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Diese Antwort auf eine Frage, die sie eigentlich nie stellen wollte, und von der sie, bis zu jenem Tag, sicher war, das sie nie für sie bestimmt sei. Diese Antwort also hatte ihrem Leben sämtlicher Zukunftsträume beraubt.
Leben, jeder weiß wie endlich es ist, und doch ist die Hoffnung auf Unendlichkeit, nein nicht Unendlichkeit sondern einfach nur auf länger, immer der Sieger über trübe Gedanken geblieben. Selbst als der Arzt von einem Tumor sprach, fühlte sie sich nicht wirklich betroffen, ihr war als sei sie nur Zuschauer, einer dieser Soaps, die sie zugegebener Maßen gerne sah. Doch dann war dies alles auf einmal so nah, ja in ihr und es gab keine Möglichkeit es fortzuschieben. Alle Gedanken führten immer wieder hierhin zurück.
Es gab kein Datum für die Endlichkeit, welch merkwürdiges Wort. Aber vielleicht kann das Wort gar nichts dafür, dass es ihr so seltsam vorkam, mag sein, es lag daran, dass man es zu selten nutzt.
Nein, es gab kein Datum nur eine Ahnung, doch die war bald.

Gerd reagiert nicht wie erwartet oder erhofft.
Jetzt kam es ihr komisch vor, dass sie sich in der Vergangenheit so oft eine derartige Szene vorgestellt hatte. Hatte sie damit ihr Schicksal herausgefordert? Konnte es so etwas geben. War das Universum beeinflussbar?
In ihrer Vorstellung war er zu ihr geeilt, hielt sie fest, als wolle der dem Leben, nein nicht dem Leben, dem Tod sagen; sie bekommst du nicht, sie gehört zu mir. Und fortan blieb er bei ihr, bis sie in seinen Armen in ihrem Ehebett sanft dem Leben entglitt.
Doch Gerd starrte sie an, als hätte sie ihm gerade gesagt, ich hab unser Sparbuch geplündert, oder so etwas wie; ich glaub Amerika greift Europa an. Seine Stimme klang stählern und drückte sie ebenso wie das gerade Gehörte weit von sich, als er sagte: du solltest einen anderen Arzt aufsuchen.
Da war kein Boden mehr unter ihren Füßen nur ein imaginärer Schlund, der sie hinab zog, sie fühlte, wie jeder von ihr getaner Atemzug , um sie herum eine unsichtbar Eiskristallmauer entstehen ließ, die sie isolierte, die hart und schmerzhafte sagte: dies ist dein Ding.

In dieser Nacht schliefen sie weit entfernt von einander. Sie in ihrem Ehebett, er im Wohnzimmer auf der Couch. In beiden war Wut, Wut der Enttäuschung, Wut, die sie sprach- und machtlos erscheinen ließ, Wut über Ungerechtigkeit...
Sie mieden sich in den nächsten Tagen, kein zärtlicher Blick, der dem anderen zeigte ich bin da, kein Wort das Hoffnung zaubern konnte, oder die Angst in ihre Schranken wies, nur Nachts berührten ihre Atemzüge sich, wenn sie stumm nebeneinander lagen, jeder Gefangener seiner Gedanken.
Jahre später erzählte Gerd seinem Vater, wie sehr er sein Verhalten bereute, doch damals fand er in der körperlichen Abgrenzung von ihr den trügerischen Trost, dass es sich nur um einen Irrtum handeln können; ich liege neben ihr, berühre sie nicht, weil sie morgen und immer auch noch da sein wird. Ein verrückter Gedanke, und doch half ihm gerade dieser die ersten Tage zu überstehen. Wie sehr seine Nähe sie hätte auffangen, ihr ein Licht für die kommende Dunkelheit sein können, kam ihm nicht in den Sinn. Er machte sich wie jeden Morgen, wortkarg auf den Weg zur Arbeit, die er mit einer Verbissenheit erledigte, dass es seinen Kollegen unheimlich war, wieder zu Haus fegte er wie immer die Auffahrt, äußerte Wünsche, was er zu Abend essen möchte, sah Nachrichten... Routine, die ihm half.
Die ihm Sicherheit vorgaukelte, so konnte er weiter atmen.
Doch auch Magdalena sah und fühlte nur sich, kein Gedanke wie er damit fertig werden sollte, dass sie stirbt.
