Kapitel 1
Es war eine ganz normale Nacht, wie jede andere auch. Layla machte sich gerade auf den Weg zur Arbeit. Mit Helm, Lederjacke und Handschuhen bewaffnet, schwang sie sich auf ihr Motorrad und stürzte sich in den abendlichen Verkehr von Berlin. Layla kannte die Stadt wie ihre Westentasche. Kleinste Gassen, aber auch die großen Hauptstraßen, die einmal durch die ganze Stadt führen, fuhr sie in einer Woche mehrere Male ab.
Sie liebte es mit dem Motorrad durch die Nacht zu fahren und den Wind am ganzen Körper zu spüren, wie er versuchte, sie wegzudrängen. Es gab ihr ein Gefühl von Freiheit, das ihr keiner nehmen konnte.
Laylas Ziel war der angesagte Nachtclub SHADOW. Sie arbeitete jeden Abend und meistens auch die Nächte durch in dem Club. Ihre Aufgabe war es, die Leute zu animieren und zum Tanzen zu bringen. Ihre eigenen Tanzeinlagen waren legendär und wenn man den Aussagen ihres Chefs glauben konnte, kamen viele der Gäste nur, um sie tanzen zu sehen.
Das Tanzen war ihre Leidenschaft und seit knapp einem Jahr verdiente sie ihren Lebensunterhalt damit. Das Gehalt war gut und manchmal gab es auch noch Bonuszahlungen, von denen die anderen aber nichts wissen durften.
Das Motorrad parkte Layla in einer Sackgasse, in der sich der Hintereingang des SHADOW befand. Es war kurz vor neun Uhr. Das hieß, Layla hatte noch gut eine Stunde, um sich aufzuwärmen und für die Show fertig zu machen. Torsten, der Türsteher, öffnete die große Metalltür, als die junge Frau dagegen hämmerte. Auf dem Gesicht des bulligen Riesen erschien ein sanftes Lächeln.
„Du bist heute aber früh dran. Die anderen sind gerade noch mit dem Aufbau beschäftigt. Es wird also noch eine Weile dauern.“ Layla begrüßte Torsten mit einer Umarmung und einen gehauchten Kuss auf die Wange. Das war schon zum Ritual geworden. Wenn der Türsteher seinen Kuss nicht bekam, war es kaum möglich in den Club zu kommen. Trotz seiner riesenhaften Gestalt war er im inneren ein guter Kerl. Er und Layla machten gern ihre Späße und beurteilten die Besucher des Clubs.
„Dann bin ich ja genau richtig angekommen. Bin ja mal gespannt, was sie sich für heute Abend haben einfallen lassen.“, grinste Layla, legte Helm und Lederjacke auf dem Stuhl vor ihrem Schminktisch ab und ging in den Hauptraum. Ihre Sachen konnte sie später noch in ihren Spind packen.
„Guten Abend Leute! Auf was darf ich mich denn heute freuen?“ Von allen Seiten des Clubs kamen Begrüßungen. Der Chef und Besitzer des Clubs, Bill, stand im hinteren Teil des Raumes und beaufsichtigte den Aufbau der Bühne.
„Ah Layla, schön, dass du schon da bist. Schau dir das an. Das wird die Bühne für heute. Dein Arbeitsplatz, um genau zu sein.“ Ohne das Licht und die ganzen sich bewegenden Leute sah es ziemlich leer und unspektakulär aus. In etwa einer Stunde würde sich dies aber ändern.
Bill erklärte, nachdem auch die anderen Tänzerinnen eingetroffen waren, den genauen Ablauf des Abends. Jede bekam ihren Platz zugewiesen, wann sie Pause hatten und wann die Kostüme gewechselt werden mussten.
Jede der Tänzerinnen hatte ihren eigenen Tanzstil, dennoch legte Bill großen Wert darauf, dass die Mädels einheitlich gekleidet waren. Jede etwas anders, aber dennoch immer mit Gemeinsamkeiten. Sei es nun die Farbe, das Muster, oder der Schnitt.
Möglicherweise wollte er damit den Gemeinschaftssinn unter den Mädels fördern. Ganz sicher war sich Layla dabei nicht, aber sie verstanden sich alle auch so gut miteinander. Natürlich gab es immer hier und da ein paar Diskussionen, doch dies war in der Branche ganz normal. Jede musste daran denken, wie sie über die Runden kam.
Nachdem die Eröffnungsrede für beendet erklärt wurde, verstaute Layla ihre Motorradausstattung in ihrem Spind und ging anschließend in die Garderobe, wo sich die Mädels für ihre Auftritte fertig machten.
Das Schminken übernahm Layla immer schon zu Hause. Es war ihr einfach zu stressig sich hier mit den fünf anderen Tänzerinnen vor den Spiegel zu drängen, nur damit das Make-up richtig saß.
Jetzt fehlte nur noch das Outfit. Schnell schlüpfte Layla in ihre grünen Hotpants. Dazu gehörte ein bauchfreies, schwarzes Oberteil mit langen Ärmeln. Darunter trug sie noch ein passendes grünes Bikini-Oberteil und Netzstrumpfhosen. Stiefel an, Ohrringen in die Ohren und fertig war sie für die Bühne.
Bis der Club öffnete dauerte es noch knapp zehn Minuten, also setzte sich Layla an die Bar und bestellte sich eine Cola. Später würde sie nicht mehr viel Zeit haben, um in Ruhe etwas zu trinken. Sobald die Türen des Club öffneten, hieß es für jeden Angestellten: schnell, schnell, schnell.
„Der Laden wird heute wieder brechend voll werden. Bill hat gerade gesagt, dass jetzt schon eine riesige Schlange vor dem Eingang steht und wartet“, erzählte der Barkeeper und schenkte Laylas Getränk ein. „Je voller der Club ist, desto besser ist die Stimmung.“, meinte Layla und nippte an ihrer Cola.
„Wenn du auf die Bühne gehst, ist egal, wie voll der Club ist. Die Leute flippen so oder so aus.“
Layla bemerkte, dass sie ihre Haare immer noch zusammengebunden hatte. Beim Motorradfahren war es einfach praktischer die Haare zum Zopf zu binden. Schnell löste sie den Haargummi und fuhr sich mit den Fingern noch einmal durch ihre langen, blonden Haare. Sie wellten sich immer leicht, sodass es egal war, wie Layla ihre Haare trug.
„Ich glaub jetzt geht’s los. Ach übrigens, dein Outfit passt super zu deinen Augen.“ Layla nahm ihre Cola und verschwand nach hinten. Der Barkeeper hatte Recht, das Grün des Kostüms passte super zu ihren smaragdgrünen Augen. Diese hatte sie dunkel geschminkt, wie sie es eigentlich immer tat. Schwarz passte einfach zu allem, egal was sie trug.
Bevor es richtig losging, kam Bill noch einmal in die Garderobe und sagte ein paar aufmunternde Worte.
„So Mädels. Der Club ist jetzt schon brechend voll. Zeigt den Leuten, dass sie nicht umsonst ins SHADOW gekommen sind. Schwingt die Hüften und rockt das Haus!“ Die jungen Frauen bildeten einen Kreis legten die Hände aufeinander und schrien ganz laut „SHADOW!“
Jetzt musste Layla alles geben, schließlich war dies hier ihr Job und kein reines Vergnügen. Die Musik dröhnte und der Boden bebte. Sich schnell bewegende Körper und wippende Köpfe waren alles was Layla wahrnahm, als sie sich ihren Weg zur Bühne kämpfte. Sie drängelte und quetschte sich an Leuten vorbei, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen.
Endlich hatte sie ihren Platz auf der Bühne erreicht. Kaum betraten Layla und zwei weitere Mädels die Bühne drehten sich alle Köpfe in ihre Richtung. Ihnen gebührte die ungeteilte Aufmerksamkeit der Besucher. Ein neuer Song setzte ein und die Show begann.
Von jetzt an vergaß Layla alles um sich herum. Die Musik zog sie in ihren Bann. Ohne darauf zu achten, was um sie herum geschah, bewegte sich die junge Frau zum Takt der Musik und lieferte ihre Show ab.
Zwischendurch versuchten immer wieder Männer auf die Bühne zu klettern, wovon Layla nichts bemerkte. Der Weg wurde den übermütig werdenden Männern und teilweise auch Frauen von den Security versperrt. Es war zum Schutz aller nicht erlaub, dass Gäste auf den Bühnen tanzten. So blieben Layla und die anderen Tänzerinnen von aufdringlichen Kerlen verschont und das Risiko, dass ein Gast betrunken von der Bühne fiel und sich verletzte, gleich null.
Nach zwei Stunden, die wie im Flug vergangen waren, hatte Layla ihre erste Pause. Sie brauchte dringend etwas zu trinken. Allerdings war der Weg zurück in die Garderobe eine Art Hindernislauf. Die Gäste tanzten ausgelassen und amüsierten sich. Dabei dachten sie auch nicht daran, einmal Platz zu machen, wenn die Kellner oder jetzt Layla durch sie hindurch wollten.
Also hieß es, sich klein machen und jede Lücke nutzen, die sich in den Menschenmassen bildete. Nur noch wenige Schritte trennten sie von der Tür zum hinteren Teil des Clubs, der dem Personal vorbehalten war, da fiel Laylas Blick auf den Tisch direkt neben den Zugang zu den Hinterräumen des SHADOW.
Dort saßen drei Kerle, die aussahen wie Schränke. Sie saßen zwar, aber dennoch konnte man nicht übersehen, wie groß sie waren. Einer von ihnen hatte die Beine lang ausgestreckt, sodass sie unter dem Tisch hervor lugten. Die mussten mindestens ein Meter neunzig sein, wenn sich Layla nicht verschätze. Viel von ihnen konnte sie im flackernden Licht jedoch nicht erkennen.
Layla glaubte sie schon öfters im Club gesehen zu haben. Sie saßen immer am gleichen Tisch. Viel Beachtung schenkte Layla diesen drei Typen aber nicht. Sie wollte nur noch nach hinten zu ihrer Wasserflasche. Man sah ziemlich oft verrückte Gestalten im Club und diese Männer gehörten definitiv dazu.
Sie saßen einfach nur da. Hatten jeweils einen Drink vor sich stehen und beobachteten die Tanzfläche. Wirklich viel Spaß, von dem blonden mit dem strahlenden Lächeln einmal abgesehen, schienen die drei nicht zu haben. Zum Tanzen kamen sie auf jeden Fall nicht hier her.
