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Leseprobe Kapitel 1 - 4

Kapitel 1

 

Der Duft nach Meer und Ozean war kaum noch wahrzunehmen. Ein Jahr war mittlerweile vergangen. Jede Nacht ließ Van den Club überwachen und schaute in Laylas Wohnung vorbei, in der Hoffnung, endlich ein Lebenszeichen von ihr zu finden. Doch immer wieder stand er in den verlassenen Räumen. Alle seine Versuche sie zu finden waren erfolglos geblieben. Dabei hatte er die anderen Clubs in Berlin und weiteren Umgebung ebenfalls überprüfen lassen. Van hatte seine Kontakte in andere Städte aktiviert und alte Gefallen eingefordert, erfolglos. Er fand sie einfach nicht.

Van hatte einen fürchterlichen Fehler begangen und nun hatte er das verloren, was ihm im Leben am wichtigsten war. Leider hatte er das erst erkannt, als es zu spät war.

Dieses Entsetzen und den Schmerz in Laylas Augen, als sie ihm mit der anderen Frau erwischt hatte, würde er nie vergessen. Dabei hatte er es nur getan, um ihr nicht wehzutun. Aber genau das war passiert. Eine Überlegung sie mit dieser dummen Aktion Layla aus seinem Kopf zu verbannen und sie somit dazu zu bringen ihm nicht zu nahe zu kommen, war vollkommen nach hinten los gegangen.

Sie hatte sich im anvertraut, ihm von ihrer schweren Kindheit erzählt. Und obwohl Van hätte klar sein müssen, was er ihr in dieser Nacht antat, hatte er es getan. In dem Glauben, das richtige zu tun und Layla damit vor schlimmeren zu bewahren.

Allein der Gedanke sie nie wieder zu sehen, sorgte dafür, dass sei Herz immer wieder einen Schlag aussetzte. Die Ungewissheit was aus ihr geworden war, brachte Van jeden Tag etwas mehr um.

Jetzt stand Van wieder in ihrem Schlafzimmer, wie jede Nacht seit Layla verschwunden war. Es war kaum noch etwas von ihrem Geruch übrig. Er wurde immer mehr von seinem eigenen überdeckt. Immer wieder schaute Van sich die wenigen Fotos von ihr an, die in der Wohnung verteilt waren. Doch sie zeigten ihm nun einen Bruchteil von den vielen verschiedenen Facetten ihrer Persönlichkeit. Weder konnte er ihr Lachen hören noch die verschiedenen Emotionen in ihrem Gesicht erkennen. Die Momentaufnahmen zeigten nicht ihre geschmeidigen Bewegungen und ihre Entschlossenheit im Kampf.

Er vermisste Layla, mehr als jeder andere im Anwesen. Van wusste, dass er erst mit der Suche nach ihr aufhören würde, wenn er wusste, dass es ihr gut ging und sie ohne ihn glücklicher war.

Nicht nur ihn hatte ihr plötzliches Verschwinden in große Sorge versetzt. Auch die anderen Krieger und besonders Judith hatte es hart getroffen. Van hatte ihnen zunächst nicht den Grund für Laylas plötzliches Verschwinden nennen wollen, weil er sich für sich selbst schämte. Doch früher oder später hatte er ihnen allen eine Erklärung geben müssen.

Nachdem sie nach zwei Wochen immer noch kein Lebenszeichen von Layla erhalten hatte und ihre bisherige Suche ergebnislos geblieben war, waren die Nerven aller bis aufs äußerste angespannt gewesen. Rick hatte das Wort ergriffen und seinem Frust Luft gemacht.

„Sie war auf den Weg zu dir gewesen, um dich zu holen, weil du über dein Handy nicht zu erreichen gewesen bist. Du musst doch verdammt noch mal wissen, was mit ihr passiert ist. Und du brauchst gar nicht erst alles abzustreiten. Ich kann genau sehen, dass du etwas vor uns verheimlichst und ich verlangen eine Antwort von dir und zwar auf der Stelle.“

Ricks Stimme war mit jedem Wort aggressiver geworden. Er war direkt auf Van zu gekommen und nur knapp vor ihm stehen geblieben. Ihre Nasenspitzen hatten sich beinahe berührt und Ricks Blick hatte ihn durchbohrt.

„Jetzt spuck′s schon aus, Van. Was hast du getan, dass Layla es für das Beste hielt zu verschwinden?“ Immer noch hatte Van eisern geschwiegen. Er hatte die anderen aus dieser Sache heraushalten wollen, obwohl das so gut wie unmöglich gewesen war, denn Layla war allen ans Herz gewachsen.

Ohne Vorwarnung hatte Rick Van plötzlich einen Kinnhaken verpasst. „Jetzt red endlich du elender Dreckkerl! Oder ich schlage so lange auf dich ein, bis du mich anbettelst zu Wort zu kommen!“

Als Van immer weiterhin eisern geschwiegen hatte, hatte Rick seine Drohung wahr gemacht. Die anderen Krieger hatten versucht, den blonden Vampir von Van wegzuzerren, doch sie hatten keine Chance gehabt. Eher hätten sie sich selbst einen Schlag eingefangen.

Van hatte sich nicht einmal gewehrt. Stattdessen hatte er die Salven von Schlägen auf sich niederprasseln lassen ohne sie im Mindesten abzuwehren. Innerlich war Van klar gewesen, dass er es nicht anders verdient hatte. Erst als er am Boden gelegen und blutüberströmt nach Luft gerungen hat, hatte Rick von Van abgelassen. Der Krieger war in sich zusammengesackt. Die Last, die Van mit sich trug, war einfach zu schwer und er war unter ihr zusammengebrochen.

„Sie … hat mich …mit einer anderen … erwischt“, hatte Van schwer atmend hervorgebracht.

„Was?!“

„Oh Van. Wie konntest du ihr das nur antun? Sie hat dir vertraut“, hatte Judith entsetzt ausgestoßen und sich die Hände vor Schreck vor den Mund gehalten.

„Es musste sein.“

„Es musste sein? Soll das deine Entschuldigung sein? Ich glaub ja wohl ich spinne! Es musste sein. Ich habe mich von ihr ferngehalten, weil sie sich für dich entschieden hatte. Willst du mich etwa auf den Arm nehmen?“, hatte Rick Van angebrüllt.

Rick hatte sich kaum noch beherrschen können und war wutentbrannt im Zimmer auf und ab marschiert, bis er wieder vor Van stehen geblieben war und ihn auf die Beine gezogen hatte. Van war wankend auf die Beine gekommen und hatte sich an die Wand gelehnt, damit er nicht das Gleichgewicht verlor.

„Nenn mir einen Grund, der dein unentschuldbares Verhalten rechtfertigen könnte“, knurrte Rick und packte Van am Kragen.

„Rick lass ihn los. Er bekommt ja so schon kaum Luft“, hatte sich David eingemischt und seinen Freund ein Stück von Van weggezogen. Aus mehreren Platzwunden im Gesicht war Van das Blut hinab gelaufen. Sein linkes Auge war bereits angeschwollen und hatte ihm teilweise die Sicht genommen. Den Schmerz hatte er willkommen geheißen ohne einen einzigen Laut von sich zu geben. Er hatte ihn definitiv verdient.

Die Stimmung im Raum war sehr angespannt gewesen und der kleinste Funkten hätte sie zur Explosion gebracht. Nicht nur Rick war wütend auf Van gewesen. Das Entsetzen war jedem einzelnen anzusehen gewesen. Der Unterschied war nur, dass Rick seinen Gefühlen freien Lauf ließ, während die anderen sich noch beherrschen konnten oder auf eine nähere Erklärung warteten.

„Layla …“, hatte Van schwer atmend das Wort ergriffen, „Layla ist eine Sakralion.“

„Wie bitte?“, hatten alle wie im Chor gefragt.

„Layla stammt aus dem Haus Sakralion“, hatte Van mit brüchiger Stimme noch einmal wiederholt.

„Aber das ist unmöglich. Diese Familie ist ausgestorben. Die letzten Mitglieder der Familie starben vor etwa zwanzig Jahren bei diesem schrecklichen Unfall“, meinte Andre, während er Van skeptisch angeschaut hatte.

„Anscheinend nicht alle. Die Testergebnisse der Ahnenforschung sind hieb- und stichfest. Der Doc hat es mehrmals überprüft“, hatte Van erklärt und sich dabei die Wand hinab auf den Boden sinken lassen. Ricks Schläge hatten gesessen und ihm einiges abverlangt.

„Wie lange weißt du schon davon?“, hatte Judith gefragt und war auf Van zu gegangen, um zu sehen wie schwer es ihn erwischt hatte.

