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Kapitel 1
Mama

“Jetzt bin ich allein“. Einsam. Verlassen.
Wie soll ich ohne deinen sanften Blick, deine liebevollen Berührungen, deine sanften Worte, deinen Zuspruch, deine warmen Augen, ohne deine Fürsorge, dein Verständnis weiter machen? Wo bist du jetzt? Ich bin so leer, Mama. In meinem Körper ist nur Schmerz und Verzweiflung. Tränen reichten nicht aus, um den Schmerz erträglicher zu machen.
Mama, lass mich nicht allein! Bitte , bitte …!”

Kate stand vor dem Grab ihrer Mutter. Ihr Körper war steif und schmerzte sie. Das war zumindest das einzige was Kate gerade wahrnehmen konnte. Ihr Blick war starr auf den Sarg gerichtet, der mit Rosen und Lilien geschmückt war. Das waren schon immer die Lieblingsblumen ihrer Mutter gewesen. Oft hatte Mary Blumen gekauft, um das Haus in dem sie wohnten zu schmücken. Und Kate hatte das Aroma von Blumen im Haus immer geliebt. Es gehörte zu ihrer Mutter, wie das lachen in ihrem Gesicht.
Kates ausdrucksloses Gesicht war versteinert, blass, genau so fühlte sich auch ihr Körper an. Die Traurigkeit in ihr war so mächtig, das sie nicht anders konnte. Weinen? Kate hatte keine Flüssigkeit mehr, die sie durch ihre Augen raus lassen konnte. Zuviel hatte sie schon in den letzten Nächten vor der Beerdigung aus sich entrinnen lassen.
Viele bekannte Gesichter standen um das Begräbnis und auch einige, die Kate nicht kannte, zumindest nicht persönlich. Alle trugen sie schwarz, waren in Trauer.
Den Geistlichen, der für Mary Brown die Gebete sprach, konnte Kate nur durch Watte hören. Zu tief war das Gefühl von Taubheit.
Eine warme Hand, die ihr vertraut war, schlossen sich um Kates Finger. Leicht wurde ihre Hand gedrückt, auch das konnte Kate kaum spüren. Sie wusste, dass es ihr Trost zusprechen sollte. Trost, den sie nicht spürte und aber nicht fühlen konnte. Diese Wunde würde an Kate immer bluten und schmerzen.
Langsam senkte sich der Sarg und Kate wachte kurz aus ihrem Schmerz auf. Ihre rechte Hand erhob sich langsam. Zwischen ihren Fingern glitt langsam eine einzelne Rose. Es war das letzte was Kate ihrer Mutter geben konnte. Ihr Mund öffnete sich und sie atmete nur so leicht ein, dass die inneren Schreie stumm blieben.
Angst keimte auf, die eine leichte Panik hervorbrachte. Sie spürte kaum ihre Beine. Und bemerkte auch nicht, wie sie langsam in sich hinein brach. Ein kurzer Moment von Schwäche überkam sie. Ihr Blick wankte und ihr Puls verlangsamte sich. Sie fühlte, wie die Kraft sie verließ und sie sich nicht länger auf den Beinen halten konnte. Sie wartete schon auf den harten Boden, auf dem sie gleich fallen würde. Doch das passierte nicht.
Schnell wurde sie gestützt. Kräftige Arme umschlossen ihre Taille und hielten sie. Diese Arme halfen Kate, dass sie sich wieder fangen konnte. Es war ein kurzer Moment von Schwäche, doch jetzt waren ihre Augen wieder klar.
“Alles O.K.?” fragte eine ihr vertraute Stimme, rechts neben ihr. Doch Kate konnte weder aufsehen, noch antworten. Stumm versuchte sie zu nicken und sich darauf zu konzentrieren, dass sie im gleichen Rhythmus atmete. Sie zwang sich stehen zu bleiben.
Langsam funktionierte es. Sonst veränderte sich nichts. Die starken Arme blieben an ihrer Taille, verließen sie nicht. Sie hielten sie weiter und verhinderten, dass schlimmste.

Der Schmerz und die innere Leere, die ihre Mutter hinterlassen hatte, spürte Kate auch 2 Tage später noch. Tante Pat versuchte alles, damit sie nicht all zu lange alleine war. Sie hatte es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, sich um Kate zu kümmern, seit ihre Mutter im sterben lag.
Sie kümmerte sich rührend um Kate und versuchte ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Doch die Wunde und der Schmerz war einfach noch zu frisch. Pat litt selbst unter den Verlust, ihrer besten Freundin.
Tante Pat war im gleichen Alter wie ihre Mutter. Sie waren schon seit vielen Jahren die besten Freundinnen gewesen. Sie waren wie Schwestern. Verbrachten in ihrer Jungend viel Zeit miteinander, teilten alle Träume und fast alle Gedanken. Es gab nichts was sie damals trennte.
Bis Pat eines Tages Phil kennenlernte und ihn heiratete.
Als Phil und Pat nach Pleasentview Minnesota zogen, war Mary anfangs etwas einsam gewesen. Sie vermisste sie sehr.
Pat hatte sich ihren Lebenstraum erfüllt und in dem kleinen Ort einen Blumenladen aufgemacht. Das war Pats großer Traum gewesen. Sie hatte sich immer gewünscht, dass Mary auch nach Pleasentview zog, damit sie bei ihr sein konnte. Aber Mary war mit Portland verbunden, hatte dort ihre Wurzeln und konnte es nicht verlassen.
Aber auch Mary blieb nicht lange allein. Sie lernte Kates Vater Frank kennen und bald heirateten sie. Pat wurde Mutter zweier Jungen. Peter und Jeff. Jeff war nur ein Jahr älter als Kate. Peter, der schon sechs Jahre alt war, war irgendwie der große Bruder von Kate. Zumindest sah sie es schon immer so.
Sie waren glücklich und Mary konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Glück so schnell ein Ende finden würde, als Frank sie verließ.
Kate war zwei Jahre alt, als es passierte. Er war einfach so aus ihrem Leben gegangen, ohne das Mary wusste warum. Kate war noch zu jung um zu verstehen, was ihre Mutter zu dieser Zeit durchmachte. Doch schon damals hatte Kate die Traurigkeit und die Verzweiflung in den Augen ihrer Mutter lesen können. Auch wenn sie nicht genau verstand warum. Kate wusste nur, das ihre Mutter nie darüber hinweg kam, das sie verlassen wurden.
Die Zeit verging und als Kate älter wurde. Sie kamen ganz gut zurecht. Kate wuchs trotz fehlendem Vater glücklich auf. In den Schulferien besuchten sie oft Tante Pat, und ihre geliebten „große Brüder“. Pat und Phil taten alles, damit Mary und Kate sich wohl fühlten, wenn sie sie besuchten. Vielleicht würden sie sich eines Tages doch noch dafür entscheiden nach Pleasentview zu ziehen.
Kate hatte die Zeit, die sie in Pleasentview verbrachte immer genossen.
Wenn Kate in den Ferien bei ihnen war, spielte sie immer mit den beiden Jungs. Sie waren sich schon immer sehr vertraut. Manchmal kam es zu kleinere Zankereien, wenn andere Nachbarkinder mit spielten. Sie konnten den Zusammenhalt zwischen Kate, Jeff und Peter oft nicht verstehen. Vor allem Jeff beschütze Kate. Er war ihr bester Freund. Er verstand sie und sie konnte schon immer mit ihm über alles sprechen. Sie hatte auch keine Geheimnisse vor ihm. Sie waren einfach Freunde,
nichts mussten sie sich beweisen, oder sich rechtfertigen. Sie verstanden sich einfach.
Bei ihm konnte Kate einfach sie selbst sein. Das war schon immer so.

“Du musst etwas essen, Schatz.” sagte Pat sorgenvoll. Kate stand im Türrahmen und beobachtete wie Phil, Jeff und Peter sich Kaffee von Pat einschenken ließ. Sie stellte die Kanne auf den gedeckten Tisch und ging zu Kate. Sie nahm Kates Hände in die ihren. Sie versuchte die Kühle die Kates Finger umgaben warm zu reiben.
“Bitte Kate!” sagte Pat nochmals nachdrücklich und sah sie liebevoll dabei an.
Natürlich war es Kate nicht entgangen, das sie gerade das Gesprächsthema war, bevor sie an der Türschwelle stehen blieb. Nun waren sie still und sahen alle besorgt zu ihr herüber.
“Mir geht es gut, Tante Pat, aber wenn es dich beruhigt, werde ich eine Schale Müsli essen.”
Es war leicht Pat ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern. Das wusste Kate.
“Und übrigens, ihr braucht nicht so zu tun, als wäre ich nicht da.” sagte sie leicht beleidigt.
Jeff, der mit am Tisch saß rutschte ein Stück von der Bank, und deutete den Platz neben ihm, damit Kate sich setzten konnte. Alle Augen waren auf Kate gerichtet. Sie setzte sich neben Jeff und starrte in die noch leere Schale.
“Tut uns leid, Kate” sagte Phil, aber du weißt, dass wir heute wieder nach Pleasentview zurück müssen und wir machen uns Gedanken, wie es jetzt weiter gehen soll.” Phils väterliche Blick ruhte nun auf Kate.
“Ich weiß es auch nicht. Ich werde mir wohl einen Job suchen.” sagte Kate zögernd und starrte immer noch auf die Schale. Pat setzte sich auf den freien Stuhl neben Kate.
“Deswegen haben wir dir einen Vorschlag zu machen” begann sie vorsichtig. Kate war neugierig geworden und sah jetzt fragend Pat an.
“Wie wäre es, … wenn du … zu uns ziehst? Du wärst nicht allein und du hättest deine Familie bei dir. Du weißt wir haben genügend Platz.”
Kate schüttelte den Kopf und blickte nun wieder verloren in die Schüssel. Nein, ich kann Mama nicht verlassen, das Haus, meine Kindheit, mein Leben, dachte sie, sprach es aber nicht laut aus.
“Nein, macht euch keine Sorgen um mich, ich werde schon klar kommen. Das ist sehr lieb von euch.” fügte sie noch schnell hinterher.
Peter rührte den Zucker in seinem Kaffee um.
”Überleg mal Kate, du kannst dir auch eine Arbeit in Pleasentview suchen, wärst bei Jeff und mir. Es würde dir sicher helfen.” meinte Peter fürsorglich.
Doch für Kate kam das erst einmal nicht in Frage. Das würde bedeuten, das sie das Haus verkaufen und sich von allem verabschieden müsste. Nein, sie würde hier bleiben.
“Ich weiß nicht”, sagte Kate und schüttete sich nun Müsli in ihre Schale.
“Also wir sind uns alle einig. Wir denken es wäre das beste für dich.” sagte Pat.
“Sie wird erst darüber nachdenken müssen, gebt ihr ein wenig Zeit.” mischte sich Jeff plötzlich ein. Dankbar, dass Jeff ihr nun einen gewissen Zeitblock verschafft hatte, sah sie ihn leicht lächelnd an. Er wusste, dass sie so eine Entscheidung nicht sofort treffen konnte. Kate brauchte Zeit. Sie musste heraus finden was sie wollte. Natürlich hatte Jeff recht. Es war noch zu früh solche, Entscheidungen zu fällen.
“Du hast natürlich recht Jeff,“ sagte Pat und strich Kate liebevoll über den Kopf.
“Versprich uns, dass du darüber nachdenken wirst!” verlangte Pat und Kate wusste sie hätte keine andere Wahl. Sie musste ihrer Tante es versprechen, sonst würde Pat keine Ruhe geben. Langsam nickte Kate.
“Ich verspreche es.” Schweigend frühstückten sie weiter. Kate aß ihr Müsli und half später ihrer Tante die Küche aufzuräumen. Dann ging sie ins Badezimmer und ließ sich ein Bad ein. Das würde ihr helfen die Verspannungen in ihrem Körper zu lösen. Pat, Phil und die beiden Söhne unterhielten sich leise. Das konnte Kate hören. Natürlich ging es wieder um sie. Alle waren sich einig, dass es für sie das Beste wäre, wenn sie nach Pleasentview ging. Sie machten sich sorgen, weil Kate nun alleine war. Klar hatte Kate noch Freunde hier, aber Kate gehörte zur Familie und sollte nicht allein hier zurück bleiben.
Sie versuchte die Stimmen und das herrschende Thema aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie schloss die Badezimmertür, zog sich aus und stieg vorsichtig in die Wanne. Ein wohliger Schauer umfasste ihren Körper und sofort begann sie sich zu entspannen. Sie schloss die Augen und sah das Gesicht ihrer Mutter vor sich. Sofort versuchte Kate nicht daran zu denken. Aber es gelang ihr nicht. Natürlich konnte sie keine Pläne machen. Zu frisch war noch ihr verwundetes Herz.
Immer wieder sah sie Bilder der letzten Wochen und Monate vor sich.
Als ihre Mutter krank wurde, beschloss Kate ihren Job aufzugeben, um sich ganz um ihre Mutter zu kümmern. Schnell wurde ihnen klar, dass die Zeit, die sie noch hatten begrenzt war. Das war vor vier Monaten. Es tröstete Kate ein wenig, das ihre Mutter keine Angst vorm sterben hatte. Das einzige was immer wieder Thema zwischen Mutter und Tochter war, wie es für Kate weitergehen sollte, nach ihrem Ableben.
Aber Kate wollte nicht darüber sprechen, oft stritten sie sich deswegen. Mary hatte immer gewollt, das Kate einmal studieren sollte. Was Kate nach der Diagnose erst mal weit von sich weg schob. Es war für Kate unvorstellbar, das ihre Mutter bald nicht mehr da sein würde.
Sie hörte vertraute Schritte auf dem Flur. Es klopfte. “Kate?”
“Ja? antwortete sie. Jeffs Stimme drang sanft und gedämpft zwischen der Tür zu ihr.
”Hast du Lust zum spazieren gehen?”
“Wann?”
“Sobald du aus der Wanne kommst!”
Kate wusste, dass Jeff sie dazu bringen wollte, doch mit ihnen zu kommen. Das hatte er sich schon immer gewünscht. Die Schritte gingen wieder und Kate begann sich zu waschen.
Als sie kurze Zeit später im Träger-Top und in dunkler Jeans ins Wohnzimmer kam, wartete Jeff schon auf sie. Ohne ein weiteres Wort gingen sie nach draußen.
Es war mild, obwohl der Himmel leicht bedeckt war.
Schweigend liefen sie nebeneinander her. Jeff hatte den Arm um Kate gelegt. Sie schlenderten die Straße entlang, die aus dem Wohnviertel zu einem ruhigeren Pfad führte. Sie hatten beide geschwiegen, doch nun wollte Kate, den Anfang machen.
“Ich werde hier bleiben, Jeff! Ich kann nicht mitkommen!” Sie spürte dass Jeff nach den richtigen Worten suchte. “Mach dir keine Sorgen um mich, es geht mir gut, soweit ich das sagen kann. Es ging einfach alles viel zu schnell.” sagte sie. Immer noch hatte er seinen Arm um ihre Schultern gelegt. “Ich fühle mich einfach nicht wohl in meiner Haut, dich in dieser Situation hier allein zu lassen. Ich hab auch darüber nachgedacht, meinen Urlaub etwas zu verlängern, wenn du das willst. Es ist wirklich kein Problem.”
“Jetzt hör schon auf, Jeff, wirklich, das brauchst du nicht auch noch für mich tun. Ihr alle tut schon genug für mich!” Er suchte ihren Blick und sah ihr in ihre grünen Augen. Natürlich würde sie seine Hilfe ablehnen. Doch Jeff hatte es noch nie ertragen, wenn Kate litt.
“Trotzdem Danke!” sagte Kate nachdenklich. “Für was?” Sie antwortete nicht sofort.
“Du weißt schon, …” Nachdenklich blickte Jeff zu ihr. Natürlich bin ich für dich da, das weißt du doch.” füllte er ihren Satz. “Aber ich fühle mich auch nicht wohl, dich heute Abend alleine zu lassen, Kate. Du weißt meine Mutter wünscht sich nichts sehnlicheres, als dass du zu uns ziehst.”
“Ja, das weiß ich, aber ich kann das nicht jetzt entscheiden. Es ist alles noch so frisch und ihr müsst mir Zeit geben.“ Außerdem bin ich erwachsen genug, um auf mich selbst aufzupassen!” sagte Kate. Er kniff die Augen zusammen und sah sie nachdenklich an. “Ehrlich Jeff, ich schaffe das.” fügte Kate noch hinzu, damit Jeff nicht merkte, dass sie eigentlich keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte und sie ehrlich gesagt sich auch nicht von ihrem zuhause trennen wollte. “Versprich mir, das du darüber nachdenken wirst.” sagte er und sah sie dabei ernst an.
“Ich verspreche es.” Leicht genervt verdrehte Kate ihre Augen. Sie vermied es ihn anzusehen, weil sie befürchtete er würde sie durchschauen. Sie gingen schweigend weiter. Sie schlenderten an den kleinen Teich, der jetzt zu sehen war und setzten sich ans Ufer. Sie wollte nicht dass Jeff wegen ihr blieb. Er hatte sein Leben in Pleasentview, das auch weiter gehen musste. Jetzt warf er kleine Kieselsteine in den Teich.
“Kate, du musst vor mir nicht stark sein, ich weiß wie du dich fühlst.” sagte Jeff und erst jetzt bemerkte sie, das seine Stimme leicht sauer klang. Kate sah ihn etwas länger an und versuchte in seinem Blick zu lesen. Er hatte recht, aber wenn sie wollte, dass sie alle nachhause fahren, musste sie ihm jetzt Beweisen, das sie es schaffen würde, ohne dass es ihr dabei schlecht ging.
Sie hatte sich fest vorgenommen stark zu sein. Und das würde sie auch schaffen.
Kate hatte eine schwere Zeit hinter sich, vor allem zum Schluss, als ihre Mutter so große Schmerzen hatte, und sie nicht wusste, außer den Schmerzmitteln, was tun sollte. Und es tat weh, ihre Mutter im Krankenhaus beim sterben zu zusehen. Sie blieb bei ihr Tag und Nacht. Ohnehin hätte Kate nicht nach hause gehen können. Sie wollte ihrer Mutter natürlich nicht alleine lassen.

