Einquartierung
Davor
Vier gespannte Augen heften sich wie gebannt auf die kleine graue Straße auf dem Hof innerhalb des Gatters, wann wird er kommen, wie wird er aussehen, wie groß ist er, ist er gefährlich, ist's eine Sie, ein Er?
Ein grau gestreifter Katzenkörper kauert sich zu einem Schiffchen geformt neben dem etwas schlankerem schwarzweißen auf dem Vordach der Garage zusammen, sie zittern gemeinsam im Takt.
Meine Stimme klingt beruhigend durch den Nachmittag, wartet, wartet noch ein Weilchen, er kommt schon - der neue Hund.
Es regnet, die beiden sitzen wie angenagelt und rühren sich keinen Millimeter, nein, sie wollen ja den Anfang nicht verpassen, den ersten Anblick.
Mittendrin
Seit über einem Jahr sind wir hundelos, und wir vermissen es alle, dass kein freudiges Bellen mehr in der Luft ertönt, kein Schnüffeln an Katzennasen und Katzenhintern stattfindet, dass keiner mehr in die Wohnung des ersten Stocks hinaufgeklettert kommt, schnaufend verkündet; ich bin jetzt auch da, habt ihr was auch für mich zu naschen"?
Auf dem Grab blühen Rosen, schon im zweiten Jahr.
Ein schmutziger Ball liegt auf den Grabeinfassungssteinen.
Kasimir sitzt oft mittendrin und schaut mich mit großen Augen an; " wo ist er".
Jetzt
Ein Blick, den Schwanz hochgestellt, die Frage in den Augen;" was war das?"
Das war er, und ER ist eine Sie.
A h a … bleibt die Sie jetzt da?
Eine Woche sag ich zu ihm, eine Woche haben wir nun Hundebesuch.
Kasimir ist's zufrieden, rollt sich zusammen und verkündet mir, jaaaaaaaaa.
Dazwischen
Die Nacht war etwas unruhig.
Von unten hörte ich ab und zu ein leises etwas heiseres Bellen, doch die Stimme schien mir, gehört zu einem größeren Hund.
Als der Einquartierungsbesuch gebracht wurde, war es dunkel, es regnete und keiner bekam es so richtig mit.
Als es unten bellte, dachte ich…
Nein, nicht stören, er wird aufgeregt sein und es ist schon spät, dann kann er nicht schlafen.
Ich wusste zu dem Zeitpunkt ja noch nicht, dass es eine Sie war.
Heute Morgen: die Katzen hatten eben gefrühstückt und leckten sich noch genüsslich die Schnauzen, klapperte blechern das Gartentor.
Nachdem ich die üblich abgelegte Maus auf dem Gang entsorgt hatte, guckte ich aus dem Fenster, sah einen langen wedelnden Schwanz der sich auf der Wiese gegenüber absetzte wie es Mädchen tun wenn sie pinkeln, und raste auf den Balkon als sie wieder zurückkamen.
Die vorübergehende Herbergsmutter führte den großen Hund an der Leine zurück ins Haus.
Eine "Sie?" fragte ich etwas atemlos.
Und erstarrte fast wie im Schock.
Nein, Sie kann ja nichts dafür, dass ihr Frauchen ausgerechnet jene Tierärztin vom Ende der Straße ist, die dafür verantwortlich ist, dass mein Julchen nicht mehr lebt.
Doch im ersten Moment der Erkenntnis schluckte ich schon.
Es ist Jahre her, doch ich kann es nicht vergessen, verzeihen längst, vergessen nie.
Etwas langsamer bewege ich mich die Treppe herunter um "Sie" zu begrüßen.
Schwanzwedelnd freundlich drängelt sich eine warme Hundeschnauze zwischen meine Knie.
Lu, meine Vermieterin schaut mich nur an, die ich Tränen in den Augen habe.
Auch sie weint.
Sie hat damals die Rechnung von der Tierärztin zugeschickt bekommen.
Für die Feststellung, dass meinem Julchen nicht mehr zu helfen war.
Kein Wunder, sie hatte ja keine Zeit, es war abends und sie war nicht rechtzeitig da, obwohl sie da war, nur ein Stockwerk höher und wohl keine Lust auf einen Notfallbesuch abends um 10 hr hatte.
