicht? „Gut, warum nicht?“, stimmte ich zu. Lorena schüttelte den Kopf. „Ich bleibe bei Mefirian. Viel Spaß Eyrin.“ Ich sah sie leicht verwirrt an, zuckte dann aber mit den Schul-tern, holte meinen Umhang und die Stiefel und zog mich an. Dabei fiel mein Blick auf mein Goldarmband, das ich in dem alten Haus gefunden hatte. Ich hatte es lange nicht mehr getragen. Hastig legte ich es um und verließ dann hinter Verdan das Haus. Mefirian sah uns nach.

Draußen war es kühl, aber es schneite zum Glück nicht. Moira grüßte ihren Herrn mit einem lauten Schnauben, das Rauchwölkchen in die Luft steigen ließ. Der Ritter lachte und streichelte die großen weißen Nüstern. Die Drachendame schmiegte ihr Maul an die Hand ihres Reiters und er murmelte Worte in einer mir fremden Sprache. Dann schwang Verdan sich elegant auf den Rücken seines Drachen und half mir rauf, wobei ich mich weniger elegant anstellte. Dann hob Moira ab. Obwohl ich fliegen konnte, war es ein tolles Gefühl auf einem Drachen fliegen zu können. Der Wald war etwas groß, wir brauchten eine Weile um ihn durchzufliegen und dann kamen wir auf die Ebene, wo meine Freunde und ich Symra begegnet waren. Zum Glück war von der Hexe und ihrem Eisvogel nichts zu sehen. Ich genoss den Flug, während Verdan aufmerksam, und die Hand auf seinem Schwertgriff, die Gegend mit seinen Augen absuchte und keinerlei Auffälligkeiten feststellen konn-te. Darüber war ich froh. „Arbeitest du für das Königs-paar?“, wollte ich wissen. Verdan nickte nur wortlos. „Und warum bist du nicht auf der Elfenburg?“, bohrte ich weiter. Er drehte sich immer noch nicht zu mir um und das beunruhigte mich. Hatte er etwas zu ver-schweigen? Warum sagte er nicht einfach die Wahr-heit? War sie etwa so schrecklich? „Ich wurde hier her-geschickt um Symra zu beobachten“, erklärte er knapp und blickte wieder nach unten. Mir wurde immer unbe-haglicher. Nervös ließ ich meinen Blick über den Schnee gleiten und starrte schließlich Verdans Hinter-kopf an. Er hatte schulterlange schwarze Locken, ge-nauso wie Mefirian. Seine Augen waren braun, glaube ich und er war groß und muskulös. Ich mochte ihn, aber jetzt war er mir unheimlich. Dann flogen wir wieder nach Hause zurück. Der Drachenritter schwieg und antwortete auf meine Fragen und die Versuche ein Ge-spräch in gang zu setzen nicht, also schwieg auch ich. Mir war übel vor Angst. Ich weiß nicht wie ich es be-schreiben soll, aber ich spürte, dass etwas Schlimmes geschehen würde. „Ich muss einmal kurz landen“, brach Verdan das Schweigen. „Warum?“, fragte ich nervös und sah ängstlich vor mich auf seinen Rücken. „Im Wald hat es Unruhen zwischen zwei Waldelfen gegeben. Das muss ich regeln.“ Er drehte sich zu mir um und machte ein so finsteres Gesicht, dass ich schlu-cken musste. Mehr als nicken konnte ich nicht. Wir setzten zur Landung an. Im Wald war es dämmrig und ich hatte gar nicht gemerkt, dass es langsam dunkel wurde. Himmel, wie schnell die Zeit doch vergangen war. „Warte hier auf mich. Ich komme gleich wieder“, sagte Verdan, streichelte seinen Drachen und ver-schwand zwischen den Bäumen. Ich sah ihm nach und trat unruhig von einem Bein aufs andere. Dieses Gefühl eines drohenden Unheils blieb und ich überlegte was Verdan vorhatte. Vielleicht steckte er mit Symra unter einer Decke und wollte uns nur in Sicherheit wägen? Vielleicht hatte sie ihn gebeten ihr zu helfen mich in die Falle zu locken? Aber er kannte mich doch nicht und sie ebenfalls! Und warum kam mir immer wieder Camilla in den Sinn? Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste fliehen, Hilfe holen, bevor Symra und Verdan ihren Plan in die Tat umsetzen konnten. Ich weiß, damals war ich völlig durcheinander und konnte nicht mehr klar denken. Es war die größte Dummheit meines Lebens. Inzwischen hatte sich die Nacht über den Himmel gesenkt und der Vollmond stand am Himmel. Ich warf Moira noch einen Blick zu, um sicherzugehen, dass der Drache mich nicht mit seinen Klauen packen und festhalten wollte, dann rannte ich los, in den Wald hinein und erhob mich dann in die Luft.

Siebzehn



Der Nachtwind wehte mir ins Gesicht und zauste mir das Haar, als ich schneller flog. Der Mond schien hell und teilnahmslos am Himmel und tauchte den schnee-bedeckten Wald in gespenstisches Weiß. Die Äste peitschten mir ins Gesicht, rissen an meinen Haaren und den Flügeln. Ich landete lautlos auf dem weichen schneebedeckten Waldboden. Geräuschlos schlich ich mich zwischen den Bäumen hindurch und kämpfte mich durchs Unterholz. Bald waren der Saum meines Kleides und meine Stiefel schneebedeckt und nass. Ich begann zu rennen und wurde immer schneller. Ich wusste nicht einmal wovor ich eigentlich flüchtete, hat-te nur dieses starke Gefühl, dass etwas Schlimmes ge-schehen würde. Die Umgebung raste an mir vorbei, als hinter mir plötzlich ein Knacken ertönte. Ohne mich umzudrehen rannte ich weiter und kam an einer steilen Böschung an. Über der Böschung hingen tief die Äste von zwei Bäumen und bildeten ein dichtes Netz. Keu-chend blieb ich stehen und lauschte angespannt. Eine Eule schrie und Vögel flatterten auf. Ich sah mich ge-hetzt um, aber es gab keinen Fluchtweg. Vor mir war mein Verfolger, hinter mir die Böschung. Links und rechts undurchdringliche Dornenranken. Schritte näher-ten sich, laut, unausweichlich. Ich hielt mein Goldarm-band fest umklammert und starrte auf den mondbe-schienen Schnee vor mir, wo noch meine Fußspuren zu sehen waren. Plötzlich tauchten hinter einem Baum zwei Gestalten auf. Die eine war groß und schlank, lan-ge blonde Haare lugten unter der Kapuze hervor. Sie hatte keine Flügel, ebenso die zweite Gestalt, die einen Nachtschwarzen Umhang trug. Die Haare waren nicht zu sehen. Langsam kamen die beiden Gestalten auf mich zu. Verzweifelt drehte ich mich um und sah das Astnetz an. Entweder da durch oder sich den beiden Verfolgern entgegenstellen... Die beiden standen jetzt fünf Fuß von mir entfernt und machten keine Anstalten weiterzugehen. Die größere schlug die Kapuze zurück und ich sah Symra. Mir blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen und als die zweite Person die Kapuze ab-streifte, kam darunter eine rot glänzende Lockenpracht zum Vorschein. „Camilla! Aber wie... die Dorfbewoh-ner...“, keuchte ich und wich einen Schritt zurück. „Ja, Eyrin so sieht man sich wieder. Du bist wohl doch nicht tot. Aber dieses Mal kannst du nicht entkommen.“ Ihr Lachen war das einer Wahnsinnigen und ich wich noch einen Schritt zurück. Noch ein Schritt und ich würde die Böschung hinunterfallen. „Nun, jetzt wird meine Schülerin ja beweisen können, was sie bei mir gelernt hat“, sagte Symra, stülpte die Kapuze wieder über und trat einen Schritt zurück. Camilla hob die Hand und plötzlich flammte eine Energiekugel knisternd in ihrer Hand. Mit einem siegessicheren Lächeln warf sie die Kugel auf mich. Bevor ich ausweichen oder einen Zauber wirken konnte, hatte sie mich auch schon getroffen. Die Kugel zersprang und kleine Flämmchen regneten auf mich hinab. Sie tanzten über meine Haut und kribbelten und brannten. Sie krochen meine Arme hinauf, über die Brust, den Hals. Meine Haare knisterten und Funken sprühten um meinen Körper. Ich spürte wie die Energie bis unter meine Haut kroch und dort weiterpulsierte. Allmählich wurde alles taub und ich konnte mich kaum noch bewegen. Es brannte unerträglich. Camilla lachte und holte etwas hinter ihrem Rücken hervor. Es war ein langer schwarzer Bogen. Sie spannte die Sehne und plötzlich erschien ein ebenfalls schwarzer Pfeil, der wie ein Ast aussah und aus dem Dornen wuchsen. Entsetzt wollte ich wegrennen, doch ich konnte mich nicht rühren. „Irimin!“, rief diese Hexe plötzlich und ließ den Pfeil von der Sehne los. Der Pfeil raste direkt auf mein Herz zu und es gab keine Möglichkeit zu fliehen. Mit großer Kraftanstrengung gelang es mir meine Muskeln zu spannen und mich nach hinter zu werfen, direkt auf die Astwand zu. Wenn sie nachgab würde ich nach unten stürzen und der Pfeil über mich hinwegfliegen. Doch meine Rechnung ging nicht auf. Das Astnetz hielt meinem Gewicht stand. Ich starrte den Pfeil an, der mich fast erreicht hatte als ich auf einmal ein Brennen in den Augen spürte. Meine Augen zuckten zu der Hand die das Armband umklammert hielt und ich sah, dass es golden glühte. Plötzlich bohrte sich der Pfeil in meine Hüfte, direkt neben die Hand, die das Armband hielt. Ein bohrender Schmerz ließ mich den Mund zu einem Schrei aufreißen. Meine Knie wurden weich wie Butter. Ich schrie und hörte Camillas und Symras irres Lachen. Die Wucht mit der der Pfeil mich getroffen hatte, hatte mich wuchtig zurückgeschleudert und dafür gesorgt, dass das Netz aus Ästen unter mir nachgab. Ich fiel und sah über mir die beiden Gestalten, die schweigend zusahen wie ich stürzte. Rasend schnell kullerte ich die Böschung hinunter, Steine und Äste bohrten sich in meinen Körper, zerkratzten mein Gesicht. Der Schmerz in meiner Hüfte war unerträglich. Ich hörte meine Schreie und das laute Bersten und Krachen wie durch Nebel. Dann landete ich mit einem dumpfen Schlag am Fuß der Böschung und lag still und mit geschlossenen Augen auf dem Bauch da. Mein Herz und mein Atem rasten, mir tat alles weh und kalter Schweiß stand auf meiner Stirn. Vorsichtig drehte ich mich auf den Rücken und setzte mich auf. Aus Tränenblinden Augen starrte ich auf den Dornenpfeil, der aus meiner Hüfte ragte und das Blut, das langsam auf den blütenweißen Schnee fiel. Mein grünes Kleid färbte sich rot. Der Pfeil ragte zur Hälfte aus meinem Fleisch und leuchtete im Mondlicht wie poliertes Ebenholz. Ich schluchzte, umklammerte den Pfeil und zog zaghaft daran. Er rührte sich kurz, der Schmerz explodierte brennend und die Dornen ver-hakten sich im Fleisch. Ich schrie so laut, dass Vögel erschreckt davon flatterten und meine Stimme von den Bäumen zurückgeworfen wurde. Ich fiel auf die Seite, in den kalten Schnee und wimmerte leise. Die Kälte kroch in meine tauben Glieder und ließ mich bibbern. Ich war furchtbar müde, hatte Schmerzen und fror. Ich wollte schlafen, tief und fest schlafen, die Schmerzen einfach vergessen. Nein, schlaf nicht ein!, schrie es in mir, doch meine Augen fielen immer wieder zu. Sprich einen Spruch, wirke einen Zauber! Ich riss die Augen auf und stemmte mich unendlich langsam hoch. Keuchend und schluchzend umfasste ich den Pfeil nochmals und konzentrierte mich. Auf einmal fing er an zu brennen. Die Hitze näherte sich meiner Haut unaufhaltsam, doch ich wollte den Pfeil bis kurz vor der Pfeilspitze abtrennen. Die Spitze und ein paar Dornen blieben noch im Fleisch stecken. Ich atmete flach und langsam, alles drohte schwarz zu werden. Der Zauber hatte mich viel Kraft gekostet, doch ich durfte auf keinen Fall einschlafen. Ich sammelte ein paar Zweige, schichtete sie übereinander und entflammte sie. Das kleine Feuer konnte mich kaum warm halten, aber es war irgendwie tröstlich. Mit einem Pfeil in der Hüfte und völlig entkräftet konnte ich nie im Leben zu Verdan fliegen. Warum hatte ich mich bloß weggeschlichen? Oh, wenn er mich nur finden würde! Warum hörten sie mich nicht? Ich musste an Mutter denken. Was sie wohl gerade machte? Sie saß wahrscheinlich sicher auf der Burg und machte sich schreckliche Sorgen um mich. Mir kamen wieder die Tränen. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und fuhr erschrocken herum, doch niemand war zu sehen. Wieder das Geräusch. Ein Ast wippte und als ich hinsah, saß dort eine schneeweiße Eule. Es war die Eule aus meinem letzten Traum! Das Tier legte den Kopf zur Seite und sah mich aus schwarzen kleinen Augen an. „Huh, huh!“, machte sie und sah mich weiter unverwandt an. „Wenn du mich nur verstehen könntest, dann würde ich dich bitten mir zu helfen“, sagte ich leise. Die Eule blinzelte noch einmal, hüpfte von ihrem Ast und landete neben mir. Mit großen Augen starrte ich sie an, dann breitete sich langsam ein schwaches Lächeln auf meinem Gesicht aus. „Liebe Eule, bitte fliege schnell zu Verdan und sage ihm, wo ich bin. Beeile dich!“ Der Vogel krächzte, erhob sich in die Luft und flog davon. Ich sah ihr nach, dann nahm ich eine Handvoll Schnee und presste sie auf meine Hüfte. Der Schmerz ebbte ein wenig ab und die Stelle wurde taub. Die Energieflämmchen waren gewichen und langsam verschwand die Taubheit. Nachdem der Schneeklumpen geschmolzen war, nahm ich einen neuen und kühlte mir damit das tränennasse Gesicht um nicht einzuschlafen. Ich versuchte wach zu bleiben und nachzudenken. Wie hatten Camilla und Symra mich gefunden? Und was hatten die beiden miteinander zu tun? Obwohl ich mir Schnee ins Gesicht rieb und mich in die Arme kniff, fielen mir immer wieder die Augen zu. Der Mond leuchtete auf mich hinab, beleuchtete die Blutstropfen im Schnee und das inzwischen erloschene Feuer. Beißend fraß sich die Kälte in meine Glieder, zähneklappernd lag ich im Schnee, alleine, müde, hungrig, frierend und vor Schmerz beinahe wahnsinnig. Ich gab den Kampf auf und fiel in einen tiefen Schlaf.

Achtzehn



Irgendwann hörte ich ein Krachen und Bersten, dann bebte die Erde und ein Schnaufen ertönte. „Eyrin!“, rief eine Stimme und ich erkannte sie nicht sofort. Erst als eine Person näher kam und sich neben mich kniete, öffnete ich die Augen und sah in Verdans entsetztes Gesicht. Sein Drache stand einige Schritte von mir ent-fernt und meine Freunde kletterten eilig von seinem Rücken. Sie rannten zu mir und fielen auf die Knie. „Um Himmels willen, was ist geschehen?“, fragte Mefirian erschüttert und nahm meine Hand. Lorena starrte entsetzt auf den Pfeilstummel, der aus meiner Hüfte ragte und blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen. Verdan zog seinen Umhang aus und wickelte mich fest darin ein. Dann hob er mich hoch und trug mich zu seinem Drachen. Das Tier hatte sich hingelegt und seinen Schwanz vor den Körper geschoben, damit sein Reiter wie auf einer Treppe auf den Rücken steigen konnte. Er setzte mich vorsichtig ganz vorne hin und Lorena rutschte hinter mich. Sie zog mich an sich, sodass ich gegen ihren warmen, schlanken Körper gelehnt dasaß und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Es wird alles gut Eyrin... alles wird gut“, murmelte sie leise. Verdan gab seinem Drachen einen Befehl und die Kreatur erhob sich in die Luft. Der Schmerz schoss sengend durch meine Hüfte, ich schrie und das Letzte was ich hörte, war der Ruf einer Eule...

Ich erwachte von einem heftigen Brennen in meiner Hüfte und riss die Augen auf und wollte hochfahren, doch jemand hielt mich sanft, aber bestimmt nach un-ten gedrückt. Kerzenschein stach mir in die Augen, ich schloss sie schnell wieder und stöhnte. Der Schmerz wich einem Pochen und als sich der Nebel vor meinen Augen lichtete, sah ich Verdan über mich gebeugt da-stehen, die blutige Pfeilspitze in den Händen. Angewi-dert warf er den Pfeil aus dem Fenster und kam dann zu mir zurück. Er lächelte schief und betrachtete dann mein bestimmt totenbleiches Gesicht und das blut-durchtränkte Kleid. Mir war übel und ich fühlte mich schwach wie ein Neugeborenes. Lorena stand neben dem Bett und hielt eine Schüssel mit Wasser und Ver-bandszeug bereit. Verdan schnitt ein Loch in das Kleid, dort wo es mit Blut verschmiert war und legte die Wun-de frei. Meine Freunde sogen scharf die Luft ein, als sie sie sahen und Verdan sah besorgt aus. „Ist... ist es schlimm?“, hauchte ich tonlos und starrte die Wunde an. Sie war etwa so groß wie zwei Finger nebeneinadergelegt und schwarz vor Blut. Die Haut drum herum war rot und geschwollen. Der junge Mann nahm einen Leinenstreifen und tauchte ihn in das Wasser. Dann wusch er behutsam die Wunde aus und tupfte dieses scharf riechende Desinfektionszeug drauf. Zuerst kribbelte es, dann brannte es wie Feuer. Ich stöhnte und biss die Zähne zusammen. Das war nichts im Vergleich zu den Schmerzen die ich vorhin gehabt hatte. In meinen Ohren rauschte es und deshalb hörte ich Verdans Worte nur undeutlich: „Halte durch Mäd-chen, gleich ist es geschafft!“ Er bestrich meine Hüfte dick mit Salbe und legte dann einen Verband um. „Zum Glück muss die Wunde nicht genäht werden. Wenn sie sich nicht entzündet, wirst du in ein paar Wochen wieder gesund sein.“ „Was? In ein paar Wochen?“, rief ich, fuhr hoch und fiel mit einem unterdrückten Schrei wieder in die Kissen zurück. „Nicht Eyrin, bleib ruhig liegen“, sagte Mefirian, der meine Schultern sanft hielt und besorgt auf mich heruntersah. „Du kannst mich wieder loslassen“, sagte ich leise keuchend. Er nickte, ließ meine Schultern los und legte mir stattdessen ein feuchtes Tuch auf die Stirn. „Meine Güte sind das viele Kratzer und Beulen!“, bemerkte Verdan, nachdem er mein Kleid weiter aufgeschnitten hatte. Es war schon alt und abgetragen und es tat mir nicht leid darum. Er untersuchte meine Beine und meine Arme, meinen Oberkörper nicht, denn da hatte ich zum Glück nichts abbekommen. „Ich bin eine Böschung heruntergefallen“, erwiderte ich und schloss die Augen. „Und dann wurdest du von dem Pfeil getroffen?“, vermutete Verdan. Ich schüttelte leicht den Kopf. „Ich bin mit dem Pfeil in der Hüfte die Böschung heruntergekullert.“ Er gab einen verblüfften Laut von sich und fragte dann: „Wer hat auf dich geschossen?“ „Camilla... nachdem sie mich mit einem Lähmungszauber belegt hatte... und Symra war auch dabei“, antwortete ich leise und wollte nur noch schla-fen. „Eyrin, warum bist du überhaupt weggelaufen?“ Ich öffnete mühevoll die Augen und sah in Verdans trauriges Gesicht. „Ich... ich hatte so eine Ahnung, dass etwas schlimmes passieren würde“, stammelte ich und wurde rot. „Und du hast geglaubt ich wäre die Gefahr?“ Er schüttelte traurig und ungläubig den Kopf und sah auf mich hinab, wie auf ein unartiges Kind. „Du hättest bei Moira bleiben sollen. Sie hätte dich gegen Symra geschützt!“ „Ja, ich weiß, es war sehr dumm von mir“, flüsterte ich und Tränen der Scham stiegen mir in die Augen. Wie konnte ich nur so dumm sein! er hatte ja recht, bei Moira wäre ich sicher gewesen und wie kam ich dazu Verdan zu verdächtigen? Er steckte doch nicht mit Symra und Camilla unter einer Decke! „Wer ist überhaupt diese Camilla und was hat sie mit Symra zu schaffen?“, wunderte der Drachenritter sich und riss mein Kleid ganz in Fetzen, es war sowieso schon kaputt und nicht mehr zu gebrauchen Jetzt lag ich nur noch im Unterkleid da und schämte mich schrecklich. Verdan schien meine Verlegenheit zu bemerken und sagte freundlich: „Keine Sorge Eyrin, ich habe schon vielen jungen Mädchen und Frauen geholfen. Du brauchst dich nicht zu schämen.“ Ich brummte etwas Unver-ständliches und starrte an die Decke. Der Ritter lachte leise und zog mir mit Lorenas Hilfe ein weißes Hemd über, das mir bis zu den Knien reichte. Dann deckte er mich zu und wechselte den Umschlag auf meiner Stirn, während Mefirian und Lorena ihm von Camilla und allem was vor einigen Wochen geschehen war, erzählten. Er hörte schweigend zu, kochte mir Tee und unterbrach meine Freunde nicht. Als sie zu ende erzählt hatten meinte er nachdenklich: „Dieses Mäd-chen scheint mir eine gute Hexe zu sein. Damit meine ich ihre Fähigkeiten und nicht ihr Wesen, denn das ist bestimmt nicht gut!“ „Ja, sie hat so ein seltsames Wort gerufen... Irimin, glaube ich“, meldete ich mich zu Wort. „Irimin?“, wiederholte Verdan und klang verwundert. Ich öffnete noch einmal die Augen, die mir zugefallen waren und sah, dass er bleich geworden war. „Was ist?“, fragte ich beunruhigt. „Woher kennt Camilla diesen Begriff? Das ist die alte Hexensprache und die wird nur hier von den Hexen gesprochen.“ „Ich glaube Camilla ist Symras Schülerin“, mischte sich Mefirian ein. „Ja, das erklärt warum Symra euch angegriffen hat und wusste wo ihr wart. Aber Camilla hat euch nach dem Schneesturm doch bestimmt aus den Augen verloren. Wie konnte sie euch dann finden?“ Wir drei zuckten ratlos die Schultern. „Die beiden geben ein gefährliches Gespann ab. Ich muss die Wald und Dorfbewohner warnen“, murmelte Verdan und sah nachdenklich drein. Dann kehrte er wieder in die Gegenwart zurück und betrachtete mich. „Ihr solltet jetzt schlafen. Ich passe auf, ob Symra oder Camilla hier auftauchen.“ Er erhob sich und verließ das Haus. „Tut es sehr weh?“, fragte Lorena und setzte sich neben mich. „Nein, es pocht und brennt nur“, murmelte ich schläfrig. Zum dritten Mal fielen mir die Augen zu und ich hatte keine Kraft mehr sie zu öffnen. „Schlafe Eyrin... du wirst ihn brauchen“, härte ich noch die Stimme meiner Freundin, ehe ich einschlief.

Das dumpfe Pochen weckte mich und ließ mich leise stöhnen. Blinzelnd sah ich mich um und erinnerte mich wieder an die gestrige Nacht. Ich stöhnte noch einmal und schloss die Augen. Was für eine grässliche Nacht! Als ich die Augen wieder öffnete, war es wieder dunkel. Behutsam richtete ich mich auf und entdeckte meine Freunde die am Tisch saßen und sich leise unterhielten. Von Verdan war nichts zu sehen. „Wo ist Verdan?“, fragte ich schläfrig und strich mir die Haare aus dem Gesicht. „Ah, du bist wach. Er ist noch im Wald um die Bewohner zu warnen. Iss erst einmal die warme Suppe“, antwortete Lorena, stand auf und ging in die Küche. Kurz darauf kam sie mit einer Schale mit herrlich duftender Suppe wieder. Plötzlich bemerkte ich wie hungrig ich war und aß gleich drei Schalen davon. Lorena freute sich, dass es mir besser ging und setzte sich zu mir. „Was ist denn mit Mefirian?“, wollte ich von ihr wissen, als er nicht zu uns kam und mich auch nicht begrüßte. „Er sitzt schon den ganzen Tag da und sieht aus dem Fenster. Ich glaube er macht sich Sorgen um Verdan, glaubt ihm sei etwas geschehen. Aber ich den-ke, er kann sehr gut auf sich selbst aufpassen und mir Symra wird er allemal fertig!“ Doch auch sie sah nun besorgt aus dem Fenster. Wir beide versuchten uns gegenseitig abzulenken. Nach einer Weile kam Mefirian zu uns. Er sah bleich aus und blickte besorgt drein. „Verdan hat gesagt, der Verband müsste täglich gewechselt werden.“ „Ich mache das schon. Halt du weiter nach Verdan ausschau“, sagte Lorena freundlich, er nickte und setzte sich wieder an den Tisch. Lorena wechselte den Verband, nachdem sie die Wunde noch einmal mit Salbe bestrichen hatte und brachte mir Tee. Es war späte Nacht, doch keiner von uns wollte schlafen. Dazu waren wir viel zu besorgt und aufgeregt. Wann kam Verdan denn endlich wieder? Brauchte er so lange um den Wald und die Ebene zu inspizieren? Oder war ihm womöglich doch etwas zugestoßen? Ich weiß nicht, wie lange wir so dagesessen hatten, als Mefirian plötzlich heftig zusammenzuckte und mit einem Stöhnen zusammensackte. Lorena wurde bleich, sprang auf und packte ihn an beiden Armen, ehe er von Stuhl fallen konnte. „Mefirian, was ist denn los? Tut deine Schulter weh?“ Als sie keine Antwort bekam, schüttelte sie unseren Freund leicht. „Hörst du mich? Antworte doch!“, rief sie den Tränen nahe. „Was ist denn los?“, fragte ich ängstlich und sah Lorena furchtsam an. „Ich weiß nicht... er ist glaube ich bewusstlos...“, schluchzte sie und dann ging plötzlich die Tür auf. Eiskalte Nacht-luft fauchte herein und ließ mich vor Kälte erschauern. Verdan trat ein, sein Schwert in den Hand, welches vol-ler Eissplitter und Blut war und mit grimmigem Gesicht. Als er Lorena sah, die weinend auf dem Boden kniete und den zusammengesackten Mefirian festhielt, wan-delte sich sein Gesichtsausdruck von Wut in Besorgnis. Er steckte sein Schwert in die Scheide zurück, war mit zwei langen Schritten bei Lorena und fragte sie was los sei. „Ich weiß nicht! Er hat plötzlich gestöhnt und ist bewusstlos geworden“, schluchzte sie und warf sich dem Drachenritte an die Brust. Er streichelte tröstend ihren Rücken und murmelte: „Alles wird gut, ich bin ja da!“ Nachdem meine Freundin sich beruhigt hatte und zu mir gekommen war, untersuchte Verdan Mefirian. Er lauschte auf seinen Herzschlag und den Atem, fühlte den Puls und sah sich die verletzte Schulter an. Ich zuckte zusammen als ich sie sah. Die langen, tiefen Kratzer schimmerten Blau und waren mit einer Eis-schicht überzogen. Das Eis zog sich bis zum Arm herun-ter. „Wa... was ist das?“, fragte ich mit zitternder Stim-me und umklammerte Lorenas Hand. „Das muss ein Zauber sein... oder die Auswirkungen der Wunde ma-chen sich erst jetzt bemerkbar“, antwortete der Dra-chenritter und hob Mefirian auf. Ich wollte ihm das Bet überlassen, doch er schüttelte entschieden den Kopf. „Nein Eyrin, du musst liegen bleiben, bis deine Wund verheilt ist. Lorena kannst du mir bitte helfen?“ er gab ihr Anweisungen ein Strohbett zu errichten und erklärte ihr, wo sie alles finden würde was sie benötigte. Dann legte er Mefirian auf das fertige Lager und saß erst einmal ratlos neben dem Jungen. Noch immer bedeckte das Eis Arm und Schulter und wollte einfach nicht verschwinden. Verdan versuchte das Eis mit Hitze und heißen Umschlägen zu schmelzen, doch es klappte nicht. Dann murmelte er einige Sprüche in einer fremdem Sprache, in der er auch zu Moira sprach. Nichts tat sich. Mefirian wachte nicht auf und das Eis verschwand auch nicht. Allmählich verlor Verdan die Geduld. Er versuchte noch einen letzten Zauber, der länger als die anderen ausfiel Er murmelte Worte und wiederholte sie immer wieder in einem seltsamen Singsang. Nach einer Weile begann das Eis langsam zu Schmelzen und das blaue Glühen wich. Danach sah Verdan erschöpft aus, versorgte Mefirian und mich jedoch weiter unermüdlich und geduldig. Lorena half ihm so gut sie konnte und bei Morgengrauen fielen wir alle in einen erschöpften Schlaf. Noch immer wusste ich nicht, warum Verdan mit so einem grimmigen Gesicht zurückgekommen war und wo er eigentlich so lange geblieben war.
Neunzehn



