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1. Kapitel

 

„Armstrong?“
„Anwesend, Ma'am.“
Ein paar scharfe, grüne Augen hoben sich und blickten den Angesprochenen an, ehe die rothaarige Frau einen Haken hinter dessen Namen setzte.
„Brown?“
Eine weitere Hand schoss in die Höhe.
„Hier.“
Meine Chefin, Jasmina Kaplan, stand vorne in dem Konferenzraum. Ihre langen bronzefarbenen Haare hatte sie zu einem geflochtenen Zopf zusammengebunden, der ihr über die Schulter hing. Die stechenden grünen Augen ließen einen erschaudern, sobald sich ihr Blick in deine Richtung begab.
Sie war ausschließlich in Schwarz gekleidet, mit Ausnahme von dem weinroten Schal den sie um den Hals trug und die dunkelblauen Lederhandschuhe. Die grünen Augen stachen aus ihrem hellhäutigen Gesicht heraus, wie zwei Laserpointer, die einen fixierten und dann sämtliche Körperteile herausschnitt. Wenn man ihre Augen sah, konnte man sich fast nichts anderes denken, als dass sie einen umbringen könnte, wenn man irgendetwas vermasselte. Auch Jason, mein bester Freund und Mitbewohner, hatte mehr als Respekt vor ihr, was bei ihm schon etwas heißen musste.
Jase fürchtete sich im Grunde vor so gut, wie gar nichts.
Als wir noch zur Schule gegangen waren, hatte er mich zu jeglichen Sachen mitgeschleppt, welche ich nie, wirklich nie gemacht hätte. Ich wäre zum Beispiel niemals freiwillig von einer Klippe 10 Meter in die Tiefe gesprungen.
Jason schon. Danach musste er allerdings ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er hatte sich den rechten Arm, bei dem Aufprall gebrochen. Er hatte schon immer einen Hang zum Extremen gehabt.
Seitdem ich ihn kannte, betrieb er Extremsportarten. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er dieses ganze Extrem einfach brauchte, um überhaupt zu merken, in welche Gefahr er sich bringen konnte!
„Evans?“
Vielleicht war das auch der Grund, warum er hier angefangen hatte. Schließlich dachte man bei unserer rothaarigen Direktorin immer, sie würde einen mit einem einzigen Blick umbringen! Zuzutrauen wäre es ihr auf jeden Fall. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, wie eine „Entlassung“ bei Jasmina Kaplan aussehen würde. Eins war klar. Angenehm würde das auf keinen Fall sein!
„Flynn!“
Durch den Aufruf meines Namens, hob ich den Kopf (mied geübt den Augenkontakt zu Miss Kaplan)
Ihre Augen fixierten mich. Nicht schon wieder! So oft hatte ich den Eindruck sie hätte es auf mich abgesehen und suchte gerade nur so nach einem Moment, in dem ich ins Fettnäpfchen tappte. Dazu sollte ich erwähnen, dass ich ein sehr großes Talent dafür hatte, sie zu finden und dann auch mit Anlauf und einem doppelten Salto in diesem wunderbaren Fettnäpfchen zu landen!
„Harris?“
Ich atmete durch. Ihre Aufmerksamkeit galt wieder jemand anderem.Diese Frau machte mir höllische Angst!
„Mach dich nicht wieder unbeliebt.“, raunte mir die Stimme meines besten Freundes und Teamkollegen, ins Ohr.
Ich wandte mich zu ihm um und blickte sofort direkt in sein Gesicht. Mein Gesicht ging sofort einige Zentimeter zurück. Der liebe Jason war mir mal wieder etwas zu nah! Jase hatte immer einen riesigen Spaß daran von einem Moment auf den anderen, ganz nah vor meinem Gesicht aufzutauchen. Einfach, weil er es liebte mich zu nerven! So ein Arsch von einem Agenten!!!
„Haste?“
Sofort war Jason neben mir abgelenkt und hob die Hand.
„Hier.“
Sie nahm ihn nur mit einem Nicken zur Kenntnis und arbeite weiterhin die Liste ab. Warum zur Hölle starrte sie nur mich so an?! Die ganze Situation war unangenehm.
Alles angefangen hatte es heute morgen, als ich mit Jason in der IT-Abteilung gewesen war, um die Sicherung der NTS Bank, zu überprüfen.
Mitten in dem Programm hatte uns Max Elliot von der Verwaltung angerufen und mitgeteilt, sich sofort in den Konferenzraum zu begeben. Dazu sollte ich erwähnen, dass man nie, wirklich nie, dazu aufgefordert wurde, auf der Stelle anzutreteten. Selbst bei einer Chefin wie Miss Kaplan.
Die Stimmung in dem gesamten Raum war angespannt, noch bevor Jase und ich diesen betreten hatten. Jeder einzelne in diesem Raum dachte genau dasselbe, wie ich.
Was zur Hölle, ist hier los?
Miss Kaplan hatte nicht ein Wort darüber verloren, als alle Platz genommen hatten. Stattdessen stand sie nun vorne, an einem pultählichen Tisch und rief jeden auf, welcher anwesend zu sein hatte.
„Zill?“
Es war ein kräftig gebautes Muskelparket, mit einem buschigen Bart und grau-blauen Augen, der sich meldete. Die rothaarige Chefin nahm auch das nickend zur Kenntnis trat einen Schritt zurück. Ihr Blick kreiste durch den gesamten Konferenzraum.
„Kaplan hat mal wieder den Mörderblick.“, wisperte Jason mir von rechts zu.
Seine Kommentare konnte er sich nie verkneifen. Eine Antwort konnte, und wollte ,ich ihm nicht mehr geben, denn stattdessen ergriff die rothaarige Frau von vorne das Wort, als sie ein mittelgroßes Paket, mit ordentlich viel Schwung, dass es im ganzen Raum widerhallte, auf dem Tisch platzierte.
Im gesamten Konferenzraum herrschte Stille. Sogar Jason sprach nicht ein Wort aus. Miss Kaplans' Blick wanderte durch den gesamten Raum, sie blickte jeden von uns an. Nicht einen ließ sie aus.
Ihre grünen Augen stachen noch intensiver aus ihrem Gesicht heraus.
Als ihre Augen mich trafen, da ahnte ich schon, dass es ein schwerwiegendes Thema war, weshalb sie uns alle hergebeten hatte. Ich erkannte das einfach.
„Johnson war der Nächste.“
Mehr sagte sie nicht. Eine ungute Atmosphäre umgab uns. Johnson. Robert Johnson, einer unserer besten Agenten. Miss Kaplan hielt kurz inne und schlug für einen kurzen Moment die Augen nieder. Dann klappte sie den Karton des Pakets auf und griff hinein. Ich hörte das Knistern einer Plastiktüte.
Jason neben mir, atmete laut ein und aus, noch bevor unsere Direktorin die Tüte ganz aus dem Paket geholt hatte. Er dachte mit Sicherheit genau dasselbe wie ich.
„Alles, wirklich alles. Nur nicht das!!“
Aber genau DAS sollte eintreten. Als ich das nächste Mal zu Miss Kaplan sah, stellte sie eine Plastiktüte auf den Tisch. Ein eisiger Schauer überkam meinen Körper, als ich meinen Blick auf die Tüte richtete.
Der Inhalt war klein. Klein und rot. Jason gab einen unterdrückten Würgelaut von sich und hielt sich die Hand vor den Mund.
„Das ist pervers.“
Ich konnte ihm nicht einmal antworten. Nicht schon wieder! Seit Monaten. Seit mehrern Monaten passierte ein und dasselbe. Es wiederholte sich fast schon im Wochentakt.
Irgendwo da draußen rannte ein wahnsinniger Psychopat herum, der einen nach dem anderen auf eine widerliche Art abschlachtete. Doch wenn er dieses Opfer gefunden und erlegt hatte, so kam ein Teil nach dem anderen bei uns an.
Es war abscheulich. Er fing an mit Teilen der Haare, dann Haut von der Stirn, Ohren und...
„Johnson war Nummer 685.“
Miss Kaplan blickte erneut durch den Raum. Ihr Blick änderte sich. Er war nicht mehr stechend, wie sie sonst immer blickte. Ich konnte diesen Ausdruck in den grellen Laseraugen meiner Chefin nicht deuten.
Langsam strich sie sich den Zopf hinter die Schulter und stützte die Arme auf den Tisch. Einige Minuten vergingen, sie schwieg die ganze Zeit über. Ich erkannte, dass hier allen Anwesenden ein und dasselbe durch den Kopf ging.
Wer muss nun der Nächste sein? Mein bester Freund hielt sich die Hand vor den Mund.
Man konnte genau sehen, dass er sich gerade richtig zusammennahm, um sich nicht übergeben zu müssen.
Ich wusste genau, was Jase von all dem hielt.
Außerdem war er, obwohl er schon länger als ich in diesem Business unterwegs war, noch recht sensibel für abgetrennte Körperteile, wie beispielsweise diese abartig, blutige Zunge, welche ihm in der Plastiktüte entgegenblickte.
„Einfach nur pervers.“, war seine Standardantwort. Wie Recht er doch hatte. Das war einfach nur widerlich. Abartig!
Was für ein Mensch konnte so etwas nur tun?! War das überhaupt ein Mensch!?
Innerlich schüttelte es mich, wenn ich versuchte mir auszumalen, welche Art von Mensch so etwas tun könnte!!
„Die Mission wird abgebrochen.“, sprach Miss Kaplan auf einmal und hob den Blick.
Ich schreckte auf, als sie mich durch ihre energischen Worte zurück ins Hier und Jetzt holte. Schweigen ging durch die Runde.
„Zu viele wurden jetzt schon geofert. Wir haben über 600 Agenten verloren. Alles nur wegen diesem...Psychopaten! Ich sehe es nicht weiter ein, noch mehr Leben aufs Spiel zu setzen!“
Ihre Worten blieben bei jedem von uns hängen. Ich war wie gebannt von den Worten unserer Chefin! Hatte sie gerade wirklich das gemeint, was wir alle dachten?
„Was sollen wir stattdessen tun?!“
Jason war aufgestanden. Was zur Hölle hat der denn jetzt vor?! Ich dachte ihm wäre übel!
Miss Kaplan blickte ihn an.
„Wir übergeben diese Mission einer anderen Organisation, Haste. Es mussten zu viele daran glauben.“
„Ist das jetzt Ihr Ernst?!“
Seine Stimme war verärgert. Miss Kaplan blickte ihn an. Ihre grünen Augen blitzten.
„Es ist mein Ernst, Haste. Oder haben Sie eine Alternative?“
Ihre Stimme war energisch und ziemlich erhitzt. Es war eindeutig, dass sie es toternst meinte. Am liebsten hätte ich Jase einfach zurück auf den Stuhl gezogen, doch irgendetwas hinderte mich daran. Mit einem unguten Gefühl, nahm ich das Grinsen auf dessen Lippen wahr.
„Mach keinen Scheiß!“, schoss es mir durch den Kopf. „Jason Haste, verdammt!“
Mir war klar, dass er wieder einmal nicht richtig nachdachte, mit dem was er tat.
„Setzten Sie mich ein.“
Dieser Arsch wollte mich doch verarschen! Miss Kaplan hob die Brauen und blickte Jase scharf an.
„Nein.“, war das einzige was sie von sich gab.
Ein einziges, hartes und schlichtes „Nein“. In diesem Moment hätte ich sie umarmen können.
Sie war vermutlich doch die einzige Person dieser Organisation, welche noch Verstand hatte.
Eine unangenehme Stille breitete sich in dem Konferenzraum aus. Jason stand noch immer vor seinem Stuhl und blickte Miss Kaplan an. Wie hypnotisiert bewegte sich meine Hand und ich packte meinen besten Freund energisch am Ärmel seines schwarzen Hemdes.
„Jase.“, flüsterte ich ihm zu, so dass nur er mich hören sollte. „Lass den Scheiß.“
Der Blonde hatte mich durchaus gehört, doch anscheinend zog er es vor mich zu ignorieren.
In mir loderte ein ungutes Gefühl auf. Ich kannte Jason! Er tat sehr oft unüberlegte Sachen, was mir eindeutig Sorgen machte. Vor allem, weil ich sein Kollege war. Sprich die Scheiße welcher er UNS einbrockte, mussten wir zusammen wieder ausbügeln!
„Sie können diese Mission nicht einfach einer anderen Organisation übergeben, Ma'am. Dieser Psychopat hat UNSERE Agenten auf dem Gewissen! Es geht...“
„Ich kann, Haste!“, unterbrach die Rothaarige ihn barsch. „Sie haben Recht. Es geht um UNSERE Agenten- und deswegen ist es meine Aufgabe es abzubrechen, um meine Agenten zu schützen!“
Jason öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch erneut schoss sie ihm dazwischen.
„Die Sitzung ist beendet.“, sagte sie scharf und blickte in die Runde, wandte dann ihren Blick wieder an Jase.
„Sie bleiben noch, Haste.“ Ihr Blick wanderte weiter und blieb an mir hängen.
„Und Sie auch Flynn.“
Ich hätte Jason umbringen können. Einfach erschießen! Sofort!!

2. Kapitel

Ich hätte es wissen müssen! Einfach wissen müssen, verdammt noch mal! Dieser Tag war einfach verflucht!
Ab sofort verfluchte ich den 24.01. Hatte diese ganze Scheiße unbedingt passieren müssen!
Warum zur Hölle hatte auch dieses verdammte Paket ankommen müssen!!!! Am liebsten würde ich alles in Grund und Boden schlagen, so viel Wut und Hass, ja Hass, staute sich in mir auf.
Wütend knallte ich die Tür hinter mir zu, als mit Jason zu Hause ankam So viel hatte sich schon lange nicht mehr in mir aufgestaut. Aber ich hatte mich in diesem Moment einfach nicht mehr unter Kontrolle! In diesem Moment war mir, als müsste ich diesen Vollidioten von Jason Haste einfach umbringen!
Der Blondschopf, der mir vorraus ging, war schon Richtung Wohnzimmer gegangen, als ich auch diese Tür energisch hinter mir zuwarf. Gerade musste ich einfach etwas kaputt machen, kam es mir in den Sinn. Ich war über mich selbst überrascht. Solche Gedanken hatte ich noch nie gehabt, aber heute war eindeutig eine Ausnahmesituation!
Denn mein angeblich bester Freund, hatte sich heute als absolut lebensmüde herausgestellt. So dumm konnte er doch nicht sein!! Geladen packte ich Jason hinten an der Schulter und drehte ihn zu mir herum. Ich zitterte vor Wut.
„Jason Haste!“, schrie ich ihn an. „Kannst du mir mal erklären, wie dumm ein Mensch sein kann!? Was zur Hölle ist in dich gefahren!! Bei dir stimmt doch was nicht!“
Der Blonde reagierte, wie ich es erwartet hatte. Gar nicht.Er sah mich nur an. Sonst tat er rein gar nichts! Wie mich das doch wahnsinnig machte! Er war doch einfach lebensmüde!
„Willst du unbedingt sterben!“, fauchte ich.
Meine Augen zogen sich zusammen, so wütend war ich. Jase blickte mich an. Er verdrehte die Augen und seufzte sichtlich genervt auf.
„Ju, du verstehst...“
„Sag mir nicht, dass ich es nicht verstehen würde!“, unterbrach ich ihn mit vor Wut zitternder Stimme. „Kann schon sein, dass du länger in diesem verdammten Business arbeitest, als ich! Das heißt aber noch lange nicht, dass ich keine Ahnung davon habe!!“
Ich hatte ihn noch nie angeschrien. Wirklich noch nie. In den ganzen Jahren, die wir uns jetzt kannten, war ich noch nie so ausgerastet wie jetzt! Aber er hatte sich auch noch nie so in Lebensgefahr bringen wollen! Geladen vor Wut holte ich aus- und wollte ihn schlagen, weil ich mich einfach nicht mehr unter Kontrolle hatte, was mir aber verweigert wurde. Jason packte meinen Arm und blickte mich an.
„Jetzt reg dich ab, Ju.“
„Abregen!!“, brüllte ich unkontrolliert drauf los. „Ich soll mich abregen!!? Ist dir klar, dass du damit gerade deinen oder eher unseren Tod besiegelt hast!!?“
Der Typ war doch einfach durchgeknallt! Stand er so dermaßen darauf sein Leben zu riskieren!? Ich wusste ja, dass er Extreme liebte, aber jetzt ging es wirklich zu weit!Wollte er nun wirklich unbedingt, um jeden verdammten Preis sterben!!!!
Ihn schien das aber auch ziemlich kalt zu lassen, dass ich hier zum ersten Mal seit gefühlten 100 Jahren wirklich explodierte.
Stattdessen drehte er sich um, zog seine Schuhe und Jacke aus, warf die Jacke über den Stuhl und schmiss sich auf das Sofa..
Ich kochte noch immer vor Wut. Dieser Arsch! Warum um alles in der Welt waren wir so verschieden! Ich konnte es nicht begreifen, warum er soviel daran fand sich in ein Extrem nach dem anderen zu begeben! Jase war einfach eine Person, die ich einerseits verstand und andererseits wieder überhaupt nicht. Wir waren so verschieden, dass es unterschiedlicher kaum ging.
Für ihn war ich schon immer, wie eine Art kleiner Bruder gewesen, auf den er aufpassen musste.
Man sah es ihm wirklich nicht an, doch er hatte einen so großen Beschützerinstinkt, dass er am liebsten alle Menschen auf dieser Welt beschützen würde und jeden, der anderen etwas antun wollte, aus dem Weg räumen würde!
Jedenfalls verhielt er sich so mir gegenüber. Ich wusste, dass er mich als den kleinen Bruder ansah, welchen er nie gehabt hatte.
Für mich war auch er wie ein Bruder. Im Grunde, war Jason meine Familie. Ich liebte diesen Vollidioten, wie meinen Bruder. Nein, Jase WAR mein Bruder. Ich wusste, dass ich mich ihm anvertrauen konnte. Wir wussten alles voneinander. Jason war die Person, die mir am Wichtigsten und Kostbarsten war. Ohne ihn konnte ich es mir einfach nicht mehr vorstellen!
Doch dieser Arsch wollte das anscheinend nicht kapieren!!! Nach mehreren Minuten, in denen ich völlig unter Strom dastand, wandte sich der Blondschopf, den ich im Moment hätte erschlagen können, zu mir um.
„Ju.“ Seine Stimme klang ziemlich genervt und angestrengt. „Ich mach das auch nicht freiwillig.“
Verächtlich schnaubte ich auf.
„Du hast aber ganz anders gewirkt, als du Miss Kaplan vorgeschlagen hast, dich einfach einzusetzen!!“
Ich war immer noch absolut angepisst, wegen dieser Scheiße, die er mal wieder gebaut hatte.
Der Blonde setzte sich auf und sah mich, leicht gestresst wirkend, an.
„Legst du wirklich unbedingt so viel Wert darauf zu sterben!“
Diese Worte hatte ich eigentlich nicht unbedingt wählen wollen, doch meine Zunge war wieder einmal schneller, als mein Kopf gewesen. Jason verdrehte die dunkelgrauen Augen und sah mich an.
„Mann Ju, du kapierst überhaupt nichts. Ich muss...“
Wieder ließ ich ihn nicht ausreden.
„Wenn du schon unbedingt sterben willst, wieso musst du es dann so machen, dass ich es auch noch mitbekomme?!“, schrie ich.
Meine Finger zitterten, so wütend war ich.
„Warum denkst du immer, es sei deine Pflicht alles und jeden beschützen zu müssen! Ich hasse das, Jason Haste, verdammt! Du musst hier niemandem etwas beweisen! Wann geht das in dein beklopptes Hirn rein!“
Jason stand auf. Er ging auf mich zu. Sein Blick war ernst. Die grauen Augen direkt auf mich gerichtet.
„Ju. Du machst mich fertig.“, sagte er leise und umarmte mich.
„Arsch.“, presste ich hervor und erwiederte seine Umarmung. Dieser Idiot!
„Kommst du mit?“, fragte er schließlich.. „Ich brauch eine Zigarette.“
Ich antwortete ihm nicht, folgte ihm stattdessen einfach.