Doch noch auffälliger waren ihre Kleider. Alle trugen Schwarz, schwere Schuhe und Lederjacken, soweit Layla das erkennen konnte. Die mussten sich doch zu Tode schwitzen, dachte Layla. Ihr lief jedenfalls der Schweiß den Rücken runter, trotz des knappen Outfits.
Layla drückte die Tür zu den hinteren Räumen auf und zu ihrer großen Freude erwartete sie Torsten schon und hielt ihr eine große Flasche Wasser entgegen. Nach einem Mal ansetzten war diese nur noch halbvoll.
„Wie läuft´s bis jetzt?“, fragte der Türsteher, bevor auch er zurück auf seinen Posten musste. „Recht gut. Die Stimmung ist gut und die Tanzfläche voll. Und es laufen die üblichen komischen Gestalten herum.“, scherzte Layla und griff sich eines der Handtücher, um sich den Schweiß wegzuwischen. Ein schneller Kontrollblick in den Spiegel sagte ihr, dass ihr Make-up noch saß.
Viel Zeit zum Luftholen blieb ihr nicht. Die Kleider klebten an ihrem Körper und ihr Herzschlag ging von der Anstrengung um einiges schneller als normal.
Der Abend war wie immer, und dennoch war irgendwas anders als sonst. Nur was es war, konnte Layla nicht sagen. Sie hatte einfach nur so ein Gefühl, das etwas anders war als sonst. Natürlich konnte sie sich auch täuschen und bildete sich das alles nur ein. Bisher hatte sich ihr Bauchgefühl aber immer bestätigt.
Layla nahm einen letzten Schluck aus ihrer Wasserflasche und machte sich dann auf den Weg zurück zur Bühne. Auf in die zweite Runde. Das würde noch eine lange Nacht werden, da war sie sich sicher.
Je später es wurde, desto voller wurde der Club. Layla konnte nicht sagen, wie spät es war. Ihr Zeitgefühl hatte sie schon vor Stunden verloren. Sie tanzte bereits ihre dritte Stunde der vierten Runde und spürte allmählich, wie sich die Erschöpfung in ihrem Körper ausbreitete.
Bei den anderen Tänzerinnen sah es nicht anders aus. Layla warf einen Blick auf die drei Mädels auf den Tabledancetischen, die im Club verteilt waren und auf denen jeweils eine tanzen konnte. Mit einem Zeichen machte Layla ihnen deutlich, dass nach dem Song, der gerade angespielt wurde erst einmal Pause sein würde.
Sie war es gewohnt zwei Stunden am Stück zu tanzen, aber irgendwann waren auch ihre Kraftreserven aufgebracht. Die Menschen waren sowieso in Fahrt, sodass es gar nicht auffiel, wenn die Tänzerinnen, mal eine längere Pause machten.
Bill folgte ihnen in die Gardarobe. „Wieso seid ihr von der Bühne gegangen? Gerade jetzt ist die Stimmung da draußen am brennen.“, fragte der Besitzer des SHADOW.
„Bill, wir sind fertig und brauchen eine Pause. Außerdem ist es gleich vier Uhr. Meinst du nicht, es ist langsam an der Zeit für Feierabend? Schau dir die Mädels an. Wir können nicht mehr.“, ergriff Layla das Wort, denn sie wusste, dass sich die anderen nicht trauten, etwas gegen Bill zu sagen.
In Bills Gesicht war deutlich zu sehen, was er von der Sache hielt. Begeistert war er nicht, aber er gab dann doch nach. Layla war meist die einzige, die ihrem Chef Konter gab. Sie hatte sich einmal geschworen, sich niemals dem Willen anderer aufzwingen zu lassen und daran hielt sich Layla eisern.
„Gut, Schluss für heute. Zieht euch um und dann macht, dass ihr nach Hause kommt. Morgen müsst ihr wieder fit sein und dann dulde ich keine unplanmäßigen Änderungen. Wenn ihr eure Shows nicht durchhaltet, müsst ihr mehr trainieren und eure Kondition stärken. Das hier ist ein hammerhartes Business und es stehen ein Haufen Mädchen vor der Tür, um euren Job zu übernehmen.“
Die Drohung war angekommen und würde dafür sorgen, dass sich die anderen Tänzerinnen in Zukunft noch weniger trauen würden, etwas zu sagen. Layla konnte besser mit so etwas umgehen und ließ sich auch nicht den Mund verbieten.
Sie war gut, sehr gut sogar, sodass sich Bill nicht trauen würde ihr zu kündigen. Dazu war er viel zu sehr Geschäftsmann, um zu wissen, dass man seine beste Tänzerin nicht rausschmiss.
Layla schlüpfte in ihre Jeans und zog sich ein T-Shirt an. Aus ihren Spind holte sie ihre Lederjacke und den Helm.
„Danke Layla. Zum Glück hast du immer so eine große Klappe.“
„Bill kann ihr doch eh nie etwas abschlagen.“, bedankten sich die Tänzerinnen und verschwanden eine nach der anderen durch den Hintereingang aus dem Club.
Auch Layla machte Anstalten zu gehen. Sie zog ihre Handschuhe an und klemmte sich ihren Helm unter den Arm. „War ein guter Abend, oder?“, fragte Torsten, der an der Tür stand und wartete, um Layla herauszulassen.
„Ja, war ein gelungener Abend. Trotzdem höre ich schon wie mein Bett nach mir ruft, also will ich es nicht länger warten lassen.“
„Na dann fahr schön vorsichtig und wir sehen uns morgen.“
„Ich fahr doch immer vorsichtig.“, damit verabschiedete sie sich und ging zu ihrem Motorrad, das immer noch an seinem Platz stand. Es war kaum möglich einen Blick in die Sackgasse zu werfen, aber Layla war jedes Mal aufs Neue froh darüber, wenn ihr Motorrad immer noch dort stand, wo sie es abgestellt hatte. Es war ihr wertvollster Besitz. Sie würde es nur überaus ungern verlieren.
Gerade als sie ihrem Helm aufsetzten wollte, hörte sie ein Scharren hinter sich. Ihr blieb keine Zeit mehr, sich umzudrehen, da spürte sie bereits einen heftigen Schlag auf ihrem Rücken, gefolgt von einem stechenden Schmerz. Sie fiel mit dem Gesicht voran über ihr Motorrad hinweg auf den Asphalt.
Die Lederjacke rutschte ihr von den Schultern. Sie war quer über den Rücken aufgeschlitzt und auch das Tshirt schien nur noch mit Müh und Not an seinem Platz zu bleiben. Die kühle Luft wehte über Laylas freigelegte Haut. Aber wie war das möglich?
Layla warf einen Blick nach hinter und schaute in ein Paar glühend rote Augen. Sie glaubte nicht, was sie da sah. Die Hand des Angreifers schnappte blitzschnell nach ihr. Nur mit einem schnellen Sprung zur Seite gelang es der jungen Frau, dem Griff zu entkommen.
Erst jetzt erkannte sie, dass noch weitere Männer in der Gasse standen. Alle mit den gleichen beängstigend roten Augen, die auf sie gerichtet waren. „Was wollt ihr von mir? Verschwindet, bevor ich um Hilfe schreie!“, warnte Layla ihre Angreifer.
In der Hand hielt sie noch immer ihren Helm. Er war zwar keine richtige Waffe, aber immerhin besser als gar nichts. „Du riechst gut. Da läuft einem ja gleich das Wasser im Mund zusammen.“, antwortete einer. Es hörte sich mehr nach einem Knurren, als nach klaren Worten an.
Von einer Sekunde auf die andere stand der Fremde direkt vor Layla, griff sich ihr Handgelenk und biss zu. Ein hoher, entsetzter Schrei entfuhr Layla. Wie in Trance hob sie den Arm mit dem Helm und schlug auf den Angreifer ein.
Sie wusste nicht wie oft sie zuschlug, doch irgendwann war ihr Handgelenk wieder frei und Layla sackte erschöpft in sich zusammen. Dabei rutschte sie an einer der Hauswände hinab, die die Gasse hinter dem Club bildeten und sank zu Boden.
„Lasst gefälligst die Finger von ihr, ihr Dreckskerle!“ Layla nahm kaum noch etwas von dem Geschehen um sich herum war. Sie hörte nur auf einmal eine, ihr vollkommen fremde, Stimme, die viel klarer sprach, als ihre Angreifer.
Jemand musste in die Gasse getreten sein und gesehen haben, was hier vor sich ging. Zwei leuchtend blaue Punkte zogen Laylas Blick auf sich. Doch dann verschwamm ihre Sicht immer mehr und Layla spürte wie sie das Bewusstsein verlor, während sie zur Seite kippte und mit der linken Gesichtshälfte auf dem Asphalt landete.
Van und seine Kameraden hatten gerade den Club verlassen, als sie den Schrei hörten. Sie waren sofort in die Richtung gerannt, aus der der Schrei gekommen war. Dort bot sich ihnen ein Bild des Grauens, das sie jede Nacht aufs Neue mit ansehen mussten.
Fünf riesige, kräftige Kerle mit leuchtend roten Augen standen dort. Und hinter ihnen an der Wand liegend, eine junge Frau. Der Geruch von Blut war noch frisch, was hieß, dass sie gerade noch rechtzeitig gekommen waren.
„Ihr lernt es einfach nicht. Wie oft muss man euch Idioten noch sagen, dass ihr keine Menschen auf der Straße anfallen sollt?“ Vans zwei Begleiter begannen zu lachen und nahmen Kampfposition ein. Ihren Gegnern tropfte Speichel aus den Mündern und das Glühen ihrer Augen wurde noch intensiver.
Ein gezielter Griff an seinen Gürtel und Van hatte einen Dolch in der Hand, den er auf einen der Angreifer warf. Er traf ihn direkt zwischen die wahnsinnig drein blickenden Augen. Nun griffen auch die anderen an. Es war Vans Aufgabe, Missgeburten wie diese hier zu vernichten. Er war ein Profi und brauchte nur wenige Sekunden, um sie aus dem Weg zu räumen.
„Wenn du mich fragst, war das viel zu leicht. Sie hätten sich ruhig etwas mehr anstrengen können.“, murrte Rick und wischte das Blut seiner Gegner an seinem Jackenärmel ab.