„Seit knapp drei Wochen.“

„Das heißt also, seit der Arzt hier gewesen ist, um sich deine Verletzung noch einmal anzuschauen. Warum hast du es uns nicht gleich gesagt?“

„Weil ich nicht wusste, wie ich mit dieser Information umgehen sollte. Wenn das bekannt wird, wird sich Laylas Leben vollkommen verändern. Jeder wird etwas von ihr wollen. Layla kennt die Traditionen und Hierarchien der Vampire kaum, und würde deswegen auch die Bedeutung dieser Information nicht abschätzen können.“, hatte Vans Antwort gelautet. Nach einem kurzen Zögern hatte er noch hinzugefügt, „außerdem kennt ihr meine eigene Verbindung zu den Sakralions. Ein weiterer Grund, warum ich zunächst Laylas Abstammung vor euch verschwiegen habe.“

„Das ist ja alles gut und schön. Es ist für mich aber immer noch kein Grund, warum du Layla das angetan hast“, hatte Rick erneut das Wort ergriffen und auf eine Antwort gewartet.

„Sie ist eine Sakralion, eine Aristokratin. Ihr kennt meine Vorgeschichte. Ich hätte ihr nur Schmerzen bereitet.“

„Ach und indem du sie betrügst, verhinderst du, dass sie leidet?“, hatte Rick gespottet. Van hatte nicht darauf reagiert. Er hatte den Kopf hängen lassen, denn jetzt waren es die Blicke seiner Freunde gewesen, die ihn verurteilten und beschuldigten. Die Personen, die wie eine Familie für ihn waren. Die Menschen, die er belogen hatte.

Einige seiner Rippen waren vermutlich angebrochen, sodass sich Van vor Schmerzen den Bauch hielt. Er hatte es verdient, denn er hatte nicht nur Layla und sich betrogen, sondern auch seine Freunde, seine Familie.

„Okay das erklärt natürlich einiges, aber sicher nicht alles. Davon einmal abgesehen, hast du das gehört, Tom? Layla ist eine Sakralion. Das heißt, dass es doch eine Überlebende gibt“, hatte Paul mit seinem typisch britischen Akzent gesagt und sich zu seinem stillen, verschlossenen Kameraden umgedreht.

Tom hatte die ganze Auseinandersetzung schweigend verfolgt, bis Van den Namen dieser Familie genannt hatte. Ihm war beinahe das Herz stehen geblieben und er hatte nicht wirklich glauben können, was er da gehört hatte. Doch die Beweise waren eindeutig und ließen keine Zweifel zu.

„Ja, ich habe es gehört“, war Toms knappe Antwort gewesen. Zum ersten Mal war eine echte Gefühlsregung in seinem Gesicht zu erkennen gewesen. Doch diese war nur von kurzer Dauer gewesen, denn nach wenigen Sekunden war Tom wieder in seine verschlossene Haltung zurückgefallen.

„Weiß Layla es überhaupt?“, hatte Andre sich erkundigt. Van hatte nur den Kopf geschüttelt und scharf die Luft vor Schmerz eingesogen.

„Ich hoffe du hast noch eine Weile was von den Schmerzen, denn die hast du verdient.“ Mit diesen letzten vor Wut schäumenden Worten hatte Rick mit schweren Schritten den Raum verlassen. Er hatte hier raus gemusst, um seine Gedanken zu ordnen.

Natürlich hatte Andre versucht Layla über die Videoaufnahmen der Überwachungskameras in der Stadt zu finden, aber das war eine Sackgasse gewesen. Auch die Ortung ihres Handys hatte sie nicht weitergebracht. Zwar hatte Andre ein Signal empfanden, als sie an dem Ort angekommen waren, hatten sie ihr Handy allerdings in einem Mülleimer gefunden. Sie wollte offensichtlich nicht gefunden werden.

Seit dieser Auseinandersetzung mit den anderen Kriegern, war Van jede Nacht hier, in Laylas alter Wohnung, gewesen. Und wenn es nur für ein paar Minuten war. Er brauchte die Gewissheit, sie nicht verpasst zu haben.

Das aufgebrochene Türschloss hatte er repariert. Auch die blutdurchtränkte Matratze hatte er ausgetauscht und durch eine neue ersetzt. Sollte Layla zurückkommen, sollte sie zumindest die Möglichkeit haben, in ihre alte Wohnung zurückzukehren und eine sichere Unterkunft zu haben.

Er hatte auch das Armband gefunden, das Layla erwähnt hatte. Es hatte in einer kleinen Pappschachtel in der großen Holztruhe gelegen. Es war wirklich ein sehr filigranes Schmuckstück und war in der Hand des Kriegers fast vollkommen untergegangen. In der zierlichen Silberplatte war schwungvoll ihr Name eingraviert wurden. Auf der Rückseite stand ihr Geburtstag, der zwölfte Dezember. Vorsichtig hatte Van mit dem Daumen über die geschwungene Gravur gestrichen und hatte sich vorgestellt, wie ein kleines blondes Mädchen dieses Armband getragen hatte.

Ein Jahr und sie hatten trotz aller Bemühung immer noch kein Lebenszeichen von Layla gefunden. „Wo steckst du bloß?“

In einer halben Stunde ging die Sonne auf. Van blieb nicht mehr viel Zeit, also machte er sich auf den Weg zurück zum Anwesen und hoffe vielleicht doch noch gute Neuigkeiten zu hören.

 

Markus ging durch die dunklen Gassen von Berlin. Er hatte einiges in sich hineingeschüttet und hatte für diese Nacht bei Weitem noch nicht genug. Allerdings blieb ihm nicht mehr viel Zeit. In nicht einmal einer Stunde würde sich die Sonne am Horizont zeigen. Diese verdammte mörderische Sonne, die uns an die Nacht kettete, dachte er und schoss mit dem Fuß eine Dose, die ihm im Weg lag, weg. Der Tritt war so stark gewesen, dass die aufprallende Dose aufplatze und eine tiefe Delle in der Ziegelsteinwand zurückließ.

In ihm tobte ein unendlicher Sturm aus Zorn, Enttäuschung und Rachegefühlen. Was er jetzt brauchte, war eine willige Frau, die genau das tat, was er von ihr verlangte und ihn an ihren Hals ließ. Einige der anderen, die ihm diesen Gefallen getan hatten, waren nicht heil davongekommen, doch das interessierte ihn kein bisschen. Den Dreck hatten andere für ihn beseitigt.

Bei dem Gedanken an einen freien, schlanken Hals verlängerten sich seine Fänge und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Kurzerhand zückte er sein Handy und drückte die Kurzwahltaste. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine tiefe kratzige Stimme: „Ja“

„Ich bin’s. Hast du was Passendes für mich?“

„Hast du mal auf die Uhr geschaut? Es ist fast Morgen.“

„Das war nicht meine Frage. Ich will wissen, ob du was für mich da hast?“

„Hm, ich denke wir müssten was Geeignetes für dich da haben. Wann willst du sie haben?“

„Sofort!“

Der Mann am anderen Ende verfiel in Schweigen und schien nicht wirklich zu wissen, was er dem Vampir antworten sollte.

„Hört mir jetzt gut zu“, knurrte Markus und umfasste das Handy so fest, dass das Gehäuse anfing zu knirschen und zu zerbrechen drohte. „Ich bezahle dich überaus großzügig, da kann ich ja wohl erwarten, dass ich dann eine Frau geliefert bekomme, wenn ich es will. Und genau das will ich jetzt. Auf der Stelle!“ Seine Stimme wurde immer leiser, was sie nur noch bedrohlicher klingen ließ. Markus duldete keine Widerworte, nicht in seiner Position. Er stammte aus einer der reichsten und angesehensten Familien seiner Rasse. Er verlangte Respekt und absoluten Gehorsam.

„Natürlich, das ist überhaupt kein Problem. Ich bereite alles vor“, antwortete der Kontakt eingeschüchtert und willig. „Dürfte ich dich aber darum bitten, dieses Mal etwas vorsichtiger zu sein. Das letzte Mal konnte ich das Mädchen eine ganze Woche lang nicht mehr einsetzten.“

Markus beendete das Gespräch, bevor er sich weiteres Gejammer anhören musste. Das war unter seiner Würde. Ein böswilliges und zufriedenes Lächeln spielte um seinen Mund. Er stieg in seinen schwarzen Porsche, der in der dunklen Gasse parkte und ließ den Motor laut aufheulen. Hoffentlich hatte das einige, die in dieser Drecksecke lebten, aus dem Schlaf gerissen. Markus trat das Gaspedal voll durch und raste rücksichtslos davon, zufrieden darüber, dass er genau das bekam, was er brauchte und verlangt hatte.

