Ich wandere durch den Regen, über den nassen Bürgersteig. Um mich herum sind überall grelle, bunte Lichter, Leuchtreklamen von Geschäften, Supermärkten oder Restaurants. Es ist ein kühler Abend und ich möchte so schnell wie möglich nach Hause. Ich mag die Nacht, wenn die Sterne oder sogar der Mond am Himmel scheinen, wenn die Grillen zirpen und es kühl ist. Die Regentropfen funkeln im Licht der Autoscheinwerfer, wenn Autos an mir vorbeifahren. Es spritzt unter den Reifen und das Geräusch finde ich schön. Ich beschleunige meine Schritte. Ich komme gerade von einem Besuch in der Bücherei zurück. Leider habe ich nichts Interessantes gefunden oder besser gesagt, nichts gefunden, was mich interessiert hätte. Und das liegt daran, dass ich außergewöhnlich bin. Ich sage diese Worte nicht aus Stolz oder Arroganz, nein, wenn ich an diese Worte denke, fühle ich mich alles andere als stolz oder besonders. Ich werde jetzt über mein Leben berichten und vielleicht werden meine Leser gleich selbst darauf kommen, was ich wirklich bin.
Ich wurde in einer kalten Dezembernacht dem Einundzwanzigsten, an einem Samstag im Jahr 1995, im städtischen Krankenhaus geboren. Mein Vater war nicht dabei gewesen, denn er hatte noch einen wichtigen Termin in der Arbeitsstelle gehabt, doch zwei Tage nach meiner Geburt, so hat meine Mutter es mir erzählt, kam er, um Mama und mich abzuholen und er war sofort entzückt von mir gewesen. Das schwarze Haar und die dunklen, blauen Augen habe ich von Mama und meinen Charakter, auf den ich später noch zu sprechen komme, von ihm geerbt. Leider blieben mir nur fünf Jahre mit ihm, denn dann wurde er tot gefunden. Mutter erzählte mir, er sei im Wald von einem Mörder überfallen und getötet worden. Die Polizei hat den Täter nie fassen können. In den Zeitungen war nie ein Bild meines Vaters oder des Mörders aufgetaucht, doch damals habe ich davon nichts mitbekommen, denn ich war vor Trauer wie betäubt gewesen. Obwohl ich erst fünf Jahre alt gewesen war, habe ich doch die Worte meiner Mutter begriffen, doch an meinen Vater, kann ich mich kaum erinnern.
Einige Szenen kommen mir in den Kopf, in denen wir am Spielplatz miteinander getollt haben oder wir durch den Park spaziert sind und ein Eis gegessen haben. An sein Aussehen kann ich mich auch nicht mehr erinnern und Mutter spricht nur sehr ungern über ihn. Doch wenn sie es tut, merkt man, wie sehr sie ihn geliebt hat und immer noch liebt. Zur Beerdigung war ich nicht mitgegangen und Mama hatte es auch so gewollt. Mit fünf Jahren ist es auch nicht leicht, den Vater, auch wenn man ihn kaum gekannt hat, zu verlieren. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen und ich trauere nur noch selten um ihn, da ich mich bereits damit abgefunden habe. Das einzige was mir von ihm geblieben ist, ist mein Charakter, der aus folgenden Eigenschaften besteht: Schüchternheit, Hilfsbereitschaft, Sanftmut, leichte Tollpatschigkeit und Ernsthaftigkeit. Diese Eigenschaften sind in mir verwurzelt und lassen sich nicht ablegen, die schlechten zumindest nicht, wie Tollpatschigkeit und die extreme Schüchternheit. Meine Mutter hingegen ist das genaue Gegenteil von mir. Sie strotzt vor Selbstbewusstsein, weiß, wie man im Leben zurechtkommt, sie hat viel Lebenserfahrung (ich sage euch gleich noch, wie viel) und ist ein gütiger und hilfsbereiter Mensch, manchmal aber auch sehr zielstrebig und streng.
Doch ich liebe sie über alles und wir beide geben uns Halt in unserem Leben. Meine Mutter lebte seit ihrer Geburt im Jahre 1890 in Polen und nach einhundertfünf Jahren und noch vor meiner Geburt, ist sie nach Deutschland ausgewandert, wo sie dann meinen Vater kennen gelernt hat. Und so bin ich entstanden, mit halb polnischem und halb Deutschem Blut. Das macht mir bis heute zu schaffen, denn ich fühle mich in der Familie meiner Mutter (alles Polen und zur Familie meines Vaters hat Mama schon lange keinen Kontakt mehr) überhaupt nicht wohl und ausgegrenzt. Sicher, ich kann polnisch sprechen, lesen und ein wenig schreiben, aber trotzdem scheinen meine Tante, meine Oma und mein Onkel mich nicht recht akzeptieren zu wollen. Insgeheim nehmen sie es mir wohl übel, dass ich halb Deutsche bin und Mama nehmen sie es übel, dass sie einen Deutschen geheiratet hat. Nur mein Opa und Mamas Vater ist uns freundlich gesinnt und schützt uns vor den verbalen Attacken der anderen. So schlimm, wie man jetzt vielleicht denken mag, ist es auch nicht, ich bin eben ein Sensibelchen und nehme mir leicht etwas zu herzen. So, wie das Mobbing etwa.
Ja, ich werde gemobbt und zwar schon seit fünf Jahren. Das klingt jetzt viel und bestimmt schrecklich, doch die Mobbingattacken haben natürlich nicht täglich und fortlaufend stattgefunden und an das meiste kann ich mich nicht mehr erinnern. Die Angst und die Scham haben es einfach verdrängt. Zuerst habe ich die Beleidigungen und das Getuschel ignoriert und mir nichts dabei gedacht, wie es anfangs denke ich, oft so ist und als es nach einem Jahr immer noch nicht aufgehört hatte, das war ungefähr in der sechsten Klasse gewesen, hatte ich angefangen mich zu fragen, warum sie das tun. Gut, ich war keine Schönheit gewesen, was man bei meinem wahren Wesen eigentlich denken müsste, aber das war noch lange kein Grund, jemanden herunterzumachen. Ich wusste damals selbst, mit meiner Akne und meiner Zahnspange, dass ich keine Schönheit war und habe ihnen insgeheim recht gegeben, doch als die Angriffe nicht nur mein Aussehen betrafen, sondern meine Familie, meine guten Noten und meinen Charakter, sowie meine Hobbys, da wusste ich keine Antwort mehr auf die immer da gewesene Frage: Warum ich? Warum tun sie das? Einige Antworten habe ich mir zurechtgelegt. Da wären: „Sie sind nur eifersüchtig“, „Sie wollen von ihren eigenen Fehlern ablenken“, „Sie sind unsicher und wollen sich selbstbewusster hinstellen, als sie tatsächlich sind“, „Sie wollen das Machtgefühl auskosten“... doch keine davon hatte mich damals, zu Beginn der Schikanen befriedigt und bis heute auch nicht. Nur sie können mir darauf antworten, aber ob sie es je tun werden, ist stark zu bezweifeln. Wahrscheinlich wissen sie es nicht einmal selbst.
Einige von den Gründen, die sie haben mögen, um mich herunterzumachen, sind ganz normal und offensichtlich, meine Schüchternheit etwa. Im Unterricht hebe ich kaum den Arm, die Angst vor blöden Kommentaren und Gelächter verhindert, dass ich etwas sage und wenn ich es dann doch tue, unter Aufbietung meines ganzen Mutes, dann bekomme ich nur eine knappe, meist aus einem Wort bestehende Antwort heraus und dass auch noch in einem Ton, als hätte ich eine ganze Flasche Helium verschluckt. Ich höre dem Lehrer meistens zu und schreibe alle Aufgaben mit, die uns aufgetragen werden und die Hausaufgaben erledige ich meistens, manchmal verstehe ich sie nicht oder vergesse sie aufzuschreiben. In dieser Hinsicht haben meine Klassenkameraden mich nur selten Streberin genannt. Was für mich jedoch keine Beleidigung ist und in mir nur Verachtung auslöst. Ja, ich verachte und hasse meine Klasse natürlich und ich finde, Verachtung ist bei ihnen auch angebracht. Ich möchte jetzt nicht in Beleidigungen oder genaue Beschreibungen der verschiedenen Schülertypen in meiner Klasse ausarten. Es passt ihnen einfach nicht, dass ich besser von den Lehrerinnen und Lehrern behandelt werde und bessere Noten kriege als sie. Ein großes Problem in unserer Klasse ist das Schwätzen. Jede Stunde wird jemand in das Klassenbuch eingetragen oder vor die Tür geschickt. Und die Übeltäter lernen noch nicht einmal daraus! Apropos lernen: Gute Noten schreiben sie auch nicht. Dagegen sind sie im Mündlichen weitaus besser als ich und halten mir das auch immer wieder unter die Nase. Na gut, was sie nicht haben, habe ich und was ich nicht habe, haben sie. Ich neide ihnen ihr Selbstbewusstsein, ihr Geld und ihre guten mündlichen Noten, aber ich lasse sie trotzdem in Ruhe und wenn ich lästere, so tue ich dies nur in Gedanken. Man sollte meinen, sie sollten dankbar dafür sein, dass ich sie verschone, aber in ihren Augen bin ich einfach das perfekte Opfer und sie trauen mir es auch nicht zu, dass ich auch nur einer Fliege etwas zu leide tun könnte, also brauchen sie keine Angst vor mir zu haben. Ihre Beleidigungen fallen unterschiedlich aus. Mal verspotten sie meine Mutter, weil sie Polin und arbeitslos ist, mal beleidigen sie meine Kleidung, dann wieder beschweren sie sich bei den Lehrern, ich würde bevorzugt und besser behandelt werden. Meistens sind ihre Worte ohne Sinn und beinhalten keine klugen Argumente oder irgendwelche Beweise, doch sie treffen mich doch tief und manchmal da gebe ich ihnen insgeheim recht.
Und so kämpfe ich mich durch den Schulalltag. Ich habe niemandem etwas davon erzählt, noch nicht einmal meiner Mutter. Ich weiß schon, wie ihre Antwort ausfallen würde: „Geh doch zum Lehrer“ oder „Ignoriere es einfach“ oder „Sag etwas beleidigendes zurück“. Doch all dies kann ich nicht. Aus Angst, aus Scham, aus Gutmütigkeit. Ja, ich will meine Peiniger nicht in Schwierigkeiten im Sinne von einem Schulverweis oder Ähnlichem bringen. Gut, wenn sie schlechte Noten bekommen oder vor die Tür gesetzt werden, dann habe ich kein Mitleid mit ihnen, da sie es sich selbst zuzuschreiben haben, doch wenn ich für ihre Strafe verantwortlich bin, dann habe ich Angst davor, so wie jedes Opfer wohl auch, dass sie mich noch mehr mobben oder mir sogar drohen. Ich habe immer wieder Angst vor Verfolgung oder körperlichen Übergriffen, doch zum Glück beschränken sie sich nur auf verbale Gewalt und ein wenig Herumgeschubse und Beinestellen. Ich muss seufzen, wenn ich an all das zurückdenke. Und es nimmt noch immer kein Ende. Die ganzen Jahre hinweg habe ich mir eine Schale zugelegt, habe ich gelernt, ihre Worte auszuschließen und ruhig zu bleiben. Eine innere Taubheit baut sich in mir auf, sobald ich sie auch nur kommen sehe und lasse ihre Worte kaum zu mir durchdringen. Doch wenn ich zu Hause bin kommt alles wieder hoch und ich verliere mich immer öfter in Verzweiflung, Vorwürfen und Selbstmitleid. Im Laufe dieses Buches werde ich noch Beispiele von den Schikanen meiner Mitschüler aufführen.
Nun komme ich zu einer ganz anderen Geschichte. Eigentlich kann man denken, sie wäre nicht älter als vierzig, wie jede normale Mutter auch. Aber sie ist in Wirklichkeit sehr viel älter, nämlich hundertzwanzig Jahre alt. Das klingt jetzt unglaublich, aber für einen Vampir ist das ganz normal. Ja, sie ist ein Vampir und somit bin ich auch einer. Na ja, kein ganzer, denn mein Vater war keiner, also ein gewöhnlicher Mensch. Und dass ich ein halber Vampir bin, erleichtert mich, ärgert mich aber auch. Ein ganzer Vampir zu sein würde bedeuten, ewig zu leben, so wie meine Mutter(mir graust es bei dem Gedanken daran, Tag für Tag, Jahr für Jahr, Jahrhundert um Jahrhundert zu leben und nicht zu wissen wann man stirbt und ob man überhaupt sterben kann), sich vor den Menschen zu verbergen und, was das Schlimmste ist, sich von Menschenblut zu ernähren. Meine Mutter jagt natürlich keine Menschen; sie hat in ihrem Leben gelernt, sich zu beherrschen, wie hätte sie sonst meinen Vater heiraten können? Auch ich ernähre mich nicht von Menschenblut, ich habe es auch gar nicht nötig, da mein Körper nur geringe Mengen Blut benötigt und ich deshalb voll und ganz mit Tierblut auskomme. Dennoch fällt es mir schwer, ein Tier zu töten, um zu Leben. In der damaligen Zeit, sowie heute ist es natürlich sozusagen ein Gesetz, dass die schwächeren Tiere von den stärkeren Menschen gefressen werden, damit die Menschheit überleben kann, aber ich habe das Gefühl, dass ich es gar nicht verdient habe zu leben, weil ich eine halbe Leiche, ein böses Wesen bin, dass seine Opfer nicht nur tötet, sondern aussaugt.
Ich habe erst erfahren dass ich ein Vampir bin, als ich elf Jahre alt war. Damals war ich mit meiner Mutter im Park spazieren gegangen und hatte plötzlich eine Katze gesehen. Arglos wie ich war, wollte ich gleich mit ihr spielen und rannte hinter ihr her, bis ich ihren Schwanz in die Finger bekam und sie zu mir zerrte. Das hat ihr natürlich gar nicht gefallen und sie hat sich gewehrt, gebissen und gekratzt. Ich bin so sauer geworden, dass ich sie gepackt und sie regelrecht in meinen Händen zerquetscht habe. Doch meine Wut war noch immer nicht abgeflaut und da biss ich sie in den Nacken. Ich hatte es kaum geglaubt, als meine Zähne sich durch das Fell und die Haut gruben und plötzlich Blut in meinen Mund quoll. Ich schmiss die tote Katze schreiend ins nächste Gebüsch und rannte zitternd zu meiner Mutter, die mir erschrocken entgegenlief. Schluchzend erzählte ich ihr, was ich gerade getan hatte und da klärte sie mich darüber auf, was ich wirklich sei und von da an habe ich kleine Tiere wie Mäuse, Hamster, Eichhörnchen und Vögel gejagt. Große Tiere wie Katzen, Hunde oder gar Pferde rühre ich nicht an. Es reicht schon, wenn ich kleine Tiere töte. Pro Tag brauche ich insgesamt fünf kleine Tiere: Morgens, mittags, abends und zwei für zwischendurch. Ich jage meist nachts, wo mich keiner sehen kann. Das Jahr nach der Offenbarung meiner Mutter, war das schlimmste in meinem bisher fünfzehjährigen Leben. Denn mit zwölf Jahren bekam ich meine Menstruation und da ich Blut verlor, musste auch wieder welches rein. Aber wenn ich meine Tage habe, da gibt es für mich kein Halten mehr. Am Tag können es schon einmal zehn Tiere sein, die ich töten muss und den ganzen Tag über bin ich ruhelos, gereizt und immer durstig. Durch die menschliche Nahrung und die Getränke, die Sterbliche trinken, kann ich mich auf das Maß von zehn beschränken, doch hätte ich diese Dinge nicht, wären es wahrscheinlich doppelt so viele.
Mein Körper hat sich wie bei jedem normalen Mädchen auch, entwickelt. Doch das Resultat, gefällt mir nicht besonders: Meine Brüste sind so klein, wie Äpfel und passen gerade mal in eine hohle Hand. Meine Hüften sehen ein wenig wie Polster aus und quellen auch schon mal über einen Rock- oder Hosenbund. Meine Beine sind viel zu stämmig, meiner Meinung nach, der Hintern eine Katastrophe. An ihm ist kaum etwas dran, man könnte fast meinen, ich hätte gar keinen. Die Hände sind schmal, mit langen Fingern, an ihnen habe ich nichts auszusetzen. Mein Gesicht gefällt mir da schon etwas besser. Ich habe eine hohe Stirn, große, mandelförmige, dunkelblaue Augen, mit langen schwarzen Wimpern, hohe Wangenknochen, eine schmale, etwas zu lange Nase, einen schmalen Mund, mit einer kleinen Ober- und einer großen Unterlippe und ein ovales Gesicht. Meine Haut ist sehr bleich, was bei Vampiren ja immer der Fall ist und auch ich habe ab und an Pickel, was mich wirklich nervt. Meine Haare fallen mir in geraden, schwarzen Strähnen bis zur Hüfte herab und sind, neben meinen Händen und meinen Augen, das einzige, was mir noch an meinem Körper oder Gesicht gefällt. Meine Mutter ist wunderschön und man sieht ihr ihr Alter natürlich überhaupt nicht an, jeder Sterbliche muss sie wohl für zwanzig halten. Aber ich hingegen bin nicht wunderschön, höchstens hübsch. Und stark bin ich auch nicht. So, jetzt komme ich auf meine Fähigkeiten zu sprechen: Ich kann, wenn ich will, die Ampel umspringen, oder einen Ball in eine andere Richtung rollen oder fliegen lassen.
Ich habe die Fähigkeit, mich, nur durch einen kurzen Gedanken, von einem Ort zu einem anderen zu befördern, ohne mich zu bewegen. Und die Menschen sehen es nicht, da ihre Augen viel zu träge und langsam sind, um meine übermenschlich schnellen Bewegungen zu sehen. Gut, ich besitze nur drei Fähigkeiten, aber das ist doch was, oder? Außerdem hat meine Mutter auch nur zwei Fähigkeiten: Sie kann Menschen, wie auch Vampire durch einen Kuss Dinge vergessen lassen. Sie kann jedoch nicht bestimmen, was und wie viel sie löscht und das kann oft zum Problem werden. Ihre zweite Fähigkeit besteht darin, Träume und Erinnerungen wie einen Film in ihren oder den Gedanken von anderen wiederauferstehen zu lassen, was meiner Meinung nach, ihrer ersten Fähigkeit widerspricht. Wie jeder Vampir, ob ein ganzer oder halber, kann ich so schnell rennen, das man mich nicht einmal als Schemen erkennen kann, ich kann schnell lesen, ich kann mir Dinge in sekundenschnelle merken, ich kann sehr gut hören, sehen und riechen, ich kann ohne Mühe weite Strecken laufen, Bäume erklimmen und von hohen Gebäuden herunterspringen. Trotzdem bin ich komischerweise nicht gerade eine Einserschülerin und auch keine Sportskanone. Da ich nicht so stark bin, wie normale Vampire, versage ich in allen Sportarten, außer im Rennen natürlich. Ich bin die Schnellste der ganzen Klasse und ich liebe das Laufen einfach. Wenn der Wind mir ins Gesicht weht und um die Ohren pfeift, wenn der Kies oder Sand unter meinen Schuhen knirscht, wenn die Landschaft an mir vorbeirast, bekomme ich einen Adrenalinstoß und will am liebsten gar nicht mehr aufhören. Natürlich wende ich nicht meine ganze Vampirgeschwindigkeit an, aber ich bin trotzdem die Schnellste.