„Es hätten ruhig ein paar mehr sein können. Die ganze Nacht über war schon nichts los gewesen.“
„Jetzt hör auf zu meckern. Du hättest heute Nacht auch gar keinem über den Weg laufen können, so wie du die Frauen auf der Tanzfläche beobachtet hast. Am liebsten hättest du ihnen doch schon mit deinen Blicken die Kleider vom Leib gerissen.“, meinte Andre.
„Da hast du auch wieder Recht“, grinste Rick schelmisch.
„Außerdem sollte das heute eigentlich ein entspannter Abend werden, fern ab von dem ganzen Ärger und Dreck, der in der Stadt unterwegs ist. Wir waren nicht hier, um ihresgleichen zu finden.“
Van hielt sich aus der Unterhaltung der beiden heraus. Die junge Frau, die das Opfer dieser Dreckskerle geworden war, lag immer noch bewusstlos auf der Straße. Ihr Handgelenk war aufgerissen und es floss immer noch leicht Blut daraus.
Doch etwas ganz anderes erregte seine Aufmerksamkeit. Durch das zerrissene T-Shirt hindurch konnte er ihren Rücken sehen. Dieser war von Narben übersät.
Dünne, feine Linien zogen sich über die gesamte Fläche. Aber bei genauerer Betrachtung waren es keine normalen Narben, die von einer Verbrennung stammen könnten. Nein, für seine Art war diese Art von Narben von großer Bedeutung.
„Hey Jungs, kommt mal her und schaut euch das an.“
„Was ist denn Van? Gefällt dir die Kleine oder was?“
Van ging nicht weiter auf die Bemerkung von Rick ein. Andre war da schon viel aufmerksamer. „Ihr Rücken. Aber das kann doch nicht sein. Nicht in diesem Ausmaß.“
„Wir sollten lieber kein Risiko eingehen. Wenn wir uns täuschen, wird sie auch nichts davon erfahren, doch falls meine Vermutung richtig ist, können wir sie hier nicht einfach liegen lassen.“
Zunächst verband Andre das verletzte Handgelenk der Kleinen. Der Geruch von frischem Blut ging auch an den drei Männern nicht spurlos vorbei, sondern hüllte sie verführerisch ein. Anschließend hob Van sie vorsichtig hoch. Sie zeigte keinerlei Regung.
„Wir nehmen sie mit und lassen sie untersuchen. Rick, hol den Wagen und halte direkt vor der Einfahrt zur Gasse. Ich will nicht, dass jemand etwas bemerkt oder uns sieht.“
Der Atem der jungen Frau ging regelmäßig und auch ihr Puls wurde wieder stärker. Es würde nicht mehr lange dauern bis sie wieder zu sich kam. Bis dahin mussten sie jeden Zweifel ausgeschlossen haben.
Das Quietschen von Reifen signalisierte Van und Andre, dass der Wagen am Ende der Gasse auf sie wartete. Mit schnellen Schritten traten sie aus der schmalen Straße und stiegen in den schwarzen Range Rover. Van nahm auf den Rücksitzen Platz. Er behielt das Mädchen in seinen Armen und machte es ihr so bequem wie möglich.
Rick fuhr ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer und Verkehrsschilder. Das musste man ihm lassen, wenn man schnell von A nach B kommen wollte, war Rick der beste Mann dafür. Zwanzig Minuten später kamen die drei Männer mit ihrem Gast im Hauptquartier an. Van ging auf direktem Wege zu seinem Zimmer.
„Ruf den Arzt an“, wies Van Andre an, während er mit der jungen Frau auf den Armen sein Zimmer betrat. Der Doc sollte sich lieber beeilen, denn sie hatten nicht mehr viel Zeit.
In seinem Zimmer angekommen, legte Van die junge Frau vorsichtig auf sein Bett. Ihre Kleider waren ruiniert und nur noch Fetzen. Ihr musste kalt sein, also warf er eine Decke über sie. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, strich der große Mann eine der blonden Strähnen aus ihrem Gesicht zurück. So über sie gebeugt konnte Van einen genauen Blick auf ihr Gesicht werfen. Dabei hatte er sofort das ungewohnte Gefühl von Vertrautheit.
Kapitel 2
Die Verletzung am Handgelenk der jungen Frau schien immer noch leicht zu bluten. Der provisorische Verband, den Andre angelegt hatte, verfärbte sich allmählich rot. Der Geruch von frischem Blut breitete sich in Vans ganzem Zimmer aus.
In dem sonst metallischen Geruch von menschlichem Blut mischte sich eine weiter, um einiges feinere, Note. Es duftete nach Meer und Salzwasser, was Van an die Weiten des Ozeans erinnerte. Van hatte schon sehr lange Zeit nicht mehr das Meer gesehen, aber die Erinnerung daran kam zurück, als ihm der vertrautet Geruch in die Nase stieg.
Das Warten auf den Arzt machte ihn nervös. Er hätte schon vor einer Ewigkeit hier sein sollen. Ob Andre ihn überhaupt erreicht hatte? Van war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, die junge Frau in Sicherheit zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie es so angenehm wie möglich hatte. Nur deswegen hatte er die Aufgabe an Andre abgetreten, da dieser bei solchen Dingen um einiges zuverlässiger war als Rick.
Dennoch wurde Van immer unruhiger und ging in seinem Zimmer auf und ab. Den Blick hielt er dabei immer auf die junge Frau gerichtet. Es war ein ungewohnter Anblick, eine schlafende Frau in seinem Bett zu finden.
Endlich klopfte es an der Tür und Van öffnete augenblicklich. „Bitte verzeihen Sie die Verspätung. Ich hatte noch einen anderen Patienten, der versorgt werden musste.“, erklärte der Arzt und trat ans Bett. Andre und Rick traten ebenfalls ins Zimmer.
„Das hast du im Wagen liegen lassen.“, meinte Rick und reichte Van die zerrissene Lederjacke. Dieser durchsuchte die Jackentaschen auf der Suche nach etwas, womit sie die junge Frau identifizieren konnten.
In der linken Innentasche fand er ein Portemonnaie und das Handy. Das Portemonnaie war so gut wie leer. Nur ein paar Eurostücken und Zettel. Aber was für ihn von Bedeutung war, fand er, den Personalausweis und ihren Führerschein.
„Ihr Name ist Layla Kub. Und wenn man den Angaben hier Glauben schenken darf, wird sie im nächsten Monat neunzehn Jahre alt.“, erklärte Van und reichte den Ausweis an seine Kameraden weiter.
„Süße achtzehn Jahre. Also wenn du mich fragst, ist sie ein ziemlich heißer Feger für ihre jungen Jahre. Und sie tanzt wie eine Göttin.“
„Rick, das ist nun wirklich nicht der richtige Augenblick für solche Kommentare.“, wies Andre den Mann mit den kurzen, blonden Haaren zurecht. Van verkniff sich jede weitere Anmerkung über das Aussehen der Frau. Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Das war einfach typisch für Rick.
Der Arzt untersuchte Layla vorsichtig. Van ließ ihn keinen Moment aus den Augen. Die Verletzung an ihrem Handgelenk reinigte der Doc und verband sie danach sorgfältig. Doch was viel wichtiger war, waren diese Narben auf ihrem Rücken.
Wenn sie das waren, was Van vermutete, würde das ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen.
„So, die Blutung ist gestoppt und verarztet. Ich denke in wenigen Tagen wird die Wunde verheilt sein.“, meldete sich der Arzt zu Wort und war bereits dabei, seine Sachen zusammenzupacken.
„Dok, ich hätte da noch eine Frage. Sind Ihnen die Narben auf ihrem Rücken aufgefallen?“ Der Arzt schaute Van irritiert an. Sofort stellte er seine Tasche wieder ab und drehte Layla mit äußerster Vorsicht auf die Seite.
Die Augen des Arztes weiteten sich erstaunt. Er drehte die junge Frau noch weiter, bis sie auf dem Bauch lag, schob ihre langen, blonden Haare beiseite und untersuchte die Vernarbungen. Van trat näher an sein Bett, um zu sehen was der Arzt machte.
„Was halten Sie davon?“
„Das ist äußerst ungewöhnlich. So etwas habe ich noch nie bei einer Frau gesehen und vor allem noch bei niemanden in diesem Ausmaß.“
Sachte fuhr der Arzt mit den Fingerspitzen über die feinen Narben, um sie genauer zu untersuchen. Bei genauer Betrachtung des Rückens meinte Van, dass die Narben die Form von Flügeln hatten. „Denken Sie, es könnte sich auch um ganz normale Narben handeln, die bei einem Unfall oder einer Verbrennung entstanden sein könnten?“, fragte Van weiter.
Der Arzt schüttelte vehement den Kopf. „Nein, solche Narben sind kein Andenken an eine alte Verletzung. Sehen Sie selbst. Diese Feinheit und die Verschnörkelung sind einzigartig. Es besteht kein Zweifel.“ Das war alles, was Van hören wollte. Damit hatte er die Bestätigung. Layla war also wirklich eine von ihnen.
Nachdem der Arzt noch eine Blutprobe entnommen hatte, verabschiedete er sich. Die Blutprobe sollte Klarheit bringen. Es war ganz und gar ungewöhnlich, dass jemand seiner Art sich unter Menschen aufhielt. Besonders wenn man ihren Arbeitsplatz berücksichtigte. Es gab zu viele unbeantwortete Fragen und Van bezweifelte, dass Layla sie selbst alle beantworten konnte.
Rick führte den Arzt nach Beendigung seiner Untersuchungen zum Ausgang. „Was machen wir jetzt?“, fragte Andre. Er und Van standen beide am Bett und schauten hinab auf die Frau, die sich in der Decke zusammengerollt hatte.
„Wir werden es ihr sagen müssen. Wenn sie wieder zurück will, schwebt sie in Lebensgefahr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie heute Nacht ein Zufallsopfer war. Wer weiß, was die Kerle mit ihr anstellen wollten.“
„Wann willst du es ihr sagen?“, fragte Andre und schaute seinen Freund ernst an.
„So schnell wie möglich, denke ich. Am besten natürlich sofort, wenn sie wieder zu sich kommt. Das wird mit Sicherheit nicht einfach für sie zu verstehen sein.“
Van konnte deutlich am Gesichtsausdruck seines Freundes sehen, dass dieser nicht ganz einverstanden war, mit Vans Vorgehensweise. Andre sagte aber nichts und überließ die Entscheidung seinem Freund.
Die beiden Männer verließen gemeinsam das Zimmer. Die Nacht war noch nicht ganz vorbei und sie mussten die anderen darüber in Kenntnis setzten, was für eine Entdeckung sie gemacht hatten.