Von der Rechnung habe ich - nur durch einen Zufall - erst Jahre später erfahren.
Die Freundschaft der Beiden - die sich kannten -erschlaffte nach dem Vorfall und man sah sich nur sporadisch beim Hundespaziergang dann und wann.
Und nun ist sie da. Die alte Hundedame.
Sie ist schon 10 sagt Lu, und ist sie nicht schön?
Mit Tränen in den Augen streichle ich das warme glänzende Hundefell.
Ein wunderschönes schwarzes Mädchen, sie kann ja nichts dafür.
Bettelt um Streicheleinheiten, ja du Süße, du schönes Mädchen, komm her.
Alles findet im Gang vor der Eingangstür meiner Vermieterin statt und oben an der Treppe, - die "Sie" heisst Bibi,- höre ich noch im Ohr - Bibi guckt hoch und wedelt, wedelt äußerst freundlich und sehr erfreut, da schauen vier Augen - ein Grünes neugieriges und ein etwas Helleres fast Gelbes im Gleichklang wie Zwillinge um die Ecke…Kopf an Kopf wie im Rennen.
Lu bricht in schallendes Gelächter aus," n e i n, so was hab ich ja noch nie gesehen"!
Im Jetzt
Es scheint gut zu gehen!
Die Einquartierung für eine Woche.
Schmerzliches erleben und Rückschau
22.05.2006
Es ist abends um 10 hr. Ich liege gemütlich auf der Couch und entspanne.
Julchen flitzt wie eine Heuschrecke durch die Katzenklappe vom Balkon herein.
Nervöses Ding.
Immer glaubt sie, es wäre einer hinter ihr her, deshalb bewegt sie sich so schnell.
Filigran und zierlich ist sie eher ein Eichkätzchen als ein Schmusekätzchen, genauso flink und geschmeidig - immer auf Touren, doch ich liebe sie sehr, diese so merkwürdig anmutende Katze.
Sie weiß das auch und wir sind wie Geschwister, sie weiß was ich denke und umgekehrt, schaue ich in ihre himmelwärts gerichteten Augen, die nach übermorgen in die Zukunft zu sehen glauben, dann wird mir mein Herz immer ein wenig schwer, denn so sehr ich an ihr hänge, glaube ich nicht, dass diesem Katzenwesen eine lange Lebenszeit gegönnt sein wird.
Keine Ahnung warum mich diese Ahnungen immer wieder beschleichen.
Sie ist aber auch immer so unvorsichtig, legt sich auf den warmen abgestellten Autos immer auf die Reifen direkt unter das Schutzblech, auch unmittelbar davor, vor die Wagen, bevor man wegfährt und meint wohl einen besonderen Schutzengel zu haben.
Alle auf dem Hof lieben sie sehr.
Mit Aikiko dem Schäferhund verbindet sie eine tiefe Freundschaft und Paulchen ist ihr ein und alles. Paulchen ist mein Königstiger - ein Schwarzweißer wunderschöner Kater, der sie hingebungsvoll liebt.
Doch ich greife vor. Denke zurück.
Im Jetzt weine ich noch heute wenn ich daran denke wie es geschah.
Damals
Julchen sprintet, wie immer ungeduldig, - "wo ist mein Fresschen", - stürzt sich über ihren Katzennapf und verschlingt ein Bröckchen von den Wurstresten die ich als Leckerli, fein geschnitten über das Futter gelegt habe.
Sie liebt das und wenn so etwas fehlt, auch der Klacks Sahne darüber, werde ich immer sehr sehr vorwurfsvoll aus grünsamtigen Katzenaugen angeguckt.
Dann ist plötzliche Stille und ein schweres Keuchen zu hören.
Ich springe auf, bin wie elektrisiert und sehe nur noch wie Julchen an mir vorbei durch die Katzenklappe in die Gaube flitzt.
Ich renne zum Bad, zum Durchgang in die Gaube und leuchte mit der Taschenlampe bis zur Katzenklappe die ungefähr 8 Meter entfernt vom Eingang ist.
Julchen liegt leblos wie ein Stein neben der auswärts führenden Klappe.