Eigentlich ist es doch besser, ein Halbvampir zu sein. Auf den anderen Vampirkram kann ich getrost verzichten, denn anders könnte ich mich gar nicht in der Menschenwelt bewegen und leben. Meine Familie hat keine Ahnung, dass Mutter und ich Vampire sind. Nachdem Mutter Polen verlassen hat und meinen Vater noch nicht kannte, hat sie sich versteckt gehalten und den Kontakt zu ihren Eltern und Verwandten abgebrochen. Geschwister hatte sie keine. Und wenn unsere Familien die Wahrheit wüssten, würden sie uns wahrscheinlich verabscheuen, schreiend davonlaufen oder uns für verrückt halten. Das erste klingt sehr unwahrscheinlich, das zweite würde wohl eher eintreffen, ha, ha! Manchmal habe ich das Gefühl, als hätten sie mich schon durchschaut und würden mich deshalb verabscheuen. Aber sie können es gar nicht wissen, denn noch nie hat ein Mensch uns erkannt und was will er dann überhaupt tun? Uns verhaften lassen? Uns vernichten? Man würde ihn für verrückt erklären und in die Psychiatrie schicken. In der Schule ist es nicht anders. Da wünsche ich mir sogar manchmal, sie wüssten, was ich bin, dann könnte ich ihnen Angst einjagen und sie würden mich in Ruhe lassen.
Aber so ist es nun einmal nicht und ich nutze meine Fähigkeiten auch nicht dazu, ihnen wehzutun oder sich zu rächen. Sie tun mir nur seelisch weh und abgesehen von ein paar Mal Beinestellen und herum schubsen, haben sie mir nie körperlich wehgetan, also werde ich es auch nicht tun. Und die Angst hält mich, neben meiner Gutherzigkeit, ebenfalls davon ab. Ich traue ihnen alles zu: Dass sie mich verfolgen, mir Drohbriefe schreiben, meine Haare anzünden, meine Schulbücher wegschmeißen und noch viele andere Dinge. Aber sie haben nie etwas Schlimmeres gemacht, als die vorhin genannten Dinge. Die Worte aber, verletzen einen mehr, als die Taten. Sie brennen sich in dein Gedächtnis ein und verfolgen dich die ganze Zeit und lassen sich nicht abstellen. Man versucht, es zu vergessen, doch es geht einfach nicht. Überall wird man an Worte oder Taten von ihnen erinnert. Im Supermarkt, wenn man eine Zeitschrift mit einem hübschen, jungen und lächelnden Mädchen sieht denkt man zum Beispiel an Worte wie: „Pickelgesicht!“, „Fette Sau!“ „Brillenschlange“ „Bohnenstange“. Wenn man an anderen Geschäften vorbeigeht zum Beispiel an einem Discounter oder Secondhandladen, denkt man an folgende Sätze: „Ihr seid nur dreckige Harz IV- Empfänger!“ „Guck mal, die geht in Kik einkaufen!“ „Wo hast du denn die Sachen her? Aus der Altkleidersammlung?“ und so weiter und so fort. Ich seufze wieder. Ich denke, jetzt habe ich soweit alles wichtige, was an den Beginn einer Geschichte kommt, geschrieben und wenn nicht, werde ich den Rest so gut wie möglich im restlichen Verlauf dieses Buches erläutern. Nun beginnt meine Geschichte.
Nejgin
Ich ziehe mir mein T- Shirt über den Kopf, dann wechsle ich meine Jeans mit einer bequemen Sporthose. Ich höre die anderen Mädchen tuscheln, als ich sie, unbemerkt von meiner gebückten Haltung aus, während ich mir die Turnschuhe anziehe, beobachte. Ich glaube etwas wie:
>> Guckt mal wie die aussieht!<<
>> Die hat ja gar keinen Busen!<<
>> Ihr Hintern ist so flach wie ein Brett!<< zu verstehen und dann höre ich sie lachen.
Als die Gruppe von fünf Mädchen an mir vorbei und zur Tür geht, fühle ich, scheinbar auf der Suche nach etwas, in meinem Turnbeutel herum, doch ich suche keineswegs etwas, ich versuche nur meine Tränen zu verbergen. Ich sollte mir eigentlich keine Gedanken darum machen, was sie über mich denken und noch weniger darüber, was sie sagen, aber ich kann es einfach nicht ignorieren.
Es ist immer da, fast ständig, kaum ist die eine Gemeinheit, die gehässige Bemerkung von gestern vergessen, kommen schon neue und diesem ständigen Sturm kann ich nicht ausweichen. Sie haben ja recht, was meinen Körper angehtt! Wenn ich mir die anderen Mädchen aus meiner Klasse so ansehe, merke ich doch, dass sie die Makel, die ich ihrer und meiner Meinung nach auch, wohl zuhauf besitze, nicht haben und dadurch viel besser aussehen als ich. Ich sehe schön geschminkte Augen, volle Lippen, üppige Brüste und volle Hintern,wohlgeformte Beine und wallendes, schön frisiertes Haar. Jedes Mädchen hat mit ihrem Aussehen zu kämpfen, doch bei mir ist es noch schlimmer, denn ich werde deswegen auch noch fertiggemacht, wo ich mich doch selbst schon genug kritisiere.
Wütend binde ich mir die Haare zu und betrachte mich, nachdem ich mich wackelig erhoben habe, im Spiegel. Meine Haut ist bleich, wirkt beinahe durchsichtig, ich habe tiefviolette Augenringe und meine Lippen sind aufgesprungen. Angewidert wende ich mich von meinem Spiegelbild ab und verlasse als Letzte, was normalerweise nie der Fall ist, die Umkleidekabine.
Alle acht Mädchen aus meiner Klasse sitzen bereits auf den Bänken an der Wand und schwatzen munter drauflos. Fröstelnd setze ich mich, so weit wie möglich von den anderen entfernt, auf eine der Bänke und warte auf die Ankunft der Lehrerin. Unsere Sportlehrerin ist wirklich in Ordnung: Ihr Sportprogramm ist nie eintönig, wechselt zwischen Spiel, Konditionstraining und Geräteturnen und wenn man etwas an den Geräten nicht turnen möchte, dann kann man bei Hilfestellung leisten oder die Rolle des Schiedsrichters übernehmen
Frau Mirek prüft die Anwesenheit und eröffnet uns dann, was heute auf dem Programm steht.
>> In der ersten Stunde spielen wir eine Runde Völkerball und in der zweiten Stunde gehen wir nach draußen und laufen zwei Runden um den Sportplatz<<
Einige aus der Klasse stöhnen, wohl mehr des Laufens, als des Völkerballspiels wegen. Ich hingegen finde Völkerball langweilig und unnötig. Genauso wie Fußball, das ich fast noch mehr hasse, als Völkerball. Die Mannschaften werden von Veronika und Laura gewählt (von wem auch sonst) und wie immer bin ich die Letzte die noch auf der Bank sitzt.
Ich kann regelrecht fühlen, wie die beiden sich innerlich winden und keiner von beiden mich wählen will. Schließlich bestimmt Frau Mirek, dass ich in Lauras Mannschaft kommen soll. Missmutig stelle ich mich zu den anderen und höre Laura auch schon murren, doch ein Blick der Lehrerin lässt sie verstummen.
Das Spiel beginnt. Die Bälle fliegen mir um die Ohren und ich weiche ihnen mit Leichtigkeit aus. Schon werden einige getroffen und setzen sich auf die Bank. Die Regeln bei diesem Spiel sind ein wenig anders als beim regulären Völkerball. Derjenige, der getroffen wird, muss nicht zum gegnerischen Torwart gehen und die anderen abwerfen, sondern setzt sich einfach auf eine der zwei Bänke, die die Grenzlinie zwischen den beiden Mannschaften bilden und darf erst wieder auf das Spielfeld, wenn ein Spieler aus seiner Mannschaft den Ball fängt.
Eine Stunde lang geht das so und mal ist unsere Mannschaft am Gewinnen und mal die andere. Während des gesamten Spiels bin ich nicht getroffen worden, eigentlich nur so lange nicht, bis nur noch ein Mädchen übrig ist und dann erst sitze ich auf der Bank. Bevor ich wieder auf das Spielfeld gehen kann, ist die Zeit vorbei und Veronikas Team hat gewonnen. Die zweite Stunde beginnt; wir versammeln uns in der kleinen Vorhalle, die zu den Umkleidekabinen führt und verlassen auf Frau Mireks Kommando das Schulgebäude. Die Sonne scheint warm vom blauen Himmel. Meine Augen schmerzen und meine Haare heizen sich fast augenblicklich auf. Mir wird übel und meine Haut brennt leicht. So wie immer an heißen Tagen.
Wie üblich schwatzen die Mädchen drauflos und gehen voraus. Ich finde es unhöflich, dass sie der Lehrerin keinen Vortritt lassen, aber wenn ich das laut gesagt hätte, hätte ich nur als altmodisch gegolten und wäre mit irgendeiner blöden Bemerkung verhöhnt worden. Ich schrecke heftig zusammen, als Frau Mirek plötzlich neben mir auftaucht und mir zulächelt.
>>Geht es dir gut, Nejgin?<<, will sie wissen.
Ich finde es immer wieder komisch, wenn andere meinen Namen aussprechen, dann kommt er mir noch seltsamer vor. Ich frage mich, woher meine Mutter diesen Namen hat und vergesse zunächst, dass ich etwas gefragt wurde.
Ich kehre in die Gegenwart zurück und antworte verwirrt:
>>Ja, mir geht es gut.<<
Mehr sage ich nicht. So ist das eben, ich bringe einfach nie ein Gespräch zustande und das ärgert mich unheimlich.
>>Mal sehen, wie weit wir es bei diesem Wetter schaffen, bevor die ersten schlappmachen<<, meint die Lehrerin und zwinkert mir zu. Ich lächle und sie joggt an die Spitze der Gruppe. Wir kommen auf dem Asphalt der Straße an und joggen dann los.
Die Vögel zwitschern munter und es riecht nach Kies, Gras und Blumen. Ich liebe die Natur, trotzdem verlasse ich nur sehr selten das Haus. Ich weiß draußen einfach nichts mit mir anzufangen. Ich gehe nur aus dem Haus, um zu jagen, oder zur Bücherei zu gehen. Warum auch soll ich nach draußen gehen? Wo ich doch keine Freunde habe und auch keine Beschäftigung, die ich nicht auch in meinem Zimmer tun könnte.
Ich jogge locker vor mich hin und komme an Mädchen vorbei, die sich stöhnend die Seiten halten, oder keuchend am Wegesrand stehen. Innerlich lächle ich. Da seht ihr mal, ich halte viel länger durch als ihr, obwohl ich eurer Meinung nach eine Niete im Sport bin. Ich bin wirklich eine Niete im Sport, da haben sie schon recht, aber beim Laufen und Sprinten bin ich die beste in der Klasse und das ist ein großer Triumph für mich.
Ich genieße es, trotz der Hitze, zu laufen und schließe zu Frau Mirek auf, die mich angrinst und lacht:
>>Die haben aber nicht lange durchgehalten!<<
Ich lache mit und konzentriere mich dann wieder auf den Weg vor mir.
>>Du machst das ausgezeichnet, Nejgin. Du bist die schnellste Läuferin der Klasse.<<
Obwohl ich das auch selbst weiß, erröte ich bei dem Lob.
>>So, jetzt fange ich mal wieder die anderen ein. Warte bitte da vorne.<<
Frau Mirek kehrt um und joggt zurück, während ich weiterlaufe und an einem Baum Halt mache. Er spendet kühlen Schatten und ich warte geduldig auf den Rest der Mädchen. Als alle da sind, gehen wir gemächlich wieder zurück und als wir im Schulgebäude ankommen, klingelt es zur nächsten Stunde.
Ich komme als Erste im Umkleideraum an und ziehe mich schnell um, bevor die anderen Mädchen kommen. Ich bin schon fertig, als die ersten hereinkommen und verschwinde in die Pausenhalle. Dort warte ich auf den Lehrer. Wir haben jetzt Biologie bei Herrn Kremer. Bio ist in Ordnung, aber manchmal ist der Stoff nicht ganz leicht. Zurzeit machen wir Sexualkunde, was wir, meiner Meinung nach, schon hundertmal durchgenommen haben und deshalb ist das Thema auch kinderleicht.
Langsam kommen die Jungs und Mädchen aus den Umkleidekabinen und warten ebenfalls auf den Lehrer. Herr Kremer lässt sich etwas zu viel Zeit und kommt zehn Minuten zu spät. Er geht voraus und die Klasse folgt ihm die Treppe hinauf in den Biologiesaal. Kaum hat der Unterricht begonnen, geht auch schon das Gekicher los. Blöde Bemerkungen fliegen in den Raum und die üblichen Störenfriede werden in das Klassenbuch eingetragen.
Ich zucke nicht einmal mit der Wimper. Für mich gibt es an diesem Thema nichts Lustiges oder Peinliches. Und deshalb bin ich auch reifer, als die Mädchen aus meiner Klasse. Für mich ist die Sexualität etwas ganz natürliches und nichts, weswegen man sich schämen müsste. Aber die anderen lachen, als wäre das alles nur ein Witz. Wartet nur, bis ihr eine Freundin oder einen Freund habt, da könnt ihr nicht mehr dumm herum lachen, denke ich verächtlich und höre dem Lehrer als eine von Wenigen, zu.
Ein paar aus meiner Klasse sind in Ordnung. Sie haben auch gute Noten und machen keinen Blödsinn, aber dennoch wollen sie sich auch nicht mit mir abgeben. Ich kann auch verstehen warum: Sie haben einfach Angst, auch gemobbt zu werden, sobald sie mit mir reden oder mich verteidigen und ich wünsche es ihnen wirklich nicht, dass sie wegen mir auch noch gemobbt werden.
Herr Kremer schreibt einen kurzen Text über Verhütung an die Tafel und ich schreibe ihn sofort ab, während die Störenfriede der Klasse blöd herum kichern und mit den Drehstühlen schrille Quietschgeräusche machen. Das zerrt an den Nerven und ich wünsche mir sehnlichst, die Stunde würde endlich zu Ende gehen. Und da klingelt es auch schon. Nur noch eine Stunde, dann ist Schulschluss. Englisch läuft entspannt ab und ich werde in Ruhe gelassen. Mit schmerzendem Kopf gehe ich nach Hause.
Ich bin zutiefst erleichtert, als ich endlich zu Hause ankomme und nach dem Mittagessen verziehe ich mich auf mein Zimmer. Ich werfe mich seufzend aufs Bett und kuschele mein Gesicht in das kühle, weiche Kissen hinein. Ohne es zu merken, schlafe ich ein.
Benommen wache ich auf und werfe einen Blick auf die Uhr; es ist viertel nach zwei. Ich fühle mich träge und orientierungslos und kann mich nicht einmal dazu aufraffen, auch nur die Decke zurückzuschlagen. Ich bleibe weiterhin im kuscheligen Bett liegen und kämpfe gegen die Müdigkeit an. Schließlich gelingt es mir dann doch, mich aufzurichten und mich auf die Bettkante zu setzen.
Ich greife nach der Fernbedienung auf dem Nachttisch und schalte meinen kleinen Fernseher ein, doch es läuft mal wieder nichts Spannendes oder Interessantes, also entschließe ich mich dazu, zu lesen. Doch mir fallen immer wieder die Augen zu und ärgerlich sitze ich da. Was kann ich sonst noch machen? Hier in unserem Dorf gibt es weder ein Kino, eine Disco, ein Einkaufszentrum, noch sonst irgendetwas, wo man hingehen und Spaß haben kann. Da ist es auch kein Wunder, dass die meisten Schüler aus meiner Klasse sich an der Bushaltestelle treffen, um dort zu rauchen und zu trinken. Und da wundern sie sich auch noch, wenn sie am nächsten Tag in der Schule nicht einmal mehr wissen, was wir als Hausaufgabe hatten.
Ich verscheuche den Gedanken an meine Klasse und gehe ins Wohnzimmer hinunter, wo meine Mutter gerade ein Kreuzworträtsel nach dem anderen löst. Die Hälfte des hundertseitigen Heftchens hat sie bereits geschafft. Als sie mich kommen hört, lächelt sie und fragt:
>>Wie war es in der Schule?<<
>> Wie immer<<, antworte ich, so wie jedes Mal.
>>Und bei dir?<<
Sie seufzt und legt das Rätselheft zur Seite.
>>Wie soll mein Tag schon gewesen sein? Ich habe die Wäsche gebügelt, das Essen gekocht und das Treppenhaus gewischt.<<
Ich höre aus ihren Worten heraus, dass sie gerne wieder arbeiten würde, um die Langeweile im Haus loszuwerden, aber wegen ihrer Herkunft und ihres merkwürdigen Aussehens - der bleichen Haut und der spitzen Eckzähne - bekommt sie einfach keine Arbeit.
Sie sieht müde aus und sie tut so viel für mich, da wünsche ich mir schon eine Arbeit für sie. Ich grübele gerade darüber nach, wie ich ihr zu einem Job verhelfen könnte, als sie mir eine Frage stellt.
>>Hast du vielleicht Lust, mit mir einkaufen zu gehen?<<
Da ich sonst nichts Besseres zu tun habe, nicke ich und nach fünf Minuten verlassen wir das Haus.
Es ist etwas kühler geworden, doch die Sonne scheint vom Himmel und wir gehen gemächlich die Hauptstraße bis zum Zebrastreifen entlang, überqueren die Straße und erreichen kurz darauf einen von vielen Supermärkten hier im Dorf.
Das Einkaufen mit meiner Mutter, so verrückt es auch klingen mag, ist fast wie ein kleines Abenteuer für mich, wie ein kleiner Ausflug in eine andere Welt. Im Supermarkt ist es schön kühl, als wir ihn betreten. Ich betrachte alle Waren interessiert, während wir an den Regalen vorbeischlendern. Mama hält ab und zu mit dem Einkaufswagen an, um auf der Verpackung zu lesen, oder etwas in den Wagen zu legen. Ich gehe schon voraus und schaue mir das Angebot an Fleisch- und Milchprodukten an. Das Fleisch sehe ich nur ungern an. Obwohl ich beim Jagen lebende Tiere in den Händen halte, ist es nicht dasselbe; das Fleisch von den Menschen sieht für mich widerlich aus: Rot, sehnig, blutig… ich zumindest zerreiße meine Opfer nicht und stelle sie in Auslagen zur Schau.