Draußen angekommen setzte ich mich auf die Treppen und zündete mir die Zigarette an, die Jason mir gegeben hatte.
Meine Gedanken kreisten immer nur um ein und dasselbe Thema. Natürlich konnte die Mission an eine andere Organisation übergeben werden! Wir hatten schon zu viele verloren, wie Miss Kaplan es gesagt hatte. Wir wussten ja nicht einmal, wie lange wir überhaupt noch bestehen konnten, da so viele diesem Psychopaten zum Opfer gefallen waren.
Und dann kam jemand, wie Jase und stellte sich freiwillig dieser wahnwitzigen Aufgabe! War er jetzt so lebensmüde, dass er in seine Kleinteile zerlegt werden wollte?! Ich wollte gar nicht erst daran denken, wie es wäre, sollten seine Einzelteile bei uns ankommen! Kaum dachte ich daran, begann ich zu zittern. Es wäre die schlimmste Vorstellung überhaupt für mich!
Denn Jase war mein bester Freund. Nicht nur das. Er war meine Familie. Wenn er ermordet werden würde, dann... Ich unterbrach den Gedanken. Zu sehr schmerzte mich das.
„Ju.“
Jase legte seinen Arm um mich und sah mich an.
„Mach dir nicht so einen Kopf.“
„Mach ich aber!“, gab ich verbissen zurück.
Der Blondschopf grinste. Ich hasste es, wenn er mich so angrinste!!
„Ich weiß.“, antwortete er und zog mich etwas näher zu ihm. „Aber ich pack das schon.“
Er machte eine Pause.
„Außerdem...hab ich keine andere Wahl.“
Fest biss ich die Lippen aufeinander. Was erzählte er jetzt schon wieder für einen Mist!? Er hatte immer eine Wahl! Das wusste er auch ganz genau!
Diese „keine Wahl“, kannte ich sehr gut von ihm. Er redete sich schon wieder ein, etwas Bestimmtes leisten zu müssen und dann kam so eine Scheiße dabei raus! Wie ich das doch an ihm hasste!
So sehr ich an ihm auch hing, wie wichtig er mir auch war, manchmal hatte ich das Gefühl ich müsse etwas Bestimmtes einfach aus ihm rausprügeln! Vielleicht wäre das ja mal heilend!
Jase machte mir nach viel zu viel Unüberlegtes! Er sollte doch endlich mal die Augen auf machen und bemerken, was er da fabrizierte!
Das hatte er noch nie gesehen! Jase war einfach so verdammt...
„Ich steh das durch, Ju.“, unterbrach er meinen Gedanken. „Ich erwarte auch nicht, dass du mitziehst. Egal, ob wir Kollegen sind und in einem Team arbeiten. Das ist etwas anderes.“
„Hör auf so eine Scheiße zu reden!“, unterbrach ich ihn verbissen und nahm einen Zug aus der Zigarette. Ich hätte ihn schlagen können!
Das solche Gedanken in meinem Kopf, dem Kopf von Julien Flynn, herumwanderten, konnte ich noch immer nicht fassen. Jase zog mich noch etwas zu sich und zog ebenfalls einmal aus seiner Zigarette. Er sah zu mir.
„Mach dir keinen Kopf.“, sagte er erneut und küsste mich auf die Wange.
Ich schloss kurz die Augen und konnte nichts anderes, als meinen Kopf an ihn zu lehnen.
„Bau nicht wieder irgendeine Scheiße, klar?“
Er lachte auf und schlug mir gegen den Hinterkopf.
„Ich weiß, was ich tue.“
Weißt du nicht, wollte ich sagen, riss mich aber doch noch einmal zusammen. Ich wusste, dass Jase mal wieder so tat, als wäre er stark genug und als müsste er jedem etwas beweisen!
Konnte ihm das mal irgendjemand aus dem Hirn kloppen!?
„Jase.“, fing ich an und sah zu ihm.
Der Blonde grinste und wandte seinen Blick zu mir.
„Du ziehst das nicht allein durch.“
Warum hatte ich das jetzt gesagt? Ich wusste es nicht, doch wusste ich sehr genau, dass ich Jason das nicht allein machen lassen konnte. Wenn er sterben sollte, dann würde ich auch sterben, das wusste ich. Jase war stärker und ausgebildeter als ich. Er konnte mit zahlreichen Waffen umgehen und besiegte im Kampf so gut wie jeden. Trotzdem hatte ich meine Zweifel und Sorgen, was diese Mission anging. Meine Gedanken kreisten. Es war wie ein Teufelskreis.
Einerseits zweifelte ich nicht an seinen Fähigkeiten und seinen Kräften im Kampf, doch andererseits erinnerte ich mich an diese ganzen Monate zurück, seitdem dieser Psychopat begonnen hatte, unsere Agenten abzuschlachten.
Ich wollte nicht, dass auch mein bester Freund zu diesen Opfern zählen musste. Würde ich das überhaupt verkraften?! Für mich wäre das undenkbar! Es war Jason! Er war mein verdammter bester Freund! Wenn er...
„Du denkst schon wieder zu viel.“
Er grinste und sah mich an. Seine Augen blickten mich durchdringend an. Manchmal kam es mir vor, als könne er einen mit seinen Augen durchbohren. Diese grauen Augen.
Einerseits hasste ich sie und andererseits konnte ich es mir nicht vorstellen, wie mein Leben wäre, wenn ich diese nicht mehr hätte!
Jase sah mich von der Seite an, ehe er seine Zigarette wegwarf. Er seufzte auf.
„Ich pack das, klar?“
Darauf konnte ich nur den Kopf schütteln.
„Wir packen das!“, verbesserte ich ihn und sah ihn mit ernster Miene an.
Jason grinste mich an.
„Du siehst so bekloppt aus, wenn du versuchst ernst zu schauen.“
Er begann so haushoch zu lachen, dass er sich minutenlang nicht mehr einbekam und nur vor sich hinkicherte. Genervt verpasste ich ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf.
„Idiot.“
Dafür bekam er noch einen größeren Lachanfall.
„Idiot.“, machte er mich nach. „Ju, dich kann man einfach nicht ernst nehmen, wenn du so guckst. Sorry...“
Den Rest seines Satzes verschluckte er in einem lauten Lachanfall. Er konnte so ein Arsch sein! Am liebsten hätte ich ihn geschlagen. Einfach, weil er es verdient hätte. Doch anstatt ihm eine Ohrfeige zu verpassen, konnte ich einfach nicht anders- und umarmte ihn.
„Mach keinen Scheiß, verstanden?!“, schrie ich ihn fast schon an und zog ihn energisch an mich.
Er sagte nichts darauf, sondern erwiederte meine Umarmung.
„Mach ich doch nie.“
„Wer's glaubt.“, schnaubte ich verächtlich. „Du wirst immer Scheiße bauen.“
Ich hörte ihn auflachen.
„Ich weiß.“
Wütend schlug ich ihm gegen den Brustkorb. Ich ließ ihn wieder los. Dieser Tag würde nie kommen, an dem Jason Haste aufhören würde, Scheiße zu bauen. Das wusste ich!



3. Kapitel

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie diese zwei Wochen so schnell hatten vergehen können. Jeder einzelne Tag war gleich vergangen. Jason und ich saßen eine gefühlte Ewigkeit daran irgendwelche Informationen über diesen Psychopaten herauszufinden, wobei wir immer wieder auf etwas stießen,was ein Hinweis sein könnte, sich dann aber als total falsch herausstellte.
Inzwischen war es schon fünf Uhr morgens und wir saßen noch immer in unserem Büro und durchsuchten sämtliche Akten, von den vorigen Akten.
„Das ist doch Wahnsinn!“
Wütend schlug Jase auf den Tisch und fuhr sich ein weiteres Mal durch das blonde Haar, das inzwischen schon in sämtliche Richtungen abstand.
„Dieser Wichser ist ein verdammtes Genie! Wie stellt der das an!!“
Minutenlang starrte der Blonde wütend in den Bildschirm hinein. Seine Augen zogen sich zusammen. Wütend lehnte sich Jase auf seinem Stuhl zurück, griff in seine Jackentasche und zündete sich die geschätzt zehnte Zigarette an.
„Wir werden nie dahinter kommen, was?“
Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und starrte an die Decke. Ich schüttelte nur den Kopf. Das dachte ich mir schon seit Monaten. Dieser Psychopat hatte irgendeinen Plan ausgetüftelt, dass er nie entdeckt werden konnte. Es gab keine Fingerabdrücke, keine Spuren von fremden DNA, nicht einmal ansatzweise einen Hinweis. Am liebsten hätte ich diesen drecks Auftrag einfach fallen gelassen. Das war einfach nur Wahnsinn! Wie oft hatte ich das Jase jetzt schon gesagt? Gefühlt tausendmal!
„Wie sind die Agenten vor ihm auf etwas gekommen?“, kam es mir auf einmal aus.
Der Blonde nahm einen weiteren Zug aus der Zigarette und sah mich an. Ein trauriges Grinsen zeigte sich auf seinen Lippen.
„Überhaupt nicht.“, sagte er. „Ju, alle Agenten die auf ihn angesetzt wurden, sind von einem Tag auf den anderen verschwunden. Sie haben ihn nicht gefunden.“
Ich setzte mich auf den Tisch und fuhr mir durch die Haare. In dem Moment, als er dies ausgesprochen hatte, war meine Theorie eindeutig richtig geworden. Wenn wir ihn erledigen wollten,mussten wir uns finden lassen.
Von ihm! Wir mussten ihn die Sache erledigen lassen. Wie es dann weitergehen sollte, hatte ich keine Ahnung. Wenn er uns erst hatte, wie sollten wir ihn dann noch besiegen?
Meine Hand krampfte sich zusammen. Jase fing meinen Blick auf und hielt mir die Zigarette hin. Dankend nahm ich sie entgegen und zog einmal kräftig. Er legte mir die Hand auf den Oberschenkel.
„Ich hab keine Ahnung, wie wir das schaffen sollen, Ju. Aber wir es muss eine Lösung geben. Es wäre doch ...abnormal, wenn das nicht ein Agent von uns schaffen könnte.“
Ich nahm einen weiteren Zug und sah den Blonden an.
„Dieses...Etwas ist abnormal!“, rief ich und drückte die Zigarette aus. „So gut durchplant war noch niemand von all diesen Psychopaten!“
Jase nickte.
„Klar, war das noch niemand.“, bestätigte er mir nur. „Aber der ist es. Das heißt aber noch lange nicht, dass es unmöglich ist.“
Er wandte sich an eine weitere Akte. Die von seinem letzten Opfer. Robert Johnson. Angeekelt verzog ich das Gesicht. Inzwischen waren weitere Teile von ihm angekommen. Morgen wären die Finger an der Reihe.
Allein wenn ich daran dachte wurde mir schlecht. Sofort kam mir in den Sinn wie gut möglich es war, dass in ein paar Wochen genau diese Teile von Jase oder mir hier ankommen würden, ohne einen weiteren Hinweis auf dieses Arsch!
Eine kurze Schweigeminute trat zwischen uns. Wir waren beide schon höchst genervt und wütend zugleich. Seit Tagen machten wir fast jede Nacht durch. So viel gearbeitet hatten wir schon lange nicht mehr- und ich konnte mir eine durchaus angenehmere Arbeit vorstellen.
Hätten wir nicht Mechaniker oder Büroangestellte werden können? Nein, wir suchten uns natürlich den Job eines Agenten aus! Wie typisch für uns!
Dass Jase keinen „normalen“ Job angenommen hatte war mir von anfang an klar gewesen. Es war ja nicht so, dass er wirklich richtig im Kopf war. Klang hart, aber der Blondschopf neben mir, der sich als meinen besten Freund empuppt hatte, war alles andere als normal. Eigentlich war es auch nur logisch, dass er so war, wie er nun einmal war. Die ideale Erziehung hatte er nicht gerade genossen.
Als er fünf Jahre alt gewesen war, war seine Mutter gestorben. Jahrelang hatte er nicht ein einziges Wort darüber verloren- nicht einmal mir gegenüber. Erst vor zwei Jahren war er soweit gewesen, mich einzuweihen, was wirklich passiert war.
Es war Mord gewesen. Und wer war dabeigewesen und hatte mir fünf Jahren jede Einzelheit mitangesehen, wie seine Mutter gefoltert, gequält und anschließend ermordet worden war?
Genau. Es war er selbst gewesen.
Als er mir das erzählt hatte, war es zum ersten Mal seit unserer jahrzehntelangen Freundschaft dazu gekommen, dass ich ihn hatte weinen sehen. Ich hatte ihm ansehen können, wie schwer diese Geschichte noch immer auf ihm lastete. Vermutlich war es auch der Auslöser gewesen, warum er sich dazu entschlossen hatte, genau in diesen Beruf einzusteigen.
Um genau so etwas zu verhindern- dass Kindern ihre Familie genommen wurde, oder allgemein ein Mensch durch solche Bastarde einen geliebten Menschen verlor.

Ich sah Jason an, der neben mir den Kopf auf den Schreibtisch fallen ließ und die Hände darüber zusammenschlug.
„Ich kann nicht mehr.“, murmelte er leise.
Seine Stimme klang belegt. Es hatte mich wirklich gewundert, dass er überhaupt so lange durchgehalten hatte. Das sollte nicht heißen, dass ich Jason für jemanden hielt, der kein Durchhaltevermögen hatte. Es ging um den heutigen Tag. Heute war ein ganz bestimmter Tag im Leben meines besten Freundes. Denn ich konnte nicht sagen, dass er „nur“ seine Mutter verloren hatte. Vor fünf Jahren hatte er, unter den Umständen seines Berufes, seine erste große Liebe, Matthew Peterson,verloren.
Ja, ihr habt das genau richtig verstanden. Matthew Peterson, Jasons' erste Beziehung, war er Mann gewesen. Denn mein bester Freund ist schwul. Schon seit Jahren. Dazu sollte man anmerken, dass er sich anfangs hartnäckig dagegen gesträubt hat. Aber sich gegen sich selbst währen ist wirklich ein Kampf den man nicht gewinnen kann. Auch nicht, wenn man Jason Benetict Haste, heißt.
Matt kam durch einen Auftrag ums Leben. Er hatte auch für die CNS gearbeitet. Jase hatte ihn schon länger bemerkt und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Es hatte auch nicht wirklich lange gedauert, als die beiden den Kontakt zueinander gefunden hatten und zum ersten Mal zusammen ausgingen.
Jase und Matt waren wie füreinander geschaffen worden. Ich hatte ihn lange nicht mehr so lachen und strahlen gesehen, wie zu dieser Zeit mit Matt. Jason war ein Draufgänger. Schon immer gewesen. Doch in Matt hatte er sich wirklich ernsthaft verliebt. So dass er auch gar nicht lange gewartet hatte.
Die beiden hatten ein fantastisches Paar abgegeben. Bis zu dem Tag an dem Matt nicht mehr zurückgekommen war.
Jase war am Boden zerstört gewesen. Er hatte schon daran überlegt zu kündigen.
„Es sind heute genau fünf Jahre.“, sagte Jason monoton klingend.
Ich nickte. Genau fünf Jahre. Jason kannte diesen Tag auswendig. Er hatte Matt über alles geliebt und wirklich alles für ihn getan. In den ganzen Jahren die wir uns kannten, hatte ich es noch nie erlebt, dass er sich so in etwas hineinhing.
Langsam strich ich meinem besten Freund durch das blonde Haar und legte meinen Kopf auf seinen. Ich spürte, dass es das Beste war, wenn wir es für heute dabei belassen würden.
Sein fünf Stunden war der Todestag von Matt. Kein Wunder, dass Jase mit den Nerven am Ende war. Er stresste sich viel zu sehr in diese Sache hinein. Es war durchaus nachzuvollziehen, warum er das alles tat. Ich kannte ihn nur zu gut, doch wusste ich auch, wann es Schluss war. Kurz küsste ich ihn auf die Stirn, stand dann auf und hielt ihm meine Hand hin.
„Komm mit.“
Dieser reagierte nicht.
„Jase.“, sagte ich und stellte mich neben ihn. „Komm jetzt mit.“
Noch immer regte er sich nicht. Erst nach einer Weile bemerkte ich ihn immer gleichmäßiger ein und ausatmen, was mir ein leichtes Grinsen auf die Lippen brachte. Jetzt war er einfach eingeschlafen.
„Jason?“
Ich versuchte ihn wieder aufzuwecken. Der Bürostuhl war defenitiv nicht der richtige Platz zum Schlafen. Kurz setzte ich mich neben den schlafenden Jason. Leicht musste ich schmunzeln. Es war mir schon wirklich oft aufgefallen, wie anders er aussah, wenn er schlief. Er wirkte so friedlich, ausgeglichen und irgendwie richtig süß. Sein hitziges Temperament war so nicht mal ansatzweise zu erkennen. Mein Blick wanderte durch das Büro, bis hin zu der Couch, die wir dort stehen hatten.
Seufzend stand ich auf, griff unter seine Arme und zog ihn von dem Stuhl. Um Himmels Willen war der schwer! Das war ja nicht normal!
Angestrengt zerrte ich ihn durch das ganze Büro bis hin zur Couch wo ich ihn mit den letzten Kräften hochhiefte. Meine Arme fühlten sich an, als würden sie mir abfallen, als ich Jase dort hinverfrachtet hatte.
„Wie kann jemand wie du so verdammt schwer sein, Haste!?“
Dazu sollte ich vielleicht anmerken, dass weder Jason noch ich aussahen, wie die richtigen Agenten. Wir waren beide eher schmal und klein gebaut. Keine von der Sorte Agenten, die einen Gegner mit einem Schlag umstießen. Sowohl mein bester Freund, als auch ich, waren in anderen Techniker geübter. Das war vielleicht auch der Grund, warum wir zusammen arbeiteten.
Langsam stand ich auf und ging in Richtung Tür. Ich warf Jase noch einen Blick zu. Manchmal, wenn ich ihn ansah kam es mir vor, als würde ich ihn trotzdem nicht wirklich kennen. Zwar kannten wir uns schon seit der Schulzeit, doch er war trotzdem noch immer jemand, der nicht vollständig zu durchschauen war. Jase war fünf Jahre älter als ich, weshalb ich anfangs nicht wirklich viel von ihm mitbekommen hatte. Außer die Tatsache, dass er jeden Tag zum Direktor musste. Ich musste grinsen, als ich daran dachte und langsam die Tür hinter mir zuzog.
Meine Schritt hallten an der Wand wider, als ich zum Aufzug schritt. Unten angekommen ging ich langsam zum Ausgang. Die Sonne stand schon hinter den Häusern. Erst als ich diese sah, wurde mir bewusst, wie müde ich eigentlich war. Kein Wunder, dass Jase hier eingeschlafen war. Allein bei dem Gedanken daran, dass ich noch nach Hause fahren musste, wurde ich noch müder, überlegte schon daran mich einfach in mein Büro zu legen und dort zu schlafen. Allerdings würde ich dort kaum lange meinen Schlaf bekommen. An dieser Stelle konnte man sich die Frage stellen, wie lange der Blondschopf wohl durchschlafen könnte. Ich kramte in meiner Jackentasche herum und zog Autoschlüssel und Zigaretten heraus. In letzter Zeit stresste mich das alles einfach so, dass ich schon zum Kettenraucher mutierte. Anders war dieser verdammte Auftrag einfach nicht auszuhalten!
Tief sog ich die Morgenluft an und schloss kurz die Augen, nahm dann die Zigarette in den Mund und holte mein Feuerzeug. Ich ließ es klicken. Einmal. Zweimal. Drei...
Ohne Vorwarnung bekam ich auf einmal Etwas, es hätte ein Tuch sein können. Direkt auf den Mund gedrückt. Meine Sinne schwanden. Mir wurde schwindelig und bevor ich noch hätte reagieren können, wurde mir schwarz vor Augen...

4. Kapitel

Als ich wieder wach wurde, kamen mir zu allererst meine schmerzenden Arme in den Sinn. Es fühlte sich an, als wäre mir jemand darauf gestiegen. Ächzend, als sei ich ein alter Mann, versuchte ich die Augen zu öffnen, die sich verdammt schwer anfühlten. Fast so als lägen Steine darauf. Gerade als ich mir darum bemühte, die Augen zu öffnen, kam es mir in den Sinn, dass ich keinerleich Erinnerung daran hatte, dass ich zu Hause schlafen gegangen war.
Ich war mit Jason auf der Arbeit gewesen. Daran erinnnerte ich mich noch sehr genau. Wir hatten weiter an dem Auftrag gearbeitet. Jase war eingeschlafen. Dann war ich zum Ausgang gegangen und...
Den Rest der Nacht oder eher des Morgens hatte ich nicht mehr in Erinnerung, Was war passiert?! Mein Gedächtnis war ziemlich gut.
Mit höchster Anstrengung öffnete ich langsam die Augen. Doch...hatte ich sie nun wirklich geöffnet oder bildete ich mir das nur ein?
Das Einzige was ich sah, war Schwarz. Die tiefste Dunkelheit befand sich vor meinen Augen. Meine Arme waren so verdammt schwer. Ich versuchte sie anzuheben, scheiterte aber kläglich. Ich verstand das alles nicht.
Mir war so schwindelig. Außerdem kam es mir vor, als würden meine Sinne erst langsam wieder einsetzen. Meine Augen waren so schwer. Dabei war ich noch nicht einmal müde. Ich konnte sie einfach nicht offen halten. Langsam ertastete ich den Boden unter mir.
Er war kalt, soviel konnte ich schon einmal sagen. Viel zu kalt. Meine Handgelenke schmerzten. Es war alles zu viel, zu schwer. Mein Körper fühlte sich an, als sei er aus Blei. Fast schon wie automatisch schlossen sich meine Augen und ich verlor das Bewusstsein...

Als ich das nächste Mal erwachte, fiel es mir leichter die Augen zu öffnen, als das erste Mal. Doch anstrengend war es noch immer. Am liebsten hätte ich sie geschlossen gelassen. Der Raum in dem ich mich nun befand, war nicht mehr Schwarz, doch immer noch recht finster. Ich bewegte mich ein Stück nach vorne. Ein Klirren erklang, exakt in dem Moment als ich mich bewegte, hörte auch dann auf, als ich mich wieder stillhielt. Meine Arme. Warum waren sie so verdammt schwer?
Langsam wanderte mein Blick durch den Raum. Doch ich brauchte gar nicht lange, ehe mein Puls innerhalb von Sekunden auf 100 schoss!
Ketten! Eisenketten! Das erklärte so einiges. An meinen Handgelenken und Beinen waren Eisenketten befestigt worden! Meine Gedanken überschlugen sich. Warum war ich einem Ort wie diesem!?
Es sah aus, als sei es ein Keller in dem ich an die Wand gekettet worden war. Kein Licht durchstrahlte den Raum. Nur ein Spalt, vermutlich von einer Tür, wies Helligkeit auf. Am liebsten hätte ich geschrien! Es gab nur eine plausieble Erklärung dafür, wie ich hier hergekommen war!!
ER musste es gewesen sein! Ich nannte dieses Etwas, welches seit Jahren ganz Amerika heimsuchte ER, weil ich keine bessere Bezeichnung dafür fand. Ich war mir sicher, dass ER es gewesen war!
Ich hatte keine Erinnerung mehr an den Vorabend. Nachdem ich mein Büro verlassen hatte und den Weg zu zum Parkplatz gegangen war, wusste ich nichts mehr. Es war nicht vorhanden!
Ich war gefangen, kam es mir unwiderruflich in den Sinn. ER hatte mich.
Liebend gerne würde ich einfach schreien, in der Hoffnung jemand würde mich hören. Allerdings würde ich so die Aufmerksamkeit auf mich ziehen und ihn schon dazu herausfordern, dass er mir die Kehle aufschlitzte!
„Es gibt keinen Ausweg!“, rief eine panische Stimme in meinem Kopf. „ER wird dich finden und genauso wie alle vor dir auslöschen. Du wirst nur einer von vielen sein, dessen Körperteile einzeln an die CNS geschickt werden.“
Bei diesem Gedanken schlug mir das Herz so schnell gegen die Brust, dass es wehtat. Ich spürte, wie ich gegen die Tränen ankämpfte. Es gab keinen Ausweg! Ich würde genauso enden, wie die vor mir!
Jason. Wie es ihm wohl ging? Hatte er bemerkt, dass ich fort war? Bestimmt. Jase sorgte sich sehr um mich, auch wenn er es nie zugab. Seine Taten sprachen für sich. Die ganzen Jahre in denen wir zusammen arbeiteten hatte er das mehrere Male bewiesen.
Ich fragte mich, wie es ihm ging, während ich hier festsaß. Gerade da fiel es mir wieder ein: Ich war an Matts' Todestag verschwunden- oder besser entführt worden.
Der arme Jason! Erst Matt, jetzt ich.
Ich konnte es nicht verhindern, dass mir bei dem Gedanken Tränen in die Augen schossen. Als wäre es noch nicht genug gewesen, dass seine große Liebe an diesem Tag gestorben war. Nun musste auch ich, sein bester Freund, genau an diesem Tag, fünf Jahre später, entführt werden! Allein wenn ich daran dachte, wünschte ich mir nur hier rauszukommen und meinen chaotischen besten Freund richtig fest zu umarmen.
Er hatte es mir noch nie wirklich gesagt, aber ich wusste, dass ich für ihn der wichtigste Mensch auf der Welt war. Genauso wie er für mich. Er war für mich wie die Familie, die ich nie gehabt hatte.
Ich war im Waisenhaus aufgewachsen.
Meine Mutter und mein Vater waren kurz nach meiner Geburt ums Leben gekommen. Unser Haus war abgebrannt. Seitdem hatte ich in einem Waisenhaus gelebt. Dort war ich genauso allein gewesen.

