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Schon früh morgens hatte Paul schlechte Laune. Dieser Weihnachtstrubel, verdammt das war einfach nichts mehr für ihn. Manchmal, ja manchmal fühlte er sich sehr alt. Oft schmerzten Finger und Rücken, so wie heute Morgen beim Aufstehen, dann würde er sich am liebsten in sein Zimmer zurückziehen und die Welt mit Ausnahme von seiner Frau Doris, draußen lassen.
Doch Doris hatte zu tun, Weihnachtskarten schreiben, Einkäufe tätigen, Weihnachtspakete packen und, und, und.
„Paul, denk daran, dass du die Pakete heute zur Post bringst, sonst kommen sie nicht mehr rechtzeitig an.“
Hatte sie ihn am Frühstückstisch ermahnt. Paul murmelte dann ein interessenloses Jaja und verschwand. Jetzt saß er in der Stube und las Zeitung. Mit großen bunten Buchstaben wurden die verschiedensten Artikel angeboten.
Für Papi, zu Weihnachten einen neuen Rasierapparat, der Marke so und so im gelben Stern der dazugehörige Preis,
...für Mami die neue Handtasche wieder Preis im gelben Stern,
...für das Kind,
...für Oma, für Opa und so weiter.
Ein wenig wütend legte er die Zeitung beiseite. Angebote über Angebote, noch besser, ganz neu muss man haben, Preis im gelben Stern, war das alles?
Wo war Weihnachten geblieben? Preis im gelben Stern?
Weihnachten, dachte er, das ist Stille, sich besinnen, aufeinander zugehen, leuchtende Kinderaugen, Momente des Glücks, für einen anderen Menschen wichtig zu sein, Dankbarkeit für gemeinsam verbrachte Stunden, Liebe. Paul seufzte leise, warum ging dies alles im Konsum, im Muss des Schenkens unter? Wie viel schöner wäre da ein
„Weißt du noch...“,
Sein Blick blieb an der Fotowand hängen. Bilder von seinen Kindern, Erinnerungen einer Zeit, die schöner war, oder kam es ihm nur so vor?
Bilder von Doris, als junges Mädchen mit frechem Blick, als Braut mit erwartungsvollen Augen, als Mutter mit zärtlichem Lächeln, seine Doris. Wo war sie eigentlich? Er stand auf um sie zu suchen, da sie nicht wie vermutet in der Küche war, stieg er langsam die Treppe hinauf zum Schlafzimmer und hörte sie leise summen „Stille Nacht“.
Sie war dabei ein Paket für ihren ältesten Sohn Paul, benannt nach seinem Vater, zu packen. Paul jun. war aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt gezogen, sie vermissten ihn, alle beide, obwohl ihre anderen Kinder hier lebten, das jüngste sogar noch im Haus, fehlte er sehr.
„Für Paul?“,fragte er und trat ein. Sie sah sich um, nickte nur und lächelte leicht. Gelangweilt warf er einen Blick in den offenen Karton
„Meinst du wirklich, dass der Junge noch Apfelsinen braucht?“
Die Frage klang ein wenig gereizt, er nahm eine der Früchte aus dem Paket und drehte sie in seiner Hand. Doris sah ihn lange schweigend an
„Hhm?“, er hob die Brauen.
„ Nun“, begann sie „das ist so etwas wie eine nie ausgesprochene Absprache zwischen Paul und mir.“
Interessiert hob er den Kopf „Aha!“
„Der kleine Paul war gerade vier Jahre alt, damals“,
begann sie erneut. Paul runzelte die Stirn, setzte sich aufs Bett und betrachtet die Apfelsine in seiner Hand, sie sahen einander an.
„Du hattest deine Arbeit verloren, weißt du noch? Wir hatten kaum Geld, aber du wolltest unbedingt einen Tannenbaum für den Jungen besorgen. Spät abends bist du auf den Markt gegangen.“
„Zum Schluss sind sie billiger“, warf er kopfnickend ein.
„Paul saß in der Küche am Fenster und wartete auf den Weihnachtsmann, von dem sein Freund erzählt hatte, und den wir uns nicht leisten konnten.“
In Erinnerung versunken lachte er leise und seine Augen blitzen.
„Jemand hatte mir eine Apfelsine geschenkt und ich habe ihm gesagt, die ist vom Weihnachtsmann persönlich, nur für ihn“, erinnerte er sich
„Ja“, lächelte sie „das hast du gesagt, aber Paul hat gemeint, die ist für uns alle, denn wir gehören doch zusammen.“Ganz sanft als wollte sie nichts zerstören kamen diese Worte über ihre Lippen.
„Mit seinen kleinen Händchen hat er die Apfelsine gepult und aufgeteilt und dabei gestrahlt als hätte er den größten Schatz in seiner Hand...“
Vom Erinnerungsschmerz überwältigt brach er ab.
„Den größten Schatz“, wiederholte sie und berührte dabei ganz sacht seine Hand, Tränen glänzten auch in ihren Augen. Fast zärtlich legte er die Apfelsine zurück, nahm Doris in den Arm und summte leicht Stille Nacht, heilige Nacht...“


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Tag der Veröffentlichung: 02.12.2008

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