Am nächsten Tag waren wir alle sehr schweigsam und redeten nur das Nötigste. Mir war furchtbar langweilig, die ganze Zeit im Bett zu liegen gefiel mir nicht, aber ich durfte ja nicht aufstehen. Die Wunde schmerzte noch immer bei jeder Bewegung, aber wenigstens nicht mehr so schlimm. Jetzt musste Verdan sich um mich und Mefirian kümmern, der noch immer bewusstlos war. Wir machten uns Sorgen. Aber das Eis und das blaue Glühen kehrten zu unserer Erleichterung nicht zurück, und das war auch die einzige erfreuliche Nachricht. Gegen Mittag schaffte Lorena es schließlich etwas aus Verdan herauszubekommen. „Warum warst du gestern so lange weg?“, wollte sie wissen und sah ihn mit ihren großen braunen Augen bittend an. Er schwankte kurz, dann seufzte er und erwiderte: „Jemand hat die Häuser der Wald- und Ebenenbewohner zerstört. Ich musste ihnen helfen neue Quartiere zu finden. Dann haben uns plötzlich Eisvögel angegriffen und ich musste sie beschützen. Drei Mal darfst du raten wer dahinter steckt.“ „Symra?“ „Genau! So langsam geht sie mir auf die Nerven! Ich dachte ich hätte ihr schon genug Lektionen erteilt!“, knurrte der Drachenritter missmutig. „Es ist alles meine Schuld, tut mir leid“, murmelte ich und starrte auf die Decke hinab. Ich hatte die Bewohner des Waldes und der Ebene in Gefahr gebracht. Aus irgendeinem Grund wollten Camilla und Symra mich töten und jetzt versuchten sie Verdan dazu zu bringen mich an sie auszuliefern. Aber wie ich ihn einschätzte würde er das nicht tun, sondern versuchen eine andere Lösung zu finden. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken welche das sein könnte. „Was? Warum, das ist doch nicht dei-ne Schuld“, sagte er leicht verwirrt. „Doch. Camilla will mich. Wir haben dir ja erzählt, dass sie schon einmal versucht hat mich zu töten. Und jetzt versucht sie dich zu erpressen damit du mich ihnen übergibst...“, erklärte ich leise und verstummte dann. Ich hatte Angst, furcht-bare Angst. Den Anschlag mit dem Pfeil hatte ich gera-de noch so überlebt, aber was jetzt kommen würde... Ein Schluchzen stieg meine Kehle hoch und ließ sich nicht unterdrücken. Verdan sah mich mitleidig an, kam zu mir und nahm mich in die Arme. „Keine Angst Eyrin. Ich werde dich und deine Freunde beschützen!“ Es tat gut seinen warmen, starken Körper zu fühlen und die tröstenden Worte zu hören, dennoch protestierte ich: „Nein, das darfst du nicht! Sie werden noch mehr schreckliche Dinge tun um an mich heranzukommen. Ich weiß ja auch nicht was sie von mir wollen, aber ich will dich und Moira nicht in Gefahr bringen!“ „Wenn sie es noch einmal wagen sollten den Elfen hier oder euch etwas anzutun sollen sie mein Schwert und meine Ma-gie zu spüren bekommen!“, sagte er entschlossen und ließ mich los. Ich blinzelte die Tränen weg und lächelte schwach. Verdan lächelte erleichtert zurück und ent-gegnete: „Schon besser! Und jetzt sieh erst einmal zu, dass du schnell wieder auf die Beine kommst, dann sehen wir weiter. Mach dir keine Sorgen.“ Ich nickte, richtete mich dann auf und drückte ihm einen Dankes-kuss auf die Wange. Er sah richtig verblüfft aus, lachte dann etwas gezwungen und verschwand dann in der Küche. Lorena sah mich entgeistert an, als hätte ich gerade das Königspaar verraten. „Was war das denn eben?“, wollte sie wissen und sah die Küchentür an, als könne Verdan uns hören. „Was wohl? Ich wollte ihm nur danken!“, schnappte ich beleidigt und verlegen zurück. Warum tat sie so als hätte ich etwas furchtbar schlimmes getan? War es etwa verboten einem lieben Mann einen Kuss auf die Wange zu geben? Sie schwieg und wirkte ebenfalls verlegen. „Ich gehe nach Mefirian sehen“, entschuldigte sie sich hastig und lief in eine Ecke des Zimmers, wo das Strohlager lag. Ich lehnte mich in die Kissen zurück, meine Hüfte schmerzte. Das war wohl doch zu anstrengend gewesen. Ich konnte froh sein, dass ich kein Wundfie-ber hatte. Ich schloss die Augen. Bilder huschten vor meinem geistigen Auge an mir vorbei. Camilla, die mit dem Pfeil auf mich Schoss. Verdans enttäuschtes Gesicht, der bewusstlose Mefirian, Symra die triumphierend lächelnd auf ihrem Eisvogel saß und meine Mutter... Arlene. Ich vermisste die beiden so schrecklich und Vater auch, den wir schon lange nicht mehr gesehen hatten. Wo war er nur? Im Winter hatte er viel zu tun, weil viele Fieber oder Erkältungen bekamen, aber er wusste doch über die Wanderung zum Schloss bescheid? Mutter hatte ihm bestimmt bescheid gegeben. Wie es ihnen wohl ging? Wahr-scheinlich machten sie sich Sorgen. Warum musste Camilla mich weiter verfolgen und warum war sie Sym-ras Schülerin? Die beiden konnten sich noch nicht lan-ge kennen, und beide wollten mich aus dem Weg räu-men. Aber warum! Bei Camilla verstand ich es ja noch, sie wollte Rache, aber Symra? Betrachtete sie das alles als Spaß, wollte sie ihrer Schülerin helfen eine uner-wünschte Konkurrentin zu beseitigen, oder steckte mehr dahinter? Aber je mehr ich mir den Kopf zerbrach, desto weniger Antworten fand ich. Die konnten mir doch nur die beiden Hexen oder Verdan beantworten, wenn er überhaupt etwas wusste. Jetzt musste ich Wochen hier verharren und brachte Verdan in Gefahr. Ich und meine Freunde schwebten in Lebensgefahr und der Drachenritter auch. So viele Geheimnisse umgaben ihn und er wollte sie anscheinend nicht lüften. Warum war ich nur so leichtsinnig gewesen! Ich hätte doch bei Moira bleiben können, aber da war dieses lähmende Gefühl von Angst und Gefahr gewesen, dass mich meinen Verstand verlieren ließ. Jetzt kam es mir dumm vor, wegen einem Gefühl sein Leben in Gefahr zu bringen. Zum Glück war die Eule da gewesen und hatte schnell Hilfe geholt. War es wirklich die aus meinem Traum oder nur eine andere, gewöhnliche gewesen? Aber eine gewöhnliche Eule hätte mich ja kaum verstanden, oder? Vielleicht hatte sie jemand geschickt (aber wer?) oder sie war einfach zufällig aufgetaucht (sehr unwahrscheinlich) aber mög-lich war es. Rätsel über Rätsel, doch im Moment war ich zu müde um sie zu lüften oder mich zumindest mit ihnen zu beschäftigen. Ich fiel in einen tiefen Dämmerzustand zwischen schlafen und wachsein. Ich hörte ein paar Mal wie Verdan und Lorena miteinander redeten, dann spürte ich, wie meine Freundin mir den Verband wechselte und mir Tee einflößte. Dann schlief ich ein, wachte kurze Zeit später wieder auf, aß Suppe und schlief wieder ein. So ging das ein paar Mal, dann war ich nicht mehr müde und hatte außerdem keine Lust mehr zu schlafen. Vorsichtig richtete ich mich auf und merkte, dass die Wunde weniger schmerzte. Langsam wurde es besser. Verdan, der mit Lorena am Tisch saß, sah, dass ich wach war und lächelte mir zu. „Schön, dass du wach bist. Du hast zwei ganze Tage geschlafen.“ „Waaas?“, rief ich ungläubig. Er nickte und grinste mich an. Zwei ganze Tage! „Die Wunde heilt gut. Nur noch zwei Wochen, dann ist sie vollkommen verheilt“, fügte er hinzu. „Zwei Wochen?“, stöhnte ich, „dabei langweile ich mich jetzt schon fast zu Tode!“ „Na dann solltest du schnell gesund werden“, schmunzelte der Ritter und lachte leise. „Wie geht es Mefirian?“, fragte ich bange. Ich hatte ihn ganz vergessen. Dafür schämte ich mich, schließlich war ich schon seit Kindertagen mit ihm befreundet. „Besser. Er hatte ein wenig Fieber, doch das ist schnell gesunken. Er schläft jetzt. Ihr beiden brecht ja bald noch einen Rekord im Dauerschlafen!“, lachte Verdan und Lorena kicherte. Ich musste auch lachen und fühlte mich fast schon wieder gut.

Zwanzig



Die Tage vergingen meist eintönig und langweilig. Ver-dan bemühte sich uns mit Witzen und Gesprächen zu unterhalten und wir mochten den jungen Mann immer mehr. Er kümmerte sich weiterhin um mich und Mefi-rian, dem es inzwischen besser ging, und flog immer die Ebene und den Wald ab um nachzusehen ob alles in Ordnung war. Symra ließ sich nicht blicken, worüber ich sehr erleichtert war und begann allmählich zu glauben, sie und Camilla wollten endlich von mir ablas-sen. Noch immer wusste ich nicht, was die beiden ei-gentlich von mir gewollt hatten und warum sie versucht hatten mich zu töten. Aber jetzt war es auch egal. Hauptsache ich lebte noch und meinen Freunden ging es gut. Wenn ich bald wieder gesund war, mussten wir schleunigst unseren Familien in die Elfenburg folgen, bevor der Frühling kam, denn dann würden sie wieder nach Hause zurückkehren und wir würden sie verlieren. Verdan half den Waldbewohnern ihre Häuser wieder aufzubauen und die Spuren der Zerstörung zu beseiti-gen, für die Symra verantwortlich war. Er blieb oft stun-denlang weg und kam dann erschöpft nach Hause, doch immer fand er die Zeit uns zu trösten, uns Mut zu machen oder uns zum Lachen zu bringen. Lorena ging oft zu Moira und überwand bald ihre Angst vor dem Drachen. Noch immer wussten wir nicht besonders viel über Verdan, aber wenn er uns nichts erzählen wollte, wollten wir ihn nicht dazu zwingen. Er fragte uns ja auch nicht weiter nach unserer Vergangenheit. Eines Abends waren wir wieder alleine, weil Verdan wieder einmal bei den Aufräumarbeiten helfen wollte. Lorena, Mefirian und ich saßen um die Feuerstelle herum, ein warmes Feuer wärmte uns. Es hatte leicht angefangen zu schneien. Ich war zum ersten Mal seit einer Woche aufgestanden und war noch etwas wackelig auf den Beinen, aber ich war froh wenigstens für kurze Zeit dem Bett entrinnen zu können. Ich hielt es einfach nicht mehr aus, einfach nur brav im Bett zu liegen und mich zu langweilen. Ich hatte Heimweh und vermisste Mama und Arlene. Hoffentlich ging es ihnen gut und sie mach-ten sich keine zu großen Sorgen um mich. Schweigend saßen wir am Feuer, jeder eine Tasse Tee in der Hand und hingen unseren Gedanken nach. Plötzlich hörten wir ein lautes Klirren, wie von Glasscherben die auf den Boden fallen, das immer näher kam. Was konnte das sein? Vielleicht einfach nur Hagel, oder Eiskristalle die irgendwo dagegen prallten. Wir waren nicht weiter be-unruhigt, bis wir ein lautes Krächzen hörten. Mefirian, Lorena und ich zuckten gleichzeitig erschrocken zu-sammen, denn dieses Krächzen kam uns sehr bekannt vor. Und es war uns noch in guter Erinnerung im Ge-dächtnis geblieben. Wir warfen uns beunruhigte und panische Blicke zu, dann erhoben wir uns vorsichtig. Etwas prallte gegen die Tür und gleich wichen wir bis an die Wand zurück. Noch einmal krachte etwas gegen die Tür, die aber glücklicherweise nicht nachgab. „Was ist das?“, flüsterte Lorena uns zu. Ich zuckte die Schultern und Mefirian hatte auch keinen Schimmer, was da die ganze Zeit gegen die Tür prallte. Der Eisvogel von Symra konnte es nicht sein, denn unter seinem Gewicht hätte die Tür sofort nachgegeben. Wir blieben weiterhin wie angewurzelt an die Wand gepresst stehen und wagten kaum zu atmen. „Ich weiß, dass ihr da drinnen seid! Die kleine Mottenelfe muss einfach nur rauskommen, dann lasse ich euch in Frieden! Ich verspreche es euch!“, hörten wir Symras Stimme, bei der es mich kalt überlief. Wütend schrie ich: „Deine Versprechungen kannst du dir sonst wohin stecken!“ Darauf krachte noch etwas gegen die Tür, die bedenklich ächzte. Oh, Verdan, wo bist du nur?, flehte ich im Stillen und sah immer wieder durch das Fenster in die Nacht hinaus, als könne der Drachenritter jeden Moment auftauchen und uns retten. „Ihr habt es nicht anders gewollt!“, rief Symra wütend und dann prallte tatsächlich der riesige Eisvogel gegen die Holztür, so-dass sie in tausende Holzsplitter zerbarst und uns mit feinem Sägemehl bedeckte. Eiskristalle stachen uns in die Haut und rannen nass herunter. Der grässliche Eis-vogel streckte seinen gewaltigen Schnabel durch die viel zu kleine Türöffnung und riss ihn drohend auf. Ich klammerte mich ängstlich an meine Freunde, weil ich Angst hatte und noch zu schwach war um lange stehen zu können. Der Vogel schob seinen Schnabel immer weiter durch die Türöffnung, das Holz splitterte ab. Symra knurrte ärgerlich und sprang anscheinend unge-duldig vom Rücken des Biestes, denn wir hörten, wie sie auf dem Schnee aufkam. Dann knirschten ihre Schritte näher und die Hexe stand im Raum, nachdem ihre Kreatur den Schnabel wieder herausgezogen und dabei noch eine größere Zerstörung hinterlassen hatte. „Habt ihr noch ein paar letzte Worte zu sagen?“, fragte sie, wenig interessiert, eher gelangweilt und erwartete offensichtlich auch keine Antwort. Bevor sie wieder sprechen konnte, hörten wir ein wütendes Brüllen, dass das Haus erbebte. Moira. Verdan war gekommen! Vor Erleichterung hätte ich beinahe geweint. „Symra! Kom-me raus und stelle dich mir! Wenn du das Mädchen willst, musst du dich erst mir stellen!“, rief der Drachen-ritter und zog anscheinend sein Schwert, denn wir hör-ten das Metallische Scheppern. Symra lächelte boshaft, warf mir noch einen mordlustigen Blick zu und drehte sich dann um. „Wie edel von dir Drachenritter, alter Feind! Aber du wirst dem Mädchen auch nichts nützen, sie gehört mir!“ „Das werden wir ja sehen!“ „Rufe erst einmal deine Bestie zurück“, befahl Verdan der Hexe dann. Sie schnaubte, schien aber zu gehorchen. „Und du rufe deinen Drachen zurück!“ Verdan fluchte und wir hörten wie Moira sich beunruhigt schnaubend von ihrem Herrn entfernte. Schnell rannten wir ans Fenster, von dem aus wir einen guten Blick auf das Geschehen draußen hatten. In etwa dreißig Schritt Entfernung standen Verdan und Symra sich gegenüber, ihre Begleiter ein paar Meter weiter entfernt, die den jeweiligen Feind misstrauisch beäugten. Verdan stand mit erhobenem Schwert da, die Muskeln angespannt und seine Gegnerin nicht aus den Augen lassend. Symra hatte ebenfalls ein leichtes, kristallenes Schwert gezogen, dass von weißen Nebelschwaden umschlängelt wurde und nicht sehr stabil aussah. Sie hatte doch keine Chance! Aber ich vergaß, dass sie eine hinterhältige Hexe war. „Fangen wir an!“, rief sie und stürmte auch schon mit erhobenem Schwert auf Verdan zu, der ihr ebenfalls entgegenkam. Dann prallten die beiden Schwerter mit ohrenbetäubendem Geklirr gegeneinander. Die Klingen hatten sich gekreuzt und die beiden Kontrahenten stießen das Schwert des jeweils anderen mit aller Kraft weg. Sie wichen wieder ein wenig zurück und stürzten sich dann erneut aufeinander. Wieder kreuzten sich die Klingen, doch dieses Mal stieß Symra sich blitzschnell aus der Reichweite von Verdans Schwert und führte innerhalb eines Wimpernschlages einen Schlag gegen Verdans Beine aus. Er reagierte blitzschnell und seine Klinge traf auf die gegnerische, bevor sie ihm die Beine abschneiden konnte. Sofort riss Symra ihre Waffe wieder hoch und stieß nach der Brust des Drachenritters, der auch diesen Schlag abblocken konnte. So ging es weiter, blitzschnell, unermüdlich, unerbittlich... das Geklirr verschmolz zu einem einzigen anhaltenden Geräusch und bald sah ich nicht mehr wer der Gute und wer der Böse war. Symra war ihrem Gegner in nichts unterlegen und das machte mir Sorgen. Ich hatte mich von ihrer Gestalt und ihrem Schwert täuschen lassen. Plötzlich begann die Frau ungerecht zu spielen. Sie sprang in die Luft und breitete dann auf einmal Flügel aus. Woher sie die hatte, wusste ich nicht. Sie stürzte auf Verdan herab, so schnell, dass er nicht mehr ausweichen konnte. Die Hexe prallte mit voller Wucht gegen ihn, riss ihn zu Boden und noch bevor er auf dem Rücken aufschlug, hob sie ihr Schwert um es ihm mit aller Kraft ins Herz zu stoßen. Verdan jedoch richtete seien Handflächen auf die junge Frau, rief ein paar Worte und dann fegte eine unsichtbare Druckwelle seine Feindin von seiner Brust. Symra flog einige Meter durch die Luft, bevor sie ihren Flug abbremste und geschmeidig wie eine Katze landete. Wieder traf Klinge auf Klinge und vor lauter Spannung hielt ich es nicht mehr aus und umklammerte die Hände meiner Freunde so fest, wie sie auch meine umklammerten. Es schien so, als würden die beiden Gegner nie müde werden und keiner von beiden eine Schwäche des anderen ausnutzen können. Es gelang Verdan plötzlich Symra das Schwert aus der Hand zu schlagen, was sie ebenso verblüffte wie uns. „Es ist noch nicht vorbei, darauf kannst du dich verlassen! Ich bekomme dieses Mädchen!“, zischte sie und flog schnell zu ihrem Eisvogel, der sogleich in die Luft abhob. „Das werden wir ja noch sehen!“, rief Verdan ihr hinterher. Moira trottete zu ihrem Herrn und legte sich schützend neben ihm nieder. Verdan rammte sein Schwert in den harten Schnee und stützte sich schwankend darauf. Er lehnte die Stirn gegen den Knauf und sein schneller Atem stieg in weißen Wölkchen auf. Uns hielt nun nichts mehr. Wir eilten so schnell wir konnten zu Verdan, was wegen meiner Verletzung nicht so gut ging und blieben neben ihm stehen. Er sah auf, als wir neben ihm auftauchten, richtete sich wieder auf und riss das Schwert aus der Erde. Er steckte es wieder in die Scheide zurück und gab Moira ein Zeichen sich hinter dem Haus hinzu-legen. Der Drache gehorchte widerstandslos und leckte ihrem Herrn noch einmal die Hand. „Lasst uns wieder reingehen“, seufzte der Drachenritter erschöpft und schwankte mehr als, dass er ging, ins Haus. Offenbar war es ihm gleichgültig, dass die Tür herausgerissen und in tausend Teile zersprungen war. Er ließ sich ein-fach auf das einzige Bett plumpsen, wo er keuchend liegen blieb. Dann schien ihm offenbar einzufallen, dass ich ja immer noch verletzt war und murmelte: „Ach ja, Eyrin. Du musst sofort wieder ins Bett!“ Er wollte sich aufrichten, doch ich schüttelte entschieden den Kopf und widersprach: „Nein, du brauchst Ruhe, und es geht mir schon besser. Ich schlafe heute bei meinen Freun-den!“ Er protestierte nicht und gemeinsam zogen ich und meine Freunde ihm den Schwertgurt und die Stiefel aus, versorgten seine kleinen Wunden und deckten ihn zu. Verdan schlief sofort ein.

Einundzwanzig



Die zwei Wochen, die es dauerte bis meine Pfeilwunde verheilt war, vergingen manchmal eintönig und langweilig und manchmal waren sie voller Anspannung. Jeden Abend warteten wir darauf, dass Symra erneut durch die Tür brechen und uns angreifen würde. Apropos Tür: Die hatten Verdan und Mefirian wieder zusammengeflickt, mithilfe von Magie und ein paar Werkzeugen. An dem Abend, an dem Symra und der Drachenritter den Schwertkampf ausgetragen hatten, war Verdan so erschöpft gewesen, dass er den ganzen Tag verschlief. Wir wagten es nicht ihn zu wecken und kümmerten uns selbst um das Frühstück und das Haus. Ich konnte jetzt immer besser laufen, ich humpelte nur noch ein wenig und Schmerzen hatte ich keine mehr. Ich war sehr erleichtert, dass die ganze Sache noch gut ausgegangen war. Jetzt wollte ich nur noch meine Familie finden und den Winter in der Burg verbringen, doch dazu müssten wir erst einmal die Burg finden... und wir wussten noch nicht einmal in welcher Richtung sie lag. „Ich finde wir sollten Verdan die Wahrheit über uns sagen. Die Lügengeschichten die wir ihm am Anfang aufgetischt haben, fliegen bestimmt sowieso irgendwann auf. Da können wir es auch gleich hinter uns bringen!“, flüsterte ich meinen Freunden zu. Meine Wunde war geheilt und nichts sprach dagegen aufzubrechen. Es tat uns schon leid Verdan zu verlassen, denn in den wenigen Wochen die wir mit ihm zusammengelebt haben, war er uns richtig ans Herz gewachsen. Aber anlügen wollte ich ihn auch nicht. „Also, gut. Jetzt gleich?“, seufzte Mefirian. Ich nickte entschlossen, erhob mich und winkte meine Freunde, die noch zögerten, heran. Verdan saß am Tisch und schärfte sein Schwert. Das schleifende Geräusch verursachte mir eine Gänsehaut, trotzdem trat ich auf ihn zu. Verdan hob den Kopf, lächelte mich an und fragte: „Was gibt es Eyrin?“ Ich schluckte und atmete tief durch, ehe ich herausplatzte: „Verdan... wir waren nicht ehrlich zu dir...“ Mir versagte die Stimme, ängstlich beobachtete ich sein Gesicht, doch es zeigte keine Regung. „Also... also... wir sind nicht von zu Hause weggelaufen und wir wollten in der Burg auch keine Arbeit suchen... die Wahrheit ist, dass wir durch einen Schneesturm von unseren Familien getrennt wurden und zur Burg wollen um dort den Winter zu verbringen. Es tut uns leid, dass wir dich angelogen haben... aber...“ unsicher brach ich ab. „Aber ihr wusstet nicht ob ihr mir vertrauen könnt“, beendete der Drachenritter meinen Satz und ich hörte keine Wut oder Verärgerung in seiner Stimme. Nur Verständnis und Freundlichkeit. „Keine Sorge. In den heutigen Zeiten muss man vorsichtig sein und kann beinahe nieman-dem trauen. Ihr wollt also zur Burg bevor der Winter vorbei ist? Ich denke das lässt sich einrichten!“ „Nur... wir wissen gar nicht, wo die Burg liegt“, meldete Lorena sich zu Wort. Verdan zog eine Augenbraue hoch und ich erklärte ihm schnell warum. „Ach so ist das. Dann werde ich euch morgen hinbringen.“ Erleichterung und Freude durchströmten mich. Endlich würden wir unsere Familien wiedersehen und in der sicheren Burg wohnen! „Warum brechen wir nicht heute auf?“, fragte ich und Verdan lachte gutmütig über meinen enttäuschten Gesichtsausdruck. „Na wir müssen doch noch Proviant und warme Kleidung einpacken und ihr könnt doch noch eine Nacht hier bleiben, oder?“, erwiderte er und wir nickten bereitwillig. Der Tag ging viel zu langsam vorbei und die Nacht noch langsamer. Ich konnte nicht schlafen, wälzte mich von einer Seite auf die andere und dachte immer wieder daran, dass ich bald Arlene und Mutter wiedersehen würde. Dann könnte ich ihnen endlich erzählen was geschehen war. Und ich musste auch zu Mirabella gehen und ihr von Camillas Verrat berichten. Die Dorfälteste würde ihre Familie bestimmt aus der Dorfgemeinschaft ausschließen und dann hätten wir endlich Ruhe vor ihr. Und was war mit Symra? Ich wusste nichts über sie und auch nicht was sie und Camilla eigentlich von mir wollten. Sie wollten mich töten, weil ich anscheinend eine Gefahr für sie darstellte, aus welchem Grund auch immer. Ich war doch nur eine fünfzehnjährige Elfe, mit mittleren Zauberkräften, wie konnte ich mich da zwei Hexen, und das auch noch ziemlich durchtriebenen und bösen, entgegensetzen? Ich konnte sie ja schlecht fragen, sie würden mir keine Antwort geben, höchstens irre lachen und mich sofort töten. Nein, ich musste die Sache im Verborgenen halten und die Leute heimlich befragen. Verdan, die Dorfälteste oder vielleicht sogar das Königspaar könnten etwas über Symras und Camillas Absichten wissen. Auf unserer Reise würde ich genug Zeit haben, Verdan auszufragen. Irgendwann war ich dann doch eingeschlafen und wachte bei Tagesanbruch auf. Das erste was mir auffiel war, dass Verdan nicht da war. Mefirian und Lorena schliefen ruhig neben mir, nur der Drachenritter fehlte. Ich stand leise auf, sah in der Küche und der Vorratskammer nach, doch da war er auch nicht. Ich ging ans Fenster und entdeckte Verdan, wie er Moira einen Sattel auflegte und prall gefüllte Satteltaschen daran befestigte. Er trug einen langen Wollmantel, natürlich sein Schwert und seinen Umhang. Das Haar hatte er im Nacken zu einem Zopf gebunden. Ich wusch mich schnell, zog mich warm an und ging zu Verdan, der gerade dabei war, ein paar zusammengerollte Decken und ein Zelt an dem Sattel zu befestigen. „Hallo Eyrin. So früh schon wach?“, begrüßte er mich und befestigte noch eine Rolle Seil. „Ja, ich konnte nicht schlafen. Ich habe über vieles nachgedacht“, erwiderte ich und sah auf Moiras silbern schimmernde Schuppen. „Das tue ich nachts auch sehr oft“, erwiderte er und zog den letzten Riemen fest. „Ich habe Angst, dass Symra und Camilla wieder auftauchen. Ich weiß nicht einmal was sie von mir wollen...“ Verdan sah mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an und sagte: „Ich weiß es auch nicht Eyrin, aber du brauchst keine Angst zu haben. Du bist stärker als du denkst.“ Dann wandte er sich ab und ging zum Haus. Ich stand verwirrt da und sah ihm nach, warf noch einen schnellen Blick auf Moira, die ruhig dalag und das Maul auf die Vorderklauen gelegt hatte, und folgte ihm dann eilig. Mefirian und Lorena waren aufgewacht und frühstückten bereits. Verdan hatte sich zu ihnen gesetzt. „Ich weiß wo das Schloss liegt und wir werden ungefähr drei Tage brauchen, wenn alles gut geht und kein Schneesturm uns überrascht“, hörte ich ihn sagen, als ich hereinkam und setzte mich dazu. Nach dem Frühstück packten wir noch eilig unsere wenigen Sachen zusammen und Verdan schloss die Hütte mit einem Schlüssel ab. „Wer passt jetzt eigentlich auf die Dorfbewohner auf?“, fragte Lorena und hing sich ihre Tasche über die Schulter. „Ich habe einen meiner Männer damit beauftragt. Er wird sich um alles kümmern, solange ich weg bin.“ „Wenn du Männer hast, warum lässt du sie dann nicht alles machen?“, wollte Mefirian wissen. Verdan lächelte. „Ich mache das gern. Ich liebe die Kontrollflüge und ich liebe es mit den Leuten zu reden und ihnen zu helfen. Ich bin für ihre Sicherheit verantwortlich“, antwortete er und lief ein wenig schneller. „Bist du ein Ritter des Königs?“, wollte ich wissen. Verdan schwieg und sah geradeaus. „Oder von der Königin?“, hakte ich weiter nach. Noch immer sah er mich nicht an, erwiderte jedoch: „Ich möchte nicht darüber reden.“ Ich beließ es dabei, weil ich erstens eine schroffe Abfuhr befürchtete und zweitens weil ich ihn einfach zu sehr mochte um ihn weiter zu bedrängen. Wir stiegen auf Moiras Rücken, obwohl wir hätten fliegen können, aber der Drache war schneller als wir. Mir fiel erst jetzt auf, dass Verdan gar keine Flügel hatte und anscheinend auch nicht fliegen konnte. Ich fragte mich, warum, wagte ihn aber wegen vorhin nicht zu fragen. Wir hoben ab und flogen der Sonne entgegen. Der Wind war kalt, aber wenigstens schneite es nicht. Der Wald und die Ebene zogen unter uns vorbei und waren bald verschwunden. Wir überflogen ein Tal und einen Turm, der einsam da-stand. Wahrscheinlich wurde vom ihm aus in Kriegszei-ten vor Angreifern gewarnt oder etwas ähnliches. Nach einer Weile gefiel es mir auf Moiras Rücken und ich fühlte mich frei und unbeschwert. Die schneebedeckte Landschaft flog dahin und die Zeit schien im Flug zu vergehen. Kein Schneesturm kam und Symra und Ca-milla ließen sich nicht blicken. Herrlich. Trotzdem schwirrten mir immer noch die vielen unbeantworteten Fragen in meinem Kopf herum, die ich mir schon min-destens hundert Mal gestellt hatte. Die Wichtigste von allen, war mir mindestens dreihundert Mal durch den Kopf gegangen: Was wollten die beiden Hexen von mir? Diese Frage ließ mich einfach nicht los und verursachte jedes Mal einen Angstknoten in meinem Bauch. Aber die Antwort konnten mir nur die beiden geben... Ich glaubte nicht, dass das Königspaar eine Ahnung hatte und Verdan hatte es vorhin ja gesagt. Meine Freunde waren auch so ratlos wie ich. Sie versuchten dieses Thema zu meiden. Während des Fluges machte ich mir die ganze Zeit Gedanken, bis wir am späten Abend lan-deten und ein Lager aufschlugen. Wir bauten das Zelt nahe eines Flusses auf. Verdan hielt Wache, während wir schliefen. Der erste Tag ist geschafft, bald sehe ich Mutter und Arlene wieder, dachte ich noch, bevor ich einschlief, und mein Herz klopfte voller Erwartung und Freude.