Erst als ich auf die Schule gegangen war, begegnete mir gleich an meinem ersten Tag ein großer, schlanker Junge,mit hellblonden Haaren und grauen Augen.
„Hey Kleiner!“, war das Erste was er zu mir gesagt hatte. „Hast du dich irgendwie verlaufen?“
Da hatte er verdammt Recht gehabt. Ich hatte nämlich den Weg zu meinem Klassenzimmer verloren. Jase hatte ihn mir gezeigt. Er war der älteste Schüler hier. Auch wenn er schon zwölf Jahre alt war und ich erst acht, freundete ich mich mich mit ihm an.
Jase verstand mich. Er sorgte sich um mich, als sei ich sein kleiner Bruder. Doch im Endeffekt war ich es auch. Jason war mein Bruder. Er war meine Familie und das würde er auch immer bleiben. Er war mir so verdammt wichtig. Fast schon wichtiger als...
Ich schluckte. Warum dachte ich jetzt daran? Aber ja. Jason war die wichtigste Person in meinem Leben. Wichtiger, als...als eine andere Person, die ich zwar schon wesentlich länger kannte, als Jase, doch hatte ich sie auch vor einigen Jahren verloren
Manchmal vermisste ich diese Zeit. Einfach weil das der Grund gewesen war, warum
meine Kindheit, für die Verhältnisse eines Waisen, sehr gut gewesen war. Der Grund war SIE gewesen.
Dieses Mädchen. Dieses ernste Mädchen. Ich hatte sie seit meiner Geburt an gekannt- aus dem Waisenhaus.
Oft hatte ich mich gefragt, was ihr so auf dem Herzen lastete, da ich sie nicht einmal hatte aus vollem Herzen lachen gesehen hatte. Jedes Mal wenn sie gelächelt hatte, war es ein Gezwungenes und Gestelltes gewesen.
Das hatte ich auch schon als Kind bemerkt, dass mit ihr etwas nicht gestimmt hatte. Andererseits hatte ich sie auch nie danach gefragt. Das obwohl Kinder immer genau das aussprachen, was ihnen im Kopf herumging. Noch heute frage ich mich, was wohl passiert wäre, wenn ich dies ausgesprochen hätte?
Langsam schüttelte ich den Kopf. Was dachte ich darüber nach ,während ich an Armen und Beinen festgekettet war, ohne einen einzigen Schimmer von Hoffnung?
Es war nur noch eine Frage der Zeit, das war mir klar. ER würde kommen! Da war es völlig sinnlos sich die Fragen zu stellen, was passiert wäre, wenn ich in meiner Vergangenheit etwas geändert hätte. Brachte es mich jetzt weiter? Nein. Es änderte rein gar nichts an meiner Situation, dass ich nun in den Fängen von einem wahnsinnigen Psychopaten war, der mich jeden Moment umbringen könnte!

Ohne Vorwarnung vernahm ich auf einmal Schritte. Das Herz schlug mir schnell gegen die Brust. Schritt. Schritt. Schritt.
Mir war, als würde mir jemand die Luft abschnüren. Lass es nur einen Traum sein, dachte ich mir die ganze Zeit über. Lass es nur einen verdammten Traum sein!
Ich hörte, wie die Schritte näher kamen. Immer näher. Schritt für Schritt. Noch waren sie weiter von mir entfernt, doch es dauerte nicht mehr lange, dann würde diese Person mich bald erreicht haben, ohne dass ich eine Chance auf die Flucht hatte. Meine Situation war einfach hoffnungslos.
„Nichts ist hoffnungslos.“, kam mir ein Satz in den Sinn, den dieses Mädchen einmal gesat hatte.
„Es ist nur hoffnungslos, wenn du es hoffnungslos machst.“
Das war IHR Satz gewesen. SIE hatte so etwas so oft gesagt. Sie war für ein 5-jähriges Kind so unheimlich weit in der Entwicklung. Nur mit dem Unterschied, dass manche solcher Kinder trotdzem noch eine kindliche Seite an sich haben. Diese hatte SIE noch nie gehabt. Dieses Kind hatte schon immer wie eine erwachsene Frau in einem Kinderkörper gewirkt.
SIE war eine sehr merkwürdiges Kind gewesen.
Schritt. Schritt. Schritt.
Ich zitterte. Die Angst stieg in mir auf. So viel Angst stieg in mir auf, so dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.
Schritte.
Ich konnte mich meinem Schicksal nicht so einfach ergeben! Andererseits blieb mir nichts anderes übrig. Ich hatte keine Wahl. Es war aussichtslos. Es war...

„Wie ich sehe ist mein Gast nun erwacht? Sie haben sehr lange geschlafen, Mr. Flynn.“


Meine ganzen Eingeweide zogen sich zusammen, mir blieb der Atem weg! Es war vorbei! Aus! Vorbei!

5. Kapitel

Die Stimme aus der Dunkelheit näherte sich Stück für Stück. Ich hörte nur die Schritte vor mir.
ER war nah. Ganz nah. Das konnte ich spüren. Ich atmete seinen Geruch ein. ER roch nach Metall, nein. Das war Blut. Das Blut klebte nur so an ihm. Jedes einzelne Teil an ihm stank nach Blut und Mord. Diese Gestalt, die auf mich zukam, war ein Monster, das war mir in dem Moment bewusst, als ich seine Schritte gehört hatte.
„Ich hoffe Sie haben gut geschlafen?“, erklang die Stimme aus der Dunkelheit, welche nun unmittelbar vor mir war.
Antworten konnte ich nicht. Außerdem hatte ich nicht einmal vor, diesem Monster eine Antwort zu geben! Dieses Monster! Dieses Etwas! ER war nun genau vor mir! Ich wäre sein nächstes Opfer! Mich würde ER als nächstes in das Reich der Toten schicken! Ich zitterte. Mein Atem wurde von Sekunde zu Sekunde hektischer, das Herz schlug immer schneller und schmerzhafter gegen meine Brust. Ich konnte nicht mehr! Nein, das war alles zu viel! Ich konnte schon spüren, wie mir die Augenlider schwer wurden...
Urplötzlich spürte ich eine grausige Kälte in Form von Wasser über mir. Ich zuckte zusammen und schüttelte mich vor Schock.
„Nicht wieder einschlafen, Sir.“, sagte die Stimme vor mir und zog meinen Kopf an den Haaren in eine aufrechte Position.
Ich konnte IHN nicht sehen. ER war völlig in der Dunkelheit versteckt, so dass ich nicht einmal einen Blick auf dieses Monster werfen konnte. ER war gerissen. Für den Fall, wenn ihm jemand entkommen sollte, könne dieser nicht einmal sagen, wie er aussah. Ich zitterte erneut. Diesmal wusste ich nicht, ob es von dem Wasser kam, das mir verpasst worden war, oder ob dieses Zittern von Innen kam. Diese Panik welche in mir aufstieg. Das Monster, vor mir, lachte kurz auf.
„Geht es Ihnen etwa nicht gut, Sir?“
Am liebsten hätte ich diesem Monster ins Gesicht geschlagen. Für mich war es eindeutig. Es war wirklich ein ER! Ich hatte nicht falsch gelegen.
Das Monster, war männlich. Sein Griff verstärkte sich, während er mit der anderen Hand mein Gesicht umfasste.
„Sie sind noch kindlicher, als Sie auf den Fotos wirken.“
Mir war, als würde ich das mörderische Grinsen auf dem Gesicht dieses Monsters sehen- auch wenn ich nicht einen Schimmer hatte, wie er wirklich aussah. Vor meinem inneren Auge stellte ich ihn mir einfach vor, wie den typischen Mörder, aus meinen anderen Fällen. Die meisten Mörder erfüllten genau die Klischees eines Serienmörders.
Blasse Haut, wie die eines Vampirs. Im Grunde waren Mörder, wie Vampire. Sie waren nachtaktiv, sie schliefen kaum und näherten sich an dem Schmerz und Leid anderer. Mörder waren blasshäutig, die meisten waren sehr groß und maskulin und sie hatten alle diese bestimmte Art, welche es eindeutig machte, dass sie Mörder waren. Etwas, dass verriet, sie gehörten eigentlich in eine psychiatrische Anstalt.
Das war es. Genau so wirkte auch das Monster vor mir. Zwar sah ich ihn nicht, doch seine Stimme war schon bedrohlich genug. Doch eines unterschied ihn von den anderen. Dieses Monster schien mir, von der Stimme her, noch realtiv jung zu sein.
Ich vernahm ein Lachen, aus der Kehle des Monsters. Ja, auch das stimmte über ein, mit den typischen Mördern. ER war genau wie sie alle.
„Es wäre ein Leichtes Sie auszulöschen.“, flüsterte er mir ins Ohr.
Er war so nah, dass ich seinen Geruch deutlich vernehmen konnte. Am liebsten hätte ich mich übergeben! Dieser Typ widerte mich an! Hätte ich meine Hände nur unter Kontrolle, damit ich ihm den Hals aufschlitzen könnte! Verdient hätte er es mehr als alles andere!
Mir wurde heiß. Mein Herz hämmerte immer schneller. Ich spürte, wie Hass in mir aufkochte. Ich wollte diesem Dreckskerl die Kehle aufschlitzen! Er musste sterben! Er würde sterben! Nichts anderes...!
Langsam ließ seine Hand von mir ab. Leise vernahm ich das Klicken eines Feuerzeuges. Innerhalb weniger Sekunden flammte ein kleines Licht vor mir auf. Mir blieb die Luft weg, als ich in ein paar stechend blaue Augen sah. Ich sah seine Augen. Sie waren beängstigend. Zwar nicht sehr viel anders, als die jedes anderen Psychopaten- und doch setzte mir ihr Blick mehr zu, als die aller zuvor. Seine blauen Augen waren direkt vor mir. Es war das einzige, was ich von dem Monster zu Gesicht bekam. Diese Augen. Ich versuchte wegzusehen, doch es gelang mir nicht. Dieser Blick, diese Augen. Sie hielten einen fest. Egal wie sehr man sich bemühte wegzusehen, man konnte es nicht. Es war als sei man Zeuge eines schrecklichen Unfalls. Man möchte wegsehen, doch kann es nicht!
Genau so erging es mir in diesem Moment, als ich in diese schrecklich grellen Augen sah.
Kichern. Das Monster vor mir begannn zu kichern, die Flamme vor mir begann zu zittern, sich vor, hinter, hoch und runter zu bewegen. Aus reinem Reflex wich ich zurück so weit es mir nur möglich war. Erneut wurde ich an den Haaren gepackt und so nah zu ihm herangezogen, dass ich erneut seinen abartigen Atem einatmen konnte. Mich überkam ein so gewaltiger Würgereiz, kaum atmete ich seinen fauligen, blutigen Atem ein. Dieser Typ war so widerlich!
Ich wurde an den Haaren noch näher zu ihm gezogen, so dass seine unheimlichen Augen -und somit er- unmittelbar vor mir waren. Er senkte die Flamme auf den Boden hinab. Eine Kerze, welche auf dem Boden stand fing das Feuer auf und beleuchtete den Raum leicht. Das Monster schob die Kerze direkt vor mich. Sein Gesicht beugte sich zu mir.
Über meinen ganzen Körper zog sich eine Gänsehaut. Am liebsten hätte ich um mich geschlagen, wären meine Arme nur nicht verhindert! Sein Gesicht war nun direkt neben meinem Ohr! Ich spürte seinen Atem in meinem Ohr.
„Hast du Angst?“, flüsterte er mir so leise ins Ohr, so dass ich es kaum verstand.
Ich kniff die Augen zusammen, als es mir erneut eiskalt den Rücken hinablief. Dieses Monster! Konnte er mich nicht einfach töten!? Ich wollte seinen widerlichen Atem nicht spüren, seine abartige Stimme nicht hören und seine unheimlichen Augen nicht sehen! Wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment doch, ich sei einfach zu Hause in meinem Wohnzimmer und würde mit Jase einfach einen guten Rotwein trinken.
„Antworte.“, sagte die Stimme.
Mir war, als könne ich das mörderische Grinsen schon vor meinem inneren Auge sehen. So viele Psychopaten hatte ich erledigt, um genau zu wissen, wie diese Monster zu bestimmten Zeitpunkten auftraten. Die Hand des Monsters schlosss die fester um meine Haare. Es schmerzte wie noch etwas.
„Antworte, du Wicht!“, zischte das Monster.
Erst jetzt bemerkte ich, dass er aufgehört hatte mich zu siezen. Die Stimme des Monsters klang wütend. Er hatte es nicht gern, wenn man ihn ignorierte, das erkannte ich sofort. Im Endeffekt war er nur wie alle anderen auch. Sie hielten sich alle für etwas Wichtigeres, was es rechtfertigte, dass sie so etwas taten. Sie waren alle gleich! Sie waren alle Monster! Alle darauf aus, die Welt auszulöschen!
Der Hass in mir stieg immer weiter nach oben. Wie sehr ich sie doch alle hasste! Wenn es jemand verdiente zu sterben, dann waren es diese widerlichen Psychopaten! Sie...!
Meinen Gedanken konnte ich nicht mehr vollziehen, denn bevor ich noch etwas hätte tun können, bekam ich einen so heftigen Schlag gegen den Kopf, dass ich aus meiner sitzenden Position gerissen wurde und bäuchlinks auf dem Boden landete.
„Ich sagte, atworte mir!“
Er packte mich erneut an den Haaren nach oben und schlug mir mit der Faust ins Gesicht. Mein Auge schmerzte. Er schlug noch einmal zu- und noch einmal. Ich konnte spüren, wie das Blut aus meiner Nase zu fließen begann. Er ließ mich los, so dass ich erneut auf dem Boden aufschlug.
Der Psychopat über mir gab etwas von sich, was ich nicht verstand, ehe er ausholte und mir energisch in die Seite trat.
Ein greller Schrei entkam mir! Ich hatte nicht schreien wollen! Alles nur das hatte ich nicht gewollt, doch es war unaufhaltsam gewesen. Er hielt inne und beugte sich erneut zu mir hinab.
„Hat das etwa weh getan, Julien?“
Seine blauen Augen blitzten, wie er mich ansah. Ich keuchte. Ich würde nicht antworten! Niemanls würde ich mit einem Monster wie ihm sprechen!
Ein weiterer Schlag folgte-und noch einer. Ich war durch einen weiteren auf den Rücken geschleudert worden, als er mir mit dem Fuß so fest gegen den Kopf schlug, dass mir schwarz vor Augen wurde. Entschlossen hielt ich die Augen geöffnet. Alles tat mir weh, alles drehte sich.
„Du solltest wissen, wann man zu antworten hat und wann zu schweigen.“, sagte er, holte aus und rammte mir sein Knie direkt ins Gesicht.
Ich konnte seinen Zorn spüren. Seinen Hass jeden Menschen gegenüber. Er strahlte es aus, Es war wie eine Aura, welche ihn umgab, die ihren ganzen Hass hinausschrie, Er hasste die Menschen mehr als alles andere. Er wollte sie alle umbringen!
Wütend trat er mir mit dem Fuß direkt ins Gesicht. Ich würgte und spuckte Blut, welches sich als Blutlarche auf dem Boden abzeichnete. Er zog mich an den Haaren nach oben.
„Antwortest du mir jetzt?“
Doch ich reagierte nicht. Eines hatte ich in meiner jahrelangen Ausbildung gelehrnt, Ich würde niemals Schwäche zeigen! Genau das wollten sie doch alle! Sie wollten sehen, wie sie uns klein bekamen. Aber nicht mit mir, Egal, wie viele Schmerzen wir erleiden mussten, Schwäche würden sie nie zu Gesicht bekommen! Das Monster zog mich an den Haaren nach oben. Seine blauen Augen fixierten mich, wie zwei Laserpointer.
„Du denkst es ist ein Zeichen von Stärke, wenn du das alles über dich ergehen lässt?“
Er lachte.
„Was seid ihr doch alle töricht!“
Er stand auf und zog mich an den Haaren mit nach oben. Mein Körper wurde so schwer. Ich konnte nicht mehr stehen. Nichts als Schmerzen durchdrang meinen Körper. Blut floss mir aus sämtlichen Körperstellen, ich konnte einfach nicht mehr. Er zog mich näher an sich heran.
„Ihr werdet alle sterben.“, flüsterte er mir ins Ohr , packte mich noch fester und schleuderte mich mit solcher Wucht von sich, dass ich gegen die Wand prallte und dort auf dem Boden zusammensank. Ich spürte, wie das Blut meinen Rücken hinablief. Ich atmete schwer. Die Luft blieb mir weg! Ich hustete und würgte. Erneut spuckte ich Blut auf den Boden. Mein Körper war am Ende.
Langsam kam er auf mich zu. Nicht einmal die Kraft mich aufzusetzen hatte ich noch. Ich lag an der Wand, hustete und keuchte vor mich hin, ohne etwas anderes tun zu können. Ich spürte, wie er neben mir in die Hocke ging und meinen Kopf zur Seite schubste.
„Ist das etwa schon zu viel für dich?“
Er lachte.
„Gibst du schon auf? Willst du, dass ich dich jetzt umbringe? Deinen Qualen ein Ende bereite?“
Ich konnte nicht antworten. Wieder wurde ich an den Haaren zu ihm gezogen.
„Du hast keine Chance gegen mich.“, wisperte er mir zu und schlug meinen Kopf auf den Boden.
Ich hörte wie es in meinem Kopf nur so knackte. Das Blut rann mir aus dem Kopf. Es war alles zu viel. Ich hatte immer gewusst, dass er ein Monster war, so wie er die Leichen entstellte, doch nie hatte ich erfahren wollen, was wirklich geschah! Wütend holte er aus, hob meinen Kopf und schlug ihn erneut auf den Boden. Er tat es noch einmal und noch einmal! Immer wieder schlug er meinen Kopf auf den Boden.
„Willst du aufgeben?“
Meine Stimme hatte versagt. Ich hätte ihm nicht einmal antworten können, hätte ich das vorgehabt. Mein ganzer Körper zitterte. Angst überkam mich. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich solch eine Angst verspürt Er würde mich zu Tode prügeln!
In diesem Moment fragte ich mich, wie wohl die anderen zu Tode gekommen waren? Hatte er sie auch alle so lange geschlagen und malträtiert, bis sie schließlich an Schwäche starben? Oder war ich der Erste, dem er das antat?!
Nicht mal einen normalen Laut bekam ich zu Stande. Es war alles zu viel. Mein Körper war für alles zu schwach.
Ich würde sterben, schoss es mir durch den Kopf. Es war sicher, dass ich sterben würde. Nicht in ein paar Jahren, nicht nachdem ich ein langes Leben gelebt hatte. Nein, in den nächsten Stunden, allerhöchstens in den nächsten Tagen. Doch es war eindeutig. Ich würde sterben! Mit 25 Jahren!
Ja, ich wäre sein nächstes Opfer. In ein paar Tagen würde ein weiteres Paket bei der CNS ankommen. Beinhalten würde es einige Haarbüschel von mir. Danach würde ein Teil meiner Kopfhaut zugeschickt werden und dann...
„Ist das das Ende fragst du dich, habe ich Recht?“
Seine Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich zitterte beim Klang dieser Stimme. Seine Hand legte sich grob um mein Gesicht und hob es zu sich. Ich sah erneut seine blauen Augen.
„Hier und jetzt endet es nicht mein Lieber. Es wird für dich enden. Aber nicht jetzt.“
Er kicherte.
„Es hat gerade erst angefangen, mein Lieber.“
Meine Augen wurden schwer.
„Du wirst noch lange hier sein, Julien Flynn.“
Seine Worte nahm ich nur noch leise war. Meine Wahrnehmung ging verloren. Ich spürte noch den Grund unter mir und diese höllischen Schmerzen, welche mich umgaben. Doch erkennen konnte ich sonst nichts mehr. Meine Augen waren so schwer. Ich konnte an nichts mehr denken. Das einzige, was mir im Kopf herumging, waren diese hämmernden Schmerzen meines Kopfes, oder allgemein von meinem Körper!
Er hob noch einmal mein Gesicht an und fuhr mit seinem Finger über meine blutige Wange,zog den Finger zurück und leckte das Blut,welches daran klebte, ab. Erneut vernahm ich ein Kichern.
„Ich werde dein Blut noch früh genug bekommen.“, sagte er und ließ meinen Kopf zurück auf den Boden knallen.
Langsam erhob er sich und schritt durch den Raum. Der Boden knarzte wieder unter seinen Füßen, als er sich davonbewegte. Ich hörte ihn kaum, wie er sich bewegte. Dieses Monster, war so leise, wie eine Maus. Seine Schritte waren nicht zu hören, wie er sich Schritt für Schritt über den Boden bewegte.
Mein Atem ging schwer. Ich bekam kaum noch Luft. Mein ganzer Körper schmerzte, als mir langsam schwarz vor Augen wurde und ich in eine tiefe Bewusstlosigkeit sank.