Layla fühlte sich schrecklich, als sie aufwachte. Ihr Körper schmerzte, als wäre sie von einem Auto angefahren worden. Es war finster um sie herum und ihre Augen gewöhnten sich nur sehr langsam am die vorherrschende Dunkelheit.
Nach und nach erkannte sie schwache Konturen von Möbeln. Doch das waren nicht die Möbel, die in ihrer Wohnung standen. Wo um alles in der Welt war sie? Layla fuhr sich mit der Hand über die Stirn, und schob ihre Haare zurück. Ein weißer Verband war an ihrem linken Handgelenk angebracht. Erinnerungsfetzen leuchteten auf. Sie war auf den Weg nach Hause gewesen und hatte gerade losfahren wollen, als jemand sie angegriffen hatte.
Was sie von ihr gewollt hatten, daran konnte sich Layla nicht mehr erinnern. Ihr fiel nur noch ein, dass sie angegriffen worden war und danach war alles unklar und verschwommen. Sie konnte sich an nichts weiter erinnern, als hätte sie einen Blackout.
Laylas gesunde Hand tastete nach einer Lampe oder einem Lichtschalter. Die Dunkelheit und, dass sie nicht wusste, wo sie sich befand, machten sie nervös. Plötzlich ging in einer Ecke des Raumes eine Lampe an. Der warme, gelbe Schein tauchte den Raum in ein Spiel aus Licht und Schatten.
„Du bist endlich zu dir gekommen?“
Die raue Stimme kam aus der dunkelsten Ecke des Zimmers. Dort stand ein Mann an der Wand gelehnt. Er war ihr vorher gar nicht aufgefallen, als Layla sich im Raum umgeschaut hatte. Er war riesig, mindestens ein Meter neunzig, wenn nicht sogar noch größer. Sein Gesicht verbarg er im Schatten, sodass Layla nichts weiter von ihm erkennen konnte.
„Wo bin ich hier?“
„In Sicherheit. Kannst du dich an irgendetwas erinnern, was dir passiert ist?“ Layla nickte nur. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte und wo sie sich befand, also hielt sie lieber den Mund. In solchen Fällen ging sie lieber auf Nummer sicher.
„Wir haben dich hierher gebracht, damit du dich von deinen Verletzungen erholen kannst. Als wir dich fanden, warst du bereits bewusstlos.“, erzählte der Mann weiter und trat aus dem Schatten hervor an das Bett.
Das erste was Layla an ihm auffiel, waren seine ungewöhnlichen Augen. Sie waren von so einem hellen grau, nein eher blau, dass, wenn die Iris nicht noch einen dünnen blauen Rand gehabt hätten, man sie nicht vom Rest des Auges hätte unterscheiden können. Sein Gesicht war kantig, mit markanten Wangenknochen und vollen Lippen. Das dunkle, kurz geschnittene Haar hatte er nach hinten gestrichen.
„Mein Name ist Van. Wie fühlst du dich Layla?“ Dass er sie bei ihrem Namen nannte, erschreckte sie. Was wusste er noch alles über sie? Hatte er sich vorher schon heimlich beobachtet oder nur ihren Personalausweis in ihrem Portemonnaie gefunden?
„Ich denke ganz gut. Ich bin noch etwas schlapp und hab das Gefühl von einem Auto überfahren worden zu sein, aber sonst geht’s mir gut.“ Auf dem Gesicht des Mannes erschien ein belustigtes Lächeln. „Ich kann dir versichern, du wurdest von keinem Auto angefahren. Wenn es dir aber ansonsten gut geht, muss ich dir jetzt etwas erklären.“
Layla verspürte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, als Van sich auf der Bettkante zu ihr setzte. Sein Gesichtsausdruck war ernst, zu ernst für diese Situation. War er möglicherweise ein Polizist? Aber dann müsste sie doch auf einer Polizeiwache sein und nicht in diesem Zimmer auf so einem luxuriösen Bett.
„Diese Narben auf deinem Rücken, weißt du, woher die stammen?“
„Nein, ich habe sie schon solange ich zurückdenken kann.“ Diese Frage hatte sich Layla schon oft genug selbst gestellt, aber niemand hatte ihr eine Antwort darauf gegeben. Um sich die fragenden Blicke von anderen zu ersparen, hatte sich Layla irgendwann angewöhnt, ihren Rücken so weit wie möglich bedeckt zu halten. Die ständigen Fragen danach, hatten sie genervt, besonders deswegen, da sie sie sich selbst nicht beantworten konnte.
„Nun, das sind keine gewöhnlichen Narben. Normalerweise kommen sie nicht in diesem Ausmaß und Form vor, sondern sind um einiges kleiner und kreisförmig. Diese Narben sind ein Zeichen, Layla.“ Was sollte das heißen, diese Narben seien ein Zeichen? Ein Zeichen wofür? Als Layla keine Reaktion zeigte, sprach Van im ruhigen Ton weiter.
„Die Narben sind ein Zeichen für Mitglieder einer bestimmten Art. Und davon tragen auch nur ein Bruchteil diese Narben.“
„Was meinen Sie mit einer Art? Wollen Sie mir sagen, ich gehöre zu irgendeiner Tierart oder so was?“, fragte Layla irritiert. Alles was der kräftige Mann von sich gab, ergab in Laylas Ohren überhaupt keinen Sinn.
Verunsichert zog Layla die Beine an und vergrub die Finger in der Bettdecke. Sie versuchte so viel Abstand wie möglich von Van zu bekommen, da ihr die ganze Sache immer suspekter wurde.
„Nein, nicht zu einer Tierart. Du gehörst du einer speziellen Art von Menschen. Mein Gott, wie sag ich das jetzt am besten?“, unterbrach Van seinen betont ruhigen Redefluss und strich sich mit der Hand durchs Haar.
„Wie wäre es, wenn Sie es einfach sagen und nicht viel drum herum reden?“, meinte Layla, die langsam unruhig wurde. Sie hatte keine Lust, sich irgendwelche Ammenmärchen erzählen zu lassen. Van schaute ihr einen Moment lang direkt in die Augen. Anscheinend wollte er sicher gehen, dass Layla die Wahrheit auch verkraftete, die er ihr versuchte zu sagen.
„Na gut. Du willst es auf die direkte Weise, dann bekommst du es auf die direkte Weise. Du gehörst zu der Kriegerklasse der Vampire.“
Layla glaubte erst nicht, was sie da hörte. Vampire, so etwas gibt es doch gar nicht. Ihre Stimmung wechselte von misstrauisch zu belustigt. Ob sie es wollte oder nicht, Layla fing hemmungslos an zu lachen.
„Sie machen Witze, nicht wahr? Das sind doch nur Geschichten, die sich die Menschen ausgedacht haben, um andere zu erschrecken. Vampire, das sind doch nur Hirngespinste. Ich glaube, Sie haben zu viele Horrorfilme gesehen.“, kicherte Layla und hielt sich den Bauch.
„Ich mach keine Witze. Das ist mein voller Ernst.“ Van schaute die junge Frau immer noch ernst an. Er schien vollkommen überzeugt von dem zu sein, was er da erzählte.
„Das Ganze ist wirklich eine sehr amüsante Geschichte, aber ich muss jetzt gehen. Meine Freunde machen sich sicher schon Sorgen um mich. Also noch einmal vielen Dank für Ihre Hilfe.“
Layla wollte sich nicht länger diesen Quatsch anhören, schlug die Decke zurück und hatte vor, aufzustehen. Doch Van hielt sie am Arm fest und drückte sie zurück aufs Bett. „So leid es mir tut, aber ich kann nicht zulassen, dass du gehst. Du bist ein Mitglied meiner Art, also wirst du auch hier bleiben.“
„Sie können mich hier nicht festhalten. Lassen Sie mich sofort los. Ich will weg von hier und zwar sofort!“
„Das kann ich leider nicht zulassen.“
Van ließ nicht zu, dass Layla von dem Bett aufstand und hielt sie mit festem Griff gefangen. Als Layla dieses Mal in seine Augen sah, waren sie von einem leuchtenden stahlblau. Er öffnete leicht seinen Mund, sodass die Spitzen von zwei scharfen Fängen zu sehen waren.
Layla glaubte nicht, was sie da sah. Ihr wurde erneut schwarz vor Augen. Anscheinend war sie doch noch nicht wieder so gut in Form, wie sie gedacht hatte, was sie Dinge sehen ließ, die es nicht geben konnte.
Die ganze Aufregung forderte ihren Tribut.
Kapitel 3
„Also, was habt ihr bis jetzt über sie herausgefunden?“, fragte Van, als er zu seinen Kameraden in den Versammlungsraum trat. Am Tisch saßen neben Rick und Andre noch drei weitere Männer. David, Paul und Tom schauten auf. „Habt ihr die anderen noch nicht auf den neuesten Stand gebracht?“
„Nein, wir dachten, wir warten so lange, bis du dabei bist. Könnte ja sein, dass du noch etwas Neues erfahren hast.“, antwortete Rick und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Van schüttelte leicht den Kopf und nahm ebenfalls auf einem der Stühle, die um einen großen Holztisch standen, Platz.
„Nun, ich wäre euch dreien echt dankbar, wenn ihr uns anderen endlich mal darüber aufklären würdet, was denn passiert ist. Es hört sich ja bis jetzt nach einem Problem an.“, meldete sich David zu Wort.
„Wollt ihr die kurze oder die lange Variante?“
„Ich denke, die kurze reicht für den Moment.“, antwortete Paul.
„Also, es gab heute Nacht wieder einen Angriff. Das Opfer war eine junge Frau namens Layla Kub. Zu unserer Überraschung stellte sich heraus, dass sie eine von uns ist. Und damit meine ich genau das, was ich sage.“
Van schaute bei dieser Bemerkung allen nacheinander direkt in die Augen, damit sie die Ausmaße dessen, was er ihnen gerade erzählte, verstanden.
„Aber es gab noch nie eine Frau, die das Zeichen des Kriegers trug. Das kann nur ein Irrtum sein.“
„Nein, leider ist es kein Irrtum. Der Arzt hat es bestätigt. Im Moment ist sie noch ein Mensch, aber es kann nicht mehr lange dauern, bis sie eine von uns wird. Das bedeutet natürlich auch, dass wir sie jetzt in unsere Obhut nehmen müssen. Es wäre unverantwortlich, sie wieder wegzuschicken. Nach dem derzeitigen Stand, hat sie keinerlei Kenntnis über ihre Herkunft und sträubt sich auch dagegen, diese zu akzeptieren“, erklärte Van weiter.