Wir konnten noch nicht lange geschlafen haben, als mich ein Traum überfiel.

Ich stand immer noch auf der Spitze des Turmes, wäh-rend die Eule über mir kreiste und der Schnee fiel. Es war wieder dunkel und die Sterne blinkten am Himmel. Ich genoss den Ausblick und die frische Luft, aber trotzdem hatte ich ein drückendes Gefühl der Angst im Bauch, als würde ich zu hoch fliegen oder als hätte ich einen Stein verschluckt. Das Haar flog mir ins Gesicht und ich strich es ungeduldig zur Seite, als ich plötzlich Lärm hörte. Pferdewiehern, Waffengeklirr und Männer-stimmen. Gleich wusste ich, dass es ein Heer war, und ich wusste auch, dass es nichts Gutes im Sinn hatte. Langsam drehte ich mich um und sah in den Burghof hinab, der unendlich weit entfernt zu sein schien. Dort hatten sich schon ungefähr fünfzig Männer versam-melt, auf schwarzen und weißen Pferden, mit Schwer-tern und Pfeilen und Bögen aus hellem Holz. Immer mehr Männer ritten über die Zugbrücke und der Strom schien kein Ende mehr zu nehmen. Furchtsam sah ich aufs Meer hinaus. Woher kamen die ganzen Männer? Ich konnte keine Schiffe entdecken... Sie schienen aus dem Nichts aufzutauchen. „Eule, hilf mir, bitte!“, stam-melte ich panisch vor Angst und kam mir albern vor. Wie sollte eine Eule mir helfen? Doch der Vogel legte den Kopf schief, als hätte er mich verstanden, flatterte ein bisschen vor und wandte den Kopf, als wolle er sich vergewissern ob ich ihm folgte. Zögernd trat ich einen Schritt vor und merkte zu meinem Entsetzen, dass ich keine Flügel mehr hatte. Hastig breitete ich die Arme aus um das Gleichgewicht zu halten, während ich hörte wie das Heer langsam die Treppe hochkam. Das Scheppern ihrer Rüstungen und das Stapfen ihrer Füße bereitete mir eine Gänsehaut und panisch sah ich mich nach einem Fluchtweg um. Doch es gab keinen, die Treppe war versperrt und der einzige Weg führte nach unten... Ich atmete tief durch, schloss die Augen und trat einen Schritt vor, direkt ins Leere. Mein Mund öffnete sich zu einem Schrei, dann sackte ich nach unten und fiel. Alles raste an mir vorbei, die Mauer des Turms schien kein Ende zu nehmen. Im Flug drehte ich mich um und sah auf das glitzernde, dunkle Wasser des Meeres hinab, das schäumend und tosend an die Klippe schlug. Gleich würde es mich verschlingen...

Mit einem erstickten Schrei fuhr ich aus dem Schlaf und sah mich gehetzt um. Aber ich lag nicht am Mee-resgrund, das Wasser toste und schäumte nicht, ich lag auf dem Boden, neben dem Feuer und da war kein Turm und keine Eule. Nur ein Traum... Verdan, der vor dem Feuer saß, die Decke um seine Schultern gelegt und mit einem Stock in der Glut herumstocherte, warf mir einen besorgten Blick zu. „Alles in Ordnung Eyrin?“ Ich nickte und versuchte mein rasendes Herz zu beru-higen. Das Blut rauschte mir in den Ohren, als sei es das tosende Meer und mir liefen Kälteschauer über den Rücken. Warum hatte ich diese Träume? Was hatten sie zu bedeuten? „Ist wirklich alles in Ordnung?“, erkundigte Verdan sich misstrauisch. „Ja... ich hatte nur wieder so einen seltsamen Traum...“ stammelte ich und ehe ich mich beherrschen konnte, erzählte ich dem Drachenritter von meinem Traum. Er hörte schweigend zu, stocherte weiter in der Glut und sah schließlich nachdenklich in die Flammen, als ich geendet hatte. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht erkennen, der Flammenschein warf Schatten darauf und ließ es irgendwie verletzlich und jung aussehen. Schweigend sahen wir in die Flammen und sprachen nicht, trotzdem war unser Schweigen nicht unangenehm. „Und... und was denkst du darüber?“, wagte ich schließlich leise zu fragen und sah ihn nicht an. Verdan seufzte und erwiderte dann: „Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Es beunruhigt mich, aber irgendwie glaube ich, dass diese Träume einen Sinn und Grund haben. Und das ausgerechnet du sie träumst, kann kein Zufall sein, dazu sind die Träume zu intensiv und zu sehr auf dich bezogen. Ich dachte immer man träumt aus der Sicht eines anderen und gleichzeitig aus der Sicht von einem selbst. Zumindest mir geht es so, aber du träumst nur aus deiner Sicht und die Träume knüpfen immer da an, wo sie geendete haben. Das ist doch nicht normal, oder?“ Ich nickte, beeindruckt von seiner Logik und seinen Vermutungen, weil sie so plausibel und richtig klangen. „Glaubst du jemand schickt mir diese Träume?“, erkundigte ich mich leise und sah ihm endlich ins Gesicht. Was ich darin entdeckte, verwirrte mich zu-tiefst. Ich sah Mitleid, Achtung und auch Nervosität darin und es schien mir auch, als schimmerte ein schwacher Ausdruck von Angst in seinen Augen, aber vielleicht irrte ich mich auch, oder das Feuer gaukelte mir etwas vor. „Das... wäre durchaus möglich“, sagte er langsam und seine Stimme klang, als würde er sich am liebsten ins Feuer stürzen. Verwirrt sah ich ihn an, doch er wich meinem Blick aus und meinte: „Du solltest wie-der schlafen gehen Eyrin. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“ „Ich kann sowieso nicht mehr schlafen. Dann kann ich genauso gut sitzen bleiben. Willst du etwa nicht in die Burg?“ Der junge Mann hob den Blick und sah mich so ärgerlich an, dass ich es sofort bereute überhaupt mit ihm gesprochen zu haben. „Geh jetzt schlafen Eyrin. Und lasse dieses Thema bitte ruhen...“ „Aber was ist denn...“, fing ich an, wurde aber laut von ihm unterbrochen: „Lass es sein, bevor ich richtig wü-tend werde! Ich will nicht darüber reden und Schluss! Scher dich weg!“ Verwirrt, verletzt und angstvoll stand ich auf und kroch eilig unter meine Decke. Mefirian und Lorena, die aufgewacht waren, sahen mich fragend und Verdan verständnislos an, doch ich drehte mich weg, zog mir die Decke über den Kopf und weinte leise.


Zweiundzwanzig



Verdan und ich redeten während dem ganzen Früh-stück kein Wort und auch nicht, als wir aufbrachen. Mefirian und Lorena warfen uns immer wieder neugie-rige und fragende Blicke zu, doch ich schüttelte nur immer traurig den Kopf, und Verdan warf ihnen so dro-hende Blicke zu, dass sie hastig irgendwo anders hin-sahen. Der Flug verlief schweigend und ich schmollte vor mich hin. Ich wusste nicht warum Verdan böse auf mich war und sah keinen Grund mich zu entschuldigen. Genau wie bei Mefirian vor ein paar Monaten. Himmel, warum musste ich immer Krach mit Männern haben? Was machte ich denn falsch? Es musste an mir liegen... Ich fühlte mich elend und traurig. Ich mochte Verdan, er war lustig, mutig, stark und doch sensibel und verständnisvoll. Er kam mir vor wie ein großer Bruder, genau wie Mefirian. Mit meinen Freunden redete er, aber auf meine Versuche uns zu versöhnen, reagierte er mit eisigem Schweigen. Am späten Mittag legten wir eine Rast ein und es wurde deutlich kühler. Selbst wenn wir uns in die Umhänge und Mäntel wickelten, froren wir sehr. Verdan wies uns an uns unter Moiras Schwingen vor der Kälte zu verstecken. Wir befolgten seinen Rat und unter den riesigen Flügeln war es mollig warm und dunkel. Es war so herrlich warm und behaglich, dass wir einschliefen. Als wir wieder aufwachten, lagen wir noch immer unter Moiras Flügeln. Heftiger Wind tobte. Voller böser Vorahnungen stießen wir die Flügel an und versuchten Moira dazu zu bringen sie zu heben. Doch die Drachendame weigerte sich strickt und tat als höre sie unseren Protest nicht. Nach einer schieren Ewigkeit hob der Drache die Flügel und wir krochen darunter hervor. Und sanken prompt bis zu den Oberschenkeln im Schnee ein. Fluchend kämpften wir uns frei und sahen uns um. Von Verdan keine Spur. „Verdan?“, riefen wir zögernd. Keine Antwort. „Verdan! Verdan! Wo bist du?“, schrieen wir aus voller Kehle, doch nichts rührte sich. Wir liefen los um ihn zu suchen. Wir riefen seinen Na-men, bis wir heiser wurden und rannten panisch umher. Plötzlich stolperte ich über einen Schneehügel und landete mit dem Gesicht im Schnee. Ich rappelte mich leise schimpfend hoch und klopfte mir den Schnee von der Kleidung und den Haaren. Mit dem Fuß trat ich wütend auf den Hügel und hörte ein dumpfes Geräusch. Verwundert lauschte ich und ließ mich in die Hocke sinken. Ich klopfte behutsam auf den kalten Schnee und hörte ein leises Stöhnen. „Lorena! Mefirian, schnell, ich habe hier etwas gefunden!“, rief ich und sie kamen eilig zu mir. „Helft mir graben!“ Bald waren unsere Hände taub vor Kälte und wir waren voll mit Schnee. Da kam ein Gesicht zum Vorschein. Ein bleiches Männergesicht, umrahmt von schwarzen Locken... „Verdan!“, riefen wir im Chor und schaufelten ihn eilig frei. Dann halfen wir ihm aufzustehen und wischten ihm den Schnee fort. Seine Haut sah beinahe blau aus und er zitterte. „Komm mit.“ Meine beiden Freunde führten ihn zu Moira, während ich ein paar Schritte zurückfiel. Die Drachendame hob ohne Aufforderung einen Flügel und breitete ihn wie eine Decke über ihren Herrn und wärmte ihn mit ihrer Körperwärme. Lorena sah besorgt auf Verdan hinab, Mefirian sah zu mir, wie ich zögernd näher trat. Ich biss mir auf die Unterlippe und wollte am liebsten weglaufen, doch Mefirian nickte mir aufmunternd zu, fasste mich am Arm und zog mich sanft die paar Schritte zu Moira. Zuerst wusste ich nicht, was ich sagen sollte, dann platzte ich nach kurzem Überlegen heraus: „Verdan... es tut mir leid. Ich hätte akzeptieren sollen, dass du deine Geheimnisse hast, wie ich auch. Es tut mir leid...“ Ratlos brach ich ab und fürchtete mich vor einer schroffen Zurückweisung. Doch der Dra-chenritter hob den Kopf, sah mich aus seinen grünen Augen an und lächelte plötzlich. „Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist gut, ich war einfach zu empfind-lich.“ „Nein, ich war einfach aufdringlich und neugierig“, hielt ich dagegen und Verdan lachte. „Wollen wir uns jetzt den ganzen Tag darüber streiten, wer sich dümmer von uns benommen hat, oder wollen wir noch ein wenig Weg hinter uns bringen?“ Ich senkte verlegen den Blick, doch Verdan lachte gutmütig und sagte dann wieder ernst: „Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen Eyrin. Ich bin dir nicht mehr böse.“ Erleichtert seufzte ich auf und lächelte Mefirian dankbar an, der mir zuzwinkerte. Lorena sah richtig gelöst aus und nickte mir leicht zu. Verdan wärmte sich noch ein wenig auf und wir warteten bis er von selbst erzählte, was geschehen war. Schließlich fing er an zu erklären: „Ich habe mich ein wenig umgesehen und unsere weitere Route durchdacht, als plötzlich heftiger Wind aufkam. Von einer Sekunde auf die andere wurde er so heftig, dass er mich fast von den Füßen gerissen hätte. Dann fing es an heftig zu schneien und der Schnee kam mir so ungewohnt schwer vor... Bald drückte er mich nieder und ich konnte mich nicht mehr erheben. Schließlich begrub er mich unter sich und ich konnte mich nicht mehr befreien. Ich dachte schon ich müsste erfrieren...“ „Wie kann ein Sturm nur so plötzlich auftauchen?“, fragte Lorena verwundert, dann riss sie die Augen auf, als die Erkenntnis kam und sie flüsterte: „Symra... sie muss erfahren haben, dass wir zur Burg wollen.“
„Wie denn?“
„Denk doch mal nach! Camilla muss es ihr erzählt ha-ben. Ich will gar nicht daran denken, was sie ihr noch alles verraten hat.“
„Aber sie war doch nirgends zu sehen und Moira hat ihren Vogel auch nicht wahrgenommen, sonst hätte sie mich gewarnt“, wandte Verdan ein. Wir nickten zögernd. „Können wir wieder aufbrechen?“, fragte Lorena zögernd. Verdan nickte. „Ich bin nicht am sterben, nur ein wenig durchgefroren.“ Er befreite sich von Moiras Flügel und erhob sich. Wir stiegen wieder auf den Drachenrücken und brachen auf. Ich war erleichtert, dass mein Streit mit Verdan vergessen war und konnte mich wieder auf die vielen ungelösten Fragen konzentrieren auf die ich keine Antwort wusste. Eigentlich hatte es keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, es würde zu nichts führen, außer zu neuen Fragen. „Sind wir dann morgen bei der Burg?“, wollte ich von Verdan wissen. Er nickte. Ich sah wieder geradeaus und hing meinen Gedanken nach, als plötzlich eine Schneeflocke vom Himmel fiel und auf meiner Nase landete. „Oh nein“, stöhnte Verdan und sah besorgt zum Himmel auf. Eine böse Ahnung überfiel mich und ich schlang zitternd den Umhang enger um meinen Körper. Kaum hatten meine Freunde das ebenfalls getan, begannen die Schneeflocken schneller und heftiger zu fallen. Sie kamen mir richtig schwer vor, aber vielleicht bildete ich mir das nur ein. Bald fiel der Schnee so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sah. Moira knurrte unwillig und schwankte kurz in der Luft. Anscheinend sah sie nichts mehr. Verdan streichelte sie tröstend am Hals und murmelte beruhigende Worte. Ich sah mich beunruhigt um, erkannte aber nichts, als graue Schemen und wirbelnde Schneeflocken. „Sollten wir nicht lieber landen?“, rief ich um das Tosen des Windes zu übertö-nen. Er antwortete nicht, weil er mich nicht gehört hat-te oder weil er nicht antworten wollte. Moira schwankte immer mehr und schien die Orientierung zu verlieren. Verdan versuchte dem Drachen so gut es ging zu hel-fen, aber auch er konnte nicht viel tun. Ich klammerte mich ängstlich an meine Freunde und betete, dass es schnell vorbei gehen würde. Meine Gebete wurden nicht erhört und Moira konnte anscheinend nicht mehr und ließ sich fallen. Ich schrie und drückte das Gesicht an Mefirians Rücken, hörte nur das Tosen des Windes und Verdans rufen. Plötzlich drehte Moira sich in der Luft, die Welt wirbelte durcheinander und man konnte nicht mehr oben von unten unterscheiden. Mir wurde schwindelig und übel und ich wollte einfach nur, dass es aufhörte. „Wir stürzen ab!“, hörte ich Verdan schrei-en, dann ging seine Stimme im Lärm unter. Moira hörte auf sich zu drehen, hatte aber anscheinend keine Kraft mehr um wieder aufzusteigen. Sie ließ sich einfach fal-len. Verdan redete beruhigend auf sie ein. Fremde Wortfetzen drangen zu uns durch, dann sahen wir den Erboden immer näher kommen. Ich kniff die Augen zu. Ich klammerte mich an Mefirian und da prallten wir auf dem Boden auf und wurden aus dem Sattel in den Schnee geschleudert.

Ich hatte Schnee im Mund und mein Gesicht war taub vor Kälte. Vorsichtig richtete ich mich auf und versuchte ob ich die Gliedmaßen bewegen konnte. Zum Glück schmerzte nichts. Ich richtete mich auf die Knie auf und sah mich um. Der Schneesturm tobte noch immer und Moira lag neben mir. Sie hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht. Nachdem ich aufgestanden war, lief ich zu dem Drachen und sah ein paar Meter von ihm entfernt Mefirian und Lorena im Schnee liegen. Ich eilte zu ihnen und rüttelte sie sanft an der Schulter. „Alles in Ordnung?“ Sie nickten leicht verwirrt und ich half ihnen aufzustehen. Dann machten wir uns auf die Suche nach Verdan und fanden ihn auf Moiras anderer Seite. Er war neben ihr auf die Knie gesunken und hatte die Stirn an ihren Hals gelegt. Er sah auf, als er unsere Schritte hörte und lächelte schwach. Seine Haare waren voller Schnee und sein Arm war seltsam verdreht. „Verdan, du bist verletzt!“, rief Lorena erschrocken und setzte sich neben ihn. „Das ist nichts. Wir sollten uns um Moira kümmern“, winkte er ab. „Was sollen wir denn tun?“, wollte Mefirian ruhig wissen. „Wir können nicht viel tun, außer auf sie aufzupassen“, seufzte der junge Mann und legte seine Stirn wieder auf die Schuppen. Wir saßen traurig und schweigend da und warteten. Langsam senkte sich die Nacht herab und die Wölfe begannen zu heulen. Hastig bauten Mefirian, Lorena und ich unser Zelt auf, bereiteten ein Lagerfeuer und kochten. Verdan hatte sich nicht gerührt. Mefirian ging zu ihm herüber und wir hörten ihn sanft aber bestimmt sagen: „Komm Verdan. Du musst etwas essen und dich aufwärmen. Und wir müssen uns um deinen Arm kümmern.“ Der Drachenritter gab nach und folgte dem Jungen ans Feuer. Ich hielt schon einen Verband und eine Schlinge bereit. Zum Glück hatte ich von Vater viel gelernt und konnte den Arm mit zwei geschickten Griffen wieder einrenken. Verdan gab keinen Ton von sich, doch ich sah, dass er sichtlich erbleichte und die Zähne fest zusammenbiss. Ich arbeitete schnell, aber sorgfältig und Verdan sah erleichtert aus, als es endlich vorbei war. Er aß kaum etwas und kehrte sofort wieder zu Moi-ra zurück, die immer noch wie tot dalag. Wir ließen ihn und gaben ihm eine Decke. Er nickte uns dankbar zu und wir legten uns ans Feuer. Verdan tat uns leid und ich wünschte wir könnten ihm helfen, aber leider wuss-te keiner von uns, wie man einem Drachen helfen konn-te. Ich konnte nicht schlafen, dachte nur daran, wann wir endlich die Burg erreichen würden. Fragte mich, warum ich diese Träume hatte, warum alles schief ging und warum zum Teufel ausgerechnet uns das passieren musste. Meine Trauer und mein Ärger wuchsen immer mehr und ich hätte am liebsten geschrieen, doch ich hielt den Mund und musste mit den Tränen kämpfen. Weinen würde mir auch nicht helfen. Aber es würde mich erleichtern. Doch ich hielt die Tränen eisern zurück und sah in den sternenlosen Himmel hinauf. Nebelblasse Wolken verdeckten den Halbmond und ließen kein Licht durch. Es war kühl, wie immer und ich befürchtete es würde wieder ein Schneesturm aufkommen. Das hätte uns gerade noch gefehlt. Plötzlich hörte ich leise Schritte und dann setzte sich jemand zu mir. Es war Lorena. „Meinst du Moira wird wieder gesund?“, flüsterte sie leise um Mefirian nicht zu wecken. Ich setzte mich auf und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, aber ich hoffe es doch sehr. Ohne sie wären wir aufgeschmissen. Verdan kann ja nicht fliegen und er kennt sich doch hier aus.“ Meine Freundin nickte, zog die Decke enger um sich und zog die Knie an. Sie bette-te das Kinn darauf und sah mich schweigend an. „Manchmal wünschte ich, wir hätten die Hütte nie ent-deckt“, sage sie plötzlich leise und ich verstand nicht sofort. Dann ging mir ein Licht auf und ich erwiderte verwundert: „Aber sie ist doch abgebrannt.“
„Ja, ich weiß. Aber wenn wir sie nicht gefunden hätten, hätte das alles nie angefangen.“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Ich weiß nicht. Aber wir haben doch das Kleid und das Armband genommen und vielleicht war das der Auslö-ser für die vielen schlimmen Ereignisse.“
„Du bist also dahintergekommen?“
„Oh Eyrin. Du bist meine Freundin und deine Ausrede klang nicht gerade überzeugend. Deine Mutter hat das Armband einfach gefunden? Nachdem sie es nie er-wähnt hat? Deine Mutter ist viel zu ordentlich um etwas zu verlieren. Und außerdem haben du und Mefirian so geflüstert, das hat mich misstrauisch gemacht“, erklärte sie und ich senkte den Blick. „Tut mir leid, ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte“, stammelte ich und schämte mich in Grund und Boden. „Warum hast du es Mefirian gesagt und mir nicht? Ich hätte es doch auch verstanden.“ „Ich...du hattest doch schon das Kleid genommen und ich habe dir doch Vorwürfe deswegen gemacht. Ich habe das Armband genommen und ich wollte mir deine Vorhaltungen nicht anhören.“ „Als du Camillas Phiole gestohlen hast, haben dir meine Vorhaltungen auch nichts ausgemacht“, spöttelte sie. „Musst du mir das jetzt unter die Nase reiben?“, murmelte ich und fühlte mich wie bei einem Verhör. „Nein, entschuldige“, sagte sie wieder ernst. „Also glaubst du, wir sind schuld daran, dass Symra und Camilla uns auf den Fersen sind?“ Sie hob unbehaglich die Schultern. „Es wäre möglich, obwohl der Gedanke daran, mir nicht behagt. Aber es lässt sich nun nicht mehr ändern“, seufzte sie und strich sich das blonde Haar hinters Ohr. Das Thema weckte Unbehagen in mir und ich wollte einfach nur die Decke über den Kopf ziehen und mich für den Rest meines Lebens verkriechen. Aber das konnte und durf-te ich nicht. „Es wird schon alles gut“, versuchte Lorena mir Mut zu machen und klang selbst ein wenig mutlos. Ich lächelte schwach. „Das hoffe ich. Ich hoffe es wirk-lich für uns alle.“