Ich gehe schnell weiter und sehe mich dann nach meiner Mutter um. Sie ist gerade bei den Teigwaren und sucht eine Packung Nudeln aus. Ich mache mich auf den Weg zu den Süßigkeiten. Ich liebe Süßigkeiten und ich gebe zu, ich esse wirklich viel zu viel davon, aber ich kann es nun mal nicht lassen. Ich bin zwar alles andere als dick, doch ich befürchte es einmal zu werden, wenn ich weiterhin Süßigkeiten in mich hineinstopfe.
Mit schlechtem Gewissen nehme ich eine Tafel Schokolade und eine Packung mit Schokoriegeln vom Regal und suche nach meiner Mutter. Inzwischen ist sie bei den Kosmetikartikeln angelangt und betrachtet interessiert die Auslage mit den Lippenstiften. Ich muss grinsen. Sie liebt Lippenstift und kauft sich immer wieder einen neuen, obwohl der alte noch nicht einmal zur Hälfte aufgebraucht ist. Meist sucht sie sich dunkle Rot- oder Violetttöne heraus; mir persönlich gefallen nur helle Farben, rosa oder lavendel etwa.
Als ich mich zu ihr geselle, wirft sie nur einen kurzen Blick auf die Süßigkeiten und widmet sich dann wieder ihrem Lippenstift zu. Sie ist genauso verrückt nach Süßigkeiten wie ich, aber im Gegensatz zu mir, hat sie eine perfekte Figur. Und einige Männer waren auch schon auf eine ernsthafte Beziehung aus, doch meine Mama hat sie immer wieder zurückgewiesen. Sie hat ihre Entscheidung damit begründet, dass der Schmerz über Papas Tod noch so präsent in ihr und einfach zu tief ist, um einen neuen Partner zu akzeptieren und ich kann sie da gut verstehen. Ich habe ehrlich gesagt auch keine Lust, einen anderen Stief.vater zu bekommen.
Wir gehen zur Kasse und während wir in der Schlange stehen, fällt mein Blick auf die Teenagermagazine, wo mich makellose Gesichter von den Covern her anlächeln. Da sind sie wieder, diese Minderwertigkeitsgefühle, dieses Gefühl hässlich und nutzlos zu sein.
Sie sind glücklich du nicht.
Sie haben Freunde, du nicht.
Sie haben Geld, und du nicht…
Diese Gedanken rasen durch meinen Kopf, während ich das Bild des Mädchens aus verschwommenen Augen betrachte, doch bevor ich richtig anfange zu weinen, werde ich abgelenkt. Wir sind an der Reihe. Mit leicht zitternden Händen lade ich die Lebensmittel auf das Laufband und gehe Schritt für Schritt mit, wenn das Band sich ruckartig bewegt. Ich starre es an und kämpfe mit meinen Emotionen, bisMutter mich anspricht und mich bittet, ihr beim Einpacken des Einkaufs zu helfen. Verwirrt blicke ich hoch und helfe ihr dann hastig.
Ich habe noch immer einen Kloß im Hals. Ich weiß auch nicht, warum ich immer so sensibel reagiere, aber es ist nun einmal so. Ich kann froh sein, wenn ich nicht jedes Mal in der Öffentlichkeit anfange zu heulen. Endlich können wir diesen blöden Supermarkt verlassen. Überall nur Betrug, überall nur Verführung, Verrat… Perfektion, alles ist schön und gut, perfekt… ich beiße wütend die Zähne zusammen und achte nur auf den Schmerz, als meine spitzen Eckzähne sich in meine Unterlippe bohren. Schmerz ist echt und Schmerz zeigt einem, dass man noch da ist, dass man nicht gefühllos ist und noch etwas fühlt. Ich frage mich, ob ich irgendwann überhaupt nichts mehr fühle...
Nejgin
Wieder zurück in meinem Zimmer, denke ich an die ganzen vergangenen Jahre meines Lebens, angefangen von meiner Kindheit. Meine Kindheit war zum Teil schön, wie auch schrecklich. Ich habe früh meinen Vater verloren, habe ein normales, glückliches Familienleben nie gekannt und immer wenn ich höre, wie meine Mitschüler von ihre Familien erzählen, durchfährt ein Stachel der Eifersucht und Trauer meine Brust. Und auch der Schmerz meiner Mutter macht mich mir zu schaffen und hat mich oft in den Tagen meiner Kindheit begleitet.
So manches Mal bin ich zu ihr ins Bett gekrochen und habe um meinen Vater geweint, obwohl ich ihn kaum kannte. Und sie weinte mit mir. Als ich dann in die Schule kam, wurde es noch schlimmer. Ich fühlte mich alleine, die fremde Umgebung und die vielen Menschen schüchterten mich ein und da war kein starker Papa, der mich an der Hand nehmen und mich beruhigen konnte. Aber Mama war da und sie ließ mich nicht allein. Es fiel mir damals schon schwer auch nur ein Wort zu sagen, oder überhaupt Kontakte zu knüpfen, was die Lehrer und Schüler wohl auch gleich bemerkten. Meine Mitschüler behandelten mich entweder wie ein rohes Ei, oder sie machten sich darüber lustig.
Doch meine Schüchternheit brachte mir die Zuneigung der Lehrer ein und zumindest sie behandelten mich freundlich und versuchten mit Geduld und Vorsicht, meine Barriere zu durchbrechen. Es gelang ihnen jedoch nie, denn meine Klasse verhinderte es auf niederträchtige Art und Weise.
Schon mit 13 Jahren habe ich mir vorgestellt tot zu sein, mich vor ihren Augen umzubringen, langsam und mit vorwurfsvollem Schweigen. Ich stellte mir vor, wie ich im Schwimmbad neben dem Becken stehe und keiner etwas ahnt. Ich malte mir aus, wie ich die Rasierklinge über meine Haut ziehe, wie mir das Blut dick und rot herunter tropft und sich in einer Pfütze zu meinen nackten Füßen sammelt Mir wird schwindelig, der Arm pocht und ich sinke zu Boden. Ich höre besorgtes Gemurmel und ein Schatten beugt sich über mich, ruft meinen Namen und dann werde ich hochgehoben, um ins Krankenhaus gebracht zu werden, damit man mir das Leben rettet, mein Leben, dass mir soviel Schmerz zugefügt hat...
So ungefähr habe ich mir das vorgestellt. Aber tun könnte ich es nie, dazu fehlt mir einfach der Mut und ich bin auch nicht verzweifelt genug dazu. Ich habe eben eine blühende Fantasie und In meiner Kindheit gibt es auch schöne Dinge. Natürlich war es schön, als Papa noch da war, aber selbst nachdem er nicht mehr lebte, waren die Zeiten nicht immer schlecht und düster.
Ich und meine Mutter blieben stark und sie verbrachten wir auch schöne Momente miteinander, haben viel zusammen gelacht und uns mit Spielplatzbesuchen und anderen Dingen abgelenkt. Ihre mütterliche Liebe war wohl der Grund, aus dem ich mich nie wirklich umbringen konnte und es auch nie tun werde.
Es wäre einfach zu schrecklich, wenn ich jetzt schon sterben würde, was hieße, meine Mutter müsste ohne mich weiterleben und das bis in alle Ewigkeit...
Ich schaudere heftig bei dem Gedanken und verwerfe ihn Gedanken schnell wieder. Als ich aufstehen will, verspüre ich plötzlich starken Durst und ein wildes Pulsieren in meinen Adern. Langsam greife ich nach meiner Kehle und lasse meine Finger über die kalte Haut gleiten. Bedächtig lasse ich meine Zungenspitze erst über meine Eckzähne, dann über meine Lippen gleiten. Es ist Zeit für die Jagd.
Meine bevorzugten Jagdgebiete sind der Wald und ein maroder Spielplatz nur wenige Straßen von hier entfernty wo es Vögel, Eichhörnchen und Mäuse zu jagen gibt. Dort sind auch selten Menschen anzutreffen. Während ich das Haus verlasse und mich auf den Weg mache, muss wieder an die Katze zurückdenken, die ich als kleines Kind getötet habe. Seit diesem Tag, habe ich mir geschworen, nie wieder größere Tiere als Mäuse oder Vögel zu jagen. Meine Mutter war da hingegen anderer Meinung. Sie jagt gerade das, auf was sie Lust hat und so kleines Getier reicht ihr einfach nicht. Da muss es schon eine Kuh oder ein Reh sein, bis ihr Blutdurst gestillt ist. Ich könnte das nie.
Unwillkürlich sehe ich mich um, ob andere Vampire in der Nähe sind, doch ich spüre keinen meiner Artgenossen und erleichtert lege ich mich auf die Lauer. Aufmerksam durchforste ich die Baumwipfel und das Buschwerk nach Beute und da entdecke ich etwas Braunes zwischen den Ästen und mein Herzschlag beschleunigt sich. Pures Adrenalin durchzuckt mich und lässt mein Gesicht glühen. Das Eichhörnchen sitzt auf einem etwas weiter entfernten Ast und knabbert friedlich an einer Nuss.
Langsam gehe ich in die Hocke, spanne meine Beinmuskeln an, springe, strecke die Arme aus und bekomme einen Ast zu fassen. Mit etwas Schwung komme ich auf dem Ast zu sitzen. Meine Hand schnellt vor und packt den flüchtenden Nager im Nacken. Ich schließe meine Finger fest um das panische Tier, spüre den rasenden Herzschlag und schlage meine Zähne in den zappenlnden Leib . Heiß läuft mir das Blut über die Finger und gierig schlucke ich den köstlichen Lebenssaft. Hitze durchströmt meinen Körper, der mit heftigem Pulsieren und ziehendem Schmerz antwortet.
Pure Ekstase durchfährt mich und eine gierige Flamme scheint mich zu verzehren. Keuchend löse ich die Lippen aus der nun erkalteten Haut und lecke mir die restlichen Tropfen genüsslich von den Lippen. Mein ganzer Körper kribbelt, gestärkt erhebe ich mich und springe, das tote Eichhörnchen in der Hand haltend, herab.
Der Erdboden rast auf mich zu und ich spanne die Muskeln zur Landung an. Der Aufprall staucht meine Kochen und Muskeln zusammen, meine Zähne schlagen schmerzhaft aufeinander. Ich verliere das Gleichgewicht und kippe zur Seite. Einen Moment lang liege ich keuchend da, dann setze ich mich vorsichtig auf und spüre ein heftiges Brennen am Arm und einen pochenden Schmerz über dem Knöchel. Als ich den Arm hebe, sehe ich einen breiten und langen Streifen aufgerissene Haut, der von kleinen Blutströpfchen durchsetzt ist. Ich lasse den toten Nager ins Gras sinken und stehe vorsichtig auf.
Mein Gesicht hat einige Schrammen abbekommen und meine Knochen schmerzen. Ich betaste meinen Knöchel und erspüre über ihm eine geschwollene, schmerzende Stelle. Vielleicht eine Muskelzerrung. Behutsam teste ich, wie weit ich den Knöchel belasten kann. Glücklicherweise zieht es nur ein wenig. Erleichtert atme ich auf. und klopfe mir den Schmutz aus der Jeans.
Kurz betrachte ich das Eichhörnchen in meiner Hand, dann lege ich es ins Gras, gehe in die Hocke und grabe ein schmales Loch, wo ich dann das Eichörnchen hinein lege und schließe das Loch wieder. Mit neuer Energie erfüllt und von der Aufregung der Jagd gepackt, erbeute ich noch drei weitere Kleintiere, bevor ich mich gesättigt zurück auf den Weg nachhause mache.
Mama ist zum Glück nicht da und ich husche schnell ins Bad, um mich zu verarzten. Die Hautaufschürfungen behandle ich mit einfacher Wundsalbe, nachdem ich sie mit Desinfektions-mittel gesäubert habe und wickle um meinen Arm einen notdürftigen Verband. Über meinen Knöchel lege ich einen Kühlbeutel und klebe Pflaster auf die kleinen Schnitte. Den Arm muss ich wohl unter langen Ärmeln verstecken, der Rest ist nicht so wichtig.
Ich verlasse das Badezimmer und gehe in mein Zimmer, wo ich mich auf mein weiches Bett fallen lasse. Seufzend vergrabe ich mein Gesicht in den Kissen, fühle mich immer noch euphorisch und berauscht von dem Blut, das durch meine Adern fließt. Unruhig springe ich auf, tänzle zur Terrassentür und öffne sie weit. Ein sanfte, warme Brise weht mir ins Gesicht, die Sonne kitzelt mich mit ihren Strahlen und ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. Plötzlich muss ich lachen. Leichtfüßig springe ich hinaus auf die Terrasse, drehe mich im Kreis und weiche dabei geschickt Blumentöpfen und Dekofiguren aus. Mit geschlossenen Augen tanze ich solange, bis die Sonne allmählich untergeht.
Ein wenig außer Atem stehe ich schließlich da und betrachte das schöne orange-rot des Himmels. Sanfte Wehmut überkommt mich, die schnell in Trauer umschlägt. Wieder geht ein Tag zu Ende und am morgen erwartet mich ein weiterer Tag voll Spott, Schikane und einsamen, eintönigen Stunden, in denen ich meine Seele hinter einem dicken Panzer verstecke, mit einem falschen Lächeln für die Lehrer und einer scheinbar gleichgültigen und bewegungslosen Miene für meine Peiniger. Plötzlich fegt ein kühler Wind über das Haus hinweg und lässt mich frösteln.
Schnell kehre ich in mein Zimmer zurück und schließe die Terrassentür. Ich fühle mich etwas verloren, wie ich so dastehe, in der Stille des Raumes und lasse meinen Blick durch mein Zimmer schweifen. Mein Bett und der Kleiderschrank stehen an der gegenüberliegenden Wand in der Ecke, wo die Sonne nicht stört. Dem Bett gegenüber steht mein kleiner Fernseher, daneben ein Regal, vollgestopft mit Büchern. Durch einen weiten, bogenförmigen Durchgang kommt man in die andere Hälfte des Zimmers, wo der alte PC und die staubige Musikanlage stehen. Die Wände sind mit Tierpostern oder handgeschriebenen Notizen übersät.
Mein Blick fällt auf meinen Nachttisch, auf dem mein Tagebuch liegt. Mir rasen all die Gedanken durch den Kopf, die ich dem habe, all die verzweifelten Sätze, die ich in Tränen aufgelöst, oder voller Wut diesem kleinen Büchlein anvertraut habe... Eisige Kälte greift nach mir und zitternd eile ich zu meinem Bett, schlinge die Decke fest um mich und wickle mich wie in einem Kokon ein. Mit tiefen Atemzügen versuche ich mich zu beruhigen, micIh von der Verzweiflung die mich zu überkommen droht, abzulenken. Ich zwinge mich, an etwas Schönes zu denken, doch mir fällt einfach nichts ein. Mehrere Minuten lang kämpfe ich mit der Dunkelheit in mir, versuche, nicht auf die quälende Stimme in meinem Kopf zu hören.
Du bist ein Niemand.
Du bist eine elende Heuchlerin, eine Lügnerin.
Widerliche Schleimerin, Angeberin, blasses Knochengerippe, hässliche Tusse. Freak.
Tränen brennen in meinen Auegen, schluchzend ziehe ich mir die Decke über den Kopf und lasse meine Gedanken von der Dunkelheit ersticken. Müdigkeit überkommt mich und lässt die Stimme endlich verstummen.
Als ich wieder erwache, spannt meine Gesichtshaut von getrockneten Tränen und ein schaler Geschmack liegt auf meiner Zunge. Mit schmerzendem Kopf und kalten Gliedern setze ich mich auf und blicke auf meine Handyuhr: viertel nach sieben. Stöhnend kämpfe ich mich unter der Decke hervor und tappse ins Badezimmer. Aus dem Spiegel blickt mir mein bleiches, von wirren schwarzen Haaren umrahmtes Gesicht entgegen. Mit müden Augen starre ich mein Spiegelbild an und fahre mit der Zunge über meine spröden Lippen. Resigniert wende ich mich ab und widme mich meiner Morgentoilette. Danach ziehe ich mich an und gehe hinunter in die Küche.
Meine Mutter ist gerade mit dem Frühstück fertig und blickt von ihrer Zeitschrift auf. Kurz mustert sie mich mit ihren smaragdgrünen Augen, dann legt sie die Zeitschrift auf den Tisch und erhebt sich.
>> Hier ist dein Frühstück. Ich fahre gleich in die Stadt um einige Besorgungen zu machen und werde eine Weile fort sein. Du kommst zurecht?<<
Ein Glas mit roter Flüssigkeit wird vor mir abgestellt, daneben ein Teller mit einer Scheibe Toast. Innerlich seufzend nicke ich und trinke das Glas in wenigen Zügen aus. Das Blut ist nicht mehr ganz frisch, doch es macht mich etwas munterer und lässt den Kopfschmerz verschwinden.
Während ich frühstücke, beobachte ich meine Mutter, wie sie sich das lockige, schwarze Haar hochbindet, die Lippen rot schminkt und den Lippenstift in ihrer Handtasche verstaut.
Sie drückt mir einen Kuss auf die Stirn, dann ist sie auch schon weg. Kaum ist sie aus dem Haus, da lasse ich meine Stirn auf die kühle Tischplatte sinken. Du schaffst das Nejgin. Ein weiterer Tag wie alle anderen, es wird alles so sein wie immer, nichts Neues oder Aufregendes...nur dasselbe... immer nur dasselbe.
In der ersten Stunde haben wir Deutsch und das hebt meine Stimmung etwas. Frau Firne kontrolliert die Hausaufgaben und wie so oft hat die Hälfte der Klasse sie nicht gemacht.
>>Da ihr nicht gewillt ward, die Hausaufgaben zu machen, bekommt ihr heute das doppelte auf..<<
Die Klasse stöhnt. Nur wenigen bleibt die Strafe erspart und sofort spüre ich ihre bösen Blicke im Rücken. Ich gebe vor, nichts zu bemerken, doch innerlich zittere ich vor Anspannung. Um mich abzulenken, stürze ich mich auf den Arbeitsauftrag und schaffe es so, die Stunde hinter mich zu bringen, ohne die Nerven zu verlieren.
Als nächste Stunde steht Mathe auf dem Plan und das versaut mir die ganze Stimmung. Ich höre Frau Mirek nur halbherzig zu und male stattdessen auf dem Block herum, bis die Stunde vorbei ist. Zum Glück spricht die Lehrerin mich nicht auf die Kratzer in meinem Gesicht an und ich husche schleunigst aus dem Klassenraum.