In dem Staub, der sich allmählich lichtete, erschien eine dunkle Gestalt, die bisher im Verborgenen geblieben war. Starr und ungerührt schaute er dem schwarzen Porsche 911 nach, der um die nächste Ecke bog. „So wie es aussieht, haben ich wohl den richtigen Mann gefunden.“

 

Kapitel 2

 

Markus Familie veranstalte ihr jährliches Fest zu Ehren ihrer Ahnen und der langen Bestandszeit dieser Familie. Seit über eintauschend Jahren gehörten sie der gehobenen Gesellschaft der Vampire an und besetzten wichtige Posten. Niemand würde es wagen, sich gegen die Swartas zu stellen und das war auch gut so. Nur leider wusste nicht jeder, wie er sich Markus gegenüber zu verhalten hatte.

Vor allem die Krieger schienen sich keinen Dreck um gesellschaftlichen Rang und Ansehen zu scheren, denn ansonsten hätten sie sich ihm gegenüber anders verhalten. Mit einem Zug leerte Markus sein Wodkaglas und stellte es auf einem des Tabletts ab, mit denen die Diener sich durch die Leute schlichen.

„Schau nicht so finster, mein Sohn. Diese Nacht ist für uns gemacht und du solltest sie genießen“, meldete sich Markus Vater zu Wort und legte seine kräftige Hand auf dessen Schulter. Der Vampir sah kaum einen Tag älter aus als sein Sohn, sodass sie leicht verwechselt werden konnten. Nur bei den Augen war der Unterschied zu erkennen. Die grauen Augen des Alten wirkten erfahrener und um einiges durchtriebener, was den Augen des Sohns noch fehlte.

„Ich genieße den Abend, Vater. „Ich bin nur entsetzt darüber, wer alles zu dieser Feier eingeladen wurde“, antwortete Markus. Er meinte damit eine ganz spezielle Familie. In einiger Entfernung, nahe der Wand, stand dieser Schlappschwanz Steven, den Markus auf den Tod nicht ausstehen konnte. Bereits im Training hatte es ihm das größte Vergnügen bereitet, diesen Vollidioten in seine Schranken zu weisen und zu verdeutlichen, wohin er gehörte. Besonders jämmerlich war gewesen, dass er sich von einer Frau hatte verteidigen lassen. Nur mit Müh und Not konnte Markus ein hämisches lautes Lachen unterdrücken.

Was Markus Unmut allerdings jedes Mal weckte, wenn er an seine Trainingszeit dachte, war, dass diese Frau auch ein Schandfleck auf seinem Ego war. Irgendwann würde sich ihm noch die Gelegenheit bieten ihr alles heimzuzahlen.

Bei dem Gedanken an seine Rache verbesserte sich Markus Stimmung etwas und mit dem nächsten Wodka waren die dunklen Gedanken vertrieben.

„Du bist der Sohn des Hausherren nicht wahr?“, sprach jemand Markus unerwartet von der Seite an. Er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn jemand ihn einfach so ansprach, deshalb reagierte Markus nur mit einem abfälligen Seitenblick auf den Mann, der unmittelbar neben ihm stand.

„Kommt ganz drauf an, wer das wissen will.“ Der fremde Vampir nickte anerkennend. „Man merkt sofort, dass du ein Mitglied der gehobenen Gesellschaft bist. Außerdem bist du das Ebenbild deines Vaters. Ich würde mich gerne kurz mit dir unterhalten, wenn du ein paar Minuten für mich übrig hast“, meinte der Fremde und deutete mit dem ausgestreckten Arm in einen nicht so stark besuchten Teil des Hauses.

Markus hatte eigentlich keine Lust, seine kostbare Zeit mit diesem Kerl zu verschwenden, aber etwas an dessen Ausstrahlung weckte Markus Interesse, also folgte er ihm gemütlich.

„Danke für die Aufmerksamkeit.“

„Red nicht lange um den heißen Brei herum. Was willst du von mit?“

Der Vampir verschränkte seine Arme vor der Brust, sodass sich der maßgeschneiderte Anzug an den breiten Schultern spannte. „Ich habe dich bereits einige Zeit lang beobachtet. Und bevor du jetzt die Beherrschung verlierst, hör mir erst ganz genau zu. Ich habe dir ein Geschäft vorzuschlagen, an dem du Interesse haben könntest.“

Was Markus bis jetzt gehört hatte, gefiel ihm gar nicht und er hätte nicht übel Lust dazu gehabt diesem Mistkerl eine zu verpassen. Niemand beschattete ihn ungestraft. „Und was ist das für ein Geschäft?“, knurrte Markus und schaute sein Gegenüber mit bösem Blick an.

„Bevor ich anfangen, musst ich dich darauf aufmerksam machen, dass dies hier streng geheim ist und niemanden außer den Beteiligten etwas angeht, habe ich mich klar ausgedrückt?“ Mit einem kurzen Nicken stimmte der junge Vampir zu, während er immer ungeduldiger wurde. „In der Vampirgesellschaft sind die Krieger nicht gerade gern gesehen und werden immer mehr als überflüssig erachtet. Nach meinen Beobachtungen zu schließen, hast du auch keine besonders hohe Meinung von ihnen. Zumindest hat sich das im letzten Jahr so herauskristallisiert. Unterbrich mich, wenn ich mich irren sollte.“ Da Markus nicht reagierte, fuhr der Fremde mit seinen Erläuterungen fort.

„Gut. Ich biete dir folgendes an. Werde Mitglied in einer Gruppe von ehrenhaften Vampiren, die sich gegen die willkürlichen und rücksichtslosen Aktionen der Krieger auflehnt. Wir arbeiten natürlich im Untergrund, damit niemand etwas davon mitbekommt wodurch unser Ruf in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Unser Ziel ist es, die Krieger zu vernichten und die Gesellschaft der Vampire endgültig von ihnen zu befreien.“

Markus hörte dem Vampir aufmerksam zu und war erstaunt darüber, wie viel dieser anscheinend über ihn wusste. Als die Sprache auf die Krieger kam, loderte in Markus ein unstillbares Feuer auf, das durch seinen Hass auf die Krieger entfacht worden war. Hier wurden ihm die Krieger auf einem Silbertablette präsentiert.

„Lass dir die Sache durch den Kopf gehen und überlege dir gründlich, ob du ein Teil dieser Gemeinschaft sein willst. Später wird die Gesellschaft uns dankbar dafür sein.“

Mit diesen letzten Worten und einem leichten Nicken verabschiedete sich der Fremde und mischte sich wieder unter die anderen Gäste. Markus setzte ihm nach und packte den Vampir am Ellenbogen. „Falls ich mich dazu entschließen sollte, eurer kleinen Gruppe beizutreten, wie kann ich dich dann erreichen?“

Ein wissendes Lächeln umspielte die Lippen des Mannes und seine grauen Augen verengten sich. „Du musst mich nicht erreichen. Ich werde zu dir kommen, wenn du eine Entscheidung getroffen hast.“ Mit einem kräftigen Ruck befreite sich der Fremde aus Markus Griff und verschwand in der Menge.

Markus war sich noch nicht sicher, was er davon halten sollte und ob er nur ein Mitglied, in einer Gruppe von vielen, sein wollte. Allerdings war das Angebot ungemein verlockend.

 

Der Kampf gegen die Süchtigen zerrte an ihren Kräften. Rick und David hatten eine harte Nacht hinter sich. Sie hatten einen kleinen Erfolg zu feiern und begaben sich auf einen Drink ins SHADOW´s. Sie hatten in den vergangenen sieben Stunden knapp zwanzig von diesen Viechern zur Strecke gebracht und dies sollte nun belohnt werden.

Die beiden Krieger nahmen ihren Stammplatz ein, direkt neben der Tür zu den hinteren Räumen und bestellten zwei Drinks. Es dauerte keine zwei Minuten, bis die Kellnerin ihnen zwei Gläser brachte und ihnen dabei einen tiefen Blick in ihr Dekolleté gewährte. Das war der Bonus für Rick, warum er am liebsten hierher kam. Hier bekam er alles, was er wollte, ohne nur einmal danach fragen zu müssen.

Der Club war wie immer brechend voll. Die Tanzfläche war eine sich wild bewegende Masse, die den Boden zum Beben brachte. An der Bar saßen Kerle, die den Mädels beim Tanzen zusahen und sich dabei einen nach dem anderen einschenken ließen. In den kleinen abgedunkelten Nischen tummelten sich die Pärchen, die es kaum noch bis nach Hause schafften, bevor sie übereinander herfielen.