6. Kapitel

Als ich das nächste Mal wieder zu mir kam lag ich in einem Raum, der völlig in weiß getaucht war. Das grelle Licht blendete mich, so dass ich die Augen sofort wieder zukniff. Es waren Schmerzen in den Augen dort hineinzublicken. Einfach viel zu hell. Schmerzen. Kaum dachte ich daran kam mir dieses Bild wieder vor Augen.
Er schlug zu. Ich würgte, spuckte Blut, mein gesamter Mund schmeckte nur noch nach Blut. Ich hörte wie mein Gegenüber lachte, ehe er mir sein Knie direkt ins Gesicht rammte. Alles tat weh!
„Du bist endlich aufgewacht.“, vernahm ich auf einmal eine Stimme.
Ich schreckte auf, bereit diesem Monster entgegenzutreten. Doch anstelle des Monsters, stand in dem hell durchleuchteten Raum, die magere und kränkliche Gestalt einer Frau. Verwirrt starrte ich die Frau an, als sie langsam auf mich zukam. Ihre Schritte waren schwer und schleppend. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie jeder Schritt anstrengte. Vorsichtig kam sie neben mir zum Stehen.
„Wie...wie fühlst du dich?“
Völlig fassungslos starrte ich sie an. Wie alt mochte sie sein? Ich konnte es einfach nicht einschätzen. Sie wirkte eigentlich nicht alt, allerhöchstens 45 Jahre, doch ihre abgemagerte Gestalt ließ sie älter wirken, als sie es bestimmt war. Die blauen Augen lagen tief im Kopf, ihre Wangen waren eingefallen, die Haut blass und schon leicht gräulich wirkend, die Finger waren dürr und knochig, genau wie ihr gesamtes Erscheinungsbild. Wenn sie mir so begegnen würde, ich hätte Angst diese Frau zu berühren, oder nur an ihr vorbeizugehen, weil man den Eindruck hatte, dass sie bei jeder noch so kleinen Bewegung zusammenbrechen könne.
„Kannst du mich hören?“
Leicht beugte sie sich über mich und überprüfte meinen Herzschlag.
„J-Ja.“, antwortete ich schnell, ehe diese arme Frau sich noch etwas tat.
Sie sah mich an- und lächelte. Die Frau hatte ein schönes Lächeln. Ihre blonden, dünnen Haare fielen ihr über die knochigen Schultern, ehe sie sich leicht zu mir hinabbeugte, die Decke über meiner Brust zurückschlug und sich meinen Oberkörper besah. Ich blickte an mir herab. Ich trug einen Verband. Wer hatte mir diesen angelegt? Wo war ich überhaupt?
Die blonde Frau beugte sich zu mir und begann ihn langsam zu lösen, als ich ihre Hand schnell beiseite schob und mich aufrichtete.
„Sie tun sich noch etwas, wenn Sie so gebückt stehen.“, sagte ich und wies auf den Stuhl, der neben dem Bett, in dem ich lag, stand. Leicht lächelte ich sie an, ehe ich den Verband selbst löste. Sie lächelte, setzte sich stattdessen neben mich auf das Bett und holte neue Verbandsachen aus einer Schublade. Als ich den Verband völlig abgelegt hatte, besah ich mich meinem gesamten Körper. Meine Arme waren mit Verbänden umhüllt, ich spürte, dass auch um meinen Kopf einer gewickelt worden war, in meinem Gesicht mehrere Pflaster klebten und auch eines meiner Beine war mit Verbänden umwickelt worden.
„Wo...wo bin ich?“
Die Frau lächelte nur, griff nach dem Desinfektionsmittel und sprüte es auf meine Brust. Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Aufschrei. Dieses Zeug brannte wie Hölle! Als Nächstes nahm sie einen neuen Verband und wickelte es um meinen Oberkörper, befestigte dies noch mit Klebestreifen, ehe sie mich ansah.
„Sag mir, tut das weh?“
Leicht drückte sie gegen meine Rippen. Ich schrie auf vor Schmerz! Und wie das weh tat!
Sofort nahm sie ihre Finger von der Stelle. Langsam nickte sie.
„Verstehe.“
Verstehe? VERSTEHEN!!!! Was verstand sie bitte?! Dass es verdammt weh tat, wenn sie mir dagegen drückte?! In solchen Momenten ging vermutlich der Jason in mir durch.
Jason.
Schon wieder musste ich an meinen besten Freund denken. Wie ging es ihm? Bestimmt machte er sich Sorgen. Langsam sah ich wieder zu der Frau die nun den Verband um meinen Kopf gewechselt hatte.
„Wo bin ich?“, fragte ich erneut.
Kurz hielt sie inne und sah mich an. Sie drehte sich um, dann wieder zurück zu mir.
„Das kann ich dir selbst nicht sagen. Ich bin schon seit Jahren hier, kann dir aber nicht sagen wo wir sind.“
Verwirrt starrte ich sie an. Das war jetzt wohl nicht ihr Ernst? Eines war damit klar. Ich war ihm nicht entkommen. Ich war immer noch in seiner Gewalt. Das erklärte aber nicht, warum diese Frau herkam und meine Verletzungen, die er mir zugefüht hatte, versorgte.
„Wer sind Sie?“, stellte ich meine nächste Frage, während sie den Verband meines rechten Armes abwickelte.
Sie lächelte erneut. Mir viel auf, dass sie wirklich verdammt viel lächelte. Wenn sie schon seit Jahren in seiner Gewalt war, welchen Grund hatte diese Frau dann noch zu lächeln?
Jahre. Seit Jahren. Dies ging mir nicht ein. Seitdem er aktiv geworden war, hatte ich diesen Fall beobachtet, doch jedes seiner Opfer war verschwunden und spätestens 4 Monate danach ermordet worden. Dann waren die einzelnen Teile des Opfers verschickt worden, ob an Angehörige oder die zuständige Polizeistation. Wie konnte es dann sein, dass diese Frau seit Jahren hier war?
„Sarah.“, sagte sie leise und hob meinen Arm an. „Mein Name ist Sarah.“
Ich nickte.
„Julien.“, sagte ich und hielt ihr meine linke Hand hin.
Sie lächelte zum gefühlt tausensten Mal und ergriff meine Hand.
„Schön dich kennenzulernen, Julien.“
Sarah umwickelte meinen rechten Arm mit dem Verband und widmete sich schließlich meinem linken. Ich setzte mich an die Bettkante, um es ihr leichter zu machen. Sie wirkte sehr dankbar, als sie den nächsten Verband gewechselt hatte.
„Ich kann das eigentlich auch allein.“, murmelte ich nach einer Weile.
Sie aber schüttelte nur den Kopf.
„Es ist meine Aufgabe.“
Ihre Aufgabe? Ich verstand rein gar nichts. Warum war es ihre Aufgabe mich...
Abrupt viel es mir, wie Steine von den Augen.
„Hat er dich dazu aufgefordert!?“, rief ich und zog meinen Arm weg, den Sarah gerade hatte desinfizieren wollen. Erstaunt blickte sie mich an, dann nickte sie. Ich wusste es! Das sah ihm ähnlich, einer körperlich absolut labile Frau Dinge aufzutragen, welche die reinste Folter für sie waren. Erneut steig dieser Hass in mir auf. Schwungvoll sprang ich aus dem Bett.
„Julien!“, rief sie und hielt mich am Arm fest. „Was...was hast du denn vor?“
„Wo ist er?“, fauchte ich und schüttelte ihren Arm ab. „Wo ist dieser dreckige Hurensohn!!“
Sarah neben mir verstummte. Langsam sank sie auf den Boden. Ich drehte mich zu ihr um und sah wie sie die Knie an den Körper gezogen und die Arme darumgeschlungen hatte. Ihr Kopf lastete auf den Knien, ihr Blick war gerade aus nach vorne gerichte.
„Sarah?“
Sie antwortete mir nicht. Die Frau sah merkwürdig bedrückt und traurig aus, wie sie so dasaß. Langsam schritt ich auf sie zu und setzte mich ihr gegenüber.
„Sarah, was ist mit Ihnen?“, fragte ich.
Es war mir unangenehm andere Leute traurig zu sehen. Das hatte ich noch nie gekonnt. Wenn ich sie traurig sah, wollte ich ihnen helfen. In dieser Art ähnelten sich Jase und ich sehr. Nur dass er einen noch viel ausgesprägteren Beschützerinstinkt hatte. Es brauchte nur jemand an ihm vorbeigehen oder mit ihm in einem Raum sein, der irgendwie bedrückt war und schon sprach er diese Person an, um sie auf andere Gedanken zu bringen.
Ich sah Sarah eine ganze Weile an. Sie antwortete mir nicht. Hatte ich irgendetwas Falsches getan? Ich erinnerte mich nicht daran. Sarah blickte mich an. Ihre Augen waren gezeichnet von Trauer. Irgendetwas machte sie extrem traurig. Wenn ich doch nur wüsste was.
„Julien.“, fing sie an.
Urplötzlich aber wurde die Tür hinter uns aufgestoßen.
„Ich habe dir gesagt, du sollst ihn medizinisch versorgen und nicht auf dem Boden sitzen.“
Eine scharfe, kalte Stimme durchzog den Raum. Sofort sprang ich auf. Mir war augenblicklich klar um wen es sich handelte. Ich drehte mich um und war wie festgefroren.
Meine Augen wurden groß.
Das war er? Das war das Monster, was mir all diese Schmerzen verursacht hatte? Der mich halb zu Tode geprügelt hatte? Er war dieses Monster? Wie konnte das sein? Das..er sah überhaupt nicht aus...wie ein Monster, wie ein...ein Mörder...

 

7. Kapitel

Mein Blick war wie versteinert auf die Person im Türrahmen gerichtet. Das war doch nicht möglich! Er sah überhaupt nicht so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Zwar war er sicherlich größer als ich, aber auch nicht von solch gewaltiger Größe. Er hatte ausgefranstes, verknotetes, blondes Haar, dass ihm bis zur Brust reichte und nicht einmal den Anschein erweckte, je eine Haarbürste gesehen zu haben. Er war schlank und wirkte trotzdem sehr maskulin. Sein Gesicht war schmal. Er hatte dichte Augenbrauen, eine gerade Nase und dunkle Lippen. Sein bloßer Anblick ließ nicht einmal ansatzweise daran vermuten, dass er ein Mörder sei. Nein, wenn man ihn so ansah, war er ein wirklich attraktiver Mann. Ich hatte richtig gelegen, als ich vermutet hatte, er sei noch nicht allzu alt. Dieser Mann konnte höchstens anfang 30 sein! Ein gutaussehneder Mann in seinen besten Jahren, welcher zu einem Mörder geworden war. Das einzige was etwas darauf hindeutete, was er war, waren die tiefen dunklen Schatten unter seinen gruseligen Augen, welche eindeutige Schlaflosigkeit aufwiesen. Langsam blickte ich ich ihm direkt ins Gesicht, als es mich wie einen Schlag traf.
Diese Augen. Das waren sie. Zunächst als er in der Tür aufgetreten war, hatte ich daran gezweifelt, ob es wirklich der Mörder war, oder ob er nur einen Doppelgänger vorgeschickt hatte, welchen er perfekt gesteuert hatte. Doch diese Augen verrieten es. Diese stechenden blauen Augen, welche einen anstarrten, wie zwei Laserpointer, nur darauf fixiert einen zu töten.
Ich wusste nicht woher, doch es kam mir vor,als hätte ich diesen Blick schon einmal gesehen. Bevor ich ihn zu allererst gesehen hatte. Doch woher? Es mochte mir nicht einfallen. Diese Augen. Sie zogen einen völlig in ihren Bann. Es war mir nicht möglich, diesem stechenden Blick auszuweichen.
Noch immer starrte ich wie gebannt auf diesen unheimlichen Mörder, der hier im Türrahmen stand. Ich erkannte wie sich ein Grinsen auf seine Züge stahl. Endlich sah ich es. Das Grinsen, was so einiges über einen Mörder aussagte.
„Wie ich sehe bist du wach?“, sagte er und machte einen Schritt in den Raum hinein. Wütend starrte ich ihn an. Doch ich konnte nichts erwiedern. Nicht weil ich etwa Angst hatte. Ganz sicher nicht. Ich hielt mich im Zaum, denn ich spürte wie der Hass erneut in mir aufloderte, bereit diesem Wixxer die Kehle aufzuschlitzen.
Der Blonde legte den Kopf schief und grinste. Langsam machte er einen Schritt in den Raum hinein. Seine Augen rasten durch den Raum. Er ging weiter vorran. Schritt für Schritt. Er kam auf mich zu. Mir war, als schnürte man mir die Luft ab.
Ich hörte nichts mehr, außer seine leisen, fast unhörbaren Schritte. Die Schritte eines Mörders waren laut meinem Wissen völlig anders. Sie waren schwer und schleppend. Doch dieser schlich über den Boden, fast als würde er fliegen. Er schritt dahin fast ohne einen Laut von sich zu geben.
Noch ein Schritt.
Inzwischen war er unmittelbar vor mir. Er sah mich nicht an. Seine Augen waren zwar völlig auf mich fixiert, doch sein Blick verriet etwas anderes. Er sah nicht mich an- er sah durch mich hindurch. Als sei ich eine Hülle aus Glas. Er ging weiter. Ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Langsam blieb er direkt neben mir stehen. Ich konnte seinen widerlichen Atem spüren. Fast wie in Zeitlupe neigte er sich zu mir hinab, so dass er direkt neben meinem Ohr war.
„Du hast lange geschlafen, Julien Flynn. Fast drei Tage.“
Ich hörte ihn lachen.
„Bist du wirklich...so schwach?“
Er setzte sich wieder in Bewegung. Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend schritt er voran. Ich war einfach wie versteinert. Dieser Mörder...wer war er?
Er war so anders, als all die anderen mit denen ich schon zu tun gehabt hatte. Warum zeigte er sich so leichtfertig? Ich war nicht einmal gefesselt. Als ich das erste Mal aufgewacht war, war ich an Händen und Füßen an eine Wand gekettet worden und jetzt? Was führte er im Schilde?
Ich hörte, wie er sich hinter mir hinsetzte. Langsam drehte ich mich um. Da saß er, als sei nichts passiert, auf einem kleinen Sofa, das in dem Raum stand und blickte nur wahllos umher.
Was war hier los?
Sein Blick wanderte weiter durch den Raum, blieb schließlich an Sarah hängen.
„Steh auf.“, sagte er in kaltem Befehlston.
Die arme Frau gehorchte ihm aufs Wort. Er war krank! Einfach nur krank! Wie konnte er...!
„Es wundert mich, dass du so wenig Durchhaltevermögen zeigst, Julien Flynn. Von dir hatte ich mir eigentlich etwas mehr erhofft.“
Kaum hallte seine Stimme durch den Raum überkam mich eine solche Gänsehaut, dass ich schon fast zu Zittern begann. Energisch presste ich die Lippen aufeinander und ballte die Hände zusammen.
„Mich wundert es, dass du dich einfach so zu erkennen gibst.“
Er sah auf. Ein weiteres Grinsen stahl sich auf seine Züge.
„Dass ich...mich zu Erkennen gebe?“,wiederholte er und fuhr sich durch das verknotete Haar. Langsam wandte er seinen Blick an mich.
„Hältst du es für unüberlegt, Julien Flynn?“
Bestimmt nickte ich. Genau das tat ich. Es war lächerlich für jemanden der sich nie gezeigt hatte, einfach so durch die Tür zu kommen und sich als Mörder zu präsentieren. Noch dazu wenn er seinem Opfer nicht einmal Fesseln angelegt hatte.
„Ich hatte mir auch mehr von dir erwartet.“, knurrte ich schließlich.
Der vor mir wickelte sich höchst gelangweilt wirkend eine seiner blonden Haarsträhnen um den Finger.
„Mehr?“, wiederholte er.
Seine Stimme klang, als würde er sich über mich lustig machen. Am liebsten würde ich auf ihn losgehen! Dieser Bastard!
Gelangweilt wandte er seinen Blick von mir ab und sah aus dem Fenster. Ja, es gab hier tatsächlich ein Fenster.
„Deine Wunden sind gut verheilt. Das mit deinen Rippen ist zwar noch so eine Sache, aber in ein paar Wochen sollte das auch erledigt sein.“
Wütend presste ich die Zähne aufeinander. Was sollte diese ganze Scheiße die er abzog!
„Halt die Schnauze!“, fauchte ich, die Hände fest zusammengeballt.
Fast schon irritiert wirkend drehte er sich zu mir um.
„Na na. Wir möchten doch nicht gleich aufbrausend werden.“
Meine Hand zuckte vor Wut. Dieser Scheißkerl sollte seine verdammte Klappe halten! Dieser wandte seinen Blick wieder ab und sah aus dem Fenster. Langsam und fast schon anmutig wirkend schlug er das eine Bein über das andere und stützte den Arm auf der Lehne ab.
„Setz dich.“
Hatte ich mich gerade verhört!? Ein Mörder bat mir an mich zu setzen?!
Erneut stahl sich ein Grinsen auf dessen verlogene Züge. Er drehte seinen Kopf leicht und sah mich an.
„Wenn du möchtest kannst du auch stehen.“
„HALT ENDLICH DEINE FRESSE!“, schrie ich.
Am liebsten hätte ich ihm an Ort und Stelle die Kehle aufgeschlitzt. Hätte ich nur irgendetwas bei mir.
„Diesmal ist es anders.“, fauchte ich. „Dieses Mal bin ich dir nicht ausgeliefert, du kranker Bastard.“
Verächtlich schnaubte er auf.
„Du willst dich mit mir anlegen.“
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Langsam drehte er sich zu mir und blickte mir in die Augen.
„Nur zu. Versuch es Julien Flynn.“
Ein weiteres Grinsen huschte auf dessen Züge. „Doch du wirst mir nie ebenbürtig sein.“

8. Kapitel

Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ich konnte nicht mehr sagen, wie lange ich nun schon in seinen Fängen war, noch hatte ich einen Plan, wie ich ihm entkommen könne.
Die Tage verstrichen. Es war mir zwar möglich mich frei zu bewegen, doch ab einer bestimmten Stelle tat es mein Körper einfach nicht mehr.
Es war, als würde mein Körper fremdgesteuert werden. Ich war nicht der Herr über mich. Woher das kam konnte ich nicht sagen.
Es war auch zu gut möglich, dass es an der Mangelernährung lag, die ich hier genoss. Ich bekam zwar zu essen und zu trinken, aber keineswegs ausreichend. Meine ohnehin schon sehr dünnen Arme, waren noch dünner geworden. Wenn ich mich im Spiegel betrachtete sah ich aus, wie eine Leiche. Hier begann ich zu verstehen, wie es war, wenn man sich so gut wie tot fühlte.
War das eine seiner Foltermethoden? Die Menschen halb zu Tode zu hungern, ihnen aber genau noch so viel zu geben, dass sie noch mit aller Mühe überlebten?

Ich lag nun schon seit mehren Stunden einfach auf dem Boden und starrte an die Decke. Mein Körper war einfach zu schwer. Ich hatte Durst, mein Magen knurrte schon seit Stunden. Wo sollte das alles nur hinführen?!
Mit meiner Kraft war ich am Ende. Wie lange wollte er das noch weitertreiben, ehe er mich umbrachte? Ich konnte das nicht mehr lange ertragen. Es ging einfach nicht.
Was ging ich diesem Kopf nur vor? Wie oft fragte ich mich das jetzt schon? Ich wollte wissen, was in diesem kranken Kopf vor sich ging?
Wie konnte er Menschen so etwas antun ohne einen Hauch von Schamgefühl? Ich konnte es nicht begreifen. Wieso tat ein Mensch so etwas?
Mein Kopf hämmerte wie verrückt. Langsam hob ich die Hand und legte sie mir auf die Stirn. Schmerzen. Höllische Schmerzen durchzogen meinen Kopf.
Am liebsten hätte ich aufgeschrien. Ich hielt diese ganze Scheiße nicht mehr aus!!
Erneut standen mir die Tränen in den Augen. Ich wollte doch leben! Ich wollte hier nur lebend rauskommen! Warum?! Warum musste diese ganze Scheiße sich so entwickeln?!
Ich war absolut am Ende! Ich war so verzweifelt,ich konnte kaum noch atmen.

„Julien Flynn!“, erklang auf einmal die Stimme des Psychopaten aus einer der Lautsprecheranlagen über mir. „Steh auf!“
Er konnte mich sehen. Er sah mich immer. Egal was ich tat, er wusste es. Wie stellte der Typ das nur an! Wie konnte er nur über alles Bescheid wissen, ohne jegliche Hilfe zu bekommen?
Seit diesem einen Tag hatte ich das Monster nicht mehr gesehen. Seine Stimme hörte ich immer und immer wieder durch die Lautsprecher, welche so gut wie überall in diesem Haus angebracht worden waren.
„Steh auf!“, erklang die Stimme noch einmal.
Kurz schloss ich die Augen und fuhr mir durch das Haar. Dann öffnete ich sie wieder und setzte mich vorsichtig auf.
An dem Regal neben mir hielt ich mich fest, ehe ich mich daran hochzog. Meine Beine zitterten, als ich stand.
„Beweg dich!“, befahl er mir.
Manche würden sich fragen, warum ich den Befehlen eines Psychopaten folgte. Aber nach zahlreichen Wochen, wo ich selbst nicht mehr sagen konnte, wie viele es waren, hatte man keine Wahl mehr, als das zu tun, was von einem verlangt wurde. Man hatte die Kraft sich zu wehren nicht mehr. Die Kraft benötigte man, um das wenige Essen, das man bekam, zu sich zu nehmen. Die Kraft benötigte man, um nicht aufzugeben. Auch wenn es bestimmt schlauer gewesen wäre aufzugeben, so behielt ich meinen Willen. Den Willen zu überleben. Den Willen wieder nach Hause zurückzukehren.
Ich wollte Jason wieder sehen. Wollte meinen besten Freund umarmen, mich einfach in seine Arme fallen
lassen und weinen.
Ich wollte wirklich weinen. Wollte, dass er bei mir war, mich fest hielt und mir immer wieder sagte, dass es nun alles vorrüber war. Dass ich nun in Sicherheit war und ich mich vor nichts mehr zu fürchten brauchte. Dass diese schreckliche Zeit nun endlich vorrüber war. Dass ich nun endlich frei wäre.
In den letzten Tagen dachte ich sehr viel an Jase. Ich begann zu tagträumen. Immer wieder sah ich ihn vor mir. Sein gesamtes Erscheinungsbild. Die gold-blonden Haare, die grauen Mandelaugen.
Ich hörte ihn lachen,auch wenn es nicht echt klang, ich sah ihn durch unser Büro gehen und Fakten wiederholen, wie er es schon immer getan hatte, wenn er sich etwas merken musste. Sah ihn, wie er sich zum tausendsten Mal durch die Haare fuhr, so dass von der Frisur, für die er gut eine Stunde im Bad verbracht hatte, nichts mehr übrig war.
Ich sah alles, was meinen besten Freund ausmachte. Manchmal hatte ich sogar schon den Eindruck seine Stimme zu hören.
Ich begann wirklich zu halluzinieren. Meine Wahrnehmung war nicht mehr wirklich. Es kam mir vor als wäre ich ein wandelnder Traum. Ich irrte durch die Welt ohne richtig anwesend zu sein. Zwar spürte ich den Boden unter meinen Füßen, doch ich war nicht anwesend.
Es war alles viel zu viel.

Inzwischen stand ich, an das Bücherregal gelehnt und setzte mich Schritt für Schritt in Bewegung. Jeder Schritt schmerzte. Mein Körper konnte nicht mehr. Er wollte nicht mehr. Er brauchte etwas, damit ich wieder zu Kräften kam.
Egal wie sehr ich auch danach bat und fast schon flehte, er würde mir etwas geben, so dass ich durchhielt. Doch dieser Wunsch wurde mir nie erfüllt.
Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, schritt aus der Bibliothek heraus. Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand, die Stirn an die Wand gedrückt.
„Ich...kann...n-nicht mehr...“, keuchte ich und sank auf dem Boden zusammen.
Mein Körper tat es einfach nicht mehr. Mir war schlecht, mir war schwindelig. Mein Kopf sank auf meine Knie und meine Augen wurden wieder schwer.