Wie immer verbringe ich die Pause alleine auf der Heizung sitzend und mache mir meine Gedanken. Wehmütig frage ich mich, ob ich glücklicher unter Meinesgleichen wäre, zum Beispiel mit einer Vampirin als Freundin. Etwas lässt mich zweifeln, ob ich unter ihnen auch wirklich willkommen wäre. Mutlos muss ich mir eingestehen, dass ich wohl in keine der beiden Welten passe und bodenlose Hoffnungslosigkeit überkommt mich. Bin ich etwa für den Rest meines Lebens dazu verdammt, nirgendwo dazuzugehören und einsam zu bleiben, als verstoßenes Halbblut?
Zitternd schlinge ich meine Arme um mich und starre blicklos vor mich hin, bis das Schrillen zum Pausenende mich aus meiner Lethargie reißt. Benommen suche ich meine Sachen zusammen. Zu meinem Pech haben wir jetzt Sport, was bedeutet, dass ich mich vor allen anderen Mädchen ausziehen muss und sie den Verband an meinem Arm sehen, was unweigerlich zu blöden Fragen und Kommentaren führen wird. Ich überlege Menstruationsschmerzen vorzutäuschen und beruhige mich etwas. Frau Mirek ist da zum Glück verständnisvoll lässt mich beim Unterricht zusehen.
Ich langweile mich zwar schrecklich, bin aber dennoch froh, nicht mitmachen zu müssen. Heute steht Konditionstraining auf dem Plan und die Mädchen plagen sich mit Sit-ups, Liegestützen, Dehnübungen und Seilspringen ab. Der restliche Schultag geht ohne besondere Vorkommnisse vorüber und ich mache mich erleichtert auf den Heimweg. Es wundert mich, dass die Klasse mich in letzter Zeit immer häufiger in Frieden lässt. Ein wenig Hoffnung, es könnte ihnen doch zu langweilig geworden sein, mich zu mobben, steigt in mir auf. Ist es vielleicht möglich, dass es endlich ein Ende hat, nach all den Jahren? Ich klammere mich verzweifelt an diese Möglichkeit und fühle die ständige Anspannung und Sorge ein wenig schwinden . Für ein paar Augenblicke bin ich mit mir und der Welt zufrieden. Doch es sollte alles ganz anders kommen...
Nejgin
Die restlichen Woche vergeht wie im Flug und dann ist auch schon Wochenende. Ich freue mich immer darüber, obwohl ich nicht wie andere Jugendliche in meinem Alter um die Häuser ziehe, Partys besuche oder schmeiße, oder in die Disco gehe. Ich beschäftige mich lieber mit meinen Hobbys und ganz individuellen Dingen, die mir Freude machen und bei denen ich einfach abschalten kann. Gerade habe ich ein Buch aufgeschlagen, um zu lesen, als meine Mutter das Zimmer betritt und mich bittet, doch bitte für sie einkaufen zu gehen. Ich stimme etwas widerwillig zu und sie gibt mir genug Geld für den Einkauf. Ich mache mich gleich auf den Weg. Draußen ist es kühl und ich bin froh, einen Mantel angezogen zu haben.
Der Himmel ist bleigrau und die Wolken noch dunkler. Unbehaglich gehe ich schnell weiter und erreiche den kleinen Supermarkt an der Hauptstraße. Ich bin froh, als ich ihn betrete und die Wärme auf meinem Gesicht prickelt. Schnell erledige ich den Einkauf und verlasse den Supermarkt wieder. Der Himmel ist noch grauer, beinahe schwarz und die Sonne ist hinter einer dicken Wolke verborgen. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich.
Ich gehe mit eiligen Schritten über den Bürgersteig. Ein kalter Wind, faucht durch die Bäume, lässt sie ächzen und knarren. Mit wachsender Angst sehe ich mich um, mein Atem geht schneller, mein Herz hämmert gegen meine Brust.
Der Regen beginnt zu fallen, ein Tropfen fällt auf meine Wange und lässt mich vor Kälte schaudern. Ich trage nur einen dünnen Baumwollpullover, Jeans und Turnschuhe, dazu noch einen braunen Mantel aus Wolle, der schon nach kurzer Zeit durchnässt ist. Mir steigen Tränen in die Augen, laufen warm über meine Wangen, fühlen sich heiß auf meinem kalten Gesicht an und vermischen sich mit den kalten Regentropfen. Ich verfalle in Panik, zittere vor Kälte und fange an zu rennen. Die Umgebung verschwimmt, rast an mir vorbei und die Einkaufstüten schlagen schmerzhaft gegen meine Beine.
Plötzlich kracht es laut über mir und ich schreie auf vor Angst. Die Straßen sind menschenleer, wie in einem Horrorfilm, alles um mich herum ist grau und kalt. Schniefend eile ich weiter, während dicke Regentropfen auf mich niederprasseln und mir die Sicht nehmen. Stolpernd renne ich an Häusern, Geschäften und Restaurants vorbei. Ich trete in Pfützen und bald sind meine Schuhe vollkommen durchnässt, vorbeifahrende Autos spritzen mich noch zusätzlich nass und verärgert wische ich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Schließlich bleibe ich keuchend stehen und sehe mich um. Außer ein paar Häusern und einem Kornfeld gibt es nicht viel zu sehen. Ich kann nur erahnen, wo ich mich befinde, vermutlich weiter außerhalb des Dorfes, doch viel wichtiger ist, dass ich Schutz vor dem Gewitter zu finde. Also renne ich weiter und entdecke etwas weiter ein kleines Backsteinhäuschen mit hervorstehendem Dach und einer schmalen Sitzbank. Erleichtert gehe ich darauf zu und lasse mich auf die Bank fallen.
Langsam beruhigt sich mein Herzschlag und mit einem Seufzen lehne ich mich zurück. Träge sehe ich zu, wie der Regen auf das Gewächs am Wegesrand prasselt. Von plötzlicher Müdigkeit befallen, schließe ich die Augen und entspanne mich. Das Trommeln und Plätschern wiegt mich langsam in den Schlaf.
Warme Sonnenstrahlen wecken mich und stöhnend lege ich einen Arm über die Augen. Sonne? Hat der Regen etwa schon aufgehört? Gähnend räkle ich mich; verdutzt halte ich inne. Verwirrt blicke ich mich um und stelle fest, dass ich nicht länger auf der Bank des Häuschens sitze, sondern auf einer feuchten Wiese liege. Panisch rapple ich mich auf die Knie hoch und wage es vorsichtig aufzustehen. Was ich sehe, lässt mich die Augen weit aufreißen, wodurch sie heftig zu brennen anfangen. Ich befinde mich auf einer blühenden Wiese mitten in einem Wald. Einzelne Sonnenstrahlen brechen durch die hohen Baumkronen und verbreiten ein gedämpftes Licht.
Wie bin ich denn hier her geraten? Unruhig klopfe ich mir den Schmutz von der Kleidung und sehe mich weiter um. Links von mir sackt der Boden steil ab und am Fuß der Böschung fließt ein kleiner Bach, den kleine, weiße Blüten in Sternenform säumen. Das Plätschern des Wassers und das Vogelgezwitscher haben etwas idyllisches und beruhigendes an sich. Der Weg vor mir gabelt sich nach links und rechts und unsicher setze ich mich in Bewegung. Ich kann mich nicht erinnern, aufgewacht und weitergelaufen zu sein. Auch die Einkaufstüten sind nicht mehr da. Aber selbst wenn ich weitergegangen wäre, ich kenne diese Gegend überhaupt nicht. Was soll ich jetzt mit mir anfangen? Dieser Pfad konnte sonst wohin führen und wenn ich ihm folgen würde, würde ich mich bestimmt verlaufen. Ich musste zurück nach Hause, nur wusste ich nicht, wie. Eine dumpfe Angst, ich könnte entführt worden sein, stieg in mir hoch und versetzte mich in Panik.
Verzweifelt drehe ich mich um und gehe einfach über den Pfad in die Richtung, aus der ich vermute, gekommen zu sein. Wenigstens ist meine Kleidung trocken, doch mir ist heiß und ich ziehe den Mantel aus. Die Sonne prallt weiterhin auf mich nieder und brennt mir auf der Haut, in den Augen, auf dem Haar. Mir wird übel und ich merke, dass ich hungrig bin. Ich habe nichts bei mir, also muss ich wohl in fremdem Terrain auf Jagd gehen. Hier gibt es doch sicher Mäuse oder auch andere Nagetiere, ich könnte natürlich auch einen Vogel jagen, aber das ist mir doch zu mühsam.
Ich verlasse den Pfad und wandere über eine Lichtung, den Blick auf den Boden gerichtet, die Ohren gespitzt. Obwohl es düster im Wald ist, kann ich gut sehen. Als ich plötzlich ein Geräusch höre, bleibe ich abrupt stehen. Rechts von mir raschelt das Gras und ich höre das Quieken einer Maus. Blitzschnell wende ich mich in die Richtung, bücke mich und halte auch schon eine zappelnde Maus in der Hand. Ich packe fest zu, spüre das weiche Fell und die Wärme des kleinen Körpers. Nach einigen Sekunden ist der Nager tot. Ich gehe mit ihm zu einer dicken alten, ein wenig schiefstehenden Eiche und setze mich unter ihren Schatten. Ich hebe die Maus hoch, presse sie kurz an die Lippen und grabe dann meine Eckzähne hinein.
Ich öffne den Mund und trinke durstig. Das Blut fließt langsam und salzig über die Zunge und strömt brennend die Kehle hinab. Ich schlucke gierig und merke kaum, dass einige Rinnsale meinen Hals hinabrinnen. Als ich fertig bin, vergrabe ich den ausgelaugten Körper und wische mir Hände und Mund mit einem Taschentuch sauber. Dann erhebe ich mich und mache mich wieder daran, dem Pfad zu folgen. Es ist angenehm warm und ich bin froh, dass das Gewitter vorbei ist. Ich frage mich ob meine Mutter sich wohl Sorgen macht.
Seufzend betrachte ich die Bäume um mich herum, sehe Pflanzen, die ich nicht kenne. Der Pfad ist mit Kies bestreut, wie mir jetzt auffällt und es riecht nach Minze und Erde. Ich liebe den Geruch von Erde und während ich die verschiedenen Geräusche und Gerüche in mich aufnehme, sinne ich weiter darüber nach, warum ich hier bin und noch wichtiger, was das hier für ein Ort ist. Dieser Wald hat eine merkwürdige Atmosphäre, ist zugleich aber auch beruhigend. Als ich nach einer Weile noch immer keiner Menschensseele begegnet bin, fühle ich mich nicht mehr ganz so wohl.
Ich gehe und gehe, die Landschaft ändert sich nicht, nur die Pflanzen wechseln in ihrer Form und Farbe. Ich betrachte sie lange und gerne und sie bieten mir ein wenig Abwechslung. Der Mittag vergeht und es wird kühler. So langsam habe ich es satt ziellos herumzuwandern und würdemich jetzt gerne ausruhen. Als ich schließlich genug davon habe diesem scheinbar endlosen Pfad zu folgen, bleibe ich stehen, hole tief Luft, spanne meine Muskeln an und renne los. Würde ein anderer Mensch mich jetzt sehen, würde er nur einen Schemen erkennen können und einen leichten Windhauch wahrnehmen. Der Wind fährt durch mein langes Haar, kühlt mein Gesicht und füllt in kalten Stößen meine Lungen. Meine Füße scheinen kaum den Boden zu berühren, meine Muskeln arbeiten geschmeidig, wie geölt und erst als meine Muskeln unagenehm zu brennen beginnen, bleibe ich leicht außer Atem stehen. Berauscht sehe ich mich um und merke erstaunt, dass ich nur wenige Meter von einem kleinen Dorf entfernt stehe.
Die wenigen Gebäude sind alt und verlassen, Unkraut wächst an den Wänden empor, die Fensterläden sind verrottet und hängen schief in den Angeln. Anstelle der Türen klaffen schwarze Öffnungen. Die Dächer sind zusammengebrochen, Ziegel und Geröll liegen zerbrochen auf dem Boden. Ich betrete zögernd ein Haus, bei dem alles soweit unbeschädigt geblieben ist, nur das Dach ist zur Hälfte eingestürzt. Die zerbrochenen Möbelstücke und Dachziegel sind von einer dicken, weißen Schicht Wandputz bedeckt; der Staub liegt überall in der Luft und und kitzelt in der Nase. Bei jedem Atemzug, gelangt Staub in meine Lunge. Ich unterdrücke den Hustenreiz und verlasse das zerstörte Gebäude wieder. Während ich durch das Dorf wandere, zähle ich insgesamt fzwanzig Häuser, alle verlassen und mehr oder weniger zerstört. Je weiter ich gehe, desto spärlicher wird das Grün und schließlich verlasse ich das Dorf und gelange auf einen runden, mit weißen Kacheln ausgelegten Platz. Rechts von mir sehe ich etwas, das mich den Atem anhalten lässt: Unter einer Ansammlung von vier Bäumen ragen Gräber aus der Erde, deren Grabsteine aus schwarzem Marmor, mit silbernen Gravuren bestehen. Soweit ich es erkennen kann, sind keine Namen oder Todesdaten darauf.
Die Gravuren zeigen hauptsächlich Schnörkel, Vögel oder Dornenranken. Zwischen den Grabsteinen stehen unzählige Statuen aus schwarzem Obsidian, die Engel in allen möglichen Stellungen und Bewegungen zeigen: Betend, liegend, sitzend, stehend, fliegend, tanzend und es gibt sogar eine Statue, die zwei sich küssende Engel zeigt. Die Äste der alten Bäume wiegen sanft im Wind und scheinen die Statuen liebevoll zu streicheln. Zum einen bin ich fasziniert, doch flößt mir dieser Friedhof auch Angst ein und verursacht ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Ich überlege, ob ich weitergehen soll; meine Neugier ist stärker und ich gehe zögernd weiter, zwischen den Gräbern hindurch und betrete eine stoppelige kahle Wiese. In der Ferne ragt etwas Riesiges und zackiges in den Himmel hinauf. Ich beschatte mit einer Hand meine Augen und versuche angestrengt, etwas zu erkennen. Es scheint ein großes Gebäude zu sein.
Eine leise Stimme in mir warnt mich davor, sich diesem schwarzen Bauwerk zu nähern, doch eine unsichtbare Kraft zieht mich dorthin, die machtvoller ist als jede Naturgewalt. In Vampirgeschwindigkeit nähere ich mich dem Bauwerk und erkenne, dass es ein riesiges Schloss ist. Fasziniert und entsetzt zugleich starre ich es an und spüre einen kalten Schauder über meinen Rücken kriechen. Was ist das hier für ein Ort? Er könnte glatt aus einem Märchen sein.
Das Schloss besteht aus schwarzem Obsidian, mit Säulen aus Marmor. Es gibt drei Türme, auf deren Spitzen stählerne Engel sitzen. Balkone mit kunstvoll verschnörkelten Gittern ragen unterhalb der Bogenfenster hervor. Die Türme und Fensterrahmen sind mit glänzendem Stahl versehen, der in der Sonne fast schon blendet. Meine Neugier lässt sich nicht länger bändigen und schließlich wage ich es, an eines der Fenster heranzutreten. Durch die grau getönte Scheine sehe ich eine große, rechteckige Halle, die mit einem roten Teppich ausgelegt ist. Rechts und links säumen in tiefen Wandnischen eingelassene Statuen den Weg zu einer marmornen Treppe hinauf. An den Wänden hängen Gemälde religiöser Szenen, die Engel, Dämonen und Menschen bei Schlachten, prachtvollen Festen oder gefoltert in der Hölle zeigen
Ein Schauer durchfährt mich. Plötzlich höre ich Schritte und ich renne noch rechtzeitig los, bevor das mächtige Tor sich langsam öffnet. Offenbar ist das Schloss bewohnt und ich halte den Atem an. Ohne Vorwarnung trifft mich ein Schlag, wie von einer unsichtbaren Faust und schleudert mich einige Meter entfernt zu Boden. Ich unterdrücke einen Schmerzensschrei und bleibe liegen, um wieder zu Atem zu kommen. Nachdem der Schmerz ein wenig abgeebbt ist, rapple ich mich hoch und renne so schnell ich kann; plötzlich will ich nur noch weg von diesem Ort. Ich habe gerade den Friedhof erreicht, als mich ein weiterer Stoß im Rücken trifft und nach vorne schleudert. Ich stolpere, spüre nur noch einen heftigen Schlag am Kopf und die Welt wird schwarz.
Nejgin
Es ist sehr dunkel um mich herum, das weiß ich, auch ohne, dass ich die Augen öffnen muss. Es ist kalt, doch die Luft ist klar. Ich atme sie tief ein und will die Augen öffnen, doch es geht nicht. Ich spüre einen starken Druck auf ihnen und sie brennen. Ich habe einen trockenen Mund und sauren Geschmack auf der Zunge. Ich verziehe das Gesicht, stemme mich hoch und versuche abermals die Augen zu öffnen. Es klappt nicht. Beunruhigt hebe ich die Hände und taste über mein Gesicht, die zarte kühle Haut und ertaste über meinen Augen ein Tuch. Man hatte mir eine Augenbinde umgelegt. Ich nehme verschiedene Gerüche wahr: Erde, Asche, Holz, Tannen... Wo bin ich? Ich kann mich nur noch daran erinnern mit Mutter in der Küche gewesen zu sein, dann an Schreie, heftigen Schmerz im Hinterkopf und dann Schwärze. Jemand hatte mich entführt! Aber warum? Und wo ist meine Mutter? Da ist noch etwas: Ich rieche keinen einzigen Menschen, nur Vampire. Und ich höre auch keine lauten Schritte oder Stimmen. Fassen wir mal zusammen: Ich sitze hier draußen, wahrscheinlich wieder in einem Wald, man hat mich entführt und mir eine Augenbinde angelegt, außerdem bin ich hier alleine unter lauter Vampiren. Ich hätte mir eigentlich keine allzu großen Sorgen zu machen brauchen, oder? Schließlich bin ich ein halber Vampir, nicht? Aber ich war zutiefst verängstigt. Was hatten sie mit mir vor?