Nur, war es nicht ihr gutes Recht gerade in dieser Situation nur an sich zu denken? Wenn nicht in dieser, in welcher hat ein Mensch dann das Recht sich in den Vordergrund zu schieben?
Ich hasse dich!
Dachte sie einmal, als er abends, wie es ihr schien gedankenlos, auf der Couch saß und Zeitung las. Von dem Kampf, der in ihm tobte, den er zu gewinnen dachte, wie auch immer, ahnte sie nichts.
Wow, die Bayern hatten endlich mal verloren, welch wichtige Sensation, toll, dass dies noch zu meinen Lebezeiten geschehen ist. Was hätte ich doch versäumt.
Ich hasse dich!
Obgleich das nicht stimmte , nein sie hasste ihn nicht. Ganz tief in ihrem Herzen sehnte sie sich nach ihm. Nach seinen Blicken, die sie sanft umfingen, wie hauchzart gewebte Seidentücher, die sich kühlend auf ihre erhitzte Haut legten.
Sie sehnte sich nach dem Klang seiner Stimme, der einst einen Schwarm Schmetterlinge in ihren Bauch zauberte, und nun Hängematte für verzweifelte Gedanken sein sollte. Sie sehnte sich nach seiner Zuversicht, die er immer ausstrahlte, die ihr zeigte, dass die Mauern, die ihr unüberwindlich schienen, gar nicht so groß waren... Groß war sie nicht diese Mauer, die sie baute, nur eiskalt.
Aber genau wie er bereute sie ihr Verhalten. In einer der vielen Nächten, in denen sie grübelnd und die Welt verfluchend wach lag, reiste sie gedanklich um Jahre zurück. Magdalena war 17 Jahre alt, als ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, sie hatte keine Geschwister und war allein. Ebenso wie Gerd jetzt, schob sie damals alles von sich, benahm sich als seien die Eltern nur auf einer Urlaubsreise. Ihr Aufwachen kam irgendwann, schmerzhaft und endgültig. Sie wusste noch, wie sehr sie sich gewünscht hatte , die Möglichkeit zu haben sich von ihren Eltern zu verabschieden. Sie wollte nicht, dass auch er dies irgendwann fühlte. Ihr Leben war damals so voller Grau, er hatte ihr wieder Farbe geschenkt, die sie ihm nicht nehmen wollte. Es war ja kein Unfall, der nun Gerd und sie trennen würde. Plötzlich war auch er wichtig, was dazu führte, dass sie eines nachts nach seiner Hand griff. Hatte sie sich doch selbst um wertvolle Gegenwart betrogen.
Dieses zärtliche Berühren, dieses wortlose: gibt mir Halt, ließ sich Gerd den Tatsachen stellen, akzeptieren dagegen tat er sie nicht.
Er suchte im Internet, nach Informationen, las alles was ihm unter die Augen kam, sprach mit ihrem Arzt und vielen seiner Kollegen. Obgleich die Hoffnung, die so mancher Artikel in ihm geschürt hatte, nach jedem Gespräch zerfiel, dauerte es bis er den Worten, die ihr Arzt zu ihm gesagt hatte Raum schenkte.
<<Wir können vieles, aber oft sind wir machtlos. In diesem Fall ist die Vorratskammer an Wundern leer <<
Jäh erkannte er, dass ihm einzig und allein ein Begleiten blieb.
Die Medizin hatte keine Wunder, erst dadurch wurde ihm klar, welch Wunder ihm das Leben geschenkt hatte. Hatte er es je gewürdigt? Wie oft hatte er Momente mit ihr, für andere Wichtigkeiten, verschenkt, ihre Anwesenheit als selbstverständlich genommen. Wünsche, kleine Erfüllungen von Träumen auf später verschoben. Später, das nun so nah, und fast schon vorbei war.
Magdalena liebte den Strand, besonders am Abend, wenn die sonnenhungrigen Standbesucher sich auf den Weg nach Hause machten, die weich auslaufenden Wellen ihre Spuren mit sich nahmen, die letzten Sonnenstrahlen wie ein zärtliches Mama-Streicheln über den Sand glitten. Viel zu oft, hatte er es abgelehnt abends mit ihr dorthin zu fahren. Doch jetzt? Wann immer es möglich war fuhr er mit ihr hinaus, lauschte dem Wind, versuchte ihr ihre Empfindungen zu entlocken. Machte Anstalten den Sonnenuntergang in romantische Worte zu fassen, was meist misslang. Überraschte sie mit Himbeereis zum Frühstück, so wie in einem Lied, das sie oft sang. Er versuchte ihr all die Abenteuer zu ermöglichen, von denen sie mal erzählte und an die er sich erinnerte.