Sie saßen beide immer noch am Ufer und wussten, dass sie sich nun bald verabschiedeten.
“Ich werde euch anrufen!” sagte Kate, um die entstandene Stille zu brechen. Jeff nickte nur und stand auf. Dann nahm er ihre Hände und zog sie hoch. Er nahm seine beste Freundin in den Arm und schloss die Augen. Tiefes Mitleid empfand er und eine Sorgenfalte machte sich auf seiner Stirn breit. Aber es half alles nichts. Da musste er jetzt wohl durch.
Sein Beschützerinstinkt ließ es eigentlich nicht zu, er wusste, dass es keinen Mann in ihrem Leben gab und so viele Freunde hatte Kate auch nicht. Aber er wusste, dass er ihr helfen wollte. Und das wann immer er konnte. Von weitem sahen sie aus wie ein frisch verliebtes Paar und oft waren sie sich auch ihrer äußerlichen Wirkung auch bewusst. Aber weder Jeff noch Kate hatte es noch nie gestört, was andere von ihnen dachte.
Pat hatte sie beschworen beim Abschied sich es noch mal zu überlegen und verlangte auch täglich mindestens ein Anruf. Sie hatte für Kate vor gekocht und fast alle Hausarbeit im Haus erledigt, damit Kate das nicht auch noch machen musste. “Das arme Ding!” hatte sie oft gedacht. Als der große Abschied endlich vorbei war, atmete Kate erst mal richtig durch.


Kapitel 2
Einsamkeit

Jeden Tag besuchte Kate ihre Mutter. Es tat immer noch weh. Langsam begriff sie, was es bedeutete allein zu sein. In Kates Erinnerungen, war ihre Mutter oft noch so real, das sie sich ein paar mal dabei ertappte, das sie vergessen hatte, das niemand im Haus war.
Einmal, als sie die Haustür aufschloss stoppte sie sich gerade noch, weil sie schon rufen wollte:
“Hi, ... Mom, bin wieder da.” Doch das “Hi” blieb ihr fast im Halse stecken. Sie hatte sich fest vorgenommen, wenigstens den Alltag gut über die Bühne zu bekommen, damit nicht auch noch tagsüber soviel grübelte. Sie ging einkaufen, erledigte Papierkram, kaufte frische Blumen für das Haus. Das hatte ihre Mutter auch immer getan und sie wollte sich ein Stück Normalität bewahren. Mit Jeff telefonierte sie fast täglich. Kurz um, sie kam eigentlich besser klar als sie dachte. Sie fuhr sogar zu ihrem alten Arbeitgeber. Doch leider musste sie feststellen, dass es diese Firma nicht mehr gab. Das Gebäude stand völlig leer. Enttäuschung machte sich breit. Es wäre schön gewesen, ihren alten Job wiederzubekommen. Ab und an stöberte sie in den Zeitungen nach irgendwelchen kleinen Jobs, aber auch da fand sie nichts Passendes. Kate hatte ja keine Ahnung, was genau sie machen wollte, deshalb beschränkte sie sich hauptsächlich auf Gelegenheitsjobs. Aber so einfach war das nicht. Sie suchte hauptsächlich was in einem Floristikgeschäft oder Gartenhandel.
Doch Fehlanzeige!
Solange sie nicht in das Zimmer ihrer Mutter ging, hatte sie alles im Griff.
Ohne es genau zu wissen, wusste sie, dass das noch nicht möglich war. Sie durfte auch nicht daran denken. Das würde noch Zeit brauchen. Wenn Kate daran vorbei lief, schaute sie noch nicht einmal die Zimmertür ihrer Mutter an, da sie genau wusste, wie schwer es noch für war.
Die Tage vergingen und langsam machte sich bei Kate Langeweile breit. Natürlich hatte sie Kontakt mit anderen, aber es waren nur Nachbarn, die sie begrüßten und mitleidig ansahen. Außerdem sprach sie fast jeden Abend mit Jeff und Tante Pat. Täglich kam der Postbote, der ihr die Post brachte. Manchmal hielt er ein kleines Schwätzchen mit ihr. Trotzdem war sie die meiste Zeit allein und genau so fühlte sie sich auch.
Sie ging ans Wohnzimmerfenster und beobachtete die Kinder im gegenüberliegenden Garten, wie sie spielten. Oft hing Kate ihren Erinnerungen nach von früher, als sie noch klein war. Wie ihre Mutter Geburtstagspartys im Garten für sie veranstaltete, oder sie mit Jeff und Peter spielten, wenn sie sie besuchten. Ein tiefer Seufzer durchfuhr sie.
Schluss jetzt damit, es musste endlich etwas passieren. So konnte es nicht weiter gehen. Jeff hatte recht.
“Ich sollte unter Leute gehen oder mich mit irgendetwas beschäftigen,” dachte sie.
Sie duschte sich und überlegte, ob sie die Post die im Wohnzimmer auf einer Anrichte lag nun doch endlich öffnen sollte.
Seit Tagen hatte sie die Briefe nur aus dem Briefkasten heraus geholt, aber nicht geöffnet. Die Briefe waren nicht alle an sie adressiert. Den Namen ihrer Mutter wollte sie auch nicht lesen. Und außerdem hatte Kate auch keine Lust mehr, auf irgendwelche Beileidsbekundungen.
Sie verwarf den Gedanken und stellte das Wasser ab, trocknete sich ab und zog ein einfaches T-shirt an. Für den heutigen Abend beschloss sie sich einen Film anzusehen. Hauptsache, sie würde sich ablenken können.
Das Abendessen hatte sie schon wieder ausfallen lassen, wie so oft in den letzten Wochen. Rechts neben dem Fernseher lachten immer noch die Briefe. Sie hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht und versuchte sich auf den Film zu konzentrieren. Ihr Blick schweifte immer wieder ab, zu den Briefen. Nachdenklich starrte sie die Briefe an. Der Fernseher trällerte leise, und Kate bekam die Handlung des Films ohne hin nicht mehr mit.
Warum eigentlich würde sie das nicht weiter aufschieben? Was würde es schon ausmachen, noch etwas zu warten? Schließlich waren alle Rechnungen beglichen und es standen auch keine mehr aus. Auf den meisten Briefen stand der Name ihrer Mutter von handgeschrieben. Mary hatte einige Brieffreundschaften. Noch konnte Kate es nicht ertragen persönliche Dinge von ihrer Mutter zu nehmen. Aber ihr inneres Gefühl sagte ihr, das es endlich Zeit wurde. Mit einem schummrigen Gefühl im Bauch, stand Kate vom Sofa auf und ging zur Anrichte. Die Post lag noch genauso achtlos da, wie sie sie täglich hingelegt hatte. Misstrauisch betrachtete sie die viereckigen Umschläge. Es waren ungefähr 12 Briefe, vielleicht auch etwas Werbung. Dann nahm sie den ganzen Stapel und setzte sich wieder auf das Sofa.
Zuerst ging sie alle Umschläge nacheinander nochmals durch, dabei zählte sie alle. Sie hatte gut geschätzt. Es waren 13. Vier davon Werbung, sieben weitere Beileidskarten und zwei waren von Monika Hill, eine Bekannte von ihrer Mutter und Irene Baker eine ehemalige Schulfreundin.
Was wenn Monika und Irene nichts von Mamas Tod wussten? dachte sie. Was wenn die Briefe so geschrieben waren, als würde ihre Mutter noch leben? Innerliche Unruhe machte sich breit. Kate konnte den Gedanken nicht ertragen.
“So ein Mist!” fluchte sie laut. Sie verkrampfte sich und wünschte sich nun das dritte Mal, seit dem sie allein war, das jetzt Jeff da sein würde. Er hätte ihr geholfen und es wäre leichter, die Briefe zu öffnen. Mutig nahm sie den Brief von Irene Baker und öffnete ihn.

Meine liebe Mary,

Danke, für deinen lieben Brief. Ich hoffe es geht dir wieder besser. Du hast dich in deinem Brief leicht beunruhigt angehört.
Wie geht es Kate? Meine Güte, ist das ein hübsches Mädchen!
Übrigens die Fotos, die du mir geschickt hast, haben einen Platz in meinem Wohnzimmer gefunden. Du bist bestimmt stolz auf deine Tochter. Sie sieht dir sehr ähnlich. Das letzte mal, als ich sie gesehen habe, war sie noch ein Kind. Da sieht man wie die Zeit vergeht, an unseren Kindern!

Schreibe mir bald wieder, ich freue mich!

Liebe Grüße auch an deine Tochter Kate

Deine Irene Baker


Kates Hände hatten zu zittern angefangen, als sie begann zu lesen. Sie spürte die Wunde in ihrem Herzen, als würde sie wieder neu anfangen zu bluten. Der Stich in ihrem Magen rührte von einem Dolch, der dafür sorgte, dass es für sie schwierig war, normal Luft zu holen. Kate hatte gewusst, warum sie es vermieden hatte. die persönlichen Briefe ihrer Mutter zu öffnen.
Monika Baker wusste nicht, dass Mary gestorben war. Sie plant sogar sie zu besuchen. Kate hielt sich ihren Bauch vor Schmerzen und konnte die heißen Tränen nicht mehr zurück halten. Sie weinte bitterlich. Das Schluchzen, das man laut und deutlich hören konnte, hörte gar nicht mehr auf. Dicke Tränen liefen über ihre Wangen. Ihre Augen hatte sie fest zusammen gepresst. Um den Brief nicht weiter sehen zu müssen. Ihre Hände zu Fäusten geballt, schlug sie immer wieder auf das Sofa ein. Verdammt! Mama, du fehlst mir so sehr. Plötzlich hatte sie nur noch einen Gedanken. Seit Wochen hatte Kate es gemieden, in das Schlafzimmer ihrer Mutter zugehen. Aber jetzt hielt sie es vor Einsamkeit und Sehnsucht, keine Sekunde mehr aus. Hastig stand sie auf und rannte in den Flur zur Tür ihrer Mutter. Dort blieb sie atemlos ein paar Sekunden stehen. Sie hatte ihre Augen geschlossen und öffnete langsam die Tür.
Wie in Trance betrat sie das Zimmer. Kate roch noch den Liliengeruch, den ihre Mutter immer im Schlafzimmer hatte. Sie versuchte das Aroma ihrer Mutter ein letztes Mal zu schmecken. Aber dazu musste sie sich sehr konzentrieren. Ganz schwach vernahm sie den vertrauten Geruch noch einmal auf. Im Kleiderschrank waren noch alle Kleidungsstücke, die ihre Mutter immer an hatte. Sie schaltete das Licht an und öffnete den Schrank. Viele Sachen lösten in Kate die Erinnerungen wach. Das geblümte Sommerkleid von letztem Sommer, als ihre Mutter noch gesund war. Die rote Wollstrickjacke vom Herbst, die sie oft sich überzog, wenn es Mary fröstelte. Langsam strich Kate mit ihren Fingern über die rote Wolle. Sie zog die Jacke vom Kleiderbügel und legte ihr Gesicht hinein. Dann atmete sie tief den Geruch ein und kauerte sich dann auf das Bett. Noch immer war ihr Gesicht gerötet vom weinen und der übermächtigen Trauer, die sie jetzt wieder spürte. Die Trauer die beim lesen, des Briefes, aufkeimte, war so mächtig, als wäre es erst gestern gewesen.
Sie wusste nicht, wie lange sie da lag. Alle Gefühle hatte sie unbewusst unterdrückt. Sie wollte sich selbst keine Schwäche eingestehen. Strikt hatte Kate versucht so wenig, wie möglich an die Erinnerungen zu denken. Wenn sie es in einem Moment nicht schaffte Szenen aus dem Leben mit ihrer Mutter zu verdrängen, versuchte sie sich dazu zu zwingen.
Alles war ihr in dem Augenblick recht, nur nicht diese Wunde ausbluten lassen.
Sie hatte eigentlich in den letzten Wochen an gar nichts mehr gedacht und erst recht nicht, an Dinge die sie an ihre Mutter erinnnerten. Sie hatte die letzten Wochen so sehr versucht, ihr Leben allein zu meistern, das sie ihre Trauer nicht mehr gespürt hat. Damit hatte sie alles verdrängt, damit dieser Schmerz in der linken Brust endlich aufhörte. Es tat so entsetzlich weh, das es ihr schier die Luft zum atmen nahm. Alles andere war besser, nur nichts fühlen müssen.
Irene Baker hat das alles wieder hoch gespült. Es waren die alltäglichen Sätze, so unbefangen und unbeschwert. Für Kate entstand der Eindruck, dass ihre Mutter gleich zu Türe hereinkam mit einem frischen Blumenstrauß, den sie gerade auf dem Wochenmarkt gekauft hatte.

Kate lag die ganze Nacht in dem Bett ihrer Mutter. Dicht an ihrem Gesicht hatte sie die rote Strickjacke gedrückt. So hatte sie die ganze Nacht zugebracht. Mit dem Geruch ihrer Mutter hatte sie sich trösten können, irgendwann in der Nacht.
Kate schlief traumlos und ruhig ein, irgendwann. Jetzt, als es langsam hell wurde, wachte sie auf, weil das Licht immer noch im Zimmer brannte. Ohne die Jacke von ihrem Gesicht zu nehmen, schaltete sie das Licht aus und legte sich wieder hin. Sie deckte sich zu und kuschelte sich wie ein kleines Kind wieder in die Jacke.
Wie eine warme Umarmung ihrer Mutter fühlte es sich an. Sie genoss jeden einzelnen Atemzug und schlief wieder ein.
Erst gegen Mittag wachte Kate wieder auf. Schnell waren alle Erinnerung da. Doch irgendetwas hatte sich seit dieser Nacht verändert. Sie fühlte sich seltsam. Irgendwie lebendiger, freier und gelöster. Die Wunde meldete sich zwar, aber jetzt war es erträglicher.
Langsam stand sie auf. Sie duschte ausgiebig. Und sie zog die Strickjacke ihrer Mutter an. Kate hatte das Gefühl, die Jacke könnte verhindern, dass der Schmerz wieder so unerträglich werden würde. Sie brauchte die rote Strickjacke, sie half ihr.
Sie frühstückte und begann zu überlegen.
So wie es jetzt war konnte es auf keinen Fall weitergehen.
Sie hatte nur dieses Leben und irgendetwas musste sie damit anfangen. Sie war einsam. Jeff fehlte ihr, Tante Pat, die immer wie eine Mutter zu ihr war. Peter, der immer gute Ideen hatte und Onkel Phil. Und hier in Portland, was oder wenn hatte sie da, außer das Grab ihrer Mutter und ein wenig Geld, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte?
Langsam beschlich sie der Gedanke, dass es doch eine gute Idee wäre, nach Pleasentview zu gehen.
Sie kannte das kleine Städtchen, kannte einige Leute und das wichtigste, die Menschen, die sie noch hatte, lebten dort, und würden sie mit offenen Armen empfangen. Wer weiß, vielleicht war es eine Chance.
Eilig schritt sie zum Telefon.
Kate hatte jetzt einiges zu erledigen, denn sie würde eine längere Reise machen.
Tante Pat, Phil, Jeff und Peter würden Augen machen, wenn sie einfach vor ihrer Tür stehen würde.
Seit Monaten hatte sie nicht mehr diese Aufregung und Nervosität gespürt, die sie jetzt nicht mehr unterdrücken konnte. Mit einer großen Reisetasche ging sie eilig in ihr Zimmer und packte alles Wichtige ein, was sie brauchte.
Noch heute Abend konnte sie ihre Tante in den Arm nehmen und sich von Jeff trösten lassen. Sie alle hatten ihr so sehr gefehlt, dass sie es kaum erwarten konnte.
In weniger als eine Stunde war alles gepackt, wichtigen Dinge erledigt und Kate spürte das Reisefieber, das sich jetzt langsam in ihr breit machte. Seit letzter Nacht, hatte sich so viel verändert für sie. Jetzt war Kate neugierig, was das Leben für sie bereit halten würde.