Van ließ den Club überwachen. Nachdem Rick ihn vor versammelter Mannschaft zur Schnecke gemacht hatte, waren sie sich zumindest in diesem Punkt einig gewesen. Layla war jetzt schon beinahe ein ganzes Jahr verschwunden und hatte nirgendwo eine Spur von sich zurückgelassen. Andre hatte sich in das Überwachungssystem des Clubs gehackt und kopierte jedes Mal die Aufnahmen der Kameras, die hier überall angebracht waren. Aber auch damit waren sie nicht weitergekommen.

Rick vermisste die Kleine. Sie alle vermissten sie. Layla hatte neues Leben in das Anwesen und in diese Familie gebracht. Sie war anders, etwas Besonderes, das hatte er sofort gesehen. Aber er hatte sich zurückgezogen, als er gemerkt hatte, dass sie Gefühle für Van entwickelte und nicht für ihn.

Inzwischen bereute er diese Entscheidung jedes Mal, wenn er an sie dachte. Vielleicht hätte er verhindern können, dass sie verschwindet, wenn er weiter in ihrer Nähe geblieben wäre. Wenn er erfahren sollte, dass ihr irgendetwas zugestoßen ist, würde er sich dies, niemals verzeihen können.

„Hey Bruder, jetzt schau nicht wie sieben Tage Regenwetter, sondern freu dich mal. Wir haben schließlich allen Grund dazu“, brüllte David, um die laute Musik zu übertönen. Ein schiefes Lächeln breitete sich auf dem markanten Gesicht des Kriegers an. „Ich bin in aller bester Stimmung. Lass uns trinken und die letzten Stunden der Nacht mit erfreulichen Dingen verbringen“, brüllte Rick zurück und erhob sein Glas. Die Männer stießen an und dabei schwappte etwas von ihren Drinks über und floss Ricks Hand hinunter. Mit einem Zug leerte er sein Glas und orderte sofort zwei neue.

Rick schob die schmerzhaften Gedanken beiseite. Es brachte nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob er an der vorherrschenden Situation etwas hätte ändern können. Natürlich wäre alles anders gelaufen, wenn er früher von Laylas Abstammung gewusst hätte oder er seine Annäherungsversuche bei ihr nicht abgebrochen hätte. Aber die Zeit konnte nun einmal nicht zurückgedreht werden, um die Vergangenheit zu ändern. Bestünde diese Möglichkeit hätten alle im Anwesen, Rick eingeschlossen, ihre eigene Vergangenheit geändert.

Nach der zweiten Runde erhob sich Rick von seinem Platz. „Ich mach mal die Tanzfläche unsicher und schau mich nach was Hübschen um. Soll ich dir auch was mitbringen?“, fragte Rick und grinste David dabei so verführerisch an, dass dieser glatt schwach geworden wäre, wenn sein Kumpel eine Frau gewesen wäre.

„Du kannst ja die Augen offenhalten, aber eigentlich bin ich sehr gut in der Lage, selbst für meine Unterhaltung zu sorgen. Außerdem möchte ich dir nur ungern die Show stehlen. Wenn ich dich begleite, würde keine der Ladys mehr auf dich achten.“, kontert David und macht eine wegwerfende Handbewegung. Mit seinen wilden brauen Haaren, die ihm gerne in den Augen hingen und den großen grünbrauen Augen stand David seinem Freund in Sachen Frauen in nichts nach. Wenn David es wollte, konnte er ebenfalls jede Frau haben, die er wollte. Der Unterschied war nur, dass David bei Weitem keinen so hohen Frauenverschleiß hatte, wie Rick. Ihm war etwas festes lieber, als jede Nacht eine andere Frau zu umgarnen.

„Rede dir das nur weiter ein, Bruder.“

Kaum tauchte Rick in der tanzenden Masse ein, spürte er auch schon wie die Aufmerksamkeit der meisten anwesenden Frauen sich von ihren bisherigen Tanzpartnern abwandte und sich auf ihn richtete. Er konnte einfach nichts dafür, dass er so eine Wirkung auf Frauen hatte. Trotzdem genoss er die interessierten Blicke der Frauen in vollen Zügen. Er spürte überall an seinem Körper ihre Hände, die um seine Aufmerksamkeit buhlten.

Rick hatte sich bisher noch nicht für eine von ihnen entschieden, also ließ er sie weiter zappeln und bewegte sich mit der Masse in dem bunten flackernden Licht. Doch plötzlich zog etwas seine ganze Aufmerksamkeit auf sich, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hatte. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde gewesen, in der er ihr Gesicht gesehen hatte. Hundertprozentig sicher konnte Rick sich nicht sein, denn dazu war der Moment zu kurz gewesen.

Konnte es wirklich Layla gewesen sein, die in dieser Menschenmasse in seinem Blick aufgetaucht war?

Hektisch überblickte Rick die Menschen und suchte nach ihr. Hier und da sah er eine blonde Frau, die Layla ähnlich sein konnte, doch keine von ihnen war sie. Durch seine Größe und seinen massigen Körper bahnte sich der Krieger einen Weg durch die Tanzenden und ging auf eine Frau zu, die vor ihm zu flüchten schien. Mit einem gezielten Griff packte er sie am Arm. Ihr langes blondes Haar wehte in der Bewegung, als Rick sie zu sich drehte.

Die Enttäuschung war groß, als er erkennen musste, dass es nicht Layla war, die ihn nun mit großen überraschten Augen anstarrte.

„Sorry, ich habe dich mit jemanden verwechselt“, nuschelte Rick und ließ sofort von der Blondine ab. Seine glänzende Stimmung war dahin. Mit gezielten Schritten ging Rick an den inoffiziellen Tisch der Krieger, an dem sie immer saßen,  zurück und ließ sich auf die gepolsterte Sitzfläche sacken.

„Was ist denn jetzt wieder los? Ist dir eine Laus über die Lebe gelaufen oder hat es etwa eine Frau gewagt, dir einen Korb zu geben?“, amüsierte sich David. Ihm entging dabei nicht, dass sich die Stimmung seines Freundes nicht besserte, sondern nur noch schlechter wurde.

„Nun sag schon. Was ist los?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Ich bin mir selbst nicht sicher, was ich da gesehen habe“, reagierte Rick endlich. Sobald sie wieder im Anwesen waren, musste er zu Andre. Vielleicht war auf den Bändern des Clubs etwas zu sehen. Der Gedanke, dass er sich getäuscht hatte, bereitete Rick schon jetzt Bauchschmerzen.

 

 

Kapitel 3

 

 

Die ganze restliche Zeit, die David und er im Club verbracht hatten, hatte Rick versucht noch einmal alles ganz genau durchzugehen. Von seinem Gang auf die Tanzfläche, bis hin zu dem Moment, in dem er glaubte, Layla gesehen zu haben. Doch egal wie oft er es versuchte, er bekam einfach kein klares Bild von der Frau. Je öfter er es versuchte, desto schlimmer wurde es nur.

Kaum waren sie zurück im Anwesen, machte sich Rick sofort auf den Weg zu Andre. Wie nicht anders zu erwarten, fand er den Krieger in dem Schulungsraum, wo mehrere Computer aufgebaut waren. Überrascht blickte Andre von dem Bildschirm auf, als Rick in den Raum gestürmt kam.

„Kannst du mir die Aufzeichnungen vom SHADOW von heute Nacht zeigen?“

Andres mandelförmige braune Augen verengte sich zu Schlitzen, als er Rick aufmerksam musterte. „Wenn du mir sagst, wofür du die brauchst.“

„Das kann ich im Moment nicht. Ich möchte was nachsehen. Wenn sich meine Vermutung bestätigt, kläre ich dich und die anderen sofort auf“, erklärte Rick und ging auf Andre und den Computer zu.

„Na schön, wie du meinst. Du weißt wie die Technik funktioniert?“

„Ja, weiß ich. Ich mach das schließlich nicht zum ersten Mal“, antwortete der Krieger und nahm auf dem frei gewordenen Stuhl Platz. Sofort begann er sich durch die verschiedenen Videodateien zu klicken, auf der Suche nach dem richtigen Zeitabschnitt.

„Ich glaub ich möchte im Moment besser nicht wissen, wann die anderen Male waren“, meint Andre nur und fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes braunes Haar. „Okay Kumpel. Sag Bescheid, wenn du fertig bis.“ Mit leichtem Kopfschütteln verließ Andre den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Sobald Rick alleine war, machte er sich an die Arbeit. Zuerst musste er die richtige Aufzeichnung finden, die die Tanzfläche zeigte. Sobald er die Frau auf diesen Aufnahmen entdeckt haben sollte, konnte er die anderen Kameraeinstellungen überprüfen, ob sie auch auf diesen zu sehen war.