Dreiundzwanzig



„Und was machen wir jetzt?“, fragte Mefirian ratlos und blickte verzweifelt zu Verdan herüber, der die Wange an Moiras Hals gelehnt hatte und immer noch schlief. „Uns bleibt nichts anderes übrig als zu warten“, erwiderte ich und hoffte, dass ich meinen Freunden wenigstens ein wenig half. Wir hatten das Lager noch nicht abgebaut und warteten, bis Verdan aufwachte. Mefirian ging zu dem Drachen herüber und rüttelte Verdan sanft an der Schulter. Der Drachenritter fuhr wie gestochen hoch und sah sich verwirrt um, dann strich er sich müde das Haar zurück, das sich aus dem Haarband gelöst hatte und blickte auf Moira hinab. „Ist... ist sie tot?“, fragte er erstickt. „Ich weiß nicht... ich kann das nicht beurteilen“ antwortete Mefirian ratlos. Der junge Mann nickte, verzog das Gesicht und schwankte. Mefirian stützte ihn und führte ihn zum inzwischen erloschenem Feuer. Verdan aß wenig und starrte schweigend vor sich hin. Wir standen schweigend herum und wussten nicht was tun. Schließlich räusperte ich mich und wagte vorsichtig zu sagen: „Verdan... was machen wir denn jetzt?“ Er sah mich an, als hätte ich ihn gefragt warum die Sonne eigentlich aufging, dann schüttelte er den Kopf und schwieg weiter. Gut, ich würde ihm Zeit lassen. Und Mefirian und Lorena auch. Schließlich riss er sich zu-sammen und stand auf. „Die beste Lösung wäre, wenn ihr alleine weiterreisen würdet. Ihr kommt auch ohne Moira aus und kommt immer noch schneller voran, als mit mir. Ich werde euch den Weg sagen...“ „Das kommt gar nicht in frage! Wir lassen dich hier nicht alleine!“, unterbrach Lorena bestimmt und ich und Mefirian nick-ten zustimmend. Verdan lächelte leicht, schüttelte aber den Kopf. „Ohne Moira...“, fing er an, wurde aber von einem Geräusch unterbrochen. Er wirbelte herum und sah, dass Moiras Schwanz sich regte. Dann zuckten ihre Klauen und die Augenlider. Plötzlich öffnete die Drachendame die Augen und wir sahen die silberweiße Iris schimmern. Verdan stieß einen erstickten Laut aus und kniete sich neben seinen Drachen. Moira brummte leise und stieß ihren Herrn mit der Schnauze an. Der junge Mann lachte glücklich und erleichtert auf. Ich konnte es kaum fassen und starrte den Drachen an, als wäre er ein Geist. Dann riss ich mich zusammen und lächelte meinen Freunden erleichtert zu. Sie grinsten zurück und wir gingen zu dem Ritter und seinem Dra-chen. Wir umarmten ihn und seinen Drachen gleich mit. Verdan sah uns verblüfft an, dann lachte er schallend und wir fielen mit ein. Das Lachen war tröstend und vertrieb für einen Moment unsere Sorgen. Dann wurden wir wieder ernst. „Gut, dann können wir jetzt doch zusammen weiterreisen“, sagte Verdan und wollte das Lager abbauen. „Nein Verdan, du kannst das doch gar nicht mit einem Arm!“, wandte Lorena ein und drückte ihn entschlossen wieder auf den Boden. Sie fing an unsere Feuerstelle zu beseitigen und wir halfen ihr hastig. Währenddessen kam Moira langsam wieder auf die Beine, schüttelte kurz den Kopf und schnaubte dann, dass ein riesiger Feuerschwall aus ihren Nüstern schoss. Erschrocken zuckte ich zusammen und Lorena stieß einen leisen Schrei aus. Mefirian und Verdan rührten sich nicht, zuckten nicht einmal mit der Wimper. Ich kam mir plötzlich überängstlich und kindisch wie ein kleines Mädchen vor. Doch Verdan spottete nicht über uns, sondern sagte ehrlich zerknirscht: „Entschuldigung. Moira wollte euch nicht erschrecken.“ „Keine Sorge, wir haben uns nur ein wenig erschrocken.“ „Hast du eigentlich eine Ahnung wo wir hier sind?“, wollte ich von dem Drachenritter wissen, der nur wage die Schultern hob. „Nicht so genau. Oder fast überhaupt nicht. Der Schneesturm muss uns zu weit abgetrieben haben.“ Ich fragte: „Gibt es hier niemanden der uns helfen könnte? Keine Dörfer?“, und erntete ein Nicken. „Ja, ich kenne ein kleines Dorf, es heißt Ferun und liegt von meinem Haus aus östlich“, erklärte er nachdenklich und stieg dann langsam auf Moiras Rücken. Er hatte ein wenig Schwierigkeiten damit, kam jedoch immer noch eleganter hoch, als ich es je gekonnt hätte. Er winkte uns einladend heran und wir befestigten das Gepäck am Sattel. Anschließend brachen wir auf und mussten nicht lange fliegen, bis wir wieder am Fuß einer Hügelkuppe landeten. „Da ist es“, sagte Verdan und ging entschlossen den Hügel hinauf. Wir folgten ihm eilig und ließen Moira zurück, die genau wusste, dass sie nicht ins Dorf durfte. Wir passierten ein kleines hölzernes Tor und kamen im Dorf an. Die kleinen weiß getünchten Häuser standen dicht aneinandergedrängt und scheinbar durcheinandergewürfelt nebeneinander. In der Mitte des Dorfes gab es einen Brunnen und stei-nerne Bänke standen dort, wo ein paar Elfen saßen. Verdan ging zielstrebig auf eine der Bänke zu und fragte eine junge Frau höflich: „Entschuldigen Sie, aber könnten Sie uns vielleicht sagen, wo ich euren Dorfobersten finde?“ Die junge, braunhaarige Frau nickte, zeigte ans andere Ende des Dorfes und fragte eher neugierig als misstrauisch: „Und warum wollt ihr zu ihm?“ „Das würde ich ihm lieber persönlich sagen, aber ich verrate Ihnen soviel, dass wir wegen eines Schneesturms vom Weg abgekommen sind.“ „Ein Schneesturm? Wann?“, wollte sie wissen und sah leicht verwirrt aus. Verdan antwortete geduldig: „Gestern morgen.“ Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und sie schüttelte den Kopf. „Gestern sagt Ihr? Das kann nicht sein, gestern ist kein einziges Schneeflöckchen vom Himmel gefallen.“ „Wie? Aber das kann nicht sein!“, protestierte Verdan. Die junge Frau musterte ihn halb besorgt, halb misstrauisch. „Ihr müsst euch wohl geirrt haben. Oder war das nur eine Lüge, die ihr mir aufgetischt habt?“ Ihre braunen Augen funkelten spöttisch. Verdan zuckte mit den Schultern, verbeugte sich leicht und erwiderte. „Nein. Entschuldigt mich holde Dame, aber ich muss zum Dorfobersten. Vielen Dank für Eure hilfreiche Auskunft.“ Damit ließ er sie stehen und lief eilig zum nördlichen Ende des Dorfes. Ich warf der jungen Frau über die Schulter noch einen Blick zu. Sie stand da und sah uns nach. Ihren Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten. Hastig drehte ich mich wieder um und lief schneller um mit Verdan Schritt halten zu können, der es auf einmal sehr eilig zu haben schien. Wir kamen am Ende des Dorfes und an und blieben vor einem großen Haus mit grün bemalten hölzernen Fensterläden stehen. Verdan stieg die kleine Treppe hoch und klopfte an die Tür. Nach wenigen Sekunden wurde sie von einem jungen Mädchen geöffnet, etwas älter als wir, das Verdan un-gerührt entgegenblickte. „Was wünscht Ihr?“, fragte sie höflich. „Ich möchte den Dorfältesten sprechen“, erwi-derte Verdan ebenso höflich, aber lächelnd. Das Mäd-chen musterte ihn abschätzend, wie es mir schien, an-schließend uns und ließ uns dann eintreten. „Darf ich fragen wer Ihr seid?“, wollte das Mädchen wissen, wäh-rend es uns eine schmale Holztreppe hochführte. „Ver-dan. Und das sind meine Freunde Lorena, Eyrin und Mefirian.“ Sie nickte und klopfte an eine Tür die rechts von einem Flur abzweigte. „Und wie ist Euer Name?“, erkundigte der Drachenritter sich. „Marie, ich bin die Enkelin des Dorfältesten.“ „Herein!“, rief eine Männer-stimme und Marie öffnete die Tür, trat ein, sprach kurz mit ihrem Großvater und nickte uns dann einzutreten. Wir betraten einen großen Raum, mit einem gläsernen Fenster an der Stirnseite und drei vollgestopften Bü-cherregalen an den Wänden. An einem schlichten Holz-tisch saß ein älterer Mann, einen weißen Umhang um die Schultern gelegt, in einem dicken Buch lesend. Als wir eintraten hob er den Kopf, betrachtete uns einige Augenblicke und erhob sich dann. Er war groß und hager, hatte an den Schläfen graues, sonst weißes Haar und sah keinen Tag älter als fünfzig aus. Aber der Schein kann täuschen. „Guten Tag. Was führt euch zu mir?“, grüßte er uns und seine Stimme klang immer noch kräftig. „Ich würde mich erst einmal gerne vorstel-len. Mein Name ist Verdan und ich bin... ein alleinle-bender Ritter aus dem Südwesten. Das sind meine Freunde Mefirian, Lorena und Eyrin. Wir waren auf dem Weg zur Elfenburg, als uns plötzlich ein Schneesturm überraschte und uns von unserem eigentlichen Weg ablenkte. Wir haben Euer Dorf mit Glück gefunden und wollten Euch um eine Karte bitten.“ Der Dorfälteste nickte und ging zu einem der Bücherregale, zog ein paar Papierrollen heraus und breitete schließlich eine davon auf dem Tisch aus. Er warf kurz einen Blick da-rauf, nickte zufrieden, nahm einen Kohlestift und zeichnete etwas ein. Dann winkte er Verdan heran und erklärte ihm welchen Weg er nehmen müsse, um zur Elfenburg zu gelangen. Während die beiden redeten, schlich ich mich an eines der Bücherregale an und be-trachtete staunend die vielen Bücher. Es mussten tau-sende sein... Ich nahm eines heraus, das mir besonders ins Auge sprang, ein dickes Buch mit einem Umschlag, der wie ein großes Blatt aussah. Die Seiten zerfielen nicht zu Staub, wie ich erwartet hatte, als ich es auf-schlug, waren jedoch schon alt und leicht vergilbt. Eine zierliche geschwungene Schrift bedeckte die Seiten und ich sah auch schöne Zeichnungen, wie Blumenranken oder verzierte Buchstaben am Seitenanfang. Während Verdan und der Älteste berieten welcher Weg wohl der sicherste und schnellste wäre, blätterte ich das Buch durch und las dann und wann etwas, dass mich inte-ressierte. Lorena und Mefirian sahen sich ebenfalls Bücher an, sie hatten ja sonst nichts zu tun. In dem Buch das ich las, ging es um verschiedene Elfenvölker. Ich war verblüfft wie viele es davon gab. Das ganze Buch handelte von Elfen- und Feenvölkern und von Fabelwesen. Ein Volk interessierte mich besonders:

Spiegelelfen: Spiegelbilder, die das genaue Gegenteil von demjenigen sind, der in sie hineinsieht. Haben ih-ren eigenen Willen und folgen dem „Original“ bis es entweder stirbt oder der Spiegel, dem die Spiegelelfe oder der Spiegelelf entsprungen ist, zerstört wird. Spie-gelelfen brauchen weder Schlaf, noch Nahrung oder Ruhe. Sie kennen weder Trauer noch Schmerz. Wenn sie sterben zersplittern sie in klirrende silberne Spie-gelscherben, die sich dann auflösen. Die Zauberspiegel denen die Spiegelelfen entspringen, befinden sich in einer dunklen Halle und sind in schwarze Rahmen ge-fasst. Die Zauberspiegel werden von den Silberelfen gefertigt, die auch ähnlich wie Schmiede Schmuck und Waffen herstellen. Sie leben in einem Steinplateau im Osten, das Joremin heißt. Die Silberelfen sind keinem freundlich gesinnt und können einen nur von einer Spiegelelfe erlösen, wenn man ihnen dafür etwas sehr wertvolles gibt.

Sehr seltsames Volk, dachte ich und las weiter.

Eiselfen: Elfen, die in Eishöhlen im Norden leben. Sie tragen weiße Kleidung, die mit Eiskristallen verziert ist. Sie haben weiße Füchse als Gefährten, blonde Haare und hellblaue Augen. Ihre Haut schimmert leicht bläu-lich und es leben sowohl Frauen als auch Männer und Kinder unter ihnen. Sie verstehen sich auf die Jagd und können Dinge einfrieren lassen. Eiselfen sind kaltherzig und egoistisch.

Erdelfen; Elfen die sich der Natur sehr verbunden füh-len, leben beinahe überall und können Pflanzen heilen und wachsen lassen. Erdelfen haben schwarzes oder braunes Haar, braune oder grüne Flügel und alle mög-lichen Augenfarben. Sie sind sehr scheu, jedoch hilfs-bereit und warmherzig und sie reden gern und viel. Man trifft sie oft in Wäldern, Wiesen, Höhlen und Tä-lern. Die mächtigsten von ihnen können Erdbeben ver-ursachen oder die Pflanzen verdorren lassen.

Die restlichen Seiten handelten von den Elfen die auch bei uns im Dorf lebten, wie die Nacht- und Tag und die Wasser- und Landelfen. Aber über Mottenelfen stand nichts darin, was mich auch nicht verwunderte. Mot-tenelfen waren eher selten und in unserem Dorf gab es niemanden der so hässliche Flügel hatte wie ich, aber daran war ich gewöhnt. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich hätte vor Schreck beinahe das Buch fallen gelassen. „Ein sehr interessantes Buch, nicht? Es ist eines meiner Lieblingsbücher“, sagte der Älteste hinter meiner rechten Schulter. „Ihr habt mich aber erschreckt“, keuchte ich und presste eine Hand auf mein hämmerndes Herz. „Oh, das wollte ich nicht Mädchen. Wie war doch gleich der Name?“ „Eyrin…ich heiße Eyrin“, stammelte ich leicht verwirrt und stellte das Buch hastig wieder an seinen Platz zurück. „Tut mir leid, ich wollte nicht in Euren Sachen herumstöbern…“ Er unterbrach mich und sagte. „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich weiß wie verlockend Bücher sein können, sonst hätte ich ja wohl kaum so viele.“ Er zwinkerte mir zu und ich lächelte scheu zurück. Mefirian und Lorena legten ihre Bücher ebenfalls beiseite und warteten darauf, dass Verdan zum Aufbruch rief, aber der Drachenritter schien vollkommen in die Betrachtung der Kate versunken zu sein. „Wie ist eigentlich Euer Name?“, wollte Mefiriran von dem Ältesten wissen. „Meir.“ Unser Freund nickte und wandte sich dann Verdan zu, der immer noch über die Karten gebeugt dastand. „Verdan, du hast was du wolltest. Können wir wieder aufbrechen?“, fragte er den jungen Mann, der zerstreut aufsah, sich offenbar Mefirians Worte ins Gedächtnis rufen musste und dann nickte. „Ja, ja da hast du recht. Ich danke Euch Meir, für Eure Hilfe und dass Ihr uns empfangen habt. Ich weiß Ihr habt wichtigeres zu tun.“ Meir winkte ab und meinte: „Es freut mich, dass ich euch helfen konnte und wünsche euch eine gut Reise bis zur Burg Mydia.“ Verdan nickte, rollte die Karte zusammen und reichte sie dem Ältesten, doch der winkte erneut ab. „Nein, behaltet sie. Ich habe fünf weitere dieser Karten. Ihr braucht sie dringender als ich.“ Der Drachenritter nickte und steckte die Karte ein. Dann winkte er uns und wir verabschiedeten uns von Meir. Marie führte uns zur Tür und wünschte uns ebenfalls eine gute Reise. Mich wunderte woher sie das wusste. Hatte sie vielleicht an der Tür gelauscht? Unmöglich, wir hätten sie doch sehen müssen, als sie uns herausführen wollte. Und Meir hatte sie gerufen und sie war erst nach einigen Minuten aufgetaucht. Ich wollte mir nicht länger den Kopf darüber zerbrechen und lief weiter neben meinen Freunden durchs Dorf und auf das kleine Tor zu. Auf unserem Weg begegneten wir wieder der jungen Frau, die uns den Weg zum Haus des Obersten erklärt hatte. Verdan blieb noch einmal vor ihr stehen, verbeugte sich und sagte: „Ich danke Euch nochmals für Eure Auskunft und wünsche noch einen schönen Tag.“ Zuerst sah sie vollkommen überrumpelt aus, dann lachte sie auf und ihre Augen funkelten spöttisch. Sie neigte spöttisch den Kopf und säuselte: „Oh vielen Dank mein Herr. Ich wünsche Euch eine angenehme Reise.“ Verdan lachte verblüfft und seine Augen funkelten. Die junge Frau lächelte und der Spott war aus ihren Augen gewichen. Sie sahen sich schweigend in die Augen, bis Verdan schließlich fragte: „Und wie ist Euer Name gnädige Frau?“ Sie lachte wieder auf, als hätte er etwas sehr komisches gesagt und antwortete: „Mejoné mein Herr.“ „Ein sehr hübscher Name. Und nennt mich doch Verdan.“ Sie nickte. „Verdan, wir soll-ten weitergehen, ehe sie das Tor schließen!“, unter-brach Mefirian die beiden ruhig. Der Drachenritter seufzte beinahe bedauernd, nahm Mejonés Hand und führte sie an die Lippen. „Ich hoffe wir sehen uns eines Tages wieder.“ Die junge Frau brachte keinen Ton her-aus, sah uns nur nach, als wir das Tor passierten. Dann drehte sie sich um und verschwand im dichten Treiben des Dorfes. Ihr braunes Haar wehte wie ein Schleier hinter ihr her.
Vierundzwanzig



Obwohl wir einen Tag verloren hatten, kamen wir gut voran und kein weiterer Schneesturm überraschte uns. Doch mir ging einfach nicht aus dem Kopf, was Mejoné gesagt hatte, dass es überhaupt nicht geschneit hatte. Aber wie war das möglich? Wir hatten uns den Schnee-sturm doch nicht eingebildet! Oder es war kein norma-ler Schneesturm gewesen. Symra. Eine andere Erklä-rung gab es nicht. Sie würde keine Ruhe geben, bis sie bekam was sie wollte. Aber in Verdans Gegenwart war ich sicher vor ihr. Die Sehnsucht nach meiner Mutter und meiner Schwester wurde mit jedem Tag, mit jeder Stunde die verstrich stärker und ich wurde langsam ungeduldig. Am letzten Tag unserer Reise war ich so gereizt und aufgeregt, dass ich meine Freunde anfuhr und meistens schweigend dasaß. Bestimmt jede Se-kunde drängte ich zur Eile und Verdan und meine Freunde fanden mich unausstehlich. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Dann endlich sagte Verdan: „Da! Wir müssen nur noch über das Meer und dann sind wir bei der Burg!“ Vor Aufregung wurde mir ganz schwinde-lig und ich sah nach unten. Tiefblaues Wasser glitzerte unter uns im schwachen Sonnenlicht. Fasziniert be-trachtete ich die Oberfläche , wie sie sich kräuselte und Moira wie ein Spiegel reflektierte. Dann hörte ich ein lautes Tosen und Rauschen, das mir bekannt vorkam. Noch ehe die Klippe vor uns auftauchte wusste ich, dass wir die Burg erreicht hatten. Vor Freude hätte ich am liebsten geschrien, doch ich beherrschte mich und beschränkte mich darauf aufgeregt auf Moiras Rücken herumzurutschen und wie gebannt auf die Klippe zu starren, die von schäumenden Schaumkronen umringt wurde. Die Brandung prallte mit gewaltiger Kraft gegen den Stein, der dieser Urgewalt mühelos standhielt. Die Burg, die sich auf der Klippe befand, sah genauso aus wie in meinen Träumen. Aus gelbem Stein, mit einer massiven Mauer und den Türmen. Und auch die Fahne mit der Eiche und der Eule wehte im Wind. „Es ist ge-nauso wie in meinen Träumen!“, rief ich aufgeregt und wünschte mir schon meine Mutter in die Arme schlie-ßen zu können. Ich hoffte, dass sie sicher das Meer überquert hatten. Und ich hoffte Camilla und Symra hätten sich zum Teufel geschert. Gleich sehe ich alle wieder, dachte ich und konnte es noch immer nicht so recht glauben. Ich glaubte immer noch in einem meiner Träume zu sein und gleich aufzuwachen um festzustel-len, dass es nicht Wirklichkeit war. Doch ich schlief nicht und wachte nicht auf. Der salzige Duft und das Geschrei der Möwen war echt und auch das Tosen der Brandung. Ich fühlte mich frei und losgelöst. Schließlich erreichten wir die Klippe und Moira setzte zur Landung in den Burghof an, in dem Reger Betrieb herrschte und Elfen auf uns zeigten, riefen und manche in ihre Häuser flüchteten. Auch die Wache hatte uns bemerkt und hielt Armbrüste bereit, um uns vom Himmel zu holen. Verdan flog noch dichter an die Mauer heran und rief dann mit lauter Stimme: „Keine Angst, ich komme in Frieden! Ich bin ein Ritter der Königin!“ „Das kann jeder behaupten! Beweist es!“, rief einer der Wachsoldaten zurück. Verdan erwiderte: „Dazu müsst ihr uns zuerst einlassen!“ Zögernd senkten die Männer die Armbrüste und sahen halb angstvoll, halb ehrfurchtsvoll zu, wie Moira elegant im Burghof landete, wo die Leute hastig Platz für sie machten. Die Menge tuschelte miteinander und die Leute betrachteten uns teils misstrauisch, teils neugierig. Die Wache, trat dicht an den Drachen heran und sagte zu Verdan: „Steigt bitte ab. Und Eure Begleiter ebenfalls.“ Der Drachenritter tat widerstandslos, was der Mann verlangte und wir folgten seinem Beispiel. „Wird dein Drache uns angreifen?“ Verdan schüttelte den Kopf und fügte hinzu: „Nein, mein Drache und ich werden euch nichts tun. Wir kommen in friedlicher Absicht.“ „Beweist, dass ihr ein Ritter der Königin seid“, forderte der andere Wachmann ihn auf. Ich betrachtete ihn ge-nauer. Er hatte blondes, kurzes Haar, ein eher kantiges Gesicht und hatte Augen die beinahe so hell waren wie Salzkörner. Er überragte mich um einen Kopf, reichte Verdan aber nur zum Kinn. Trotzdem sah er nicht so aus, als ließe er sich durch die Größe des Fremden einschüchtern. „Das wird nicht nötig sein meine Herren“, erklang da plötzlich eine helle Frauenstimme. Alle wandten die Köpfe der Treppe zu, die sich den ersten Turm hochschlängelte. Dann sanken alle prompt auf die Knie. Langsam schritt eine große, schlanke El-fenfrau die Stufen hinab. Sie hatte ein blasses ovales Gesicht und kleine rote Lippen, die immer zu lächeln schienen. Tiefgraue Augen waren auf uns gerichtet, von dichten schwarzen Wimpern umgeben. Unter einem hauchdünnen Schleier, der die gleiche Farbe hatte, wie ihr Kleid, wallten braune Locken bis zu den Hüften hinab. Sie hatte große blätterförmige Flügel, auf denen Blumen und Blüten gelb schimmerten. Hinter ihr ging ein Mann, groß, ebenso schlank, mit der gleichen blas-sen Haut und leicht mandelförmigen Augen, die bei ihm jedoch dunkelbraun waren. Rotes, gelocktes Haar fiel auf seine Schultern. Er war in ein dunkelblaues, schweres Seidenwams und schwarze Lederhosen ge-kleidet. An seiner rechten Seite hing ein Schwert und seine Flügel hatten die Form von Libellenflügeln und schimmerten bernsteinfarben. Auf seinem Kopf saß eine silberne, reich verzierte Krone. Die der Frau war zierlicher und feiner, ebenfalls mit Diamanten verziert. Die beiden hatten den Burghof erreicht und kamen auf uns zu. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Wyran und Karla, die Herrscher Mydias vor uns standen. Verdan und Mefirian sanken auf ein Knie nieder, während Lo-rena und ich in einen tiefen Knicks sanken. Als ich auf-sah, stand das Königspaar direkt vor uns. Die Königin lächelte warm und herzlich auf Verdan herab, während der König sichtlich darum rang, nicht breit zu grinsen. „Verdan unser treuer Ritter. Es ist schön, Euch nach all den Jahren wiederzusehen“, sagte die Königin mit ihrer glockenhellen Stimme, immer noch lächelnd. Verdan nahm ihre Hand und führte sie kurz an die Lippen. „Es ist mir ebenfalls eine Freude Euch und den König wiederzusehen“, erwiderte er und lächelte leicht. Jetzt verzogen sich auch die Mundwinkel des Königs nach oben und er bedeutete Verdan sich zu erheben. Die Königin musterte besorgt seinen bandagierten Arm, stellte jedoch keine Fragen, sondern sagte zu mir und meinen Freunden: „Auch ihr dürft euch erheben.“ Als sie Mefirian ansah, weiteten sich ihre Augen für einen Moment, dann fasste sie sich wieder und lächelte ihm zu. „Willkommen auf der Burg Mydia, ihr drei. Man hat mir schon von eurem Unglück berichtet und…“ Sie wurde von einem Schrei unterbrochen, dann rannte mich beinahe jemand über den Haufen. „Eyrin! Dir geht es gut! Wir haben dich so vermisst!“ „Arlene, du drückst mir die Luft ab!“, keuchte ich, doch dann umarmte mich auch noch Mutter und presste mir die restlichte Luft aus den Lungen. „Mama, ich habe euch auch vermisst!“, schluchzte ich und vergrub mein Gesicht im Haar meiner Mutter und sog den Duft, der mich meine ganze Kindheit hindurch begleitet hatte, tief ein. Ich löste mich aus der zweifachen Umarmung und lächelte die beiden aus tränennassen Augen an. „Eyrin was ist denn geschehen? Nach dem Schneesturm ward ihr plötzlich verschwunden…“ „Später Mama“, unterbrach ich sie. Sie nickte und warf Verdan einen leicht verwirr-ten Blick zu, schluckte die Frage, die ihr auf der Zunge lag aber hinunter. Auch Lorenas und Mefirians Eltern waren zu ihren Kindern geeilt. Mefirian wurde von seinen Geschwistern beinahe zu Tode gedrückt. Danach machte er sich los und küsste jeden auf die Stirn. „Wir sollten uns in die Zimmer begeben um ungestört zu sein“, schlug die Königin plötzlich vor, die schweigend die Wiedersehensszene mit verfolgt hatte. „Ja, wir sollten hier nicht in der Kälte stehen“, stimmte Verdan zu und bedeutete Moira hinter den Pferdestall zu fliegen. Die Drachendame gehorchte, nachdem wir sie von unserem Gepäck und dem Sattel befreit hatten. Dann winkte das Königspaar uns, ihnen in den Turm zu folgen. Wir liefen die Treppe hoch, und es fühlte sich genauso wie in meinem Traum an. Gleich würde die Eule auftauchen. Ach, was, schalt ich mich, das war nur ein Traum und außerdem ist es nicht dunkel und es schneit auch nicht. Ich wusste wohl ziemlich blass geworden sein, denn meine Freunde als auch meine Mutter und Arlene sahen mich besorgt an. „Alles in Ordnung Eyrin?“, fragte Arlene. Schon wollte ich heftig nicken, als mich plötzlich so heftiger Schwindel und ein Gefühl von Gefahr packte, dass ich schwankend zur Seite stolperte und beinahe ins Leere getreten wäre. Lorena, die hinter mir lief, packte mich hastig am Arm und ich sank gegen sie. Mein Herz raste, kalter Angstschweiß brach mir aus und das Rauschen der Brandung und die besorgten Stimmen meiner Familie und Freunde, verstummten, als wäre ich plötzlichen taub geworden. Meine Hüfte schien plötzlich zu brennen und ich bekam Panik. „Eyrin um Himmels willen, was ist mit dir?“, drang Mutters Stimme zu mir durch. Ich konnte sie nur anstarren und brachte kein Wort heraus. „Schnell, wir müssen sie nach oben tragen!“, hörte ich Marlenes Stimme und da wurde ich auch schon kurzerhand von Mefirian hochgehoben. Und so trug er mich auf der schmalen Treppe den Turm hinauf. Ich sah in sein Gesicht und er lächelte mir schwach zu, seine Augen sahen mich besorgt, aber auch beruhigend an. Ich schloss die Augen und lehnte den Kopf an seine warme Brust und hörte sein Herz schnell hämmern. Schließlich blieb Mefirian stehen und ich hörte wie eine Tür geöffnet wurde. Dann wurde ich in ein weiches Bett gelegt und zugedeckt. „Stellt das Gepäck in eine Ecke“, wies der König meine Mutter an. Ich öffnete die Augen und sah Mefirian, Lorena, Verdan und Arlene, die sich über mich beugten. Die Eltern meiner Freunde und Mefirians Geschwister standen etwas weiter entfernt, sahen mich aber ebenso erschrocken wie besorgt an. „Ich hole die Heilerinnen“, hörte ich die Königin sagen und krächzte: „Nein Euer Hoheit, es ist nichts… wirklich…“ Sie warf mir einen skeptischen Blick zu, nickte dann und wandte sich, wie ihr Gemahl, zur Tür. „Ruft einfach einen der Diener, wenn ihr etwas braucht. Wenn Eyrin sich besser fühlt, laden wir euch alle herzlich zum Abendessen in unserer Halle ein. Eure persönlichen Diener, werden euch eure Zimmer zeigen und euch neue Kleidung bringen.“ Dann verließ das Königspaar das Zimmer. Ich schloss die Augen abermals, öffnete sie aber gleich wieder, weil ein Schatten auf mich fiel. „Geht es dir besser mein Schatz?“, fragte Mama und legte eine Hand auf meine Stirn. „Ja, Mama mach dir keine Sorgen.“ Sie sah mich genauso skeptisch an, wie die Königin zuvor und meinte: „Du flunkerst doch. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht. Was ist es?“ „Ach, die Reise war anstrengend und es ist so viel passiert…“, log ich, hatte ein schlechtes Gewissen und wich dem Blick meiner Mutter aus. Lorena und Mefirian nickten kaum merklich, als mein Blick auf sie fiel. Sie wussten was mit mir los war, oder sie ahnten es zumindest. Arlene und Mama drängten mich, ihnen alles zu erzählen. Meine Träume und Symra verschwieg ich. Das mit mei-ner Hüfte musste ich ihnen natürlich erzählen und Mut-ter war natürlich furchtbar besorgt und glaubte ich hät-te Schmerzen. Das war eine gute Ausrede die sich mir da bot. „Und ich hielt Camilla immer für ein nettes Mädchen! Also wirklich, eine Hexe! Zum Glück war Ver-dan ja da“, seufzte Mama und schenkte dem Drachen-ritter ein so strahlendes Lächeln, dass er errötete. Sie lächelte verständnisvoll und verließ, nachdem sie sich noch einmal davon überzeugt hatte, dass ich nicht im Sterben lag, den Raum. Jetzt kamen auch Arden, seine Kinder und Lorenas Mutter ans Bett und fragten mich alle was los sei. Ich log, ich hätte ein wenig Schmerzen in der Hüfte und sie glaubten es. Als ihre Neugierde gestillt war, scheuchte Mefirians Vater sie raus und Lorenas Mutter folgte ihm, nachdem ihre Tochter sie begrüßt und gedrückt hatte. Als wir mit Verdan alleine waren, seufzte ich: „Puh, endlich sind sie weg.“ Verdan grinste ein wenig, wurde dann aber sofort wieder ernst und fragte: „Geht es dir wirklich gut? Ist es wirklich die Hüfte? Ich habe ein paar meiner Wundumschläge mit-gebracht…“ „Ja, es ist besser und es ist… zum Teil mei-ne Hüfte“, unterbrach ich ihn. Er legte den Kopf leicht zur Seite, doch wie sollte ich erklären, was mit mir los war? Zum Glück kamen Mefirian und Lorena mir zur Hilfe. „Es ist wegen deinen Träumen. Du hast von der Burg geträumt und glaubst dass sie wahr werden könn-ten, nicht wahr?“, vermutete Lorena. Ich nickte leicht. „Du bist erschrocken, aber das ist es nicht allein, oder?“, fuhr Mefirian fort. Wieder nickte ich und fügte dann hinzu: „Ja, ich fürchte mich auch davor, dass Ca-milla hier sein könnte und was sie mit mir machen wird, wenn sie herausfindet, dass ich sie verraten ha-be…“ Ich begann vor Angst zu zittern und meine Kehle wurde eng. Verdan setzte sich auf die Bettkante und legte mir eine Hand auf die Stirn. Sofort hörte ich auf zu zittern und fühlte mich beschützt und sicher. Ich fühlte mich auf einmal schläfrig. „Ich würde jetzt gerne schlafen.“ „Natürlich.“ Er erhob sich und verließ mit Mefirian und Lorena den Raum. „Ich bleibe bei dir“, bot Arlene an, lächelte mir zu und setzte sich mit ihrem Stickrahmen auf einen Stuhl. Sie tat ein paar Stiche, fragte mich nicht aus, was das Gespräch, das ich eben mit meinen Freunden geführt hatte, zu bedeuten hatte. Arlene tat noch fünf Stiche, dann schlief ich ein.

