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Die Lädy in der Bierbudike

Makler, Lady und Diener in einem verstaubten und mit Spinnennetzen verhangenen Kneipenraum...

 

M.: Soooo, kommen S‘ nei, gehen S‘ nei, oder wie S‘ auch immer herein wollen: Treten S‘ von mir aus auch, aber bittschön, immer herein in die gute Stube. Soooo. Wollen S‘ Platz nehmen, is jo genug do. Wollen S‘ am Fenster oder nicht am Fenster, mitten darin, oder vielleicht in a Eck sitzn, jo schauen S‘ hier. Hier zieht’s a net so frisch, ne? Kennen S‘ ja leicht a Schalk im Nacken, ähhh... an steifen Nacken, wollte sagen, bekommen. Nu setzen S‘ sich doch, kommen S‘ doch herein! Oder wollen S‘ erst alles anschauen? Na, do gehn S‘ her, allazuviel is a net zu sehn. A Mobiliar aus am letzn Jahrdausnd, wennen S‘ so wollen, aber robust. (stampft mit einen Stuhl auf der mit einer gewaltigen Staubwolke zerbricht) Alls a bisserl staubig gworden, nu was schad’s, ne?

L.: (flüstert ihrem Diener etwas zu)

D.: Lady lässt fragen, ob sie sich nicht etwas kurz fassen können.

M.: Jo, bitte bitte, versteh schon, gnä‘ Frau haben Geschäfte. Und nun wollen S‘ das hier kaufen, diese staubige Kaschemme, ähhh... dieses Etablissment, wollte sagen.

L.: (räuspert sich lautstark)

M.: Schauen S‘, da bin i a wieder ins Plappern g’raten. Was wollen S‘ sehn, was wollen S‘ wissen? I weiß a über alles hier a Bescheid. Über jede Holzwürmchen, jedes Gläschen... Apropos Gläschen. Möchten S‘ vielleicht an klein Slibowitz zu sich nehmen, wenns scho so a trockne Luft is, da schad’t das rein garnichts, und ohne Öl kann die beste Zung net laufen, außer meine. Hahahahahaha... Nu, wie schaut’s aus?

D.: Lady geruhen um diese Zeit immer einen Tee zu sich zu nehmen.

M.: So? An Tee? Jo, da schau her. No, damit kann i leider net dienen, aber wenn S‘ vielleicht so an kleinen Slibowitz... A, i seh schon, das is was wie arme Leut wie mich. No, wenn reiche Leut nich amol lustig sein dürfen...

D.: Was erlauben Sie sich?

M.: Scho gut, scho gut. War ja net so gemeint. Womit kann i ihnen also gütigst an kleinen Gefallen tun?

D.: Indem Sie schweigen!

L.: (räuspert sich lautstark)

D.: Pardon, Madame, es kam so über mich...

L.: Schon gut.

M.: Jo, da schau her, was für eine feine Stimme Madame hat. Hihihi...

L.: Pst. (Durschreitet die Kneipe. Schaut sich um. Wiegt sich mit geschlossenen Augen im Walzertakt, während aus dem Hintergrund der Marsch „Herr Leutnant, was macht denn ihre Frau“ schallt. Bleibt wie angewurzelt vor einem Tisch stehen.)

M.: Jo, des is a feiner Tisch, nicht wahr? A ganz lieber, schöner. Und alles robust, alles robust. Über diesen Platz kennt ich Ihnen G’schichten erzählen, Jessas, da wär i morgen no net fertig. Da war zum Beispiel amal...

L.: (wirft sich auf den Tisch und beginnt ihn zu liebkosen. Weint. Ihr ganzes Gesicht wird dreckverschmiert.)

M.: I hob net amol angfangen zu erzählen, da weinen S‘ a scho. Sind aber lust’ge G’schichten, brauchen S‘ net weinen. Wie ich schon sagen wollt, da war also...

D.: (versucht verzweifelt die Lady vom Tisch zu lösen, berührt sie aber nur mit den Fingerspitzen. Räuspert sich mit zunehmender Lautstärke)

L.: Karl, mein liebster Karl.

M.: Jessas, da hat’s Mobiliar a scho an Namen. Jo, kennen S‘ gern mitnehmen den Tisch und as a Hauswufferl halten. Is aber sehr pflegeleicht, braucht ka essen, ka Strom, ka Auslauf, ka trinken... Apropos Trinken: Wollen S‘ vielleicht doch a klein Slibowitz?

L.: (beginnt eindeutige erotische Bewegungen am Tisch zu vollführen und sich auszuziehen)

D.: (brüllt) Lady! Besinnen Sie sich doch endlich!

L.: (kommt zur Besinnung, räuspert sich) Ja, ein sehr annehmbares Etablissement. Ich werde es kaufen.

D.: Lady, wissen Sie was Sie da grad mit dem Tisch...?

