Irgendwo weit draußen in den unendliche Tiefen des Alls gibt es eine kleine gelbe Sonne. Auf den ersten Blick unterscheidet sie sich nicht von den vielen anderen kleine gelben Sonnen im Universum. Und es ist auch nicht sie selbst, die besondere Aufmerksamkeit verdient, sondern ihre Planeten:
Es sind insgesamt acht und sie bilden einen Ring.
Wenn man etwas näher herangeht, kann man das gewaltige Seil erkennen, an dem sie aufgereiht sind wie Perlen auf einer Schnur. Einer dieser Planeten glänzt im strahlenden Weiß ewigen Eises, ein anderer wirkt wie eine Kugel aus Dreck.
Doch konzentrieren wir uns auf einen der übrigen sechs, die angenehm grün-blau glitzeren.
Dort erhebt sich die Stadt AnGri.
Irgendwann hat ein längst verstorbener Herrscher sie mit einer Mauer umgeben lassen, aber als die Stadt fröhlich weiter wuchs und innerhalb der Mauern kein Platz mehr war, wurde einfach außerhalb davon weitergebaut.
AnGri kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Im Moment probiert sie jedoch eine neue Regierungsform aus: die Demokratie.
Viele der Bürger begegneten dieser Methode eine Stadt zu verwalten noch immer mit großem Misstrauen. Unter anderem deshalb, weil es ihnen widerstrebt ihre Stimme abzugeben. Man kann ja nie wissen, was ein verantwortungsloser Politiker damit anstellt.
Ähnliche Gedanken waren auch Trolf dem Zerstörer durch den Kopf gegangen, als er das erste Mal von dem Rat gehört hatte, der die Stadt regierte. Aber das war jetzt schon mehrere Stunden her und im Verlauf dieser Stunden hatte er sich in eine Taverne begeben, einen Humpen Bier gelehrt und lange über seine Zukunft nachgedacht.
Eigentlich hatte er seine Heimat, den Eisplaneten Nixus, verlassen, um ein großer Barbarenheld zu werden, wie sein Vater und Großvater vor ihm. Doch im Laufe der letzten Wochen hatte er festgestellt, dass er Abenteuer und Gefahren nicht ausstehen konnte.
Er saß also in der Taverne, trank ein Bier und versuchte nicht
wie ein Held auszusehen, der auf neue Abenteuer wartet.
Während Trolf überlegte, ob er in seine Heimat zurückkehren, sich dort ein kleines gemütliche Iglu bauen und Eislochfischer werden sollte, während er diesen Gedanken wieder verwarf, weil er sich an die gräßlichen Wesen erinnerte, die man aus den Eismeeren von Nixus ziehen konnte, und während er sich ein neues Bier bestellte, huschte ein dunkler Schemen an der Außenwand der Taverne entlang, verharrte kurz an der Tür, öffnete sie dann und schlüpfte hindurch.
In diese Taverne kamen oft Leute in dunklen Kapuzenmänteln und die Gäste wussten aus Erfahrung: Wenn man zuviel Neugierde zeigte, musste man damit rechnen, dass bald nur noch ein mehr oder weniger schlecht gezeichneter Kreideumriss auf dem Boden einer dunklen Gasse an einen erinnerte.
Deshalb sahen sowohl der Spion der freien interplanetarischen Handelsföderation, als auch sein Informant und die drei Halsabschneider, die zur Zeit in der Taverne ihren ... Geschäften nachgingen nur kurz auf, als eine Gestalt in einem dunklen Kapuzenmantel eintrat.
Trolf hob seinen Blick gar nicht. Er sah erst auf, als die Gestalt ihm gegenüber Platz nahm.
„Du siehst aus wie ein Held, der auf neue Abenteuer wartet“, sagte diese.
„Nein“, entgegnete Trolf fest, „ich hab mich wirklich bemüht nicht so auszusehen.“
„Nun gut“, meinte die Gestalt, „wenn du an dem großen Goldschatz kein Interesse hast.“
„Du hast es erfasst“, stimmte Trolf ihr zu. Es gelang ihm fast, seine Züge bei den Worten ,großer Goldschatz’ völlig unbewegt zu lassen. Keine Abenteuer mehr
, ermahnte er sich, auch wenn ein großer Goldschatz mit im Spiel ist.
In diesem Moment flog die Tür auf und mehrere Wächter kamen herein. Es waren nicht einfach nur Wächter, sondern Wächter vom Tempel des Gottes Sek. Es hieß, niemand könne sich an ihnen vorbeischleichen, und wenn doch, dann hatte bisher zumindest noch niemand danach wieder hinaus geschafft.