Fünfundzwanzig

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Ich wachte erst am Abend wieder auf. Arlene saß noch immer neben mir, hatte eine Kerze angezündet und stickte schnell und sauber. Als meine Decke raschelte, hob sie lächelnd den Kopf, stickte jedoch weiter ohne überhaupt hinzusehen. „Es tut mir leid, dass ich dir nichts von meinen Träumen erzählt habe…“ Sie stach die Nadel in den Rahmen, auf dem schon eine halbfer-tige Rose prangte. „Ich kann es verstehen. Du hattest angst, ich würde dir nicht glauben und dich für verrückt halten.“ „Du bist die beste Schwester auf der Welt!“, sagte ich und zog sie an mich. Arlene ließ sich die Um-armung ein paar Augenblicke gefallen, dann machte sie sich los und deutete auf einen Stapel Kleidung am Fußende des Bettes. Dort lag ein hellorangenes Sei-denkleid mit roten Stickereien und kleinen Spiegel-scherben verziert. Von den Säumen der Ärmel hingen rote, durchsichtige Tücher, die am Ende spitz zuliefen. Es lag noch ein roter Ledergürtel bereit und schlanke schwarze Lederstiefel. Ich entdeckte noch ein hellbrau-nes Haarnetz, das beinahe dieselbe Farbe hatte wie mein Haar. „Oh!“, machte ich entzückt. Arlene lächelte und erklärte: „Das sollst du für das Abendessen anzie-hen, das gleich stattfinden wird.“ Erschrocken sprang ich aus dem Bett, wieder vollkommen fit und schlüpfte mit der Hilfe meiner Schwester in das Kleid. Während sie hinten am Rücken die Schnüre zuband, zog ich die Stiefel an, was ein wenig schwer war, weil Arlene mir beinahe die Luft abschnürte. Und sie flocht mir noch in Windeseile einen Zopf, den sie dann zu einer Schnecke gerollt ins Haarnetzt steckte. Als sie fertig war, trat sie einen Schritt zurück und nickte zufrieden. „Du siehst schön aus“, bemerkte sie. Dabei sah sie in ihrem gel-ben Kleid auch nicht schlecht aus. „Danke“, schnurrte ich und lächelte geschmeichelt. Arlene verdrehte die Augen, grinste aber und winkte mir, ihr zu folgen. Wir verließen den Raum, trafen auf eine Treppe, die nach oben führte und auf eine, die nach unten führte. Meine Schwester wandte sich ohne zu zögern der ersten Trep-pe zu und stieg die Stufen hinauf. Ich folgte ihr hastig und fragte: „Hier gibt es außen und drinnen Treppen?“ Arlene nickte. „Aber die Feinde können hier doch ganz einfach rein.“ „Nein, dazu müssten sie das Losungswort kennen, und das wissen nur der König und die Köni-gin.“ „Ich habe aber vorhin niemanden etwas sagen hören.“ „Das Königspaar kann die Gemächer, auch oh-ne das Losungswort auszusprechen, betreten“, erklärte sie geduldig und stieg die Stufen, die um den Turm herumreichten herab. Mir wurde ein wenig schwindelig beim Umrunden des Turms und ich war froh, als wir endlich den Burghof erreichten. Meine Schwester führte mich zwischen den verschieden Elfen hindurch. Der Himmel war schwarz, Sterne blinkten am Firmament und der Wind war nicht mehr so beißend wie ein paar Tage zuvor. Arlene blieb vor einem hohen, breiten Ge-bäude stehen. Es hatte eine große hölzerne Tür und vier Stockwerke. Vor der Tür waren zwei Wachen pos-tiert, die lange silberne Stäbe in den Händen hielten, auf dessen Spitzen blau schimmernde Steine saßen, in denen Magie pulsierte. Als wir nähertraten, richteten sie die Stäbe auf uns. Arlene trat ihnen ohne Angst entgegen und sagte: „ Die Königin hat uns in die Halle eingeladen, das ist meine Schwester Eyrin.“ Die Soldaten sahen sie leicht zweifelnd an. Lächelnd holte meine Schwester eine kleine bronzene Eule mit kleinen grünen Rubinen als Augen und hielt sie den Wachen hin. Diese nickten, traten einen Schritt zur Seite und gaben die Tür frei. Meine Schwester winkte mir zu und wir traten in einen dunklen, nach Holz und Moder riechenden Raum. Wir konnten die Umrisse von mindestens fünfzig großen Weinfässern und einer Treppe, die nach oben führte, erkennen. Wir befanden uns offensichtlich im Weinkeller. Wir stiegen die Treppe hoch und fanden uns, nachdem wir die Treppe passiert hatten, auf einen mit kunstvoll gestickten Teppichen bedeckten Flur wieder. Arlene legte einen Finger an die Lippen und flüsterte mir zu: „Die Gemächer des Königspaares und Gästezimmer für höhere Besucher.“ Ich nickte und trat beinahe lautlos auf die hölzerne Treppe zu, die am Ende des Flures ins nächste Stockwerk führte. Schon auf den ersten Stufen schlug uns gedämpfter Lärm entgegen und wir hörten Stimmen und Gelächter. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Jetzt standen wir vor der Tür und lächelten uns unsicher an. Arlene holte tief Luft und betrat die Halle. Ich folgte ihr zögernd. Schlagartig verstummten das Gelächter, Besteckklirren, Füßescharren und die Stim-men, als wir eintraten. Alle Augen hatten sich auf uns gerichtet. Die große Halle war von Fackellicht erfüllt, dass sie golden schimmern ließ und jede Ecke erleuch-tete. Lange hölzerne Bänke erstreckten sie zu beiden Seiten, reich beladen mit Essen, Geschirr und Blumenvasen, in denen Rosen aus gefärbtem Eis schimmerten, die nicht schmolzen. Der steinerne Boden war mit Stroh bedeckt, das leise unter meinen Sohlen knisterte, als ich mit Arlene zur größten Tafel schritt. Ich war mir der Blicke aller bewusst und hob den Kopf ein wenig. Ausdruckslose, freundliche, neugierige oder leicht verärgerte Gesichter sahen mir entgegen und ich suchte die Tafel nach meinen Freunden ab. Ich ent-deckte Verdan an der linken Seite der Königin, dann folgten neben ihm meine Mutter, Mefirians Familie, Lorenas Mutter und Lorena und Mefirian, die mir zulä-chelten. Unsicher und beinahe panisch ging ich auf das Königspaar zu, das mir und Arlene schweigend entgegensah. Meine Schritte kamen mir in der vollkommenen Stille überlaut vor. Als ich schließlich vor dem Königspaar stand, lächelte ich leicht gezwungen, senkte den Blick und knickste genau wie meine Schwester. „Ihr dürft euch erheben“, sagte die Königin freundlich, mit ihrer klaren melodiösen Stimme. Ich erhob mich, hielt den Blick jedoch weiterhin gesenkt. „Nun denn, setzt euch an die Tafel und beehrt uns mit eurer Anwesenheit. Sei uns herzlich willkommen Eyrin.“ „Danke Eure Majestäten“, stammelte ich, knickste noch einmal und huschte dann eilig und mit hochrotem Kopf zu Lorena und Mefirian, die gerückt waren, um Platz für mich zu machen. Die adligen Elfen sahen uns neugierig an und ich kam mir vor wie ein hässliches Huhn inmitten von wunderschönen Pfauen. Die Frauen trugen herrliche bunte Kleider, mit kunstvollen Stickereien, Perlen und Diamanten verziert, mit Haarspangen aus Gold und Umhängen aus feinster Seide. Die Herren trugen samtene Röcke und Tuniken in dunklen Farben und ebenfalls kostbare Umhänge. Manche von ihnen waren mit Pelz besetzt. Erst jetzt fiel mir auf, wie meine Freunde gekleidet waren. Loren trug ein pfirsichfarbenes Kleid, das an den Ärmeln mit wei-ßer Spitze verziert war. Über den Rock zogen sich glitzernde Linien, wie ein Spinnennetz und das blonde Haar hatte sie hochgesteckt. Sie trug einen Kamm aus Elfenbein im Haar, der mit kleinen Perlmuttperlen ver-ziert war. Mefirian und Verdan trugen knielange Tuni-ken, jeweils in dunkelgrün und blau, mit dem Königs-wappen verziert, schwarze Hosen, kniehohe Lederstie-fel und wollene Umhänge. Verdan sah ein wenig blass aus und da sein Arm in der Schlinge steckte, sah er nicht ganz so elegant aus wie die anderen. Doch er lächelte mir zu und vertiefte sich dann in eine Unterhal-tung mit der Königin. Der König unterhielt sich mit einem älteren Mann, der offensichtlich in seinen Diens-ten stand. Ich ließ meinen Blick durch die Halle schweifen und sah, dass die einfachen Elfen an kleinen Tischen beisammensaßen. Das Essen war nicht so gut wie an den großen Tafeln, aber es sah durchaus genießbar aus. Jetzt widmete ich mich erst einmal den Speisen, die vor mir standen. Ich sah Honigkringel, klei-ne Törtchen mit Schlagsahne, duftende Pasteten, Pilze in dunkler und Gemüse in heller Soße, glasiertes Huhn, weiches weißes Brot und noch vieles mehr. Ich nahm mir einen mit gemahlenen Haselnüssen gefüllten und mit Zuckerguss glasierten Kringel und biss hinein. Er schmeckte sehr süß und die Nüsse ein wenig bitter. Danach nahm ich mir von der Pastete und dem lockeren Brot, das einem im Mund zerging. An-schließend nahm ich die Getränke in Augenschein und entschied mich für Wasser, da ich keinen Alkohol trin-ken wollte. Ich musste feststellen, dass es kein Wasser war, sondern stark verdünnter Wein, der aber auf der Zunge prickelte und nach Beeren schmeckte. Es schmeckte mir so gut, dass ich gleich drei Becher davon trank, davon aber nicht betrunken wurde. Wie gesagt, der Wein war sehr stark verdünnt. Ich unterhielt mich mit Mutter und Arlene, meinen Freunden und hatte Freude an dem Abendessen. Es versetzte mich ir-gendwie in Hochstimmung von so vielen verschiedenen Elfen umgeben und in Burg Mydia zu sein. Die Schre-cken der vergangen Wochen waren vergessen, als wä-ren all die furchtbaren Ereignisse nie geschehen. Ich vergaß es einfach und dass war ein Fehler, den ich heute bereue. Das Essen dauerte bis tief in die Nacht und um Mitternacht entschuldigte Verdan sich und bat darum, dass wir uns auch zurückziehen durften. Die Königin gewährte ihm seine Bitte und wünschte uns allen eine Gute Nacht. Ich war ein wenig enttäuscht, als Arlene mich mit sich aus der Halle zog, aber Müdigkeit ließ mir die Lider schwer werden und so ließ ich mich ohne Widerstand in mein Zimmer bugsieren. Wir alle hatten unsere Zimmer im selben Stockwerk und darüber waren wir sehr froh. So konnten wir uns besuchen und zusammen irgendwo hingehen. In meinem Zimmer angekommen, rief ich nach einer Zofe und ließ mir aus dem Kleid und in ein langes Nachthemd helfen. Die Zofe flocht meine Haare noch zu einem Zopf, schüttelte Kissen und Decke aus und wünschte mir eine gute Nacht. Ich bedankte mich und kroch unter die Decke.

Es kam mir vor, als hätte ich nur ein paar Minuten ge-schlafen, als Arlene mich weckte. Schlaftrunken und leicht verwirrt stolperte ich durchs Zimmer, wusch mich, schlüpfte in ein schlichtes grünes Kleid und flocht mir hastig zwei Zöpfe, die ich mit weißen Bändern umwi-ckelte. Draußen auf dem Gang trafen wir auf Mefirian und Lorena. Er trug eine braune Tunika, schwarze Ho-sen und seine Stiefel. Das Haar trug er wie immer offen. Er lächelte mich und Arlene grüßend an und Lorena flötete fröhlich: „Guten Morgen ihr zwei! Ist das nicht ein herrlicher Tag?“ Sie sah nicht so aus, als würde ihr der wenige Schlaf etwas ausmachen, wie denn, schließlich ist sie ja eine Nachtelfe. Ich brummte etwas und Mefirian lachte. „Unsere Eltern sind schon in der Halle beim Frühstück“, erklärte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Ich verstand nicht was an meiner schlechten Laune lustig sein sollte und streckte ihm die Zunge heraus. Daraufhin lachte er noch mehr und ich musste grinsen. „Sollen wir auch kommen? Die Königin behandelt uns ja wie hohe Gäste“, sagte ich. „Das liegt bestimmt an Verdan“, meinte Lorena und warf mit einer anmutigen Handbewegung ihr blondes Haar zurück. „Weil er so gut mit ihr tändeln kann?“, scherzte Arlene und bekam von mir einen bösen Blick. „Nein, weil er in ihren Diensten steht“, erklärte Mefirian geduldig. Arlene nickte mit großen Augen. „Ach so!“ Ich verdrehte die Augen. Wie dumm sie sich manchmal stellte!

Sechsundzwanzig




Nach dem Frühstück, das wir wieder zusammen mit dem Königspaar einnahmen, wurde ich überraschen-derweise von Karla gerufen. Ich hatte keine Ahnung was sie von mir wollte, ging jedoch zu ihren Gemächern um sie nicht zu beleidigen. Die Dienerin, die mich dort-hin führte, klopfte, wartete darauf, dass sie hereingebe-ten wurde und trat ein. Nach kurzer Zeit erschien sie wieder und bedeutete mir einzutreten. Ich schluckte und trat mit heftig klopfendem Herzen in den Raum. Das erste was mir ins Auge sprang, war das riesige Himmelbett. Eine Kommode, ein gewaltiger Kleider-schrank und ein gläserner Tisch befanden sich noch im Raum. Gleich neben dem Bett entdeckte ich einen Fri-siertisch und das ließ mich in meinem Kopf alle Alarm-glocken schrillen lassen, obwohl ich nicht wusste wa-rum. Beunruhigt trat ich näher und die Königin, die am Frisiertisch saß, drehte sich zu mir um. Sie lächelte mir zu und grüßte mich: „Hallo Eyrin, ich habe schon auf dich gewartet. Setz dich doch.“ Sie deutete auf einen der aus Silber bestehenden Stühle und ich setzte mich. Karla winkte der Zofe, die neben ihr stand, dass sie sich zurückziehen konnte. Die junge Frau schüttelte den Kopf und blieb stehen. Die Königin runzelte leicht die Stirn, sagte jedoch nichts und wandte sich wieder an mich. „Ich habe dich hergebeten, weil ich gerne hören will, was dir auf der Reise hierher widerfahren ist. Verdan wollte mir nichts verraten.“ „Ähm…ich glaube nicht, dass ich etwas erzählen sollte, was Verdan nicht möchte, Eure Hoheit“, wandte ich vorsichtig ein. Karla lachte hell und schüttelte den Kopf. „Niemand muss erfahren, dass du es mir doch erzählt hast und außerdem frage ich dich nach den Ereignissen. Und die Wünsche einer Königin darf man nicht missachten, oder?“ Sie zwinkerte mir zu und ich lächelte. Dann begann ich zögernd zu erzählen und ließ nichts aus, was mich ziemlich überraschte, denn selbst Arlene und meiner Mutter hatte ich nicht alles erzählt. Und jetzt verriet ich einer mir fremden Königin meine Ängste, Gedanken und Vermutungen. Ich redete und redete, als ginge es um mein Leben. Karla hörte schweigend zu, nickte ab und zu und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Als ich geendet hatte, meinte sie: „Dass mit dieser Camilla müssen wir Mirabella mitteilen. Ich werde mich gleich darum kümmern.“ Sie holte einen Diener herbei und bat ihn Mirabella eine Nachricht zu überbringen, dass die Königin sie in einer halben Stunde zu sehen wünschte. Nachdem der Mann wieder gegangen war, winkte Karla ihre Zofe wieder heran und diese begann ihr das Haar zu kämmen. „Mir tut leid, was dir widerfahren ist Eyrin. Aber ich verstehe nicht, warum Verdan es mir nicht er-zählen wollte.“ „Vielleicht weil er sich schämte…oder weil er zu stolz war.“ „Verdan und zu stolz? Nein, ich glaube eher er hat sich geschämt, wessen auch im-mer…“, erwiderte Karla und lächelte vor sich hin. Ver-stohlen betrachtete ich ihre Zofe. Sie war vielleicht An-fang zwanzig, hatte langes braunes Haar und war schlank. Da erkannte ich sie. „Mejoné!“, rief ich erfreut und sie drehte sich zu mir um. Sie lächelte als sie mich erkannte und sagte: „Hallo Eyrin, so sieht man sich wieder.“ „Ihr beiden kennt euch?“, fragte die Königin verwundert und Mejoné nickte. „Wir sind uns in mei-nem Heimatdorf begegnet. Verdan hat nach dem Dorf-obersten gefragt, weil sie sich angeblich in einem Schneesturm verirrt hätten…“ „Wieso angeblich?“, woll-te ihre Herrin wissen. „An dem Tag, war kein Flöckchen vom Himmel gefallen. Ich habe schon gedacht Verdan fantasiert.“ „Müsstet Ihr Verdan nicht schon kennen? Schließlich muss er sich doch oft in der Nähe der Köni-gin aufhalten. Da hättet ihr euch doch begegnen müs-sen!“, mischte ich mich ein. Mejoné sah Karla fragend an und die Königin nickte mit einem Seufzer. „Nein, ich bin erst seit einem Jahr im Dienste der Königin.“ „Und was heißt das jetzt?“, fragte ich verständnislos. „Verdan war schon seit fünf Jahren nicht mehr im Schloss“, antwortete die Königin. Ich sah sie ungläubig an. Das hatte er mir gar nicht erzählt und Lorena und Mefirian auch nicht. „Was? Schon seit fünf Jahren? Aber er hat uns kaum etwas über sich erzählt und als ich ihn einmal gefragt habe…hat er mich angefahren, als hätte ich ihm eine unschickliche Frage gestellt.“ „Das ergibt Sinn. Er erzählt nicht gerne über sich. Vor fünf Jahren ist etwas passiert, weswegen er aus der Burg fliehen musste. Ich habe die Hoffnung schon aufgegeben je wieder so einen treuen Ritter zu finden“, seufzte Karla. „Aber habt ihr nicht nach ihm suchen lassen?“, fragte ich. „Nein, denn wir hielten es für besser ihn ziehen zu lassen. Wir wollten ihn nicht zwingen bei uns zu bleiben.“ „Und was ist passiert, dass er fliehen musste?“ Die Königin erhob sich von dem Frisierstuhl und setzte sich auf einen Stuhl, den die Zofe vor meinen schob. Mejoné stellte sich an die linke Seite ihrer Herrin. Dann begann Karla zu erzählen. „Ich berichte dir erst einmal alles von Anfang an. Ich habe so einiges über Verdan herausgefunden, er weiß aber nichts davon. Also, eine Frau in dem Dorf, in dem er früher gelebt habt, hat mir alles über ihn erzählt, was sie von anderen erfahren hatte. Verdan war ein Einzelkind und hatte keine Freunde. Aber trotz-dem war seine Kindheit glücklich, denn er hatte Moira als kleines Drachenjunges in einer Höhle gefunden. Ihre Eltern sind wohl von Jägern getötet worden. Sie war seine treue Gefährtin, doch im Dorf war sie nicht sicher. Also musste Verdan sich einen anderen Ort suchen, an dem Moira sicher war. Er fand ihn bei sei-nem Großvater, der in einem anderen Dorf wohnte. Dort ließ er den Drachen und kehrte nach Hause zurück. Doch er musste feststellen, dass seine Heimat zerstört war. Die Häuser waren verbrannt und eingestürzt. Seine Eltern und viele andere Bewohner waren tot. Nur eine ältere Frau hatte überlebt und nahm ihn bei sich auf. Sie verschwanden aus dem Dorf, holten Moira zurück und zogen nach Osten. Plötzlich starb die Frau und er war wieder allein.“ Die Königin machte eine Pause, seufzte traurig und fuhr dann fort: „Dann fand er heraus, dass er einen Onkel und eine Tante hatte und ging zu ihnen. Sie nahmen ihn herzlich auf und dort blieb er einen Monat. Er hatte auch einen Cousin, aber der war erst ein Kleinkind, sah ihm aber ers-taunlich ähnlich. Dann zogen sie alle in die Burg um den Winter zu überstehen. Dort begann er als Knappe und wir merkten, dass er sehr geschickt mit dem Schwert umgehen konnte. Obwohl er noch nicht vierzehn war, begann seine Ausbildung zum Knappen und er wurde schon mit siebzehn Jahren zum Ritter geschlagen. Er hatte mir schon vorher treue Dienste geleistet und in einigen Schlachten gekämpft, von denen es allerdings nicht viele gab.“ „Aber warum hat er das Schloss verlassen?“, wollte ich wissen. Karla er-zählte weiter. „Er verkrachte sich mit einer meiner Zofen. Sie beide wollten sich immer darin ausstechen meine Gunst zu erwerben. Und sie haben sich oft ge-stritten. Dann eines Tages kam meine Zofe vollkommen aufgelöst zu mir und erzählte mir, Verdan hätte versucht sie zu vergewaltigen. Ich bat Verdan zu mir, doch er floh noch am selben Tag mit Moira und seitdem sah ich ihn nicht mehr. Die Zofe ist noch in meinen Diensten, aber gerade nicht hier. Verdan hat nie versucht seine Unschuld zu beweisen, aber trotzdem habe ich immer gehofft er würde zurückkeh-ren. Und jetzt hat diese Hoffnung sich erfüllt.“ Sie klang nicht glücklich darüber. „Und habt ihr schon darüber gesprochen?“ „Nein, leider nicht. Er ist mir ausgewi-chen und ich möchte ihn nicht bedrängen. Ich be-fürchte jedoch es könnte zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und meiner Zofe kommen. Sie hat manchmal ein feuriges Temperament, doch sie ist eine gute Zofe…“, beendete sie ihren Bericht. Ich starrte sie schweigend an, Mejoné war bleich geworden und ich sah Tränen in ihren Augen. „Ist das wirklich wahr? Er hat sie vergewaltigt?“, hauchte sie. Karla sah sie an und schüttelte leicht ärgerlich den Kopf. „Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube es nicht. Meine Zofe muss es sich ausgedacht haben. Hätte ich Verdan doch schon früher gesagt, dass ich an seine Unschuld glau-be. Ich hoffte er hätte in deiner Gegenwart irgendetwas darüber erwähnt, dass er zu mir kommen und die Sa-che klären wollte…deshalb habe ich dich auch hierher bestellt Eyrin.“ Ich nickte und sagte zu Mejoné: „Du hast dich in ihn verliebt.“ Sie wurde rot und wandte den Blick ab. Karla lächelte schwach. „Er…er ist so höf-lich und sieht so gut aus… und er ähnelt eurem Freund, wie hieß er doch gleich?“ „Mefirian!“, kreischte ich und die beiden Frauen zuckten erschrocken zusammen. „Was ist?“, fragten sie gleichzeitig. Ich sah sie an, schüttelte den Kopf und schrie: „Verdan ist Mefirians Cousin!“