Kapitel 3
Ein neuer Anfang

Als sie in Pleasentview ankam, war der Himmel wie immer bedeckt. Aber zumindest regnete es nicht. Sie war schon lange nicht mehr in diesem Städtchen gewesen. Die meisten Bewohner von Pleasentview waren recht freundlich. Eigentlich kannte hier jeder jeden. Kate hatte ganz vergessen wie schön es eigentlich hier war. Kurz überlegte sie, wie lange sie schon nicht mehr hier gewesen war. Es mussten ungefähr 6-7 Jahre her sein.
In den letzten Jahren war es immer Tante Pat gewesen, die mit Onkel Phil und den Jungs, Mary und Kate besucht hatten. Peter und Jeff waren ja nicht jedes Mal dabei. Sie waren erwachsen und hatten, wie fast jeder andere auch ihre Jobs.
Jeff war der einzige, den Kate regelmäßig sah. Klar, Peter hatte im laufe der Zeit auch andere Interessen entwickelt und war zu einem erwachsenen Mann geworden. Er lebte sein Leben selbstständig und würde irgendwann das kleine Nest Pleanstview bestimmt verlassen. Er liebte seine Karriere, für die er fast alles tun würde.
Jeff war anders, er liebte das Leben, dass er hatte und war sonst auch sehr zufrieden.
Er liebte die einfachen Dinge des Lebens und hatte sich nie darüber beklagt, geschweige sich nach etwas anderem gesehnt.
Die Freundschaft, die er mit Kate hatte, war etwas Besonderes. Kate hatte schon immer einen besonderen Platz in seinem Herzen gehabt. Peter war deshalb eifersüchtig gewesen. Er hatte das schon immer respektiert. Als Jeff und Kate Teenager waren, hofften natürlich beide Mütter, das sich daraus einmal mehr entwickeln würde, doch so weit war es nie zwischen Kate und Jeff hinaus gewachsen. Für Kate stand immer die Freundschaft im Vordergrund. Sie fühlte sich in seiner Nähe einfach wohl. Sie brauchte ihm nie etwas vor machen, sie konnte ganz sie selbst sein. Sie konnte ihm alle ihre Geheimnisse anvertrauen, und das tat sie auch. Sie verstanden sich einfach ausgezeichnet. Kate liebte Jeff, wie einen Bruder. Ihre Gefühle im gegenüber waren geschwisterlicher Natur. Auch wenn sie beide wussten, das sich ihre Mütter etwas anderes für sie beide gewünscht hatten.

Sie stieg in das nächste Taxi ein, gab dem Fahrer die Adresse an und spürte, wie ihre Ungeduld langsam wuchs. Es fing schon an zu dämmern, als der Taxifahrer ihr Gepäck verstaut hatte und endlich los fuhr.
Alles war Kate so vertraut. Nicht wirklich viele Dinge hatten sich geändert. Natürlich gab es im Vergleich zu früher mehr Häuser und Gebäuden. Und es fuhren mehr Autos auf den Straßen. Offenbar ist es den Bewohner der Stadt in letzten Jahren nicht schlecht ergangen. Viele Gebäude kannte Kate noch, aber es waren auch einige neue und auch modernere dazu gekommen. Insgesamt war das kleine Örtchen Pleasantview nun zu einer richtigen Stadt gewachsen. Sie wusste, dass das Taxi bald aus der Innenstadt heraus fahren und in eine ruhigere Gegend fahren würde und ihre Freude stieg, als keine zehn Minuten später das Taxi vor Tante Pat`s Haus hielt.
Sie bezahlte den Taxifahrer großzügig und als er Gas gab und davon fuhr, stand Kate einige Augenblicke vor dem Haus. Hier hatte sich gar nichts verändert. Alles war noch so, wie es Kate in ihrem Kopf abgespeichert hatte. Das Haus war viel größer, wie sie es in Erinnerung hatte. Der kleine Garten, in dem die große Eiche stand, die Kindheitserinnerungen wach riefen. Onkel Phil hatte, als sie noch Klein war, eine Schaukel für sie daran befestigt. Dann musste er sie immer wieder anschubsen. Stunden lang!
Die vielen Fenster waren wie immer geputzt und sauber. Alles wirkte ein wenig verschlafen. Kate hatte sich immer in diesem Haus zuhause gefühlt. Als Blumenladenbesitzerin hatte Tante Pat aus ihrem Vorgarten ein kleines Paradies gezaubert. Wo man hin sah waren Rosensträucher angepflanzt. Alle Knospen waren noch geschlossen. Aber das dauerte nicht mehr lange, bis sie ihre inneres nach außen kehren würden, um sich in voller Pracht und Schönheit zu präsentieren.
Kate atmete einmal tief durch und ging die fünf Stufen zur Veranda hoch. Die Hollywoodschaukel auf der sie oft mit Jeff gesessen hatte, hatte zwar ein anderes Stoffmuster, aber man konnte noch deutlich erkennen, dass es immer noch das gleiche Grundgestell war. Sie klingelte und wartete. Aber nichts rührte sich.
Wo sind den alle? Sie klingelte noch mal. Jetzt, endlich konnte sie schritte hören.
Sie atmete tief durch. Dann öffnete sich die Tür.
“Hi, Onkel Phil!” rief Kate fröhlich und stürmte ihm in die Arme. Der Arme war so überrumpelt, das er erst ein paar Sekunden später erkannte, wer ihm in die Arme sprang.
“Mein Mädchen, du bist endlich gekommen!” Er drückte sie fest an sich und die Freude stand ihm ins Gesicht geschrieben.
“Lass dich ansehen, geht es dir gut?” Er hielt Kate an den Schultern fest und sah forschend in ihr Gesicht.
“Ja, jetzt geht es mir gut.” Kate schenkte ihm ein strahlendes lächeln.
“Na, komm schon! Deine Tante wird Augen machen, dich hier zu sehen!” Er nahm Kates Reisetasche in die eine Hand und in die andere Hand führte er Kate ins Haus.
“Wir sind alle auf der Terrasse!” Kate ging durch die große Diele, direkt ins Wohnzimmer. Die Terrassentür stand offen und sie vernahm die fröhlichen Stimmen von Tante Pat, Peter und Jeff. Aber auch noch ein fremdes weibliches Lachen, das sie nicht kannte. Kate blieb einen Moment stehen und beobachtete alle durch das große Panoramafenster. Sie waren gerade beim Abendessen. Alle saßen sie zusammen am Tisch, wie früher.
“Wer ist es den, Phil?” rief Pat ihrem Mann entgegen.
“Das wirst du nicht glauben, wer gekommen ist!” sagte Phil fröhlich und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Mit leichtem Herzklopfen trat Kate an die Schwelle der Terrassentür. Und alle Köpfe drehten sich zu Kate.
“Kate!” riefen Pat und Jeff gleichzeitig. Pat lief sofort zu Kate und riss sie in ihre Arme. Auch Jeff und Peter kamen.
“Mein Kind, Gott sei dank, wir haben uns schon Sorgen gemacht, weil wir dich in den letzten zwei Tagen nicht erreicht haben.” Pat nahm Kates Gesicht in ihre Hände.
“Geht es dir gut? Alles in Ordnung?” fragte Pat.
“Ja, mir geht es gut, Tante!”
Jeff und Peter nahmen sie in die Arme, nachdem Pat sie endlich frei lies.
“Wie schön, ich freue mich, dass du da bist. Warum hast du nicht angerufen, wir hätten dich auch abgeholt.” sagte Peter.
“Ich wollte euch überraschen!”
“Na die Überraschung ist dir gelungen!” sagte Jeff. Alle Augen waren nun auf Kate gerichtet.
Eine leichte röte stieg Kate in die Wangen. Als sie es bemerkte, senkte verlegen sie ihren Blick.
“Oh, Kate, darf ich dir meine Freundin Tanja vorstellen?” Kate sah nun auf die Frau, die neben Peter stand.
Sie hatte blonde Haare, die ihr bis zur Schulter gingen. Sie war schlank und modisch gekleidet. Tanja hatte ein hübsches Gesicht und Kate konnte das Leuchten in Peters Augen sehen, als er sie ansah. Tanja lächelte Kate freundlich an.
“Tanja, das ist meine Fast-Schwester Kate, von der ich dir schon erzählt habe.“ Tanja streckte ihre Hand nach Kate aus.
“Hallo, ich bin Tanja. Peter hat mir wirklich viel über dich erzählt, aber nicht wie hübsch du bist,“ sagte Tanja sie.
Kate ergriff ihre Hand und sofort spürte sie wieder die Röte, die ihr wieder in die Wangen lief. Es war Kate schon fast unangenehm solche Komplimente zu bekommen. Wieder vergingen einige Sekunden voller schweigen.
“Hast du Hunger? Wir haben gerade gegessen. Ach, was rede ich da, natürlich hast du Hunger”, unterbrach Pat das Schweigen. Sofort ging Pat in die Küche.
“Ja, ein kleiner Imbiss kann nicht schaden!” Sie setzte sich zu Jeff, der ihr den Stuhl zurecht rückte. Er lächelte sie an.
“Wasser oder Wein?” fragte er und sah sie lächelnd an.
“Wasser bitte!” antwortete sie etwas verlegen.
Als er ihr eingeschenkt hatte, spürte Kate das erste Mal seit ihrer Reise, wie durstig sie gewesen war. Mit einem Zug trank sie das Glas leer. Dann brachte Pat ihr ein Teller und auch erst jetzt bemerkte Kate ihren Appetit.
Alle unterhielten sich angeregt miteinander während Kate aß. Sie belästigten Kate nicht mit Fragen, die ihre Zukunft betraf und darüber war Kate sehr froh. Peter erzählte von seiner Arbeit und über den letzten Ausflug, den er mit Tanja gemacht hatte. Die Stimmung war fröhlich und leicht. Immer wieder trafen Kate die Blicke von Pat, die ihr liebevoll zu zwinkerte.
Nur Jeff sagte kein Wort. Er sah schweigend Kate an. Als Kate seinen Blick erwiderte, lächelte sie. “Jeff, kannst du Kates Gepäck in das Gästezimmer bringen?” fragte seine Mutter, “sie wird müde sein. Sie hat leichte Schatten unter den Augen!”
„Natürlich!“ erwiderte Jeff, stand auf und berührte kurz Kates Arm. Jetzt konnte Kate die Ungeduld ihrer Tante spüren. Sie hat bestimmt 100 Fragen, dachte Kate. Aber das musste jetzt warten.
Sie wollte ihre Entscheidung, die sie getroffen hatte, nicht an diesem Abend mitteilen.

Später am Abend, als Kate schon im Gästezimmer war, um sich für die Nacht zu richten. Klopfte Pat an der Tür.
“Kann ich rein kommen?”
“Klar!” Kate hatte die wenigen Dinge, die sie mitgenommen hatte, schon im Schrank verstaut. Nur die rote Strickjacke lag auf Kates Bett. Pat setzte sich auf die Bettkante, und deutete Kate es ihr gleich zu tun. Dann nahm sie, wie so oft schon, Kates Hände in die ihren und lächelte sie mütterlich an.
“Wie lange wirst du bleiben, Kate ?” Jetzt sah Kate ihr in die fragenden Augen.
“Ich weiß nicht! Ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten in Portland. Das Haus war so leer und überall war … sie.“ gestand Kate. Dann schwieg sie kurz und sprach dann betroffen weiter.
„Ich glaube, dass ich es hier versuchen möchte. Ich weiß nur nicht, was ich genau tun soll. Ich dachte, dass ich noch ein paar Tage warte, um mir dann eine Arbeit suche.“ Sie war erleichtert und froh, das sie nun endlich mit jemandem sprechen konnte. Sie atmete langsam tief ein und aus. Dann blickte sie wieder in die Augen ihrer Tante und sagte:
” Ja, ….. Ich würde … gerne hier bleiben, bei euch.” Jetzt strahlte Pat über ihr Gesicht und man konnte deutlich ihre Falten sehen, die in den letzten Jahren immer tiefer wurden.
“Ich wollte nichts anderes von dir hören, mein Schatz. Du weißt wir freuen uns sehr wenn, du bei uns bist. Was hältst du davon, wenn du mir in meinem Blumenladen hilfst? Wir haben zwar nicht besonderes viele Kunden, aber manchmal kommen doch Aufträge für Hochzeiten und Jubilare mit Aufträgen rein. Und da könnte ich schon Hilfe gebrauchen. Ich wollte sowieso eine Kraft einstellen, die mir zur Hand geht. Und … ich werde auch nicht jünger.” Pat streckte ihr Kreuz durch und hob sich an den Lenden, die ihr Schmerzen bereiteten.
“Was hältst du davon?”
Kates Augen leuchteten vor Freude und sie nahm sofort ihre Tante in die Arme.
“Danke, Tante Pat, das würde ich sehr gerne machen, du weißt ja, wie sehr ich deinen Laden liebe.”
Sie lachten sich beide an.
Für Kate hatten sich in Nullkommanichts ein paar Probleme, die sie noch vor ein paar Stunden hatte, in Luft aufgelöst.
“Dann ist das alles also beschlossene Sache?” wollte Pat sich noch mal vergewissern.
“Was ist beschlossene Sache?” fragte eine Männerstimme, die vom Türrahmen herkam.
Beide Frauen sahen zur Tür und sah zu Jeff. Beide hatten Jeff nicht bemerkt.
“Kate wird hier bleiben und mir Laden zu Hand gehen!” sagte Pat stolz.
“Erzähl mir etwas Mom, was ich noch nicht weiß!” sagte er frech zu seiner Mutter und grinste.
Fragend sah Pat ihren Sohn an.
“Woher wusstest du das?”
“Mom, ich wusste, dass sie früher oder später zu Vernunft kommen würde.” Wieder grinste er.
“Dann wusstest du mehr als ich. Mein Sohn.” sagte sie und stand langsam vom Bett auf. Liebevoll nahm sie Kates Kinn in ihre Hand.
“Nimm dir einfach ein paar Tage.“ Du wirst sehen, es wird alles gut. Gute Nacht Kate, schlaf schön.”
Sie küsste Kate auf die Stirn und ging aus dem Zimmer.
“Hast du gehört, was meine Mutter gesagt hat?” fragte Jeff Kate und setzte
sich zu Kate, an die Stelle wo vorher seine Mutter saß. Sie nickte und sah ihn fröhlich an.
“Es wird alles gut.” wiederholte er. Bei ihrem letzten Spaziergang dachte Kate eigentlich, dass er sie nicht durchschauen würde. Doch da hatte sie ihn wahrscheinlich unterschätzt. Jetzt verstand sie auch, warum es ihm so schwer gefallen war abzureisen. Er wusste ganz genau, wie schlecht es ihr ging.
“Seit wann hat Peter den eine Freundin?” fragte Kate, um vom Thema abzulenken. Er lachte kurz. “Seit ein paar Monaten!“
„Sie ist nett!“ sagte Kate.
“Peter ist ganz vernarrt in sie. Sie haben sich auf einer Party kennengelernt. Und wie das halt eben so ist …, du weißt schon!” Kate nickte wissend.
“Bist du müde?” wollte er wissen.
“Ja, ich werde jetzt schlafen.”
“O.K.!“ sagte Jeff, stand von ihrem Bett auf und ging zur Tür.
“Dann schlaf dich jetzt erst mal richtig aus, wir sehen uns morgen.” Dann zwinkerte er ihr noch einmal zu und schloss leise hinter sich die Tür.

Die folgenden vier Tage vergingen schnell. Und Kate konnte sich wirklich entspannen. Alle gaben ihr den Freiraum, den sie brauchte. Selbst Pat, die sich gerne mit übertriebener Bemutterung um Kate kümmern wollte, hielt sich zurück. Jeff und Phil arbeiteten den ganzen Tag und Pat stand auch die meiste Zeit im Laden. Lediglich in der zwei stündigen Mittagspause kam Pat nachhause, um mit Kate zu Mittag zu Essen. Abends wenn Phil und Jeff von der Arbeit kamen, saßen sie alle am Tisch zusammen. Es war wie in alten Zeiten. Nur Peter war nicht oft da. Er hatte sich in der Innenstadt eine kleine Wohnung genommen und kam alle paar Tage bei seinen Eltern vorbei. Das Ausschlafen tat Kate gut und schnell waren ihre Schatten um ihre Augen verschwunden. Jetzt konnte sie auch an ihre Mutter denken, ohne dass diese innerliche Panik aufkam. Die rote Strickjacke half ihr dabei. Sie ging oft spazieren. Natürlich war die Trauer noch nicht ganz überwunden, aber die Zeit würde ihr helfen, dass es nicht mehr ganz so schwer war. Und das tat es jetzt schon.
Um nicht ganz zu faulenzen, kochte Kate jeden Abend das Abendessen. Sie versorgte auch den Haushalt, versuchte natürlich Ihrer Tante Pat so viel wie möglich abzunehmen. Sie wollte ihnen auf keinen Fall auf der Tasche liegen, solange sie noch kein eigenes Geld verdiente.
Sie verbrachte auch viel Zeit mit Jeff. Abends nach dem Essen spielten sie oft Schach. Genauso. wie vorher, war er ihr bester Freund und sie war so froh, dass sie ihn hatte.
Es gab nur eine Sache, die sie noch nicht herausgefunden hatte. Etwas stimmte mit seinen Augen nicht. Etwas, was sie von ihm nicht kannte und auch nicht deuten konnte. Es war auch nicht ständig so. Sie ertappte ihn manchmal dabei, das er sie ansah oder beobachtete. Jeff würde schon sagen, wenn etwas wäre, da war sie sich sicher. So war es eben immer gewesen. Und noch machte sie sich deshalb keine großen Gedanken darüber.