Er überlegte bereits die ganze Zeit fieberhaft, wie es nur möglich sein sollte, sie in ihre Gesellschaft einzubringen. Wie David schon sagte, hatte es noch nie eine Frau unter den Kriegern gegeben. Es würden wohl einige Schwierigkeiten auf sie alle zukommen.
„Weiß sie es bereits?“, fragte nun auch Tom, der bis jetzt alles schweigend mit angehört hatte.
„Ich habe sie darüber aufgeklärt und ihr gesagt, dass sie zu unserer Art gehört. Allerdings hat sie darüber nur gelacht und es für einen Scherz gehalten. Für weitere Erklärungen war leider keine Zeit, da sie wegen der Aufregung wieder das Bewusstsein verloren hat. In Moment ist sie oben untergebracht und erholt sich von ihren Verletzungen und dem Schock.“
„Das heißt also, wir müssen abwarten, wie sich die Sache entwickelt“, stellte Rick fest und verschränkte resigniert die Arme vor der Brust.
In dem Raum breitete sich ein Schweigen aus. Jeder von ihnen ging den Fall noch einmal für sich alleine durch. „Vielleicht sollte ich Judith zu ihr schicken. Ich denke eine Frau kann Layla die Umstände besser erklären, als wenn wir das tun. Außerdem weiß Judith, was noch alles auf die Kleine zukommt.“, schlug Andre vor.
Judith war seine Frau und die einzige weibliche Person, die mit den Kriegern unter einem Dach wohnte. Van war mehr als dankbar für den Vorschlag, denn er bezweifelte, dass Layla ihm noch ein weiteres Mal zuhören, geschweige denn ansatzweise glauben würde.
Layla ärgerte sich über sich selbst, als sie ein zweites Mal in einem großen, geräumigen Zimmer erwachte. Soweit sie es einschätzen konnte, war es nicht dasselbe Zimmer, indem sie zuletzt gewesen war. Im ersten Moment hatte sie gehofft, die ganze Geschichte von Vampiren und fremden Arten nur geträumt zu haben.
Doch nun war sie sich sicher, dass dies nicht der Fall war. Layla schaute sich um. Sie war allein. Die hämmernden Kopfschmerzen hatten etwas nachgelassen. Vorsichtig versuchte Layla aufzustehen. Sie musste hier weg, ohne dass es jemand bemerkte, besonders nicht der Kerl, mit dem sie gesprochen hatte.
Wenn sich Layla richtig erinnerte, war sein Name Van. Ziemlich ungewöhnlicher Name, wie sie fand. Er schien wirklich an den Unsinn zu glauben, den er ihr vorhin erzählt hatte und jedes Wort ernst zu meinen.
Als Layla aus dem Bett stieg, bemerkte sie, dass ihre Kleider völlig hinüber waren. Das T-Shirt war so gut wie gar nicht mehr vorhanden, sodass sie oben herum nur noch ihrem BH trug. Und auch ihre Jeans hatte schon bessere Tage gesehen. Überall waren Blutspritzer darauf verteilt. Sie brauchte dringend etwas anderes zum Anziehen, aber wo sollte sie das herbekommen?
Gerade auf der verzweifelten Suche nach ein paar frischen Sachen in der ihr völlig fremden Umgebung, klopfte es an der Tür. Laylas ganzer Körper spannte sich an. Sie blieb wie angewurzelt stehen und versuchte keinen Laut von sich zu geben, der verriet, dass sie wieder bei Bewusstsein war.
Wenn es Van war und er sah was sie vorhatte, wusste sie nicht, wie er darauf reagieren würde.
„Ah, wie ich sehe, komme ich genau richtig.“, erklang eine freundliche Frauenstimme. Im Türrahmen stand eine junge Frau. Layla schätzte sie auf dasselbe Alter, wie sie selbst. Vielleicht auch ein paar Jahre älter, aber viel konnte es nicht sein.
Die Haare fielen der Frau in großen, kastanienbraunen Wellen über die Schultern. Das herzförmige Gesicht strahlte einen Liebreiz aus, dem sich wohl kein Mensch entziehen konnte. „Van wollte, dass ich nach dir schaue und ein paar frische Kleider für dich parat lege. Mein Name ist Judith.“, erklärte die junge Frau und schloss die Tür hinter sich.
Layla wusste nicht, was sie sagen sollte. Mit so etwas hatte sie einfach nicht gerechnet.
„Layla. Mein Name ist Layla.“, stotterte sie stattdessen.
„Ich weiß. Andre hat mir alles von dir erzählt. Zumindest all das, was er in Moment weiß. Du musst wissen, Andre ist mein Mann. Aber das kann ich dir auch später alles erzählen. Jetzt holen wir dich erst einmal aus diesen Lumpen.“
Layla stand nach wie vor umgerührt in der Mitte des Raumes und hatte keine Ahnung von wem diese Frau da sprach. Judith war mehr als nur freundlich. Sie war herzlich, aufmerksam und verständnisvoll. Die junge Frau hatte mehrere Kleidungsstücke mitgebracht, damit sich Layla etwas Passendes aussuchen konnte.
„Du wohnst auch hier?“, erkundigte sich Layla, während sie in eine schwarze Jeans und ein cremefarbenes Oberteil schlüpfte.
„Ja, schon eine ganze Weile. Ich könnte auch woanders wohnen, aber ich möchte so oft und so viel Zeit wie möglich in der Nähe meines Mannes verbringen. Also war ich so mutig und bin bei all den Männern eingezogen. Du kannst mir glauben, richtig begeistert waren sie im ersten Moment nicht davon. Aber ich glaube, mittlerweile sind sie ganz froh, dass ich hier bin.“ Das hörte sich alles ganz normal an. Nichts erinnerte an irgendwelche Mythenwesen oder dergleichen.
„Du weist ja sicher, wie Männer sind“, kicherte Judith und warf sich ihr Haar über die Schulter.
„Weißt du was? Van wollte mich doch vorhin echt glauben lassen, dass ich ein Vampir bin und somit jetzt zu seiner Art gehöre.“ Das Wort Art setzt Layla in Anführungsstriche. Sie dachte, es wäre ein weiteres, kleines Detail gewesen, worüber die beiden Frauen lachen konnten, denn Judith machte einen vollkommen normalen Eindruck auf sie. Sicher war das Gespräch vom Van nur ein übler Scherz gewesen.
Doch Judith sah sie nur unverständlich an.
„Was findest du daran denn so komisch? Er hat die Wahrheit gesagt.“
„Ich bitte dich Judith, so etwas wie Vampire gibt es doch nicht.“, dabei blitzen wieder die Bilder auf, kurz bevor Layla das zweite Mal ihr Bewusstsein verloren hatte. „Doch, es gibt sie. Ich bin selber eine und in nächster Zeit wirst du auch eine richtige Vampirin werden.“
Jetzt fing Judith auch mit diesem Blödsinn an. Wenn Layla wirklich ein Vampir wäre, könnte sie doch nicht am helllichten Tage durch die Stadt spazieren.
„Ich kann kein Vampir sein, ich kann durch Sonnenlicht gehen und mir passiert nichts. Außerdem habe ich keine Fangzähne oder irgendetwas in der Art.“, argumentierte Layla hitzig und schritt quer durch das Zimmer.
„Du kannst im Moment noch das Sonnenlicht ertragen, weil du noch nicht erwacht bist. Für gewöhnlich geschieht dies nach der Pubertät, also zwischen dem siebzehnten und zwanzigsten Lebensjahr. Wenn du erwachst, erhältst du deine Kräfte, aber damit verlierst du auch das Leben bei Tageslicht.“, erklärte Judith. Sie sagte das alles mit voller Überzeugung.
„Judith, ich bitte dich. Das sind doch alles nur Ammenmärchen, über die der Autor von Dracula irgendwann ein Buch geschrieben hat. Es gibt keine Vampire. Also hör auf, mir solche Lügen aufzutischen.“
Waren in diesem Haus denn alle verrückt? So einen Schwachsinn wollte Layla sich nicht länger mit anhören. Sie wollte nur noch so schnell wie möglich weg von hier.
„Hab keine Angst“, versuchte Judith sie mit ihrer sanften Stimme zu beruhigen. „Du bist ja jetzt hier und wenn es soweit ist und du erwachst, bist du nicht allein. Es wird etwas schmerzhaft werden, aber danach fängt ein völlig neues Leben für dich an.“
„Ich will nichts mehr davon hören. Ich bin kein Vampir und es gibt auch keine Vampire. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich verbringe keine Minute länger hier in diesem Haus“, brauste Layla auf und ging zielsicher auf die Zimmertür zu.
Sie wollte nichts von dem glauben, was Judith, und zuvor Van, ihr versuchten klar zu machen. Ihr Verstand weigerte sich einfach, an solche Gruselgeschichten zu glauben.
„Layla?“, erklang Judiths Stimme direkt hinter ihr. „Schau mich bitte an.“
Vollkommen mit den Nerven am Ende, stieß Layla frustriert die Luft aus und drehte langsam ihr Gesicht zu Judith herum.
„Oh mein Gott!“, schrie Layla auf und schlug sich die Hand vor den Mund. Es war immer noch die gleiche junge Frau, die hinter Layla stand. Aber ihr Gesicht hatte sich verändert. Ihre warmen, braunen Augen leuchteten jetzt in einem stahlblau, wie es Layla noch nie zuvor gesehen hatte.
Aber Moment, sie hatte es doch schon einmal gesehen. Vorhin bei Van. Auch seine Augen hatten auf einmal so geleuchtet, doch dort hatte es Layla für eine Täuschung ihrer Sinne gehalten. Die Augen waren es aber nicht allein.
Judith hatte ihre vollen Lippen leicht geöffnet, so dass Layla die verlängerten Fangzähne sehen konnte. Die Angst sammelte sich in Laylas Bauch und brachte ihren gesamten Körper zum Zittern. Schrittchen für Schrittchen brachte Layla mehr Abstand zwischen sich und Judith.
„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, vor niemanden in diesem Haus“, ergriff Judith das Wort, und während sie sprach, nahm sie ihr normales Aussehen wieder an. „Ich kann mir vorstellen, dass es beängstigend auf dich wirken muss, mich so zu sehen, aber ich tu dir nichts.“ Ein liebevolles Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der jungen Frau aus.