Als ein Geräusch ertönt, wende ich den Kopf in diese Richtung und spüre plötzlich wie zarte Hände den Knoten am Hinterkopf lösen. „Mama!“, keuche ich und starre sie an. Sie sieht unruhig aus, die ist Stirn gefurcht, die Haare stehen wirr vom Kopf ab. Sie trägt ein schwarzes Kleid, das zu ihren blauschwarzen Haaren und den dunkelblauen Augen passt. „Es ist alles gut, Neygin“ flüstert sie und ihre Lippen bewegen sich kaum. Ich glaube ihr nicht. „Wo sind wir? Hat man uns entführt?“ Mama sieht mich einfach nur kummervoll an und ich ertrage ihren Blick nicht. Anstatt sie anzusehen, schaue ich mich um. Natürlich sind wir in einem Wald, wie ich vermutet habe. Überall um uns herum stehen Bäume, zwischen denen tiefe Schatten schwarz lauern. Der Mond scheint voll und strahlend vom Himmel. Ich starre ihn an und kann meinen Blick kaum von ihm lösen. Verwirrt sehe ich wieder meine Mutter an, die traurig lächelt und meine Hand nimmt. „Neygin ich weiß zwar nicht, wo wir sind, aber wir wurden entführt oder besser gesagt, du wurdest entführt. Ich bin freiwillig mit ihnen mitgegangen.“ „Mit wem?“ Bevor sie antworten kann, wird sie zur Seite geschoben und hinter ihr erscheint ein großgewachsener Mann. Sein Körper ist schmal, jedoch stark und geschmeidig. Sein Haar ist von der Farbe her rötlichbraun und schulterlang. Seine Gesichtszüge sind kräftig, aber nicht grob. Die Augen schimmern hellgrün, haben einen leicht sanften Ausdruck, doch dieser verschwindet sogleich, als er spöttisch lächelnd auf mich herabschaut. Seine Kleidung besteht aus einer Jacke, Hosen und Stiefeln aus braunem Leder. Er geht in die Hocke, auf ein Knie nieder und sieht mir in die Augen. „Na, endlich wach?“ spöttelt er und lächelt gespielt. Ich sehe meine Mutter an, die neben ihm kniet und sichtlich Angst vor ihm hat. Normalerweise fürchtet sie sich nicht leicht, im Gegensatz zu mir. „Wer sind Sie?“, bringe ich heraus und schlucke. Mein Hals schmerzt. „Das brauchst du nicht zu wissen“, erwidert er kühl und seine Augen blitzen. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. „Was haben Sie mit mir vor?“, frage ich weiter, obwohl mir das Herz bis in den Hals hinauf klopft. „Das wirst du noch früh genug erfahren.“
Er erhebt sich, nickt meiner Mutter zu, schenkt mir noch einen finsteren Blick und geht. Ich warte, bis er außer Hörweite ist, dann platze ich heraus: „Wer ist das? Was will er von uns?“ Meine Mutter seufzt und kommt zu mir. „Ach Liebling, ich weiß auch nicht wer das ist. Wenn ich nur wüsste, was sie von uns wollen.“ Ich schweige und schmiege mich dann an sie. Ihr Körper ist zwar nicht besonders warm, aber die Umarmung allein tröstet mich genug. Nach einer Weile lösen wir uns voneinander, da kommen plötzlich zwei Frauen auf uns zu, die eine blond, die andere braunhaarig. Beide mit grauen Augen und zarten Gesichtszügen. Ich sehe, dass sie Zwillinge sind. Sie bleiben vor uns stehen und die Blonde sagt: „Kommt mit.“ Mama steht auf, dann hilft sie mir auf die Beine, die beinahe unter mir wegknicken. Mir ist schwindelig und mein Schädel brummt, doch ich lasse mir nichts anmerken, beiße die Zähne zusammen und folge meiner Mutter und den beiden Frauen. Wir durchqueren den Wald und bleiben schließlich auf einer Lichtung stehen. Nur der Mond beleuchtet das helle grüne Gras vor uns und die Bäume. Die Rinde scheint silbern zu leuchten und ich wende den Blick schaudernd ab. Ich werfe meiner Mutter einen ärgerlichen Blick zu und sie lächelt mich aufmunternd an, doch ich runzle die Stirn und fühle mich überhaupt nicht besser. Als sie das bemerkt, tritt sie neben mich und legt mir eine federleichte Hand auf die Schulter. Die Berührung tröstet mich ein wenig. Die Zwillinge sehen sich prüfend, so scheint es mir, um und flüstern dann miteinander. Ich verstehe ihre Worte leider nicht. Ob meine Mutter weiß, was sie sagen? Gerade möchte ich sie fragen, als plötzlich Trommelschlag einsetzt, erst ein Schlag in langen Abständen, dann zwei in kürzeren. Der Rhythmus bleibt und während das dumpfe Bumm Bumm durch den Wald schallt, bewegen sich zwischen den Bäumen Schatten.
Ich klammere mich, obwohl es kindisch ist, ich weiß, an meine Mutter, die verwirrt die Gestalten beobachtet, die nun auf die Lichtung hinaustreten. Es sind ungefähr vierzig Personen; sie alle tragen lange, blutrote Umhänge. Ich muss sofort an Druiden oder Henker denken, als ich diesen Aufzug sehe. Der Trommelschlag wird immer lauter, behält jedoch das Tempo und die Schläge bei. Ich frage mich, was das alles soll und drehe mich zu den Zwillingen um, doch sie sind gar nicht mehr da. Das ist ja merkwürdig. Die Gestalten stehen reglos da, dann erhebt sich plötzlich ein schöner Gesang, einem Kirchenchor gleich und die Trommelschläge passen nicht mehr dazu. Zwei Gestalten tragen eine lange Holzstange bei sich, die sie in den Boden rammen. Der Gesang wird leiser, verstummt jedoch nicht. Ich weiß nicht, was sie da singen und ärgere mich darüber. Wieso verstand ich sie nicht? Sprachen hier etwa alle eine andere Sprache? Aber mit diesem spöttischen Mann vorhin hatte ich doch auch reden können? Wie auf ein Stichwort tritt der Kerl jetzt nach vorne. Er trägt immer noch dieselbe Kleidung, wie bei unserer ersten Begegnung. Sein Haar wirkt im Mondlicht kupferfarben. Er lächelt und sein Gesicht wird unheimlich angestrahlt. Trotzdem lasse ich den Blick nicht von ihm schweifen. Da bemerkt er mich und grinst breit. Ich frage mich abermals, was das soll. Fand hier eine Verbrennung statt, oder was? Ich weiß, Sarkasmus wird mir jetzt auch nicht weiterhelfen, aber ich muss mich irgendwie beruhigen. Was wollte dieser Kerl von mir? Mama hält mich fest an sich gedrückt, als wolle sie mich nicht mehr hergeben. Es ist vielleicht auch besser so, denn gerade treten zwei Kapuzengestalten zu uns und packen mich an den Armen. Mutter drückt mich noch fester an sich, doch die beiden zerren an mir und ich merke, wie die Arme meiner Mutter nachgeben und Panik steigt in mir hoch. Immer weiter löse ich mich von ihr und als sie mich endlich losgezerrt haben, drehen sie mich grob um und ich sehe direkt in Levahns Gesicht.
Reglos und ohne eine Miene zu verziehen steht er da und lässt dann den Blick an mir herunter- und wieder hinauf gleiten. Dann ruft er in den Wald hinein: „Bringt ihr angemessene Kleidung!“ Bevor ich auch nur kapieren kann, was damit gemeint ist, werde ich auch schon zum Waldrand gezerrt, wo zwei junge, wunderschöne Mädchen sich meiner annehmen. Sie gehen weitaus sanfter mit mir um, als ihre Vorgänger, aber auch aus ihrem Griff kann ich mich nicht befreien. Wir gehen ungefähr zwanzig Minuten durch den Wald, an der erloschenen Feuerstelle vorbei, an der ich aufgewacht bin und bleiben vor einer kleinen Blockhütte, halb verborgen hinter Farnkraut, stehen. Zwischen den Holzscheiten wächst Moos und Efeu. Es sieht etwas schäbig aus, doch aus dem Kamin steigt Rauch auf. Es sieht so gemütlicher aus. Eines der Mädchen holt einen Schlüssel hervor und schließt die Tür auf. Die andere geht zu ihr und als sie merkt, dass ich ihr nicht folge, schaut sie mich auffordernd und zugleich fragend an. Ich lächle verlegen, oder eher gequält und gehe zögernd zu den beiden. Wir betreten die Hütte. Sie riecht nach Staub und Holzspänen und es ist sehr dunkel in ihrem Innern. Ich höre, wie eines der Mädchen sich durch das Zimmer bewegt und kurz darauf brennt eine Kerze. Sie steht auf einem Holznachttischchen, daneben ist das schmale, wenig bequem aussehende Bett. Ein kleiner, runder Spiegel hängt gleich neben der Tür. Unter dem Bett bemerke ich eine große, schmucklose Truhe aus Holz, die das Mädchen, das die Tür geöffnet hat, nun unter dem Bett hervor zerrt und sie mit demselben Schlüssel öffnet, den sie bei der Tür benutzt hat.
Die andere fordert mich mit einer Geste auf, näher zu treten und mir die Sachen anzusehen. Ich knie mich unsicher hin und fasse zaghaft in den Kleiderhaufen. Als erstes ziehe ich eine schwarze Lederhose heraus, die dazugehörige Weste (diese Vampire mögen Leder wohl ganz besonders), dann hielt ich ein cremefarbenes, hauchdünnes Schultertuch mit goldenen Stickereien in der Hand, als nächstes merkwürdige, weiße Netzhandschuhe, eine weiße Bluse mit sehr langen Ärmeln, Haarnetze mit Perlen bestickt und in allen möglichen Farben und dann noch eine Kette, mit einem Ring für den Mittelfinger daran.
Fasziniert und zugleich verwirrt starre ich diese Kleidungsstücke an. Ich soll diese Sachen tragen? Wofür? „Sollen wir dir helfen, etwas auszusuchen?“, will das Mädchen neben mir wissen. Ich antworte nicht und sie interpretiert mein Schweigen als ein Ja. Mit nachdenklicher Miene und geschürzten Lippen sieht sie die Kleidungsstücke durch und legt drei mögliche Kombinationen auf den Boden: Die Lederhose, die Weste mit der weißen Bluse und der Halskette, ein zartes, fliederfarbenes Kleid, mit einem dunkellilanen Haarnetz und einem grauen Schultertuch und noch eine braune Wolltunika, die bis zu den Knien reicht, mit einem schwarzen Haarband und einem goldenen, dicken Armreif. Schuhe sehe ich keine, doch dann holt eine von meinen „Entführerinnen“ eine Schachtel aus der Schublade des Nachttischchens und streut den Inhalt auf den Boden. Für das erste Outfit sind es natürlich Lederstiefel, rötlichbraun und kniehoch (die Farbe erinnert mich an Levahns Haare.) Zu dem Kleid, graue Ballerinas und Schuhe aus Filz, die vorne Geschlossen sind und sich in Riemchen bis zum Knöchel heraufziehen, passend zum dritten Outfit. Schließlich hebt die Vampirin das Kleid hoch und lächelt mich an. Ich starre sie erschrocken an. Ich soll das tagen? Dieses Kleid? „Was... ich kann doch nicht“, stottere ich und sehe, wie die beiden sich verwunderte Blicke zuwerfen. Dann wenden sie sich wieder mir zu. „Willst du etwas anderes anziehen?“ Ich will zuerst nicken, dann überlege ich es mir doch anderes. Die beiden sind doch nett zu mir und wissen anscheinend nicht, was mich so beunruhigt. Ich sollte mich darüber freuen, dass ich diese schönen Kleider tragen darf. Ich lächle leicht und sage: „Das Kleid ist schön, danke.“ Sie lächeln zurück. „Steh auf. Wir werden dich jetzt umziehen.“
Zuerst will ich protestieren, doch dann halte ich den Mund. Sie wollen mir ja nur einen Gefallen tun. Ich strecke die Arme über den Kopf. Dann helfen sie mir, aus der Jeans zu schlüpfen, wobei ich mich auf den Kopf der einen stütze und auf einem Bein rum hüpfe, während die andere mir aus den Hosenbeinen hilft. Jetzt stehe ich nur noch in Unterhose und BH da. Ich bin mir der Blicke auf meinem Körper bewusst und starre verlegen zu Boden. Ich finde meinen Körper schrecklich und denke, dass sie ebenso denken... doch zu meiner Überraschung nicken sie nur zufrieden und streifen mir das Kleid über den Kopf. Der Stoff fühlt sich weich und luftig an. „Setz dich.“ Ich lasse mich vorsichtig auf dem Bett nieder und der Saum des Kleides bauscht sich leicht auf. „Wie heißt ihr eigentlich?“, frage ich vorsichtig, während die rothaarige eine Bürste aus dem Nachttischchen holt und die braunhaarige die Truhe und die Schachtel wegräumt. Sie sieht mich kurz an, dann wendet sie sich wieder ihrer Arbeit zu und sagt beiläufig: „Ich heiße Tiara und das ist meine Freundin Malik.“ Ich wundere mich über diese Namen. „Und du?“, will die rothaarige, also Malik wissen. „Neygin“, sage ich leise und auch sie scheinen sich über meinen Namen zu wundern. „Wie spricht man das aus?“ „Näygin“, antworte ich so deutlich wie möglich. Sie nickt und richtet das Haarnetz. Tiara bürstet mein Haar und ich muss gegen die Tränen, die mir der Schmerz bei widerspenstigen Knoten in die Augen schießen lässt, zurückdrängen. Das Netz fühlt sich leicht auf meinem Kopf an. Ich erhebe mich und schlüpfe in die Schuhe. Zum Schluss legt Malik mir noch das Schultertuch über die Schultern. „So, jetzt bist du fertig.“ Meine anderen Klamotten wirft sie auf das Bett und ich sehe sie ärgerlich an. Schnell hängt sie die Kleidung über den Bettpfosten, dann verlassen wir die Hütte.
Hawn
Es ist gerade Abend und ich schaue mit meinem Bruder einen Film. Genauer gesagt, einen Horrorfilm. Unsere Eltern sind nicht da. Mutter trifft sich mit einer Freundin und Vater hat mal wieder Spätdienst in der Klinik. Mir ist das nur recht, weil beide mich gleichermaßen nerven: Mama wegen ihrer überfürsorglichen und gleich panischen Art und Papa wegen seiner ständigen Abwesenheit von zu Hause und seiner kühlen distanzierten Art. Jetzt sind die beiden sowieso schlecht gelaunt, da wir erst vor kurzem hier in dieses kleine Dorf gezogen und mit dem Auspacken und Ausräumen noch nicht ganz fertig sind. Der Film geht gerade zu Ende und wir beide gehen in unsere Zimmer. So richtig nach Schlafen ist mir noch nicht, also setze ich mich an den Computer und spiele ein paar Denk- und Logikspiele. Ich überlege gerade, welcher Spielzug der richtige ist, als ich einen dumpfen Schlag höre. Verwundert blicke ich vom Bildschirm auf und sehe mich in meinem Zimmer um. Nichts. Alles sieht normal aus. Ist vielleicht etwas mit dem Computer nicht in Ordnung?
Gerade, als ich nachsehen will, bemerke ich am Fenster eine Gestalt. Ich kneife die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, wer das ist. Die Tatsache, dass einfach jemand vor meinem Fenster (schwebt oder hängt?) und dass, wo ich doch ein Zimmer im Obergeschoss habe, wird mir im Moment nicht bewusst. Ich wage es nicht, mich zu rühren und starre nur weiterhin auf die schwarze Gestalt. Als sie sich bewegt, zucke ich zusammen und ich traue mich kaum noch, zu atmen.
Die Gestalt rüttelt am Rahmen des Fensters. Ich frage mich was das soll. Ist das ein Einbrecher, der versucht, das Fenster aus der Wand zu reißen? Mir ist zum Lachen zu Mute, doch es vergeht mir schnell, als das Fenster mit einem ohrenbetäubenden Knarren und Krachen aus der Wand gerissen wird. Das Glas und Stücke des Rahmens regnen zu Boden. Die Gestalt springt durch die Öffnung in der Wand und zu meinem Entsetzen, klettern noch drei von ihnen in mein Zimmer hinein. Wie kann das sein? Wie kann ein Mensch ein Fenster aus der Wand herausreißen? Nach Bodybildern sehen die Gestalten auch nicht aus. Im fahlen Abendlicht kann ich nur schwarze Kapuzenmäntel erkennen, keine Gesichter. Ich sehe mich panisch nach einer Waffe um, was eigentlich Blödsinn ist, denn vor mir stehen vier große, offenbar sehr starke Fremde und da hilft eine Waffe, noch dazu aus dem Zimmer eines siebzehnjährigen, wenig. Und mir bleibt auch keine Zeit mehr, mir irgendeinen Gegenstand zu schnappen, denn eine der Personen schießt auf mich zu und dreht mir den Arm auf den Rücken. Alles geht so schnell, dass ich verdattert dastehe und nicht einmal den Versuch mache, mich zu befreien. Angespannt und wachsam stehe ich da und sehe zu, wie eine der Gestalten meinen Computerbildschirm betrachtet. Da kracht eine weiße Faust in den Rechner und es knistert und kracht, als mein Computer zu Schrott zerfällt. Ich will protestieren und die Person fragen, was das soll, doch eine eiskalte Hand legt sich auf meinen Mund. Die anderen drei stehen ruhig da. Ich spüre wie die Person hinter mir hinter meinem Rücken etwas hervorholt. Auf einmal spüre ich, wie etwas Spitzes sich in meinen Arm bohrt und meine Beine knicken unter mir weg. Eiskalte und grobe Hände packen mich an den Armen und halten mich aufrecht. Mein Arm pocht so heftig, als würde das Blut darin kochen und mir ist übel. Die Person, die mich festhält, drängt mich vorwärts und dann werde ich hochgehoben, um durch das Fenster an einen anderen von ihnen übergeben zu werden. Ich werde huckepack genommen und muss dämlich kichern. Jemand zischt etwas, was ich nicht verstehen kann und dann springen alle herunter in die Tiefe, einschließlich der Gestalt, die mich auf ihrem Rücken trägt. Ich schreie schwach auf, als das abendliche Dorf und der Himmel an mir vorbeirauschen, während der Schmerz in meinem Arm heiß explodiert und ich ohnmächtig werde.
Nejgin
Ich kann den Trommelschlag jetzt schon, aus der Ferne, hören und ich bekomme ein mulmiges Gefühl im Magen, als ich daran denke, dass alle auf mich warten und mich bestimmt anstarren werden. Meine Begleiterinnen schweigen und gehen links und rechts neben mir her. Ich frage mich, ob sie glauben, ich würde sonst weglaufen. Wir kommen der Lichtung immer näher; ich zittere vor Kälte, als eine kalte Brise durch den Wald fegt. Mein Schultertuch verrutscht und ich ziehe es ungeduldig wieder hinauf. Vor Aufregung zittern meine Knie. Jetzt kann ich schon das Fackellicht sehen. Was wurde von mir erwartet? Ich erinnere mich wieder an den Pfosten. Ich kann mir nicht vorstellen, was ich damit anfangen soll. Übelkeit steigt in mir auf. Will man mich vielleicht töten? Sie hatten mich schließlich entführt! Wir kommen auf der Lichtung an; wie erwartet wenden sich alle Köpfe zu mir hin. Ich höre Getuschel, Geflüster und sehe die Blicke, die an mir hinab gleiten. Wahrscheinlich bin ich tomatenrot im Gesicht, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt rot werden kann, denn ich habe ein sehr bleiches Gesicht.