Siebenundzwanzig

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„Was sagst du da?“, fragte Karla und sah mich aus leicht zusammengekniffenen Augen an. „Wie?“, machte auch Mejoné und sah mich an, als hätte ich den Ver-stand verloren. Doch ich ging nicht darauf ein, sondern fing an zu stammeln: „Du meine Güte, die beiden sind Cousins! Und sie wissen es noch nicht einmal.“ Die Kö-nigin und ihre Zofe warfen sich einen teils erschrocke-nen teils verständnisvollen Blick zu. Karla meinte: „Das uns das nicht früher aufgefallen ist! Die beiden sehen sich so ähnlich und…“ „Sie sind beide großherzig, höf-lich und nett. Und mutig“, unterbrach ich sie. Sie nickte und meinte dann. „Sollen wir es ihnen sagen?“ Mejoné sah noch immer ganz benommen aus und erwiderte nichts. „Ich weiß nicht…ich weiß überhaupt gar nichts mehr…“, murmelte ich und stützte den Kopf in die Hän-de. Gedanken wirbelten wie ein Sturm durch meinen Kopf, irgendwie kamen mir die stummen und unförmi-gen Wörter und Bilder bekannt vor. Ich wusste, etwas Wichtiges war dabei, ich konnte es nur nicht erfassen. Ich strengte mich an, versuchte sie zu ordnen, meinen Kopf zu beruhigen, bevor er noch explodierte. Langsam begann sich ein Gedanke in meinem Kopf zu bilden, ich versuchte ihn festzuhalten, aber er entwischte mir, wieder und wieder. „Eyrin? Hallo, hörst du mir zu?“, drang Karlas Stimme zu mir vor. Mir wurde schwindelig, ein schemenhaftes Bild huschte vor meinem inneren Auge vorbei. Ich sah Mefirian auf einem Feld stehen, er unterhielt sich mit einer Erdelfe. Ihre Worte hallten in meinem Kopf wider: „… hat mir erzählt, dass die Zofe ein freches Mundwerk hat und über die anderen Zofen und Mägde spottet und ihnen das Leben schwer macht. Nur bei der Königin ist sie lieb und fügsam, hat meine Freundin mir gesagt. Außerdem soll diese Frau den anderen Mädchen und Frauen gedroht haben, wenn sie der Königin etwas Schlechtes über sie sagen würden, würde sie sie bei ihrer Herrin anschwärzen und für ihre Entlassung sorgen“, Die Zofe der Königin…die Verdan angeblich vergewaltigt hatte…sie war… Ein plötzlicher Schmerz schoss durch meine Hüfte, ich wollte ihn mir verbeißen, doch trotzdem kam ein Schmerzenslaut über meine Lippen. „Was ist los Eyrin? Was hast du?“, wollte Karla erschrocken wissen. Ich griff mir an die Hüfte und sog scharf die Luft ein. Es tat genauso weh als der Pfeil meine Hüfte getroffen hatte. Symra… „Mejoné hol Hilfe“, befahl die Königin. Ihre Zofe nickte und eilte aus dem Zimmer. Die Königin beugte sich zu mir vor und legte eine Hand auf meinen Arm. Ich krümmte mich vor Schmerz, meine Hüfte brannte wie Feuer, stach. Es fühlte sich an, als würde jemand die verheilte Wunde aufreißen. Ich stöhnte auf und erinnerte mich an die Nacht in der Camilla und Symra aufgetaucht waren. Ich wollte das nicht noch einmal erleben… Ich hörte wie die Tür aufging und kurz darauf tauchte Verdans Gesicht vor meinem auf. Mejoné sah mich ängstlich an, Karla bat Verdan: „ Hilf ihr bitte…ich weiß nicht was es ist…sie hat plötzlich Schmerzen bekommen.“ Verdan half mir aufzustehen und bugsierte mich in das Bett der Königin, ich wollte protestieren, doch ein erneuter Schmerz ließ mich zusammenzucken. Verdan schob mein Kleid hoch und enthüllte meine Hüfte, die genauso weiß und leicht gepolstert aussah wie sonst. Trotzdem fühlte es sich an, als würde der Pfeil immer noch drinstecken. Er strich mit der Hand darüber und ich wimmerte. „Was ist mit ihr?“, wollte Karla wissen und stellte sich neben ihn. Er sah kurz zu ihr hoch und erklärte: „Sie wurde von einem Pfeil an der Hüfte getroffen.“ „Ich weiß“, nickte sie. Der Drachenritter sah sie verwundert an. „Woher wisst Ihr das?“ „Eyrin hat es mir erzählt…auf meinen Wunsch hin…und sie hat ein Geheimnis enthüllt, dass dich betrifft“, fügte sie schnell hinzu. „Verdan…Mefirian…Mefirian ist dein Cousin.“ „Was? Das kann nicht sein!“, rief der junge Mann und sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Die Königin lächelte schwach. „So ist es. Hast du es nicht bemerkt? Er sieht dir so ähnlich und euer Wesen ist fast dasselbe… ich hätte es früher merken müs-sen…schon als diese Frau mir alles über dich erzählt hat.“ „Ihr wusstet es also.“ „Ja Verdan…schon bevor Ihr gegangen ward…“ Er nickte nur, zu verwirrt und über-wältigt um zu sprechen. „Helft bitte Eyrin!“, mischte sich Mejoné ein. Er nickte und bat Mejoné seine Kräuter zu holen. Sie eilte davon und kam dann schnell wieder mit einem Beutel zurück. Verdan lächelte ihr dankbar zu, was sie erröten ließ. Dann machte er sich an die Arbeit. Verdan bereitete die Kräuter zu einer Salbe, rieb sie in meine Hüfte und gab mir einen ekelhaften Tee zu trinken. Die Schmerzen ließen ein wenig nach, blieben jedoch. Verdan wollte mich in mein Zimmer bringen, doch Karla protestierte entschieden dagegen. Er gab sich geschlagen und kümmerte sich um mich. Ich wollte ihn bitten Mefirian zu erzählen, dass sie verwandt waren, doch ich konnte nicht. Nur ein Gedanke beherrschte meinen Geist: Symra ist eine Zofe der Königin.

Ich weiß nicht wie lange die Schmerzen anhielten und Verdan neben mir saß. Er kümmerte sich um mich, schien aber oft mit den Gedanken woanders zu sein. Ich vermutete, dass er an seine Vergangenheit dachte und die überraschende Nachricht von seiner Verwandt-schaft mit Mefirian erst einmal überdenken und verar-beiten musste. Die Königin musste leider gehen, sie hatte einen wichtigen Termin, aber sie versprach später nach mir zu sehen. Mejoné bekam von ihrer Herrin die Erlaubnis zu bleiben, damit sie Verdan helfen und ihm wenn es nötig war, seine Sachen brachte. Ich sah, dass sie froh darüber war, aber sie war auch nervös. Die Sa-che mit der Vergewaltigung nagte an ihr und sie biss sich immer wieder nervös auf die Lippen, als wolle sie verhindern mit einer unschicklichen Frage herauszu-platzen. Dann schien sie es nicht mehr aushalten zu können, denn sie rang die Hände, blickte auf und sagte leise: „Verdan… die Königin…“ Als der Drachenritter sie verwirrt anblinzelte, noch ganz in seiner Vergangenheit gefangen, senkte sie sofort wieder den Blick und kaute an der Unterlippe. „Ja Mejoné?“ Die Zofe holte tief Luft und murmelte dann: „Die Königin…sie hat erzählt du wärst geflüchtet, weil…weil du angeblich eine andere Zofe von ihr vergewaltigt hast…stimmt das?“ Einen Moment sah Verdan sie verblüfft an, dann fragte er mit weicher Stimme: „Und was glaubst du?“ Die junge Frau strich sich das lange Haar hinter die Ohren und sah ihm unverwandt in die Augen. Aus einer Sekunde wurden zwei, aus zwei drei, bis es mir schien wie eine Ewigkeit. Dann antwortete Mejoné: „Ich glaube, dass Ihr unschuldig seid…und…und ich liebe Euch.“ Verdan lächelte warm und glücklich, dann erhob er sich und hob ihr Kinn mit der Hand an. Er küsste sie auf die Wange, für mehr war im Augenblick keine Zeit und nicht der richtige Ort. Außerdem war ich ja noch da, allerdings störte mich das Liebesgesäusel der beiden nicht. Verdan schien sich an mich zu erinnern, denn er ließ die Zofe los und drehte sich zu mir um. „Geht es schon besser?“, erkundigte er sich, sah dann aber mein wohl entsetztes Gesicht, dass ich schon die ganze Zeit über machte und fragte allarmiert: „Was ist los? Werden die Schmerzen wieder stärker?“ „Nein, nein, das ist es nicht…“, erwiderte ich ausweichend. Ich konnte ihm einfach nicht sagen, dass seine und meine Erzfeindin hier in der Burg und auch noch eine Zofe der Königin war. Nicht, dass ich nicht gewollt hätte, aber sobald ich den Mund aufmachen wollte um ihn zu warnen, schoss eine neue Schmerzwelle durch meinen Körper. Ich war mir sicher, dass es eine Warnung von Symra an mich war, sie ja nicht zu verraten, würde ihr nächster Mordanschlag nicht so gut für mich ausgehen. Ich hatte große Angst, aber ich musste Verdan doch warnen! Es war zwecklos. Symra würde dem Königspaar oder womöglich Verdan etwas antun und ich konnte nichts tun um dies zu verhindern. Irgendwann entschloss Verdan sich, mich in mein Zimmer zu bringen und dort auf mich acht zu geben. Schließlich musste Karla ja irgendwo schlafen und ich hatte kein Recht ihr die Schlafstätte wegzunehmen. Ich lag noch lange wach, nachdem Verdan eingenickt war. Er war sicher sehr erschöpft und aufgewühlt und ich hatte ein schlechtes Gewissen ihm seinen Schlaf und seine Zeit zu stehlen. Er hatte noch nicht einmal Zeit um Moira zu besuchen. Gegen Morgengrauen hatte ich eine Entscheidung getroffen: Ich musste mich alleine um Symra kümmern um meine Freunde und Familie nicht in Gefahr zu bringen. Verdan hatte schon genug Probleme mit ihr gehabt und außerdem würde sie mir nichts anhaben können, weil ich ja keinem von ihrem Plan erzählt hatte. Nur wo war sie? Karla hatte erzählt sie hätte ihre Zofe weggeschickt, aber wann war das gewesen? Bestimmt vor fünf Jahren. Aber wie hatte Symra weiter die gute Zofe spielen und gleichzeitig nach mir suchen können? Ich vergaß, sie war ja eine Hexe und kannte alle möglichen Tricks. Ein wenig un-wohl war mir bei dem Gedanken schon, ganz alleine gegen Symra ankommen zu müssen, doch so würde ich meine Freude und meine Familie nicht in Gefahr brin-gen. Ich musste nur tun was Symra wollte und sie nicht verraten, bis sie unachtsam wurde. Ich wusste damals nicht wie schwer das sein würde…

Zuerst einmal musste ich herausfinden wo Symra war, was sich als viel schwerer erwies, als ich gedacht hatte. Ich durfte nicht zu offensichtlich vorgehen aber gleich-zeitig brauchbare Informationen sammeln. Na ja, mir fiel es nicht gerade leicht mich mit anderen Menschen ungezwungen zu unterhalten. Aber ich musste es tun. Am besten ich fragte die Königin, aber sie hatte ja be-reits gesagt, dass sie Symra weggeschickt hatte. Scha-den konnte es nicht nachzufragen, aber Karla durfte keinen Verdacht schöpfen. Als ich auf Verdan traf, bat ich ihn um ein Gespräch mit der Königin. Er nickte mir abwesend zu, drehte sich um, wollte gehen. Dann blieb er jedoch stehen und wandte sich zu mir um. Er sah nervös aus und übernächtigt. „Ist…hast du Mefirian schon gesehen? Ich…ich muss mit ihm reden…du weißt schon…“ Ich konnte kaum glauben, dass vor mir der unerschrockene Drachenritter Verdan stand, der gegen Symra gekämpft und sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, nur um mir und meinen Freunden zu helfen. Dieser Mann vor mir, der herum stammelte wie ein kleiner Schuljunge. „Ja, er ist in seinem Zimmer“, erwi-derte ich. Dann fügte ich hinzu: „Keine Angst, Mefirian ist kein Dummkopf und wird dir keine Vorhaltungen machen.“ Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln und ging in Richtung Mefirians Zimmer. Ich sah ihm eine Weile nach und ging dann einfach zum Gemach der Königin. Auf dem Weg dahin traf ich auf Mejoné, die einen geflochtenen Korb mit weißer Leinenwäsche trug. Sie lächelte mir zu und ich lief eine Weile neben ihr her. „Geht es dir wieder besser Eyrin?“ Ich sah verlegen zu Boden und antwortete ausweichend: „Reden wir nicht von mir. Ich wollte eigentlich zur Königin und wollte Euch fragen…“ „Ah ich verstehe, ich soll um eine Audi-enz bei ihr für dich bitten.“ „Erfasst.“ „Gut, halte das mal. Ich gehe sie fragen.“ Sie drückte mir den Korb in die Arme, der ziemlich schwer war und verschwand im Gemach der Königin. Obwohl sie nicht lange brauchte, kam es mir wie eine Ewigkeit vor, was nicht nur an dem schweren Korb lag. Mejoné tauchte wieder auf, nahm den Korb wieder an sich. „Du darfst reingehen. Aber sie hat nicht viel Zeit.“ Sie nickte mir noch einmal zu und ging wie Verdan vorhin davon. Waren heute irgendwie alle nervös, oder bildete ich mir das nur ein? Egal, ich hatte meine Audienz. Karla saß gerade am Frisiertisch, während eine andere Zofe, die ich nicht kannte, ihr die Haare kunstvoll zu einer schwierigen Frisur flocht. Ich klopfte an die bereits offene Tür und wartete, bis Karla mich dazu aufforderte einzutreten. „Eyrin, trete ein. Fasse dich bitte kurz, ich muss gleich zu einer wichtigen Besprechung.“ Ich nickte und Karla schickte ihre Zofe mit einer Handbewegung fort. „Setz dich doch“, bot Karla an und drehte sich zu mir um. Ich ließ mich auf die Kante ihres Bettes sinken und sah auf meine Hände hinab. „Geht es dir besser?“, erkundigte sie sich und sah mich an. „Ja, danke Eure Hoheit“, murmelte ich ohne aufzusehen. „Was sind denn heute alle so nervös?“, fragte sie in so einem verwirrten Tonfall, dass ich kichern musste. Karla sah mich fragend an, doch ihre Mundwinkel zuckten. „Das ist mir auch schon aufgefallen.“ Sie nickte, wurde dann wieder ernst. „Weswegen wolltest du mit mir reden?“ „Ich wollte Euch nur eine Frage stellen…ist diese…diese Zofe…die Verdan angeblich vergewaltigt hat, was ich nicht glaube, wieder in der Burg?“ Sie sah mich leicht irritiert an und ich kam mir wie der letzte Dummkopf vor. „Vergesst es“, murmelte ich und erhob mich um zu gehen. „Nein, bleibe Eyrin! Wenn es dir so wichtig ist, werde ich dir eine Antwort auf deine Frage geben“, hielt sie mich zurück. Mir blieb nichts anderes übrig als zu bleiben. „Nein, sie ist noch nicht wieder hier, aber sie kommt bald wieder um in meine Dienste zu treten. Ich hoffe nur, dass Verdan und sie sich nicht wieder streiten…“, seufzte die Königin. Ich nickte mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch und verschwand schleunigst wieder, bevor Karla mich fragen konnte warum ich das wissen wollte. In meinem Zimmer angekommen fragte ich mich, wie Symra mir Schmerzen zufügen konnte, wenn sie nicht einmal in der Nähe war. Aber sie musste es gewesen sein! Ich saß lange so auf meinem Bett und grübelte nach, als es an meiner Tür klopfte. Es war Mefirian. Er lächelte ein wenig gezwungen. „Kann ich mit dir reden?“, fragte er leise und seine grünen Augen sahen mich ein wenig traurig an. Ich schluckte und rutschte ein wenig um ihm Platz zu machen. Er setzte sich neben mich und sah eine Weile auf meine Bettdecke. Dann sah er zu mir auf. Ich lächelte ihn aufmunternd an und fragte: „Was gibt es denn?“ „Also…Verdan ist heute zu mir gekom-men und hat mir erzählt, dass er…dass er mein Cousin ist? Ist das zu glauben?“ Ich verzog keine Miene und das sah er auch. Mefirian sah mich fragend und verwirrt an. Dann wurde sein Blick lauernd. „Du hast es gewusst nicht wahr?“ „Nein! Ich habe es nicht gewusst…aber ich habe mir schon gedacht, dass ihr beiden verwandt sein müsst…weil ihr euch so ähnlich seht…“, protestierte ich. „Warum hast du mir nichts gesagt? Hattest du Angst ich würde dir nicht glauben?“, sagte er und sah mich so traurig an, dass ich den Blick abwenden musste. „Nein…ich wollte erst Gewissheit haben…und ich dachte du wüsstest es. Ihr habt euch ja nicht so verhalten als würdet ihr euch kennen.“ „Ja, weil ich damals noch zu jung war als er zu uns kam. Und Vater hat mir nie etwas erzählt. Verdan hat mich vollkommen vergessen, was ich ihm auch nicht verdenken kann, wenn man bedenkt, was alles passiert ist.“ Ich nickte und eine Weile herrschte Schweigen. Dann fragte ich: „Aber du freust dich doch oder?“ „Ja, schon, aber es ist alles noch so verwirrend und neu... aber ich freue mich darüber einen Cousin zu haben. Ich habe zwar drei Geschwister, aber das ist nicht dasselbe. Verdan ist erwachsen und ich kann noch viel von ihm lernen.“ „Meinst du, dass du Schwertkampf üben willst?“, wollte ich verwundert wis-sen. „Ja... vielleicht... es könnte doch immerhin mal nützlich sein“, meinte er und hob leicht die Schultern. Ich zuckte die Schultern, das war seine Sache. „Noch etwas?“, erkundigte ich mich freundlich. Er warf mir einen durchdringenden Blick zu, den ich verwirrt und leicht nervös erwiderte. „Was ist?“ „Du warst gestern den halben Tag verschwunden. Wo warst du?“ „Ähm... ich war bei der Königin. Sie hat mich zu sich gerufen, damit ich ihr erzähle was Verdan ihr verschwiegen hat.“ Und dann sprudelte alles aus mir heraus, was ich der Königin erzählt und von ihr erfahren hatte. Mefirian hörte schweigend zu und erfuhr so mehr über seinen verschollenen Cousin. Ich verschwieg Symra, aber ich hatte Angst, dass sie mir trotzdem etwas antun würde, nur weil ich daran dachte meinem Freund von ihrer Schikane zu erzählen. Ehe ich etwas tun konnte rutschten mir folgende Worte heraus: „Und... und ich war die halbe Nacht dort... weil ich Schmerzen in der Hüfte hatte...“ Er sah mich besorgt an. „Was? Warum hast du nichts gesagt? War es schlimm?“ „Verdan war ja da und seine Kräuter und Salben haben geholfen“, antwortete ich und fand, dass es keine ganze Lüge war, die ich ihm da auftischte. Er sah mich weiter durchdringend an und ich hätte ihm so gerne die Wahrheit gesagt, aber das konnte ich nicht. „Also, wenn du keine Fragen mehr hast...“ Mefirian verstand und erhob sich. „Gut, dann gehe ich jetzt.“ Er klang leicht gekränkt, als ahnte er, dass ich ihm etwas verschwieg. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, aber nur mein Schweigen sicherte mir die Unversehrtheit meiner Freunde und meiner Familie. „Ach übrigens: Die Königin war bei Mirabella und hat ihr von Camillas Verrat erzählt. Sie hat sie und ihre Eltern sofort aus dem Dorf verbannt und sie sind noch heute Nacht geflüchtet.“ Ich sah ihn ungläubig an. „Du solltest froh sein“, sagte er noch und schloss die Tür hinter sich.

Neunundzwanzig

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Eigentlich hätte mich die Tatsache, dass ich Camilla nie wieder sehen musste freuen müssen, doch sie hinterließ nur ein fahles Gefühl in meinem Mund. Camilla würde doch bestimmt zu Symra gehen und sich an mir rächen wollen! Camilla würde sofort wissen dass ich sie verraten hatte, wer denn sonst und dann würde es mir an den Kragen gehen. Ich musste jemandem davon erzählen! Nein, lieber nicht, damit musste ich alleine klarkommen. Verdammt noch mal, ich konnte nichts machen solange ich nicht ganz sicher wusste dass Symra hier war. Ach, warum vergaß ich das Ganze nicht einfach? Symra würde mir und denen die ich liebte nichts tun und im Frühling konnten wir wieder nach Hause zurück... Moment, war ich denn völlig verrückt geworden? Was war jetzt mit Verdan und dem Königspaar? Und woher konnte ich sicher sein, dass Symra sich an ihre Worte hielt? Ich konnte das ohne Hilfe niemals schaffen! Ich suchte meine Mutter auf, die zusammen mit Arlene stickte. „Hallo Mama“, mur-melte ich und setzte mich neben sie. Sie sah von ihrer Nadel auf, lächelte und meinte: „Meine Güte, ich werde nie so gut sein wie deine Schwester!“ Ich lächelte und vergaß für eine Weile meine Ängste und Sorgen. Wir redeten, lachten und planten schon unsere Rückkehr im Frühling. Mama sagte, dass Papa vielleicht kommen würde. Arlene und ich waren in heller Aufregung und wünschten uns ihn gleich umarmen zu können. Wir hatten ihn schon so lange nicht mehr gesehen. Wir redeten noch ein bisschen dann verabschiedete ich mich und wanderte ziellos durch die Burg. Treppen hinauf und hinunter und kam dann schließlich wieder in meinem Zimmer an. War Mefirian noch immer gekränkt? Bestimmt. In letzter Zeit hatte ich meinen Freunden viele Dinge verschwiegen und hasste mich regelrecht dafür, aber es war nun einmal nicht zu ändern.

Ich sehnte den Frühling herbei und wollte, dass der kalte düstere Winter endlich vorbei war. Aber einen Monat musste ich mich noch gedulden und das machte mich schier wahnsinnig. Wie lange musste ich hier noch auf der Burg bleiben? Mir fiel auf, dass ich keine Träume mehr hatte, keine schönen und auch keine Alpträume. Seltsam. Ich träumte normalerweise jede Nacht, soweit ich mich erinnern konnte. Ach, das hatte sicher nichts zu bedeuten. Auf der Burg geschah nichts Interessantes und der Alltag war etwas langweilig und eintönig, Manchmal ging ich in den Burghof oder besuchte Moira. Bei der Königin ließ ich mich nicht mehr blicken und auch nicht beim König. Mefirian und Lorena ging ich aus dem Weg und auch Verdan. Oder er ging mir eher aus dem Weg, denn ich sah ihn kaum noch, nur noch beim Essen. Wahrscheinlich hatte er so viel zu tun. Nach fünf Jahren überhäufte die Königin einen ihrer besten Ritter bestimmt mit Aufgaben. Ich würde ihn vermissen, wenn wir im Frühling in unser Dorf zurückkehrten. Aber er musste jetzt beim Königspaar bleiben. Dann geschah einmal etwas interessantes, obwohl nur ich es mitbekam, als ich zufällig zur Königin beordert wurde. Karla stand am Fenster und sah hinaus. Sie trug ein dunkelblaues Seidenkleid, das mit Veilchen bestickt war. Ein weißer Schleier bedeckte ihr Haar und die Flügel schimmerten im Sonnenlicht. „Euer Hoheit, ihr habt mich gerufen?“ Sie drehte sich um, lächelte und nickte. „Ja, ich wollte dich etwas fragen.“ „Fragt nur.“ „Hast du Verdan in letzter Zeit gesehen? Ich bekomme ihn nur noch in der Halle zu Gesicht und in letzter Zeit wirkt er so abwe-send...“ Ich schüttelte den Kopf und erklärte: „Nein, ihn habe ihn schon lange nicht mehr getroffen und das letzte Mal dass ich mit ihm geredet habe war... war...“ Ich wusste es nicht mehr. „Vor einer Woche ungefähr“, beendete ich unsicher. Karla sah ein wenig verärgert aus. „Und Mejoné verspätet sich auch dauernd und scheint ihre Pflichten nicht mehr ernst zu nehmen... Nur gut, dass eine Zofe sich bei mir vorgestellt hat, bis dieses unvernünftige Ding wieder zur Besinnung kommt!“, murmelte sie vor sich hin. „Eine neue Zofe?“, fragte ich neugierig. Das war eine interessante Neuigkeit nach der langen Langeweile. „Ja, Demirah. Ah, da kommt sie ja.“ Eine junge, braunhaarige Elfe mit schwarzen Augen, was ich sehr ungewöhnlich fand und bleichem, ovalen Gesicht trat hinter einem Vor-hang hervor und verneigte sich vor der Königin. „Ich habe Eure Kleidertruhen in Ordnung gebracht.“ Karla nickte zufrieden und winkte der Zofe näher zu treten. „Eyrin, dass ist Demirah, Demirah, dass ist Eyrin eine Elfe aus dem Dorf Mirfehn“, stellte die Königin uns vor. Demirah sah mich so intensiv an, als wolle sie in meine Seele blicken, dann lächelte sie und reichte mir die Hand. Ich schüttelte sie, die Haut fühlte sich kalt an, aber das war im Winter auch kein Wunder. „Sehr erfreut“, brachte ich hervor. Fremden gegenüber bin ich immer so scheu wie ein Reh. „Gleichfalls“, erwiderte sie mit einer hohen, etwas harten Stimme. Ich vermutete, dass sie aus einem weit entfernten Teil des Reiches kam. „Und was ist... mit Eurer anderen Zofe... ich meine nicht Mejoné?“, erkundigte ich mich mit einem flauen Gefühl im Magen. „Sie hat sich nicht blicken lassen. Na ja, vielleicht kann sie ja nicht kommen oder sonst etwas hält sie auf. Zum Glück habe ich jetzt Demirah.“ Ich nickte und verabschiedete mich.