L.: (schaut ihren Diener erbost an) Sie wissen, dass ich es nicht mag unterbrochen zu werden, um aber ihrer allzugroßen Neugier Befriedigung (der Diener zuck unmerklich zusammen) zu verschaffen, einer Neugier, die sogar über Ihr Benehmen hinausgeht: Ja, ich weiß, ich habe getanzt.

D.: (zögernd) Und danach?

L.: Nun reicht es mir aber langsam mit Ihren plebejischen Angewohnheiten, Sie sind ja fast so unerzogen wie der da.

M.: Stets zu Diensten, eure Madamigkeit, wenn S‘ nu den Tisch nehmen wollen, so lassen S‘ mir a paar Schilling da und scho sind wir quit.

L.: (Holt tief Luft, als wollte sie die Rede ihre Lebens halten. Schnauft inbrünstig und verlässt wütend das Lokal)

D.: (eilt ihr hinterher)

M.: Und was ist nun mit dem Slibowitz?

Bindende Familienbande bündeln bunte Bänder

 

Personen:

Frau Schmidt

Herr Schmidt

Earl Schmidt, beider Sohn

Katharine Albrecht, seine Verlobte

 

Eine Einraumwohnung. Rechts in der Ecke das Bad. Links an der Wand steht ein Kanapee, neben dem sich Frau Schmidt, grellgestreifte Kleidung, Mitte 40, den Blick ins Publikum, den rechten Arm aufgestützt und grundlos aufgeregt atmend, niedergelassen hat. Herr Schmidt sitzt, Ende 30 im Sonntagsanzug, rechts an einem Tisch (mit vier Stühlen und vielen kleinen gehäkelten weißen Deckchen) mit Blick auf seine Frau und liest die Zeitung, steht immer wieder auf und geht im Zimmer herum und setzt sich dann immer wieder auf einen anderen Stuhl, greift lautstark nach der Zeitung und liest weiter. In der Mitte des Raumes steht eine kleine Blumenvase mit Imortellen. Im Raum verteilt unterschiedlich große Buch- und Zeitungsstapel. Im Hintergrund eine Tür, die nach draußen führt.

 

Herr Schmidt: (steht auf läuft durch den Raum und beugt sich über die Vase) Es wurde also festgestellt, dass... (mit plötzlicher Eile) Das muss ich mir notieren. Ja, ja, das ist wichtig. (Nimmt einen Kuli und macht sich auf einem der Deckchen Notizen. Blickt auf, egal wo er sitzt.) Ach Ursula, steh doch auf.

Frau Schmidt: (Die bis dahin schweigend und unbeweglich starrend dagesessen hatte.) Kinder laufen an blutiger Straße entlang, um Naschwerk vom Tod zu bekommen.

Herr Schmidt: (Nickt.) Ja, ich glaube auch, dass unser Sohn dieses Jahr deinen Geburtstag nicht vergessen wird.

Frau Schmidt: Laufe, kleiner Vogel, du hast ja Beine, die noch keiner geflügelt hat.

Herr Schmidt: Da musst du schon selber aufstehen und gehen. Das wär noch was, wenn ich dich auch noch dahin tragen müsste. Und überhaupt... (Geht auf sie zu und tätschelt ihr grob die Wange.) Du siehst schon viel besser aus, männlicher, irgendwie. Ja, die Kur ist gut, die Kur ist gut.

Gute Kuren

hinterlassen Spuren,

blasen Luren,

werden Huren.

Das ist sehr wichtig. Nun, komm, Martha, steh auf. Was soll denn dein Sohn denken, wenn er kommt? (Fasst sie mit Fingerspitzen an den Schultern, um sie anzuheben.)

Frau Schmidt: (stöhnt leise auf, summt) Berge wehen dem Wald entgegen.

Herr Schmidt: Ich dich auch, Helga Liebes. Aber du musst dich doch noch hübsch machen, für den Besuch. (Packt sie und zerrt sie von der Bühne. Kommt wieder und geht durch Zimmer. Setzt sich, liest Zeitung, steht auf.) Je nun, was wäre, wenn es anders wäre, als es ist. Ist das nicht gleich dem, was ist könnte sein? (macht sich Notizen)

Pause.

Frau Schmidt: (kommt in einem schwarzen Abendkleid auf die Bühne gekrabbelt, direkt auf die Vase und schnüffelt lautstark an den Blumen) Kleine Tiere mit großen Augen, heißer heißer Wüstensand.

Herr Schmidt: Ach, was du nur wieder hörst. Setze dich aufs Kanapee und lies ein wenig.