Magdalena wusste, man konnte das Versäumte eines Gestern nicht ins Hier versetzten, aber sie machte mit, lebte Abenteuer schaffte Erinnerungen ...für ihn.
Dann allerdings verblüffte er sie.
Mit einem Funkeln in den Augen, das sie so herrlich schwindlig werden ließ, entführte er sie in eine andere Welt.
Beim Stöbern in ihren alten Briefen, die sie ihm damals, als er seinen Wehrdienst ableistete und in einem anderen Bundesland stationiert war, geschrieben hatte, war er auf etwas gestoßen.
Es war die Zeit in der Magdalene Shakespeare entdeckt und seine Werke wahrlich verschlungen hatte. Bis heute war es Gerd verborgen geblieben, wie man sich so in Worte hinein lesen konnte, dass Figuren Gestalt annahmen; er hatte darüber gelächelt, während sie von Macbeth schwärmte. Das Stück wurde damals im großen Theater ihrer Stadt gespielt, in vielen kleinen Andeutungen, die er sowohl verstanden als auch übergangen hatte, bat sie um einen gemeinsamen Besuch.
Lieber Gott, was war ich für ein Arsch, wieso liebt mich diese Frau eigentlich? Waren seine Gedanken, als er durch ihre Zeilen spazierte. In ihm wuchs der Wunsch ihr diesen Besuch zu schenken. Allerdings wurde zurzeit in keinem der ihm bekannten Theater Macbeth oder irgendein anders Stück von Shakespeare gespielt. Ihm schauderte bei dem Gedanken, dass Magdalena bis zur nächsten Saison keine Zeit bleiben würde, und dennoch war dieser Gedanke allgegenwärtig. Verzweifelt suchte er nach einer anderen Lösung, koste es war es wolle.
In der Zeitung stieß er die Annonce einer Laienspielgruppe, die noch Mitglieder suchte. Heimlich notierte er die Telefon-Nr. rief dort an, und bat um ein Gespräch. Es war nicht leicht, dem Leiter dieser Gruppe sein Anliegen zu erklären, besonders da Gerd kein Jongleur der Worte war, meist fiel er mit der sogenannten Tür ins Haus, ließ seinem Gegenüber keine Zeit sich auf ihn einzustellen. Immerhin er hatte Glück, seine Bitte stieß auf verständnisvollen Boden. Die Truppe hatte Macbeth schon gespielt, es bestand also die Möglichkeit kurzfristig eine Aufführung zu arrangieren.
An diesem Abend also stieg er mit ihr an der Hand die Treppe zum Übungskeller der Laienspielgruppe hinab und platzte beinah vor Aufregung. Die Truppe hatte sich selbst übertroffen, den so spartanischen Übungsraum hatten sie mit schwarzen Stoffen abgedeckt, an den Wänden leuchteten Kerzen, deren Schein dem roten Wein in ihren Gläsern ein magisches Funkeln verlieh.
Es war nicht das große Theater; es war viel mehr, hier waren sie nicht Zuschauer, hier waren sie mitten drin, so wie der Leiter es versprochen hatte. Jedes Strahlen ihrer Augen, jeder seufzende Atemzug von ihr ward ihm Geschenk. Sie hielten einander an den Händen, Worte waren keine nötig. Ein Abend der so wundervoll war, sie war so schön, es hätte ewig dauern können...

Doch der Tag kam.
Eines Morgens sackte sie beim Frühstück einfach zusammen. Gerd wählte mit zittrigen Händen die Nr. des Notruf und die seines Vaters. Nein, war das Wort, das in seinem Herzen tobte, während er auf seine am Boden liegende Frau blickte, er war nicht in der Lage sie zu berühren.
Beinah dankbar ließ er sich von den Sanitätern zur Seite schieben, denen es gelang sie noch einmal zurück zu holen.
Mit Blaulicht und Sirenengeheul machten sie sich auf den Weg in die Klinik. Gerd fühlte sich wie in einem dieser kitschigen Filme, als er aus dem Rettungswagen stieg und seinen Vater auf sich zukommen sah. Magdalena wurde in einen Untersuchungsraum gebracht und er zum Warten verurteilt. Es war keineswegs leise und doch glaubte er lediglich das schwere Atmen seines Vaters zu hören. Weglaufen wäre eine Alternative gewesen, jedoch keine Option. Irgendwann, nach ihm schier endlos lang erscheinender Zeit, kam ein Arzt aus dem Untersuchungsraum. Mit leiser sehr sachlich klingender Stimme teilte er ihm mit, dass Magdalena, obgleich ihr Zustand als stabil zu bezeichnen sei, aufgenommen werden müsse, man kümmere sich um sie, er solle noch einige Formalitäten erledigen, ehe er zu ihr könnte.