*

Ich kam Stunden danach wieder zu mir. Als ich die Augen aufschlug fühlte ich, dass wieder Kraft in meinen Gliedern hatte. Mein Körper fühlte sich leichter an. Ich konnte mir nicht erklären, wie das zustande kommen konnte. Mein Blick glitt neben mich. Dort stand ein Glas Wasser und Essen.
Wie ein wildes Tier stürzte ich mich darauf und schlang es in mich hinein. Ich war so ausgehungert und halb am Verdursten. Danach fühlte ich mich wesentlich besser.
Das bewies wieder einmal wie besser man sich fühlte, kaum hatte man Nahrung zu sich genommen. Ich spürte wie ich nur von einem Brot und 250 ml Wasser Energie tankte.
Mit der Zeit musste man sich an diese Mangelernährung gewöhnen. Der Körper gewöhnte sich daran, dass er nur noch so wenig bekam.
„Julien?“
Ich sah auf. Sarah kam auf mich zu. Sie setzte sich neben mich und strich mir eine hellbraune Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Wie geht es dir?“
Ihre Stimme klang besorgt, als sie mir die Hand auf die Stirn legte. Ich nickte nur leicht.
„Es...geht...“
Sarah nickte und nahm mich in den Arm. Mit der Zeit in der ich hier gefangen war, war Sarah die einzige, mit der ich reden konnte. Die einzige Person mit der ich mein Leid teilte. Auch wenn ich mir ziemlich mies vorkam, ihr das mitzuteilen, da sie schon wesentlich länger hier gefangen war, als ich. Doch ich teilte mit ihr meine ganzen Fragen. Ich erzählte ihr von meinen Fragen zu diesem Psychopaten. Wie es sein konnte, dass er so geworden war. Jedes Mal wenn ich daran dachte, kamen mir seine Augen in den Sinn. Diese stechenden blauen Augen, die einem gleichzeitig so viel Angst bereiteten und andererseits blickte man in diese Augen und konnte nicht begreifen, was darin vor sich ging. Als ich seine Augen gesehen hatte, war es mir vorgekommen, als blicke ich in die Augen einer Person deren Augen von Trauer und gleichzeitig von Leere gezeichnet waren. Ich konnte es nicht verstehen.
Was ging in diesem Mörder vor?
Sarah ließ mich langsam los und sah mich an.
„Du denkst wieder nach, habe ich recht?“
Ich nickte nur. Sie erkannte das wirklich gut. Diese Frau war wie eine Mutter für mich geworden. Die Mutter die ich nie gehabt hatte.
Sofort unterbrach ich den Gedanken. Daran wollte ich nicht denken. Daran hatte ich seit 20 Jahren nicht mehr gedacht, also würde ich jetzt nicht wieder einsteigen!
Mein Blick war wieder auf sie gelenkt. Sarah sah mich an. Ihr Blick war fragend.
„Was geht in deinem Kopf umher?“
Das war eine gute Frage. Im Grunde so gut wie alles. Ich dachte an Jason, wie es ihm ging, an die Zeit bevor ich hier gelandet war, an alles was ich schon mit ihm erlebt hatte. Doch ich dachte auch an diesen Psychopaten, der mich hier gefangen hielt.
Ich wurde aus ihm einfach nicht schlau. Dieser Mörder war so verwirrend, wie ein Irrgarten. Er wirkte überhaupt nicht wie ein portentieller Mörder, doch seine Art und seine Taten sprachen dafür. Er legte mir keine Fesseln an, ließ mich aber halb verhungern.
Und dann war da noch diese merkwürdige Sache mit meinem Körper, der mir wie fremdgesteuert schien. Ich konnte nicht dort hingehen, wohin ich mochte. Ab einer bestimmten Stelle, konnte ich mich aus einem mir unbekannten Grund nicht mehr bewegen. Das beschäftigte mich wohl am meisten von allem.
Ich blickte Sarah an.
„K-Kannst du dich manchmal...auch nicht mehr...bewegen?“, fragte ich schließlich.
Diese Frage brannte mir seitdem auf der Zunge, als es zum ersten Mal passiert war. An dem Tag, als ich meinen zukünftigen Mörder gesehen hatte.
Als ich einfach nur dagestanden hatte, ihn von mir hatte wegstoßen wollen und mein Körper mir einfach nicht mehr gehorcht hatte.
Ich blickte sie weiterhin an.
„So etwas wie...“
Kurz hielt ich inne. Ich wusste nicht genau, wie ich es beschreiben sollte. Es klang so absurd und dennoch war es echt. Ich spürte es Tag für Tag.
„etwas wie...“
„...dass du dich an einen bestimmten Ort hin bewegen möchte, aber dir dein Körper nicht mehr gehorcht?“, beendete Sarah leise flüsternd meinen Satz.
Ich nickte. Also kannte sie es! Ich war nicht verrückt!
Sarah sah mich bedrückt an. Langsam griff sie nach meiner Hand und drückte sie etwas. Eine ganze Weile starrte sie nur auf meine Hand, ehe sie wieder zu mir aufsah.
„Ich kenne das.“, flüsterte sie.
Ich wusste, dass sie befürchtete belauscht zu werden. Die Lautsprecheranlagen waren überall installiert worden. Auch wenn es so schien, als sei man allein, man war es nie. Er war immer da! Egal ob man ihn nun sehen konnte, oder nicht.
Sarah drückte meine Hand noch fester.
„Julien...“, fing sie an. „Ich...ich weiß was das ist...“
„Dann sag es mir!“, unterbrach ich sie und blickte sie energisch an.
Sarah aber schüttelte langsam den Kopf.
„Ich...“
Sie sah auf.
„Du willst es unbedingt wissen, habe ich Recht?“
Ich nickte. Ja, das wollte ich. Ich wollte endlich wissen, warum mein Körper hier verrückt spielte. Sarah nickte langsam, ehe sie meine Hand wieder losließ.
„Hör zu, Julien.“, begann sie. „An dem Tag, als wir uns das erste Mal gesehen hatten. Du hattest Verbände, die ich dir gewechselt habe.“
Ich nickte. Worauf wollte sie jetzt bitte hinaus?
„Es gab einen Grund dafür.“
„Natürlich.“, erwiederte ich. „Dieser Hurensohn hatte mich halb zu Tode geprügelt und aus irgendeinem Grund wollte er, dass ich überlebe.“
Sarah aber schüttelte nur den Kopf.
„Nicht ganz.“, antwortete sie. „Zwar hatte es auch den Grund, dass deine Wunden verheilen sollten, aber es hatte auch einen anderen Grund.“
Mit diesem Satz hatte sie meine Neugierde völlig geweckt. Noch etwas anderes? Es hatte noch einen Grund, dass ich verarztet worden war? Was führte dieser Psychopat nur im Schilde? Was hatte er vor?
„In deinem Körper.“, fing sie an. Ihre Stimme war so leise, dass ich sie gerade noch hören konnte. „In deinem Körper befinden sich...“
Sie brach ab. Was war mit meinem Körper! Was war dort?!
„Julien, in deinem Körper wurden an verschiedenen Stellen...Elektro...“
Der Rest ihres Satzes ging in einem schrillen Aufschrei unter, als Sarah sich ans Herz fasste und auf den Boden sank.
„Sarah!“
ich stürzte auf sie zu. Sie kauerte auf dem Boden, zuckte und wimmerte vor sich hin. Ich hörte sie aufschluchzen.
„Es...es tut...mir leid.“, schluchzte sie und presste sich die Hand noch fester an das Herz. „Bitte...!“
Ich war wie erstarrt, als ich sie dort auf dem Boden liegen sah, schluchzend und flehend.

Elektro...Sarah meinte doch nicht etwa...?
„E-Elektronen.“, keuchte Sarah leise, die Hand noch fester an sich gepresst. „J-Ju...es...Elek-tronen...“
Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Nein! Das war nicht ihr Ernst! Elektronen! In meinem Körper waren...Elektronen!!!
Das konnte nicht wahr sein! Dieser wahnsinnige Psychopat hatte mir an verschiedenen Körperstellen Elektronen eingepflanzt!?
Sarah schrie auf vor Schmerz, sie wand sich, zuckte .
„Es...es tut...“
Sie konnte den Satz nicht vollenden, als sie sich langsam aufsetzte und ihren Kopf dann mit höchster Gewalt auf den Boden aufschlagen ließ!
Ich schreckte zusammen und konnte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken. Sie setzte sich wieder auf und der ganze Vorgang wiederholte sich.
„SARAH!“
Energisch packte ich sie an den Schultern, um sie davon abzuhalten, sich weiteren Schaden zuzufügen, doch ihre Arme stießen mich von sich.
Ich verstand nicht. Woher nahm sie diese Kraft?! Was ging hier vor sich.
Als sei sie ein Roboter schlug sie ihren Kopf immer wieder auf dem Boden auf. Blut lief ihr aus dem Kopf, ich hörte wie es knackte.
Tränen liefen ihr die Wangen hinab,
„N-nicht...ich...btte dich...“
Noch einmal schlug ihr Kopf auf dem Boden auf und nochmal. Ich konnte nicht hinsehen! Ich konnte nichts tun! Das war nicht Sarah! Das tat nicht sie! Sie wurde gesteuert!
Elektronen, schoss es mir durch den Kopf. Wenn in meinem Körper Elektronen waren, dann waren in ihrem ebenfalls...welche?
Sie schluchzte auf, während ihr Kopf immer und immer wieder dasselbe Muster wiederholte. Ich sah wie sie die Kraft verlor.
„HÖR AUF!!!“, brüllte ich auf einmal durch den ganzen Raum. „LASS ES SEIN!!!! REICHT ES DIR NICHT MICH BIS IN DEN WAHNSINN ZU FOLTERN! MUSST DU AUCH NOCH EINER WEHRLOSEN FRAU SO ETWAS ANTUN!!!“

Als ich dies sagte, stoppte Sarah mitten in der Bewegung und hielt inne. Blut tropfte ihr das magere Gesicht hinab, Tränen flossen wie ein Wasserfall ihre Wangen hinunter, ihre Lippen zitterten. Sie schluchzte.
„Es tut mir leid...“, schluchzte sie und presste sich die Hände vor das Gesicht. „Es tut mir doch so leid!“
Ich drehte mich zu ihr um.
„Dir muss überhaupt nichts leid tun!“, rief ich. „Sondern diesem verdammten Hurensohn!!“
Sie schluchzte nur noch mehr und noch lauter.
„Hör auf!“, schluchzte sie und wische sich das Blut aus dem Gesicht.
Sie sah mich an.
„Hör auf so etwas zu sagen!“
Ihre Stimme war zittrig und doch klang sie toternst. Ihre Augen verrieten mir, dass sie es genauso meinte, wie sie es gesagt hatte.
„Sarah.“, begann ich.
Die Frau schluchzte nur wieder auf und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Langsam kniete ich mich neben sie und legte meine Hand auf ihre Schulter.
Dieser Bastard! Fand der so etwas geil! Leute auf so bestialische Weise zu quälen!
Zum wiederholten Mal stieg dieser Hass in mir auf.
„Dieser Bastard.“,zischte ich. „Ich bring ihn um, diesen Hurensohn!“
Erneutes Schluchzen. Langsam ließ Sarah ihre Hände sinken und blickte mich an.
„Hör auf Julien!“
Ihre Stimme wurde lauter. „Du hast keine Ahnung was du da sagst! Hör auf ihn so zu nennen!!“
Mir war wie vors Gesicht geschlagen. Was passierte gerade hier? Oder warum passierte das andauernd? Sarah nahm diesen Bastard immer und immer wieder in Schutz. Es war als stünde sie hinter ihm und seinen Taten- und das obwohl er ihr mehr Schaden zufügte als mir. Wie konnte sie das nur tun!
Ich wandte mich an sie.
„Was ist hier los!“, rief ich.
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich wusste in diesem Moment nicht einmal was ich genau tat. Es kam einfach alles aus meinem Mund hinaus, bevor ich darüber hätte nachdenken können.
„Warum nimmst du diesen Hurensohn andauernd in Schutz! Schau dich doch selbst an! Sie dir doch an, wie er dich quält, was er alles tut! Wie kannst du hinter ihm stehen! Das ist ein wahnsinniger Psychopat und niemand den man in Schutz nehmen muss!“
Eine weitere Träne lief Sarah die Wange hinab.
„Du hast keine Ahnung wovon du sprichst, Julien Flynn!“, schrie sie schluchzend und schlug meine Hand von sich. „Du kennst ihn nicht! Du hast keine Ahnung,was in...seinem Leben vor sich ging! Wie er gelebt hat! Du weißt nichts von ihm und doch urteilst du so über ihn!!!“
„Du kennst ihn doch auch nicht!“, schrie ich zurück.
Ich verlor hier wirklich den Verstand. Dieser Psychopat hielt sie hier seit Jahren fest und sie sagte ich würde falsch über ihn urteilen! Was zur Hölle ging hier ab!
„Ich kenne ihn sehrwohl!“, schrie sie schluchzend und noch mehr Tränen liefen ihr die Wangen hinab.
Ich ballte die Hände zusammen. Es war, als würden hier alle durchdrehen! Das konnte doch alles nur ein verdammter Traum sein!
„Nein, das tust du nicht! Ich weiß nicht warum du ihn andauernd in Schutz nimmst! Ich kann und will es auch nicht begreifen! Wie kann ein Mensch so hinter seinem Peiniger stehen! Das,,,!“
Sarah schluchzte auf. Sie presste sich die Hände vor das Gesicht und weinte. Tränen tropften ihr das Kinn hinab.
„Du kannst das nicht verstehen, Julien.“, schluchzte sie.
Ja da hatte sie Recht. Ich begriff es nicht und würde es auch mit Sicherheit nie verstehen können. Ihr Verhalten war für mich unbegreiflich.
„ER IST MEIN SOHN!“
Ihre Stimme ziitterte, sie schluchzte und kauerte sich auf dem Boden zusammen.
„Denjenigen den du als Monster und Psychopaten bezeichnest ist mein Kind!“
Sie sah auf.
„Er ist mein Baby.“
Ihre Stimme zitterte und weitere Tränen bahnten sich ihre Wangen hinab.
Mir war, als hätte man mir direkt ins Gesicht geschlagen. Ihr...ihr Sohn! Dieses Monster, dieser Psychopat...er war...Sarahs' Sohn!?

10. Kapitel

Sarahs' Sohn?! Das ging nicht! Das konnte nicht sein! Wie um alles in der Welt...!? ich war wie erstarrt und blickte Sarah, die noch immer auf dem Boden lag, an.
„Das ist doch nicht dein Ernst.“
Sarah nickte aber.
„Doch,“, weinte sie. „Er ist mein Kind! Er ist...“
Behutsam nahm ich sie in den Arm. Sarah kippte gegen meine Schulter und weinte. Sie weinte immer weiter und immer mehr.
„Er ist doch...mein Kind.“, schluchzte sie an meine Schulter, „Ich liebe ihn, egal was er tut. Egal wie er mich leiden lässt, ich...“
Sie brach ab. Ich umarmte sie noch fester und strich ihr durch das dünne Haar. Mir war als würde ich träumen. Ihr Sohn. Wie konnte das sein? Er sah ihr nicht ein bisschen ähnlich! Er konnte nicht ihr Sohn sein! Dieser Psychopat war doch...er war ein Monster! Wie konnte jemand seine eigene Mutter so quälen!
„Das kann doch nicht sein.“, flüsterte ich und drückte sie noch etwas an mich. „Wie kann er...?“
„Er sieht genauso aus wie sein...Vater.“, schluchzte sie.
Ihr Weinen und Schluchzen wurde immer lauter. Langsam schlug sie mit der Hand auf den Boden. Immer und immer wieder. Ich griff nach ihren Händen und drückte sie. Leise begann ich auf sie einzureden, sie zu beruhigen, doch Sarah steigerte sich nur noch mehr in diese Situation hinein. Sie schrie und schluchzte.
„Was...was ist...mit seinem Vater?“

Sarah schrie auf. Sie warf sich laut schreiend und schluchzend auf den Boden, kauerte sich dort zusammen und schrie nur noch. Ich konnte nicht ein Wort von dem verstehen, was sie sagte. Sie war mit den Nerven völlig am Ende, das konnte ich sehen.
Ich saß neben ihr und strich ihr sacht über den Rücken.
„Sarah...es wird alles...“
Ihre Schreie übertönten meine Worte. Sie ließ sich einfach nicht beruhigen.
„Sein Vater...“, schluchzte sie. Ihr Weinen hallte in dem ganzen Raum wider. Vorsichtig versuchte ich sie aufzusetzen. Ihr Oberkörper kippte gegen meine Schulter. Krampfhaft verkrallte sie ihre Hände in meinem T-Shirt und drückte ihr Gesicht an meine Brust.
„Er...“
Sie rang nach Atem. Entschlossen nahm ich Sarahs' Gesicht in meine Hände und strich ihr die Tränen weg.
„Sarah.“, sagte ich ernst. „Beruhige dich. Du hyperventilierst. Atme jetzt ganz ruhig.“
Langsam atmete ich ein und wieder aus. Sarah tat es mir nach. Sie schluckte schwer und versuchte angestrengt ruhiger zu atmen. Leicht drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange.
„Es wird alles gut.“, flüsterte ich und wischte ihr weitere Tränen von den Wangen. „Es wird alles...“
Langsam drückte sie ihren Kopf wieder gegen meine Brust und schlang ihre dürren Arme um mich.
„Du...du hast doch keine Ahnung.“, flüsterte sie.
„Dann hilf mir.“,antworte ich und erwiederte ihre krampfhafte Umarmung. „Erzähl es mir.“

Sarah ließ von mir ab. Langsam rückte sich etwas von mir ab. Sie blickte auf den Boden.
„Du willst es wissen?“, fragte sie. Ihre Stimme zitterte noch immer.
Ich nickte und nahm ihre Hand.
„Ja.“, sagte ich und drückte ihre Hand etwas. „Erzähl es mir.“

Einen Moment lang schwieg sie und starrte auf den Boden. Kurz atmete sie durch.
„Ich war 14 als es begann.“, sagte sie leise. Ihre Stimme zitterte, als sie dies sagte. Langsam zupfte sie an ihrem Oberteil herum, starrte um sich. Ich erkannte, wie schwer ihr das alles fiel. Hatte sie diese Geschichte überhaupt noch jemand anderem erzählt?
Es kam mir vor, als erinnere sie sich an etwas, dass ihr alles andere als angenehm war. Ihre Atmung beruhigte sich langsam.
Für einen Moment blickte sie auf, sah mich an. Sie seufzte auf. Ich erkannte die Tränen in ihren Augen, als sie sich kurz durch dasdünne Haar fuhr und dann zu erzählen begann:

Ich war 14 als es begann. Als drittes Kind in einer Familie, deren Stand ganz am Boden ist, ist es nicht wirklich leicht durchzukommen. Keiner aus meiner Familie war je zur Schule gegangen. Wir brauchten das Geld. Also gingen meine Geschwister und ich auch arbeiten. Wir konnten es uns nicht leisten in die Schule zu gehen. Diese Zeit mussten wir alle nutzen, um Geld heranzuschaffen. Mit zehn begann ich zu arbeiten. In einem Bioladen. Man verdiente zwar nicht außerordentlich viel, doch ich musste etwas tun, um meine Mutter zu unterstützen,die nach dem Tod unseres Vaters noch mehr Probleme hatte uns über dem Wasser zu halten. Als ich 14 war, begann aber das, was mein und auch das Leben meiner Familie rasant ändern sollte.
Es war ein Tag wie jeder andere auch.
Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen Tag. Es war abends. Ich hatte an diesem Tag wirklich gut verdient. Erschöpft war ich bis auf die Knochen, so viel hatte ich heute wieder geschuftet, doch es hatte sich gelohnt. Als ich den Weg nach Hause ging, bemerkte ich aber, dass etwas anders war, als sonst. Normal war ich die Einzige, welche diesen Weg ging. Jedenfalls um diese Uhrzeit. Schließlich war es schon nach 20 Uhr. Es war schon dunkel. Die Straßen waren so gut wie nicht beleuchtet.
Doch an diesem Abend spürte ich, dass ich nicht allein war. Ich nahm die Anwesenheit eines anderen Menschen war. Immer wieder drehte ich mich um, doch in dem fahlen Licht, dass die Straßenlaternen und der Mond abgaben, war nichts zu erkennen. Also ging ich weiter. Doch dieses Gefühl ließ nicht nach. Ich war hier nicht allein. Das konnte ich spüren.
Die pure Erleichterung stieg in mir auf, als unsere Wohnung in Sicht kam. Mit jedem Schritt wurde ich schneller. Ich rannte fast schon. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich endlich den Schlüssel in meiner Jackentasche fand und ins Schloss steckte. Meine Atmung wurde schneller, als ich den Schlüssel herumdrehte und die Tür sich endlich öffnete.
Zutiefst erleichtert schloss ich die Tür hintter mir und lehnte mich dagegen.
„Sarah, bist du das?“, hörte ich meine Mutter.
Ich nickte.
„Ja.“, sagte ich, angestrengt ruhig zu klingen. „Ich bin zu Hause Mum.“
Dort legte ich meine Jacke ab, zog die Schuhe aus und ging zu ihr ins Wohnzimmer, wo meine Geschwister auch schon warteten. Ich legte ihr das Geld auf den Tisch.
„Heute war ein guter Tag.“, sagte ich und setzte mich zu meinen Geschwistern, angelte mir eine Brotscheibe von dem Stapel herunter und etwas Käse.
Von diesem merkwürdigen Gefühl, dass mich jemand beobachtet hatte, verriet ich niemandem etwas. Vielleicht war das sogar der größte Fehler, den ich in meinem ganzen Leben getan hatte.

Sarah hielt inne. Für einen Moment atmete sie durch und befeuchtete ihre Lippen, ehe sie begann weiterzuerzählen:

Ich erzählte niemandem davon. Doch es war keine Einbildung. Als ich am nächsten Abend wieder nach Hause ging, suchte mich erneut dieses Gefühll heim. Jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, war niemand da. Ich konnte niemanden sehen. Wie auch, in dieser Dunkelheit?
Doch mein Verfolgungswahn verstärkte sich. Auch als ich tagsüber in dem Laden schuftete, kam es mir immer und immer wieder so vor, als würde mich jemand beobachten. Ich konnte mir nicht erklären, woher diese Vermutung kam, dieses unwohle Gefühl, doch es änderte nichts daran, dass es da war.
Niemand außer mir bemerkte das. Als ich meine Kollegen in dem Laden fragte, ob es ihnen genauso erging, wurde ich von diesen nur als kleines Kind mit Verfolgungswahn dargestellt. Vielleicht hatten sie sogar Recht, dachte ich immer wieder. Vielleicht hatte ich sogar Verfolgungswahn. Jedenfalls beunruhigte mich diese ganze Sache.

Erneut hielt sie kurz inne und biss sich auf die Lippe. Die Tränen standen ihr in den Augen. Langsam ging ich auf sie zu und nahm sie kurz in den Arm.
„Du musst es nicht erzählen, wenn es zu schwer für dich ist.“
Doch Sarah schüttelte nur den Kopf.
„Du solltest es wissen.“, sagte sie leise und löste die Umarmung. Sie sah mich an.

Es war der 15. 12., der mein Leben völlig änderte. Dieses Datum ist wie eingebrannt in meinen Kopf. Ich werde es nicht mehr los, egal ob ich es versuche oder nicht. Es geht nicht mehr aus meinem Kopf. Dieser Tag war der, an dem sein Vater schließendlich in Aktion trat.
Ich war wieder einmal auf dem Weg nach Hause, als ich diese Schritte hörte. Für einen Moment blieb ich stehen. Die Schritte verklangen. Kaum setzte ich mich wieder in Bewegung hörte ich sie wieder. Mein Herz machte einen Satz. Es schlug immer schneller, mein Atem wurde hektischer. Erneut blieb ich stehen und drehte mich kurz um. Wieder einmal konnte ich niemanden erkennen. Doch ich spürte die Anwesenheit einer anderen Person und ich spürte auch, dass es besser wäre, wenn ich zu Hause wäre.
Ich drehte mich um und ging weiter. Mit jedem Mal beschleunigte ich meine Schritte, auch die Schritte hinter mir wurden schneller.
Ich begann zu laufen, wurde immer schneller. Die Panik stieg in mir hoch. Das Herz hämmerte mir nur so gegen die Brust. Immer schneller wurde ich. Laufen. Das war das einzige was mir in den Sinn kam. Ich musste einfach laufen. So schnell wie möglich von hier weglaufen.
Die Schritte setzten mir nach. Auch diese wurden immer schneller. Sie liefen mir hinterher. Ich rannte immer weiter.
Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie es schließendlich passuert ist. Doch auf einmal spürte ich einen harten Schlag gegen den Hinterkopf. Der Schmerz benebelte mich. Mir wurde schwindelig, alles verschwamm vor mir und ich verlor das Bewusstsein.