Seine Suche entpuppte sich als totales Desaster. Rick hatte zwar die richtige Stelle, al er selbst auf der Tanzfläche zu sehen ist, gefunden. Doch er konnte Layla in der Menge einfach nicht entdecken. Mehrfach glaube er, sie endlich gefunden zu haben. Allerdings täuschte er sich jedes Mal. Entweder waren die Gesichter der Frauen auf der Aufnahme, zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt, deutlicher zu sehen, oder auf einer der anderen Aufnahmen, die Rick zur Sicherheit auch noch durchsah. Keine von ihnen war Layla. Viele sahen ihr bei genauerer Betrachtung noch nicht einmal ähnlich.

Rick ließ frustriert die geballte Faust auf den Tisch krachen. Die Wucht war so gewaltig, dass Tastatur und Mouse von der Tischplatte abhoben und scheppernd landeten.

Drei Stunden hatte er mit der Sichtung der Videos verbracht. Rick war auf Nummer Sicher gegangen und hatte alle in Frage kommenden Frauen, die auch nur ansatzweise Ähnlichkeit mir Layla hatten, mehrmals überprüft. Trotzdem stand er mit leeren Händen da. Er war wütend. Wütend auf sich selbst und auf Van.

„Verdammte Scheiße!“

„Du hast wohl nicht das auf den Aufnahmen gefunden, was du gehofft hattest.“ Andre stand mit verschränkten Armen im Türrahmen. Sein Gesichtsausdruck war ruhig, aber konzentriert.

„Nein, ich habe rein gar nichts gefunden.“, knurrte Rick und schob sich vom Tisch weg.

Immer noch vor Wut schnaufend stand Rick vom Stuhl auf und drängte sich an Andre vorbei durch die Tür. „Falls mich jemand sucht, ich bin im Trainingsraum. Ich muss den Kopf frei bekommen“, brummte der blonde Krieger und ging den Flur mit schnellen stampfenden Schritten entlang.

„Glaub mir, du bist nicht der einzige, der nach ihr sucht, Rick.“, seufzte Andre und ließ die Arme sinken. Er ging an seinen Computer, um seine Vermutung zu bestätigen. Mit ein paar schnellen Klicks wurden ihm die letzten Aktionen angezeigt.

Andre hatte also Recht gehabt. Rick hatte nach Layla Ausschau gehalten und war dabei genauso erfolglos gewesen, wie er bisher. Mit einem ernüchternden Seufzer schaltete Andre den Computer aus, löschte das Licht und begab sich zurück zu seiner Frau. Wenn Layla nicht bald wieder auftauchen sollte, wusste er nicht mehr, wie er Judith noch länger davon abhalten sollte, selbst auf die Suche nach ihr zu gehen. Schon jetzt ließ sie sich nur noch sehr schwer von ihrem Vorhaben abbringen.

Andre konnte es nicht zulassen, dass sich seine Frau so unbesonnen in Gefahr brachte. Es reichte, wenn er jede Nacht seine Hals riskierte. Aber durch ihr Verhalten konnte er verstehen, mit welcher Angst Judith jede Nacht leben musste, wenn er selbst den Kampf gegen die Süchtigen aufnahm.

Seine Frau hatte ein gutes Herz und sobald sie jemanden darin aufgenommen hatte, machte sie sich automatisch Sorgen, um dessen Wohlergehen. Layla war für Judith wie eine Schwester, die sie nie hatte. Eine Vertraute, mit der sie sich austauschen konnte und Gemeinsamkeiten hatte. Auch wenn es Judith selbst nie zugegeben hat, hatte ihr immer eine solche Person gefehlt. Es war etwas anderes sich mit einer Frau zu unterhalten, anstatts mit einem Mann, der sich oft nicht in die Situation hineinversetzten konnte. Allein schon für ihre Güte und Warmherzigkeit musste man Judith lieben.

 

„Und?“

„Nichts“, antwortete Andre, als er in der großen Eingangshalle auf Van traf. Van versuchte sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und Haltung zu bewahren. Er verbot es sich selbst, auch nur zu hoffen. Dennoch schmerzte es ihn jedes Mal, wenn er hörte, dass immer noch kein Hinweis auf Laylas Aufenthaltsort existierte.

In ein paar Wochen würde sie bereits ein ganzes Jahr verschwunden sein.

„Okay. Falls es etwas Neues gibt oder ihr mich sucht, ich bin in meinem Zimmer.“ Unter dem Arm trug Van eine dicke Mappe mit Unterlagen. Er hatte sich dazu entschlossen, mehr über Laylas Vergangenheit in Erfahrung zu bringen. Sie hatte ihm nur einen Bruchteil von dem erzählt was sie wirklich durchgemacht hatte. Weil sie sich ihm anvertraut hatte, als er so schwer verwundet worden war, hatte Van die ersten Anhaltspunkte für seine Suche gehabt und hatte schnelle Fortschritte machen können.

In seinem Zimmer legte er die Mappe auf seinem Bett ab, zog sich die schweren Schuhe aus und lehnte sich an das Rückenteil des Betts.

Er blätterte in den Unterlagen und hielt an manchen Stellen inne, um noch einmal die verschiedenen Stationen, während ihrer Zeit im Waisenhaus, nachzulesen. Vielleicht fand er weitere Anhaltspunkte, denen er nachgehen konnte. Wenn er Glück hatte, würde er sie auf diese Weise finden, weil sie sich an einem Ort aus ihrer Vergangenheit versteckte.

Layla war in mehr als fünf Waisenheimen gewesen, bis zu diesem alles verändernden Unfall, bei dem ihrer Freundin Ellen verstorben war. In den Unterlagen der Polizei hatte Van nähere Detail zum Unfallhergang gefunden und auch Fotos des Unfallortes. Kein Wunder, dass Layla so zusammengebrochen war. Der Anblick war grauenvoll. Van wollte sich gar nicht erst ausmalen, was das für Spuren in der Seele einer Vierzehnjährigen hinterlassen hatte. Wenn sie nur von Albträumen geplagt wurde, war dies noch das erträglichste.

Während Van seine Unterlagen durchblätterte, startete er seinen Laptop. Über Laylas Leben in der Menschenwelt hatte Van fast alles herausgefunden. Die Heime gingen mit ihren Daten nicht gerade sorgsam um. Einerseits hatte er alles was er wissen wollte in den angeblich sicheren Systemen der Heimcomputer gefunden. Andererseits hatte er den Archiven der Waisenheimen einen heimlichen Besuch abgestattet. Bei seiner Recherche war Van aufgefallen, dass es vor allem über Laylas erste Lebensjahre im Heim keine Dateien gab. Deswegen hatte er in den schriftlichen Unterlagen danach suchen müssen.

Allerdings hatte Layla auch noch ein Leben davor vor ihrer Zeit im Heim. Es war nur von kurzer Dauer gewesen, aber dafür von großer Bedeutung.

Über die Familie Sakralion bekam man nur sehr schwer Informationen. Die Familie hatte sehr zurückgezogen gelebt und sich meistens nur auf wichtigen Veranstaltungen oder zu bedeutenden Anlässen sehen lassen. Sämtliche Akten zu den Sakralions waren nach dem Tod der Familie unter Verschluss, sodass man nur mit Sondergenehmigung an sie herankam. Kein Wunder, schließlich war sie die älteste und angesehenste Familie seiner Rasse. Bei den Menschen wäre sie wohl die Königsfamilie gewesen. Und genau da lag Vans Problem.

Egal wie er es drehte und wendete, Layla blieb eine Aristokratin, auch wenn sie selbst noch nichts davon wusste. Diese Sache würde immer zwischen ihnen stehen. Es hatte Van sogar dazu gebracht, Layla zu betrügen, auch wenn das ursprünglich nicht seine Absicht gewesen war. Sein ursprünglicher Plan war es gewesen, sich selbst von Layla abzulenken. Er hatte gehofft, wenn er sich mit einer anderen Frau einließ, könnte er Layla aus seinem Kopf und seinem Herzen vertreiben. Inzwischen sah er selbst ein wie idiotisch sein Vorhaben gewesen war.

Verärgert fuhr sich Van mit der Hand durch die schwarzen Haare und übers Gesicht. Er wollte mehr über diese Familie wissen. Vielleicht konnte er dann seine Meinung und Einstellung ihr gegenüber ändern. Viel Hoffnung machte der Krieger sich allerdings nicht. Auch seine Vergangenheit hatte dunkle Kapitel und Narben auf seiner Seele hinterlassen. Genau wie bei Layla.