Intensivstation
Allein das Wort verbreitet den Schrecken von Tod, der hier neben jedem Bett Platz genommen hatte. Doch der Anblick war weitaus grausamer. Sein Weg zu ihr führte ihn vorbei an Wesen, die kaum noch als Menschen erkennbar, angeschlossen an Geräten, ihrer Identität beraubt waren.
Erleichterung schlich sich in ihn, als er an ihr Bett trat und sah, dass sie nicht beatmet wurde, lediglich über einen Schlauch Sauerstoff erhielt, der Herzmonitor in gleichmäßigem Rhythmus Töne von sich gab. Und doch fühlte es sich nicht gut an, ihm war als wäre ein Teil von Magdalena nicht mehr da.
Sie hielt die Augen geschlossen, nur das Zucken der Lider, legte Zeugnis über ihren innerlichen Kampf ab, auch sie war noch nicht bereit.
Stumm standen Gerd und sein Vater neben ihr, als ein Arzt kam und mit ihnen sprach, öffnete sie die Lider.
Ich will nicht hier bleiben, unter all diesen Leichen, bitte lass mich nicht hier, bettelten ihre Augen, und er verstand jedes Wort. Jeder Buchstabe drang einem glühenden Schwert gleich in sein Herz. Jedoch die Angst lähmte ihn, er konnte sich den Anordnungen des Arztes nicht widersetzen.
„Sie helfen, sie wissen was sie tun.“
War alles was er ihr entgegen hauchte, als seine Lippen ihr Gesicht streiften. Stumm schloss sie die Augen, der Schmerz der Enttäuschung raubte ihr jegliche Kraft. Sich zu fügen hatte sie gelernt, als Kind, nun musste sie sich ergeben. Gerd ging.
Sie krampfte, Arzt und herbeieilende Schwestern baten nun auch ihren Schwiegervater hinaus, der jedoch erst ging als die Krankenschwester ihn am Arm fortführte. Die Tür schloss sich, die Geräusche dahinter, die er dennoch vernahm, verursachten eine Gänsehaut, führten ihn zurück an einen längst verdrängten Moment, als der Tod ihm seine Grete entriss, er nur Zuschauer blieb.
Ein paar Meter entfernt saß sein Sohn auf einem der bereit gestellten Krankenhausstühle, deren Farbe genauso grau und leblos waren wie die Gesichter der Menschen, die hier Platz nahmen. Er biss sich auf die weiß hervortretenden Knöchel seiner gefalteten Hände.
„Was ist mir dir?“
Es war der Ton, der Gerd aufblicken ließ. Denn die Worte waren nicht sanft, wie man es hätte erwarten können, ja Gerd glaubte eindeutig einen Vorwurf aus ihnen zu hören, was der Blick in die Augen seines Vater verriet.
„Was soll mit mir sein?“
Seine eingenommene Abwehrhaltung spiegelte sich in seinem Ton wieder.
„Meine Frau stirbt, was erwartest du?“
„Was ich immer von dir erwartet ha...“
„Und das wäre?“, fiel Gerd ihm angriffslustig ins Wort.
„Das du dein Versprechen hältst!“
„Versprechen?“
Gerd war irritiert.
„Hast du nicht versprochen sie zu respektieren, ihre Wünsche, sie zu ehren...oder so ähnlich?“
Die Lippen des alten Mannes bebten, es schien als sei er über etwas sehr erbost.
„Papa, was willst du?“
„Du weißt, sie will nicht hier sterben.“
Wie knallende Lassos, hallten die Worte in ihm wider. In Sekundenschnelle lenkte die Erinnerung ihn zurück an jenen Tag, an dem Magdalena diesen Wunsch geäußert hatte. Es war der Tag, an dem die Nachricht vom Tod ihrer Cousine, die nach einem Unfall in einem Pflegeheim lebte, kam.