Es war Tag neun bei den Bennets als Kate diesmal etwas früher erwachte. Jeff und Pat waren schon bei der Arbeit, nur Phil war im Haus. Musste er nicht arbeiten? Fragte sich Kate.
“Oh, guten Morgen Kate. Ich hab gar nicht bemerkt, dass du schon wach bist. Setzt dich, …Frühstück?”
“Hast du heute Frei?” fragte Kate setzte sich und nahm sich die Packung mit den Flocken, die Pat extra für sie gekauft hatte.
“Ja, ich hab mir diese Woche frei genommen, ich muss ein paar Dinge im Haus erledigen. Während er ihr das sagte, hatte er nur kurz von seiner Zeitung aufgesehen. Sie sollte nicht merken, dass er voller Vorfreude war, weil er eine Überraschung für Kate in den nächsten Tagen plante.
“Und was machst du heute?” fragte er belanglos. Kate zögerte ein wenig. Sie wollte heute nicht den ganzen Tag zuhause sitzen. Es regnete schon seit ein paar Stunden und es würde wohl den ganzen Tag so weiter gehen. Außerdem konnte sie die Lust auf den Blumenladen heute nicht mehr unterdrücken. Pat hatte ihr gestern noch gesagt, sie solle sich soviel Zeit nehmen wie sie wollte, doch jetzt hielt sie es einfach nicht mehr aus. Sie hoffte nur, dass Phil ihr Vorhaben ihr nicht ausreden wollte.
“Weißt du,… begann sie vorsichtig, ich dachte ich schau heute mal bei Tante Pat im Laden vorbei.“ Jetzt legte Phil seine Zeitung beiseite und sah sie verwundert an. Er schien eine Weile zu überlegen. “Wenn du schon so weit bist, ist das in Ordnung, Kate! Möchtest du das ich dich fahre?“
Ihre Augen sprühten fast vor Energie und lächelten ihn Dankbar an.
“Das wäre schrecklich lieb von dir, Onkel Phil.“
“Frühstücke zu Ende und hol deine Regenjacke. Phil war froh das Kate den heutigen Tag bei Pat verbrachte, denn so hatte er genügend Zeit eine Überraschung für Kate vorzubereiten und wurde dabei nicht ertappt.
Nachdem sie sich kurz ein paar Flocken mit Milch gönnte, fuhr Phil Kate zu Pat`s Blumenladen. Kate gab ihrem Onkel einen flüchtigen Kuss auf die Wange und stieg schnell aus.


Kapitel 4
Der Blumenladen

Das war es nun, womit sie beginnen wollte ihr Leben neu zu ordnen. Sie freute sehr sich darauf. Sie stand vor dem Schaufenster und betrachtete die Auslagen. Endlich, Kate hatte nun eine Aufgabe, der sie sich widmen konnte. Und das Beste daran: Sie wusste, dass sie es lieben würde.
Sie öffnete langsam die Ladentür. Die kleine Glocke, schrillte auf.
“Einen Moment bitte, ich komme gleich”, rief Pat freundlich.
Kate sah sich in dem Laden um.
An den Wänden standen alte Holz und Metallregale. Es gab einen Bereich nur für Schnittblumen, die alle in schwarzen Plastikbehälter standen. Natürlich waren die Blumensorten sortiert. Dem Holzregalen sah man ihr alter schon etwas an. Auf ihnen standen überall bunte und dazwischen auch leere Blumentöpfe, die nur darauf warteten, dass jemand eine Pflanze hinein tat. Auf den Boden vor den Schnittblumeneimern standen schon fertig gebundene bunte Blumensträuße. Ein klein wenig musste man aufpassen, das man nicht unbeabsichtigt dagegen trat. Im hinteren Bereich des Ladens standen große Zimmerpflanzen in großen Kübeln. In der Mitte des Verkaufsraums war ein großer Tisch aufgebaut, auf dem alle möglichen Dekorationsartikel, wie auf einem Flohmarkt feil geboten wurden. Dann die Theke mit der Verbindungstür, zu weiteren Räumlichkeiten. Insgesamt wurden die Blumen und Pflanzen gut beleuchtet, trotzdem konnte Kate die leise Enttäuschung, die sie spürte nicht ignorieren. Als sie das letzte mal in diesem Laden stand, war sie ein Kind gewesen und damals war der Laden sicherlich so in Ordnung. Es hatte sich nicht viel verändert. Leider! Der Laden war schlicht und ergreifend alt geworden. Er war überseht mit Kitsch und viel Kram. Selbst die kleine Ecke mit Obst und Gemüse hatte Tante Pat nicht aufgegeben.
In ihrem Kopf hallten die Worte ihrer Tante wieder: “Was hältst du davon, wenn du mir in meinem Blumenladen hilfst? Wir haben zwar nicht besonderes viele Kunden, aber …”
Oh je, das wird ein hartes Stück Arbeit werden. Der Laden war sauber, das sah Pat ähnlich, aber die Art, wie die Blumensträuße gebunden waren, war nicht der Stil der Zeit. Und überhaupt schrie der kleine Blumenladen nach Veränderungen.
“Kate!” hörte sie ihre Tante rufen und wachte aus ihren Gedanken auf.
”Hi Tantchen, mir fällt zuhause bei diesem Wetter die Decke auf den Kopf und ich brauche dringend eine schöne Beschäftigung, also hier bin ich. Sie legte ihr, “du kannst mich nicht nachhause schicken Gesicht” auf und strahlte sie an.
“Ja, … bist du dir wirklich sicher? Wolltest du nicht noch ein bisschen ausruhen?”
“Nein, ich muss unter Leute und mich einfach nur Beschäftigen, Onkel Phil findet das übrigens auch!” Sie wusste, das es nicht ganz fair war ihren Onkel da mit rein zu ziehen, aber schließlich war es ja keine Lüge. Pat war überrumpelt, war aber froh endlich Hilfe zu bekommen.
“O.K. Kate, komm mit, ich zeige dir erst mal den Laden. Es hat sich zwar nicht viel verändert, aber schaden kann es ja nicht!”
Pat hatte Kate den ganzen Laden gezeigt, als ein Kunde kam.
“Schau dich nur weiter um, und mach dich mit allem Vertraut, ich bin gleich wieder da, ” hatte Pat gesagt und war in den Verkaufsraum zu dem wartenden Kunden gelaufen.
Es war wirklich ein kleines Dilemma in dem Tante Pat da saß. Aber man konnte ihn wieder herrichten. Das war nicht unbedingt das Problem. Das Problem bestand eher darin: wie sollte sie das ihrer Tante sagen, ohne sie zu verletzen? Nein, das wollte sie auf keinen Fall. Tante Pat war so stolz auf ihren Laden. Aber letztendlich war der Zustand des Ladens auch der Grund, warum Pat nicht wirklich viel Gewinn machte. Sie hatte Kate nicht im einzelnen erzählt, was der Laden ihr monatlich einbrachte, aber das konnte ein Blinder sehen, dass das nicht viel sein konnte.
Vorerst würde Kate sich aber zurück halten und nichts sagen. Sie würde einfach die Arbeit
erledigen, die ihre Tante ihr geben würde. Vielleicht würde es einen guten Zeitraum dafür geben. Vielleicht in ein paar Tagen oder Wochen.
An diesem Tag hatte Pat ganze drei Kunden bedient. Der erste war ein Mann, mittleren Alters, der für seine Mutter einen Blumenstock kaufte. Der zweite war ein kleiner Junge, der sein Taschengeld gespart hatte, um seiner Mutter zum Geburtstag einen kleinen Strauß schenken zu können. Die gutmütige Tante Pat hatte dem kleinen Jungen nicht sein ganzes Taschengeld abgeknöpft, sie gab ihm einen Sonderrabatt. Und zuletzt kam eine junge Frau, die nur Pflegetipps für eine bestimmte Pflanze suchte. Es war anzuzweifeln, dass der Vormittag besser gelaufen war. Fakt um: Die Tageseinnahmen waren so gering, das Pat mit Sicherheit Kate kein Gehalt zahlen konnte. Das war ihr natürlich nicht so wichtig, doch hatte sie gehofft, dass sie sich selbst irgendwann eine kleine Wohnung nehmen konnte.
Auf keinen Fall würde sie ihre Tante im Stich lassen. Aber sie musste behutsam vorgehen, wenn sie etwas verändern wollte. Der Rest des Tages verlief mehr als ruhig.

Am Abend als sie mit Jeff mal wieder über dem Schachbrett saß, hatte er sofort bemerkt, dass Kate nicht richtig bei der Sache und mit ihren Gedanken weit weg war.
Kate war schon lange an der Reihe und er wartete eigentlich schon eine ganze Weile, bis sie endlich ihren nächsten Zug fahren würde.
Ihr Blick lag starr auf dem Schachbrett.
Träumte Sie, oder sieht sie es wirklich nicht? dachte Jeff. Mit einer schnellen Bewegung seiner Hand schnippte er mit den Fingern, so laut, dass Kate zusammen zuckte und ruckartig wieder hier bei ihm im Wohnzimmer saß.
Sein Grinsen war schelmisch und zog sich über sein ganzes Gesicht.
“Wo bist du nur mit deinen Gedanken Kate?”
“Entschuldigung Jeff, ich weiß auch nicht!”
“Was ist los? Gefällt dir dein Job nicht, oder …?”
Kate sah sich vorsichtig zu Pat um, die es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatte. Wenn sie jetzt mit Jeff darüber reden würde, dann hatte die das ungute Gefühl, das Pat etwas davon mitbekommen würde. Und das wollte sie verhindern. Deshalb flüsterte sie ihm geheimnisvoll zu: “Komm doch nachher in mein Zimmer, dann erzähl ich dir alles. Ja?”
Jeff nickte verwundert und sie spielten eine Weile weiter.
Irgendwann streckte und reckte sich Kate überdeutlich und gähnte laut. Jeff begriff sofort was sie damit meinte.
“Ich geh mal schlafen, sagte Kate und zwinkerte Jeff geheimnisvoll zu. Jeff verstand den Hinweis, dass er noch ein bisschen warten sollte, um dann unauffällig nachzukommen.
Kate hatte schon ihre Zähne geputzt und saß wartend auf ihrem Bett, als es leise leicht anklopfte.
“Komm rein“, hatte sie leise geflüstert. Leise betrat Jeff das Zimmer und schloss genauso leise wieder die Tür hinter sich zu.
“Was tust du so geheimnisvoll? Muss ich mir Sorgen machen, Kate?”
“Nein, ich brauche deinen Rat und deine Mutter braucht das vorerst nicht wissen, weil ich sie nicht verletzten will.”
Er setzte sich auf ihr Bett und sah sie neugierig an. Kate erzählte ihm das ganze Problem und schilderte ihm auch, dass sie wirklich ein paar gute Ideen hätte, wie man etwas an Tante Pat`s Problem ändern könnte. Aufmerksam hörte er ihr zu, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen. Jeff hatte sich nie in die Geschäfte seiner Mutter eingemischt. Er hatte auch keine Ahnung davon, aber er wusste dass seine Mutter bald ernsthafte Probleme mit ihrem Blumenladen bekommen würde. Er hatte einmal ein Gespräch von Phil und Pat mitbekommen, wie sie über die Zukunft des Ladens sprachen. Phil hatte seiner Frau erklärt, das sie den Laden bald schließen mussten, wenn es so weiter gehen würde. Sie hatten eindeutig zu wenig Kundschaft. Außerdem hatten sich in Pleantview einige Konkurrenten angesiedelt, die Pat das Leben schwerer machten.
Er verstand Kate und war auch ihrer Meinung. Und er versprach ihr zu helfen. Aber er hatte keine Ahnung wie. Eine kleine Denkpause war entstanden, dann schüttelte Jeff seinen Kopf.
”Du hast sicher Recht, aber die einzige Möglichkeit, die ich sehe ist, du solltest mit ihnen darüber sprechen und ihnen von deine Ideen erzählen, Kate”
“Sie würden aber auch keine finanzielle Hilfe von mir annehmen, um den Laden renovieren zu lassen,” sagte Kate laut und hatte eigentlich nur laut gedacht.
“Hast du den soviel Geld gespart?” fragte Jeff legte seine Stirn in leichte Falten.
“Ich hab ein bisschen was auf der Seite, und da ich im Moment sowieso kein Geld brauche, wäre es die Gelegenheit den Laden wieder Top zu machen. Was meinst du?”
“Sicher, da gibt es nur ein Problem. Meine Mutter würde das Geld von dir nie annehmen. … Hast du eigentlich wirklich vor, für immer hier zubleiben?” fragte Jeff und sah Kate sehr ernst an.
“Ich denke schon, jedenfalls bin ich im Moment nicht auf das Geld angewiesen:”
“Ich hab gerade überlegt, wie es wohl wäre, wenn du meiner Mutter ein Geschäft vorschlagen würdest.” Erwartungsvoll verzog sie das Gesicht, damit er nun endlich von seinem Gedanken erzählen würde.
“Na ja, … du könntest ihr Vorschlagen, das ihr Partner werdet.” Jeff machte eine kleine Pause, bevor er weiter Sprach.
„Was meinte er damit? Sie sah ihn fragend an.
“Du renovierst den Laden mit deinem Geld und meine Mutter gibt dir einen Anteil an dem Laden dafür.”
Kate blieb der Mund offen stehen, sie staunte über ihn. Als sie im Begriff war zu verstehen, was er damit meinte, fingen ihre Augen an zu leuchten, was Jeff ein kleines lächeln auf seinen Mund zauberte.
Das war genau die Lösung! Sie wären gleichberechtigt, ohne dass Pat ihr etwas schuldete. Pat könnte ihren Laden weiter führen und Kate hatte die Möglichkeit sich etwas aufzubauen. Es war wie eine kleine Investition. Natürlich! Auf beiden Seiten würde es keinen Verlierer geben. Es gab nur eine kleine Schwierigkeit: Wie konnte man Tante Pat davon überzeugen, dass das die Lösung für ihre Probleme war. Das war noch ein harter Brocken, den sie noch vor sich hatte.
“Und wie sollen wir deine Mutter davon überzeugen?”
“Ja,… das wird nicht ganz einfach werden. Ich verstehe was du meinst,” sagte Jeff. Er atmete tief ein und schien angestrengt zu überlegen. Dann sagte er schließlich:
„Jetzt schlaf erst mal darüber, wir werden schon eine Lösung finden. Ich werden wohl mal ein
Sohn-Vater-Gespräch führen.”
Aufmunternd blickte er in Kates Gesicht. Und wieder spürte sie dieses merkwürdige Unbehagen aufkeimen, als er sie so ansah. Schnell sah sie auf ihre Hände, in der Hoffnung, er würde ihre plötzliche Unsicherheit nicht bemerken. Natürlich bemerkte Jeff die Spannung, die sein Blick ausgelöst hatte, doch er interpretierte es anders. Er stand vom Bett auf und strich ihr über die Wange. Jetzt verstärkte sich bei Kate das Unwohlsein, das ihre Wangen erröteten.
„Wir reden morgen früh weiter, ja? Guten Nacht!” sagte er schnell und ging.
“Gute Nacht!” konnte Kate nur noch mit heißerer Stimme erwidern.
Als sie allein war, löschte sie das Licht und versuchte sich so wenig Gedanken wir möglich zu machen, den sie wusste sie würde sonst die ganze Nacht kein Auge zumachen.