Laylas Familie war damals, vor knapp zwanzig Jahren bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen. Jeder war damals davon ausgegangen, dass alle Familienmitglieder dabei ums Leben gekommen waren. Der Unfall hatte sich in den frühen Morgenstunden ereignet. Einen genauen Hergang der Ereignisse gab es jedoch nicht. Vielleicht war etwas in den verschlossenen Akten zu finden. Wenn Van versuchen sollte an diese zu gelangen, würde er damit die Aufmerksamkeit andere auf die Sakralions und sich selbst ziehen. Dies wollte Van vorerst vermeiden. Zunächst plante er alle anderen, ihm zur Verfügung stehenden, Möglichkeiten auszuschöpfen.

Offensichtlich hatten sich alle in einem Punkt getäuscht. Bei dem Unfall waren nicht alle Familienmitglieder ums Leben gekommen. Statts endlich Antworten auf seine vielen Fragen zu finden, stieß Van bei seinen Nachforschungen immer wieder auf weitere unbeantwortete Fragen.

Auf seinem Computer rief Van ein Bild der Familie auf. Layla war damals noch ein Baby und ruhte schlafend in den Armen ihrer Mutter. An das Bild heran zu kommen, hatte ihn einiges an Überzeugungskraft gekostet. Nachdem die großzügig angebotene Geldsummer nicht ausgereichte, hatte Van ernstere Drohungen aussprechen müssen, die er ohne zu zögern ungesetzt hätte. Das Foto stammte von einer Ankündigungskarte, die nur wenige Familien erhalten hatten. Die Karte selbst, hatte Van nicht bekommen. Die Besitzerin hatte sich geweigert Van die Karte zu überlassen, da es ein letztes Andenken an die Sakralions war, mit denen die Vampirin eng befreundet gewesen war. Sie hatte sich zudem geweigert, Van weitere Informationen über die Sakralions zu geben. Die Loyalität der Vampirin hatte Van anerkannt und sich mit einer Aufnahme der Karte zufriedengegeben, zumindest für den Moment. Mit dem Bild hatte Van sich inzwischen einen ersten Eindruck von der Familie machen können. Van war dieser Generation nie persönlich begegnet.

Wie hatte Layla das nur überlebt? Selbst wenn sie den Unfall selbst unbeschadet überstanden hatte, hätte sie sich unmöglich selbst retten können. Wer also hatte ihr geholfen und es all die Jahre für sich behalten?

Mit verengten Augen starte Van das Bild an. In der Hand hielt er Laylas silbernes Armband und fuhr mit dem Daumen vorsichtig über die feine Gravur auf dem Silberplättchen. Er trug es immer bei sich. Irgendwie fühlte er sich dadurch immer noch mit ihr verbunden.

Die Stille in Vans halbdunklem Zimmer wurde plötzlich von einem leisen Vibrieren unterbrochen. Sofort griff Van nach seinem Handy und nahm den Anruf entgegen.

„Ja“

„Hey Van, ich bin’s.“

„Hey Steven. Was hast du Neues?“, fragte Van und setzte sich gerade hin. Der Junge war der reinste Glücksgriff gewesen. Ihm lag Layla genauso am Herzen, wie jedem andren hier im Haus. Das hatten die Krieger schon damals im Training bemerkt.

„Also, ich habe mich mal umgehört. Es ist wirklich nicht leicht etwas über diese Familie in Erfahrung zu bringen. Jeder schaut mich entsetzt an, wenn ich beiläufig den Namen Sakralion fallen lasse. Niemand will so richtig mit der Sprache herausrücken. Trotzdem habe ich ein paar interessante Informationen bekommen.“

Es ist allerdings merkwürdig, dass sich niemand über die Familie äußern will, dachte Van. Dass sich die Leute ihm gegenüber in Schweigen hüllten, war er gewohnt. Das sie sich Steven gegenüber, einem Mitglied der gehobenen Gesellschaft, ebenfalls so verhielten, hatte er nicht erwartet. An dieser Geschichte war irgendetwas faul.

„Dann schieß los. Ich bin ganz Ohr“, antwortete Van und war bereit sich während des Gespräches Notizen zu machen.

„Okay, also hör zu. Diese Familie ist damals bei einem schrecklichen Autounfall um Leben gekommen. Das allein finde ich schon überaus merkwürdig. Ein Vampir stirbt nicht so einfach bei einem Autounfall, schon gar nicht eine ganze Familie“, erklärt Steven und Van hört deutlich seine Skepsis durchs Telefon.

„Das finde ich allerdings auch merkwürdig, aber erzähl erst mal, was du noch in Erfahrung gebracht hast.“

„Meine Quelle meint, dass der Unfall kurz vor Sonnenaufgang passiert sei. Es soll wohl eine Explosion im Fahrzeug der Familie gegeben haben. Dabei sollen die getönten Scheiben, die die Insassen vor dem Sonnenlicht schützen, komplett zersprungen sein. Selbst wenn die Familie den Unfall selbst überlebt hatte, das Sonnenlicht hätte ihnen den letzten Rest gegeben. Sie konnten demzufolge gar nicht gerettet werden. Auch nicht von ihren Bodyguards, die immer in ihrer Nähe waren und sich in den anderen Fahrzeugen befunden haben. Ich habe versucht herauszufinden, wer zu der Leibgarde der Sakralions gehörte, doch da ist nichts zu finden.“

Das war überaus interessant. Für Van hörte sich das nach einem geplanten Anschlag auf die Familie an. So viele Zufälle auf einmal kann es gar nicht geben.

„Gut Steven, das bringt uns schon ein ganzes Stück weiter.“ Van unterstrich das Wort Bodyguard auf seinem Zettel dick. Vielleicht war das eine Möglichkeit mehr über den Unfall in Erfahrung zu bringen. Steven hatte sich mit den Männern bereits beschäftigt, doch der junge Vampir hatte nicht die notwendige Überzeugungskraft, die sich Van über die Jahrhunderte angeeignet hatte. Er ließ sich die wenigen Informationen von Steven geben und wollte später diese Spur verfolgen.

„Ich werde mich weiter umhören. Möglicherweise bekomme ich doch noch ein paar Hinweise zusammen“, antwortete Steven.

„Mach das. Sei aber vorsichtig. Irgendwann werden diese eingebildeten Snobs hellhörig werden und Verdacht schöpfen. Wenn es zu riskant wird, halt dich erst mal zurück.“ Van wollte nicht noch jemanden auf dem Gewissen haben. Die Krieger hatte die richtige Wahl getroffen, als sie sich für Steven entschieden hatten und momentan brauchten sie jeden fähigen Mann.

„Möglicherweise würde es helfen, wenn du mir sagen könntest, wofür du all die Informationen brauchst. Dann könnte ich noch andere Wege finden, um etwas aus den Leuten herauszubekommen“, schlug Steven vor.

Bisher hielt Van den Grund für seine Recherche vor Steven und den anderen geheim. Er war sich selbst nicht sicher, ob es sie bei der Suche nach Layla überhaupt weiterbrachte. Außerdem war es überaus gefährlich die Nachricht über eine Überlebende der Familie herauszugeben. Davon war Van, nachdem was er eben alles gehört hatte, überzeugt. Das Risiko Layla in weitere Schwierigkeiten zu bringen, von denen sich nicht einmal ahnen konnte, würde Van unter keinen Umständen eingehen.

„Dafür ist es jetzt noch zu früh, Steven. Wenn ich mir sicher bin, dass alle Teile des Puzzles zusammenpassen, weihe ich dich ein. Im Moment bin ich mir aber noch mit gar nichts sicher. Ich will nicht unnötig für Aufregung sorgen, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass alles nur heiße Luft war.“

„Ich verstehe. Ich melde mich wieder bei dir, sobald ich etwas Neues für dich habe“, antwortete Steven mit leicht niedergeschlagener Stimme und beendete das Gespräch.

Mit einem tiefen Seufzer legte Van das Handy neben sich auf die Decke und schaute sich noch einmal aufmerksam das Bild der Familie Sakralion an. Neben Layla und ihren Eltern war noch ein weiterer junger Mann auf dem Bild zu sehen. Um wen es sich dabei handelte, konnte Van jedoch nicht sagen. Entweder war es ein naher Verwandter der Familie oder vielleicht sogar Laylas älterer Bruder.