Sarah biss sich auf die Lippe. Aus ihrem Augenwinkel bahnte sich eine einzelne Träne den Weg zu ihrer Wange hinab. Ein leises Schluchzen entkam ihrer Kehle.
Ich starrte sie an. Genau verstehen tat ich das alles noch nicht. Es war alles zu verwirrend für meinen Kopf. Mein Blick war komplett auf Sarah gerichtet, die sich die Hand vor den Mund hielt, um ein lautes Schluchzen zu unterdrücken. Ich rückte näher an sie heran und legte einen Arm um sie. Sie weinte. Ich konnte spüren, wie sie zitterte.
Ihre Lippen bebten. Ein leises Schluchzen entkam ihrer Kehle.
„Ich hätte...nie gedacht, dass...mir so etwas...passieren würde...“
Sie atmete schwer, ich spürte wie ihr Herz immer schneller gegen ihren Brustkorb hämmerte. Ihre Hände verkrampften sich.

Als ich...als ich dann wieder zu mir kam, war das erste was ich wahrnahm, diese grausige Kälte, welche mich umgab. Ich war an Händen und Beinen gefesselt, über mir lag eine Decke. Ich spürte, dass ich nichts am Körper trug. Ich war komplett nackt.
Mein Herz hämmerte so schnell gegen meine Brust, dass es schon weh tat. Tausende Gedanken rasten in meinem Kopf umher. Sie überschlugen sich förmlich.
Mein Blick wanderte umher. Die Wände waren hoch und kahl. Kein natürliches Licht durchflutete den Raum. Nur das kalte Licht einer Lampe, ließ mich erkennen, wo ich war.
Dieser Ort an dem ich war, es sah aus wie ein Keller. Als läge ich in einem riesigen Keller, mit nichts, als einer Decke bekleidet.
Knarzend vernahm ich den Klang einer Tür die geöffnet wurde. Laut fiel die Tür wieder ins Schloss, als sich mir schwere, schleppende Schritte, näherten.
Eine Gänsehaut zog sich über meinen ganzen Körper entlang. Ich zitterte. Mein Herz schlug immer schneller. Mein Atem wurde immer hektischer, je näher diese Schritte mir kamen. Panik breitete sich in meinem ganzen Körper aus.
Genau in diesem Moment, als die Schritte genau neben mir zum Stehen kamen, ich genauen Blick auf ein paar Schuhe werfen konnte, wusste ich es.
Ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Ich war in einer auswegslosen Situation. Es gab kein Entkommen.
Langsam,so langsam, dass jede einzelne Bewegung sehen konnte, griff eine Hand nach der Decke und schlug sie zurück, so dass ich komplett entkleidet dalag, wehrlos und ausgeliefert. Die Hand bewegte sich und legte sich direkt auf meine Brust.
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als diese Hand nun direkt auf meiner Brust lag und langsam begann sich bewegen.
Mir stiegen die Tränen in die Augen. Wie sehr ich mir allein jetzt wünschte, dass es alles nur ein Traum sei. Ein schrecklich böser Traum, aus dem ich gleich wieder erwachen würde!
Die Panik stieg nur so in mir auf. Ich hatte solche Angst. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, als sich die andere Hand auf meine zweite Brust legte.
Mein ganzer Körper zitterte, Panik! Nein, schrie alles in mir. Ich musste weg von hier! Ich musste einfach weg! Es ging nicht! Das konnte nicht sein!
Am liebsten hätte ich geschrien, doch meine Stimme gehorchte mir nicht mehr. Ich stand viel zu sehr unter Schock, als dass ich etwas hätte sagen können. Ich zitterte und das Herz schlug mir immer schmerzhafter gegen die Brust, als dieser Mann sich zu mir hinabbeugte und meinen Hals küsste!
Eine einzelne Träne lief mir die Wange hinab. Er hörte nicht auf. Seine widerlichen Lippen und Hände wanderten meinen Oberkörper hinab. Er betaste mich überall, wo es nur ging.
Ich wimmerte. Tränen liefen mir über die Wangen. Warum?! Wieso war es so aussichtslos?! Warum gab es keine Ausflucht!
Langsam küsste dieses Scheusal meine Brust und ließ seine Hand weiter hinunter gleiten, bis er meine untere Region erreicht hatte.
Dumpf schrie ich auf. Er sollte seine Finger von mir lassen! Ich wollte weg von hier! Ich musste weg von hier! Ich hörte wie er auflachte.
„Hör auf dich zu wehren, Kleine.“, sagte er und küsste meinen Hals erneut.“Oder...es wird dir sehr weh tun.“
Weitere Tränen ströhmten meine Wangen hinab. Ich wollte das nicht! Ich wollte aufwachen! Es musste ein Traum sein! Ein verdammter Traum! Ich musste aufwachen!
Ich hörte ihn lachen, als er weiter meinen Körper küsste und mich mit seinen Händen beschmutzte.
„Du hast ...einen wunderbaren Körper, Kleine.“, flüsterte er und leckte mir über die Brust.
Ich weinte, versuchte mich zu wehren. Wütend drückte er mich auf den Boden und setzte sich auf mich.
„Tu nicht so, als würde es dir nicht gefallen.“, sagte er und grinste.
Noch mehr Tränen verließen meine Augen. Ich schluchzte leise auf. Sein Gesicht kam meinem näher und er küsste mich. Wie versteinert lag ich da., als dieses Scheusal mich küsste und mir fordernd seine Zunge in den Mund schob. Seine Finger betasteten mich weiter.
Er hörte nicht auf. Seine Finger bewegten sich auf mir. Energisch löste er den Kuss und begann sich meinen Oberkörper entlang zu lecken.
Mein Weinen und meine dumpfen Schreie gingen unter. Immer fester drückte er mich auf den Boden, als er er mit seiner Zunge meinen Schambereich ableckte.
Weg, dachte ich nur. Ich musste von hier weg! Ich hielt das nicht aus! Ich konnte das nicht! Ich musste einfach entkommen.
„Jetzt wird es ernst, Kleine.“, grinste er und leckte die Innenseite meiner Oberschenkel entlang.
Ich hörte sein Lachen. Wie konnte ein Mensch nur so etwas tun! Was für ein Mensch war das, dass er jemanden so quälen konnte!
Ich weinte. Es waren unaufhaltsame Tränen, die mir das Gesicht hinabliefen.
„B-Bitte.“, flehte ich leise. „Bitte lasst mich doch...gehen.“
Ich schluchzte. Der Mann aber lachte nur. Sein Gesicht war direkt über meinem, als er langsam seine Hose öffnete.
Ich hatte solche Angst. Er grinste mich an. Völlig schockiert starrte ich das Gesicht meines Gegenübers, während mir immer mehr Tränen die Wangen hinabliefen. Ich konnte nichts tun. Ich war ihm audgeliefert.
Und noch bevor ich etwas hätte tun können, spreizte er meine Beine und drang mit Gewalt in mich ein.
Ich schrie auf! Mein Schrei hallte in den ganzen Raum wider. Doch ich wurde nicht gehört. Ich schrie um Hilfe. Jemand musste mich doch hören!
Der Mann aber lachte nur und begann mit Gewalt in mich zu stoßen. Ich weinte nur noch. Meine Schreie wurden immer lauter! Ich flehte ihn an, er solle aufhören! Er sollte mich gehen lassen, doch er ignorierte es. Stattdessen wurde er schneller. Immer schneller.
Hilfe. Ich schrie so laut ich konnte um Hilfe, doch wurde ich nicht gehört.
Nicht an diesem Tag.
Aber auch nicht am nächsten, oder an dem darauf Folgenden. Ich war ihm wehrlos ausgeliefert. Tag für Tag und Nacht für Nacht missbrauchte er mich für seine kranken Fantasien. Er quälte mich. Er fügte mir qualvolle Schmerzen zu.
Ich war ihm einfach ausgeliefert. Ich hatte keine Chance.
„Töte mich!“, flehte ich ihn jedes Mal aufs Neue an, wenn er sich mir näherte und wieder meinen Körper betastete.
„Du willst es doch auch, Kleine.“, sagte er immer wieder und küsste mich.

Sarah brach in Tränen aus. Sie warf sich an meine Brust, presste sich die Hände vor das Gesicht und schluchzte so laut es ihr nur möglich war.
Völlig unter Schock umarmte ich sie und drückte sie fest an mich. Ihre Tränen benässten den Stoff meines T-Shirts. Mir schlg das herz bis zum Hals.
Meine Hände zitterten, als ich sie umarmte. Mir war, als würd eich träumen. Als hätte ich einen wirklich fürchterlichen Traum. Ich konnte das einfach nicht glauben! Es war...
Gänsehaut überzog meinen Körper, während ich die arme Frau weiter im Arm hielt, die immer heftiger zu weinen begann.
„Er hat nicht aufgehört.“, schluchzte sie und drückte sich an mich. „Ich habe ihn angefleht, mich laufen zu lassen. Doch der hatte so viel Spaß daran, mich leiden zu sehen.“
Sie schnappte nach Luft.
„Ich wollte sterben! Ich wollte, dass er mich tötet!“
Ihre Stimme war brüchig und schwer.
„Er hat mich zwei...J-Jahre dort fest-gehal-ten...“
Sarah schrie unter Tränen auf. Sie schrie und schluchzte, drückte sich immer fester an mich und vergrub ihr Gesicht an meine Brust.
„Er hat mich bis in den Wahnsinn gequält. Ich war 14! 14!“, schrie sie.
Fest verkrallte sie ihre Hände an meinen Armen.
„Er...er hat dich...geschwängert...?“
Meine Stimme war nicht mehr, als ein Flüstern. Ich konnte das einfach nicht glauben. Es ging einfach nicht in meinen Kopf hinein. Das was ich hier soeben gehört hatte, es war einfach nur schrecklich! Es war widerwertiger, als alles, womit ich im Kreis meines Berufes konfrontiert worden war. Es war einfach widerlich!
Sarah schluchzte und nickte.
„Er...wusste, dass ich...sch-schwanger war...“, schluchzte sie. „Doch es war ihm egal.“
„Mit 16...wurde ich von ihm...schwanger.“
Mt 16. Diese Zahl raste förmlich durch meinen Kopf.
16. Sie war ein Kind gewesen, als dieser Bastard in ihre Nähe gekommen war. Sie war ein Kind! Ein Kind!
„Ich weiß...nicht mehr, wie...ich es geschafft...habe zu...ent-entk-entkommen...“
Ihre Stimme war schwer. Noch immer hatte sie sich an mich geworfen und weinte all das aus sich heraus, was sie vermutlich nie jemandem gesagt hatte.
Ich konnte es nicht einmal sehen, wie sie litt. Ich ertrug so etwas nicht. Wie konnte jemand einem Menschen so etwas Fürchterliches antun?!
Sarah sah auf.
„Meine Mutter wollte, das ich das Kind abtreiben lasse. Sie konnte es nicht sehen, wie ein Monster in mir zu leben beginnt.“
Wieder schluchzte sie.
„Doch...ich konnte es nicht.“
Weitere Tränen liefen ihr über die Wangen.
„Was...was konnte dieses Kind dafür...was...dieses Scheusal...mir angetan hat?“
Sie sah mir in die Augen.
„Er konnte doch nichts dafür!!“, schrie sie und verkrallte ihre Hand in ihrem T-Shirt. „Er hat doch nichts getan! Er konnte doch nichts dafür! Wie hätte ich ein ungeborenes Wesen, dass in mir zu leben beginnt, einfach so töten können! Wie hätte ich das tun können!!!“
Sie sah mich an.
„ich hätte das mit mir nicht vereinbaren können! Nicht nachdem...ich das hatte erleben müssen! Ich konnte ihn nicht verlieren!“

Wieder weinte sie und presste sich die Hand vor das Gesicht. Ich zog die weinende Frau wieder in eine feste Umarmung und strich ihr durch das Haar.
„Ist ja gut, Sarah.“, sagte ich leise.
„Er ist so...so wunderbar.“, schluchzte sie. „Du hättest ihn aufwachsen sehen sollen. Er war so anders, als dieses Monster. Er war ein so wunderbarer Junge.
Seine Augen. Sie haben immer so gestrahlt. Er hat sich an so vielen Sachen erfreut. Er war...“
Sie brach ab und drückte ihren Kopf erneut gegen meine Brust.
Ich konnte nichts sagen. Saß nur da und hielt sie im Arm. Mein Gehirn war wie ausgeleert. Ich konnte es einfach nicht glauben, was sie mir gerade erzählt hatte.
Der Vater dieses Psychopaten war ein Vergewaltiger gewesen. Er hatte Sarah zwei Jahre lang gequält und vergewaltigt. Ihr sämtliche Schmerzen zugefügt, so dass ein 14-jähriges Mädchen um den Tod gebettelt hatte. Sie hatte sterben wollen!
Sie hatte diese Schmerzen nicht mehr ertragen können. Es war zu viel.
In meinem Kopf war nur Platz für eine einzige Frage. Wie konnte ein Mensch so etwas tun! Ich fragte mich nicht mehr, wie dieser Mörder seiner eigenen Mutter das antun konnte. Nein. Ich konnte mich nur noch fragen, wie sein Vater Sarah so etwas hatte antun können! Einem 14-jährigen Kind!
Und jetzt war er...er war doch nicht anders. Er hatte mich geküsst. Wer wusste schon, was dieser Psychopat noch alles mit mir tun könnte.
„Und jetzt auch noch...dein Sohn.“, flüsterte ich. „jetzt ist er...genauso wie-“
Aprubt stieß Sarah mich von sich.
„Was redest du da!“, schrie sie völlig hysterisch und weitere Tränen liefen ihr die Wangen hinab. „Wie kannst du so etwas sagen!!“
Schockiert blickte ich sie an.
„Sarah, er...“
„ER WÜRDE SO ETWAS NIE TUN!!“, schrie sie. „NIEMALS KÖNNTE K SO ETWAS TUN! ER-!“
„K-Kei?“, unterbrach ich sie völlig perplex. „Er...er heißt Kei?“
Sarah schluchzte. Dann nickte sie.
„K. Mein kleiner K.“
Ich war wie vor das Gesicht geschlagen. In mir hämmerte es nur so. Mein herz schlug so schnell gegen meine Brust.
Er war also nicht, wie sein Vater?
Immer wieder murmelte Sarah seinen Namen. Sie weinte und schluchzte. Immer und immer wieder.
„Kei.“, schoss es mir durch den Kopf. „Sein Name war Kei.“
Derjenige von dem wir jahrelang nicht einen Fakt gewusst hatten. Er war Kei. Ich wusste seinen Namen. Aber-„Jetzt hast du also endlich jemanden gefunden, dem du es erzählen konntest, was?“
Ich wirbelte herum. Sarah ebenso.
In der Tür, an den Pfosten gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, da stand er. Die langen, blonden Haare hingen ihm über die kräftig gebauten Schultern. Er sah auf.
Seine Augen.
Ich blickte,wie versteinert in diese blauen Augen- und dieses Mal erkannte ich keine vollkommene Leere darin.
In ihnen spiegelte sich Trauer wieder. Ja, ich erkannte Trauer in diesen stechenden blauen Augen.
Den Augen von Kei. Kei, dem Serienmörder!



11. Kapitel

Völlig regungslos saß ich da. Mir war, als sei ich zu Stein geworden, als ich K anblickte. Sein Blick war kalt, so wie immer. Diese stechenden blauen Augen starrten durch den Raum, ohne eine Person von uns zu würdigen. Ich erkannte, wie innerhalb weniger Sekunden diese Anflug von Trauer in seinen Augen spurlos verschwand. Zurück blieb nur der alt bewehrte Hass in den Augen des Mörders.
Wie ich ihn so ansah, erkannte ich, dass er wirklich nicht ein wenig Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte. Er sah also wirklich genauso aus, wie sein Vater?
Wie hielt Sarah das nur aus? Nicht nur, dass ihr Sohn zu einem wahnsinnigen Mörder geworden war. Dazu kam auch noch, dass er genauso aussah, wie der Mann, der sie vor Jahren vergewaltigt und gequält hatte!
Ich konnte es noch immer nicht glauben, dass er ihr Sohn sein sollte! So etwas konnte ein Kind seiner Mutter doch nicht antun! Was für ein Mensch musste das sein!!
Nein, K war kein Mensch! Jedenfalls nicht mehr! Er war ein Monster! Ein Monster, dass nur darauf aus war, die Leben anderer zum Ende zu bringen!
Ein Monster! Einzig und allein ein widerwertiges Monster, das es verdient hatte, ausgelöscht zu werden!

„Monster? Ich weiß nicht, was ich von diesem Begriff halten soll. Weißt du, Ju. Ich denke wir sollten uns alle eine sehr wichtige Frage stellen.
Was hat dieser Mensch getan, damit wir ihn als Monster bezeichnen? Er hat also gemordet, anderen Schmerz zugefügt. Doch auch wenn er das getan hat, ist er doch trotzdem noch ein Mensch. Ein Mensch, der sich zwar unmenschlich verhält. Aber dennoch ein Mensch.
Ich glaube in dem Fall sollten wir von einem >erschaffenen Monster< reden. Denn erschaffene Monster und geborene Monster haben zwar eine Ähnlichkeit, aber sind auf von Grund auf verschieden.
Denn erschaffene Monster, haben eine Sache, welche geborene nie haben werden...
Sie haben die Chance, aus dem Kreis auszubrechen- und sich gegen ihren Meister zu stellen.“

Ich hatte nie verstanden, was sie damit gemeint hatte. Es hatte alles wie eine Fremdsprache in meinen Ohren geklungen, wie sie von Monstern gesprochen hatte. Ich hatte dieses Mädchen nie verstanden. Ihre Art wie sie von Mördern und Verbrechern gesprochen hatte.

„Ju, sieh es doch so. Wenn wir sehen, dass diese >erschaffenen Monster< oder auch die >geborenen Monster< den Tod verdient haben, dann machen wir uns doch zu nichts anderem, als einem >erschaffenen Monster<. Verstehst du?
Es muss eine andere Möglichkeit geben, als dieses typische >Auge um Auge<. So züchtet man nur weitere Monster.“