Frau Schmidt: (setzt sich rittlings aufs Kanapee und starrt wieder ins Publikum. Kriecht vom Kanapee, geht auf ihren Mann zu und hält ihr Ohr an seinen Hinterkopf. Summt wieder.) Legen 30 Hunde Eier unter schwarzen Baum, schon weiß gewesen das Haus im See im Mai, doch 2 Hühner schrien auch, dass Kopf, Herz, Knie hart wie sie liegen. Kein Stein mehr trinkt am Hain über Nacht, nur 2, nur 2. Ist Regen gelaufen auf der Hunde Eier, schnell, langsam, schnell. Jeden Tag oben und unten gelaufen, zwischengelaufen, weggelaufen. Komm, komm, sprach Biber zu Wolf. Kam, kam, kim, kim. Ja, war schon, war schon. Doch nun? Jeder Teich rennt gelb auf Maus, doch  die Uhr sagt anderes. Warum? Weil sie auf die große große Nachtigall gehört hat, die bellte hart an. Du auch?

Herr Schmidt: Ja auch ich, meine liebe Veronika, denke gern an die Zeit zurück. Was waren wir verliebt. (er erhebt sich vom Stuhl und umarmt sie mit großer Gebärde.)

Oh Zeit

Vergangenheit

weit und breit

kein Leid bescheid

Heiterkeit.

Frau Schmidt: Amen.

Herr Schmidt: Wie?

Frau Schmidt: Omen.

Herr Schmidt: Achso. Hab ich gar nicht gehört. (Er geht zur Tür und öffnet sie. Ein brauner Ball rollt herein. Er verfolgt ihn mit den Augen, bis er vorne von der Bühne rollt.) Ja, mh, ja. (Setzt sich an den Tisch und macht sich Notizen.)

Heiligabend - ein anderer

 

„Mahlzeit!“ tönt es spöttisch hinter der schweren eisenbeschlagenen Tür, die lautstark in Schloss fällt und zweimal abgeschlossen wird. Wieder nur Suppe. Diese ist Speis und Trank gleichzeitig, besteht sie doch zum Großteil aus Wasser. Ab und zu verirrt sich mal ein Brühwürfel darin und sogar eine Handvoll Graupen gab es schon – zur Feier des 250-jährigen Bestehens des Gefängnisses.

Er setzt sich auf das Stroh, das Stuhl und Bett ist und durch ein Rinnsal, das an der Wand herabläuft, stets etwas feucht gehalten wird. Wurde der Hunger einmal gar zu groß, war auch eine Handvoll Stroh eine willkommene Mahlzeit, nur leider bedankte sich der Magen dann mit Krämpfen. Ab und zu schwammen dann in der Zinkwanne, die als Toilette diente, kleine Strohhäcksel umher. Man hatte den Gefangenen solch große Behältnisse zugestanden, damit diese auch recht lange in den Zellen stehen und ihren Duft verbreiten können.

Er saß also auf seinem Bündel Stroh und schaute gierig auf seinen Teller. Wo sollte er auch hinsehen? Die kahlen braungrauen Wände erinnerten ihn nur daran, wo er war und aus dem Fenster zu schauen war unmöglich, denn das war zu weit oben angebracht und durch das Milchglas zu schauen, welches die Wintersonne nur spärlich durchscheinen ließ, war sowieso unmöglich.

Sein Tor in die freie Welt war die schwere doppelt abgeschlossene eisenbeschlagene Holztür, mit einem kleinen Spion, durch das die Wärter schauten, um die Gefangen in privaten Momenten zu beobachten und ihre höhnische Kommentare dazuzugeben oder einfach nur zu kontrollieren, ob dieselben noch atmeten und nicht etwa Selbstmord begangen hätten.

Er begann zu essen. Plötzlich stockte und fuhr mit seiner Zunge im Mund herum. War da etwa Zucker, Salz und Essig in dieser Mahlzeit, durch die man das großgeblümte Muster am Boden des Tellers sehen konnte? War etwa ein Feiertag?

„Welcher Tag ist heute?“, brüllte er in den kleinen Raum und verstummte, denn er war es nicht mehr gewohnt seine Stimme so laut zu vernehmen. Meistens grübelte er vor sich hin und auch mit dem Strichmännchen, das ein Gefangener vor ihm an die Wand gemalt hatte, unterhielt er sich nur in Gedanken, zum einen damit die Wärter nicht noch mehr Privates von ihm erfuhren, zum anderen weil die Wärter seine Selbstgespräche sofort unterbunden und ihn als „psychisch krank“ eingestuft hätten. Dann gab es noch nicht einmal dieses Wasser mit Würzung.

Vom Gang her tönte Gelächter. “Heiligabend“, schrie einer der Wächter. An der Stimme erkannte man, dass es noch ein junger Mensch war. Auch musste er neu sein, denn man musste hier nicht so laut schreien, damit das Gesagte durch die Tür dringt. „Frohe Weihnachten“, sagte jemand spöttisch. „Zur Feier des Tages gibt es einen Strohhalm mehr und wird schütten eure Wannen halbaus.“

Weihnachten. Schon 6 Jahre sitz er hier und das nur, weil er seiner Mutter eine besondere Freude machen wollte. Doch er erreichte das Gegenteil und sie würde an diesem Tag viel weinen.

Impressum

Bildmaterialien: George Miller 2015
Tag der Veröffentlichung: 18.11.2016

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