„Da ist sie!“, rief der Anführer und deutete auf die Gestalt im schwarzen Umhang. Diese sah Trolf aus dem Schatten ihrer Kapuze bittend an und ihre Stimme gewann einen flehenden Tonfall, als sie sagte: „Bitte, hilf mir.“
Trolfs Blick huschte von der dunklen Gestalt zu den Wächtern, wieder zu der Gestalt und wieder zu den Wächtern.
Wenn ich jetzt weglaufe, bin ich verdächtig
, überlegte er. Und wenn ich hier bleibe, nehmen sie mich wahrscheinlich allein deshalb fest, weil ich in dieser Taverne gesessen habe. Ach, was soll’s ...
Schicksalsergeben seufzend zog er sein Schwert. Mit der anderen Hand nahm er einen Stuhl und schleuderte ihn den Wächtern entgegen.
Während diese stolperten und einer von ihnen gegen den Tisch der Halsabschneider fiel, wodurch einer der drei sich herausgefordert fühlte und ein Wurfmesser zog, während er den Wächter verfehlte, dafür aber fast den Spion der freien interplanetarischen Handelsföderation traf, während dessen Informant mit einem Dolch einen nahen Wächter niederstach ... Während all dies geschah, packte Trolf die Gestalt im schwarzen Umhang am Arm und stürmte aus dem Hinterausgang der Taverne.
Sie sprinteten durch einige Gassen, bis sie sicher waren, dass ihre Verfolger sie nicht mehr finden konnten. Dann lehnten sie sich nach Atem ringend an eine Mauer.
„Einen Moment lang ... dachte ich wirklich ... du wolltest gegen sie alle kämpfen“, meinte die dunkle Gestalt immer noch etwas außer Atem und schlug ihre Kapuze zurück.
„Ich bin doch nicht lebensmüde“, antwortete Trolf und spähte um eine Ecke. Dann erst drehte er sich zu ihr um und riss erstaunt die Augen auf. Vor ihm stand eine wirklich sehr attraktive junge Frau.
Sie lächelte. „Danke, dass du mir geholfen hast“, sagte sie. „Ich bin Antarra. Und wie heißt du?“
„Trolf“, brachte Trolf hervor. Und als er sich wieder etwas gefangen hatte: „Das waren Sek-Wächter!“
„Wahrscheinlich wollten sie das hier zurück.“ Gold blitzte unter Antarras Umhang und Trolf erhaschte einen Blick auf das heiligste aller heiligen Symbole, das außerdem wahrscheinlich auch das am besten bewachte Schmuckstück auf allen Ringwelten war – bis vor kurzem auf jeden Fall.
„Du hast das Auge des Sek
gestohlen!?“
„Pscht“, machte Antarra, „nicht so laut.“
„Du hast das Auge des Sek gestohlen
?“, ächzte Trolf etwas leiser.
Auf Nixus gab es viele Geschichten über dieses heilige Kleinod. Trolfs Vater hatte ihm davon erzählt, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Es hieß, es sei wertvoller als die Kronjuwelen der Königin von Entir und besser gearbeitet als das berühmte goldene Zepter der verlorenen Stadt Inir. In der Mitte saß der einzige blaue Diamant, den es gab, eingefasst in Gold und Silber.
Auf anderen Ringplaneten, deren Bewohner nicht so sehr auf wertvolle Schätze fixiert waren, erzählte man sich, der Diamant sein die Träne der Göttin Itir-en-tea und das Silber sei gefangenes Sternenlicht.
Die Nixerianer hielten solche Dinge für dummen Aberglaube. Sie konzentrierten sich lieber darauf, herauszufinden, ob die Wächter bestechlich waren und wie man die vielen tödlichen Fallen umgehen konnte. Nun sah es so aus als seien alle ihre Bemühungen umsonst gewesen.
„Hilfst du mir jetzt, oder nicht?“, fragte Antarra.
„Wozu brauchst du
meine Hilfe?“, wollte Trolf wissen. „Ich meine, du hast das Auge des Sek gestohlen.“
„Wie oft willst du das noch wiederholen?“ Antarra klang genervt. „Ich weiß was ich getan habe. Und um deine Frage zu beantworten: Du warst halt der einzige barbarische Held, den ich auf die Schnelle finden konnte.“
„Und wozu brauchst du einen barbarischen Helden?“, fragte Trolf geduldig.
„Ich will nach Sand.“
Sand war der Planet, der aussah wie eine Kugel Dreck. Er wurde auch der Wüstenplanet genannt. Die dort lebenden Leute waren meist Nomaden. Sie zogen zwischen den wenigen Wasserstellen hin und her und ernährten sich hauptsächlich von kleinen Wüstenmäusen, die sie Muandi nannten.