Kapitel 5
Begegnung

Es war Samstag. Und im Blumenladen gab es fast nichts zu tun, deshalb beschloss Pat den Laden für heute zuschließen. Sie wollte mit Kate einkaufen gehen. Das Mädchen hatte einfach zu wenig Kleidung mitgebracht, vor allem mehr Regenkleidung könnte nicht schaden. Und vielleicht auch ein paar hübsche Dinge, die sich Kate sonst nie selbst kaufen würde.
Kate ständig in hässlichen schlabber T-Shirts zu sehen, war eine Schande, wenn man sah, was Kate für eine schöne Figur hatte, dachte Pat. Dazu würde sie Kate schon überreden und die schrecklichen alten T-Shirts schnell entsorgen.
Nach Pats Überredungskunst, stimmte Kate ihrer Tante zu, dass es nicht schaden würden etwas mehr Anziehsachen im Kleiderschrank zu haben, war Kate schließlich einverstanden mit ihrer Tante shoppen zu gehen.
Sie gingen in viele Geschäfte und schnell wurde Kate fündig. Das hatte sie schon lange nicht mehr getan. Seit ihre Mutter krank geworden war, hatte sie überhaupt wenig das Haus verlassen. Sie pflegte ihre Mutter und als es Mary so schlecht ging, blieb sie Tag und Nacht an ihrer Seite. Tante Pat kam in den letzten acht Wochen und unterstütze sie wo sie nur konnte. Kate hatte immer versucht, die Arzttermine ihre Mutter so zu legen, dass sie während dessen die Sachen besorgen konnte, die sie brauchten. Sie hatte in ihrer Schulzeit einige Freunde und war auch oft ausgegangen. Einen Freund hatte sie mit neunzehn das letzte mal, obwohl sie mehr als einen Verehrer hatte und die Männer ihr oft hinterher gerannt waren, war Kate nie weiter als ein paar heiße Küsse gegangen.
Freundinnen hatte sie wirklich genug, aber sie teilten nicht sehr viele Hobbys mit ihnen. Die Bestanden hauptsächlich aus dem Thema Jungs. Fast immer waren die Gesprächsthemen nur auf Flirts und sexuelle Themen bezogen.
Kate war wirklich schön, obwohl es ihr nicht bewusst war. Ihre langen Haare glänzten im Sonnenlicht leicht golden. Ihre grünen Augen waren groß und strahlten, wenn sie lachte. Und ihre Figur war nahe zu perfekt. Sie war schlank und hatte an den richtigen Stellen weibliche Rundungen. Doch leider hatte Kate oft ihren Körper in weite T-Shirts und weite Hosen versteckt. Und genau das wollte Pat jetzt ändern. Sie konnte so ein junges hübsches Ding nicht länger in diesen Säcken sehen.
In der Hand hielt sie ein eng anliegendes Oberteil und betrachtete es kritisch. Das würde Kates Taile sicher wunderbar zur Geltung bringen.
“Hier, probiere das hier mal an.” Unsicher sah Kate auf das Oberteil.
“Findest du nicht, dass es etwas zu gewagt ist?” Kate sah ihr Tante zweifelnd an.
“Nein wieso, du bist eine junge hübsche Frau von 23 Jahren und keine 50. Du solltest endlich aufhören dich in eine graue Maus zu packen. Du kannst dir das leisten. Deine Figur ist wie geschaffen für das Oberteil.”
Kate wusste, dass sie so gut wie keine Chance hatte, deshalb nahm sie den Bügel und ging in die Umkleide. Als sie wieder raus kam und sich ihrer Tante zeigte, sagte diese nur: “Perfekt!” Und damit war das Oberteil beschlossene Sache. Es folgten zwei modisch total angesagte Jeans, ein tief ausgeschnittenes Abendkleid, wobei Kate keine Ahnung hatte, wann sie so etwas anziehen sollte. Pat sorgte nur dafür, dass es keine gewöhnlich gelb-gummierte Jacke war, sondern schon modischer.
“Na gut, aber ich glaube ich habe jetzt genug neu Sachen, Tante Pat.”
Kate musste ihre Tante stoppen, sonst würde sie am Ende noch mit aufreizender Unterwäsche nachhause gehen. Pat stand schon an der Kasse an, als Kate mit dem letzten anprobierten Kleidungsstück zu ihr kam.
“Hier!” Sie nahm ihre Geldbörse aus ihrer Handtasche und wollte Pat Geld geben.
“Das kommt überhaupt nicht in Frage,” wehrte Pat ab. Mit einem sehr strengen Blick sah sie Kate in die Augen.
“Nein Tantchen, Du und Phil, ihr habt schon so viel für mich getan. Bitte lass mich das selbst bezahlen. Bitte …!”
Langsam verschwand der strenge Blick und Pat`s Augen wurden wieder gütig und warm.
“In Ordnung! Hast du auch so einen Hunger?” Erleichtert, dass sie nun doch den Kampf des Bezahlens gewonnen hatte, nickte sie und spürte wirklich Hunger.
Bepackt mit hunderten von Tüten gingen sie zum Auto, um alles zu verstauen. Eine gewisse Armfreiheit beim Essen wäre ganz praktisch.
Das Restaurant war in der gleichen Straße, deshalb ließen sie das Auto stehen. Um die Mittagszeit hatten sich schon einige hungrige Gäste eingefunden. Pat ging zielstrebig an den letzten Tisch am Fenster. Als sie die Speisekarte zu klappte, weil sie sich schon für ein Gericht entschieden hatte, sah Kate an einem etwas ruhigeren Ecke des Raumes eine junge Frau. Sie saß dort allein und wartete offensichtlich auf jemanden. Noch nie hatte Kate eine so schöne Frau gesehen. Ihre Haut war blass und wirkte fast wie Porzellan. Sie sah aus, wie ein Top-Model, das gerade aus irgendeiner Modezeitschrift gefallen war. Regungslos, wie eine Puppe, saß sie dort und sah aus dem Fenster. Sie schien von einer außergewöhnlichen Eleganz. Kate starrte wie gebannt auf sie.
Dann wurde ihre Aufmerksamkeit durch den Kellner, der nun an ihrem Tisch stand, unterbrochen. Auch Pat hatte sich nun entschieden. Sie hatten beide schon ihre Bestellung aufgegeben, als Pat auffiel, das ihre Handtasche im Auto vergessen hatte.
“Wärst du so nett und würdest sie mir rasch holen?” Mit einem Lächeln stand Kate auf und ging zum Auto. Schnell hatte sie die Handtasche zwischen den ganzen Einkaufstüten gefunden und lief wieder in das Restaurant. Als sie gerade das Restaurant betreten wollte, stolperte sie über eine Teppichwelle, die sie übersehen hatte. Sie konnte sich nicht mehr halten und machte sich auf den härteren Aufprall auf dem Boden gefasst.
Sie hatte die Augen geschlossen, doch irgendetwas hielt sie. Verwundert öffnete sie ihre Augen. Noch niemals sah sie in solch geheimnisvolle Augen. In ihnen flackert sich flüssiges Gold. Sie waren warm und unergründlich. Die Tasche prallte zu Boden und natürlich lag der Inhalt auf dem Boden verteilt. Doch das nahm Kate nicht wahr. Sie war gefangen in dem Blick, der sie nicht los ließ. Langsam spürte sie eine leichte kühle Berührung. Sie war hart, aber gleichzeitig angenehm. Es waren die Hände, die sie gehalten hatten, um nicht zu fallen. Immer noch starrte Kate in die Augen. Doch langsam kam das Gefühl für ihren eigenen Körper zurück und sie stand auf, ohne den Blick von den Augen zu lassen, die sie immer noch gefangen hielten.
“Weh getan?” hörte sie eine Stimme sie fragen. Sie brachte kein Wort heraus. Sie hatte ihre eigene Stimme irgendwo in diese Augen verloren.
Sekunden später, als sie es endlich geschafft hatte sich aus dessen Blick zu lösen, fiel ihr die Tasche wieder ein.
“Nein, ” brachte sie dann doch flüsternd und heißer hervor. Schnell sammelte sie alle Gegenstände, die auf dem Boden verteilt waren, ein. Kate war ein wenig durcheinander und sie musste versuchen sich zu beruhigen. Immer noch spürte sie diese Augen auf sich ruhen, und wieder einmal stieg ihr das Blut in die Wangen.
Sie wollte unbedingt verhindern, dass sie wieder in diese Augen starrte. Es war ihr peinlich. Schnell packte sie mit zittrigen Fingern die letzten Dinge ein und stand auf.
Er war groß. Sie musste zu ihm aufschauen. Immer noch sah er sie an, doch jetzt waren seine Augen anders. Das Gold war verschwunden, oder hatte sie sich das nur eingebildet. Seine Haut war genauso blass, wie das der jungen Frau, die sie vorher gesehen hatte.
Er wirkte sehr maskulin und sehr männlich. Sein dunkles Haar, lag ihm in strähnig im Gesicht. Seine Schultern waren breit. Unter seinem Hemd zeichneten sich die Konturen, seiner Muskeln ab. Er war sehr attraktiv und sehr gut aussehend. Kate drängten sich sofort Bilder, der schönen jungen Dame in den Kopf, die nicht weit allein an einem Tisch saß. Zusammen sahen sie perfekt aus. Beide so unbeschreiblich gut aussehend. Immer noch spürte Kate seine Berührung auf ihren Armen, dort wo er sie gehalten hatte.
“Danke,” sagte sie schnell tonlos und zwang sich an ihren Tisch zurück zu gehen. Diese ganze Sache war ihr so peinlich. Aufgewühlt kam sie wieder bei ihrer Tante an und setzte sich und gab Pat die Tasche.
“Ich bin gestolpert und … es ist alles raus gefallen.”
Jetzt musste sie sich schnell zusammen reißen, damit Pat nicht merkte wie durcheinander sie war. Zum Glück kam gerade der Kellner und brachte ihre Bestellungen. Der Hunger war Kate gerade abhanden gekommen. Aber das Essen würde sie ablenken. Gedankenverloren stocherte sie in ihrem Salat. Immer wieder sah sie vor ihrem geistigen Auge diesen Mann. Sie zwang sich an etwas anderes zu denken und versuchte Pat, die ihr irgendetwas erzählte, zu zuhören. Aber mit der Konzentration war es dahin. Immer noch fühlte sie seine Berührung auf ihrem Arm. Es war seltsam. Sie hatte das Gefühl, das jeder in dem Restaurant ihr Missgeschick gesehen hatte. Deshalb dachte sie, das jeder sie beobachtete.
Unauffällig ging Kate mit ihren Augen alle Tische durch. Und auch das musste sie sich eingebildet haben, denn alles schien normal.
Dann blieb ihr Blick regungslos an dem Tisch hängen, an dem die schöne junge Frau saß. Jetzt wusste sie, warum sie sich beobachtet fühlte. Er saß da und starrte sie ausdruckslos an. Sofort begann ihr Herz schneller zu schlagen.
“Wer ist das?” Pat sah auf und verstand erst gar nicht, wenn Kate meinte. Dann folgte sie Kates Blick und begriff.
“Das sind Darren und Liliana Noir.”
Darren wurde von Liliana offenbar in ein Gespräch verwickelt und wand den Blick nun von Kate wieder ab. Pat bemerkte das Interesse von Kate und erzählte weiter.
“Sie leben mit ihren Eltern schon lange hier. Sie wohnen etwas abseits der Stadt. Sein Vater, oder besser sein Adoptivvater, James Noir ist Arzt hier in der Stadt.”
Kate sah immer noch zu ihnen.
“Sie sehen gut aus, stimmt`s?” fragte Pat und grinste leicht.
„Wie Hollywoodstars.“
sie sind sehe angesehene Leute in Pleasentview. Ich kenne keine Frau hier, die nicht von ihrem Vater schwärmt.“ kicherte Pat.
Pat hatte offenbar nichts von dem Durcheinander in Kates Körper bemerkt. Sie aßen zu ende und machten sich auf den Nachhauseweg. Beim Verlassen des Restaurants sah sie noch einmal zu ihm und errötete sofort, als sie bemerkte, das dieser Darren ihren Blick erwiderte. Er lächelte leicht spöttisch. Und das machte Kate irgendwie wütend. Schnell sah Kate weg, und versuchte ihr Rotwerden zu verbergen. Dann verließ sie fluchtartig das Restaurant.

“Endlich zuhause”, dachte Kate. Sie nahm alle Tüten mit ins Haus. Schnell ging sie in ihr Zimmer und lies sich erst mal ein Bad ein. Sie wollte sich auf den Blumenladen konzentrieren und sich überlegen, wie sie Tante Pat und Onkel Phil überreden konnte, den Laden zu renovieren.
Das war für sie immer noch die Beste Lösung. Und sie wollte es wirklich, vor allem weil sie glaubte, dass sie Erfolg haben könnten.
Nachdem Kate mehr als eine Stunde so ihren Gedanken nach ging, war sie an Händen und Füßen schon so schrumpelig. Es wurde Zeit aus der Wanne zu gehen.
Jeff kam gerade in ihr Zimmer, als sie fertig war.
“Gutes Timing!“ lachte sie.
„Hi! Wie war dein Tag?” fragte Jeff und setzte sich wie immer auf ihr Bett. Kate die noch immer damit beschäftigt war, ihre Klamotten in den Schrank zu räumen sagte: „Ganz gut, ich war heute mit deiner Mutter einkaufen.”
“Ja, ich hab schon gehört, zeig mal deine neuen Sachen.”
“Vergiss es, ich werde keine Modenschau für dich machen!”
Enttäuscht runzelte er seine Stirn und verzog seinen Mund zu einer beleidigten Schnute. Kate lachte laut, als sie sein Gesicht sah.
„Das wirst du schon früh genug sehen. Irgendwann muss ich die Sachen ja auch tragen.” Jetzt legte Jeff sich auf ihr Bett und verschränkte seine Arme.
“Ach übrigens, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich! Welche willst du zuerst hören?” Kate blieb stehen und mit einem mal hatte er sie sehr neugierig gemacht.
“Die Gute bitte Zuerst!”
“O.K.” begann er, “ ich habe heute, als du und meine Mutter unterwegs wart, mit meinem Vater gesprochen.”
Kate konnte es nicht glauben, dass Jeff das Gespräch schon so schnell geführt hatte.
„Ich dachte du wolltest auf eine günstige Gelegenheit warten?” fragte Kate.
„Ja, und es war auch sehr günstig. Du und meine Mom, ihr ward nicht da. Also wann dann?
Jedenfalls hast du Recht gehabt, meine Mutter kann den Blumenladen nicht mehr lange halten, wenn sich ihre Geschäfte nicht bald verbessern.”
Traurig setzte Kate sich zu Jeff aufs Bett.
“Also, mein Vater findet deine Idee ganz gut, und ich habe ihn auch soweit überreden können, dass er uns unterstützt, wenn wir mit ihr sprechen. Dann steht es drei gegen eins, sie wird bestimmt nicht mehr so leicht nein sagen können.” Kate staunte.
„Und die schlechte Nachricht,” wollte sie wissen.
“Die schlechte Nachricht ist eigentlich keine schlechte. Viel eher … nur für ..dich. Ich weiß, das du nervös sein wirst, wenn du Pat deinen Vorschlag unterbreitest.”
„Wieso?” fragte Kate.
„Weil du es ihr nach dem Essen sagen wirst,” sagte Jeff unverblümt.
„Was? Nein! Nicht heute Abend! Ich muss mir erst überlegen, wie ich das machen werde. Ich… brauche noch Zeit,” stammelte sie.
Jetzt war Kate überfordert. Gestern hatte sie sich noch vorgestellt, dass sie bei dem Gespräch genau wissen würde, was sie sagen sollte, weil sie vielleicht auch vorher geübt hatte. Jedenfalls wollte sie die bestmöglichen Argumente so formulieren, dass es Tante Pat sehr leicht fallen würde, nein zu sagen. Aber so, würde es sich mehr als schwierig werden. Ihre Schultern verkrampften sich und Jeff sah ihr das auch sofort an.
Langsam zog er sie zu sich, so dass sie ihren Kopf auf seine Brust legen konnte.
“Mach dir keine Sorgen, du wirst es schon richtig machen. Phil und ich sind ja auch noch da. Ich habe versprochen dich zu unterstützen.”
Er streichelte ihren Arm und sprach sehr sanft. Kate hatte ihre Augen geschlossen und hörte den gleichmäßigen Takt sein Herz schlagen.
“Ich weiß dass du mir helfen wirst, aber trotzdem macht mich die Vorstellung nervös. Deine Mutter kann sehr stur und unnachgiebig sein.”
“Ja, ich weiß,” sagte er und genoss es Kate im Arm zu halten. Er würde ihr helfen. Und auch seiner Mutter. Er fand, dass es eine gute Sache war. Alles würde er tun, damit Kate nicht so schnell wieder weg gehen konnte.
“Essen!” hörten sie Pat`s Stimme.