Nervös stehe ich da und versuche, meine Mutter in der Menge ausfindig zu machen, aber ich kann sie nicht entdecken. Panik steigt in mir auf, als Malik und Tiara mich an den Armen packen und in die Mitte der Lichtung ziehen. Die Vampire machen uns Platz und bilden einen Kreis um uns herum. Das Knistern der Fackeln ist das einzige Geräusch im Wald, noch nicht einmal die Tiere machen ihre üblichen Laute. Ich wage es, vorsichtig aufzusehen und bemerke etwas in den schillernden Augen im Dunkel der Kapuzen, etwas, das mir Angst macht. Interesse, Abscheu... und Begehren. Vielleicht auch Lust. Beinahe breche ich in Tränen aus und umklammere fest Maliks Arm. Sie sieht mich fragend und verwirrt an. Ich begreife, dass die beiden sich wundern, weshalb ich mich so aufführe wie eine Braut vor der Hochzeit... Ich schrecke heftig zusammen, als plötzlich Levahn grinsend vor mir auftaucht. In seinen Augen sehe ich Bewunderung, als er mich, so wie die anderen, von oben bis unten mustert. Wahrscheinlich sind meine Augen weit aufgerissen vor Furcht, mein Gesicht ist bleich und ich zittere. Will er mich so sehen? Der Mann mir gegenüber hebt die Hand und streicht mir über die Wange. Ich beiße die Zähne zusammen und drohe wieder in Tränen auszubrechen. Ohne, dass ich es verhindern kann, schluchze ich hart auf und Levahn sieht mich überrascht an.
„Was ist denn, meine Liebe?“, fragt er verwundert und will mir abermals über die Wange streichen, doch ich trete wütend zurück, zerre an Maliks und Tiaras Armen und funkle ihn wütend an. „Fass mich nicht an“, zische ich. Normalerweise würde ich mich nie trauen, jemanden so anzufahren, doch Abscheu, Hilflosigkeit und Wut, verleihen mir Mut und Kraft. „Wo ist meine Mutter?“, will ich wissen und höre selbst, wie ängstlich ich klinge. „Keine Sorge“, sagt Levahn etwas zu gutmütig, „Sie ist in Sicherheit.“ Was geht hier vor? „Warum bin ich hier?“ Er starrt mich einfach nur an, lüstern, wie mir scheint. Ich weiche vor ihm zurück, doch Malik und Tiara halten mich weiterhin fest. Ihre Mienen sind bewegungslos, undurchschaubar. „Ich habe noch einiges mit dir vor, Nejgin.“ Ich schlucke und denke an Flucht. So unauffällig wie möglich sehe ich mich um und wäge meine Chancen ab. Ich kann zwar schnell rennen, bin aber nur ein halber Vampir und weiß nicht, wie schnell diese ganzen, ausgewachsenen Vampire sind. Du musst fliehen!, schreit es in mir. Du kannst nicht hier bleiben! Ich werfe mich mit aller Kraft herum, zerre und ziehe an den Armen, die mich festhalten. Die beiden Mädchen haben nicht mit Widerstand gerechnet und lassen plötzlich los. Ich stürme los, raffe den Saum meines Kleides hoch. Ich stolpere durch die Dunkelheit.
Mein Instinkt, ein bestimmtes Gefühl, warnt mich davor, gegen einen Baum zu laufen. Wie ich befürchtet habe, komme ich nicht weit. Zwei in Umhänge gehüllte Gestalten überholen mich und versperren mir den Weg. Die Einsicht, dass ich in der Falle sitze, trifft mich wie ein Schlag und ich wehre mich nicht, als ich zur Lichtung zurückgebracht werde. Levahn macht ein finsteres Gesicht und zischt mir, während ich auf ihn zugeführt werde, entgegen: „Du kannst nicht vor mir davonlaufen! Ich werde über dich herrschen, da kannst du dir sicher sein!“ „Niemals!“, fauche ich zurück, obwohl ich keine Ahnung habe, wovon er spricht. Der Gesang wird lauter, der Trommelschlag schneller. „Bringe sie zu der Stange!“, sagt der Vampir mir gegenüber zu Malik, die mich mit verwirrtem Gesicht ansieht, Tiara neben ihr weicht meinem Blick aus. Das Vampirmädchen tritt zu mir, nimmt beinahe zögernd meinen Arm und bringt mich langsam zu dem Holzstab, der einen langen Schatten auf den Boden wirft. Ich sehe mich unbehaglich um, sehe die Augen der Umstehenden hinter den Kapuzen funkeln. Mein Herz klopft heftig, als wolle es aus meiner Brust springen, mein Magen krampft sich zusammen. Meine Fäuste öffnen und schließen sich mechanisch.
Mir ist heiß, obwohl das Kleid doch so luftig ist und ein kühler Wind weht. Wir kommen vor dem Pfosten an. Nun bekomme ich wieder Panik. Ich sehe die Menge in einem Kreis stehen, Levahn in der Mitte. Er sieht mich streng an. Malik kehrt wieder zu ihrer Freundin zurück. Eine Gestalt löst sich aus dem Kreis der Zuschauer und stellt sich neben den Anführer, wie mir klar wird und erhebt die tiefe, aber klare Stimme: „Hier haben wir nun Nejgin, den Halbvampir.“ Alle starren mich an, ich versuche wieder meine Mutter zu finden, aber ich kann sie noch immer nicht entdecken. Ich schlucke und sehe wieder die beiden Männer an. „Nejgin Türmer, du wurdest hierher gebracht, da du etwas Besonderes bist, aber nicht im Guten Sinne.“ Der Mann hält inne und Levahn lächelt böse. Mein Atem beschleunigt sich. „Du bist nur ein halber Vampir, hast menschliches (dieses Wort spuckt er förmlich aus) „blut in dir, du bist demnach nur halb so stark, wie ein ganzer Vampir! Und das ist nicht in Ordnung!“ Gemurmel erhebt sich unter den Zuschauern. Sie wollen mich loswerden!, schießt es durch meinen Kopf und ich trete ängstlich rückwärts, bis ich gegen den Pfosten stoße. Meine schweißnassen Hände umkrallen das Holz. „Nun, wir können dir, falls du dich weigern solltest“ – das klingt ja so, als habe ich keine andere Wahl, als zuzustimmen- „können wir dir bis in alle Ewigkeit folgen, so lange, wie du leben wirst, was so lange dauern wird, wie ein normaler, gesunder Mensch braucht, um zu sterben und dich gewaltsam zu einem von uns machen, oder du änderst dich freiwillig.“ Ich öffne den Mund, schlucke und versuche, meine trockene Zunge zu befeuchten.
„Was soll ich denn dafür tun?“, bringe ich mit hoher Stimme heraus.
In meinen Ohren rauscht das Blut. Der Sprecher fährt fort: „Wir werden dir einen Menschen als Opfer bringen, erstens, um dich dessen Blut kosten zu lassen und zweitens, damit du dich so von diesen schwachen Wesen lossagen kannst.“ Ich reiße die Augen auf. Was?! Ich soll einen Menschen umbringen? „Wie lautet deine Antwort?“, will der Mann von mir wissen. Ich taumele weiter gegen den Pfosten, der mir schmerzhaft zwischen die Schulterblätter drückt.
Habe ich denn eine Wahl? Ich mag mir gar nicht vorstellen, was sie bei diesen ewigen Verfolgungen tun würden, um mich zu bekommen. Vielleicht würden sie sogar meine Mutter bedrohen und meine Familie töten! Aber ich will auch keine von ihnen sein..., obwohl, wäre das Leben nicht umso vieles besser als jetzt? Ich wäre stärker, ich hätte mehr Möglichkeiten und ich könnte... mich an meinen Mitschülern rächen. Ich könnte ihnen auflauern, sie belauschen oder in tausend Stücke zerfetzen. Der Gesang und der Trommelschlag dringen plötzlich laut zu mir herüber. Ich liebe diese Chormusik. Ihr muss ich einfach lauschen. Mein ganzes Fühlen und Denken ist von dem Gesang, den glockenhellen, schwingenden Stimmen eingenommen. Ich stehe starr da und sehe mich verzweifelt um, als könne meine Mutter jeden Moment auftauchen, doch sie ist nicht da. Ich bin alleine... ganz alleine. Ich warte, was weiter geschieht, während die Musik mich benebelt. Ich höre auf einmal leises Rascheln, das immer näher kommt, mein Herz klopft heftig und macht einen erschrockenen Satz, als aus dem Gebüsch neben mir plötzlich zwei in Kapuzenmäntel gehüllte Gestalten mit einem Menschen in ihrer Mitte auftauchen. Ich starre „mein Opfer“ entsetzt an.
Es ist ein Junge! Ein zitternder Junge! Ich schätze sein Alter auf siebzehn, also zwei Jahre älter als ich. Er trägt ein T- Shirt und ich weiß nicht, ob er vor Angst oder vor Kälte zittert. Die Jeans, die er trägt, ist schmutzig, so, als wäre er mitgezogen worden und wäre immer wieder auf die Knie gefallen. Die Turnschuhe sind mit feuchten Blättern und Erde bedeckt. Ich lasse meinen Blick hoch zu seinem Gesicht wandern. Es ist schmal, blass und die Wangenknochen sind deutlich zu sehen, was seinen hellgrünen Augen mehr Ausdruck verleiht. Sein Haar ist blond und geht ihm bis zu den Ohren und fällt ihm auch in die Stirn. Seine Nase ist klein und kurz und sieht niedlich aus. Der Mund ist nicht groß und nicht klein. Ich finde, er sieht gut aus, doch die Angst in seinen Augen lässt diese Schönheit verblassen. Er hat keine Ahnung, was hier vorgeht, schießt es mir durch den Kopf. Da bist du nicht der Einzige. Ich stelle mir vor, wie plötzlich zwei dunkle, flinke Gestalten durch das Fenster seines Zimmers klettern, sich langsam an sein Bett schleichen und ihn dann packen, um ihn mit sich zu nehmen. Ich schaudere. Der Junge sieht mich furchtsam, aber auch fragend an. Er sieht ein fünfzehnjähriges, bleiches, zitterndes Mädchen vor sich, mit vor Furcht und Angst weit aufgerissenen, dunkelblauen Augen und einem leicht geöffnetem, zitterndem Mund. Er betrachtet meine Kleidung, dann das obere Stück der Stange, das über meinen Kopf ragt und runzelt sie Stirn.
Ich wende meinerseits den Blick von ihm ab und sehe mich nach Levahn um. Ich sehe ihn noch immer dort stehen, neben dem Sprecher. Seine Miene ist ernst und er beobachtet uns nur. Was erwartet er von mir? Als habe er meine Gedanken gelesen, tritt er zu mir und achtet nicht auf den Jungen, der furchtsam vor ihm zurückweicht und lächelt mich an. „So, da ist nun dein Opfer“, flüstert er, so leise, dass „mein Opfer“ ihn nicht hören kann, ich aber wohl. „Was... was soll ich mit ihm tun?“, flüstere ich mit brüchiger Stimme und schlucke schwer. Mein Gegenüber sieht mich an, als hätte ich eine sehr dumme Frage gestellt. „Na was schon? Ihn töten! Sein Blut trinken!“ Ich werde ungeduldig und zische zurück: „Das weiß ich auch! Nur, er... hat doch Angst vor mir... wie...“ Da lacht Levahn so grausam, dass mir ein Schauder über den Rücken kriecht. Ich spüre den Stab schmerzhaft in meinem Rücken. „Nejgin, Nejgin. Du wirst ihn wohl verführen müssen...“ Er grinst und ich breche beinahe in Tränen aus. Aber ich bin doch keine... wie soll ich denn... ich habe doch gar keine Ahnung davon! „Wozu ist die Stange wohl da?“, spöttelt Levahn. Was?! Ich sollte wie eine Gogo - Tänzerin für mein Opfer tanzen? Was?! „Nein!“, bringe ich mühsam heraus. Levahn packt mich am Kinn, zerrt mich von der Stange fort und stößt meinen Kopf dann hart gegen den Stock, dass mir ganz schlecht wird und mein Schädel vibriert. Meine Knie knicken ein, doch bevor ich zu Boden sinken kann, hält mich eine Hand am Arm fest und als ich die Augen öffne, steht der Junge vor mir und sieht mich besorgt an. Mein Herz klopft heftig und das Blut pocht durch meinen Kopf und in meinen Ohren. Ich sehe ihn einfach nur an. Er hilft mir und ich bringe ihn gleich um!, denke ich träge und schüttle benommen den Kopf. Da wird mein Helfer heftig zur Seite gestoßen und der wütende Levahn taucht vor mir auf.
„Mach jetzt deine Arbeit!“, faucht er und stampft zu dem Sprecher der Gruppe zurück, der ihm einen mahnenden Seitenblick zuwirft. Ich sehe zu Boden und überlege fieberhaft. Wie soll ich dem fremden Jungen nur dazu bringen, mir zu vertrauen? Ich muss ihm seine Angst nehmen, aber wie? Bevor mein so zorniger, „zukünftiger“ Anführer noch wütender werden kann, hebe ich den Kopf und lächle den Jungen an. Er lächelt zögernd zurück. Seine Begleiter lassen ihn los und tauchen in dem Kreis der Vampire unter. Ich hole tief Luft. Es geht los. Ich lächle noch immer, frage mit leiser ruhiger, doch auch freundlicher Stimme: „Wie heißt du?“ „Hawn“, antwortet er. „Schöner Name“, erwidere ich, löse mich von der Stange und fange an, ihn zu umkreisen. Meine Augen sind fest auf sein Gesicht geheftet. Er räuspert sich. „Und wie heißt du?“ Ich bleibe kurz stehen. „Nejgin.“ Dann setze ich mich wieder in Bewegung. Mir ist plötzlich heiß und ich nehme das Schultertuch herunter. Es weht ihm Licht des anbrechenden Morgens. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie die Zeit verfliegt. „Was machst du hier?“, will Hawn wissen. Ich überlege schnell. „Keine Ahnung“, antworte ich und bleibe vor ihm stehen. Die Angst in seinem Blick ist zum größten Teil verschwunden. „Wer sind diese Leute?“ Beinahe verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke. „Ähm, ich weiß auch nicht, wer das ist...“ „Was wollte dieser Mann von dir?“ Ich sehe Wut in seinen Augen. „Ach der... der wird immer so schnell sauer.“ „Du kennst ihn?“ „Flüchtig.“
Ich merke, dass ich mein Ziel aus den Augen verliere und knete nervös den Schleier in den Händen. Da kommt mir eine Idee: Ich lasse das Tuch durch meine Hände gleiten, dann lasse ich es im Wind wehen und drehe mich, einmal, zweimal. Der Gesang wird zu einem leisen Summen im Hintergrund und ich spüre meine Adern pulsieren. Ich tänzle um Hawn herum, drehe mich ab und zu, dann springe ich einige Schritte von ihm fort, tanze dann leichtfüßig auf ihn zu, dabei schwinge ich das Tuch anmutig in der Luft. Mein Kleid bauscht sich leicht auf. Hawn sieht mich verdutzt und doch fasziniert an. Ich kann zwar nicht gut tanzen, aber bei solch einem Tanz, lasse ich mich einfach leiten. „Warum machst du das?“, will er lachend wissen und ich bleibe kurz stehen und keuche lächelnd: „Ich tanze gerne.“ Was ich als Erklärung am besten finde. Ich drehe mich wieder, der Schleier fliegt hoch in die Luft, ich springe elegant vor, um ihn zu fangen. Als er zurück in meine Hand segelt, stehe ich ganz dicht vor Hawn. Ich nehme einen leichten, schönen Geruch an ihm wahr, nach Meeresbrise und Zitrone. Er riecht gut, denke ich. Noch immer geht mein Atem keuchend und ich schwanke leicht vor Erschöpfung. Ich wage einen Blick auf den Vampirkreis und sehe Levahns bösartiges Lächeln. „Was ist?“, will Hawn wissen. „Nichts“, sage ich zerstreut und lege ihm ganz sanft den Schleier um die Schultern. Er sieht mich erstaunt an. Ich lächle leicht und trete wieder zurück. Die Stange... verführe ihn! Ich will plötzlich, dass er sich mir hingibt, mich haben will. Ich trete trotzdem zögernd auf die Stange zu. Ich weiß überhaupt nicht, was ich tun soll! Ich kann überhaupt nicht sexy sein! Aber ich muss es versuchen, sonst... ich schließe meine Hände um das glatte Holz und schwinge langsam die Hüften hin und her.
Ich kneife beschämt die Augen zusammen und meine Hände krallen sich um die Stange. Ich gleite langsam, den Körper gegen den Stab gepresst nach unten und will heulen vor Scham. Ich erhebe mich wieder, werfe den Kopf nach hinten und drehe mich dann um die Stange herum. Ich weiß, dass ich auch auf die Stange klettern muss und so, aber ich traue mich doch nicht. Hoffentlich reichen meine kläglichen Versuche aus! Ich stehe nun mit dem Rücken vor der Stange und habe die Augen noch immer geschlossen. Ich muss wohl oder übel hochklettern und dabei auch noch freihändig da rumhängen... ich schlucke wohl zum tausendsten Mal und wende mich noch einmal der Stange zu. Von dem ganzen hin und her wird mir schon schwindelig. Mit zitternden und nackten Beinen, umschlinge ich den Stab und schaudere. Meine Hände umklammern das Holz so fest, dass es knarzt. Mein linkes Bein zittert unkontrolliert, als es sich langsam, ausgestreckt, von der Stange löst und in der Luft schwebt. Ich halte vor Anstrengung die Luft an und will einfach nur, dass das alles schnell vorübergeht. So gut es geht, drehe ich mich zu Hawn um, öffne zwar die Augen, sehe aber in den rosa-rötlichen Himmel hinauf. Das Holz an meinen Oberschenkeln ist kalt und ich zittere. Was jetzt? Ich kenne eine Figur, die man noch machen kann, aber die ist schwer und da ich in Sport sowieso eine Niete bin, weiß ich nicht, ob ich es schaffen werde. Es ist bestimmt nicht erotisch, wenn ich mit dem Gesicht und kopfüber im Dreck lande. Komm schon!, denke ich. Meine beiden Beine schlingen sich wieder um das Holz und ich löse langsam meine feuchten Hände von der Stange. Vor Anstrengung zittere ich am ganzen Körper. Ich muss ja bescheuert aussehen!, denke ich und falle beinahe von dem Stock.