In diesem Fall hatte sie Recht. Was brachte es uns, diese Verbrecher zu ermorden? Es machte uns doch selbst zu Mördern! Es machte uns zu nichts Besserem, als zu Schlächtern!
Das war auch der Grund, weshalb ich vermutlich der einzige Agent war, der noch nie jemanden umgebracht hatte! Ich konnte das einfach nicht! Es ging mir auch einfach nicht ein, wie ein Mensch so etwas tun konnte! In meinen Augen waren dies Menschen, welche noch so wenig an Menschlichkeit besaßen, dass man sie durchaus als >Monster< bezeichnen konnte! Jedenfalls traf dies auf K zu! Er war kein Mensch mehr! Er war nichts als ein Monster! Ein Monster, das seine eigene Mutter quälte und folterte! Ein Monster, dass keinen Deut besser war, als derjenige, der ihn in die Welt gesetzt hatte! Auch wenn ich die Worte von meiner Kindheitsfreundin langsam verstand,so konnte ich die Taten von K nicht schön reden. In meinen Augen war er ein Monster. Das war mein erster Gedanke gewesen, als ich ihm in die Augen gesehen hatte. Dieses Aufblitzen in diesem stechenden Blau. Diese Kälte, die Skrupellosigkeit, der Hass.
Für mich hatte dieser Mensch alles an Menschlichkeit eingebüst, welches er besessen hatte. Er war nur noch ein Wesen, das zwar äußerlich einem Menschen glich, doch innerlich schon lange keiner mehr war.
Ich starrte ihn an, verfolgte seinen Blick, wie er Sarah mit seinem Blick fixierte.
Sie blickte auf den Boden, hatte Tränen in den Augen. Wie viel Liebe musste sie in sich tragen, dass sie das alles über sich ergehen ließ? Ich verstand das alles nicht!
Wie hatte sie das alles nur ausgehalten? Wie hielt sie das jetzt noch aus? Wurde sie etwa nicht jeden Tag an ihren Peiniger erinnert, wenn sie ihrem Sohn ins Gesicht blickte?
„Wie kann er so etwas nur tun?“, schoss es mir durch den Kopf.
K lachte auf. Ich hob meinen Blick. Auch Sarah sah zu ihrem Sohn empor.
„Wie ich so etwas tun kann?“, fragte er.
Verdammt! Hatte ich das etwa laut gesagt!? Das konnte nicht wahr sein! Bitte nicht! Niemals hatte ich das laut ausprechen wollen! Dafür hatte ich wirklich zu viel Angst vor diesem Monster!
Der Blonde machte langsam einen Schritt in den Raum hinein. Panik stieg in mir hoch. Er kam auf mich zu! Und ich konnte hier nicht weg! Dieser Raum bot keine Möglichkeit zur Flucht!
„Ich kann es dir verraten, Julien Flynn.“, flüsterte er schließlich so, dass ich ihn nur mit höchster Anstrengung verstehen konnte.
„Ich kann so etwas tun, weil es für mich keinen Sinn gibt, diese Menschheit weiter am Leben zu halten.“
Die Menschheit? Was genau wollte er damit sagen?
„Ich werde sie alle töten.“,flüsterte er so, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. „Jeder Mensch auf diesem Planeten wird sterben. Niemand wird überleben. Auch ich nicht.“
Ich spürte, wie sich ein riesiger Kloß in meinem Magen ausbreitete. Alle Menschen. Er wollte...
Langsam ließ er sich auf dem Boden nieder, schlang dabei die Arme um die Knie wie ein Kind. Wieder einmal war sein Blick nicht zu deuten. Er blickte mich an.
„Was...findest du denn so toll an der Menschheit, dass sie überleben soll?“, fragte er und sah mich fordernd an.
Ich schluckte. Diesen Mörder so vor mir zu haben, war das Unangenehmste, was mir bis jetzt passiert war.
„Antworte schon.“, sagte er, stütze seinen Kopf dabei auf den Knien ab.
So wie ich ihn hier zu Sehen bekam, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass er ein Mörder war. Wie konnte ein Mensch nur so viele verschiedenen Fasetten haben? In einem Moment wirken, wie das schlimmste Monster auf diesem Planeten und im nächsten, wie ein ganz normaler Mann, der mir eine Frage stellte. Es kam mir vor, als würde mir jemand gegenübersitzen, der mir eine ganze normale Interessensfrage stellte- rein zum Meinungsaustausch.
„Dir fällt keine Antwort ein, hab ich Recht?“
Schluckend nickte ich. Wenn ich so darüber nachdachte, viel mir wirklich nichts ein.
„Was tun die Menschen schon? Sie sind also das weit entwickelste Geschöpf auf dieser Welt.“
Er klang schon so, als fände er diese Aussage nur lächerlich und als würde er sich selbst nicht als Mensch zählen, wie er von ihnen sprach.
„Und was machen die Menschen daraus? Sie töten sich gegenseitig. Sie quälen sich und andere. Und das nennt sich weit entwickelt? Das ich nicht lache.“
Wütend schnaubte er auf. Gewisse Teile seiner Meinung verstand ich durchaus. Allerdings...
„Warum bringen die Mensch andere um? Sie führen Kriege wegen ihres Glaubens! Wegen verschiedenen RELIGIONEN!“
Das letzte Wort hatte er schon geschrien, den Kopf aber nicht ansatzweise von den Knien gehoben.
„Und warum quälen die Menschen andere Ihresgleichen?“, sprach er weiter.
Er gab einen abfälligen Laut von sich.
„Weil es hier tausend perverse Schweine gibt, die ihre Gelüster an anderen, schwächeren ausleben müssen! Ist das der Grund warum die Menschen sich so verhalten! IST ES DAS!!!“
„K...“
Sarah sah ihn an und bewegte sich ein Stück auf ihn zu.
„Bleib wo du bist!“, fauchte er sie an und seine Augen zogen sich eng zusammen.
Stille breitete sich in den Raum aus. Sarah saß verängstigt in der Ecke und sah ihren Sohn an. K hockte noch immer wie ein Kind da, die Arme um die Knie geschlungen und den Kopf darauf gelegt. Nur sein Blick zeigte, dass er am liebsten nun alle Anwesenden umbringen wollte!
Mir gingen in dieser Zeit die ganze Zeit seine Worte durch den Kopf.
„Weil es hier tausend perverse Schweine gibt, die ihre Gelüster an anderen, schwächeren ausleben müssen! Ist das der Grund warum die Menschen sich so verhalten! IST ES DAS!!!“
Also tötete er aus...Rache? Waren das die übrig gebliebenen Gefühle, welche sich noch in ihm befanden? Die Gefühle welche er seiner Mutter trotzdem noch entgegenbrachte, was ihn antrieb? Ihn dazu brachte all diese Menschen zu töten?
„W-warum...warum tötest du?“
Mir war nicht bewusst, warum ich das getan hatte. Warum hatte ich es ausgesprochen? Ich wusste inwzischen wozu dieser Mann fähig war und es beunruhigte mich, wie viel Hass ich in ihm spüren konnte.
Doch jetzt war es zu spät. Ich hatte es ausgesprochen und dafür musste ich zahlen. Das wusste ich noch bevor er seine Tat vollzog.
Mein Körper agierte wie von allein, als ich mich auf dem Boden niederließ,mich dort so aufsetzte, dass sich mein Rücken fast durchdrückte, ehe mein gesamter Oberkörper mit energischer Wucht auf den Boden aufschlug.
Leise keuchte ich unter den Schmerzen auf. Ich sah, wie K aufgestanden war. Seine Gesichtszüge waren verhärtet. Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„WARUM!“, brüllte er mich an und ließ meinen Körper dasselbe noch zweimal durchführen, ehe er mir eine Pause gönnte.
„DAS WILLST DU WIRKLICH WISSEN!!“, schrie er wutentbrannt.
Ich hätte schreien können, so sehr schmerzte mein Körper, nachdem er mich diesen Vorgang mehrere Male hatte wiederholen lassen. Inzwischen stand K wieder bedrohlich über mir. Seine Augen blitzen.
„Du willst es wirklich wissen, warum ich euch alle umbringe?“,fauchte er.
Langsam nickte ich. Entschlossen presste ich die Lippen fest aufeinander.
K hob den Kopf etwas, was ihm einen noch bedrohlicheren und trotzdem anmutigen Ausdruck verlieh.
Seine Lippen waren fest zu einen dünnen Strich zusammengepresst, die Augen zu Schlitzen verengt, während ihr stechendes Blau auf mich herabsah. Ich erkannte, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten und ich rechnete schon damit, dass er im nächsten Moment auf mich einschlagen würde, doch nichts passierte. Er stand noch immer an ein und derselben Stelle wie zuvor.
Langsam bildete sich erneut ein Grinsen auf seinen Lippen. Was zur Hölle ging in diesem kranken Kopf vor?! Meine Gedanken rasten nur so umher.
„Ich töte...“, flüsterte er. „Weil ich die Welt von der Menschheit erlösen will.“
Er sprach so leise, dass ich Mühe hatte jedes Wort davon zu verstehen. Kaum hatte ich realisiert, was der Mann vor mir hier ausgesprochen hatte,erstarrte ich. Mit jeder Antwort hatte ich gerechnet, aber nicht einer absurden und wahnwitzigen Aussage wie dieser. Mir entkam ein Laut, welcher einem Auflachen glich.
„Überschätzt du dich da nicht etwas?“
Leicht sah ich zu ihm hinauf. Dieser verzog nicht eine Miene.
„Ich überschätze mich nie.“
Leicht musterte ich ihn. Was war er? Was war er für ein Mensch? Ich verstand es nicht. Er widersprach sich immer wieder selbst. Mir kam es vor, als hätte er fast schon eine Art gespaltene Persönlichkeit. Wer war er? Wenn ich ihn ansah, sollte man denken ich würde nur den Hass sehen, der ihn ugab. Doch da war viel mehr. Ich wusste nicht woran es lag, doch in diesem Moment, als ich zu ihm empor sah, erkannte ich deutlich mehr, als Hass.
Er strahlte das Dasein eines Kindes aus. Eines unglücklichen Kindes. Wie kam ich nur in meiner Situation auf solche Gedanken! Ich war gefangen und dieser Typ...er...er besaß jegliche Macht mich zu kontrollieren! Wie konnte ich mir da nur Gedanken um ihn machen! Wenn ich so weiter machte, fing ich irgendwann noch an diesen Bastard zu mögen und zu verstehen! Das war nicht meine Aufgabe! Es war meine Aufgabe, ihn aufzuhalten! Ihn fest zunehmen und im schlimmsten Fall zu töten!
Ich war so in meinen Gedanken vertieft, dass ich nicht einmal mitbekam, dass er nun direkt vor mir stand.
„Ich unterschätze mich nie, Julien Flynn.“, sagte er erneut und ging vor mir in die Hocke. „Du weißt nicht wozu ich in der Lage bin.“
„Will ich das wissen?“, gab ich zurück.
Dieser Anflug in seinem Gesichtsausdruck war verschwunden. Jetzt erkannte ich nur noch diese Kälte und den Hass in seinen Augen aufsteigen.
„Hast du vergessen, was sich in deinem Körper befindet?“, grinste er und seine Augen blitzen auf. „Du hast es doch erst vor Kurzem erfahren.“
Mir stockte der Atem. Elektronen! Sarah hatte mir gesagt, in meinem Körper befänden sich Elektronen.
„Du wirst sie nie wieder entfernen können.“
Seine Stimme war tiefer, als sonst. Sie klang drohend und fast schon belustigt.
„Als ich sie in dir angebracht habe, wärst du fast drauf gegangen. Wäre auch egal gewesen, Aber du hast überlebt, Julien Flynn. Doch sieh dich an. Wenn man jetzt versuchen würde, sie wieder zu entfernen, hast du eine Chance von 0,3 Prozent, dass du überlebst. Auch wenn dein Körper nicht so schwach und ausgemerkelt wäre, stünde deine Chance dies zu überleben höchstens bei drei Prozent.“
Langsam ging er vor mir in die Hocke. Ein Grinsen stahl sich auf seine Züge.
„Soll ich dir sagen, was ich damit alles tun kann?“
Fest presste ich die Lippen aufeinander, während mein Kopf noch immer auf dem Boden lag. Ich wollte das gar nicht erst wissen! Warum sollte ich es schon erfahren wollen, was er damit tun konnte!! Es würde mich nur noch mehr verschrecken!
Erneut setzte er sich vor mich, schlang die Arme um seinen Körper und legte den Kopf auf den Knien ab.
„Setz dich schon richtig hin.“
Seine Stimme hatte einen ruhigen Ton angenommen. Aus irgendeinem Grund tat ich das was er mir gesagt hatte. Vermutlich war es die Angst vor ihm. Dieser Mann war unheimlich.
„Gibt es eine Person in deinem Leben...die dir wichtiger ist als alles andere?“
ich stockte bei der Frage. Sofort schoss mir Jase durch den Kopf. Jason war die wichtigste Person in meinem Leben, doch das würde ich garantiert nicht sagen.
„Oh, warte.“
Der Blonde hob den Zeigefinger kurz an die Lippen und sah mich mit schief gelegtem Kopf an. Dann lächelte er. Doch es war ein anderes Lächeln. Irgendwie ein...ein warmes Lächeln.
Ein Lächeln, von dem ich mir gut vorstellen konnte, dass Sarah genau davon gesprochen hatte.
„Es gibt da jemanden. Ich erinnere mich.“, fuhr er fort und ließ den Kopf auf die andere Seite gleiten.
„Jason, hab ich Recht? Jason Haste.“
Ich schluckte schwer.
„Jason Haste. Warte, ich bekomm es zusammen. 26 Jahre alt, 1,94 groß, goldblonde, kurze Haare, das linke Auge ist verdeckt, dunkelgraue Augen. Er ist homosexuell und...ah genau. Da gab es doch diesen einen Agenten. Matthew Peterson, hab ich Recht?“
Alles in mir erschauderte. Woher wusste dieser Typ das alles.
„Seine Mutter wurde ermordet. Da war er fünf. Genau es war 30. 05., ein schöner Abend, muss ich sagen. Und sein Vater, er kannte ihn nie. Er ist verschwunden, bevor der kleine Jason zur Welt kam. Und dieser Matthew Peterson, er war seine große Liebe. Er ist auch gestorben, hab ich Recht?“
K machte eine kurze Pause. Seine Aura wandelte sich. Ich konnte es spüren, wie sich der Hass und die Wut, sowie die Kälte um ihn herum ansammelte. Jase hatte mich immer für verrückt gehalten, wenn ich von Auren gesprochen hatte, die einen Menschen umgaben. Er hatte immer gesagt, ich würde mal wieder spinnen. Doch ich wusste, was ich da spürte. Kälte, Hass, Wut, Angst. All diese Gefühle umgaben ihn.
„Gestorrben?“
Seine Stimme klang völlig verändert. Mir war, als könnte ich ein Kichern heraushören. Er sah auf. Ich erschrak mich beinahe zu Tode, als ich ihm in die Augen sah. Zwar hatte ich schon in so viele Gesichter von Wahnsinnigen gesehen, ich hatte die Gesichter von Mördern gesehen, doch keines hatte dem K's nur ansatzweise geglichen. Er wirkte wie ein Dämon. Sein Lächeln war nur noch eine einzige gruselige Grimasse, die stechenden Augen wirkten fast so, als würden sie glühen und als könne in jedem Moment ein scharfer Laserpointer daraus herausschießen.
Mein Herz setzte für einen Moment aus und ich musste nach Luft schnappen. Diese Aura. Sie war unheimlich!
„Ach, da war ja was.“, grinste er und fuhr sich mit dem Daumen über die Unterlippe, ehe ein weiteres Grinsen über seine Züge glitt. „Ich habe ihn ja ermordet.“
Mir war, als würde man mir die Luft abschnüren. Matt.
„Er hatte es nicht anders verdient.“
Seine Stimme war noch immer so bedrohlich und gefährlich. Ich traute mich nicht ein Wort zu sagen.
„Du hast keine Ahnung von dieser Welt, Julien Flynn.“ Er sah mich an. „Du weißt nichts davon, wie die wirkliche Welt aussieht. Du bist Agent, denkst du würdest für die Gerechtigkeit einstehen, doch woher willst du wissen, ob das was du tust, wirklich gerecht ist? Vielleicht bin ja auch derjenige, der Gerechtigkeit in die Welt setzt?“
Ich antwortete nicht. Ich konnte es nicht einmal. Die Worte blieben mir in der Kehle stecken. Matt. Ich hatte gewusst, dass er ermordet worden war, aber konnte es wirklich sein, dass er hinter all dem steckte? Konnte ich seinen Worten überhaupt Glauben schenken? Oder war er schon so weltfremd, dass er irgendwelche Dinge sagte. Doch woher wusste er sonst all die Sachen über Jase. Seine Größe, sein Alter und alle möglichen Fakten, die nur diejenigen kennen konnten, welche ihn wirklich kannten.
„K...“
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Sarah langsam aufstand und auf ihn zuging. Am liebsten hätte ich sie zurückgezogen, doch irgendetwas hinderte mich daran. K reagierte nicht, auch nicht als seine Mutter nun unmittelbar vor ihm stand. Vorsichtig und höchst langsam setzte sie sich vor ihn auf die Knie und legte ihre dürre Hand an seine Wange.
„Du...du warst nie wie er.“, flüsterte sie.
Es wunderte mich,dass er nicht reagierte. War er schon wieder anderes? Ich sah den Blondhaarigen an und tatsächlich spürte ich, dass ihn etwas anderes umgab. Dieser Hass, er war verschwunden.
Was war er?! Immer wieder kreiste diese Frage in meinem Kopf umher. Konnte es wirklich sein, dass er-
Nein! Es gab keine Dämonen! So etwas war Schwachsinn! Ich verlor hier noch den Verstand! Und doch...stimmte etwas mit diesem Mann nicht!
Das letzte Mal als Sarah sich ihm genähert hatte, hatte er sie von sich gestoßen! Doch jetzt saß er einfach nur da und tat nichts! Ich verstand es einfach nicht!
Sarah strich ihm mit der Hand zärtlich über die Wange.
„Ich habe nie an dir gezweifelt.“, flüsterte sie und blickte ihm direkt in die Augen.
Wie konnte sie nur in diese Augen sehen!
„Ich hätte dich doch nie verlieren können.“
Ihre Stimme war brüchig, es war ihr anzuhören, dass sie mit den Tränen kämpfte. Ich war noch immer geschockt von dieser Szenerie, als Sarah ihren Sohn auf einmal fest in die Arme schloss.
„Ich liebe dich, du Dummkopf.“, flüsterte sie schluchzend und drückte ihn fest an sich. „Ich habe dich von der ersten Sekunde an geliebt und das werde ich immer tun.“
Drangen diese Worte überhaupt zu ihm durch?
Sarah weinte und drückte ihn fest an sich, während sie ihm immer wieder solche Dinge sagte. Ich konnte gar nicht glauben, was ich dort sah.
Doch dann traf es mich wie ein Schlag!
K hob seine Arme, Stück für Stück und erwiederte leicht die Umarmung seiner Mutter! War ich jetzt im falschen Film! Was um alles in der Welt ging hier vor!
Es vergingen Minuten in denen es mir vorkam, als wäre ich soben Zeuge wie eine Familie wieder zueinander fand. Als befänden sich keine Elektronen mehr in meinem Körper, die mich vermutlich umbringen könnten. Es war ein wirklich schönes Bild, das sich mir hier bot. K wirkte wirklich wie ein Kind. Ein Kind, das Jahre später seine Mutter wieder gefunden hatte, die er so lange verloren hatte.
Es war ein extrem merkwürdiges Bild und trotzdem ein Bild, welches mir irgendwie etwas weh tat. Einfach aus dem Grund, dass ich nie Eltern gehabt hatte, so wie K welche hatte.

12. Kapitel

Ich konnte diese Szene, welche sich mir hier bot, noch immer nicht wirklich begreifen. Aber nicht,weil ich so etwas noch nie zu Gesicht bekommen hatte, sondern weil es mir einfach unbegreiflich war, wie dieser Mann sich innerhalb von Sekunden ändern konnte.
Er kam mir vor, als wäre er...fast als wäre er nicht von dieser Welt. Ich wusste wie merkwürdig das klang, doch seine Art wandelte so schnell, dass es mir fast schon vorkam, als wäre er von irgendetwas besessen. Spätenstens jetzt war mir klar, das ich total wahnsinnig wurde. Jetzt dachte ich schon er wäre vom Teufel besessen? Obwohl...wenn ich so darüber nachdachte, schien es mir gar nicht erst so unrealistisch. Er wirkte manchmal wirklich so. Mit diesem stechenden Blick, dieser Mimik. Ich wusste, dass ich hier langsam den Verstand verlor.
Auf einmal schreckte ich auf, als K seine Mutter energisch an den dürren Armen packte und von sich stieß.
„Ich hab dir gesagt du sollst mich nicht anfassen!“, schrie er völlig hysterisch. Sarah stürzte zu Boden und blieb still schweigend einfach liegen.
Was war jetzt los! Völlig entgeistert starrte ich ihn an.
„Was...was machst du da!“, rief ich und stand auf.
K schenkte mir nur einen eisernen Blick, bis sein gewohntes Grinsen wieder auf seine Züge zurückkehrte.
„Vor dir steht ein Serienmörder, vergiss das nicht.“, flüsterte er.
Ich ballte die Hände zusammen, als ich mitten in der Bewegung innehielt. K zitterte. Seine Hände begannen zu zittern, seine Züge verkrampften sich und noch bevor ich mich versehen konnte, wandte er mir den Rücken zu und lehnte sich mit der Stirn gegen die Wand.
Ich hörte wie er irgendetwas vor sich hinmurmelte, verstand aber kein Wort. Sarah stand langsam auf, wollte auf ihn zugehen, doch ich hielt sie fest.
„An ihm ist etwas merkwürdig.“, sagte ich.
Momente der Stille vergingen, bis K sich umdrehte und wortlos den Raum verließ. Völlig irritiert starrte ich ihm hinterher, bis er die Tür hinter sich schloss.
„Was...was war das...?“
Sarah sagte nichts. Sie stand nur neben mir und sah zur Tür. Ich sah sie an und erkannte wie Tränen in ihren Augen standen. Sie hob ihre Hände und starrte darauf. Einzelne Tränen begannen ihre blassen Wangen hinabzurinnen und auf ihre Hände zu tropfen.
„K...“, flüsterte sie schluchzend und starrte minutenlang auf ihre Hände.
„Sarah.“
Ohne Vorwarnung fiel sie mir um den Hals und begann einfach zu weinen. Ich wusste nicht genau was ich tun sollte, also drückte ich sie einfach leicht an mich. Ihre Tränen konnte ich nur zu gut verstehen, schließlich-
„Ich bin so glücklich.“, flüsterte sie.
Warte! Glücklich! Warum glücklich! Wie konnte sie in so einem Moment glücklich sein!
„Er kommt zurück. Ich spüre es.“
„Wo-Wovon sprichst du?“,sprach ich meinen Gedanken aus und hielt sie auf Armlänge.
Noch immer liefen ihr die Tränen die Wangen hinunter.
„Er kommt zurück. Er wird wieder...er...“
Fragend zog ich die Stirn in Falten. Was meinte sie damit? Ich legte den Kopf etwas schief und ließ mich dann auf dem Boden nieder. Das Stehen war zu anstrengend für mich. Sie setzte sich neben mich und starrte immer noch mit Tränen in den Augen durch den Raum.Ich sagte nichts.
Zu viel war in den letzten Momenten passiert! Ich konnte meine Gedanken überhaupt nicht ordnen.
Woher wusste er all diese Sachen über Jason? Und...Matt.
Er...er war es gewesen! Er hatte ihn umgebracht! Er hatte meinem besten Freund das Wichtigste in seinem Leben genommen!
Wütend ballte ich die Hände zusammen, meine Züge verkrampften sich. Wenn ich wirklich wütend wurde, dann wenn jemand meiner Familie etwas antat! Und da ich keine mehr hatte, galt das für meinen besten Freund! Jason war meine Familie und wer es wagen sollte ihm etwas anzutun...!
„Julien...“, flüsterte Sarah schließlich und sah mich an. In ihren Augen glitzerten immer noch die Tränen. „K...er ...er hat eine gespaltene Persönlichkeit.“

Ich starrte sie an. Eine...gespaltene Persönlichkeit?!
„Den K den du kennengelernt hast, das war nicht der Junge, den ich zur Welt gebracht habe. Aber dieser K, den du zwischendurch hier hast aufblitzen sehen-“ Sie sah mich an und lächelte. „Das ist mein Kind.“
Wieder flossen die Tränen ihr Gesicht herunter.
„Ich habe ihn seit 12 Jahren nicht mehr gesehen. Mein Kind. Heute kam er zum ersten Mal wieder zum Vorschein. Du glaubst nicht wie glücklich ich deswegen bin. Damals war er 16. Ich hatte solche Angst um ihn. Überall habe ich nach ihm gesucht, doch ich habe ihn nirgends gefunden. Es war schrecklich. Das wünsche ich keinem Menschen auf dieser Welt, so eine Angst durchleben zu müssen. Die Angst das eigene Kind zu verlieren! Ich habe ihn damals verloren.“
Sie sah mich durchgehend an.
„Nach einem Jahr ist er wieder gekommen. 12 Monate, 3 Wochen und 2 Tage war er verschwunden. Doch als er wiederkam...“
Noch einmal hielt sie inne.
„Als er wieder vor unserer Haustür stand, war er nicht mehr derjenige der er vor einem Jahr gewesen war. Er sah anders aus. Er war jemand anderes. Seine Aura hatte sich gewandelt. Die Wärme, die er einst ausgestrahlt hatte, war erloschen. Ihn umgab eine eiserne Kälte. Es war drückend, stechend.
Ich erkannte ihn nicht wieder, als er dort vor mir stand. Seine Haare waren länger geworden, die Augen so kalt, sein ganzes Gesicht war voller Dreck und Blut. Als ich ihn sah wich ich vor ihm zurück. Er sah ihm so ähnlich. Dem Mann, der...“
Sie sprach den Satz nicht aus.
„Ohne ein Wort zu sagen, ging er an mir vorbei, wandte sich nicht einmal zu mir um, umarmte mich nicht, sagte kein Wort des Wiedersehens. Er ging einfach an mir vorbei in die Küche, nahm sich ein Glas Wasser und verschwand in seinem früheren Zimmer.
Ich hatte mich nicht einmal bewegen können, so fassungslos war ich, als ich erkannte, wie sehr er ihm jetzt doch ähnelte.“
Wieder hörte ich ihr einfach zu, Sarah hatte nie jemanden gehabt, mit dem sie darüber hätte reden können. Eine solch große Last mit sich herumzutragen war doch reinster Selbstmord!
„Seit diesem Tag hatte er sich verändert. Er war nicht mehr das Kind, das ich aufgezogen hatte. Er war ein anderer Mensch. Ich will nicht wissen, was er in diesem Jahr alles erlebt hat, dass er so wurde.
Ich sah ihn kaum noch. Wahrscheinlich hat es damals schon angefangen, dass er...dass er ES tat. Ich habe es nicht bemerkt, was mit meinem Sohn geschah. Wie sich sein Weltbild wandelte, wie er zu sich selbst stand, wie...“
„Zu sich selbst?“, unterbrach ich sie.
Sarah nickte.
„Du denkst er hält sich für etwas Übermenschliches, nicht wahr? Jemanden wie einen Gott, dass es gerechtfertigt wird, was er tut, habe ich Recht?“
Ich nickte nur. Waren nicht alle Serienmörder so? Hielten sich für etwas Größeres, als der Rest der Menschheit. Genauso war er doch auch. Er hatte doch selbst gesagt, dass er tötete, um die Welt von der Menschheit zu befreien.
„Du liegst falsch.“, sagte sie trocken und starrte in die Luft. „Er ist weit davon entfernt sich für etwas Übermenschliches zu halten.“
„Was?“
Sarah lächelte traurig.
„K hält sich für etwas noch Minderes als Dreck. Er hält nicht viel von sich. Er hasst die Menschen und die Menschheit. Er hasst es, dass er selbst dazugehört und hat immer wieder gesagt, dass er das Leben nie verdient hat.“
Als sie es aussprach wurde ihre Stimme tränenschwer. Völlig überrascht starrte ich sie an. Wie konnte das denn wahr sein? Warum tötete er dann?
„Einmal hat er gesagt, seine bloße Existenz sei ein Verbrechen. Er ist ein Verbrechen. K sieht sich nicht einmal als Mensch an. Er sieht sich als das minderste Wesen dieser Welt an, weil er das Ergebnis einer...eines Verbrechens ist.“
Auch wenn ich es versuchte zu unterdrücken, konnte ich nur auflachen. So dachte dieser Mann also von sich. Ich musste leider zugeben, dass ich ihn in gewissen Punkten verstehen konnte. Wie würde ich reagieren, wenn ich erfahren würde, dass ich nur am Leben war, weil irgendein Schwein seine Gelüste an meiner Mutter ausgelassen hatte? Was würde ich tun?
Ich wusste es nicht. Doch es war klar, dass ich nicht so reagieren würde, wie er es getan hatte! Auch wenn er sich für etwas so Wertloses hielt, warum mordete er dann?
„Die Menschheit verdient es ausgelöscht zu werden.“, hatte er gesagt. Er hatte auch gesagt, dass er damit mit einbegriffen war. Also schien er sich wirklich für nichts Höheres zu halten. War das möglich? Aber selbst, wenn er sich für so etwas hielt, stand das im absoluten Kontrast zu seinem Halten. Er sagte selbst er sei ein Verbrechen, setzte aber auch nichts daran es zu ändern!