„Ich möchte Zuhause in meinem Bett sterben, will mich in meinen letzten Momenten nicht als Gast fühlen.“
Ihre Stimme war so weich, ebenso ihr Blick, der durch den Raum glitt. Diese Zartheit war es, sie konnte soviel Wärme, soviel Gefühl, für das es nie die richtigen Worte zu geben schien, in ihren Blick legen. Magdalena besaß die Gabe mit ihren Augen zu reden, man erfuhr viel mehr über ihr Herz, wenn sie einen ansah, als durch die Worte, die über ihre Lippen glitten, egal ob sie ihnen einen sanften Touch gab oder versuchte in sie Härte zu legen. Er musste damals einfach nicken, ohne nachzudenken. Sie war gesund und strotzte nur so vor Lebenskraft.
Konnte er denn wissen, dass dieses Nicken, je auf seinem Herzen liegen würde wie ein Stein?
Niemand, der so jung ist wie sie es waren, würde sich seiner Verantwortung bewusst sein, so glaubte er auch heute noch.
„Junge...“, versuchte sein Vater es erneut, doch diesmal war es nur ein Krächzen, die Stimme hatte den Kampf zwischen Wut und Trauer verloren.
„Kannst du mir sagen wie, Papa?“
Das angriffslustige Funkeln war aus seinen Augen gewichen, Tränen schimmerten in ihnen.
„Seit ich es weiß, lebe ich mit der Angst aufzuwachen und sie tot zu sehen, zu sehen dass sie nicht mehr da ist.“
Er presste diese Worte heraus, starrte in die entstandene Stille.
Mitfühlend legte der Vater dem Sohn die Hand auf die Schulter.
„Ich weiß ich bin ein Schwein, oder nenn mich einen Feigling, aber wie soll ich je wieder in dem Bett schlafen, in dem sie stirbt...?“
Tränen und auch Scham erstickten jeglichen Ton in seiner Stimme.
„Die Liebe schenkt nicht nur Kraft sondern auch Wunder, glaub mir.“
Nach einer Weile stand er auf und betrat erneut das Krankenzimmer von Magdalena, aus dem die Ärzte gekommen und sie schläft, verkündet hatten, setzte sich so leise es ging zu ihr und wartete.

Langsam wurde sie wach. Der typische Krankenhausgeruch kroch in sie und verbreitete eine fröstelnde Leere. Neben ihrem Bett sah sie ihren Schwiegervater sitzen. Seine Hände zitterten leicht, als er die ihren ergriff.
„Na du, wie geht’s?“
Er bemühte sich sehr seiner Stimme einen leichten Klang zu verleihen, doch die Schwere seiner Worte fiel auf ihre Bettdecke, blieb wie nasse Kleidung liegen. Sie wollte sagen, es tut gar nicht weh, genau so wie Ali McGray in Love Story, aber es ging nicht. Der alte Mann schloss für einen Augenblick die Augen und sie wusste, dass sie ihm nichts vorspielen konnte.
„Ich hatte nicht gedacht, dass er auch das kann...“
Sie hauchte die Worte nur.
„Wer?“ erstaunt blickte er in ihre Augen.
„Der Tod...“
Er konnte ihren Gedanken nicht folgen, zog die Augenbrauen zusammen.
„Ich dachte nicht...dass er seine Liebe tötet.“
„Scht...“, sanft berührten die zittrigen alten Fingerkuppen ihre spröden Lippen, „das kann er auch nicht, glaub nicht Gerd liebt dich nicht mehr...“
Ihr Schwiegervater hatte sich mit dem Oberkörper aufs Bett gebeugt, war ihr ganz nah. Sie sah die vielen kleinen Falten, die ihr immer Geschichten erzählten, die Augen, die im Laufe der Zeit ihren Glanz doch nie ihre Ehrlichkeit verloren hatten, und sie fühlte eine Sicherheit, wie damals als kleines Mädchen, als die Mama ihre Hand nahm und sie zur Schule begleitete. Sie fühlte Vertrauen, es würde alles wieder gut.
„Er hat nie geglaubt, dass ihn diese Angst dich zu verlieren, die ihn immer verfolgte, einholen wird. Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass er dich halten und doch nicht festhalten kann.“
Magdalena lächelte und der alte Mann wusste, dass er ihr die ganze Wahrheit sagen musste.