Meine Beine schmerzen schon jetzt; ich muss mich beeilen! Ich biege langsam, mit angehaltenem Atem und ausgestreckten Armen meinen Körper nach hinten. Mein Haar berührt beinahe den Boden. Das Kleid weht im Wind und fällt mir zum Glück nicht ins Gesicht und ich bin froh, dass ich ein Unterkleid trage. Ich höre wie allen um mich herum der Atem stockt und höre dann auf einmal Hawn etwas wie „Oh mein Gott!“ murmeln. Das Blut steigt mir in den Kopf. Ich muss hoch... da merke ich, dass ich es nicht kann! Ich bin zu schwach! Wie peinlich! Da hänge ich nun und weiß nicht... doch meine Sorge löst sich in Luft auf, als warme Hände mich sanft an den Hüften packen und meinen Oberkörper nach oben drücken, um mich dann vorsichtig von der Stange zu lösen. Ich spüre einen warmen Körper im Rücken und erschauere. Mein Kopf pocht, meine Beine schmerzen höllisch und mir ist nach Weinen zu Mute, so wie immer, seit ich hier gelandet bin. Hawn setzt mich auf dem Boden ab. Ich öffne die Augen; ich habe einfach gewusst, dass er mich von der Stange hebt, ohne ihn zu sehen. Er lächelt. „Das war schön“, flüstert er und streckt plötzlich die Hand nach mir aus! Ich starre sie verdutzt an, dann wieder „mein Opfer“. Ich denke an Levahns wütendes Gesicht und lege schnell meine Wange hinein. Es fühlt sich schön an. Hawn zuckt vor meiner kalten Haut zurück, doch dann legt er noch die andere Hand auf die andere Wange, er sieht mich ernst an und mir scheint es, als würde er mein Gesicht genau betrachten. „Du bist hübsch.“ murmelt er und als könne er es plötzlich nicht mehr aushalten, nimmt er mich in die Arme, presst mich an sich. Durch den Stoff meines Kleides spüre ich seine heiße Haut. Es durchzuckt mich heiß und ich drücke mein Gesicht an seine Brust. Ich löse mich sanft von ihm und sehe seine glasigen Augen. Er lächelt verträumt und schiebt mir eine Hand unter das Kinn. Dann zieht er mein Gesicht zu seinem und küsst mich!
Ich versteife mich zuerst, doch dann erschlafft mein Körper in seinen Armen und ich schmelze dahin. Ich schlinge ihm die Arme um den Nacken und presse mich an ihn. Er löst seine Lippen von meinen, sein Atem geht schneller. Er lächelt wieder, dann küsst er mich abermals. Ich vergrabe meine Hände in seinem Haar, nehme nur noch ihn wahr, seinen Duft, seinen Körper. Plötzlich steigt ein so gewaltiges Verlangen in mir auf, dass ich mich auf ihn stürzen will. Meine Lippen wandern an seinem Hals entlang, meine Hand packt seinen Nacken, biegt sanft seinen Kopf nach hinten, bis seine Kehle offen vor mir liegt. In diesem Moment will ich nichts sehnlicher, als ihn zu beißen. Sanft, immer wieder, zärtlich. Er sollte nicht spüren, dass ich ihm wehtun wollte. Gerade öffne ich die Lippen, als ich einen Schrei höre: „Nejgin!“ Ich werde aus meiner Trance gerissen und starre in den Kreis aus Vampiren, der sich nach der Stimme umdreht. Meine Mutter kämpft sich zwischen den Vampiren hindurch nach vorne und ruft wieder meinen Namen, entsetzt, als sie sieht, was ich vorhabe. Hawn richtet sich auf uns sieht mit glasigen Augen zu mir hoch. „Küss mich“, flüstert er, doch ich tue es nicht, denn ich weiß, dass ich mich dann nicht mehr beherrschen könnte.
Levahn knurrt verärgert und funkelt meine Mutter bestimmt wütend an. Was nun? Hawn wird so lange gebannt bleiben, bis ich... aber kann ich ihn nicht einfach küssen? Das muss doch genügen! Schnell beuge ich mich zu ihm herab und drücke ihm eilig einen Kuss auf den Mund. Er stöhnt, will noch mehr, doch dann ist der Bann gebrochen und er sieht sich verwirrt um. „Was...“ „Nicht jetzt!“, unterbreche ich ihn und zerre ihn hoch, Levahn hat sich inzwischen zu meiner Mutter durchgekämpft und packt sie so fest an den Armen, dass sie vor Schmerz aufschreit. Wut kocht in mir hoch und ich rase los, ohne nachzudenken, komme bei den beiden an, stoße meinen Widersacher zur Seite und ziehe meine Mutter von der Menge fort. Die Vampire zischen wütend und setzen sich in Bewegung, um uns aufzuhalten. Hawn eilt zu uns und zusammen fliehen wir in den Wald. „Haltet sie auf!“, schreit Levahn und die anderen folgen ihm.
Nejgin
Wir hetzen durch den Wald, doch wir haben keine Chance, unsere Verfolger abzuschütteln, denn da Hawn neben uns herläuft, müssen wir uns seinem menschlichen Tempo anpassen, was unseren Gegnern einen gehörigen Vorteil verschafft. Der Menschenjunge taumelt benommen neben uns her, wirft ab und zu Blicke über die Schulter zurück. „Hey!“. Ruft er plötzlich und bleibt stehen. „Wir haben sie abgehängt!“ Meine Mutter und ich halten ebenfalls an und lauschen angestrengt. „Sie folgen uns nicht mehr! Aber…“ „Schhh!“, unterbricht meine Mutter ihn und da höre ich plötzlich Knacken über uns. „Sie sind über uns, in den Baumkronen!“, schreit Mama und ich zerre Hwan hinter mir her, der verwirrt die Stirn runzelnd, zu den Baumwipfeln hochsieht, jedoch nichts erkennen kann. Wie denn auch? Die Vampire bewegen sich in Höchstgeschwindigkeit, sie können vom menschlichen Auge nicht erblickt werden. Verzweifelt renne ich immer weiter, Hawn wird schon sichtlich erschöpft und hält sich die Seiten. Obwohl wir unsere Kräfte nicht einsetzen, hat er doch Mühe, mit uns Schritt zu halten. Ich höre plötzlich Levahns Stimme hinter uns. „Jetzt haltet sie doch endlich auf!“ Ich stolpere, fange mich wieder und halte fest Hawns Hand umklammert. Auf einmal rieseln Blättern auf uns herab und wir, meine Mutter und ich, hören einen leisen Aufprall. Wie aus dem Nichts, so scheint Hawn es zumindest zu empfinden, taucht vor uns eine in einen roten Umhang gehüllte Gestalt auf. Ich weiche zurück, schiebe den Menschen hinter meinen Rücken.
Mutter steht vor mir, beschützt mich ebenfalls vor den Blicken des Vampires. Ihre Muskeln sind angespannt und sie beobachtet den Feind aufmerksam. Mein Atem beschleunigt sich und ich spüre Hawns hämmernden Herzschlag im Rücken. Er hat Angst, ich übrigens auch. Mein Atem geht nur noch stoßweise, doch nicht vor Erschöpfung, sondern vor Aufregung und Furcht. Ich muss etwas tun, schießt es mir durch den Kopf. Etwas tun… ich trete neben meine Mutter, lasse den Vampir, der reglos und lauernd vor uns steht, nicht aus den Augen und flüstere Mutter zu: „Bringe Hawn in Sicherheit, ich kümmere mich schon um sie.“ „Nein Nejgin, du bist zu schwach! Sie werden dich besiegen und zu einem von sich machen!“, widerspricht sie heftig. Unser Gegner zischt uns an und neben ihm erscheint plötzlich eine zweite Gestalt im roten Umhang. Hawn schreit erschrocken auf. Da springt ein weiterer Vampir auf den Waldboden. Jetzt sind wir von dreien umzingelt. Der Menschenjunge verfällt in Panik, ich spüre, wie er zurückweicht und da rennt Hawn einfach los, tiefer in den Wald hinein. „Hawn! Bleib hier!“, schreie ich. Meine Mutter setzt sich in Bewegung und folgt ihm blitzschnell. Ich sehe ihr nach, doch dann versperrt mir einer unserer Widersacher die Sicht und mir wird bewusst, wie alleine und hilflos ich doch bin. Auf was habe ich mich da nur eingelassen?, schreit es in meinem Kopf und ich zittere vor Angst. Die drei Vampire nehmen es zufrieden zur Kenntnis und alle gleichzeitig greifen sie nach mir.
Mein Kleid zerreißt und meine Beine sind bis zu den Oberschenkeln entblößt. Ich sehe wieder das Begehren in den Augen der Vampire aufblitzen und breche beinahe in Tränen aus. Bis jetzt habe ich mir die Tränen immer verkniffen, doch nun drohe ich, wirklich vor Angst zu weinen und zu wimmern. Reiß dich zusammen!, schalle ich mich und stelle mich breitbeinig hin, den Körper angespannt. Sie würden mich nie bekommen und wenn doch, dann nur tot. Ich warte darauf, dass sie angreifen und muss nur eine Sekunde warten, bis einer von Levahns Handlangern sich nach vorne stürzt und mir seine Finger in die Arme bohrt. Ich werde, trotz meines festen Standes, zu Boden gerissen. Ich spüre das Gewicht des Mannes auf mir und es kommt mir vor, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Ich zerre und ziehe an den Armen meines Gegners, aber dadurch werde ich nur erschöpfter. Ich muss meine Kräfte einsetzen, denke ich und werde nun etwas ruhiger. Ich lasse meinen Widerstand fallen, schließe die Augen und denke an nichts. Dann stelle ich mir vor, wie ich einige Meter hinter meinem Feind stehe. Der Vampirmann blinzelt verwundert, als unter seinen Händen nichts als Erde und Luft ist. Er erhebt sich und wirbelt dann zu mir herum. Wie ich es mir ausgemalt hatte, stehe ich nun einige Meter von ihm entfernt. Er knurrt wütend und will sich wieder auf mich stürzen, doch einer seiner Kollegen kommt ihm zuvor und packt mich von hinten. Ich strample mit den Beinen, doch dann entschließe ich mich dazu, noch einmal Gebrauch von meinen Fähigkeiten zu machen.
Ich fasse die Beine des Mannes ins Visier, konzentriere mich und spüre wie ein leichter Druck in meinem Kopf auftaucht. Ich lasse diesen Druck durch den Willen meiner Gedanken frei und er umschlingt unsichtbar die Beine von Levahns Handlanger und die Gliedmaßen bewegen sich ganz von alleine, nach vorne und knicken dann unter ihm weg. Bevor er zu Boden stürzt, kann ich mich aus seinem Griff befreien und stehe auch schon meinem nächsten Gegner gegenüber. Ich gehe in eine leicht gebeugte Haltung über, die Ellenbogen eng am Körper, die Finger leicht gespreizt, die Fersen fest in die Erde gegraben. Aber der Angriff kommt von ganz unerwarteter Seite: Ich sehe zwar den Schatten auf dem Boden, doch ich kann nicht mehr ausweichen und der Vampir fällt von den Baumkronen auf mich herab. Ich stürze rückwärts zu Boden, der Feind liegt auf mir und hält meine Handgelenke fest auf die Erde gedrückt. Sein Gesicht kommt meinem immer näher, hinter der Kapuze sehe ich tiefbraune Augen, mit Rillen um die Iris, was mich an Holz erinnert. Ich kann mich nicht rühren und verhindern, dass er mir immer näherkommt. Verzweifelt bäume ich mich auf, doch es ist mehr ein leichtes Hopsen und Levahns Handlanger lacht auf und seine Lippen streifen meine Wange. Ich erschauere und werde wütend. Was bilden diese lüsternen Monster sich eigentlich ein? Dass ich hier eine Puppe bin, mit der man alles machen kann was man will? Jetzt bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen ist, diesen Ausgewachsenen und dazu auch noch wütenden Vampiren alleine gegenüberzutreten. Aber Mutter muss sich um Hawn kümmern. Lass dich nicht ablenken!, schimpfe ich mich aus und schließe die Augen, um besser nachdenken zu können.
Ich muss den Schwachpunk meines Gegners herausfinden. Sie waren zwar starke Vampire, aber irgendwie musste man sie doch töten! Nur, menschliche Waffen würden nicht helfen, was also dann? Vielleicht mentale? Ich habe jedoch keine Ahnung, was ich da anwenden kann, oder was ich tun soll. Ich habe zwar zwei geistige Fähigkeiten, aber damit kann ich ja nur den Körper beeinflussen und ein wenig das Hirn… etwas muss ich ja versuchen, sonst bin ich bald eine ganze und wirklich tote Leiche. Ein hysterisches Kichern droht aus mir herauszubrechen und ich beiße die Zähen zusammen. Apropos Zähne: Die meines Feindes sind meinem Hals gefährlich nahe gekommen. Mit aller Kraft bäume ich mich auf, bewege den Kopf heftig hin und her und kann mich ein Stück weit aufrichten. Ich spüre einen brennenden Schmerz am Hals und erschrecke heftig. Hatte er mich etwa… mit aller Wut, die sich bei mir aufgestaut hat, stoße ich den Vampir von mir und springe auf. Ich berühre meinen Hals, doch die Schlagader pulsiert weiter und das Blut, das an meinen Fingern klebt, stammt von einer kleinen Schnittwunde, die von den Zähnen des Mannes herrührt. Keuchend stehe ich da, weiß nicht, was ich machen soll. Levahns Handlanger haben mich nun alle umzingelt, sie sind zu viert und ich bin ganz alleine… mir ist wieder nach heulen zu Mute. Der erste von ihnen stürzt vor, ich schließe de Augen. Tränen quellen unter den geschlossenen Augenlidern hervor und in mir schreit es: Nein! Bitte nicht! Zu meiner größten Verwunderung, findet der Angriff doch nicht statt. Verwirrt öffne ich die Augen und sehe, wie der Mann, der sich soeben noch auf mich hatte stürzen wollen, die Hände in das Gesicht gekrallt, zurücktaumelt und dann schreiend davonrennt. Seine Kollegen starren ihm verwundert nach und während sie abgelenkt sind, denke ich nach.
Hatte ich das gemacht? Aber wie? Ich hatte doch nur fruchtbare Angst gehabt und hatte mich an die Worte geklammert, die ich gedacht hatte, mit aller Inbrunst… das ist es! Ich richte den Blick auf den nächsten Gegner, der sich wieder gefasst hat und mir hasserfüllt entgegensieht. Ich sehe ihn einfach nur an, denke: Los, verschwinde du Ungetüm. Ich bringe dich um, wenn du mich nicht in Ruhe lässt. Und wie bei dem ersten auch, taumelt dieser ebenfalls zurück und schreit vor Schmerz. Ich schauere und sehe den anderen an, plötzlich ist er verschwunden und ich spüre nur einen leichten Luftzug. Ein Stoß trifft mich im Rücken, ich stürze zu Boden und meine Lippe platzt auf. Sofort richte ich mich wieder auf, da spüre ich kalten Atem am Arm und dann einen heftigen reißenden Schmerz. Wütend schreie ich auf und will meinen Arm losreißen, doch da ist ein unsichtbarer Widerstand. Wieder werde ich gebissen, an der Schulter, am Bein. Ich zapple heftig herum. Doch es nützt nichts. Immer wieder bohren sich die Zähne in meinen hilflosen, schwachen und festgenagelten Körper. Bald schon fällt mir das Atmen schwer und ich gebe meine Befreiungsversuche erschöpft auf.
Mein schönes Kleid ist zerrissen und mit Erde, Blut und Blättern bedeckt. Jetzt werde ich sterben, denke ich und wieder schreit es in mir. Nein! Meine Fähigkeiten helfen mir noch einmal und ich höre den lauten Schrei meines Feindes durch den Wald hallen. Ich atme zischend die Luft ein und aus und denke noch intensiver. Verschwinde! Ich bringe dich um! Lass mich und meine Familie in Ruhe! Krieche zu deinem verdammten Herren! Er brüllt wie am Spieß und bleibt dann wimmernd liegen. Ich komme wackelig auf die Füße und breche beinahe zusammen. Ich klammere mich an einem Ast fest. Der vierte von Levahns Gruppe ist verschwunden, wahrscheinlich har er es mit der Angst zu tun bekommen. Ich grinse schwach und setze mich schwerfällig in Bewegung. Die kleinen Wunden schmerzen und bluten ganz schön, es sind jedoch nur Kratzer und kleine Hautabschürfungen. Mein Kopf schmerzt, mein ganzer Körper schmerzt. Jetzt endlich breche ich in Tränen aus und lasse ihnen freien Lauf. Ich stolpere im Gehen, bekommen kaum noch Luft. Das Haarnetz rutscht mir vom Kopf und fällt auf die Erde. Ich sehe es benommen an. Dann gehe ich taumelnd weiter. In welche Richtung sind meine Mutter und Hawn gegangen? Ich versuche, Hawns Geruch in meine Erinnerung zurückzurufen, doch mein Hirn ist träge und es dauert ein Weilchen, bis ich mich wieder erinnere. Ich filtere die anderen Gerüche alle aus und denke nur noch ganz fest an den Menschenjungen. Mich an den Stämmen abstützend, kämpfe ich mich durch den Wald und der Morgen ist schon weit fortgeschritten. Ich kann etwas zu essen vertragen. Es gelingt mir, ein Kaninchen zu erwischen und ich sauge es gierig aus. Normalerweise jage ich nur kleine Tiere, doch jetzt ist es mir eben in die Fänge geraten und einmal etwas größeres, vor allem in meinem Zustand, war doch mal erlaubt, oder? Durch das frische Blut, läuft mein Verstand wieder ganz normal und da wird mir erst bewusst, was für eine leichte Beute ich doch sein muss. Ich muss hier ganz schnell weg!
Ich renne einfach los, meine Beine bewegen sich so schnell, dass es mir vorkommt, als würde ich fliegen. Der Wind in meinem zerkratzen Gesicht tut mir gut, mein Herz schlägt lebhaft in meiner Brust. Ich lache befreit und mache einige Sprünge wie beim Ballet. Da nehme ich Hawns Geruch auf und folge ihm in Lichtgeschwindigkeit. Die Tränen kommen wieder, doch ich lächle dabei. Hawn ist in Sicherheit, Mutter auch. Ich komme plötzlich in dem verlassenen Dorf an, das ich entdeckt hatte. Sie sind hier. Der Menschenjunge und meine Mutter sind hier… Ich nähere mich mit schlurfenden Schritten einem der Häuser. Und tatsächlich: Die beiden sitzen da, in der Ruine und sitzen auf dem Boden. Ich fange zu Lachen an und sie drehen sich erschrocken zu mir um. Ich trete durch den Eingang, lache noch immer wie wahnsinnig, da verschlucke ich mich, huste heftig und meine schwachen Beine knicken unter mir weg. Mama ist blitzschnell bei mir und fängt mich auf. Ich ringe nach Luft und sehe ihr dann unter schweren Lidern ins Gesicht.