Ich schreie entsetzt auf, krieche wie eine Verrückte auf den Knien so schnell ich kann - zu ihr und robbe rückwärts mit ihr auf dem Arm zurück. Die Gaube ist abgeschrägt und man kann nicht aufrecht in ihr stehen, ich vermute die Höhe an der höchsten Stelle so ca 80 cm.
Julchen liegt wie schon halb tot in meinen Armen, sie scheint kaum mehr zu atmen.
Ich rufe, schreie, schüttle sie…
Renne mit ihr auf dem Arm zu meinem Vermieter, der reißt sie mir aus dem Arm, ruft: "Oh, Gott, ruf die Tierärztin an" - zu seiner Frau, und schüttelt sie,
stellt sie auf den Kopf…
nichts an Julchen bewegt sich.
Lu, die Frau des Vermieters - sie hat mittlerweile wohl die Tierärztin die Straße runter angerufen, schnappt mich und die Katze, schiebt uns in ihr Auto und wir fahren wie die Gesengten in die nächste Straße.
Dort halten wir mit aufgeblendeten Scheinwerfern an, hupen laut, durchdringend und drängend bis einer kommt.
Julchens Bauch bewegt sich ganz leicht unter dem Fell, ihre Lippen werden blau…
Aber sie lebt noch.
Eine lange dürre Gestalt kommt langsam und ganz gemächlich durch einen kleinen Hof auf uns zu während wir beide laut um Hilfe schreien…
Ich fahre ihn an, "Hilfe, helfen sie uns doch, meine Katze stirbt in meinen Armen, sie hat was verschluckt sie erstickt…"
Da dreht er sich um mit den Worten, "da muss ich erst mal fragen - warten Sie draußen "!
Ich dachte ich höre nicht recht.
Sekunden, Minuten vergehen, für mich sind es qualvolle Stunden, Julchen zuckt in meinen Armen, sie röchelt jetzt leise…
Die Zeit bleibt wie in einem Albtraum für mich stehen, ich nehme nichts mehr um mich herum wahr.
Da tritt nach - für mich endlos scheinender Zeit - die Tierärztin vor die Tür und ruft aus der hell erleuchteten Tür heraus," Komm Lu und wenn es denn unbedingt sein muss, bring sie mit…"
Erwähnte ich schon, dass beide Freunde sind? - nein - ich glaube nicht, ich wusste es auch vorher nicht.
Der Gefährte der Tieräztin steht wie unbeteiligt daneben.
Mit Julchen auf dem Arm tapse ich halbblind vor Schmerz hinter meiner Vermieterin hinterdrein und lege Julchen auf den Boden des provisorischen Praxiszimmers, das für Notfälle eingerichtet wurde, ab.
Die Tierärztin bückt sich, zieht mit einer Pinzette einen Wurstzipfel aus ihrem mittlerweile blau verfärbten Mäulchen und in diesem Moment tut Julchen mit einem tiefen Atemzug ihren letzten Schnaufer.
Sie ist tot - verkündet die Ärztin.
Keine Entschuldigung, kein Bedauern. Kein: Ach ich habe die Situation falsch eingeschätzt.
Hätte man sie noch retten könne wenn...
seit Jahren quält mich dieser Gedanke.
Jahre später erfuhr ich von meiner Vermieterin, dass sie ihr für diese Feststellung eine Rechnung zugesandt hat.
Damals wie heute
Loslassen, sage ich mir, einfach nur loslassen, aber es ist schwer.
Damals wie heute.
Vielleicht, wenn es sich vorher angekündigt hätte, dieses Ereignis, ich mich darauf hätte vorbereiten können, wäre es nicht gar so schwer, damals und heute.
Aber ich wurde nicht gefragt, ob ich bereit dazu bin, loszulassen in einem Atemzug – vielleicht fällt es mir deshalb so schwer, wenn der Schmerz, schon verblasst, plötzlich um die Ecke kommt und mich anblickt mit großen Augen.
Im Heute
Versuche ich nicht an diese unterlassene Hilfeleistung zu denken, wenn ich mir ihren Hund anschaue.
Ich werde gerne mit ihm spazieren gehen.
Komm Bibi, wir gehen jetzt Gassi.
Man kann vieles verzeih'n, aber nicht vergessen.
Auch das Weinen darüber, nie.
© Angelface
Texte: copyright Angelface
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Julchen und all den anderen
meine Tränen werden dich immer begleiten