„Er hat sich selbst zu einem Verbrechen gemacht. Niemand wird als eines geboren. Auch sein Erzeuger...“ Ich sah sie an. „Auch wenn er dir so etwas angetan hat, wurde er nicht als Monster geboren. Ich nehme diesen Typen nicht in Schutz, nicht das du das denkst. Aber...“
Kurz hielt ich inne.
„Ich kannte mal ein Mädchen.“, fing ich an. „ Sie war eine Kindheitsfreundin. Im Grunde kam sie einem vor, wie eine Erwachsene in einem Kinderkörper. Sie hat schon mit vier Jahren sehr viel über diese Welt gesprochen und unter anderem, glaube ich mich zu erinnern, dass sie auch mal von so etwas geredet hat.
Niemand wird als Verbrechen geboren, egal unter welchen Umständen. Wir Menschen sind es, die uns und andere dazu machen. Das wirklich böse in der Welt ist die Menschheit, für das was wir tun.“
Sarah hielt inne.
„Diese Worte erinnern mich sehr an K.“, sagte sie und musste leicht lächeln. „Dieses Kind hatte eine Ahnung wovon sie sprach.“
Wenn ich so darüber nachdachte, glichen sich die Worte meiner damaligen Freundin und den Worten Ks' wirklich sehr.
„Er hat sich selbst zu dem gemacht was er heute ist.“, sagte ich schließlich. „Das ist es was ich damit sagen will. Natürlich war es ein Schock für ihn, das zu erfahren, aber das bedeutet nicht, dass er in die Fußstapfen von seinem Erzeuger treten muss und genauso zu einem Monster werden muss. Er ist selbst derjenige, der das aus sich gemacht hat.“
Eine Weile schwiegen wir. Sarah sagte nichts und starrte auf ihre Hände. Es wunderte mich, dass K mich für diese Worte nicht auf seine Art bestrafte. Schließlich stellte ich ihn selbst in Frage. Normal hätte er mich doch schon längst etwas tun lassen, was mir Schmerzen zufügte. Doch es blieb aus.
Ich hatte meinen Körper voll und ganz unter Kontrolle. Es wunderte mich wirklich.
„Er wusste es.“, durchbrach Sarah schließlich die Stille. „Er wusste, dass er vielleicht den Verstand verlieren würde.“
„Er hätte es beeinflussen können.“
Sarah aber schüttelte nur den Kopf.
„Ich konnte nicht zulassen, dass er es umsetzt.“
Fragend sah ich sie an.
„Er wollte sich das Leben nehmen.“, sagte sie trocken und starrte in die Leere.
Verwirrt starrte ich sie an und brachte nur ein ziemlich dummes „was?!“, heraus. Sarah aber nickte.
„Er hat auch gesagt, wenn ich ihn retten sollte, könne er für nichts garantieren, was er tun wird. Er würde merken, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Dass er sich veränderte. Er sagte es war, als würde etwas von ihm Besitz ergreifen.“
Das klang eindeutig nach Bessenheit von einem Dämon, rief sofort ein Teil in mir. Ich verdrängte es aber sofort.
„Das war die Zeit in der seine Persönlichkeit sich schon lange gespalten hatte, er aber noch nicht vollkommen zu diesem Menschen geworden ist. Er wurde zu einem Monster. Einem Menschen, der nur noch töten wollte.
Ich fand ihn in seinem Zimmer, überall war Blut. Er hielt noch immer das Messer in die Hand, sein Opfer lag vor ihm. Als er mich sah, lächelte er nur.
„Nummer 19.“, sagte er nur und leckte das Blut von dem Messer. In mir starb ein Teil, als ich dieses Szenerio zu Gesicht bekommen hatte.“
Wieder bildeten sich Tränen in ihren Augen und liefen ihr die Wangen hinab.
„Ich hab ihn verloren Julien.“, flüsterte sie unter Tränen. „Seit über 12 Jahren habe ich meinen Sohn nicht mehr und jetzt...er war für einen Moment, für einen einzigen Moment wieder da!“
Ich war einfach nur noch fassungslos. Was sollte ich jetzt bitte von ihm denken!
Warum machte ich mir überhaupt Gedanken um ihn! Er war meine Arbeit! Es war meine Aufgabe ihn aus dem Weg zu räumen, doch konnte ich nicht anders, als darüber nachzudenken! Hatte ich doch ohnehin keine Fluchtmöglichkeit!
Ich konnte immer noch nicht begreifen, wer oder was K war. Wenn er wirklich eine gespaltene Persönlichkeit hatte, dann erschwerte das die Sache um einiges. Was war, wenn er sich in einem „normalen“ Zustand nicht daran erinnerte, was er getan hatte? Wie sollte man jemanden verhören können, wenn man nicht einmal wusste, mit wem man es zu tun hatte!
Sarah schien wieder einmal meine Gedanken erraten zu haben. Sie lächelte.
„Ihr könnt ihn nicht festnehmen. Niemand kann das.“
Erstaunt sah ich sie an.
„Wieso?“
Wieder lächelte sie traurig.
„Weil er...K...er...“ Kurz sah sie zu Boden. Den Rest des Satzes flüsterte sie nur. Energisch sah ich sie an. Ich verstand kein Wort.
„K...K existiert nicht.“
Spätestens jetzt wollte ich nur noch hier raus! Was hatte das hier alles zu bedeuten! Was hieß hier >Er existiert nicht!< Er stand schließlich gerade vor mir!!
„Niemand außer mir weiß davon, dass er am Leben ist. Selbst wenn du seinen vollen Namen kennen würdest, es würde euch nicht weiterbringen. Er ist nicht registriert. Deshalb könnt ihr ihn nicht besiegen.“
Sie sah mich an.
„K weiß das. Er weiß, dass er nirgends als lebend registriert ist. Und das bestätigt ihn nur noch mehr in seiner Annahme, dass er es nicht wert ist hier zu sein.“
Ihr Blick wurde ernster.
„Julien! Ich weiß, dass du vorhast ihn gefangen zu nehmen! Aber das ist unmöglich! Du kannst niemanden mit einer gespaltenen Persönlichkeit verhören! Ihr werdet ihn so nie besiegen können!“
„Sarah...du, du willst doch nicht etwa...“
Eine Träne lief ihr die Wange hinab und sie senkte den Blick.
„Doch.“, schluchzte sie und sah mich wieder an. Tränen liefen ihr die Wangen hinab. „Julien! Wenn du die Chance dazu hast, dann töte ihn! Töte mein Kind! Nur so kannst du ihm helfen! Nur so kannst du hier rauskommen! Du musst seinem Leben ein Ende bereiten!!!“

13. Kapitel

13. Kapitel

 

Umbringen? Ich musste ihn umbringen?! Er hatte eine gespaltene Persönlichkeit?! Nicht mal als lebend war er registriert?! Erzeugt worden durch Vergewaltigung?
All diese Informationen waren viel zu viele, als dass ich sie auf einmal hätte aufnehmen und ordnen können. Das war einfach zu viel!
Selbst nach mehreren Tagen war ich immer noch verdammt unschlüssig wie es jetzt weiter gehen sollte. Ich musste handeln, das wusste ich. Jemanden umzubringen, war nichts Seltenes in meinem Beruf. Damit hatte ich auch kein wirkliches Problem mehr. Aber jemanden umzubringen, der nicht einmal wirklich er selbst ist, jemanden zu töten den ich persönlich, aus irgendeinem mir unbegreiflichen Grund, als eigentliches Opfer dieser Geschichte ansah- das war etwas komplett anderes. Er besaß ja nicht mal eine richtige Existenz.
Langsam verlor ich wohl wirklich den Verstand! Ich konnte nicht mehr klar denken! Ich war absolut unwissend ob es nun morgens, mittags oder abends war. Es spielte auch nicht wirklich eine Rolle. Es war einfach alles ein riesiges Loch von Unwissenheit, welcher ich ausgesetzt war. Das alles schob ich auf diese Mangelernährung, welche ich hier genoss, aber es war wohl eindeutig, dass ich derjenige war, der total über schnappte. Fing ich wirklich an, diesen Psychopathen zu verstehen? Sympathie für ihn zu entwickeln!? Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich mir so sehr gewünscht hätte, dem stechenden Blick von Miss Kaplan ausgesetzt zu sein, wie jetzt. Wann hatte ich mich das letzte Mal so sehr nach frischer Luft gesehnt oder nach einer von Jasons' wahnwitzigen Kurzschlussreaktionen?!
Das war wohl noch nie vorgekommen. Alles, wirklich alles wäre mir lieber, als hier gefangen zu sein, ohne einen Plan, wie es weitergehen sollte, geschweige denn wie ich meinen Gegner eliminieren konnte. Ich hatte Angst. Nein, das war noch zu harmlos. Ich hatte Todesangst, entsetzliche Panik. Das was ich hier elebte, war schlimmer,als jeder gute Horrorfilm, den ich je gesehen hatte. Denn der wahre Horror spielt sich hier ab.
Genau hier: bei mir. In diesem Haus, diesem verfluchten Haus -und ich war ein wichtiger Teil dieses Horrors. Sarah, K und ich. Wenn ich mir dieses Szenario ansah, dann war das mehr als nur die perfekte Grundlage für den neusten Mega- Blockbuster!
Ein gutherziger Agent, der von einem psychopatischen Mörder gekidnappt und von dem festgehalten wird. Dort trifft er auf sie Mutter seines Peinigers, die auch an diesem Ort festgehalten wird - und von Zeit zu Zeit erfährt der Agent mehr über seinen Peiniger als es ihm lieb ist. Diese Geschichte erinnerte mich sehr an einen klaren Fall von Stockholm-Syndrom.
Ich fing von Zeit zu Zeit schon an zu Gott zu beten, um Hilfe zu flehen, da ich solche Angst hatte. Angst davor zu sterben. Genauso zu enden, wie die Agenten vor mir. Eigentlich war ich ja überzeugter Atheist, aber wenn man sich in einer Situation wie meiner befindet, dann interessieren einen, seine ganzen Überzeugungen und Vorsätze nicht mehr. Man will nur noch leben. Egal was es kostet, einfach nur heil aus dieser Sache herauskommen.
Wenn ich das hier überleben sollte, dann schwor ich mir, würde ich mich taufen lassen und ab sofort jeden Sonntag in die Kirche gehen und täglich mindestens dreimal beten. Ich wollte doch nur leben! Lieber Gott, wenn es dich gibt, dann flehe ich dich an, hilf mir! Ich will leben! Zeig mir dass es dich gibt und steh mir zur Seite!
Der einzige Anhaltspunkt der mir blieb, hieß Sarah. Es war mir ein Rätsel wie sie noch nicht komplett den Verstand verloren haben konnte. Für mich gab es da nur zwei Möglichkeiten. Entweder war sie schon so gebrochen, dass sie nichts mehr erreichte, geschweige denn berührte, oder (was mir fast schon eher möglich erschien), die Liebe zu ihrem Sohn war trotz all dem von solcher Intensivität, dass sie das alles über sich ergehen ließ, jeden Schmerz, jede Qual in den Kauf nahm, um einfach bei ihm zu sein.
Wie ich diese Frau doch bewunderte. Sie war in dieser Hinsicht so viel stärker, als so einige Agenten der CNS. Vielleicht nicht gerade vergleichbar mit einer Frau wie meiner Direktorin. Gott bewahre! Niemand war so wie Miss Kaplan! Ich hatte noch nie einen Menschen erlebt, der so skrupellos und kaltherzig war, wie sie!
Na ja, außer vielleicht mein Peiniger K. Irgendwie musste ich mir eingestehen, dass sich Miss Kaplan und K auf eine absurde und kranke Art ähnelten... Oh Gott, worüber dachte ich da nur nach?! Wie konnte ich diesen Psychopathen mit meiner Chefin vergleichen?! Diese Frau hätte mir eine Kugel in den Kopf gejagt, hätte sie das gehört. Allerdings hörte sich das doch irgendwie sehr nach K an, oder?
Wie es Jason wohl ging? Sicher kam er halb um vor Sorge! Meine Gedanken rasten nur so von der einen Stelle zur Nächsten. Wahrscheinlich versuchte ich es mir somit leichter zu machen, auch wenn ich kläglich scheiterte. Es wurde im Endeffekt nur noch schlimmer, wenn ich mir das Hirn darüber zermaterte, wie es jetzt weitergehen sollte.
Ich wusste, dass ich "K" umbringen musste, um von hier zu entkommen. Um mich und Sarah zu befreien. Aber das Abhauen war die eine Sache. Schließlich gab es da diese Elektronen. Und diese verhinderten optimal, dass wir keinen Mist machten und versuchen würden abzuhauen.
Eines musste man ihm lassen. Er dachte sehr gut nach. Er hatte wohl wirklich an alles gedacht, trotz gespaltener Persönlichkeit.
Mein Kopf schmerzte vor Anstrengung. Alles hier zehrte nur so an meiner Kraft. Mein Mund war komplett ausgetrocknet, mein Körper fühlte sich so schwer an, als hingen Eisblöcke an meinen Armen und Beinen Ich konnte einfach nicht mehr!
Voller Erschöpfung schlief ich dann irgendwann ein. Mein Körper hatte einfach keine Kraft mehr!


Als ich dann wieder wach wurde, lag ich immer noch in demselben Raum. Demselben weißen und hell erleuchteten Zimmer. Doch dieses Mal war ich nicht allein.
Dass Sarah bei mir war, war ich gewöhnt. Aber nicht, dass auch ER neben mir lag.
Augenblicklich schoss ich hoch, saß kerzengerade auf dem Boden. Meine Atmung ging so schnell, dass es schmerzte. Sofort fasste ich mir an die Brust, versuchte mich zu beruhigen, was erst nach einiger Zeit funktionierte. Ich war einfach geschockt, dass er hier war. So realisierte ich auch erst ziemlich spät, dass er schlief.
Verdutzt starrte ich ihn an. Er schlief?! Irgendwie hatte ich immer gedacht, dass Leute wie er -Mörder- nicht schliefen.
Wenn man so darüber nachdachte war es absolut absurd und bescheuert. Auch wenn sie Menschen umbrachten, waren sie trotzdem noch ein Teil der Menschheit. Und Menschen benötigten Schlaf, sonst starben sie.
Dazu würde meine Kindheitsfreundin mal wieder sagen: "Sie sind zwar Menschen, das ist richtig. Aber sind es Menschen, welche ihre komplette Humanität ablegen und nun ein Leben führen wie die Tiere. Beutetiere. Sie ruhen, wenn es zu auffällig für sie wäre anzugreifen, legen sich auf die Lauer und wenn ihr Opfer schwach erscheint greifen sie an, stürzen sich darauf und zerfleischen es, bis nicht ein Stück von ihnen übrig bleibt."
Die Vorstellung dass mir das ein fünfjähriges Kind gesagt hatte. Der Ausdruck in ihren Augen, wenn sie so über die Menschheit sprach. Die Art wie sie sprach, wie sie ging. Sie war sehr besonders gewesen. Vielleicht zu besonders. Ich erinnere mich nicht daran, dass sie viel Kontakt zu den anderen Kindern gehabt hatte.
Nein, Joe, so hatte sie genießen, war ein Einzelgänger gewesen. Ich war der einzige gewesen den sie etwas an sich heran gelassen hatte. In letzter Zeit dachte ich wirklich sehr oft an sie. Wie sie wohl jetzt aussieht? Wie sich Joe wohl entwickelt hat? Ob sie immer noch so beängstigend ist? Ich seufzte tief und blickte auf sie Seite, wo K lag.
Er sah aus, als sei er eine komplett andere Person. Sarah schlief auch noch. Sie hatte behutsam einen Arm um ihn gelegt. Er schmiegte sich leicht an die knochige Schulter seiner Mutter, sah dabei aus, wie ein kleiner Junge, der nach einem Alptraum zu seiner Mutter ins Bett gekrochen war. Wie ein Mörder sah er jedenfalls nicht aus.
"Die einzige Chance wenn du von hier entkommen willst ist, wenn du sein Leben beendest."
Mich überkam eine Gänsehaut. Ich zitterte. Das wäre die perfekte Gelegenheit ihn zu töten. Trug er vielleicht eine Waffe bei sich? Wenn ja, dann war das Glück wohl auf meiner Seite. Langsam stand ich auf und schlich in seine Richtung, extrem bedacht darauf keine Geräusche von mir zu geben. Vor ihm angekommen kniete ich mich neben ihn, sah ihn an.
Warum sah dieses Monster so unschuldig, so friedlich aus? Hätte ich nicht mit meinen eigenen Augen gesehen, wozu er in der Lage war, würde ich es für einen extrem schlechten Scherz halten. Aber ich hatte es gesehen- und das nicht nur einmal.
Er war ein Monster, eine Bestie.
Eine ganze Weile sah ich ihn an. Diese blasse, durchscheinende, gräulich wirkende Haut. Es war beängstigend, machte mir wirklich Angst. Er wirkte so unmenschlich, wenn man ihn vor sich stehen hatte.
Die große, schlanke Figur, diese abnormale , kränkliche Hautfarbe, das verknotete, hellblonde Haar und dann diese stechenden blauen Augen. Für mich wirkte er wie ein Zombie, ein Vampir. Kaum hatte ich diesen Gedanken vollzogen, kamen mir erneut Joes Worte in den Sinn.
"Mörder. Sie sind wie Vampire, wie Monster. Kaum einer von ihnen betritt tagsüber die Außenwelt. Sie meiden das "normale Leben", nähren sich an dem Schmerz und Leid anderer. manche kosten das Blut ihrer Opfer. Ju, sie sind die Vampire der modernen Zeit."
Wie ich dieses Mädchen doch bewundert hatte. Sie hatte mir Angst gemacht, mit ihrer monotonen und abwesend klingenden Stimme, doch gleichzeitig hatte sie mich fasziniert.
So viele Dinge, die sie mit zwei, drei Jahren gesagt hatte, fing ich erst jetzt, über 20 Jahre später, zu begreifen, zu hinterfragen. Ich hatte sie gemocht, wirklich sehr gemocht. Sie war meine einzige Freundin gewesen, jedenfalls als Kind. Außerdem war sie etwas sehr Besonderes gewesen. Vielleicht...ja, vielleicht war ich sogar etwas in sie verliebt gewesen.
Sie war einfach so anders gewesen, als die Anderen. Ich hatte nie wieder ein Mädchen, oder eher einen Menschen, getroffen, der wie sie war. Mit ihrer Art jemandem schreckliche Angst einzujagen und einen gleichzeitig in seinen Bann zu ziehen.
Obwohl...es gab da jemanden. Diese Eigenschaften sah ich an einer Person wieder. So leid es mir auch für Joe tat, waren das alles Eigenschaften welche K auszeichneten. Er bereitete mir panische Angst und faszinierte mich. Es gab wohl doch jemanden, der Joe glich.
Aber...irgendwie glaubte ich es gäbe da noch jemanden. Jemand, der ihr wirklich sehr ähnlich war. Vielleicht noch ähnlicher als K...
Energisch schüttelte ich den Kopf, holte mich so wieder zurück in die Gegenwart, wandte meinen Blick an den blonden Psychopathen vor mir, welcher seelenruhig vor sich hinschlummerte. Ich setzte mich neben den blonden Mörder, sah ihn an.
"Ich muss dich töten.", murmelte ich.
Fest biss ich mir auf die Lippe, Wie sollte ich ihn töten? Hör auf so ruhig und unschuldig auszusehen! Wie soll ich so jemanden töten?!
Eine ganze Weile musterte ich ihn, dann viel mein Blick auf seinen Arm, oder eher af die Innenseite seines linkes Handgelenkes. Leicht kniff ich die Augen zusammen Ich schluckte, griff dann nach seinem Arm um es mir anzusehen. Ich war wirklich verdammt neugierig, selbst wenn ich damit mein Leben riskierte. Auf seinem Handgelenk erkannte ich drei säuberliche, definierte, rote Striemen, oder eher Narben. Mit zusammengekniffenen Augen, besah ich mir diese Narben genauer.
„K...“, keuchte ich leise. Diese Narben an seinem Handgelenk bildeten ein >K<. Was hatte das jetzt zu bedeuten?!
„Du bist echt...verdammt neugierig.“
Ich schreckte auf, ließ sofort seinen Arm los. Panisch rückte ich von ihm weg, machte mich schon bereit, dass mein Körper sofort wieder fremdgesteuert wurde, ehe ich bemerkte, dass er...mich anlächelte. Ja, dieser Mörder lächelte mich an. Es war ein warmes, freundliches Lächeln. Nicht das Lächeln eines Mörders, sondern das eines ganz normalen jungen Mannes.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.12.2013

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