Kate versuchte das Abendessen so lange wie möglich heraus zuziehen. Ständig war sie bemüht den Teller von Jeff, Phil und Pat zu füllen. Jeff musste einmal sogar laut lachen, über Kates Nervosität.
Als keiner mehr sich etwas von Kate auf den Teller füllen lies, weil alle einfach mehr als satt waren, fragte Kate nach einem Nachtisch. Ausgerechnet sie, die nie Nachtisch aß.
„Was will keiner? Ich geh schnell in die Küche und mache welchen!” hatte Kate gesagt und wollte schnell aufstehen.
“Kate!” hatte Jeff sie ermahnt, so dass sie augenblicklich still war und sich wieder auf ihren Stuhl setzte.
“Kann mir mal einer erklären, was hier eigentlich los ist?” fragte Pat und sah nacheinander fragend in alle Gesichter. Jeff konnte sich sein Grinsen nicht unterdrücken und Phil schmunzelte.
Alle schwiegen.
„Na, toll!” dachte Kate, war das die versprochene Hilfe? Vielen Dank auch!” Verzweifelt versuchte sie den Anfang zu finden, aber es gelang ihr nicht. Dann endlich räusperte sich Onkel Phil.
“Also Pat, Kate hat eine tolle Idee, und möchte dir ein Geschäft vorschlagen.”
Mit seiner linken Hand, nahm er die rechte Hand seiner Frau.
“Lass sie ausreden und hör ihr gut zu.” hatte er noch nachdrücklich gesagt. Nun sahen alle auf Kate, die jetzt noch weniger wusste, wie sie das Thema anfangen sollte.
“Also, … ich …aähm ...! Es ist nicht so leicht für mich. Ich… will dich nicht..verletzen.”
Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
“Jetzt spann mich nicht so auf die Folter, Kate!” sagte ihre Tante.
“O.K., ist ja gut. Also: Ich weiß, du machst nicht viel Umsatz mit dem Blumenladen. Und ich glaube, ich weiß auch warum das so ist.” begann Kate vorsichtig.
“So, weißt du das!” sagte Pat etwas zu hart. In ihrer Stimme schwang ein Unterton mit, der Kate noch mehr verunsicherte.
„Der Laden sieht noch genauso aus wie vor zwanzig Jahren und nichts hat sich … weiter entwickelt.” Sie schluckte. „Und ich möchte auf keinen Fall, das du deinen Laden verlierst. Ich weiß wie sehr du an ihm hängst.”
Jetzt sah sie fragend zu Phil, in der Hoffnung, er würde seiner Frau nochmals die finanzielle Lage ins Gedächtnis rufen. Er verstand den Blick und sprach sachlich und ruhig weiter.
“Was hast du für eine Idee, Kate, die mir helfen kann?” fragte Pat und sah sie fragend an.
“Ich glaube, wenn wir den Laden renovieren und ihn wieder etwas aufpeppen, dann hätten wir eine
Chance wieder Konkurrenzfähig zu sein. Wir überlegen uns ein neues Konzept. Wir müssen den Laden für deine Kunden wieder attraktiver machen.”
Bei den Worten sprühte Kate vor Energie. Pat war sprachlos.
“Was ging den nur in diesem hübschen Kopf vor sich?” fragte Pat sich. Hatte Kate den keine Ahnung, was das alles kosten würde?
„Ich bin dir ja dankbar, dass du dir meinen Kopf zerbrichst, aber vielleicht kannst du mir sagen, woher ich so viel Geld nehmen soll?” fragte Pat.
Kate antwortete nicht auf diese Frage. Pat würde in ein paar Sekunden selbst darauf kommen. Und genau so war es. Am Esstisch war es so ruhig geworden, man hörte nur den Sekundenzeiger der Uhr an der Wand.
„Nein, oh nein!” sagte Pat und schüttelte zur Unterstützung noch den Kopf.
“Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage. Alle sprachen jetzt durcheinander auf Pat ein. Den allen bis auf Pat war klar, das sie den geliebten Laden verlieren würde, wenn sie nichts dagegen unternahm.
Kate war still geworden und überließ das Schlachtfeld Jeff und Phil. Sie redeten mit Engelszungen auf Pat ein. Sprachen alle Möglichkeiten, die Pat noch haben würden, durch. Sie verwiesen sie auf die Vorteile, die sie dadurch hatte.
Pat hatte sich alles angehört. Zum einen: Sie wusste, dass ihre Familie im Recht war, aber was niemand wusste, das sie gebunden war. Ihr Verantwortungsbewusstsein war groß, so hatte sie auch Schwierigkeiten Geld von einem jungen Mädchen anzunehmen. Eigentlich war sie die diejenige, die Kate helfen und ein neues zuhause geben wollte. Sie wollte Kate Sicherheit und Halt geben, und nicht ihr Geld nehmen, um ihre eigene Haut zu retten.
Aber, und das wusste niemand, hatte sie ein Versprechen gegeben, das ihr wichtig war und sie war fest entschlossen, es zu halten. Natürlich liebte sie ihren Laden und wollte ihr Lebenswerk behalten. Gott weiß sie würde fast alles dafür tun. Aber so? Es machte Pat wütend, dass ihr die Hände gebunden waren. Sie hatten alle Recht, aber es ging einfach nicht.
Tränen stiegen ihr auf, die sie nicht länger zurückhalten konnte. Dann waren alle Stimmen, die auf Pat eingeredet hatten still.
“Ich kann dein Geld nicht annehmen, Kate. Ich würde dich sofort zu meiner Partnerin machen, wenn ich wüsste, dass das der richtige Weg für dich wäre. Aber ich bin an ein Versprechen gebunden, das ich deiner Mutter, kurz vor ihrem Tod, gegeben habe.”
Bei diesen Worten durchfuhr Kate ein Stich ins Herz.
“Deine Mutter hat das Geld für dich, jahrelang zusammen gespart. Sie wollte, dass du das Geld für ein Studium verwendest. Ich musste ihr versprechen, dass ich dafür sorge. Ich sollte dafür Sorgen, das du nach ihrem Tod zu uns ziehst, bis du stark genug wärst, dein Leben selbstständig in die Hand zu nehmen. Das war ihr so wichtig. Ich war ihre beste Freundin Kate, sie machte sich große Sorgen um dich und konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du allein in Portland bleiben würdest. Für mich war es das einzige, was ich noch für sie tun konnte.
Kate, du weißt, wie sehr Phil und ich dich lieben, wir hatten dich auch zu uns nehmen wollen, ohne dieses Versprechen, das ich deiner Mutter gab. ….Kannst du mich nun ein wenig verstehen?” beendete Pat ihre kleine Rede. Die Tränen rannten jetzt auch Kate über die Wangen. Sie musste sich schon sehr anstrengen, beim Thema zu bleiben. Aber als sie gehört hatte, wie unerträglich es für ihre Mutter war, ihr Kind allein zulassen, war es Kate sehr schwer ums Herz geworden. Natürlich konnte sie Pat`s Gründe verstehen. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie sich so etwas auch gedacht.
Krampfhaft schluckte Kate ihren Schmerz hinunter und suchte nach den richtigen Worten.
“Ich verstehe dich, Tante Pat. Ich hab mit Mama oft darüber gesprochen, dass ich jetzt noch nicht zur Uni gehen wollte. Und das will ich auch jetzt noch nicht, weil ich ehrlich gesagt nicht weiß, was ich studieren will. Ich wollte schon immer im Floristik-Bereich etwas tun. Das hab ich ja auch getan, bis sie krank wurde und ich die Arbeit dann aufgab, um bei ihr zu bleiben.”
Still sahen sich beide Frauen an.
“Wie wäre es, wenn ich dir das Geld leihe, bis du soweit über dem Berg bist, du zahlst es mir dann irgendwann zurück. Und bis dahin überlege ich, auf welche Uni ich einmal gehen möchte und was ich studiere. Dann kannst du dein Versprechen halten und ich fühle mich besser, weil ich
weiß, dass du deinen Traum behalten kannst.”
“Das wäre doch eine Möglichkeit,” sagte Phil. Pat rang mit sich.
“Das wäre vielleicht ein Jahr, oder vielleicht auch zwei,” sagte Kate.
“Ja, und was ist, wenn dein Konzept nicht aufgeht, Kate? Dann ist dein Geld weg und der Laden auch!” wollte Pat wissen.
“Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich weiß dass wir Erfolg haben werden. Vertrau mir.”
Kate wusste, dass ihre Tante mit sich kämpfte. Aber es würde sich lohnen. Sie war sich sicher, dass es nicht schlimmer kommen konnte, wie es ohnehin schon war. Sie hatte nicht die großen Erfahrungen, aber mit dem Fachwissen ihre Tante und Kates Kreativität würden sie es schaffen. Davon war sie überzeugt. Jeff lächelte ihr Siegessicher zu und dann wusste Kate, dass sie gewonnen hatte.
Kate konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Unruhig wühlte sie sich von einer Seite zur nächsten. Irgendwann mitten in der Nacht schlief sie dann doch ein. Aber sie träumte Darren Noir mit den goldenen Augen. Sein Blick lies sie einfach nicht los. Im Traum suchte sie ihn überall. Und fand ihn nicht, sie brauchte diese warmen Augen, die eine innere Ruhe in ihr auslöste. Verzweifelt versuchte sie ihn zu finden, stattdessen blieb alles um sie herum dunkel….Dann wachte sie auf. Durcheinander und aufgewühlt von ihrem Traum, schaltete sie ihr Nachtlicht ein. Dann legte sie sich wieder hin. Was hatte dieses Chaos in ihrem inneren zu bedeuten? Diese Frage würde ihr nicht beantwortet werden. Und schon gar nicht in dieser Nacht.
Dann fiel sie in einen tiefen Schlaf und wachte erst auf, als die Sonne schon hoch am Himmel stand.
Ungläubig, das die Sonne wirklich schon so lange schien, sprang sie aus dem Bett zum Fenster und betrachtete den Himmel. Er war blau. Nur wenige Wolken zogen sich über ihn.


Kapitel 6
Die Eröffnung und ein Angebot

Als sie runter kam, saßen alle auf der Terrasse. Peter und Tanja waren gekommen.
„Guten Morgen!” sagte Kate und streckte sich noch einmal.
„Na, du Langschläferin hast du Hunger?” lachte Pat sie an.
„Eine Tasse Kaffee wäre nicht schlecht”, antwortete sie und setzte sich zu den anderen an den Tisch. Natürlich waren sie schon viel früher aufgewacht und hatten schon gefrühstückt. Sie schwatzten alle fröhlich weiter. Heute war Sonntag, fiel Kate überlegte, ob sie etwas unternehmen konnten? Pat brachte ihr den Kaffee, den sie mit ihren Händen umklammerte. In der Sonne war es zwar warm, aber es war trotzdem kühl und lies ihre Haut frösteln.
„Also Jeff und Peter, seit ihr dann soweit? Ich möchte heute Abend fertig sein!” fragte Phil und sah verschwörerisch zu seinen Söhnen.
„Was macht ihr den?” wollte Kate wissen.
„Och, … sie müssen nur am Haus etwas ausbessern!“ antwortete Pat schnell. Dann waren die drei Männer verschwunden. Es waren nur noch Tanja Pat und Kate am Tisch auf der Terrasse.
„So, ich muss dann auch mal wieder weiter.” sagte Tanja und erhob sich. Langsam kam das Kate alles ein wenig komisch vor. Die Männer arbeiteten an ihrem freien Sonntag, noch dazu bei schönem Wetter?
Als Tanja sich verabschiedet hatte, kam Pat und setzte sich zu ihr. Schweigend sahen sie sich eine Weile in die Augen.
Pat begann als erste das Schweigen zu brechen: “Du siehst müde aus, hast bestimmt genauso wenig geschlafen wie ich heute Nacht!”
Mit der Hand strich sie Kate über die Wangen.
„Ich hab mich entschieden, dein Angebot anzunehmen, Kate. Du leihst mir das Geld für ein Jahr und ich werde dir alles zurück zahlen. Und du hast Zeit, darüber nachzudenken, was du mit deinem Leben machen möchtest.”
„Oh, Tante Pat, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel mir das Bedeutet!” sagte Kate und nahm ihre Tante fest in die Arme.
„Ein Jahr geht schnell vorbei, deshalb sollten wir anfangen und uns Gedanken machen, was wir alles verändern wollen.” sagte Kate und löste sich aus der Umarmung. Jetzt konnte Kate es nicht erwarten, bis sie sich in die Arbeit werfen konnte.
„Komm, lass uns am besten gleich damit anfangen!” Kate hatte nun Feuer gefangen und war nicht mehr zu bremsen. Sie fuhren am Nachmittag in den Laden. Pat hatte einen großen Notizblock mitgenommen, um alle Idee aufzuschreiben. Als erstes beschlossen sie den Laden für ungefähr zwei
Wochen zu schließen, um die Wiedergeburt des kleinen Blumenladens zu vollbringen.
Kate zeigte ihrer Tante, wie man originelle und modische Blumensträuße und Gestecke kreierte, wie man mit den Farben spielte. Spät am Abend kamen sie erst nachhause.