Ich konnte nicht schlafen, weil ich mir Gedanken wegen Verdan, Mejoné und Symra machte. Warum verhielt der Drachenritter sich so komisch? Ich hatte geglaubt er hätte so viel zu tun und bei Mejoné ebenfalls, aber nach dem was die Königin gesagt hatte... Die beiden verhielten sich so seltsam... konnte es sein, dass sie sich heimlich trafen? Ich hatte ja gesehen, dass die beiden sich mochten. Das würde zumindest ihr seltsa-mes Verhalten erklären. Gut, das war eine Sache zwi-schen den beiden und ich würde mich nicht einmi-schen. Symra würde hier anscheinend nicht mehr auf-tauchen, und ich hoffte, sie würde mich in Ruhe lassen. Noch lange lag ich wach, bis ich schließlich in einen tiefen traumlosen Schlaf fiel. Ich hörte und spürte nichts, es war als hätte ich keine Ohren und keinen Tastsinn. Einmal meinte ich ein Geräusch zu hören, doch ich bildete es mir sicher nur ein. Am Morgen fühlte ich mich so ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr. Ich zog mich an und wollte wie jeden Tag mein Gold-armband anziehen, das ich vor dem Schlafengehen immer abnahm. Ich suchte in meinem kleinen Schmuckkästchen, das auf dem Nachttisch stand. Doch da war es nicht. Ich runzelte die Stirn, sah auf dem Nachttisch nach, auf dem Boden, sogar unter dem Bett, doch auch dort war es nicht. Ich durchwühlte sogar meine Kleidung und meine Tasche. Nichts. Was hatte ich gestern damit angestellt? Ich war mir beinahe hundertprozentig sicher, dass ich es wie immer ausgezogen und auf den Nachttisch gelegt hatte! Viel-leicht hatte sich der Verschluss gelöst und ich hatte es irgendwo verloren. Ich fragte meine Lorena, Arlene und Mutter nach dem Schmuckstück, doch sie wussten auch nicht wo es sich befand. Verdan und Mejoné fand ich nicht und die Königin konnte ich schlecht fragen. Nachdem ich das Zimmer noch einmal durchsucht und nichts gefunden hatte, wusste ich, dass mein Armband weg war. Das Schmuckstück war mir teuer geworden und sein Verlust machte mich traurig. Aber da es sich anscheinend in Luft aufgelöst hatte, war es sinnlos weiter danach zu suchen. Ich beschloss Mefirian zu besuchen, und ihm vom Verlust meines Armbandes zu erzählen. Ich fand ihn in seinem Zimmer, wie er mit seinen Geschwistern spielte. Er kitzelte sie und sie ihn. Sie lachten und versuchten einander zu entkommen. Als ich eintrat, stürzten sie sich auf mich und kitzelten mich bis ich vor Lachen keine Luft mehr bekam und um Gnade flehte. „Schluss jetzt! Lasst mich und Eyrin bitte allein“, beendete er die Kizelattacke schließlich und Persine, Mardes und Iyan verließen den Raum. Mefirian strich sich das Haar aus dem Gesicht und sah mich schweigend an. Ich setzte mich aufs Bett und schwieg ebenfalls. Dann fasste ich mir ein Herz und fragte: „Kann ich kurz mit dir reden?“ „Wo ich schon einmal hier alleine mit dir bin“, meinte er sarkastisch und ich sah ihn verletzt an.
„Du bist wütend.“
„Ja, weil du mir dauernd etwas verschweigst!“
„Ich verschweige dir nichts...“
„Zuerst das mit Verdan und das letztens...“
„Ja, zweimal! Und ich habe gute Gründe...“ „Dann nen-ne sie mir!“, unterbrach er mich erneut. Ich wollte mich nicht streiten... seid Camilla Mefirian mit diesem Lie-bestrank verzaubert hatte, hatten wir oft Streit gehabt. „Ich... ich darf sie dir nicht sagen!“ „Warum nicht?“, schnaubte er. „Vertraust du mir etwa nicht?“ „Doch...“ Ich biss mir auf die Unterlippe dann sah ich ihn an und flüsterte: „Ich kann es dir nicht sagen, weil... ich dann Schmerzen bekomme.“ Er sah mich verwirrt an und wartete auf eine Erklärung. Sollte ich es ihm sagen oder nicht? Die Schmerzen konnten nicht schlimmer sein als das, was geschah, wenn ich Symra nicht verriet. „Symra...“ Kaum war das Wort raus, kam der Schmerz, überwältigte mich, sodass ich aufkeuchte und zu Boden stürzte. Mefirian eilte erschrocken zu mir. „Eyrin... was ist los?“ Ich biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu. Ich würde es ihm sagen, egal was geschah. „Ich hole Verdan.“ „Nein!“, schrie ich und hielt ihn am Arm zurück. „Nein... er ist zu sehr mit... Mejoné beschäftigt“, brachte ich hervor. Er ließ sich wieder neben mich sinken und sah aus als würde er gleich vor Sorge sterben. Aber ich musste es ihm einfach sagen! „Mefirian... Symra... sie verursacht diese Schmerzen, damit ich sie nicht verrate... damit ich nicht verrate, dass sie...“ Oh mein Gott, die Hüfte fühlte sich an als würde der Pfeil sich noch einmal hineinbohren! „Sie ist diese Zofe, von der die Erdelfe damals auf dem Feld... gesprochen hat...“, keuchte ich und hielt den Atem an. Würde er sich erinnern? „Ja... ich erinnere mich. Diese Erdelfe hat mir doch erzählt, die Königin hätte eine neue Zofe, die zwar gut für sie aber schrecklich zu den anderen Zofen wäre“, sagte mein Freund und ich schloss erleichtert die Augen. Der Schmerz hielt an, wich nicht und egal wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte mich nicht aufrichten. „Hast du sie in der Nähe der Königin gesehen?“, wollte Mefirian wissen. Ich schüttelte nur den Kopf. „Karla hat sie schon lange nicht mehr gesehen... und sie versucht Verdan von ihr fernzuhalten... weil...“ Ich konnte nicht weitersprechen, weil der Schmerz so heftig wurde, dass ich kaum atmen konnte. Ich schrie, obwohl ich es nicht wollte. Ich würde sterben, hier und jetzt sterben... Schließlich wurde je-mand von meinem Geschrei angelockt und Lorena stürmte ins Zimmer. „Bekommt hier jemand ein Kind, oder warum...“ Sie verstummte als sie mich sah und Mefirian der hilflos und erschrocken neben mir kniete. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, doch bevor sie etwas sagen konnte, bat Mefirian: „Verdammt noch mal hol Verdan, egal wo er jetzt gerade ist!“ Sie wandte sich um und flog so schnell sie konnte davon. Mefirian blieb bei mir und hielt meine Hand. „Fall mir ja nicht in Ohnmacht, hörst du?“, sagte er immer wieder und versuchte mich von dem Schmerz abzulenken, was ihm jedoch nicht gelang. Ich biss in meinen Ärmel und befürchtete schon ein Loch hineingebissen zu haben, als Verdan erschien, hinter ihm Mejoné. Ihr Haar sah zerzaust aus und die Lippen rot. Verdan stellte mir irgendeine Frage, die ich nicht verstand, und Mefirian beantworten musste. Der Drachenritter richtete mich auf und legte eine Hand auf meine Hüfte. Ich stöhnte auf als Kälte in meine Hüfte strömte. Sie schmerzte beinahe mehr als die Hitze und es fühlte sich an als würde ich zu einem Eisklotz gefrieren. Verdans Hand glühte weiß auf und er sagte etwas in dieser Sprache, die offenbar nur er konnte. Dann verblasste das Leuchten und der Schmerz ebbte ab. Und dann fand mein Körper, dass es der richtige Augenblick war in Ohnmacht zu fallen.

Einunddreißig

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„Eyrin... Eyrin wach auf! Bitte!“ Die Stimme drang ge-dämpft und wie aus weiter Ferne zu mir durch, aber dennoch registrierte ich sie. Und sie brachte mich end-gültig zum Erwachen. Ich schlug die Augen auf, blinzelte und sah Mefirian und Lorena, die neben mir standen. Ich lag auf einem weichen Bett, zugedeckt und mit einem Lappen, der feucht auf meiner Stirn klebte. Ich fühlte mich benommen, schwach und orientierungslos. Was war passiert? Irgendetwas mit Symra... Ach ja, ich hatte Mefirian ja von ihrem Doppelleben erzählt und dann war ich vor Schmerz bewusstlos geworden. „Wie? War ich lange weg?“, fragte ich und sah meine beiden Freunde an. Lorena erwiderte: „Du warst eine Woche lang nicht ansprechbar und warst die ganze Zeit bewusstlos. Verdan sagte, dein Körper bräuchte so lange um sich von Symras und seinem Zauber zu erholen.“ „Wo ist Verdan überhaupt?“, erkundigte ich mich. Sie sahen sich unsicher an und ich war beunruhigt. „Wo ist er?“, fragte ich etwas lauter und wagte es mich aufzurichten. Ein wenig schwindelig war mir schon, aber es war nicht schlimm. Ich fühlte mich so müde, als hätte ich lange mit irgendetwas gekämpft, vielleicht stimmte das auch. Ich hatte mit Symras „Fluch“ gerungen und hatte gesiegt, dank Verdan... „Mejoné kümmert sich um ihn“, erklärte Mefirian schließlich widerstrebend. „Wieso?“ „Nachdem er den Zauber angewandt hat... ist er völlig entkräftet zusammengebrochen... wie gesagt Mejoné kümmert sich um ihn...“ Ich ließ ihn nicht ausreden, sondern rief dazwischen: „Geht es ihm gut? Hat er viel Kraft verloren?“ Lorena versuchte mich zu beruhigen. „Soweit geht es ihm gut. Er schläft die meiste Zeit und wacht kaum auf. Aber wir kennen uns mit diesen Drachenritterkräften auch nicht aus...“ „Eyrin, du musst etwas wegen Symra unternehmen.“ Mefirian sah mich eindringlich an. Ich wusste, dass er recht hatte, schüt-telte aber dennoch den Kopf. „Ich weiß aber... ich kann nicht. Was soll ich denn tun? Ich habe sie einmal verra-ten und bin vor Schmerz beinahe gestorben... so kommt es mir jedenfalls vor, und sie wird euch etwas Schreck-liches antun... das weiß ich einfach.“ „Du musst an Wy-ran und Karla denken, nicht an uns“, meinte Mefirian. „Aber ihr seid doch meine Freunde!“, protestierte ich und weigerte mich sie in Gefahr zu bringen. Lorena lä-chelte mich traurig an. „Das wissen wir und du bist auch unsere Freundin, aber Symra ist viel wichtiger. Egal wie viel es kostet, wir müssen sie aufhalten, sonst wird sie Mydia ins Verderben stürzen.“ „Was soll ich denn machen? Ich kann Karla nicht die Wahrheit sa-gen, außerdem weiß ich doch gar nicht wo Symra ist...“ „Das lässt sich alles regeln.“ Mir fiel plötzlich etwas Wichtiges ein. Zumindest kam es mir so vor. „Mein Goldarmband ist verschwunden.“ Sie sahen mich auf-merksam an und ich erklärte ihnen was ich vor einer Woche am Morgen entdeckt hatte. „Jemand muss es gestohlen haben, denn so ein Armband fliegt ja nicht einfach davon!“, murmelte Mefirian und Lorena nickte zustimmend. „Aber wer war es?“ „Vielleicht irgendje-mand der dir nahe steht... deine Kammerzofe viel-leicht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht... warum sollte sie das tun?“ „Weil sie das Armband ein-fach hübsch fand“, vermutete Lorena. „Nein, sie würde es nicht wagen etwas zu stehlen, aus Angst vor einer Strafe“, wehrte ich ihre Vermutung ab. „Wer dann?“ „Es muss nachts gewesen sein. Am Abend hatte ich es noch und am nächsten Tag war es weg“, erklärte ich aufgeregt. Meine Freunde sahen mich skeptisch an. „Woher weißt du das so genau? Du hast doch geschla-fen, oder nicht?“ „Ja schon, aber mir war als hätte ich ein Geräusch gehört. Ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet, aber jetzt wo du es sagst.“ „Aber wer war es?“ Ich zuckte nur ratlos mit den Schultern und meine Freunde sahen genauso hilflos aus wie ich. „Aber was soll denn schon schlimmes passieren, nur weil jemand dein Armband genommen hat?“ „Es stammt aus der alten Hütte. Das erklärt doch wohl alles!“, schnaubte ich. „Na und? Mein Kleid ist auch aus der alten Hütte und es ist noch nicht in Flammen aufgegangen oder hat versucht mich zu fressen!“, sagte Lorena patzig und ich musste lachen. „Du hast recht. Schließlich ist es ja nur ein Armband.“ Gleich fühlte ich mich besser, mein Armband würde schon wieder auftauchen. Das glaubte ich zumindest...

Ich erholte mich nach ein paar Stunden Schlaf wieder und wollte sofort zu Verdan. Mefirian und Lorena be-gleiteten mich in Verdans Gemach. „Seid bitte leise“, flüsterte Mejoné als wir eintraten, deutete auf ein paar Stühle und sah wieder auf Verdan hinab, der still auf seinem Bett lag. Wir zogen uns die Stühle ans Bett und leisteten Mejoné Gesellschaft. „Geht es dir gut Eyrin? Ich... ich habe dich schreien hören“, sagte die Zofe leise und strich über Verdans Hand. Ich wurde feuerrot und wandte den Blick ab. Ich schloss die Augen. „Ihr geht es soweit gut“, antwortete Lorena an meiner Stelle und sie klang überzeugend. Die junge Frau fragte nicht weiter nach, sondern strich Verdan über die Stirn. Ich warf einen genaueren Blick auf ihn und erschrak. Seine Haut war eher gräulich als blass, seine Brust hob und senkte sich kaum und seine rechte Hand war bandagiert. „Wie geht es ihm?“, erkundigte ich mich, da ich mir die Schuld an seinem Zustand gab und wünschte mehr tun zu können. „Nicht gut. Er wacht fast nicht auf und wenn, dann sieht er mich einfach nur an und fällt dann wieder in tiefe Bewusstlosigkeit. Ich weiß nicht was ich tun soll...“ Mejoné klang als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen und sie tat mir unendlich leid. Man sah wie sehr sie Verdan liebte und es schon jetzt unerträglich fand ihn leiden zu sehen. Die Zofe riss sich zusammen und atmete tief durch. Sie lächelte uns gezwungen an, seufzte und sah mich unverwandt an. Ihr Blick schien sich in meinen zu bohren, als wolle sie etwas aus mir herausbekommen oder mich zwingen etwas zu sagen, dass ich normalerweise für mich behalten würde. Doch ich sagte nichts, aus Angst Symra könnte ihre Warnung noch deutlicher als vor einer Woche zum Ausdruck bringen und dass ich es nicht überleben würde. Da gab es keinen Zweifel... „Weiß die Königin schon davon?“, wollte ich wissen. Mejoné ließ mutlos die Schultern hängen, schüttelte den Kopf und blickte auf den Mann hinab, den sie liebte. Zärtlich strich sie ihm über die Wange. „Nein... wir haben unsere Pflichten ohnehin schon vernachlässigt... und... und wir könnten unsere Stellungen verlieren.“ „In letzter Zeit habt ihr euch beinahe nicht blicken lassen...“ „Wir wissen, dass unser Verhalten nicht richtig ist... aber wir können nichts für unsere Gefühle...“ „Du musst uns nichts erzählen“, sag-te Mefirian und sah bekümmert auf seinen Cousin hinab. „Was ist mit seiner Hand passiert?“, erkundigte er sich. Mejoné ließ die Hand ihres Liebsten los, wickelte den Verband ab und hielt uns die Hand zur Begutachtung hin. Wir wichen erschrocken zurück, als könne der bloße Anblick des Eises auf der Hand uns auf der Stelle einfrieren. „Oh nein!“, stöhnten Lorena und ich. Mejoné sah uns fragend und ängstlich an. „Mefirian... hatte das auch einmal an seiner Schulter... nachdem eines von Symras Geschöpfen ihn verletzt hatte“, erklärte meine Freundin. „Anscheinend ist der Zauber auf ihn übergegangen“, murmelte die Zofe nachdenklich und sah aus als wäre das der Weltunter-gang. „Wie?“, machte ich und sah Mejoné verständnis-los an. „Der Zauber ist wahrscheinlich auf ihn überge-gangen.“ „Er hat dich doch an der Hüfte berührt!“, rief Mefirian und mir ging ein Licht auf. „Ihr meint der Zau-ber ist auf ihn übergegangen, weil Verdan mich schon so oft geheilt hat?“ „Ja und dass er auch andere geheilt hat und ständig Aufträge von der Königin bekommt, macht es auch nicht gerade besser. Er ist furchtbar müde und erschöpft und trotzdem findet er noch Zeit sich mit mir zu treffen“, seufzte sie und lächelte selig. Mir fiel auf, dass ihre Wangen gerötet waren, die Augen funkelten und ihr Haar hing ihr lose über den Rücken. „Meinst du er wird wieder gesund?“, murmelte ich und hoffte die Antwort sei ja. Mejoné zuckte nur unsicher mit den Schultern. „Ich bin keine Heilerin und mit Magie kenne ich mich nicht aus.“ „Er hat so viel für uns getan... und wir müssen Karla einfach davon erzählen... sie hat bestimmt Verständnis für eure Lage.“ „Aber was ist wenn sie sich an diese Geschichte mit der Vergewaltigung erinnert und glaubt...“ Mefirian unterbrach sie: „Die Königin weiß die Wahrheit ganz genau und wird sicher nichts gegen eure Liebe haben.“ „Wenn du das sagst.“

Zweiunddreißig

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Zuerst traute Mejoné sich nicht so recht Karla vor die Augen zu treten, doch dann nahm sie all ihren Mut zu-sammen und verschwand im Gemach ihrer Herrin. Lo-rena, Mefirian und ich warteten draußen auf sie und wünschten ihr viel Erfolg. Es dauerte eine Weile bis sie wiederkam, mit einem erleichterten Lächeln auf dem Gesicht und funkelnden Augen. „Du hattest recht Mefi-rian. Karla war sehr verständnisvoll und ich musste ihr versprechen meine Pflichten nicht mehr zu vernachläs-sigen und Verdan muss dasselbe Versprechen abge-ben, sobald er wieder gesund ist.“ Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, als sie hinzufügte: „Wenn er wieder gesund wird...“ „Mach dir da keine Sorgen!“, versuchte Lorena sie zu beruhigen und die Zofe atmete tief durch und zwang sich ruhig zu bleiben. „Ich danke euch für eure Unterstützung. Ich muss jetzt wieder arbeiten. Kann einer von euch auf Verdan achtgeben?“ „Ja ich übernehme das gerne, schließlich ist Verdan mein Cousin“, erklärte Mefirian sich bereit. Er verschwand in Verdans Zimmer und Mejoné ließ mich und Lorena alleine auf dem Flur zurück. „Und was tun wir jetzt?“, wollte sie wissen. „Ich weiß nicht. Was könnten wir denn machen?“ „Lass uns zu unseren Müttern gehen.“ Ich nickte, hakte mich bei meiner Freundin unter und suchte mit ihr nach unseren Müttern.

„Du bist so erbärmlich auch nur anzunehmen er könnte dich auch nur hübsch finden!“ „Nein... er liebt mich, das weiß ich ganz genau. Er hat es mir selbst gesagt...“ „Und das glaubst du naives Ding? Wie könnte ein Mann wie er so ein einfaches Mädchen aus dem Dorf lieben? Du dienst ihm doch nur als willkommene Abwechslung!“ Die Stimmen waren gedämpft und dennoch hörte man den Hohn und die Gehässigkeit der einen, und die Unsicherheit der anderen. Es waren zwei weibliche Elfen die da sprachen, ich konnte sie von meinem Standpunkt aus jedoch nicht sehen. Ich stand in einer dunklen Nische im Schatten verborgen und lauschte dem Gespräch der beiden Frauen. Die eine erkannte ich als Mejoné, aber die andere kam mir nur wage bekannt vor und das konnte auch ein Irrtum sein. „Das ist nicht wahr! Warum hat er mir dann gesagt, dass er mich liebt und seine Stellung aufs Spiel gesetzt um sich mit mir zu treffen?“, fauchte Mejoné aufgebracht und ihre Stimme zitterte vor Wut. Die andere Frau lachte gehässig auf und höhnte: „Er weiß ganz genau, dass er hoch in der Gunst der Königin steht und nichts zu befürchten hat. Jeder Mann mit seiner Stellung hätte sich ohne Gefahr mit einem Dorfmädchen einlassen können!“ Ich hörte ein wütendes Fauchen und dann ein klatschendes Ge-räusch. Kurz darauf schrie Mejoné wutentbrannt: „Ich werde dein Verhalten der Königin melden du gemeine Hexe!“ Und rannte mit Tränen in den Augen an mir vorbei, ohne mich auch nur zu bemerken. Die andere Frau lachte nur und ihre Stimme hallte von den Wänden wider als sie rief: „Das wird dir nicht viel nützen Kleine!“ Sie rauschte an mir vorbei, während ich mich eng in die Nische presste und den Atem anhielt. Ich erkannte die Frau als Karlas neue Zofe und beschloss ihr aus einem Impuls heraus zu folgen. Ich wartete ungefähr zehn Sekunden lang, dann löste ich mich aus dem Schatten und schlich lautlos hinter Demirah her. Jedes Mal, wenn sie sich misstrauisch herumdrehte, verschwand ich blitzschnell in Nischen, hinter geöffneten Türen oder Vorhängen. Zuerst glaubte ich Demirah würde zum Gemach der Königin gehen, um Mejoné davon abzuhalten der Königin von dem Vorfall zu erzählen, doch sie lief einfach weiter und die Treppe herunter. Sie ging denselben Weg, wie ich und Arlene an meinem ersten Abend in der Burg. Wir verließen den Turm und jetzt war es erheblich schwieriger ihr zu folgen. Sie überquerte den Burghof ohne auf die vielen Menschen zu achten und beinahe hätte ich sie aus den Augen verloren, als ein Knecht mit zwei Pferden vor mir auftauchte und mir für ein paar Sekunden die Sicht auf Demirah raubte. Wo wollte sie nur hin? Zum Wäsche waschen bestimmt nicht! Die Zofe verließ den Burghof durch ein kleines Tor, das von Ranken und Efeu überwuchert und kaum zu sehen war. Dann stand auch ich auf den Klippen. Das Rauschen und Donnern der Wellen klang hier viel, viel lauter als in der Burg und die Luft schmeckte salzig. Das Wasser glitzerte und schimmerte im Sonnenlicht. Demirah sah sich noch einmal um, ich sprang schnell hinter einen großen Stein, und rief einige Worte, in einer dunklen, harten Sprache, die ich nicht verstand. Dann begann sie sich plötzlich vor meinen Augen zu verwandeln. Das braune Haar wurde länger, blond und lockig, die Gestalt schlanker, und groß. Die vorher schwarzen Augen wurden dunkelblau und das Gesicht nahm eine herzförmige Form an. Ich musste mich zu-sammenreißen um einen Schrei des Entsetzens zu un-terdrücken und wich erschrocken zurück. Die Frau vor mir war Symra! Sie hatte ihre Gestalt gewechselt und sie war hier! Sie war hier und wusste dass ich hier war, dass Verdan hier war... Ich musste den anderen von ihr erzählen! Ich musste mich beherrschen um nicht aufzu-springen und loszurennen. Symra pfiff einmal kurz und Sekunden später sauste ein riesiger Eisvogel von unten hervor und Symra schwang sich auf seinen Rücken. Sie bemerkte mich noch immer nicht und als sie weggeflo-gen war rannte ich los um die anderen zu warnen, doch auf halbem Weg blieb ich stehen. Was war, wenn die Schmerzen kamen? Ich würde sie nicht aushalten kön-nen und Symra würde mich töten. Ich hatte sie schon einmal verraten. Plötzlich traf es mich wie ein Blitz: Wenn ich den anderen erzählte, dass die Hexe hier war, würden die grausamen Schmerzen Verdan befallen. Nein, das konnte ich ihm nicht antun, aber was sollte ich sonst unternehmen? Ich wusste ja noch nicht ein-mal was Symra vorhatte und erzählen konnte ich es doch auch niemandem, wollte ich Verdans Leben nicht gefährden. Aber Symra war doch weg und konnte mir nichts mehr anhaben. Natürlich konnte sie Verdan Schmerzen bereiten, aber er verriet sie ja nicht, son-dern ich. Ich weiß, ich klang herzlos und selbstsüchtig, aber was blieb mir anderes übrig? Außerdem würde die Königin mir sowieso nicht glauben, wenn ich ihr erzählen würde, dass Symra eine durchtriebene Hexe war. Und der König hatte nichts mit den Zofen seiner Gemahlin zu schaffen. Und ich musste ja auch noch herausfinden wer mein Armband gestohlen hatte. Es gab ein paar Verdächtige, und einige die durchaus in Betracht kämen mein Armband zu haben. Arlene, Mama, Mejoné, Mefirian und Lorena könnten es genommen haben. Oder meine Kammerzofe. Aber meine Freunde und Familie schloss ich gleich wieder aus, denn warum sollten sie mein Armband stehlen? Und wann hätten sie das denn machen sollen? Die Person die sich neulich in mein Zimmer geschlichen hatte, war wahrscheinlich auch der Täter. Warum sonst sollte jemand bei Nacht in mein Zimmer schleichen? Außerdem konnte Symra es auch gewesen sein, nur was wollte sie mit meinem Armband? Es war doch nichts besonderes, na gut, es war aus Gold, aber ich glaube nicht, dass meine Feindin das Armband wegen seines Werts gestohlen hat. Etwas anderes steckte dahinter. Nur wusste ich nicht was und Symra würde es mir bestimmt nicht sagen, wenn ich sie ganz nett darum bat! Wenn ich nur wüsste wo ihr Zimmer war, dann könnte ich selbst nachsehen. Aber natürlich nur, wenn sie nicht da war. Ich fand es immer noch erschreckend, dass Symra vielleicht die ganze Zeit in meiner Nähe gewesen war, mich vielleicht sogar beo-bachtet hatte und ich nichts bemerkte. Und Verdan hat auch nichts bemerkt, er war zu sehr mit Mejoné und Mefirian beschäftigt und seine Feindin hatte es ja auch geschickt eingefädelt, sich mit einem anderen Ausse-hen als neue Zofe auszugeben. Sie führte Karla schon die ganze Zeit an der Nase herum, die ganzen fünf Jah-re und noch länger, da war ich mir sicher...