„Glaubst du mir nun?“
Ob sie es wollte oder nicht, Layla blieb nach dieser Demonstration, wohl keine andere Wahl, als Judith zu glauben. „Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.“
Plötzlich begann Laylas Magen zu knurren. Die letzte Mahlzeit hatte sie zu sich genommen, bevor sie zur Arbeit gefahren war. Und das war schon ziemlich lange her. Wie lange überhaupt? Wie spät war es eigentlich?
Judiths Lächeln wurde noch breiter. „Komm mit mir runter in die Küche. Ich glaube, du kannst einen Happen gut vertragen. Das war letzte Nacht alles ein bisschen viel auf einmal.“
Judith kam auf Layla zu und reichte ihrer neuen Mitbewohnerin die Hand. Nur zögerlich und zurückhaltend ergriff Layla die ihr angebotene Hand. Gemeinsam verließen die zwei jungen Frauen das Zimmer und gingen eine große Treppen hinunter und dann in die Küche.
„Ich dachte, Vampire ernähren sich nur von Blut. Wozu braucht man dann so eine riesige Küche?“
„Es sind ja nicht nur Vampire hier zugegen. Ab und zu haben wir auch Gäste, wie dich jetzt, die noch normale Nahrung zu sich nehmen.“, erklärte Judith und machte sich daran, ein Sandwich zuzubereiten. „Außerdem haben auch wir ab und zu mal Lust auf feste Nahrung“, zwinkerte Judith und schien in ihrer Aufgabe, als Küchenfee und Aufklärerin für Unwissende vollkommen aufzugehen.
Wo war Layla hier nur hineingeraten?
Sie wollte zurück in ihre Wohnung, sich in ihr Bett verkriechen und das alles so schnell wie möglich vergessen. Das konnte doch nicht das Leben sein, welches für sie bestimmt war. Da ihr Hunger aber immer größer wurde, nahm Layla das Sandwich gerne an und biss herzhaft hinein. Für einen kleinen Imbiss musste noch Zeit sein, bevor sie sich überlegte, wie sie aus der ganze Sache möglichst schnell wieder herauskommen konnte.
Kapitel 4
Das Essen tat unglaublich gut. Sofort kehrten Laylas Kräfte zurück. Judith schälte in der Zwischenzeit noch einen Apfel und richtete die Scheiben appetitlich auf einem kleinen Teller an.
„Danke, das ist wirklich köstlich.“, meinte Layla und verspeiste den letzten Bissen. „Du kannst gerne noch mehr haben, wenn du willst. Du musst nur Bescheid sagen.“, antwortete Judith und strahlte über das ganze Gesicht.
Unter anderen Umständen hätte aus den zwei Frauen sicher gute Freundinnen werden können, doch im Moment war Layla noch vorsichtig und wollte kein Risiko eingehen.
Hinter ihnen öffnete sich die Küchentür und schwere Schritte bahnten sich einen Weg in die Küche. „Hallo, mein Schatz. Ich hab dich vermisst.“, ohne eine Antwort abzuwarten, nahm der Mann Judiths Gesicht in die Hände und küsste sie leidenschaftlich. Layla kam sich etwas fehl am Platz vor. Das Verhalten der zwei war ihr viel zu intim für einen Ort wie diesen.
„Ich hab dich auch vermisst.“, keuchte Judith, als sich die Lippen des Paares von einander lösten.
„Ach, darf ich dir Layla vorstellen? Layla, das ist mein Mann Andre.“ Andre nickte ihr freundlich zu. „Freut mich. Wir hatten leider noch nicht direkt die Möglichkeit uns kennen zu lernen. Als wir dich fanden, warst du bereits bewusstlos.“, erklärte der Mann weiter und reichte Layla die Hand. Er sah gut aus. Kurze, braune Haare, mandelförmige Augen und einen leichten Karamellteint. Eigentlich der typische Beachboy, nur dass er keine Badeshorts trug.
Andre wirkte sehr fein und kultiviert, intelligent, aber nicht eingebildet. „Ich muss mich wohl bei Ihnen bedanken. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, ohne Ihre Hilfe.“
„Da musst du dich nicht nur bei mir bedanken, sondern auch bei Rick und Van.“
Just in diesem Moment war ein zweites Mal das Öffnen der Tür zu hören. „So, ich denke, für heute sind wir fertig. Jeder hat seinen Bericht abgegeben und alle sind über den neusten Stand der Dinge informiert.“
Diese raue Stimme erkannte Layla sofort. Es war das erste gewesen, das sie gehört hatte, seit sie sich an diesem Ort wieder gefunden hatte. Sie wagte es gar nicht erst, sich umzudrehen. Was würde wohl in Vans Gesicht zu lesen sein?
„Wie es aussieht, hat sich wohl jemand von der letzten Nacht erholt.“ Van trat zu Judith, Layla und Andre und stütze sich neben Layla auf dem Tisch ab.
„Wie geht es dir?“
Layla sah immer noch nicht auf. „Gut“, war ihre kurze, knappe Antwort.
Insgeheim plante Layla immer noch ihre Flucht von hier und wollte so wenig Kontakt wie möglich zu den anderen Bewohnern haben. Außerdem empfand sie das Auftreten des Mannes alles andere als einladend. Er hatte etwas Gefährliches an sich, dem Layla lieber nicht weiter auf den Grund gehen wollte.
„Hast du ihr soweit alles erklärt?“, fragte der Mann weiter, dieses Mal an Judith gewandt.
„Ja, ich denke, das Wichtigste weiß sie jetzt. Natürlich ist das noch recht wenig, aber ich wollte ihr nicht gleich zu viel zumuten. Layla braucht jetzt noch ein bisschen Ruhe und dann ist sie morgen, zumindest körperlich, wieder auf den Beinen.“
Es wurde über sie gesprochen, als würde sie schon ein fester Bestandteil ihrer Gruppe sein. Als ob es feststand, dass sie hier bleiben würde. Doch Layla hatte nicht vor, das einfach so mit sich machen zu lassen.
„Sobald du wieder auf den Beinen bist, fangen wir mit dem Training an. Du wirst einfach in die bestehende Ausbildungsgruppe mit eintreten. Ich denke aber, wir werden es langsam mit dir angehen.“
Jetzt konnte Layla nicht weiter wegschauen.
„Bitte was? Was soll das heißen, wenn ich wieder fit bin, beginnt das Training? Ich habe nicht vor, hier zu bleiben und an irgendetwas teilzunehmen!“
Layla blickte direkt in Vans Augen. Sie waren es, die ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließen. Layla konnte sich gut vorstellen, das ein Blick, mit diesen ungewöhnlichen Augen, reichte, um dafür zu sorgen, dass er das bekam, was er wollte.
Er musste sie schon die ganze Zeit über angesehen haben, denn sie hatte keine Bewegung von ihm wahrgenommen. „Ich hab dir doch schon versucht zu erklären, dass du nicht mehr in dein altes Leben zurück kannst. Du solltest dich langsam an den Gedanken gewöhnen, denn du wirst hier bleiben“, erklärte Van mit fester Stimme, die keine Widerworte zuließ.
„Das wollen wir ja mal sehen. Du und auch kein anderer kann mich gegen meinen Willen hier festhalten. Oder bin ich eure Gefangene?“ Layla war auf die Beine gesprungen und musste nun zu Van aufschauen, da er sie um mindestens einen Kopf überragte. Aber seine Größe schüchterte Layla kein bisschen ein.
Im Moment war sie viel zu wütend und in solch einem Zustand vergaß sie jede Vorsicht. Van lächelte sie belustigt an. „Nein, eine Gefangene bist du nicht, aber das lässt sich recht schnell ändern.“ Er stachelte Laylas Wut nur noch mehr an.
„Versuchs doch.“
„Lieber nicht, ich will dir nicht wehtun.“
„Mach dir deswegen mal keine Gedanken. Ich halte so einiges aus, schließlich bin ich keine Porzellanpuppe.“
Van rührte sich keinen Millimeter, er schaute Layla einfach nur an. Dieses Feuer, das in ihren Augen brannte, zeigte deutlich ihren Kampfgeist. Normalerweise ließ sich Van nicht auf solche Spielchen ein, doch bei ihr konnte er nicht anders. Es reizte ihn, zu sehen, wie diese Frau reagierte.
Sie hatte Mut, das konnte man nicht abstreiten. In ihrer Wut hatte Layla sogar vergessen ihn weiter zu siezen, wie sie es vorher getan hatte. Offenbar ließ sie sich oft von ihren Gefühlen leiten. Sich gegenüber jemanden von seiner Statur so zu benehmen, trauten sich nur die wenigsten.
Genau dieser Mut und Kampfgeist waren es, was seine Krieger brauchten. Für den Augenblick war Layla noch ein Mensch, aber was würde aus ihr werden, wenn sie erst einmal erwacht war?
„Das Training beginnt Morgen früh, um zehn Uhr. Sei bitte pünktlich und zieh dir Trainingssachen an. Judith wird dir schon was Passendes geben.“, mit diesen Worten drehte sich Van um und verließ die Küche.
Was fiel diesem Kerl überhaupt ein, so mit ihr zu sprechen? Der wird noch sein blaues Wunder erleben, dachte Layla und starrte die geschlossene Tür an.
„Das kann ja lustig werden. Wenn ihr zwei euch immer so gut versteht, werden wir einiges zu lachen haben.“, grinste Andre. „Geh doch schon mal vor in unsere Zimmer. Ich will Layla nur noch schnell zurück auf ihr Zimmer bringen und ihr ein paar Kleider geben. Ich beeile mich auch.“, versprach Judith und schubste ihren Mann leicht von sich.
„Ich will auch hoffen, dass du dich beeilst.“ Layla kam sich wieder vollkommen störend vor. Die zwei waren wirklich ein schönes Paar. Wenn sie sich in die Augen schauten, vergaßen sie alles andere um sich herum.
Das machte es Layla, umso schwerer sie nicht zu mögen. Judith war überaus nett und zuvorkommend zu ihr gewesen. Und auch ihr Mann machte einen netten Eindruck. Das änderte aber nichts an den Tatsachen.
Layla kam sich vor wie eine Gefangene, die man dazu zwingen wollte, an etwas zu glauben, das komplett ihren Vorstellungen widersprach. Und sie hatte Angst, ob sie es zugeben wollte oder nicht. Sie musste einen Weg hier raus finden, und zwar so schnell wie möglich. Wer wusste, was diese Monster in Menschengestalt sonst noch mit ihr anstellten.