Feierlich standen Jeff, Peter, und Phil im Flur und warteten auf Kate.
„Wir haben eine Überraschung für dich, Kate!” sagte Phil und freute sich wie ein kleines Kind, das seinen Eltern etwas gebastelt hatte. Sie standen alle vor Peters altes Zimmer. Kate zog ihre Stirn in Falten und sah zu Jeff, der ihr mit einer Kopfbewegung zu nickte, sie solle die Tür zu Peters Zimmer öffnen. Sie öffnete langsam die Tür.
Was vorher ein typisches Jungendzimmer war, war jetzt ein typisches Mädchenzimmer geworden. Phil hatte das Zimmer zart gelb gestrichen und eingerichtet. Das Zimmer war hell und freundlich eingerichtet. Und es hatte sogar auch einen kleinen Balkon. Es war das einzige Zimmer, dass das hatte. Über ihrem großen Bett hing ein weißer Baldachin, der sie vor Insekten oder Stechtiere schützen sollte. Alles war passend. Sie hatten sogar an einen Schreibtisch gedacht, auf dem schon ihre persönlichen Gegenstände ihren Platz gefunden hatten. Ein Bücherregal und einen Schrank mit Spiegel waren neu, die kannte sie nicht. Kerzen und Windlichter standen auf zwei kleinere Regale. Kate war so begeistert davon, dass sie sprachlos und mit halb offenem Mund Phil in die Arme flog. „Gefällt es dir?” wollte er wissen.
„Ob es mir gefällt? Es ist einfach wunderschön, fast wie im Märchen. Ich kann es gar nicht glauben. Vielen Dank!”
Begeistert nahm sie Pat, Peter und natürlich Jeff nacheinander in die Arme und bedankte sich bei ihnen. Das Zimmer war mit sehr viel liebe wieder hergerichtet worden. Das spürte man sofort, wenn man das Zimmer betrat. Sie liebte es. Kate spürte seit langer Zeit Glück. Noch vor ein paar Wochen konnte sie sich nicht vorstellen, in diesem Jahr überhaupt solche Gefühle zu zulassen. Sie hatte ein eigenes Zimmer, war ein Teil dieser Familie und konnte sich im Blumenladen kreativ austoben.
In dieser Nacht schlief sie ohne zu träumen. Sie war total erschöpft gewesen und ihr Körper forderte nun seinen Tribut.
Gleich am Montagmorgen bestellte Pat die Maler. Kate räumte den Laden aus und sortierte gleich alles aus. Zwischenzeitlich nahm sie sich die Regale vor. Sie wollte aus alt neu machen.
Im Großhandel ergatternden sie einige Accessoires, mit den Kate wundervolle Dekoration zauberte.
Es war mehr Arbeit, als Kate gedacht hatte und sie ging völlig erschöpft Abends ins Bett. So erschöpft sie auch war, fast jede Nacht träumte sie von Darren Noir. Sie suchte ihn noch immer jede Nacht. Ihr Unterbewusstsein war immer noch mit seinen Augen beschäftigt.
Tagsüber verausgabte Kate sich und Pat kam fast nicht hinterher alle Ideen von Kate aufzulisten. Pat suchte neue Händler und versuchte mit der Hilfe von Jeff neue Preise und Vereinbarungen zu treffen. Manchmal blieben Passanten neugierig vor dem Schaufenster stehen. Natürlich blieb die Renovierung nicht lange ein Geheimnis. Und lange musste man nicht auf die Gerüchteküche warten. Aber das war Kate egal. Sie glaubte, dass es für den Laden ja nicht besser sein könnte, denn Gerüchte machten Menschen neugierig.
Sie gaben in der Stadtzeitung eine Annonce auf und teilten mit, wann die Wiedereröffnung statt finden konnte. Für das Schaufenster hatte Kate sich überlegt zu dem Thema Hochzeit etwas zu kreieren. Sie hatte von ihren Arbeiten immer Fotos gemacht, die sie jetzt in einem Album steckte und beschriftete.
Pat war einfach überwältigt von Kates Liebe zum Detail und ihrer Energie.
Innerhalb von zwei Wochen war der Laden nicht wieder zuerkennen. Er war hell, modern, klar in der Struktur und trotzdem strahlte er zeitlose elegant aus. Er hatte für den großen und kleinen Geldbeutel etwas zu bieten. Pat und Kate waren stolz, und voller Neugier. Würde der Laden eine Chance haben?
Dann war es soweit, der neue Laden wurde eröffnet. Kate hatte sich bestimmt dreimal an diesem
Morgen umgezogen. Sie war unruhig. Sie wünschte sich so sehr den Erfolg, den ihre Tante jetzt unbedingt brauchte. Sie hatte es im Bett einfach nicht mehr länger ausgehalten. Und Pat ging es genauso. Es war ein kleiner Sektempfang geplant und waren Gäste eingeladen.
Es war ende Februar und der Frühling stand vor der Tür. Auch wenn es in Pleasentview mehr schlechtes Wetter gab, als sonst irgendwo, waren Blumen in ihren intensiven Farben, genau dass, was die grauen Seelen von Pleasentview brauchten.
Vor dem Laden hatten auch ein neuer Name und ein neues Logo einen sichtbaren Platz gefunden, alles war in den Startlöchern.
Um neun Uhr kamen die ersten Neugierige und Pat platzte förmlich vor stolz, als die ersten Komplimente und Glückwünsche kamen. Jetzt war es Pat, die in ihrem Element steckte. Der Laden wurde immer voller. Es war wie eine kleine Party. Kate wurde den zukünftigen Kunden als kreatives Genie vorgestellt, was Kate immer wieder erröten lies.
Sie stand gerade hinter der Kasse und sah dem Treiben zu, als sie eine Frau entdeckte, die genauso blass, wie die Noirs Geschwister waren. Auch sie war wunderschön und schien nicht von dieser Welt zu sein. Sie wirkte etwas älter. Kate versuchte ihr Alter zu schätzen, doch ihre makellose marmorartige Haut lies das nicht zu. Ihr Gesicht war freundlich. Sie war sehr elegant gekleidet. Ihre blonden Haare waren kunstvoll zu einer Hochsteckfrisur gesteckt. Ihre Art sich zu bewegen und auch ihre ungewöhnliche Art zu gehen, lies viele fremde Blicke auf sich ziehen. Sie schritt wie eine Königin. Kate war sehr beeindruckt.
Pat sprach gerade mit ihr, als sie Kate zu sich winkte. Ihre Tante stellte sie einander vor. Sie reichte Kate ihre Hand, die einen weißen Handschuh trug, nur kurz.
Ihr Name war Katharina Noir.
„Sie scheinen eine künstlerische Ader zu haben, liegt das in ihrer Familie?” fragte sie freundlich. „Nein, ich glaube nicht.” antwortete Kate. Diese Augen! Was war nur mit dieser Familie so anderes? fragte sich Kate. Sie waren nicht nur alle unbeschreiblich schön, sondern auch ganz … Kate fand nicht die richtigen Worte. Sie würde später darüber nachdenken müssen. Es beschäftigte sie ja schließlich auch fast jede Nacht.
„Kate, kommst du mal!” rief Jeff von draußen und winkte ihr.
„Entschuldigen sie mich bitte,” und lächelte Mrs. Noir freundlich und ging zu Jeff.
„Eine sehr außergewöhnliche junge Dame!” sagte Mrs. Noir und sah Kate hinterher.
„Ja, das ist sie!“ sagte Pat und Kate nach.
„Solche Schätze findet man nicht oft, glauben sie mir!” sagte Mrs. Noir. Pat fragte sich, wie Mrs. Noir in so kurzer Zeit so einen tiefen Eindruck von Kate hätte bekommen können.
Sie verwarf den Gedanken aber schnell wieder.
„Also, um ehrlich zu sein, Mrs. Bennet, ich bin her gekommen um mit ihnen ins Geschäft zu kommen.” Jetzt war Pat`s Aufmerksamkeit wieder voll da.
„Mein Mann und ich möchten gern einen Maskenball im März geben. Und dazu brauche ich ihre Hilfe.”
„Selbstverständlich, Mrs. Noir!”
„Wäre es möglich, wenn Sie morgen vielleicht gegen fünf zu uns kommen könnten. Dann können wir alles besprechen. Vielleicht könnten Sie ein paar ihrer Arbeiten mitbringen würden.”
Pat nickte begeistert.
„Ach, und bitte bringen sie Kate mit, ja?” fügte Mrs. Noir noch hinzu.
„Natürlich Mrs. Noir. Wir werden da sein.”
Sie verabschiedete sich von Pat und betrachtete ein cremefarbenes Gesteck von Kate. „Wundervoll!” sagte sie beeindruckt und schritt majestätisch aus dem Laden.
Pat konnte ihr Glück nicht fassen. Schnell suchte sie Kate.
Kate kam gerade wieder in den Laden und schon stand Pat bei ihr.
„Das glaubst du jetzt nicht!“
„Was? Was ist den los?” fragte Kate.
„Mrs. Noir ist ganz hingerissen von dir.”
„Von mir?” fragte Kate ungläubig.
„Sie wollen im März einen Maskenball geben und möchten, dass wir die Dekoration übernehmen. Weißt du was das bedeutet, Kate?”
Kate schüttelte den Kopf.
„Nein!”
„Das ist ein Großauftrag, mein Schatz. Die Noirs sind reich und geben jedes Jahr ein Maskenball und wenn sie mit uns zufrieden sind, vielleicht gehören sie dann zu unseren Stammkunden. Das wäre die perfekte Werbung für uns. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich alle Floristengeschäfte sich einen Schwanz abschneiden würden, für solch einen Auftrag.”
Kate nickte, als sie verstand und freute sich für ihre Tante.
“Morgen haben wir einen Termin bei Ihnen.”
„Wieso wir?“ fragte Kate verblüfft.
„Sie besteht darauf, dass du mitkommst!” betonte Pat es noch einmal und merkte nicht, wie Kates Anspannung zu nahm. Pat war schon in weiteren Gedanken. Sie überlegte, was sie morgen alles mitnehmen sollte. Welche Alben mit Fotos sie wohl Mrs. Noir zeigen konnte. Welche Vorstellungen und besondere Wünsche sie wohl hatte? Wie groß das Fest werden würde? …..
Bei Kate sah das anders aus, zumindest für den Augenblick war das so. Es beunruhigte sie zu wissen, dass es die Möglichkeit gab, Darren über den Weg zu laufen. Wenn sie nur an die erste Begegnung dachte, und was er in ihr auslöste, dann wurde ihr jetzt schon schlecht. Aber vielleicht war er ja gar nicht zuhause. Trotzdem machte allein der Gedanke daran sie nervös.
Sie holte sich ein neues Glas Sekt und musste erst einmal darüber nachdenken. In Kate schlummerte aber auch die Neugier, die sie nicht unterdrücken konnte. Und sie spürte, dass etwas seltsames mit den Noirs los war. Konnte es aber nicht genau sagen. Vielleicht würde sie morgen noch mehr heraus finden. Jetzt wollte sie erst mal darauf konzentrieren, ein gutes Geschäft für ihre Tante abzuschließen.
Ein Maskenball im März hatte Pat zu ihr gesagt. Eigentlich keine allzu schwere Aufgabe. Die Gäste werden alle Kostüme tragen. Alles wird bunt aussehen. Außer der Ball würde unter einem Motto stehen, dann könnte man schon konkreter werden. Sollte nur das Haus innen geschmückt werden? Oder auch der Garten? Falls sie überhaupt einen Garten haben. Sie nahm einen großen Schluck Sekt und versuchte diese Gedanken genauso herunter zu schlucken, wie den Sekt. Sie spürte den Alkohol, wie er langsam seine Wirkung entfaltete.
Insgesamt war die Eröffnungsfeier ein großer Erfolg. Alle Gäste waren begeistert von der Verwandlung, des Laden, den er in kürzester Zeit hinter sich hatte. Natürlich kauften viele der Gäste die Sträuße, Blumen und Gestecke, die Kate gebunden hatte.
Und somit hatte der Laden die ersten größeren Einnahmen gemacht seit Jahren.
Pat war total glücklich und war nun endlich überzeugt von ihrem Erfolg. Sie fühlte sich sicher mit Kate an ihrer Seite. Das Mädchen hatte recht gehabt. Es war höchste Zeit für die Renovierung. Pat hätte wirklich den Laden aufgeben müssen, ohne diese Veränderung. Das war Pat jetzt klar geworden. Ab sofort würde sie auch alles anders machen. Das nahm sie sich fest vor.
Sobald die beiden Frauen die letzten Gäste verabschiedet hatten, schlossen sie den Laden und begannen die Vorbereitungen zu treffen für den morgigen Termin. Phil und Jeff beseitigten in der Zwischenzeit die Spuren der Eröffnungsfeier.
Sie waren ein gutes Team. Pat verstand sofort, wenn Kate eine Idee hatte. Alle Ideen notierten sie sich schnell und würden auf die Wünsche von Mrs. Noir eingehen können.
Zufrieden mit sich und dem vergangen Tag hatte Kate es sich in ihrem Zimmer gemütlich gemacht. In ihrer Musikanlage lief, ihr linkes Bein wippte mit dem Takt der Musik. Sie war gut gelaunt und dachte über den Tag nach.
„Kate, kann ich rein kommen?”
Natürlich, es war Jeff. Er war schon ein wenig traurig, weil Kate in den letzten Tagen wenig Zeit für sie hatte. Abends war Kate oft so erschöpft gewesen, das sie nicht Schach mit ihm gespielt hatte. Aber er verstand es. Wie immer!
„Komm rein!” rief sie Richtung Tür.
Wie immer setzte er sich auf den Rand ihres Bettes. Zufrieden lächelte er Kate an. So wie sie in ihrem Bett lag, sah sie glücklich und zufrieden aus. Und genau das schien seiner Stimmung Hochform zu verleihen.
„War ein toller Tag heute, was?”
„Ja, die ganze Arbeit hat sich gelohnt, wenn man bedenkt, dass wir morgen einen großen Auftrag haben können, wird die nächste Zeit richtig gut.”
Sie grinste. Da war es schon wieder, diesen seltsamen Gesichtsausdruck, den Jeff in letzter Zeit öfters mal hatte, dachte Kate. Das kannte sie an Jeff nicht.
Auf irgendeine Art beunruhigte sie es, weil es an ihm fremd war. Was hatte das zu bedeuten?
Sie setzte sich auf und strich mit der Hand über seine Wange.
„Ist alles in Ordnung?” Bei der Berührung schloss er seine Augen. Eine kleine Falte zeichnete sich auf Kate´s Stirn ab und jetzt machte sie sich noch mehr Sorgen.
„Jeff, was ist los?”
„Es ist nichts, wir haben wenig Zeit gehabt und werden bald noch weniger Zeit haben.” sagte er und sah Kate traurig an.
„Ach, mach nicht so ein Gesicht. Ich verspreche, ich werde abends mehr Zeit.”
„Das ist es nicht Kate, ich …. werde für ein paar Wochen … nicht hier sein.” Kate sah ihn fragend an.
„Wo gehst du hin?”
„Ich gehe für mehrere Wochen nach Amerika, ich gehe ..geschäftlich, Kate. Das war schon vor 6 Monaten geplant.”
„Wie viele Wochen?” fragte Kate kurz.
„Das weiß ich nicht, das kommt auf den Erfolg an den, ich habe. Aber vier bis fünf Wochen werden es mindestens sein.”
Kate verstand seine Traurigkeit.
„Ich werde dich vermissen, Jeff!” sagte sie und schlug ihre Arme um seinen Hals.
„Ja?” fragte er und sah sie wieder mit diesen seltsamen Blick an.
„Ja natürlich!” Sie sahen sich beide tief in die Augen und plötzlich verstand Kate was dieser seltsame Blick zu bedeuten hatte. Bevor sie reagieren konnte, hatte Jeff seine Lippen auf ihre gelegt und küsste sie. Zuerst lies sie den Kuss zu, weil sie so überrascht war und damit nicht gerechnet hatte. Doch schon nach ein paar Sekunden verkrampfte sie sich und drehte ihren Kopf leicht auf seine Schultern.
„Tu das nicht, Jeff!”
Ein kurzer Augenblick sagten beide kein Wort. Kate hatte sich aus der Umarmung befreit und war nun vom Bett aufgestanden. Ihr war nun klar, was mit ihm los war. Und das schmerzte sie.
„Kate,... ich ….!”
„Bitte Jeff, tu das nicht, du bist wie mein Bruder!”
„Nein, das bin ich nicht!” warf er etwas trotzig ein.
„Warum ist das für dich so abwegig? Wir sind keine Kinder mehr, Kate.” sagte er und stand ihr jetzt gegenüber. Er versuchte ihr in die Augen zu sehen, die er schon sein Leben lang kannte. Doch Kate wich seinem Blick aus und das verletzte ihn.
„Bitte, es macht alles kaputt.”
„Aber so fühle ich nun mal und das schon einige Zeit.”
„Aber ich will nicht, dass du so fühlst, du bist mein bester Freund. Wenn ich gewusst hätte, wie schwer das für dich ist, dann ….” sie konnte nicht weiter sprechen, so groß war der Kloß plötzlich, den sie im Hals spürte.
„Dann was, Kate?” fragte Jeff. Sie versuchte ihm in seine Augen zu sehen, senkte dann aber doch ihren Blick bevor sie sagte: “Die Zärtlichkeiten, die wir ausgetauscht hatten waren freundschaftlich. Ich wusste nicht dass … deine Gefühle anders sind als … meine. Es tut mir so leid. Ich habe Angst dich dadurch zu verlieren, Jeff. Ich brauche dich, verstehst du mich?”
Jetzt nach dem ihre Worte einfach aus ihrem Mund heraus gesprudelt waren, schaffte sie es ihn anzusehen.
„Verzeih, ich hab dich damit überrumpelt und hab dabei nur an mich gedacht.” sagte Jeff und meinte es wirklich. In seinem Gesichtsausdruck lagen jetzt Sorgenfalten.
„Bitte verzeih mir, Kate.”
Er breitete seine Arme aus und Kate legte sich gerne hinein. Ein paar Minuten vergingen ehe er sich aus der Umarmung löste und schweigend das Zimmer verließ.
Still und leise legte sie sich in ihr Bett und zog die Decke bis zum Kinn hoch. Die Nacht war Sternen klar und es war Vollmond. Das Licht des Mondes strahlte ihr ins Gesicht. Schweigend sah sie vom Bett aus, aus ihrem Fenster. Warum hatte sie diese Entwicklung von Jeffs Gefühlen nicht bemerkt. Sie wollte so eine Entwicklung nicht, das könnte alles zerstören, was sie verband. Sie liebte ihn, ja, sie liebte ihn sogar sehr. Aber Kate begehrte ihn nicht. Solche Gedanken waren ihr bei Jeff noch nie in den Sinn gekommen. Und sie wusste auch warum: er war ihr bester Freund, er kannte sie genau, sie waren wie Bruder und Schwester.
Diese ganze Sache würde schwer werden, wenn er sich nicht wieder beruhigen würde. Vielleicht bildet er sich das alles nur ein. Vielleicht wünscht er sich eine Liebesbeziehung. Aber wenn Kate sich mit ihm als Liebespaar vorstellte, dann fühlte es sich falsch an. Es fühlte sich nicht richtig an, das war alles was sie ihm sagen konnte. Ohne ihn zu verletzen, würde sie einen Weg finden müssen, ihm das begreiflich zu machen. Ihre Freundschaft würde darunter leiden, wenn sie es nicht schaffen
sollte. Jeff würde verstehen müssen. Kates letzte Gedanken bevor sie einschlief galten Jeff. Wie er
sich jetzt fühlen musste. Der Arme!