Mit Spekulationen kam Van allerdings nicht weiter. Nicht nur über den Unfall, sondern auch über die Familie selbst und ihrer Mitglieder bekam man nur schwer etwas heraus. Niemand wusste genau wer alles zu der Familie gehörte. In früheren Zeiten waren genaue Stammbäume stolz aufgezeichnet worden. Doch die großen Familien hatten in zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen viele Zweige ihrer Familien verloren Was dazu geführt hat, dass sich einige Familien immer mehr in den Vordergrund gedrängt hatten, während andere, wie die Sakrations, sich immer mehr zurückgezogen hatten und kaum noch etwas an die Öffentlichkeit dran.

Nach dem Tod der Sakralions war nicht sofort klar gewesen, wer ihrer Position in der Gesellschaft übernehmen sollte. Die Aasgeier in der gehobenen Gesellschaft wussten immer, wann es etwas für sie gab. Nach nur wenigen Tagen hatte die Familie Swarta die Macht an sich gerissen. Und ein Mitglied aus dieser Familie kannte Van sehr gut.

Markus.

 

Kapitel 4

 

„Van, hast du mal eine Minute? Ich würde gerne etwas mit dir besprechen“, ergriff Andre das Wort, als dieser die Treppe hinab gestiegen kam und Van gerade auf den Weg in die unterirdischen Räume war. Der Krieger schaute skeptisch zu seinem Freund auf und nickte knapp zur Bestätigung. Zusammen steuerten die beiden Männer den Konferenzraum an, der im Moment verlassen war.

„Hast du etwas herausgefunden?“, fragte Van, sodass Andre die Hoffnung, die in seiner Frage mitschwang, kaum überhören konnte.

Im Konferenzraum, schloss Andre die Tür hinter sich und schaltete die gedeckte Beleuchtung ein. Das, was er Van zeigen wollte, benötigte nicht das strahlend helle Licht, das sonst den Fernsehbildschirm nur blenden würde.

Mit verschränkten Armen nahm der Krieger auf einen der massiven Holzstühle Platz, die um den ovalen Tisch herumstanden.

„Rick war vorhin bei mir. Er bat mich ihm die Aufzeichnungen der heutigen Nacht aus dem SHADOW zu zeigen. Und er wollte sie alleine sichten.“

„Gab es dafür einen triftigen Grund?“, hakte Van nach. Er ahnte was als nächstes kam, doch er wollte es lieber von Andre hören, anstatt sich falschen Vermutungen hinzugeben.

„So wie er in dem Raum gestürmt kam, hatte er ganz offensichtlich einen guten Grund dafür.“

Andre seufzte beherzt, bis er endlich mit der Sprache herausrückte. „Meiner Ansicht nach, dachte er Layla gesehen zu haben. Er und David waren zuvor im SHADOW gewesen. Nachdem ich Rick auf seinen Wunsch hin allein gelassen hatte, sprach ich kurz mit David. Rr sagte, Rick hätte sich im Club plötzlich sehr merkwürdig verhalten und wollte unbedingt nach Hause.“

„Wir wissen beide, dass das mehr als untypisch für Rick ist“, stellte Van fest. Andre nickte zustimmend.

„Allerdings. Außerdem hatte Rick anschließend den Raum wutentbrannt verlassen. So, als hätte er nichts auf den Aufnahmen gefunden“, erzählt der Krieger weiter, so neutral wie es nur jemand konnte, der sich ausführlich mit der entsprechenden Technik auskannte.

„Du hast dir aber schon vorher die Aufnahmen angesehen, oder?“

„Natürlich. Das ist schließlich mein Spezialgebiet. Ich kontrolliere jede Nacht die Aufzeichnungen Wenn es sein muss, auch mehrmals.“ Meistens war Judith dabei in Andres Nähe. Sie sagt immer, zwei Augen sehen mehr. Vermutlich hatte die Vampirin damit das Gefühl, nicht die ganze Zeit tatenlos da zu sitzen.

Van wusste nicht, was er mit diesen Informationen anfangen sollte. Natürlich war es interessant und gut, dass er über die Ereignisse auf der Straße und im Anwesen auf dem Laufenden gehalten wurde. Dennoch war sich Van immer noch nicht ganz sicher, was Andre von ihm wollte.

„Allerdings… Ricks Reaktion hat mich dazu veranlasst die Aufzeichnungen von heute Nacht zur Sicherheit noch einmal anzuschauen…“, erklärte Andre weiter während er sich an dem Computer im Konferenzraum zu schaffen machte.

Ruckartig hob Van den Kopf und musterte seinen Freund sehr genau. Hatte er möglicherweise doch etwas gefunden?

„Und?“

„Ich bin mir beim besten Willen nicht sicher“, erhielt Van als Antwort, während der große Bildschirm zum Leben erwachte. Mit nur ein paar Klicks erschien ein Bild darauf. Es war nicht besonders scharf und die Lichtverhältnisse bei Weitem nicht die Besten.

Andre zoomte mit Hilfe der Fernbedienung näher heran. Das Bild wurde noch körniger.

„Kriegst du das vielleicht etwas schärfer?“, fragte Van, der nicht wirklich viel erkennen konnte. „Ich versuch mein Bestes“, murmelte Andre und versuchte mehrere Einstellungen von Farbabgleich bis hin zur Schärfeeinstellung.

Nach mehreren Versuchen hatte es Andre geschafft. Die einzelnen Personen waren deutlicher voneinander zu unterscheiden. Aufmerksam studierte Van den vergrößerten Bildausschnitt.

„Was hältst du davon?“, fragte Andre skeptisch.

Wenn Van das hätte sagen können. Das Gesicht der Frau lag zur Hälfte im Schatten und dank des schlechten Lichtes waren auch die restlichen Gesichtszüge nicht besonders deutlich zu erkennen.

„Möglich wäre es. Aber wie du schon gesagt hast, es ist nicht hundertprozentig sicher“, meinte der schwarzhaarige Krieger und kratzte sich am Kinn, das von einem Bartschatten überzogen war.

Van wünschte sich so sehr, Layla wirklich auf dem Bild zu sehen. Vom ganzen Herzen wünschte er sich das. Schon seit mehreren Monaten, hoffe er auf ein Zeichen vor ihr.

„Gehen wir einmal potenziell davon aus, dass es sich wirklich um Layla handelt…“, ergriff Andre das Wort. „… dann will sie definitiv nicht entdeckt oder von uns gefunden werden“, beendete Van den Satz.

„Sieht ganz danach aus. Wir haben sie schließlich darin ausgebildet, in der Masse unterzutauchen und nicht erkannt oder entdeckt zu werden. Wenn du mich fragst, hat sie die Lektion voll verinnerlicht.“. meinte Andre und setzte sich auf die Tischkante.

„Ja, wir haben sie wirklich gut ausgebildet.“

Van stimmte Andre bei dieser Feststellung voll und ganz zu. Laylas Ausbildung war noch nicht beendet gewesen, aber sie war eine hervorragende Schülerin gewesen.

„Was hast du jetzt vor?“, erkundigte sich Andre, während Van näher an den Bildschirm heran trat, um sich das Standbild noch einmal genaustens anzusehen.

„Wir werden den Club jetzt noch genauer im Auge behalten. Ich will, dass jede Nacht mindestens einer von uns vor Ort ist und sich ein genaues Bild der Besucher verschafft. Wenn diese Frau auf dem Bild tatsächlich Layla sein sollte, dann ist sie wieder in der Stadt. Ich werde nicht zulassen, dass sie noch einmal einfach so spurlos verschwindet“, tobte Van und wandte Andre den Rücken zu.

Ein innerer Kampf wütete in Van. Einerseits war es aufsteigende Hoffnung, die sich in ihm ausbreitete, Andererseits wollte er sich keinen falschen Illusionen hingeben, die am Ende enttäuscht werden.

Zielstrebig ging Van zur Tür und riss die diese auf. „Ich sage den anderen Bescheid. Und ich will noch einmal mit Rick reden. Vielleicht fällt ihm doch noch etwas ein, dass auf den Videos nicht zu sehen war.“

Mit stampfenden Stiefeln durchquerte der Krieger die Eingangshalle und schritt in den ersten Schock, wobei er jeweils zwei Stufen auf einmal nahm. Er durfte sich nicht zu sicher sein. Auch wenn diese Aufnahme ein erster Anhaltspunkt war, erlaubte sich Van erst wieder beruhigt zu sein, wenn Layla persönlich zurück in diesen vier Wänden war.