Dreiunddreißig

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Eine günstige Gelegenheit mich in Symras, besser ge-sagt Demirahs Zimmer, umzusehen. Ich hatte eine der Mägde ausgehorcht und erfuhr, dass Demirah ein Zim-mer gleich ein paar Türen weiter in der Nähe der Köni-gin hatte. Vermutlich gleich neben Mejonés. Die Magd, die mir verraten hatte wo ihre Kollegin wohnte, erzählte mir auch munter, und ohne dass ich nachfragen muss-te, dass sie gerade nicht da sei und sie alle froh darü-ber wären. Und dass sie Mejoné mit einer geschwolle-nen Wange bei Verdan vorgefunden hatte. Ich nahm mir vor später mit der Zofe zu reden, doch zuerst musste ich Symras Zimmer inspizieren.
Nachdem ich es betreten hatte, schloss ich die Tür und sah mich um. Der Raum war nicht besonders groß, bot aber genug Platz für ein schlichtes Bett, einen kleinen Tisch, eine Kleidertruhe und ein kleines Nachttisch-chen. Ich schlich zum Nachttisch und zog die Schublade auf, wühlte darin herum, fand jedoch nichts Auffälliges und mein Armband erst recht nicht. In der Kleidertruhe war es auch nicht. Ratlos sah ich auf und schaute sogar unter dem Bett nach, doch ich fand nichts. Mehr Verstecke blieben nicht übrig. Seufzend lehnte ich mich gegen den Spiegel, der an der Wand lehnte und konnte ihn gerade noch auffangen, als er zur Seite rutschte und beinahe auf dem Boden aufschlug. Vorsichtig wuchtete ich das schwere Ding wieder an seinen Platz und schob ihn gleich wieder weg, denn hinter dem Spiegel hatte ich einen schwarz bemalten Stein gesehen, der lockerer zu sein schien, als die anderen Steine der Wand. Ich kniete nieder, quetschte meine Finger in einen Spalt und löste den Stein von seinem Platz. Dahinter befand sich ein Hohlraum, in dem etwas Rechteckiges in ein schwarzes Tuch gewickelt war. Mit klopfendem Herz und leicht zitternden Fingern nahm ich das Etwas heraus und wickelte es aus dem Tuch. Es war ein ovales Metallkästchen mit Obsidian und Opal verziert und mit seltsamen Schriftzeichen, die ich nicht verstand. Wahrscheinlich Hexenschrift oder etwas Ähnliches. Das Kästchen besaß kein Schloss und ließ sich ganz leicht öffnen, was ich sehr verwunderlich fand. Für so dumm und leichtsinnig hätte ich Symra nicht gehalten. In dem Kästchen befanden sich ein paar schwarze Kerzen, eine Rabenfeder, zwei kleine Glasfläschchen und mein Armband! Beinahe hätte ich vor Freude laut aufgejubelt, beherrschte mich jedoch und legte schnell alles an seinen Platz zurück. Ich rückte alles so, dass es aussah als wäre nie jemand hier gewesen. Mein Arm-band versteckte ich in einem kleinen Beutel an meiner Hüfte, den Mama mir genäht hatte. Sie versuchte so gut wie Arlene zu werden. Hastig verließ ich den Raum, sah mich auf dem Flur um, ob auch wirklich niemand mich gesehen hatte und ging dann gleich zu Verdan, wo ich auch Mejoné fand. Sie saß da, eine Hand des Drachenritters haltend und tief in Gedanken versunken. Ich trat leise ein und räusperte mich. Sie schrak zusammen und sagte: „Eyrin... ich habe dich gar nicht gehört...“ Sie sah mich nicht an, hatte das Gesicht abgewandt. Ich nahm ihr Gesicht und drehte es behutsam zu mir, damit sie mich ansah. Sie wollte zuerst den Kopf wegziehen, hielt dann aber still, während ich sie betrachtete. Ihre linke Wange war geschwollen und gerötet. Sie senkte den Blick. „Ich weiß wer dir das angetan hat“, sagte ich, bevor ich mir auf die Zunge beißen konnte. Aber nichts geschah. Die Decke krachte nicht ein und Symra stürmte auch nicht drohend ins Zimmer. „Woher?“, flüsterte Mejoné und wagte es, mich anzusehen. Ich lächelte leicht verlegen. „Ich habe dich und... eine andere Frau belauscht. Auf dem Flur. Ihr hattet Streit, nicht wahr?“ „Ja, sie ist zu allen so und macht uns das Leben schwer. Mir besonders. Dabei kann ich das gar nicht verstehen, wir kennen uns doch kaum und ich habe ihr nie etwas getan und woher weiß sie von Verdan und mir?“ „Weil sie keine neue Zofe ist.“ „Wie?“, machte Mejoné verwirrt. „Sie ist keine neue Zofe. Sie sieht nur anders aus. Eigentlich ist sie schon länger hier... und schon seit mehr als fünf Jahren“, erklärte ich vorsichtig und erwartete eine Schmerzattacke, aber die kam nicht. Erleichtert sprach ich weiter. „Demirah ist eigentlich Symra... und sie verfolgt mich schon seit einer Weile.“ „Was? Das ist Symra? Die Hexe die dich umbringen wollte und Verdan so hasst und mit der Vergewalti-gung...“, stammelte Mejoné verwirrt und sah aus als verstünde sie die Welt nicht mehr. „Ja, genau die. Sie hat die Königin die ganze Zeit an der Nase herumge-führt und uns auch. Außerdem hat sie irgendetwas vor.“ „Wir müssen es meiner Herrin sagen!“ Die junge Zofe sprang auf, doch ich hielt sie zurück. „Nein! Wenn du sie verrätst... weißt du, sie hat mich verflucht oder so ähnlich denn immer wenn ich sie verraten wollte, hat sie mir Schmerzen zugefügt. Doch jetzt geschieht nichts.“ „Warum nicht? Ich dachte sie wolle unbedingt verhindern, dass...“ weiter kam sie nicht, denn sie wur-de von einem Stöhnen unterbrochen. Verdan hatte plötzlich die Augen aufgeschlagen und sah uns an. Ich wusste nicht wie lange er schon mitgehört hatte. Ich wollte schon freudig auflachen, bis ich den Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Verdans Augen waren dunkel und seine Lippen waren fest aufeinander gepresst. Er schien noch bleicher geworden zu sein. „Verdan was ist...“, fragte Mejoné und nahm seine Hand. Mit einem Zischen ließ sie sie wieder los und starrte darauf, als wäre sie eine giftige Schlange. Ich folgte ihrem Blick und erschrak. Verdans Hand glühte unter dem Verband eisblau und plötzlich wurde mir ganz elend zumute, als mir klar wurde was gerade passierte: Symras Fluch war auf Verdan übergegangen, doch er zeigte sich auf andere Weise als bei mir. Da Verdan keine Verletzung in der Hüfte hatte, so wie ich, fügte Symra ihm eben mit seinem noch nicht verheilten Arm Schmerzen zu. „Was machen wir denn jetzt?“, rief ich beinahe panisch und gab mir die Schuld. Hätte ich doch bloß den Mund ge-halten... „Ich kenne mich mit Magie nicht aus!“ Mejoné klang genauso panisch wie ich, zwang sich tief durch-zuatmen und biss sich auf die Unterlippe während sie auf Verdan hinabsah. „Macht euch keine Sorgen um mich“, erklang plötzlich Verdans Stimme, wenn auch sehr leise. Mejoné schüttelte heftig den Kopf und sagte: „Nein, wir müssen dir doch irgendwie helfen können!“ „Nein mein Liebling, es gibt nichts was ihr tun könnt. Aber es war richtig von dir Eyrin Mejoné alles zu erzäh-len.“ „Woher weißt du das?“, fragte ich erschrocken. Er lächelte schwach, zuckte die Schultern und meinte: „Wer weiß? Vielleicht hatte ich ja eine Eingebung oder ich kann hellsehen!“ Er versuchte zu lachen, aber es wurde eher ein Zischen daraus und seine Geliebte sah ihn tadelnd an. „Wie kannst du in deinem Zustand scherzen?“ Der Drachenritter ließ sich von ihrem Blick nicht einschüchtern und Mejonés Gesichtszüge wurden weicher. So saßen wir bei Verdan und wachten über ihn. Die Schmerzen wurden schlimmer, doch Verdan schrie nicht, weinte nicht, zuckte nur ab und zu zu-sammen oder fluchte in jener seltsamen Sprache die er so oft verwendete. Mejoné versuchte alles um ihn den Schmerz zu erleichtern und ihn abzulenken. Ich blieb bei Verdan, da ich mir die Schuld an seinem Zustand gab und verfluchte mich dafür, geredet zu haben. Aber ich konnte es nicht ändern. Es wurde bereits dunkel, als Verdan erschöpft einschlief. Mejoné sah betrübt drein und ich ahnte, dass sie die ganze Nacht hier sit-zen würde. Sie wirkte auch nachdenklich, wahrschein-lich dachte sie darüber nach, was ich ihr erzählt hatte. Verdan, Mejoné und die Königin waren die einzigen die alles wussten. Außer meinen Freunden natürlich. Und ich hatte auch nicht vor Mutter oder Arlene alles zu er-zählen. Ich wollte sie nicht in eine Sache hineinziehen die sie beinahe nichts anging. Es war einfach zu gefährlich. Irgendwie musste es doch möglich sein Symra ein für allemal loszuwerden. Nur wusste ich nicht wie.

Es klopfte an der Tür. Bevor ich den Besucher hereinru-fen konnte, wurde die Tür aufgestoßen und zwei Wa-chen traten ein. Mejoné sprang auf und fuhr die beiden Männer ärgerlich an: „Müsst ihr so hereinplatzen? Ver-dan...“ Einer der beiden unterbrach sie und mir fiel auf, dass es der Elf mit den blonden Haaren und den unge-wöhnlichen Augen war, der Verdan zuerst gar nicht auf die Burg hatte lassen wollen. „Ist ein Verräter und wir haben den Befehl ihn ins Verlies zu werfen.“ Mejoné schnaubte herausfordernd: „Und von wem?“ „Von der Königin und dem König höchstpersönlich.“ Jetzt wurde die Zofe totenbleich und es verschlug ihr die Sprache. Sie sah erschrocken zu, wie die beiden Wachen Verdan packten und aus dem Bett zerrten. Der Drachenritter wachte verwirrt auf und ehe er etwas sagen konnte, zerrten ihn die beiden Männer zur Tür. „Halt!“, rief ich und versperrte ihnen den Weg. Die beiden sahen mich wütend an, doch ich funkelte sie an und sagte: „Wes-halb glaubt die Königin Verdan sei ein Verräter? Er ist einer ihrer besten Ritter!“ „Weil Demirah eindeutige Beweise dafür hat. Und übrigens weiß sie auch, dass du ebenfalls eine Verräterin bist!“ Damit packte mich der Blonde, während der andere immer noch Verdan festhielt und wir wurden in die große Halle gebracht. Dort warf man uns vor der Königin auf die Knie. Der gesamte Hof hatte sich versammelt, selbst die Bediensteten. Mefirian und Lorena sahen verwirrt und ängstlich aus, Mutter und Arlene starrten mich unentwegt an. Alle Augen waren auf mich und Verdan gerichtet. Es war totenstill. Karla und der König saßen auf reich verzierten, gepolsterten Stühlen, den Blick auf uns gerichtet, doch ich sah nichts Freundliches in ihm. Ich schauderte und senkte hastig wieder den Blick. Das Königspaar erhob sich und Karla sprach: „Eyrin, Elfe aus dem Dorf Mirfehn und Verdan, Drachenritter ihr beide seid des Verrates für schuldig erklärt worden!“ Lautes Murmeln und Flüstern erhob sich, das aber sofort wieder verstummte als Karla gebieterisch die Hand hob. Sie fuhr fort: „Ich habe euch beiden vertraut aber ihr habt mein Vertrauen schändlichst missbraucht. Glücklicherweise hat meine treue Zofe Demirah mich rechtzeitig gewarnt.“ Symra trat hinter dem thronartigen Stuhl der Königin hervor und lächelte mich höhnisch an. Ich hätte am liebsten laut geschrieen, doch diesen Triumph wollte ich dieser Hexe nicht gönnen. „Und Ihr glaubt ihr? Was weiß sie denn schon? Wo sind denn ihre Beweise?“, rief ich wütend, Karlas Gesicht nahm einen drohenden Zug an, und ich schreckte vor ihr zurück, als sie vor mich trat. „Du wagst es die Stimme gegen deine Königin zu erheben, du verräterische Göre?“ Ich zuckte zusammen und kniff die Lippen zusammen. Die Königin blieb vor mir stehen, dann warf sie Verdan einen so vernichtenden Blick zu, dass er mir beinahe wehtat. Aber dem Drachenritter musste er noch viel mehr wehtun, denn er starrte seine Herrin entgeistert an und schüttelte immer wieder den Kopf, als könne er nicht glauben, dass tatsächlich die liebevolle, verständnisvolle, gütige Karla vor ihm stand. „Du willst Beweise kleines Gör? Dann werde ich sie dir zeigen!“ Plötzlich schoss Karlas Hand vor und riss mir den kleinen Beutel vom Gürtel. Ich schrie erschrocken auf und wollte ihn ihr entreißen, doch sie hatte ihn bereits geöffnet und hielt triumphierend mein Goldarmband hoch. Die Anwesenden brachen wieder in wütende Schreie, Gemurmel und Geflüster aus. Dieses Mal gebot der König ihnen zu schweigen und lächelte mich und Verdan kalt an. „Da habt ihr eure Beweise! Eyrin, du wolltest mithilfe deines Armbandes alle Elfen unter deine Kontrolle bringen und gegen uns aufhetzen! Gib es zu!“ „Aber...aber das ist doch Unsinn! Warum sollte ich so etwas tun?“, schrie ich hysterisch. Warum glaubten sie mir nicht? Merkten sie denn nicht was für einen Unsinn sie da redeten? „Das ist dein Armband und du hattest einen Grund dafür: Du wolltest Verdan helfen dich an uns zu rächen. Er ist wütend, weil die Königin ihn vor fünf Jahren wegge-schickt hat und ihre Zofe immer höher in ihrer Gunst stand als er. Du bist seine Komplizin und mit deinem Armband konnte er die schwarze Magie lange genug verstecken!“ „Was? Welche schwarze Magie! Verdan ist ein Drachenritter und kein Zauberer! Seht Ihr denn nicht wie lächerlich das alles klingt?“, rief ich aufgebracht und sah das Königspaar flehend an. Sie sahen mich jedoch nur geringschätzig und drohend an. „Du wagst es zu behaupten, dass wir lügen du unverschämtes Ding? Da haben wir doch den Beweis! Dein Armband, voll von schwarzer Magie! Du hast Verdan geholfen! Ihr beide seid schuldig daran gibt es keinen Zweifel“, donnerte Wyran und ich dachte er würde im nächsten Augenblick auf mich zuspringen und mir eine schallende Ohrfeige verpassen. „Euer Hoheit, dass könnt ihr doch nicht machen! Nur weil eine Zofe das sagt, muss es nicht stimmen! Jemand hat Eyrins Armband gestohlen und sie hat es sich zurückgeholt, nicht ahnend, dass schwarze Magie darin war! Die Zofe lügt, sie ist die Schuldige! Sie ist Symra!“, rief Mejoné, die plötzlich hereingestürmt war. Sie redete schnell weiter, bevor Wyran oder Karla sie anfahren konnten: „Eyrin hat es mir selbst erzählt! Eure Zofe hat das alles getan! Sie hasst Verdan und Eyrin und sie konnte es euch nie verzeihen, dass ihr Verdan immer bevorzugt habt. Sie hat die Magie in das Armband getan um sich an Euch und Verdan zu rächen! Symra hat Euch die ganze Zeit an der Nase herumgeführt, ihr müsst mir glauben! Meine Königin, ich bin eure treueste Dienerin! Ihr müsst mir glauben! Symra ist eine hinterhältige Hexe...“ „Schluss!“, donnerte Wyran in so lautem und herrischem Ton, dass alle erschrocken zusammenzuckten. Karla blinzelte einmal verwirrt, dann nahm ihr Gesicht wieder einen unnachgiebigen Ausdruck an, sie lief an mir vorbei und schlug Mejoné so hart ins Gesicht, dass diese mit einem Schmerzenslaut zu Boden sank. Verdan eilte erschrocken zu ihr und sah seine Königin schockiert an. „Halte den Mund du faules Ding! Du hast deine Arbeit vernachlässigt und hast dich mit diesem Drachenritter getroffen! Und du warst auch noch frech zu meiner besten Zofe! Du solltest dich schämen!“ Mejoné fing an zu schluchzen: „Es ist alles eine Lüge! Symra ist schuld, an allem! Sie hat ihre Pflichten vernachlässigt, sie hat das Armband verflucht, sie hat mich geschlagen und euch betrogen!“, rief sie und klammerte sich an Verdan. Plötzlich erschienen Mefirian, Arlene und Lorena neben mir. „Es stimmt, alles! Symra will Eyrin und Verdan die Schuld in die Schuhe schieben, um sie aus dem Weg zu räumen! Aber ihr dürft nicht auf sie hören!“ , beschwor mein Freund das Königspaar, aber ohne Erfolg. „Langsam reicht es!“ „Nein, wir können es bezeugen!“, sagte meine Mutter und verschränkte die Arme vor der Brust. Lorenas Mutter und Verdans Vater stellten sich zu uns. Davon ließen Karla und Wyran sich jedoch nicht beeindrucken. Symra trat vor und flüsterte ihnen etwas ins Ohr. Dann lächelte sie gewinnend und so siegessicher, dass mir angst und bange wurde und ich stieß einen lauten Schrei aus, als Wyran rief: „Nehmt sie alle fest und werft sie in den Kerker!“

Was dann geschah, passierte so schnell, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Verdan und Mejoné wurden gepackt ehe sie wussten wie ihnen geschah. Mama, Arlene und Lorena wehrten sich und schrieen, doch es half nichts. Auch sie wurden gepackt und davon geschleppt. Ich riss der Königin das Armband aus der Hand, bevor sie wusste wie ihr geschah. Mefirian und ich sahen uns von Wachen umringt. Ich handelte ohne zu überlegen und tötete eine der Wachen mit einem Messer, das ich im Stiefel gehabt hatte. Mefirian half mir so gut es ging und bald lagen fünf Wachen tot am Boden. Ein Tumult brach aus, die Leute schrieen entsetzt oder wütend, beschimpften uns oder mischten sich in den Kampf ein. Da Mefirian und ich sie nicht verletzen wollten, erhoben wir uns in die Luft und ergriffen eilig die Flucht. Da die Tür verschlossen war, nahm ich im Vorbeifliegen einen Kerzenständer von der Wand und schmiss damit ein Fenster ein. Mefirian und ich flogen durch die Öffnung, über den Burghof und zu Moira, die uns wachsam entgegensah. Wir schwangen uns auf ihren Rücken und ohne zu zögern flog der Drache los. Der Burghof unter uns schrumpfte schnell zusammen und wir flogen über das Meer. Glücklicherweise waren Satteltaschen an Moiras Sattel befestigt, sodass wir Proviant und Verpflegung für eine Reise hatten. Als hätte Verdan gewusst was passieren würde... Ich lehnte mich an Mefirian und weinte, weil ich meine Freunde und Familie im Stich gelassen hatte.

Vierunddreißig

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„Verfolgen sie uns?“ „Nein, ich glaube nicht“, antworte-te Mefirian erleichtert, doch ich traute mich noch immer nicht mich umzudrehen. Ich hatte die Augen geschlos-sen und lauschte Moiras Flügelschlägen. „Wir sollten landen und uns einen Unterschlupf für die Nacht su-chen“, schlug er vor und ich nickte nur zustimmend. Noch immer sah ich Mejonés und Verdans fassungslo-se Gesichter und Symras höhnisches Lächeln vor mir und fragte mich plötzlich warum wir wie Feiglinge geflo-hen waren. „Wir hätten ihnen helfen müssen“, flüsterte ich und öffnete die Augen. Mefirian drehte sich zu mir herum und sah mich an. Ich sah in seinen Augen die-selbe Trauer und Ratlosigkeit, die auch ich fühlte. „Nein, wir hätten ihnen nicht helfen können“, sagte er nach einer Weile. „Doch, wir hätten die Wachen über-wältigen können...“ „Und was dann? Wir konnten uns doch nicht gegen das Königspaar und Symra stellen.“ „Sie wird uns verfolgen“, flüsterte ich und mich über-kam eine so große Angst, dass ich am liebsten geschrieen hätte. Mefirian musste es wohl bemerkt haben, denn er nahm meine Hand und meinte zuver-sichtlich: „Wir schaffen das schon. Wir müssen nur da-für sorgen, dass Symra das Armband nicht bekommt.“ Wir schwiegen wieder, während die Sonne langsam unterging. Mefirian brachte Moira irgendwie dazu zu landen und wir schlugen ein einfaches Lager auf. Wir waren den ganzen Tag ohne Pause geflogen und be-fanden uns außerhalb der Küste. Das Meer und die Burg lagen nicht so weit hinter uns, wie ich es mir ge-wünscht hätte. Nach einer schlichten Mahlzeit und einigen Stunden Schlaf brachen wir wieder auf, ohne genau zu wissen wohin. Da wir nicht wussten wie groß unser Vorsprung war oder ob wir verfolgt wurden, flogen wir die ganze Nacht durch, bis wir vor Müdigkeit drohten von Moiras Rücken zu fallen. Wir hielten abwechselnd Wache, schliefen wenig und hielten immer wieder nach Verfolgern Ausschau. Glücklicherweise schien Symra uns nicht zu verfolgen. Moira war schnell und ich konnte das Meer schon nicht mehr sehen, worüber ich sehr erleichtert war. Müde und durchgefroren zogen wir weiter und am Mittag waren wir so erschöpft, dass wir erneut ein Lager aufschlugen und fast den ganzen Tag verschliefen. Die verlorenen Stunden konnten den Vorsprung zwischen uns und möglichen Verfolgern schmelzen lassen. „So geht es doch nicht! Wir brechen irgendwann zusammen!“, meinte ich bei einer erneuten Rast. „So lange werden wir nicht unterwegs sein, als dass wir zusammenbrechen könnten“, erwiderte Mefirian leicht spöttisch, aber man hörte ihm an, dass er auch besorgt war. Am dritten Tag unserer Flucht, wurden wir verfolgt. Wir hatten gerade die Hälfte der Strecke hinter uns, die wir von Verdans Haus aus bis zur Burg geflogen waren, als hinter uns plötzlich ein Geräusch ertönte. Lautes Klirren und steife Flügelschläge. Ich drehte mich um und wünschte mir im nächsten Moment es nicht getan zu haben. Symras Eisvögel waren hinter uns her, ungefähr fünf und so plump die Bewegungen der Vögel auch aussahen, desto bedrohlicher blitzen ihre Klauen und Schnäbel im Sonnenlicht. Der Schnee spiegelte sich in ihren Federn aus Eiskristallen und sie holten rasch auf. „Mefirian! Sie verfolgen uns!“, rief ich gedämpft und umschlang meinen Freund mit beiden Armen. Er stieß einen Fluch aus und brachte Moira dazu noch schneller zu fliegen. Jetzt waren die Vögel nur noch einen Steinwurf von uns entfernt und ich glaubte bereits ihre Klauen in mir zu spüren. Moira flog plötzlich scharf nach unten und ich schrie überrascht auf. Im nächsten Moment spürte ich einen kalten Luftzug, sah nach oben und erblickte über mir die Krallen der Eisvögel. Ich duckte mich, als sie über mir hinwegfegten und entkam ihnen knapp. Moira begann im Zickzack zu fliegen, nach oben, nach unten und vollführte einmal sogar einen steilen Sturzflug, der mir schier den Magen umdrehte. Ich kniff die Augen fest zu, schrie ab und zu auf und wünschte mir Moira würde endlich mit den halsbrecherischen Manövern aufhören. Noch einmal entgingen wir durch pures Glück, oder Moiras Können den scharfen Krallen und Schnäbeln der riesigen Vögel. Doch dann schien unsere Glückssträhne uns verlassen zu haben, denn Symras Kreaturen kamen jetzt auf die Idee uns zu umzingeln und uns jeden Fluchtweg abzuschneiden. Die Vögel beobachteten uns, jede kleine Bewegung mit den Augen verfolgend, bereit bei dem kleinsten Fluchtversuch anzugreifen. Wir dachten schon unser letztes Stündchen hätte geschlagen, als plötzlich etwas Kleines herangeschossen kam und begann mit den Krallen auf eine der Bestien einzuschlagen, direkt auf die empfindlichen Augen. Ich riss ungläubig die Augen auf, als ich sah, wer uns da zu Hilfe kam: Es war die weiße Eule die Verdan zu mir geführt hatte, als ich verletzt im Wald lag. Sie krächzte, schrie und hieb wie besessen auf Symras Kreaturen ein. Sie konnte den Vögeln keine schlimmen Verletzungen zufügen, doch sie zerkratzte ihnen die Augen und wich ihren Schnäbeln und Hieben geschickt aus. Dann kamen plötzlich noch mehr Eulen, immer mehr schienen aus dem Nichts aufzutauchen und attackierten die so viel größeren und stärkeren Vögel. Die kleinen weißen Eulen waren bald in der Überzahl und stürzten sich auf ihre Feinde. Diese Chance nutzten wir um zu flüchten. Wir machten uns nicht vor, früher oder später würden sie uns wieder aufspüren, aber vielleicht hatten wir das Armband bis dahin irgendwo sicher versteckt. Nur wohin sollten wir es bringen? Wo war es wirklich sicher? Wir flogen den restlichen Tag und die halbe Nacht, doch Moira wirkte nicht sonderlich erschöpft, nur mussten wir unseretwegen Rast machen. Die Angst saß uns im Nacken und wir wurden nervös und ängstlich. Ohne Verdans sichere Führung und seinen Mut fühlten wir uns klein und schwach. Doch wir mussten es einfach schaffen! Den Leuten zuliebe die wir liebten und gernhatten. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie Mama, Arlene, Verdan und Mejoné in einem dunklen Kerker saßen und sich fragten wo wir gerade waren. Warum hatte ich meine Familie nicht besser beschützt? Warum hatte ich Symra nicht früher durchschaut? Ach, es nützte nichts, sich Fragen über Fragen zu stellen, es war wichtiger sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrie-ren. Ich dachte gründlich darüber nach, was an meinem Armband so besonderes war, dass Symra es unbedingt haben musste. Mir fiel plötzlich ein, dass auf dem Herz hinten ein Name eingraviert gewesen war. Anfangs hatte ich nicht erkennen können, was da stand, aber mit der Zeit war mir das Armband so vertraut geworden, dass ich jede Einzelheit kannte und mich auch an den Namen erinnerte. Esanah, nur wuss-te ich nicht wer sie war, aber ihr musste das Armband gehört haben. Und höchstwahrscheinlich gab es einen Zusammenhang zwischen der alten Hütte und dieser Frau. Instinktiv ahnte ich, dass wir zu ihr gehen muss-ten. Bei ihr würde das Armband sicher sein, sie allein wusste mit ihm umzugehen. Ich teilte Mefirian meine Gedanken mit und er nickte anerkennend. „Du könn-test recht haben. Wir müssen sie finden, einen Versuch ist es wert“, murmelte er vor sich hin und sah nach un-ten. Gerade lugte die Sonne zwischen ein paar Wolken hervor und ließ den Schnee glitzern. Plötzlich fiel mir auf, dass einige Stellen grün waren, der Schnee begann bereits zu schmelzen. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Luft ein wenig wärmer geworden war. Himmel, der Frühling war nahe! Vor lauter Aufregung hatte ich gar nicht bemerkt, wie der Winter zu ende ging. Traurig dachte ich daran, dass wir eigentlich schon nach Hause aufgebrochen wären aber daraus wurde jetzt nichts... ich schüttelte diese deprimierenden Gedanken ab und konzentrierte mich auf unsere Umgebung. Wo könnte diese Esanah leben? Lebte sie überhaupt noch? Natürlich, was für eine Frage! Wir Elfen leben praktisch ewig, solange uns kein Pfeil ins Herz trifft oder uns jemand den Kopf abschlägt. Warum hatte sie das Armband nicht mitgenommen? Hatte sie in der alten Hütte gelebt? Ich hoffte sie das bald alles selbst fragen zu können, wenn wir nicht zu spät kamen...

Es stellte sich als schwieriger heraus, Esanah zu finden, als wir gedacht hatten. Wir hatten keinerlei Anhaltspunkt und überlegten ob wir es wagen konnten in ein Dorf zu fliegen und die Bewohner zu befragen. Wir beschlossen es zu wagen, versteckten Moira aber gut und versuchten unsere Kleidung so zu verändern, dass sie nicht auffiel. Je gewöhnlicher wir aussahen, desto schlechter würde man sich an uns erinnern. Dann betraten wir das Dorf, dessen Namen wir nicht kannten und logen den Leuten das blaue vom Himmel herunter. Sie fragten nicht länger und hielten uns für harmlose Kinder, die kein Wässerchen trüben konnten. Wir hatten Glück, denn einige Bewohner erinnerten sich an den Namen Esanah. Die Dorfälteste konnte uns so-gar sagen, wo sie jetzt lebte: Bei den Silberelfen. Wir wunderten uns ein wenig darüber, aber vielleicht hatte sie ja sogar ihr Armband selbst hergestellt. Und wir erfuhren etwas sehr interessantes: Esanah war Symras Mutter und Mirabelle ihre Schwester! Diese Informationen schockten uns, konnten unserem Vorhaben jedoch dienlich sein. Wir hofften Symra hatte ihre Boshaftigkeit nicht von ihrer Mutter geerbt... vielleicht konnten wir Esanah auf unsere Seite ziehen. Wir hielten uns nicht länger als nötig in dem Dorf auf, dessen Namen wir immer noch nicht kannten und beschlossen uns nach einer Rast gleich auf den Weg zu den Silberelfen zu machen. Als ich die Satteltaschen nach einer Flasche durchsuchte, hielt ich plötzlich ein zusammengerolltes Stück Papier in der Hand. Und da wusste ich, dass ich die Karte in der Hand hielt, die Meir uns gegeben hatte. Auf ihr war ganz Mydia abgebildet, jeder Fluss, jedes Tal, jeder Wald und das Steinplateau auf dem die Silberelfen lebten: Joremin. Dorthin mussten wir uns wenden. Wir hatten uns in dem Dorf ohne Namen genug Proviant und Verpflegung besorgt um ein paar Wochen durchhalten zu können. Moira gehorchte uns und wir fühlten uns in Gegenwart der Drachendame sicher. „Dann brechen wir morgen zu den Silberelfen auf“, sagte Mefirian leise zu mir. Ich drehte mich zu ihm um und sah einen entschlossenen, aber auch leicht ängstlichen Ausdruck in seinem Gesicht. Ich fühlte mich hoffnungsvoller als noch vor Stunden, hatte aber auch angst. Doch ohne angst kann es keinen Mut geben, dachte ich und sah zum Horizont, wie die Sonne mit blutrotem Glanz unterging. Moira schnaubte leise und stieß mich leicht mit der Schnauze an. Während ich in den Himmel hinaufstarrte, sah ich die Gesichter meiner Freunde und Familie vor mir. Ich würde Symra besiegen, das schwor ich mir... Mefirian legte mir den Arm um die Schulter als wolle er mir zu-stimmen und ich lehnte mich an ihn. Gemeinsam sahen wir zu wie die Nacht hereinbrach und mit ihr eine neue Hoffnung...

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Tag der Veröffentlichung: 07.12.2012

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