„Komm, ich zeig dir alles, was du brauchst und wo du schlafen wirst.“
„Aber natürlich ganz schnell. Ich will doch nicht, dass Andre zu lange auf dich warten muss.“, scherzte Layla und Judith fing sofort an zu lachen.
„Du gefällst mir wirklich, Layla. Ich denke wir zwei Frauen werden eine Menge Spaß haben unter all den Männern.“
Vorerst würde Layla das Spielchen mitspielen, versuchen ihr Vertrauen zu gewinnen und dann auf den passenden Moment warten, um diesem Albtraum zu entfliehen. Es schien zumindest der beste Plan zu sein, den Layla im Moment zustande brachte.
So schnell wie es ging, zeigte Judith Layla die weiteren Räume ihres Zimmers, das nicht nur einen Schlafraum, sondern auch ein großes Badezimmer und einen begehbaren Kleiderschrank hatte. Der Schrank war noch relativ leer, aber Judith versprach, dies bald ändern zu wollen. Am Ende verscheuchte Layla die junge Frau beinahe, damit sie endlich zu ihrem Mann konnte.
Allein in diesem großen, luxuriös ausgestatteten Zimmer, kam sich Layla irgendwie verloren vor. Doch nun hatte sie die notwendige Zeit um alles zu verarbeiten, was sie in den letzten Stunden erlebt und erfahren hatte.
Es kam ihr immer noch alles total irreal vor, doch tief in ihr musste sie sich wohl eingestehen, dass es die Wahrheit war. Judith hatte es ihr auf sehr eindrucksvolle Art und Weise gezeigt. Offensichtlich gab es doch Vampire. Aber was hatte das alles mit ihr zu tun?
Layla wollte nicht akzeptieren, dass sie auch irgendwann zu so einem Monster werden sollte. Das durfte einfach nicht passieren.
Die Erschöpfung breitete sich erneut in der jungen Frau aus. Kaum war sie vorhin wieder zu sich gekommen, waren so viele Dinge auf sie hinab geprasselt, dass es sich anfühlte, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen. Ihre Augenlider waren bleiern schwer und auch ihre Füße gehorchten ihr nun noch schwerfällig. Das Bett, im Zentrum des Raumes, war so breit, dass es kein Problem war sich quer darauf fallen zu lassen. Halbherzig schlug Layla die Decke über sich und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Kapitel 5
Layla hatte keine Ahnung, was der neue Tag für sie bereithielt. Nachdem sie sich im Badezimmer das Gesicht gewaschen und die Zähne geputzt hatte, ging sie in ihren kaum befüllten, begehbaren Kleiderschrank. In einem der zahlreichen Fächer fand sie eine schwarze Jogginghose und ein einfaches weißes Trägertop. Im Schuhschrank standen zwei Paar Turnschuhe, die rein zufällig genau ihre Größe hatten.
Offensichtlich gab es sonst nichts anderes zum Anziehen in dem Schrank. Die Kleider, die sie beim Schlafen anbehalten hatte, wollte Layla ungern noch einen weiteren Tag tragen. Komisch war nur, dass es sich ausgerechnet um Sportklamotten handelte, die in ihrem Schrank lagen.
An einen Zufall glaubte Layla nicht. Van wollte damit wohl auf Nummer Sicher gehen, dass sie keine Ausrede fand, warum sie nicht an seinem ominösen Training teilnehmen konnte. Also blieb Layla nichts anderes übrig. Das musste fürs erste reichen. Die Haare band Layla zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammen.
Außer Judith, Andre und Van hatte Layla die anderen Bewohner noch nicht kennen gelernt. Leise schlich sie aus ihrem Zimmer, darauf bedacht, von niemanden gesehen zu werden. Vielleicht war das ihre Chance von hier zu verschwinden.
Ihr Zimmer lag im ersten Obergeschoss und nur eine große breite Treppe führte hinunter. Layla schaute sich aufmerksam um, bevor sie die Treppe mit schnellen Schritten hinab lief.
Unten in der Eingangshalle angekommen, ging sie auf direktem Wege in die Küche. Sie hatte von gestern Nacht noch in Erinnerung, dass eine Glastür dort fast eine komplette Wand einnahm. Mit etwas Glück war diese vielleicht nicht verschlossen.
Die Küche war verlassen. Beim Anblick des leeren Raumes fiel Layla ein Stein vom Herzen. Zielsicher ging Layla auf die Glastür zu und hatte gerade die Hand auf die Klinke gelegt, als sich die Küchentür öffnete. Ein großer Blonder, von der gleichen Statur wie Van und Andre, trat ein.
„Na, da haben wir dich ja. Ich hab dich schon im ganzen Haus gesucht.“, begrüßte sie der Blonde und stellte sich an den Tisch. „Van sagte, er habe dir von dem Training erzählt. Genau in dieser Sekunde beginnt es übrigens.“
Layla warf einen Blick auf die Küchenuhr, die direkt über der Tür hing. Es war Punkt zehn Uhr. Sie hatte ihr Zeitgefühl komplett verloren und hatte endlich eine Orientierung wie lange sie inzwischen in diesem Haus festsaß.
„Das ist ja alles ganz gut und schön, dass das Training genau jetzt beginnt, aber ich habe keinen Grund dafür, daran teilzunehmen. Alles was ich im Moment will, ist einfach nur weg von hier“, meinte Layla und schränkte die Arme vor der Brust.
Offenbar war dem Blonden nicht aufgefallen, dass sie vorhatte dem Ganzen hier zu entkommen. „Du scheinst ein kleiner Dickkopf zu sein. Das gefällt mir.“ Ein breites strahlendes Grinsen erschien auf dem markanten Gesicht des Mannes.
Mein Gott bei dem Lächeln mussten doch alle Frauen nach ihm verrückt sein, dachte Layla.
„Wir sind beide schon etwas spät dran. Ich will nicht sagen, dass ich immer der Pünktlichste bin, aber wir sollten uns langsam auf den Weg machen“, meinte der Mann und stieß sich vom Tisch ab. Plötzlich hielt er inne und drehte sich noch einmal nach Layla um. Hatte er jetzt doch was bemerkt, schoss es Layla durch den Kopf.
„Hast du schon was gegessen?“
Mit allem hatte Layla gerechnet, aber nicht mit einer solchen Frage.
„Nein“, antwortete sie selbstbewusst und bewegte sich keinen Millimeter von der Glastür weg. „Dann sollten wir etwas daran ändern. Direkt vor dem Training sich den Magen voll schlagen, ist zwar nicht das Beste, aber vor Hunger sollst du mir auch nicht umfallen.“
Mit unglaublich schnellen Bewegungen, die Layla gar nicht genau verfolgen konnte, holte der Blonde Milch, Cornflaks, eine Schüssel und einen Löffel aus den Schränken und Schubladen und stellte alles auf dem Tisch ab.
„Lass es dir schmecken.“
„Wahnsinn, das ist ja das reinste Luxusfrühstück“, konterte Layla und ließ die Arme hängen. Der Blonde fing herzhaft an zu lachen und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Andre hat mir schon erzählt, dass du ziemlich schlagfertig sein sollst. Weißt du was, du gefällt mir immer besser.“
„Und wem habe ich bitte dieses Kompliment zu verdanken?“
Der Kerl kaute ihr schon am frühen Morgen ein Ohr ab und behinderte sie bei ihren Fluchtversuchen, da wollte Layla zumindest wissen, wer ihr so auf die Nerven ging.
„Ich bin Rick. Ich war dabei, als wir dich gefunden haben.“
„Dann bist du also der dritte im Bunde. Dann kann ich dir jetzt auch dir danke sagen und dann müsste ich alle durch haben.“
Layla konnte einfach nicht anders, als Rick genervt die Meinung zu sagen.
Außerdem war ihr ihr unterschwelliger Appetit vergangen, sodass sie die Schüssel unberührt auf den Tisch stehen ließ.
„Offensichtlich, willst du nichts essen. Dann komm bitte mit.“
Ihr blieb wohl nichts anderes übrig. Rick folgte ihr auf dem Fuße, als Layla aus der Küche getreten war. Der Vampir führe sie durch die Eingangshalle und weiter durch eine, nicht auf den ersten Blick ersichtliche, Seitentür eine weitere Treppe hinunter.
Am Ende der Treppe befand sich eine Stahltür, die sich nur öffnete, wenn man einen Zahlencode eingab.
„Niemand außer den Kriegern und natürlich du dürfen die oberen Stockwerke des Hauses betreten. Die Schüler wissen nicht, wie es im oberen Teil des Anwesens aussieht. Sie betreten das Haus nur durch die Garage, sodass sie zu den Trainingsräumen kommen. Der Standort des Hauses soll soweit wie möglich geheim bleiben. Es gab vor Jahren einmal einen folgenschweren Zwischenfall und daher hielten wir es für besser, unser Quartier in Zukunft geheim zu halten “, erklärte Rick und führte Layla weiter durch ein Labyrinth von Gängen.
„Die richtige Kleidung hast du ja schon an, also kann’s losgehen.“ Ja, weil nichts anderes da war, dachte sich Layla und musste nun wohl doch an diesem ominösen Training teilnehmen.
Durch die Gänge hindurch konnte man schon die schnellen Schritte und das Geschrei hören, die hinter den Türen zu den Trainingsräumen zu hören waren. Offenbar gab es einen Hauptgang, von dem alle anderen Gänge und Räume abgingen. Die verriegelte Stahltür, durch die Rick Layla in das Untergeschoss geführt hatte, war nicht besonders leicht zu finden, wenn man den Weg nicht kannte.
Endlich blieb Rick stehen und öffnete eine der Türen. Er ließ Layla den Vortritt beim Betreten des großen Trainingsraums. Layla musste zugeben, dass sie beeindruckt war. Sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass sich hinter den zahlreichen Türen, solche großen Räume befanden. Auch die Ausstattung machte einiges her. Manche Fitnessstudios konnten nur davon träumen.
„Morgen Jungs, ich bring euch heute jemand neues mit“, kündigte Rick an und schloss die Tür hinter sich. In der Sporthalle befanden sich auf den ersten Blick grob geschätzt zwölf Jungen. Alle recht schmächtig und von dünnen Körperbau.
Dagegen sah selbst Layla kräftiger aus. Genau gegenüber der Tür war die Wand mit Spiegeln versehen, und genau da stand auch Van und beobachtete die Jungen, die ihre Übungen machten.
