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Blind



Bin das ich fragte sie sich, passiert das mir?


Beate, sie war wie zu Stein erstarrt. Sie konnte sich kaum rühren. Fassungslos sah sie ihn an.

Dort, keine zwei Meter von ihr entfernt, stand der Mensch mit dem sie 16 Jahre verheiratet war und er war ihr so fremd wie ein eben neu gekauftes Badehandtuch.
Sie betrachtete ihn wie ein ekliges Reptil, etwas furchtvoll, leicht verächtlich.
Wütend? nein wütend war sie nicht. Kenne ich ihn, fragte sie sich, wie konnte ich nur so blind sein?
In einer wie endlos scheinenden Sekunde war ihre ganze kleine Welt wie in hundertausend Scherben zusammen gekracht. Ein Haufen zerstörtes Glas lag zu ihren Füßen.
Im Moment zuvor war alles noch in Ordnung, und nun, alles vorbei.
Beate runzelte ihre Stirn, wie war das möglich? Warum hatte sie nichts gemerkt?
Er war doch, so wie immer.
Er sah aus wie gestern, vor einer Woche, einem Monat.
Gut aussehend, souverän, nett, ein Mann, der sie immer gleich behandelt hatte.
Er wurde nie ärgerlich, nie zornig, tat, was man von ihm erwartete und hinter dieser netten Kulisse hatte er sie kalt lächelnd betrogen und seine eigenen Pläne gehabt.

Wie heißt sie, fragte sie ihn leise.
Ein etwas verlegendes Zucken seiner Mundwinkel verriet ihr, dass er mit der Situation etwas überfordert war, nicht wusste, was er sagen sollte.
Dann riss er sich zusammen und es kam kühl aus seinem Mund:“ Warum willst du das wissen, es ist doch völlig egal wie sie heißt, das tut nichts zur Sache!“
„Ich weiß gerne welche Person mit dir zusammen dafür verantwortlich ist, dass ich jetzt wie eine Idiotin vor dir stehe. Ich möchte nur wissen, ob ich sie kenne“.
Ihr Inneres war völlig durcheinander, aufgewühlt, sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, es gelang ihr nicht.
Irgendwie schossen ganz normale Gedanken durch ihr Hirn.
Es ist eine Situation wie sie tagtäglich passiert, nun auch ihr.
Sie hatte sich sicher und aufgehoben gefühlt, beschützt und behütet, geborgen und nun stand da der Mann, den sie seit über 18 Jahren kannte. Und er lächelte leicht, wie kann er nur lächeln, fragte sie sich, der Typ spinnt wohl, weiß er nicht, was er da macht?
Er hatte ihr zwei Kinder geschenkt, ein normales Leben geführt, mit ihr eine Zukunft aufgebaut, die rosig und gesund aussah und nun war er im Begriff alles hinter sich zu lassen was sie bisher gemeinsam gelebt hatten und ging.
ER ging einfach.
Wo waren seine Skrupel? Sein Gewissen, sein Gerechtigkeitssinn mit dem er immer geprahlt hatte und der, wie sie bisher dachte, zu ihm gehörte wie sein bester Anzug.
Er hat dich belogen, kalt lächelnd belogen und im Hintergrund seines undurchdringlich glatten Äußeren hat er sich mit irgendeiner Person vergnügt und zudem wahrscheinlich über sie scheckisch gelacht, dass sie, nichts bemerkt hatte.
Welch eine Farce, dachte sie. Jetzt stehe ich da und soll etwas dazu sagen, was erwartet er von mir?
Sollte sie diese für sie fremde Person dafür verantwortlich machen, auf sie wütend sein, sie hassen?
Nein, ER war es mit dem sie es zu tun hatte, diese andere Person ging sie nichts an.
In ihr drin war eine kalte Leere, Hoffnungslosigkeit.
Reiß dich zusammen, befahl sie sich, lass ihn nicht merken, wie sehr er dich verletzt hat.
Vor wenigen Minuten hatte er ihr kühl, ja fast geschäftsmäßig verkündet, dass er sie zum Ende des Monats verlassen und in eine Eigentumswohnung umziehen würde.
Ihre Gedanken fingen an zu rasen während sie, anscheinend äußerlich gefasst, vor ihm stand.
Bring ich ihn um oder lasse ich ihn einfach gehen. Soll er ungeschoren davon kommen?
Ich könnte ihm, so wie er da steht,und auch noch fiese lächelt - den Hals umdrehen! Ein Messer in den Bauch bohren, ihn vergiften.
Das kann nicht sein, ohne Strafe soll er nicht bleiben!
Bin ich überhaupt fähig einem anderen Menschen etwas anzutun?
Und dann auch noch ihm, den sie glaubte zu lieben.
Kann man einen Menschen überhaupt lieben der einem so etwas antut?
Der geht, denkt sie - der geht kalt lächelnd einfach, als ob sein bisheriges Leben überhaupt nie existiert, ihm nichts bedeutet hatte.
Wie er da stand und etwas ungeduldig mit dem Fuß vor und zurück wippte, als wolle er ihr sagen, beeil dich, ich habe dich informiert, ich will weg.
Ja, sie fühlte, er war eigentlich gar nicht mehr da, nur sein graublauer Anzug stand da am Fenster, es war ihr als hätte er auch diesen schon verlassen.
Der Mensch selbst war mit seinen Gedanken längst woanders.
Geh, flüsterte sie mit gebrochener Stimme, sie musste sich räuspern um überhaupt ein Wort herauszubekommen.
Er ging, ihr letzter Blick sah nur noch seinen selbstzufriedenen Rücken und als die Tür hinter ihm fast geräuschlos zuklappte, fiel sie einfach um.
Leider hörte sie nicht mehr, dass es vor der Haustür krachend laut klirrte und ein entsetzter Schrei aus dem Mund eines Passanten in die Stille des Morgens fiel.
Er hätte sich wohl besser nicht so beeilen sollen von ihr wegzukommen.
Den heranrasenden Mercedes übersah er in seiner Gedankenlosigkeit.

© Angelface

Impressum

Texte: Angelface
Bildmaterialien: aus dem BX - Angebot
Lektorat: Angelface
Übersetzung: Angelface
Tag der Veröffentlichung: 26.08.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
meiner Freundin viel Kraft um mit klaren Augen in die Zukunft zu sehen

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