Gewöhnung
Vor meinem geöffneten Dachzimmerfenster flattert die Tüllgardine im feuchten Wind. Es regnet in Strömen und alles ist pitschnass auf den Wiesen.
Zwitschernde Vögel erkenne ich darauf und suche sie in der Realität mit meinen Augen.
Doch sie haben sich vor dem Regen in Äste und Zweige verkrochen und schlafen noch unter ihren kleinen Federhauben, weil die Luft bald wieder Halsweh und entzündete Bronchien verheißt.
Die Katzentiger schlafen den Morgenschlaf, denn sie haben sich nachts genügend ausgetobt, was zur Folge hatte, dass ich mal wieder zu weniger Schlaf kam, als mir gut tat.
Schlafen ist ein Luxus den ich mir gönne, wenn ich vom Dienst nach Hause komme.
Meist bin ich so erschöpft, dass ich nach Fütterung der Tiger und der Reinigung des Katzenklos erst mal eine Runde auf dem Sofa vor
schlafe, um dann erst danach wieder all das zu tun, was ansonsten liegen bliebe.
Dadurch wird es oft spät, ehe ich in meine Koje wanke, aber ich bin ja eh eine Nachteule.
Man gewöhnt sich eben an alles, auch an veränderte Lebensformen.
Selbst an so anstrengende Zahnarztbesuche, die ich in den letzten Wochen mit schönster Selbstverständlichkeit und Regelmäßigkeit mit in meine Arbeitsdienste einbaue.
Ich gehe in meiner Mittagspause dahin.
Tja, was tut man nicht alles für seinen Chef -
manchmal, wenn er nett ist, besonders gerne....
...... Zahnärzte sind mir an und für sich ein Greuel, selbst wenn sie so gut aussehen und so charmant sind wie meiner.
Ich kenne ihn schon seit urewigen Zeiten, denn er hatte vor Jahren einmal ein Verhältnis mit meiner besten Freundin und somit ist er fast schon ein Freund.
Lieb und nett behandelt er mich.
Doch ich hasse es, wenn mir ein gut aussehender Mann in der Gosche rumfummelt, da wäre es mir schon lieber, er sähe aus wie Frankenstein.
Bei der letzten Sitzung, in der er mir erst tückisch meine Brücke raubte, sich dann seine todbringend aussehenden Vergrößerungsschalen auf die Brille klappte, um sich dann mit Schraubnadeln in meinen Wurzelkanälen zu schaffen machte, bin ich ihm fast vor Angst vom Stuhl zwischen die Knie gerutscht.
Muffesausen hatte ich nur vor den Schmerzen, die aber ein Glück nicht kamen – denn er ist äußerst behutsam und äußerst freizügig mit seinen Betäubungsspritzen.
Doch den kleinen Hammer, sollten die nix nutzen, den hat er nebenan immer auf dem Schrank liegen, ich hab`s ganz genau gesehen und beobachte ihn mit Argusaugen, ob er wohl dazu greift?....
Nicht bei mir, Herr Doktor...
Seine murmelnden Kommentare , die wie kleine Perlen aus seinem Bart herausflossen:
„ ja, sind die aber winzig, wo sind sie denn die kleinen süßen Kanäle?“ wollte ich mir gar nicht anhören, so abartig fand ich das ganze Getue. Freund hin, Freund her - mein Freund, greif endlich zu, damit ich den Kummer loswerde...!Bohr schon!
Fest kniff ich die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen und riskierte nur von Zeit zu Zeit einen Blick auf meine empor gerichteten Füße, denn der nette Doktor hatte es sich nicht nehmen lassen, mich in eine angenehm liegende Position zu befördern.
Es fehlte nur noch die bunte Wolldecke über meinen Beinen, da hätt` ich doch glatt ein Schläfchen auf seinem Stühlchen gemacht..
Als hätte er meine geheimsten Gedanken geahnt, zog er hinter seinem Rücken tatsächlich eine Flauschdecke hervor und breitete sie fast zärtlich über meine Füße.
Ich hätte es bei der langen Sitzung so bequemer, meinte er, lächelte einmal lieb und zeigte dabei auf die klingenden Lautsprecher an der Decke, ich guckte brav und hörte zu.....
Eine hohe Arie erklang und kräftige Töne durchzogen den Raum.
Zwar hätte ich gerne drauf verzichten können, aber schließlich war er ja da, um meinen Zahn zu retten.
Also ergab ich mich den spährischen Klängen und schloß ergeben die Augen.