Bis vor einigen Jahren bekriegten sich die einzelnen Nomadenstämme untereinander. Sie vererbten mit großer Geduld und Ausdauer generationen alte Blutfehden, bei denen niemand mehr genau wusste worum es überhaupt ging. Sie waren eigentlich recht zufrieden mit ihrem Leben, bis ein Mann namens Ben Kartartis erschien, ihnen mitteilte sie seien wirklich schlecht dran und er würde sie erlösen. Ben Kartartis einte die Nomadenstämme und baute sich ein großes Wüstenreich auf, über das er mit uneingeschränkter Macht herrschte.
Außerdem verkündete er, dass er jede hübsche Frau, die ohne männliche Begleitung den Planeten betrat, heiraten würde.
„Warum ausgerechnet nach Sand?“, fragte Trolf. „Ich habe gehört, Ben Kartartis würde langsam größenwahnsinnig werden“, fügte er hinzu.
„Ich erzähle dir alles, wenn du dich bereiterklärst mir zu helfen.“
„Und was springt dabei für mich heraus?“ Auch wenn er beschlossen hatte, kein Barbarenheld zu sein, konnte Trolf nicht verhindern, dass er wie ein Nixerianer dachte.
„Ich erinnere mich einen großen Goldschatz erwähnt zu haben“, meinte Antarra.
Trolf rang mit sich selbst. Keine Abenteuer mehr
, erinnerte er sich .
Er glaubte die missbilligenden Blicke seiner Vorfahren über die Kluft der Jahrhunderte hinweg zu spüren. Seine Gene schrien: Du willst einen großen Goldschatz verschmähen!?
Schließlich setzte sich seine Habgier durch. Er bewahrte sich gerade noch genug Selbstbeherrschung, um zu fragen: „Erwarten uns irgendwelche schrecklichen Gefahren?“
„Nun, als schrecklich würde ich sie nicht unbedingt bezeichnen“, meinte Antarra.
„Aber gefährlich?“, fragte Trolf.
„Nur ein bisschen“, schränkte Antarra ein. „Eigentlich kaum.“
„Na gut“, gab Trolf sich geschlagen, „ich komme mit.“
„Ich wusste, dass du das sagen würdest!“, Antarra grinste.
*
„Kann ich’s nochmal zurücknehmen?“, fragte Trolf nachdem Antarra ihm – in einer anderen Taverne – erklärt hatte, was sie vorhatte.
„Nein“, sagte diese nur.
„Also“, begann Trolf, „damit ich das auch wirklich richtig verstehe: Der Diamant in Seks Auge ist die Träne der Göttin Itir-en-tea und du bist eine wiehießdasnochmal ...?“
„Sin-a-tea, eine Geweihte der Göttin“, half Antarra ihm.
„Ja genau, du bist eine Sina. .. eine Geweihte der Göttin und willst diese Träne in einen Tempel bringen, der auf Sand steht. Dieser Tempel ist der verschollene Tempel von Itir-en-tea in der verlorenen Stadt Inir. Niemand weiß genau wo diese Stadt liegt, aber um dort hinzukommen müssen wir durch die trockenste aller trockenen Wüsten. Ganz zu schweigen von den vielen tödlichen Fallen, die es wahrscheinlich in diesem Tempel gibt. Und das alles nennst du kaum gefährlich?“
„Ich habe gesagt, 'eigentlich kaum'“, meinte Antarra trotzig. „Außerdem stehe ich – und alle, die mich begleiten – unter dem Schutz von Itir-en-tea, weil die Hohepriesterin mir diese Mission erteilt hat und sie ist die ...“
„Ist ja gut, ist ja gut“, unterbrach Trolf sie. „Ich will gar nicht wissen mit was für einem komischen Titel ihr eure Hohepriesterin ansprecht. Lass uns einfach unsere Pferde holen und losreiten. In Ordnung?“
*
Die Bewohner der Ringwelten reisen zwar nicht oft, aber doch häufig genug, um es lohnend zu machen einen Reiseführer zu schreiben. Der Götterverlag (Sitz auf Antiri) veröffentlichte den Reiseführer über 8 Planeten
und er verkaufte sich recht gut.
Wenn man dort unter „Transportmittel und Reisen“ nachschlägt, findet man folgenden Eintrag:
„Das Reisen auf einem Ringplaneten ist recht einfach. Als Transportmittel stehen Pferde, Kutschen, Karren und die eigenen zwei Beine zur Verfügung. Sollten Sie viel Geld haben, können Sie sich auch ein magisches Transportmittel leisten z.B. einen fliegenden Teppich oder einen Greif.