„Er hat Angst davor, dass du von ihm gehst, während er neben dir liegt und schläft.“
Oh Gott, was willst du noch, dachte sie als sich die Tür öffnete und Gerd den Raum betrat. Er war so blass und kam ihr so zerbrechlich vor, doch seine Hände waren warm, als sie ihr Gesicht berührten, seine Stimme klar und fest, als er sagte:
„Ich hab gerade mit den Ärzten geredet, diese Infusion noch“, seine Augen wanderten kurz zu dem Infusionsbeutel, der über ihrem Kopf hing, „und ich kann dich mit nach Hause nehmen.“ Magdalenas Herz versuchte einen Freudenhüpfer und pumpte Tränen in ihre Augen, dennoch entging ihr der überraschte aber auch erfreute Blick ihres Schwiegervaters nicht, als Vater und Sohn sich ansahen.

Gerd hielt Wort, er nahm sie mit nach Haus, und das Schicksal schenkte ihnen noch vier Tage, voller Liebe und Nähe. Gerd blieb bei ihr, sie sprachen nicht von Morgen, nicht von dem was sie sich einst wünschten, aber auch nicht von einem Gestern, das vorbei und einzig zu Gerds Erinnerung werden würde. Sie bestaunten das Jetzt, das den meisten Leuten entgeht, sie entzückten sich an dem Schmetterling, der federleicht durch ihren Garten flatterte, an dem Gezeter der Vögel, denen sie auf ihren wenigen Schritten, die sie gemeinsam durch den Garten gingen, zu nahe kamen. Sie erfreuten sich daran, dass selbst der Sommer in seinen Erinnerungen kramte und sich bewusst wurde, das die Wolken warten, und die Sonne scheinen sollte. Die Trauer, die sie so lange beherrscht und gelähmt hatten, wurde von ihnen verband, ihre Zeit würde kommen.
Magdalena war müde, doch sie wollte sich nicht fallen lassen, wehrte sich gegen den Schlaf, wie kleine Kinder es tun. Gerd sah ihren Kampf.
„Komm lass uns schlafen gehen.“
Sanft und zärtlich streichelte seine Stimme sich in ihre Gedanken.
Er konnte nicht sagen warum, aber er hatte sich angewöhnt in einem Flüsterton mit ihr zu sprechen, hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Durch die zugezogenen beigen Vorhänge fiel das sanfte Licht der Straßenlaterne und schenkte dem Raum eine heimelnde Atmosphäre. Sein Atem streichelte über ihre nackte Haut, als er sie in seine Arme schloss, er wirkte ruhig, und doch fühlte sie seinen ängstlichen Herzschlag, fühlte seinen Gedanken, ob sie einander wiedersahen wenn der Morgen kam.
Ich liebe dich, waren die Worte die sie gemeinsam in den Schlaf begleiteten.

Der Morgen kam mit Schmerzen. Es schien Magdalena als wollte der Tod alles Leben aus ihrem Körper herauspressen, sie schluckte. Bitte, wenn es dich gibt Todesengel, dann hilf mir. Ich werde ja gehen.! Lass mich nur aufstehen. Sie presste die Zähne aufeinander als könnte sie ihren Gedanken dadurch mehr Kraft verleihen. Und dann hörte sie ihn... den Regen. Nichts ist so wundervoll, so erneuernd wie ein Sommerregen. Eine leichte Helle huschte über ihr Gesicht, ließ sie die Schmerzen für den Moment vergessen. Allein der Wille ihren Körper bewegte, schlurfend setzte sie einen Fuß vor den anderen, die Schlafzimmertür stand offen, so verursachte sie kein knarrendes Geräusch als sie hindurch ging. An den Wänden Halt suchend schlich Magdalena durch den Flur, zur Terrassentür, mit allerletzter Kraft gelang es ihr diese zu öffnen. Gerd hatte ihre Lieblingsliege ganz nah an die Hauswand gestellt, damit der Weg für sie nie zu weit war, und sie zumindest vom Rücken her windgeschützt sei. Mit einem dankbaren , liebevollen Lächeln sank sie nieder. Die vom Regen feuchten Auflagen, verursachten eine angenehme Kühle auf ihrer Haut. Noch einmal tief durchatmend fühlte sie ihr Ende, hier konnte sie sterben, Zuhause, umgeben vom weichen Duft der Blumen aus Nachbarsgarten, zarten Geräuschen, die der Regen auf den Fliesen hinterließ, dem vertrauten Blick in den Himmel. Zuhause ja, aber nicht in ihrem Ehebett.
Dieser Anblick, vor dem Gerd sich so fürchtete, ersparte sie ihm. Er hatte sein Versprechen gehalten und dies war ihr letztes Geschenk.

© Angela Redeker

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.11.2008

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