Am nächsten Morgen war der der Himmel nicht mehr so klar, wie er in der Nacht war. Nebel hing noch auf den Wiesen und Büsche. Und es sah nicht so aus, als würde die Sonne heute ihr Gesicht zeigen. Kate hatte mal wieder eine unruhige Nacht und war noch müde, als sie sich aus dem Bett quälte. Sie duschte sich, zog ihre Jeans von gestern an, zog aber ein neues Oberteil aus ihrem Schrank, und erschrak kurz als sie sich im Spiegel betrachtete. Es zeigte mehr von ihr, als ihr lieb war. Jetzt rann ihr aber die Zeit davon und sie entschied sich das enge Etwas an zu behalten. Und damit sie sich nicht ganz so nackt fühlte nahm sie noch die Strickjacke ihrer Mutter mit.
Als sie zum Frühstückstisch kam, fand sie nur Pat und Phil.
„Guten Morgen!” sagte sie und setzte sich.
„Morgen Kleine, sagte Pat strahlend. Phil, der wie immer Zeitung las blickte kurz über den Rand und begrüßte sie leicht lächelnd.
„Wo ist Jeff? Schläft er etwas noch?”
„Nein, er ist heute früh schon aus dem Haus gegangen. Wir haben uns auch gewundert. Vielleicht hat er ja einen Termin. Kate wusste schon, warum er so früh aus dem Haus gegangen war. Er wich ihr aus. Und sie wusste nicht, in wie weit ihre Tante und Onkel von seinen Gefühlen für sie wusste, deshalb sagte sie auch kein Wort mehr darüber. Sie musste auf jeden Fall nochmals mit ihm darüber reden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass etwas zwischen ihnen lag.
Den ganzen Vormittag über machte sie sich Sorgen um Jeff. Natürlich konnte sie ihren Kummer vor Pat nicht verbergen.
„Ich bin nur traurig, Tante, weil Jeff so lange fort geht.” sagte Kate und hoffte, das sie nicht weiter fragen würde. Sie hatte ja damit nicht gelogen. Sie hatte nur den Kernpunkt einfach nicht erwähnt. Sie musste einfach Geduld haben, bis sie Jeff sprechen konnte.
Und solange würde sich auf den heutigen Tag und seine Ereignisse vorbereiten.
Der Blumenladen war gut besucht und das war für Kate eine gute Ablenkung. Für den heutigen Termin bei Mrs. Noir hatten sie alles vorbereitet und schlossen den Laden eine Stunde früher als normal.
Der Weg zu den Noirs war nicht weit, doch fuhren sie beinahe aus der Stadt heraus. Das Haus lag abseits. Weit und breit keine Häuser, keine Menschen. Wenn Kate daran dachte, es etwas seltsames um die Noirs lag, dann passte natürlich auch der Weg zu ihnen. Der Nebel hatte sich im Wald in den späten Nachmittagsstunden auf die Straße gelegt. Und je weiter sie fuhren, desto dichter wurde der Nebel. Sie folgten dem Pfad, der als einziges zivilisiert vor ihnen lag. Pat hatte sich den Weg von Phil am morgen nochmals erklären lassen und fuhr stur weiter und lies sich nicht von der Stimmung in der Kate sich nun befand, leiten.
Schließlich endete der Weg und sie hatten ihr Ziel erreicht. Vor ihnen stand ein sehr großes Haus. Sie hatte nicht so ein Haus, nach dieser Fahrt erwartet. Eher vielleicht eine alte Burg, oder ein verwunschenes Schloss! Doch nicht mit einem großen Neubau, mit vielen Fenstern. Neu und modern würde eher passen. Das Haus war von außen wunderschön. Es war mit einem weiß gestrichen und der überdachte Eingangsbereich wurde von zwei großen weißen Säulen gehalten. Blumen säumten den Parkplatzbereich. Sie mussten über einen eigenen Gärtner verfügen, alles wirkte sauber, ordentlich fast wie in einem Hotel oder ein Museum.
Kate hatte bemerkt, dass kein Auto auf dem Parkplatz stand. Die Hoffnung das Darren nicht da sein würde stieg.
Die große Eingangstür öffnete sich und die elegante und schöne Mrs. Noir kam heraus, um sie zu begrüßen. Obwohl Kate sie gestern schon kennen gelernt hatte und auch da schon von ihrer Schönheit beeindruckt war, konnte Kate es wieder nicht fassen, wie edel sie war. Königlich kam sie ihnen entgegen. Sie schüttelte Pat`s Hand eben so kurz wie die von Kate. Und wieder hatte sie Handschuhe an, was Kate sofort aufgefallen war.
„Mrs. Bennet, Kate, ich freue mich, das Sie gekommen sind.“
Kate lächelte Mrs. Noir schüchtern an und war dankbar, dass Pat sie gleich in ein Gespräch über das schöne Haus verwickelte. Gemeinsam gingen sie hinein.
Kate kam aus dem staunen nicht mehr heraus. Alles war modern eingerichtet. Und es war riesig. Man konnte nicht schätzen, wie viele Zimmer dieses Haus hatte. Man konnte es nur erahnen.
„Lassen Sie uns einen Kaffee trinken, oder mögen Sie lieber Tee?” fragte Mrs. Noir freundlich. „Kaffee wäre schön!” sagte Pat und folgte Mrs. Noir.
Diese ging in einen Raum, der dreimal so groß war, wie das Wohnzimmer das Pat und Kate hatten. Es war genauso freundlich und hell, wie man von außen den Eindruck bekommen hatte. Ein großes weißes Ledersofa stand direkt vor einem Kamin, der so wie es aussah noch nie benutzt worden war. Die ganze Längsseite des Raumes war verglast und man konnte ein großes Terrassenstück sehen das angrenzend an eine Art Park lag. Zumindest sah es aus wie ein Park, weil es so riesig wirkte. Rechts neben der Terrasse konnte man durch die Büsche einen Pool erkennen, dessen Wasser strahlendes Türkis war.
Die Wände des Wohnzimmers schmückten einige Kunstgemälde. Kate hatte noch nie moderne Kunst so nah gesehen und war sehr beeindruckt. Die linke Seite war eine ganze Wand voller Bücher, die alle in Reih und Glied standen.
Kate hatte gar nicht bemerkt, wie Mrs. Noir aus dem Zimmer gegangen war.
„Das ist einfach unglaublich hier, oder?” fragte Kate ihre Tante.
„Das alles hab ich nicht erwartet.”
„Nein, ich auch nicht, obwohl ich sagen muss, das ich schon viel über sie gehört habe. Und vieles nicht das Beste war. Aber man kann die Menschen nicht beurteilen, wie oder was sie sind. Man sollte sie kennen lernen, bevor man sie verurteilt.”
“Ja, das hat Mama auch immer gesagt,” sagte Kate. Dann kam Mrs. Noir wieder mit einem Tablett. „So, der Kaffee!“
Sie schenkte allen ein und sah Kate lange mit freundlichen Augen an. Kate errötete mal wieder unter ihrem Blick, was nur dazu führte, das Kate unsicher wurde. Schnell sah sie in ihren Kaffee.
„Entschuldige Kate, ich bin so beeindruckt von dir, ich darf doch DU sagen oder?”
„Ja, kein Problem Mrs. Noir!“ brachte sie nur heraus.
„Oh nein, ich bin Katharina, bitte nennt mich Katharina.”
„Ich bin Pat, Abkürzung von Patricia.”
„Oh, sagte Mrs. Noir, Patricia ist ein so schöner Name, ich würde dich lieber bei deinem vollen Namen rufen, wenn du nichts dagegen hast.”
„Nein, überhaupt nicht!” fügte Pat hinzu, und freute sich.
„Also“, versuchte Pat das Gespräch in die geschäftlichen Bahnen zuführen.
„Wann genau soll der Maskenball stattfinden?”
„In der nächsten Vollmondnacht, das wäre so weit ich mich an meinen Kalender erinnern kann, am 29. März, das müsste ein Samstag sein. Pat notierte sich alles auf einem Block.
„Wie hatten sie … du dir den Ball vorgestellt?” fragte Pat und grinste über ihren Fehler.
„Es soll vor allem kein all zu steifer Ball werden, meine Kinder werden natürlich auch Freunde einladen und es wird soll modische Musik gespielt werden, als es das letzte Jahr der Fall war."
Bei dem Satz “meine Kinder werden natürlich auch Freunde einladen” versetzte es Kate glatt einen Stich, und sie spürte wie ihr Puls begann zu kurz.
Für einen Moment sah Katharina zu Kate. Hatte sie gemerkt, dass ihr Puls kurz etwas angestiegen war? Um von dem Gedanken los zu kommen, fragte Kate:
„Möchtest du ein bestimmtes Motto für diesen Abend festlegen?” Begeistert von der Idee sah sie Kate erstaunt an.
„Das ist eine ganz wundervolle Idee, Kate, genau das machen wir.”
„Unter welchem Motto könnten wir das Motto legen?” fragte Katharina und dachte angestrengt nach.
„Also, ich finde zum Beispiel ein Himmel und Hölle-Motto echt super!” sagte Kate,
“da haben die Gäste eine große Auswahl an Kostüm-Möglichkeiten und es kann trotzdem bunt gemischt werden.”
„Das ist wirklich eine gute Idee und das passt auch noch!” meinte Katharina begeistert.
„Also ich bin begeistert, das machen wir, und wie können wir das dekorieren?“ wollte Katharina wissen.
„Das kommt ganz darauf an, wo die Party stattfindet.” mischte sich Pat ins Gespräch mit ein.
„Ja, hier im Haus und auch draußen, am Pool, im Garten einfach im ganzen Haus. Natürlich nur in den unteren Bereichen.”
“Ja!” meinte Kate, “ich könnte mir gut vorstellen, das man das Motto mit der Dekoration abstimmt, damit alles eine Einheit bildet. Ich stelle mir viele Kerzen vor, die alles erleuchten. Man kann einen Höllen-Bereich und einen Himmel-Bereich dekorieren.
Katharina sah Kate begeistert an. Kate konnte förmlich spüren, wie Katharina an ihren Lippen hing.
Kate hatte ein genaues Bild im Kopf und erzählte motiviert weiter. Selbst Pat hing jetzt genau wie Katharina an ihren Lippen. Beide Frauen waren schwer beeindruckt von der Phantasie der jungen Frau.
„Wir haben im Auto zwei Alben mitgebracht mit der Auswahl an den uns zur Verfügung stehenden Blumen, darunter sind auch einige sehr schöne Rosen. Kate würdest du sie bitte schnell aus dem Auto holen?” fragte Pat.
„Natürlich, sagte Kate und machte sich sofort auf den Weg.
Am Auto nahm sie beide Alben und versuchte sich zu erinnern welche Rosen dafür in Frage kamen.
Leichtfüßig sprang sie die fünf Stufen zur Eingangtür hinauf und lief mit schnellen Schritten zu den beiden Damen. Als sie die Türschwelle des Raumes erreicht hatte, hörte sie lautes Lachen. Aber es war auch eine Männerstimme dabei. Als Kate aufsah stockte ihr sofort der Atem und blickte in die wärmsten und aufregendsten Augen.
In ihren Träumen waren sie ihr nicht so in Erinnerung geblieben. Das Wettrennen zwischen ihrem Puls und Herz wurde von dem Rauschen ihres Blutes über dröhnt. Ihre Arme versagten ihr den Dienst. Sie war einen Moment zu schwach, die beiden Alben zu halten. Sie fielen zu Boden. Einige Bilder hatten sich gelöste und rutschen nun auf dem glatten Marmorboden durch den Raum.
„Oh nein!” brachte sie hitzig heraus und kniete sich sogleich nieder um alles aufzuheben. Natürlich war es Darren, der vor ihr kniend half. Das verschlimmerte Kates Zustand, weil jetzt auch noch ein süßer Luftzug von ihm auf Kate einströmte. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Für eine Sekunde schloss sie ihre Augen und sog diesen übermächtigen Duft tief ein. Als sie ihre Augen wieder öffnete, hatte er ein anzügliches Grinsen auf seinen edlen Lippen. Es ärgerte sie zu sehr, dass er solche Reaktionen in ihr auslöste. Und je länger es anhielt, war sie sogar wütend auf ihn. Da er sich darüber sehr wohl bewusst war, was er mit ihr tat.
„Nicht böses sein!” flüstere er und sein Grinsen wurde noch breiter. Jetzt wusste sie, dass er es auch wusste. Und wenn er es wusste, dann wussten Katharina und Pat auch Bescheid. Das alles war ihr unglaublich peinlich. Sie nahm alle Kraft, die sie aufbringen konnte und sammelt alle Bilder vom Boden ein, ohne ihn auch nur noch einmal anzusehen. Mit hochroten Wangen lies sie Darren stehen und ging schnell zum Sofa. Mit zittrigen Händen versuchte sie die herausgefallenen Bilder zu ordnen.
„Was ist los Kate, ist dir nicht gut?” fragte Pat besorgt.
Natürlich sahen sie alle an. Das schlimmste war, als sie in Katharinas Gesicht das gleich anzügliche Grinsen sah, wie vorher bei Darren, nur nicht ganz so offensichtlich. Ich muss das irgendwie hinter mich bringen, dachte sie und genauso dringend verspürte sie jetzt den Drang nach frischer Luft. Pat hatte ihr die Alben und Bilder abgenommen.
„Mir ist schlecht, ich geh kurz an die frische Luft!” presste Kate noch, stand auf und verließ fluchtartig den Raum. Beim hinausgehen, hörte sie Pat noch rufen: „Soll ich mitkommen?”
„Nein, lass sie, Darren wird zu ihr gehen!” warf Katharina schnell ein und gab ihrem Sohn mit einer Kopfbewegung ein Zeichen.
Kate hatte schon den Parkplatz erreicht. Aber sie wollte nicht von Darren entdeckt werden, deshalb lief sie ein kleines Stück in den Wald hinein. Sie versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen. Nach drei Atemzügen kam die Wut über sich selbst wieder hoch und begann halb-laut zu fluchen.
„So ein Mist! Wieso passieren immer mir solcher Peinlichkeiten? Was denkt er sich eigentlich? Was für eine Schei….!“ Weiter kam sie nicht.
“Und so etwas, aus so einem hübschen Mund.”
Kate drehte sich verblüfft um und da stand er. Er stand wohl schon eine ganze Weile so da. Mit verschränkten Armen lehnte er an einem Baum und beobachtete sie.
„Geht es dir jetzt besser?” fragte Darren. Sie gab ihm keine Antwort und drehte sich mit dem Rücken zu ihm.
„Taschentuch?” fragte er erneut und hielt ihr ein weißes Stofftuch hin.
„Danke,” sagte sie grimmig, riss es ihm fast aus den Händen, ohne ihn dabei anzusehen. Natürlich war sie darauf bedacht, ihn nicht zufällig zu berühren. Ihr Puls hatte sich immer noch nicht ganz erholt, aber sie hatte es jetzt im Griff.
„Bin ich den wirklich so erschreckend für dich?” wollte er wissen und sah sie immer noch an. „Nein, … ich ….!” stammelte sie.
„Egal, können wir rein gehen, mir geht es besser!” behaarte sie, um nicht länger seinen Fragen ausgeliefert zu sein.
„Ich bin Darren Noir.”stellte er sich vor, aber er gab ihr keine Hand. „Es tut mir ehrlich leid, wenn ich dich erschreckt haben sollte. Das war nicht meine Absicht. Ehrlich!”
“Ich weiß, wer du bist.” antwortete Kate kratzbürstig. Sie wollte so wenig Blickkontakt wie möglich. Obwohl ihr Körper ihr etwas anderes sagte. Kate machte sich langsam auf den Rückweg und Darren war immer drei Schritte hinter ihr. Bevor sie durch die große Eingangstür ging, drehte sie sich noch einmal zu ihm um.
„Danke, fürs Aufpassen, das nächste mal schaffe ich das auch alleine.” sagte sie schnippisch.
„Oh, es war mir ein Vergnügen, Kate.” Streng sah sie ihn kurz an, dann drehte sie sich wieder um und lief zu ihrer Tante und Katharina.
„Alles in Ordnung?” fragte beide Frauen fast gleichzeitig, als Kate sich wieder zu ihnen auf das Sofa setzte.
„Ja, alles in Ordnung, mir geht es gut. Ich hab wohl zu wenig gegessen, heute.”sagte Kate schnell, froh eine kleine Ausrede gefunden zu haben.
„Ja, dann hätten wir so weit alles besprochen Katharina. Ich mache heute Abend noch die Bestellung fertig. Und dann kann es los gehen!” versprach Pat ihr.
„Wunderbar.“ Besorgt sah Katharina zu Kate.
„Ich glaube, du solltest wirklich etwas essen. Soll ich eine Kleinigkeit für dich kommen lassen? Oder, … ich habe eine bessere Idee! Darren mit dir irgendwo etwas essen gehen!”
„Was!” schrie Kate fast, „Nein, das ist wirklich nicht nötig. Wir essen gleich alles zusammen zuhause!“ sagte Kate dann ruhiger.
Das hätte ihr gerade noch gefehlt, mit ihm in engem Raum!
Sie verabschiedeten sich von Katharina und Darren. Er stand an der Haustür gelehnt und grinste Kate frech an. Doch diesmal konnte sich Kate zu einem gequälten lächeln zwingen. Das war zwar nicht sehr freundlich, doch er war schließlich für ihr Desaster verantwortlich.
Auf dem Nachhauseweg sprach Pat nur von dem Auftrag, den sie nun bekommen hatten. Während Kate draußen war, um sich zu fassen, hatten die beiden Frauen alle weiteren Details weiter besprochen. Offensichtlich war ihr der wahre Grund für Kates Reaktion nicht aufgefallen. Aber Kate war froh darüber, denn so musste sich keine lästigen Fragen beantworten. Sie war nur froh, als sie endlich zuhause ankamen.
Es dämmerte schon, als sie zur Tür herein kamen. Begeistert erzählte Pat ihrem Mann von dem Maskenball. Was sie alles zu organisieren hätten. Es sollten 200 geladene Gäste kommen und erzählte begeistert, wie Kate das Motto hervor zauberte. Und überhaupt war Pat davon überzeugt, diesen Event zu einem gelungenen Fest zaubern zu können. Gleich nach dem Abendessen wollten sie im Internet nach Angeboten schauen und schon einige Bestellungen machen.
Kate war aufgefallen, das Jeffs Wagen nicht in der Einfahrt stand, als sie nachhause kamen. Er war den ganzen Tag noch nicht zuhause gewesen. Sie sehnte sich nach einem Freund. Natürlich konnte sie ihm nicht die Begegnung mit Darren erzählen, doch er würde genau wissen, was er zu ihr sagen musste, damit sie nicht mehr daran dachte. Ungeduldig lief sie im Haus umher. Wann würde er endlich nachhause kommen?
„Hat Jeff angerufen? Wann kommt er nachhause?” fragte sie Phil, der in seinen Sessel saß und Zeitung lass.
„Er wird erst spät nachhause kommen, das hat er zumindest heute morgen gesagt, als er ging.“ sagte Phil, ohne von der Zeitung aufzusehen. Es entstand eine kleine Pause.
„Ist irgend etwas?” wollte Phil wissen und sah jetzt doch von seiner Zeitung auf, als er Kate Unruhe bemerkte.
„Nein, ich wollte ihn sprechen, das ist alles!” sagte Kate so belang los wie möglich. Sie ging zu Pat in die Küche, um ihr bei irgendwas zu helfen. Hauptsache sie war beschäftigt.
Als spät am Abend Jeff immer noch nicht zuhause war, ging sie endlich ins Bett und schlief auch ziemlich schnell ein.
Ein Geräusch lies sie mitten in der Nacht wach werden. Sie sah auf ihren Wecker, es war kurz nach 1 Uhr. Ob Jeff jetzt zuhause war? Sie stand auf und ging auf den Gang. Pat und Phil schliefen schon. Man konnte Phil leicht schnarchen hören.
Dann sah sie in Jeffs Zimmer noch Licht brennen. Er war zuhause. Leise klopfte sie an und wartete, das er sie ein lies. Er öffnete und lächelte Kate an.
Kate spürte Erleichterung in ihrer Brust. Er war ihr nicht böse.
„Kannst du nicht schlafen, oder warum geisterst du so spät noch durch das Haus?”
Er lies sie ins Zimmer, schloss leise und sachte die Tür. Kate setzte sich auf sein Bett. Dann bemerkte sie die beiden Koffer, die auf den Boden standen. Entsetzt sah sie zu Jeff.
„Was tust du da?”
Hatte Jeff nicht gesagt, er würde bald wegfahren. Das bedeutete nicht morgen oder übermorgen. „Ich fahre morgen Abend schon Kate, besser gesagte heute Abend.” Sie sah ihn lange an und sagte dann: „Du fährst aber nicht meinetwegen früher, oder?” Er lächelte kurz.
„Nein, ich war heute den ganzen Tag bei einem Kunden, und durch die Gespräche hat sich es eben so ergeben, dass ich früher abreisen kann, um dann vielleicht früher als geplant wieder nachhause zu sein.”
„Wir waren heute bei den Noirs, deine Mutter und ich haben den Auftrag bekommen.”
„Schön, das freut mich für euch. Dann werdet ihr viel zu tun haben, während ich weg bin.” sagte Jeff und setzte sich zu Kate. Jetzt, als Kate wusste, was dieser seltsame Gesichtsausdruck in seinem Gesicht zu bedeuten hatte, senkte sie ihren Blick, um ihn nicht sehen zu müssen. Es tat ihr weh ihren Freund so zu sehen.
„Jeff, … ich,...!” begann sie. Sie spürte wie es ihr deutlich schwer fiel das Thema vom gestrigen Abend nochmals aufzugreifen.
„Schschsch…, mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung,” sagte er und zog sie an sich. Sie kuschelte sich an seine Brust und fühlte sich geborgen. Leicht schloss sie die Augen und genoss den Augenblick. Er war ihr Freund. Ohne viele Worte hat er gewusst, was sie sagen wollte. Es war ihm auch so schon klar gewesen.
„Vielleicht wird mir der Abstand zu dir helfen, besser damit klar zu kommen. Ich sehe es als Chance.” Sie sah zu ihm auf.
„Ich wollte dir auf keinen Fall weh tun, Jeff.”
„Ja, das weiß ich, ich wollte eigentlich nichts an unserer Beziehung ändern, aber … es ist einfach so passiert. Wir kennen uns schon so lange Kate, ich bin nur ein Mann.”
„Was kann ich für dich tun, das es nicht so … !”
„Nein“, unterbrach er sie sanft, “du kannst nichts daran ändern und das sollst du auch nicht. Wenn du dich mir gegenüber anders verhalten würdest, … das wäre ich nicht gewöhnt. Es wäre so unnatürlich und es würde mir noch mehr weh tun, Kate. Kannst du das verstehen?”
„Ja!” sie atmete tief ein. Nach einer kleinen Pause fiel ihm ein:
„Da fällt mir ein, willst du in der Zeit, in der ich weg bin mein Auto haben? Phil fährt mich morgen zum Flughafen, also wenn du willst … !” Ein bisschen kam gerade ihr alter Jeff wieder zum Vorschein und es freute sie.
„Ja, gern!” strahlte sie. Immer noch lagen sie in seinem Bett. Immer noch eng umschlugen.
„Wirst du mich anrufen?” fragte Kate nach einer Weile.
„Natürlich! Ich will ja schließlich wissen, wie der Laden läuft und was ihr so treibt, während ich weg bin.”
Langsam wurde Kate schläfrig. Es war für sie so beruhigend bei Jeff zu sein. Sie lag mit dem Kopf auf seiner Brust und hörte seinen regelmäßigen Herzschlag.
Irgendwann, als Kate in regelmäßigen Abständen atmete, schaltete er das Licht mit der freien Hand aus und deckte sich und Kate mit seiner Decke zu. Er wollte Kate noch bei sich haben. Er wollte ihren Duft noch einmal einatmen, bevor er sie für eine längere Zeit nicht sehen konnte. Er war sich sicher, dass er sie vermissen würde. Aber nicht wie ein Bruder seine Schwester vermissen würde, sondern wie ein Mann eine Frau vermissen konnte.

Impressum

Texte: Any Cherubim
Bildmaterialien: Copyright für das Buchcover liegt bei Google.
Tag der Veröffentlichung: 29.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch allen Menschen, die sich für die Liebe entschieden haben.

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