Van trug wie alle Jogginghose und T-Shirt. Doch er hatte seine Ärmel hochgeschoben, sodass man seine kräftigen Arme und auch das große Tattoo auf seinem linken Oberarm sehen konnte. Vermutlich ging es noch weiter über seine Schulter, denn unter dem T-Shirtrand verschwanden einige Linien, die darauf hindeuteten. Rick führte Layla einmal quer durch die Halle und blieb bei Van stehen. Die beiden Männer begrüßten sich mit Handschlag.
„Okay Jungs, kurze Pause, ich will euch jemanden vorstellen.“, rief Van und sofort war es mucksmäuschenstill.
„Das ist Layla Kub. Sie wird ab heute mit euch trainieren. Ich verlange von euch, dass ihr euch angemessen ihr gegenüber verhaltet, denn sie ist genau so eine Auserwählte wie ihr alle.“
Während Van seine kleine Rede hielt, wanderten alle Blicke zu Layla. Der ersten Verwunderung wich recht schnell Belustigung, Unverständnis und lüsternen Blicken. Auch wurden schnell Meinungen ausgetauscht. Vereinzelt konnte Layla etwas aufschnappen, von dem was sich die Jungs versuchten heimlich zuzuflüstern.
„Das soll wohl ein Witz sein… Eine Frau … viel zu schwach… das kann ja lustig werden.“
Layla hatte jetzt schon keine Lust mehr auf das Training, wenn sie alle diese Bohnenstangen und Spargeltarzane sah. Von ihren offensichtlichen Vorurteilen ihr gegenüber einmal ganz abgesehen.
„Dadurch, dass Layla nun zu uns gestoßen ist, sind wir insgesamt fünfzehn Leute und damit eine ungerade Zahl, aber ich denke, das werden wir schon irgendwie hinbekommen. Okay, alle wieder auf ihre Position und das Ganze noch mal von vorne.“
Rick verabschiedete sich und verschwand aus dem Trainingsraum, wünschte aber vorher Layla noch viel Spaß, was sie mit einem schiefen Lächeln quittierte. An Spaß war im Moment noch nicht zu denken.
Van teilte ihr einen Platz in einer der Gruppe zu und zeigte allen noch einmal die genaue Abfolge der Bewegungen. Es handelte sich dabei um eine Kombination aus Arm- und Beinbewegungen. Schnelle Schläge und kraftvolle Kicks. Eigentlich kein Problem für Layla, da sie durch das Tanzen an schnelle Bewegungswechsel gewohnt war.
Doch für die anderen stellte es teilweise ein erhebliches Problem da. Der Junge, der direkt neben ihr stand, brachte die letzten zwei Wechsel immer durcheinander und kam aus dem Gleichgewicht. Van beobachtete alles ganz genau und korrigierte bei jedem einzelnen die Fehler.
„Hey, konzentriere dich einfach nur auf die Bewegung deiner Arme und Beine und vergiss alles was um dich herum passiert.“, flüstere Layla dem Jungen zu. Dieser schaute sie überrascht an, nickte dann aber und beim nächsten Versuch klappte es auf Anhieb.
„Danke, das ist echt eine große Hilfe und funktioniert wirklich gut.“, flüsterte er zurück.
Layla kam sich vor wie in einer Anfängersportgruppe. Zudem war ihr immer noch schleierhaft wozu das alles gut sein sollte. Um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, machte Layla erst einmal mit. Die Übungen fielen ihr sogar ziemlich leicht und waren keine größere Anstrengung für sie.
Van kam auch bei Layla vorbei, sagte aber nichts, sodass er wohl zufrieden war mit ihren Übungen. Durch den großen Spiegel, der sich über die gesamte Länge der Halle erstreckte, konnte Layla die anderen beobachten. Besonders ins Auge fiel ihr der Kerl, der schräg hinter ihr stand. Irgendwann gingen Layla seine Blicke so auf die Nerven, dass sie sich einfach nicht mehr zurückhalten konnte.
„Also, wenn du noch länger auf meinen Arsch schaust, fallen dir gleich die Augen raus.“ Schallendes Gelächter brach los. Layla drehte sich zu dem Jungen um, der das Gesicht vor Wut verzog.
„Was fällt dir ein, so mit mir zu reden? Nur weil du neu bist, brauchst du nicht zu denken, dass du dir alles erlauben kannst. Ich glaub, du weißt wohl nicht, wer ich bin.“, blaffte der Junge sie an und stemmte die Arme in die Hüfe.
„Nein, ich weiß nicht wer du bist und es ist mir auch herzlich egal. Was ich aber weiß, ist, dass du ein ziemlicher Tollpatsch bist und dich für was Besseres hälst“, konterte Layla und drehte sich wieder nach vorne.
„Pass auf!“, rief der Junge neben Layla. Der Kerl hatte doch echt den Mut sich mit Layla anzulegen. Sie sah ihm in Spiegel auf sich zu rennen und trat in letzter Sekunde beiseite, sodass er sie verfehlte und auf dem Boden landete. Erneut brach ein schallendes Gelächter aus.
„Ruhe!“, erhob sich Vans Stimme über den Lärm.
„Was glaubt ihr, wo ihr hier seid? Das ist hier kein Vergnügungsspielplatz, sondern eine Trainingshalle. Ihr solltet froh sein, hier sein zu dürfen und euch nicht benehmen, wie hirnlose Vollidioten.“
In seiner Stimme war die nicht ausgesprochene Drohung deutlich zu hören. Van kam direkt auf Layla und die beiden Jungen zugelaufen und blieb vor ihnen stehen. „Was habe ich vor genau zehn Minuten gesagt? Exakt, ihr sollt euch benehmen und die Sache ernst nehmen.“
Sein Blick ruhte auf dem Kerl, der langsam wieder auf die Beine kam und sich das Kinn rieb, mit dem er auf dem Boden aufgeschlagen war.
„Sie hat doch angefangen. Eine Frau hat hier nichts zu suchen.“, rechtfertigte er sich.
„Offensichtlich hattest du wohl genug Zeit ihr auf den Hintern zu starren. Wäre dein Blick ein paar Zentimeter nach oben gewandert, hättest du gesehen, dass Layla sehr wohl hierher gehört, Markus. Denn im Gegensatz zu dir, hat sie die Übungen gleich richtig gemacht.“
Markus sagte kein weites Wort mehr und sah Layla nur weiter hasserfüllt an. Auch Van schaute Layla ernst an, sagte aber nichts zu ihr.
Nach dem kleinen Zwischenfall ging das Training ohne weitere Unterbrechungen weiter. Nach drei Stunden intensivem und erschöpfendem Training, beendete Van den sportlichen Teil des Tages. Den Schülern blieb jetzt eine halbe Stunde Zeit, um sich etwas auszuruhen und eine Kleinigkeit zu essen, bis der nächste Teil des Trainings begann.
„Hey, das war echt super von dir. Niemand hier hat es bis jetzt gewagt, Markus so vor allen bloßzustellen. Dir scheint das Training aber auch zu liegen. Bei dir sehen die Übungen so leicht aus und wenn ich es versuchte, mach ich andauernd Fehler.“, erzählte der Junge, der während des Training neben Layla gestanden hatte.
„Na ja, sagen wir mal so, ich mache so etwas nicht zum ersten Mal. Dein Problem ist, dass du zu viel darauf achtest, was um dich herum geschieht. Wenn du diese Übungen machst, darfst du nur auf dich konzentriert sein und musst alles andere ausblenden.“, erklärte Layla und wischte sich den Schweiß mit einem Handtuch ab.
„Hey Steven, du machst dich ja gleich an die Neue ran. Vielleicht schaffst du es ja mal gegen sie zu gewinnen. Bei uns anderen versagst du ja regelmäßig.“, höhnte Markus, der gerade mit der Gruppe anderen Jungs durch die Tür auf den Flur verschwand.
„So ein eingebildeter Idiot. Der wird noch sehen wie weit er mit seiner großen Klappe kommt.“, meinte Layla und warf sich das Handtuch um den Nacken. Solche eingebildeten Egoisten gab es wirklich überall.
Steven zeigte ihr die Umkleideräume und die Duschen. Zu Laylas Erleichterung gab es geteilte Umkleiden und Duschen. Was bedeutete, dass es doch auch Frauen geben musste, die die unterirdischen Räume nutzen. Das hätte ihr jetzt noch gefehlt mit den Jungs zusammensitzen zu müssen.
In der Umkleide angekommen, entdeckte Layla einen Spind mit ihrem Namen drauf. Die Tür war nur angelehnt und darin fand sie frische Kleider und etwas zu essen. Judith hatte es ihr vorbeigebracht, das stand zumindest auf den kleinen Zettel, der dabei lag.
Ob sie es wollte oder nicht, Layla freute sich über die nette Geste der jungen Frau. Judiths Freundlichkeit machte es Layla immer schwere, sie als das Monster zu sehen, das in ihr steckte. Sie war aufmerksam und zuvorkommend, und hatte sich bisher fürsorglich um Layla gekümmert.
So wie es schien, würde es Layla doch nicht so leicht fallen, von hier zu verschwinden und die ganze Geschichte hinter sich zu lassen. Dafür hatte sie hier zu viel Nettigkeit erfahren.
Steven klopfte zaghaft an der Umkleidetür und fragte, ob er hereinkommen könnte. Layla hatte nichts dagegen. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Layla auf die Bank nieder. Steven und Layla aßen gemeinsam und in der Zeit erzählte ihr Steven etwas über die anderen Schüler, den Trainingsablauf und allgemein etwas über das ganze Gerede über Auserwählte und dass man darauf stolz sein sollte.
Während Layla den Worten von Steven lauschte, bezweifelte sie allerdings, dass es toll war, an dem ganzen Trainingsprogramm teilzunehmen. Van hatte irgendetwas erwähnt, dass die Narben auf ihrem Rücken ein Zeichen dafür wären, dass sie zu einem bestimmten Teil der Vampirrasse gehören sollte. Doch was genau es damit auf sich hatte, verstand sie auch mit Stevens Erklärungen nicht.
Da waren immer noch zu viele unklare Dinge, die von Steven als vollkommen selbstverständlich angenommen wurden und auf die er nicht weiter einging. Um sich ihr Unwissen nicht anmerken zu lassen, frage Layla nicht weiter nach. Eigentlich war es auch nicht wichtig für sie, da sie nicht vorhatte länger als nötig hier zu bleiben.
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Tag der Veröffentlichung: 01.05.2011
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