Mein Magen knurrte, ....vor lauter Aufregung hatte ich vorher nichts essen können.
Da meinte er, und das klang irgendwie schelmisch
„ ich hab' auch Hunger, und lächelte, " wollen wir danach einen Happen in der Kneipe an der Ecke zusammen essen gehen?“ Dazu warf er einen - wie mir schien - leicht begehrlichen Blick auf meine schlanken Waden, die unter der Decke hervorlugten...
Hey, .... runzelte ich die Stirn, hatte ich vorhin nicht im Gesicht seiner Haupt Tussi von Assistentin eine kleine versteckte Träne in ihren verheulten Augen gesehen?
Sollte die Liason mit ihm etwa beendet sein und deshalb...?
Gott bewahre, ich werde fliehen, sobald meine Füße lebend diesen Stuhl verlassen!!!
Aha, dachte ich, da ist wieder einer auf Beutefang.
Danach wartete mein Nachmittagsdienst und die ungeduldigen Patienten auf mich, die wahrscheinlich längst schon heftig mit den Fingern auf meiner Anmeldung herumtrommelten.. " wann kommt die Alte denn endlich"!
." Rentner", seufzte ich, " die haben ja nie Zeit".
und empfand ......" heute ist ein besonders schlimmer Tag"!
Daraus ist ein Gedicht entstanden, das man fast vor sich hinsingen könnte...
Schlimme Tage
Es gibt Tahahage ....
da wäre ich gerne ein Wesen
das nur seinem Instinkt folgt
es hat eine Höhle
in die es sich verkriechen kann
bei Überforderung durch Jagd
Es gibt Tage
da wünscht ich mir
ein Hirn zu sein
das so leer ist
wie ein Apfelbaum nach der Ernte..lalalaa
Es gibt Tage
da möchte ich nur noch
Ich sein
und nicht eine Hülle
die jeder gebraucht
..... das hängte ich dann, es laut vorsingend an den Eingang zur geöffneten Röntgentür und erntete lachende, wenn auch ein wenig mitleidige Blicke.
" Ach, sie schreiben auch noch, oder singen sie etwa? " hieß es dann.
Ich schwieg, und dachte: " kein Verständnis für ein bißchen Humor" und machte mich wieder an die Erfüllung meines Dienstes,
....... Patienten rein, ausziehen lassen, warten - ,
..... Lunge röntgen, Bilder entwickeln,
......trocknen lassen,
........dem Chef hochtragen und das am Nachmittag bestimmt um die Dreißig mal. Meine armen Knie, sicher lauert da bald eine Arthrose.
Oft hab ich mich selbst gefragt....
Hat nicht jeder schon Tage erlebt, an denen nichts klappen will, alles durcheinander läuft, nur Chaos entsteht, dir alles aus den Händen rutscht?
Natürlich – aber dass schon des Morgens die Bediensteten der JVA mit geöffnetem Halfter über einer scharfen Waffe mit einem Gefangenen antraben und ich den kleinen Allergiepatienten erklären muss, warum der Mann mit Ketten an den Füßen durch die Praxis geschleift wird, ist denn doch etwas viel.
Heute werde ich mir meine Lunge röntgen lassen,
aus Vorsicht, denn der Verdacht auf die offenen TBC - Fälle in der Praxis erhärtet sich und obwohl diese Probanten - laut Gesundheitsamt - größere Menschenansammlungen meiden sollten, erscheinen sie mitten in der offenen Sprechstunde ohne Mundschutz.
Von Isolation in einem besonderen Raum kann bei uns leider keine Rede sein, denn dafür sind wir vom Platz her nicht ausgerichtet.
Ein Glück, kamen heute unsere geprüften Röntgenunterlagen von der Kassenärztlichen Vereinigung zurück mit der Auflage
„ wir werden erst wieder in 5 Jahren geprüft, alles in Ordnung “.
Schön, nicht ?
Zwar gab es von höchster Ebene aus dem Ersten Stock keine lobenden Kommentare darüber, auch keine Aussicht auf Gehaltserhöhung für besonders gutes Arbeiten und immer da sein, selbst mit Zahnschmerzen – aber - wie sagte ich schon Eingangs? „ Man gewöhnt sich an alles“!
By Angelface
Texte: Sämtliche Texte in meinen Büchern unterliegen meinem copyrigth
Tag der Veröffentlichung: 23.09.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für meinen Chef im Himmel, damit er sich nicht langweilt,während er mit den Engeln spielt und auf Wiesen tollt ehe er sich wieder trollt - ...... denn auch dort kann man lesen...