 

„Und, hast du dich entschieden?“

Markus war wieder einmal unterwegs gewesen, um von zu Hause wegzukommen. Er hatte nichts mit sich anzufangen gewusst. Er hatte sich in seinen Porsche gesetzt und einfach losgefahren war. Am Ende war er wieder da gelandet, wo er immer hinging, um einen freien Kopf zu bekommen.

Er war gerade aus seinem Wagen gestiegen, als ihm die vertraute Stimme ans Ohr drang. Ein siegessicheres Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Bevor Markus sich aber umdrehte, setzte er seinen üblichen desinteressierten, arroganten Blick auf.

Der Fremde sollte nicht auf den ersten Blick Markus Entscheidung erraten können.

„Ich hatte dir doch gesagt, ich werde dich finden, sobald du eine Entscheidung getroffen hast.“ Der Vampir breitete siegessicher die Arme aus. Als wäre er allmächtig, dachte Markus und konnte sich nur schwer eine beißende Bemerkung verkneifen.

„Sie scheinen ja sehr gut informiert zu sein.“

„Natürlich. Das muss ich auch sein. Genauso wie du es sein musst, wenn du ein Teil der Gemeinschaft werden solltest“, sprach der Fremde selbstgefällig weiter. 

„Sagtest du nicht gerade, du seist bestens informiert? Dann solltest du auch wissen, wie ich mich in Bezug auf diese Sache entschieden habe.“ Markus wollte nicht sofort seine Karten auf den Tisch legen. Außerdem war ihm der Typ viel zu sehr von sich selbst überzeugt. Markus musste ihn offenbarzeigen, wer hier das Sagen hatte.

„Ich wusste schon in dem Moment, als ich dich angesprochen habe, wofür du dich entscheiden wirst. Allerdings möchte ich es gerne von dir selbst hören. Nur um auf Nummer sicher zu gehen.“

Mit jedem Wort, das dieser Vampir von sich gab, wurde er Markus unsympathischer. Was dachte dieser Affe eigentlich, wer er war? Um seine Wut in Zaum zu halten, ballte Markus die Hände hinter seinem Rücken zu Fäusten.

„Nun, wollen wir noch weiter so vor uns hin plaudern oder kommen wir endlich zum Geschäft?“, fragte Markus bissig Es genügte und es war an der Zeit diesem albernen Theater ein Ende zu setzten.

„Ich warte nur auf deine Antwort“, meinte der Mann und machte eine einladende Handbewegung. Markus hatte eine andere Reaktion erhofft, doch da war nichts zu machen. Irgendwann würde er diesem Kerl schon noch in seine Schranken weisen und seinem perfektes und seriöses Auftreten einen Riss verpassen.

„Gut. Ich bin dabei.“, antwortete Markus sachlich.

Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht seines Gegenübers aus.

„Allerdings würde ich gerne mit dem Chef persönlich sprechen. Nur um alle Einzelheiten abzuklären. Bei solcher Art von Geschäften sollte man lieber auf Nummer sicher gehen“, fügte Markus hinzu und glaubte zu sehen, wie kurz das rechte Augenlid des Vampirs zuckte. Offensichtlich hatte Markus einen Nerv getroffen. Es war eine innerliche Genugtuung für ihn.

„Es freut mich sehr, das zu hören. Mein Name ist Will“, stellte der Mann sich endlich vor und streckte Markus freudig die Hand entgegen.

Der Gedanken diesem Wicht auch noch die Hand zu schütteln, raubte Markus den letzten Nerv. Dennoch ergriff er die ihm dargebotene Hand und schüttelte sie mit kräftigem Händedruck. Er würde erst einmal die Gemeinschaft genauer unter die Lupe nehmen und sich dann den Platz aneignen, der ihm zustand.

Schließlich war er nicht irgendjemand.

 

Alle hatten sich mit der neuen Arbeitseinteilung einverstanden erklärt. Es war jedem einzelnen der Krieger anzusehen gewesen, dass sie die Nachricht von einer möglichen Spur erfreute.

Sogar bei Tom war ein leichtes Aufleuchten in seinen sonst reglosen grauen Augen zu sehen gewesen. Ob er es zugeben wollte oder nicht, selbst ihm lag etwas an dieser jungen Frau.

In die erste Nacht waren Van und Rick für die Überwachung des SHADOWs zuständig. Rick hatte darauf bestanden, dabei zu sein, als Van sich noch einmal mit ihm unterhalten hatte. Gegen diese Entschlossenheit war kein Kraut gewachsen.

Nach ihren Streitigkeiten wollte Van nicht für noch mehr Uneinigkeit innerhalb ihrer Reihen sorgen. Rick gab ihn nach wie vor die Schuld an Laylas Verschwinden. Die Spannungen zwischen dem blonden Krieger und ihm wollte Van beiseiteschaffen und dies hier konnte ein erster Schritt dazu sein.

Die restlichen Krieger waren wie immer auf Patrouille, um die Straßen nach Süchtigen abzusuchen und die Stadt so sicher wie möglich zu halten. Sollten Van und Rick etwas entdecken, wären die anderen dann in der Lage, so schnell wie möglich zum Club zu kommen.

„Ich war mir letzte Nacht wirklich sicher gewesen, sie gesehen zu haben. Zwar nicht richtig, sondern eher im Augenwinkel. Trotzdem, so sehr kann ich mich doch gar nicht geirrt haben“, meint Rick und kippt seinen Drink runter. Indem er das Glas hochhielt, signalisiert er der Kellnerin, ihm noch einen zu bringen.

„Das werden wir sehen. Andre hatte nach dir noch ein weiteres Mal die Aufzeichnungen geprüft, aber auch er war nicht in der Lage gewesen eine hundertprozentige Antwort zu geben. Wir behalten die Leute hier im Auge. Wenn es wirklich Layla gewesen ist, wird sie früher oder später wieder hierherkommen“, meinte Van.

„Und da bist du dir sicher?“, fragte Rick skeptisch und wandte zum ersten Mal, seit ihrer Ankunft, den Blick von der Tanzfläche ab.

„Tja, schließlich haben wir sie damals hier gefunden. Aber sicher kann man sich nie sein.“, antwortete Van und zuckte mit den Schultern. Darauf stießen die Männer mit ihren Gläsern an, nahmen einen großen Schluck und richteten anschließend wieder ihren Blick auf die wild tanzende Menschenmenge.

Immer wieder durchquerten die beiden den Club oder betraten die Tanzfläche, jedoch mit nur wenig Erfolg.

Statt Layla zu entdecken, fanden sie stattdessen andere junge Vampire, die sich unter die Menschen gemischt hatten. Und zur großen Verärgerung der beiden Krieger auch vereinzelt einen Blutsüchtigen.

Sie mussten handeln, bevor es zu einem Überfall auf einen der Besucher kam. Mit einem Handzeichen bedeutete Van Rick, dass dieser die andere Seite nehmen sollte. Es musste ihnen irgendwie gelingen diese Bestien in die Nähe des Notausgangs oder des Hinterausgangs zu treiben. Von dort aus konnten sie diese mit wenig Aufwand aus dem Club schaffen.

Was danach mit ihnen geschah, musste vor den Augen der Unbeteiligten verborgen bleiben. Die Krieger durften es nicht riskieren, dass die Existenz von Vampiren ans Licht kam.

Vorsichtig, mit bedachten Schritten, um so lange unbemerkt zu bleiben wie es möglich war, kämpften sich die beiden Männer einen Weg durch den Club. Sie trieben die zwei Süchtigen, die Van und Rick unter den Clubbesuchern entdeckt hatten, immer weiter zusammen und in die Nähe des Notausgangs. Bisher waren die Krieger noch nicht erkannt worden.

Doch Plötzlich blickten diese Viecher auf.

Die Krieger waren entdeckt worden. Jetzt blieb Rick und Van nicht mehr viel Zeit. Sie mussten schnell handeln, bevor es zu einem Blutbad kam.

Im Augenwinkel nahm Van eine flüchtige Bewegung war und drehte den Kopf in die Richtung, in der er glaubte, sie aufgeschnappt zu haben. Er sah nur noch blondes Haar in der Luft wehen. Nicht die Person dazu, doch Van war sich sicher, wer es war. Sie bewegte sich in die gleiche Richtung wie Rick und er.

Die Süchtigen flüchteten durch den Notausgang. Bevor die schwere Stahltür ins Schloss fiel, glaubte Van, eine weitere Person durch den dünnen Spalt schlüpfen gesehen zu haben.

„Hast du das auch gerade gesehen?“, fragte Rick, als er die Tür erreichte.

„Ja. Beeilen wir uns. Und wenn es nur dazu dient diesen Viechern den Garaus zu machen“, knurrte Van und stieß die Tür auf.

 

 

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.12.2019

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