„Was ist mir dir passiert? Mein Gott…“ Hawn taucht neben ihr auf und ich sehe Entsetzen in seinem Gesicht. „Nicht so schlimm“, murmle ich schnell, löse mich aus Mutters Umarmung und stehe schwankend da. „Was ist mit diesen…Monstern? Wo sind sie?“, will sie erschrocken und aufgeregt wissen. Sie sieht sich um, als würden sie hier jeden Moment auftauchen. „Sie sind mir auf den Fersen!“, antworte ich. Sie wird so bleich wie Schnee und fasst sich an die Brust, als würde ihr Herz gleich stehenbleiben. Hawn jammert vor sich hin und rauft sich die Haare. Da breche ich in lautes Gekicher aus und halte mir den Bauch. Die beiden starren mich entgeistert an. Nachdem ich mich beruhigt habe, sinke ich mit einem Seufzer zu Boden. Stöhnend lege ich mir einen Arm über die Augen. „Nejgin! Was erschreckst du uns so!“, schimpft Mama und sieht mich tadelnd an. Ich zucke nur müde mit den Schultern und murmle etwas vor mich hin. „Ist sie jetzt wahnsinnig geworden?“, flüstert Hawn. Da schlägt meine heitere Stimmung sofort um und ich heule los. Ich weine mich in den Schlaf, während meine Mutter und der Menschenjunge mich ansehen, als wäre ich tatsächlich verrückt.
Nejgin
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, aber als ich aufwache, ist es später Abend und es ist kalt. Ich wage es nicht, mich zu rühren, da ich den Schmerz fürchte. Auch wenn ich mich nicht bewege, brennen und stechen die Wunden an meinem Körper höllisch. Ich verziehe das Gesicht und öffne die Augen. In der Dunkelheit kann ich noch immer die Umrisse der Ruine sehen, die gezackten Wände und den Schutt auf dem Boden. Es riecht nach Staub, Mörtel und altem Holz. Ich stemme mich hoch und verbeiße mir ein Stöhnen. Mit zusammengebissenen Zähnen sitze ich da und warte darauf, dass mein Kopf aufhört wie wild zu hämmern. Ich lausche und höre dann ein sehr leises Rascheln und spüre dann eine kalte Hand am Arm. Mutter. Die Berührung tut gut und kühlt vor allem die Wunden. „Nejgin? Bist du wach?“, flüstert sie. Ich kann nicht sprechen. Mein Hals schmerzt und ist sehr trocken. Sie wartet meine Antwort nicht ab. „Ich werde jetzt jagen gehen. Was soll ich dir mitbringen?“ Ich schüttle den Kopf; ich weiß, dass sie mich genau sehen kann. Ich kann ihr Stirnrunzeln beinahe spüren. „Bist du sicher? Vergiss nicht, Hawn ist hier...“ Die Bedeutung dieser Worte ist mir nicht ganz klar. Meint sie damit, dass wir nicht jagen gehen können, weil der Menschenjunge da ist, oder, dass ich mich beherrschen soll...? Sie verschwindet lautlos. Wo ist Hawn?, frage ich mich. Dabei bin ich mir gar nicht sicher, ob ich ihn jetzt wirklich in dieser Verfassung und nach diesem ganzen Theater sehen möchte. Doch dann nehme ich seinen Geruch wahr und meine Antwort ist eindeutig. Seine Schritte sind leise und vorsichtig auf dem Boden, ich rieche den Staub, der vom Boden aufgewirbelt wird. Ich höre sein Herz kräftig, aber auch schnell schlagen. Ich wage es nicht, mich zu rühren, aus Angst, ihn zu erschrecken.
Da glimmt plötzlich eine kleine Flamme von einer Kerze auf, im Schatten sehe ich Hawn deutlicher und er geht vor mir in die Hocke. Sein Gesicht ist schmutzig und blass, seine Augen glänzen im Licht der Flamme. Wir sehen uns schweigend an und dann wandert sein Blick über meine blutigen Arme, die nur noch von Ärmelfetzen bedeckt sind, über meinen Körper, bis zu meinen Füßen, mit den schmutzigen Schuhen. Ich muss wieder an die Blicke der Vampire denken, doch außer einem leichten Unbehagen, spüre ich nichts. Doch, ich fühle etwas. Ruhe, Verlangen und... Durst. „Du... du bist verletzt“, murmelt er und räuspert sich. Ich wende den Blick nicht von seinem Gesicht ab und antworte nicht. „Werden... werden diese Vampire... uns für immer folgen?“ Diese Frage bringt mich wieder in die Wirklichkeit zurück und ich blinzle verwirrt. „Das ist nichts, wirklich.“ Mein Atem beschleunigt sich und mein Kopf schmerzt. „Bist du ganz sicher?“ Seine Hand wandert zu meinem bloßliegenden Bein und sein Finger fährt an meiner schneeweißen Haut entlang. Ich sehe diese Hand an, die beinahe so bleich ist wie meine, so zart aussieht, für mich jedenfalls. Diese Hand wandert immer höher, bis zu meinem Nacken und bleibt dort liegen. Ich schließe die Augen, um mich zu beherrschen.
Atme ruhig, du kannst dich zusammenreißen. „Hast du noch Schmerzen?“, fragt der Menschenjunge mich flüsternd und spielt mit meinem Haar. Ich öffne die Augen wieder. „Nicht in diesem Moment...“ Es fällt mir immer schwerer, die Kontrolle nicht zu verlieren, doch vor wenigen Stunden, war er mir so nahe gewesen, ich war so kurz davor gewesen ihn zu beißen... Ich sehe in seinen Augen, dass er mir verfallen ist, was ja auch nicht verwunderlich ist, so, wie ich ihn gestern... bezirzt hatte. Er war als mein Opfer ausgewählt und einfach verschleppt worden, ich hätte ihn töten sollen, doch ich hatte es nicht getan und nun saß dieser Junge hier, noch immer bezaubert von mir, noch immer willig. Dabei könnte ich ihm nie etwas antun, aber jetzt stehe ich kurz davor, mich meiner Gier hinzugeben. Meine Gedanken werden unterbrochen, als er mit dem Gesicht näher an meines herankommt und mir tief in die Augen schaut. Unsere Lippen finden sich und es durchzuckt mich. Ich schlinge ihm die Arme um den Hals und er legt seine Hände auf meinen Rücken. Wir rühren uns nicht, pressen nur die Lippen aufeinander und spüren unsere Herzen rasend schnell schlagen. Seine Finger fahren durch mein Haar und meine streicheln seine Wange.
Wir lösen uns voneinander, schöpfen Atem und küssen uns noch einmal, heftig und verlangend. Doch dann höre ich ein sehr leises Geräusch, das Hawn aber nicht hören kann. Ich reiße mich aus seinen Armen los, aber meine Mutter steht bereits in der Tür, hält zwei tote Kaninchen in den Händen und starrt uns an. Die Kerze flackert noch unruhiger, so scheint es mir, als würde gleich etwas unheilvolles Geschehen. Erst jetzt bemerkt Hawn sie und seine Lippen, die meinen Hals soeben noch hinunter gewandert sind, halten inne und dann sieht er erschrocken auf. „Mama...“ Ich bringe kein weiteres Wort heraus und habe Mühe, meinen raschen Atem unter Kontrolle zu bringen. Sie lässt die Kaninchen auf den Boden fallen, sie kommen mit einem schmierigen Platschen auf und Blut breitet sich langsam auf dem Boden aus. Hawn wird bleicher, ich kann zusehen, wie das Blut aus seinem Gesicht weicht und dann klappen seine Augen zu und er kippt nach hinten um. Entsetzt starre ich ihn an. Da flüstert Mutter: „Was hast du getan?“ „Ich... ich habe nichts gemacht! Du warst das... du hast doch die Tiere hereingeschleppt!“ „Das meine ich nicht!“, fährt sie auf. Ohne sich zu bewegen, steht sie neben mir und sieht mir wütend, aber auch mitleidig ins Gesicht. „Nejgin, so geht das nicht! Merkst du denn nicht, was du da anrichtest?“ Verwirrt runzle ich die Stirn. Ich weiß nicht, was sie meint. „Sieh dir an, was du mit diesem Jungen machst!“, schreit Mama mich auf einmal an und packt mich bei den Schultern. Meine Wunden schmerzen und ich stöhne auf. Sie lockert ihren Griff nur ein wenig und ich sehe ihr an, dass sie sich beherrschen muss, damit sie mich nicht wild schüttelt. „So geht das nicht! Er ist dir noch immer zu Willen und das geht nicht! Wir haben ihn gerade aus Levahns Fängen befreit und du bringst ihn in Gefahr!“ „Ich kann mich beherrschen!“, verteidige ich mich heftig, obwohl ich selbst an meiner Disziplin zweifle, erst recht, nachdem ich gerade von ihr erwischt worden war.
„Ich... ich habe ihn nur geküsst...“ „Aber du hättest ihn verletzen können! Verstehst du das denn nicht?“ Ich schweige und sehe den am Bode liegenden Jungen an. Ja, ich verletze ihn, ja ich bin schlecht für ihn. „Es.. es tut mir leid.“ Ich ärgere mich über mein ständiges Zögern und Stottern. Als hätte ich ein Verbrechen begangen, so fühle ich mich jetzt. „Wir müssen ihn nach Hause bringen“, sagt Mama müde und setzt sich neben mich in den Schneidersitz. Ihre schlanken Finger fahren durch mein Haar, genauso wie seine. „Schatz, wir müssen ihn zurück zu seinen Eltern schicken und ihn vergessen lassen was geschehen ist.“ Ich höre ihre Worte, fühle mich dumpf und seltsam und hilflos. Das heißt, dass Hawn mich vergessen wird, aber das ist wohl das Beste, denn ich bringe nur Ärger. Was bilde ich mir eigentlich ein? Wer kann schon einem Vampir widerstehen? Gut, ich bin kein ganzer, aber auch nicht so hässlich, dass ein Junge mich nicht mögen kann. Ich schlucke und nicke nur, mit schmerzendem und leerem Kopf. Mutter erhebt sich, kniet sich neben den Menschen und beugt sich tief zu ihm herab. Ich sehe weg, als ihre Lippen seine berühren, nur ganz leicht. Sein Körper zuckt kurz, dann liegt er wieder regungslos da. „Jetzt bringen wir ihn nach Hause und wenn er aufwacht, wird er sich an nichts erinnern.“
Ihr Blick trifft mich und ich begreife, dass ich es tun muss. Mit schweren, pochenden Gliedern trete ich zu ihr, hebe mit einiger Mühe den schlaffen Körper hoch und renne dann so schnell ich kann aus der Ruine, in den Abend hinaus. Dieses Mal spüre ich keine Euphorie, keine Leichtigkeit, kein Schwebegefühl. Nur Trauer und Angst. Nach einer Minute bin ich in der Menschenwelt, haste durch den Wald neben der Schule, achte nicht auf die Schemen der Menschen, an denen ich vorbeirase. Mitten auf der Straße halte ich an und komme dann zur Besinnung, als mich beinahe ein Auto anfährt. Ich komme mir noch verletzlicher vor. Mir ist kalt, obwohl wir den Monat Mai haben und es warm ist. Vor lauter Verzweiflung weiß ich nicht, was ich machen soll. Hilflos sehe ich mich um, bemerke da die Menschen, die mich anstarren und da wird mir erst bewusst, wie dumm ich mich verhalte. Jetzt kann mich jeder wunderbar sehen, ein Mädchen mit zerrissenem, schmutzigem Kleid, das einen bewusstlosen Jungen auf den Armen trägt.
Ich renne wieder los und die Menschen können mich nicht mehr länger sehen. Aber dann muss ich wieder anhalten, denn ich weiß noch nicht einmal, wo er wohnt. Ich überlege, zu meiner Mutter zurückzukehren, fürchte dann aber, einen Vorwurf von ihr zu bekommen und eile einfach weiter. In meinem Kopf pocht es und das Blut rauscht schnell hindurch und ich ziehe in Erwägung… nein, ich kenne ja noch nicht einmal seinen Namen, also kann ich auch nicht bei ihm zu Hause anrufen und ihn von seinen Eltern abholen zu lassen. Und außerdem, wohnt er vielleicht gar nicht hier im Dorf, sondern in der Stadt oder auf dem Land… Ach, es ist zum verzweifeln! Mir kommt nur eine mögliche Lösung in den Sinn: Das Krankenhaus. Aber im Dorf gibt es natürlich keines, also muss ich wohl oder übel mit dem Bus fahren. Doch wie soll ich Hawn weiterhin tragen, ohne von den Menschen gesehen zu werden? Oft ist es ganz schön schwierig, sein wahres Wesen geheim zu halten. Mein halbes Vampirdasein hat mich in diese vertrackte Situation hineingeritten und es kann mir nicht heraushelfen. Ich beiße die Zähne zusammen und denke fieberhaft nach. Ich muss ihn verstecken, vielleicht unter einem Tuch… Ich habe jedoch keines bei mir, kann aber womöglich irgendwo eine Decke besorgen, oder, noch besser, den Krankenwagen rufen. So würden auch gleich seine Eltern informiert werden und ich könnte dann unbemerkt verschwinden… ich nehme mein Handy, wähle die Notrufnummer und als sich in der Leitung eine Frauenstimme meldet, gebe ich meine Personalien, meinen jetzigen Standort und den ganzen Rest an. Dann warte ich mit klopfendem Herzen und schaue wie wild um mich. Mir darf einfach kein Mensch begegnen. Ich wünsche mir, ich hätte die Fähigkeit, mein wahres Aussehen zu verbergen, aber das konnte ich nur auf materielle Weise tun, also wenn ich die Haare färben, eine andere Frisur und andere Kleidung tragen würde.
Auch wenn mir mein Leben als halber Vampir oft zu schaffen macht und schwerfällt, wünsche ich mir doch manchmal, so wie jetzt, mehr und bessere Fähigkeiten. Aber andererseits muss ich dazu ein ganzer Untoter werden und das will ich nicht, denn dann müsste ich Menschenblut oder das Blut von großen Tieren, wie Elchen oder Kühen trinken. Da bleibe ich doch lieber schwächlich, als dass ich blutrünstig werde… während ich meinen Gedanken nachhänge, halte ich Hawn auf meinem Schoß. Ich sitze etwas weiter von der Bushaltestelle entfernt, zu der ich in meiner Verzweiflung vorhin gerannt bin, hinter einem Gebüsch, damit mich auch ja keiner sieht. Ich lausche und höre aus der Ferne die Sirene des Krankenwagens. Ein wenig Zeit wird er wohl noch brauchen, bis er hier ankommt. Ich blicke versonnen auf den bewusstlosen Menschenjungen herab. Ich lasse meinen Blick über sein schmutziges Gesicht und die zerrissene Kleidung schweifen. Ich muss mir für die Sanitäter und Ärzte und vor allem für seine Eltern eine glaubwürdige Geschichte ausdenken, aber im Lügen bin ich nicht gut, ich bekomme immer gleich ein schlechtes Gewissen und kann dem Blick, mit dem ich dann gemustert werde, so prüfend und wachsam, nicht standhalten.
Seufzend sehe ich die Hauptstraße entlang und warte auf den Krankenwagen. Hawn muss einen ziemlichen Schock erlitten haben, wenn er ohnmächtig wird und bis jetzt noch immer nicht aufgewacht ist. Na das ist ja auch kein Wunder, bei all dem, was er durchmachen musste. Seine Eltern machen sich bestimmt schreckliche Sorgen… wie soll ich ihnen überhaupt erklären, wieso ihr Sohn sich in diesem Zustand befindet? Und da sehe ich an mir selbst herunter und ich muss eine wirklich glaubhafte Ausrede aus dem Ärmel schütteln. Ich kann den Schmutz und die verdreckte Kleidung vielleicht mit einem Dornengestrüpp im Wald oder einem Hang erklären, dann wäre das mit der Bewusstlosigkeit und meinen vielen kleinen Wunden geklärt. Aber was sollte Hawn denn im Wald gesucht haben? Und weshalb war ich denn gerade zufällig in der Nähe und konnte ihm helfen? Würde das seine Eltern nicht wundern? Aber sie würden das eher glauben, als wenn ich ihnen erzählen würde, ihr Sohn sei von Vampiren entführt und als mein Opfer auserkoren worden… das klang ja beinahe so blöd wie „Aliens haben ihren Sohn entführt, um Experimente mit ihm durchzuführen“ Ha, ha! Ich ziehe eine Grimasse und da dringt das Heulen der Sirene durch den Verkehrslärm hindurch und ich trete vorsichtig, Hawn auf den Armen, aus dem Gebüsch heraus. Ich warte, bis die Sanitäter austeigen und eine Trage herausschieben, dann übergebe ich ihnen den Jungen vorsichtig. Eine junge Frau tritt zu mir und schüttelt mir die Hand. „Guten Tag, ich bin Frau Kremer, du hast vorhin am Telefon mit mir gesprochen“, stellt sie sich vor und ich nicke. „Wie ist denn das passiert?“ Und da sprudelt die Geschichte nur so heraus und ich bin erleichtert, als Frau Kremer nur nickt und mir die Geschichte abkauft. Dies ist einem Punkt zu verdanken, nämlich dem, dass sie an meinen hastigen Worten und wilden Gesten merkt, wie zerstreut und schockiert ich bin und sie glaubt, ich sei eine aufgewühlte Retterin.
„Weißt du, wer oder wo seine Eltern sind?“, erkundigt die Sanitäterin sich. Ich schüttele den Kopf. „Ich kenne nicht einmal seinen Nachnamen“, gebe ich kleinlaut zu. „Und wie ist sein Vorname?“ „Hawn.“ Sie nickt und wendet sich dann wieder der Trage zu, die gerade in den Wagen geschoben wird. Frau Kremer dreht sich noch einmal zu mir herum und sagt: „Gut gemacht, Nejgin. Du hast genau richtig reagiert. Und der Junge kommt wieder in Ordnung. Wir werden uns jetzt einmal bei der Polizei erkundigen, ob ein Junge in seinem Alter und auf seine Beschreibung hin vermisst wird, dann wissen wir, wer seine Eltern sind.“ Ich nicke wieder nur. Warum bin ich nicht auf diese Idee gekommen? Hier im Dorf gibt es jedoch keine Polizeiwache und ich hätte dann wieder mit dem Bus fahren müssen, wo mich alle mit Hawn hätten sehen können… ich schüttle diese Gedanken ab und sehe zu, wie sich die Türen des Krankenwagens schließen, die Sirene geht an und der Wagen fährt davon und ich starre ihm hinterher.
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2012
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