Reisen zwischen den Planeten sind schon etwas schwieriger:
Zuerst einmal sollten Sie sich zu einem der Pole begeben, wobei bekanntlicherweise zwei zur Auswahl stehen. Wählen sie den, der ihrem Zielplaneten am nächsten ist. Sollten Sie nicht wissen welcher das ist, können sie eine detailgetreue Ringkarte erwerben, die in jeder Filiale des Götterverlags für nur drei Kupfermünzen erhältlich ist ...“ Danach wird der Service des Götterverlags gepriesen, außerdem hat man die Möglichkeit, die 8-Planeten-Newsletter zu abonieren. Wenn der Reiseführer dann wieder auf das eigentliche Thema zurückkommt, heißt es weiter: „An den Polen erheben sich die sogenannten Seile. Ihre Funktionsweise ist ein Betriebsgeheimnis, aber wir dürfen ihnen versichern, dass sie mit Magie funktionieren und daher völlig sicher sind.“
Nach dem Erscheinen des Reiseführers nahm die Zahl der reisenden Magier, Hexen, Schamanen und anderer Magiekundiger drastisch ab.
*
„Sek-Wächter?“, fragte der Vorsitzende der freien interplanetarischen Handelsföderation.
Der Spion nickte eifrig. „Ich glaube, sie verfolgten nur die eine Person, aber der Barbar warf einen Stuhl nach ihnen und dann flüchteten beide.“
„Interessant.“ Der Vorsitzende lehnte sich zurück und presste die Fingerspitzen aneinander. „Das Auge des Sek. Was könnten sie damit wollen? Sie werden wohl kaum einen Hehler für so ein bekanntes Schmuckstück finden.“
„Herr“, sagte der Spion, „ihr kennt doch bestimmt die Legende, Herr.“
„Ah ja, die Legende.“ Der Vorsitzende neigte sich wieder nach vorne. „Würdest du den Barbaren wiedererkennen?“
„Ja, Herr“, antwortete der Spion ein wenig beleidigt. Zur Ausstattung eines guten Spions gehörte unter anderem auch ein gutes Gedächtnis. „Soll ich ein Bild zeichnen, Herr?“
„Ja, wieso nicht“, meinte der Vorsitzende, „ und dann nimm dir einige Männer und mach dich auf die Suche nach den beiden.“
*
Im Tempel des Sek wurden ähnliche Befehle erteilt. Nur etwas lauter.
„Du musst sie finden!“, wetterte der stellvertretende Hohepriester. „Wenn du versagen solltest, werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass man dich exkommuniziert. Hast du das verstanden?“
„Ja, Herr“, antwortete der oberste Tempelwächter unglücklich, verbeugte sich tief und verließ den Raum. „Und nimm den Elinir-Arita-Sek mit“, rief der stellvertretende Hohepriester ihm hinterher.
*
Trolf und Antarra – sie hatten ihre Pferde gegen Hundeschlitten und warme Kleidung eingetauscht – näherten sich dem Seil.
Antarra fror erbärmlich, aber der von Nixus stammende Trolf fühlte sich zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig wohl. Seine warme Pelzjacke lag auf dem Schlitten.
„Wir haben wirklich Glück mit dem Wetter“, rief er Antarra zu.
Diese zog ihre Pelzjacke enger um sich und fragte sich, wie kalt es noch hätte werden können.
„Warte nur ab bis wir in der Wüste sind“, erwiderte sie.
Trolf lachte. „Eine Stunde noch, dann sind wir da.“ Er deutete nach vorn.
„Wie kann man in dieser kalten Luft irgendeine Entfernung abschätzen“, wunderte Antarra sich zähneklappernd.
*
Trolf hatte sich verschätzt – und zwar um eine Minute.
Nun standen sie vor dem Seil und blickten nach oben, und immer weiter nach oben, bis sich der gewaltige Turm im Himmel verlor.
„Ich werde mich wohl nie an den Anblick gewöhnen“, meinte Antarra.
„Lass uns reingehen.“ Trolf hatte sich an den Anblick gewöhnt.
„Kaum zu glauben, dass das auch durch den Planeten führt“, hauchte Antarra.
„Ist ganz praktisch, wenn man von einem Pol zum anderen gelangen will“, meinte Trolf ungerührt. Stell dir mal vor, du wolltest von hier nach Antiri und müsstest dafür ganz Sand überqueren.
Ich dachte dir ist kalt“, fügte er hinzu. „Lass uns reingehen.“
Widerstrebend löste Antarra ihren Blick von dem Seil und folgte Trolf hinein.
*
Die Halle, die sie betraten war – verglichen mit den Ausmaßen des Seils – klein.
Abgesehen von ihnen hielten sich dort nur noch eine Gruppe von Kaufleuten und ein Eistroll auf. In der Mitte der Halle führte eine Treppe nach oben. Darüber hing von der Decke ein Schild mit der Aufschrift „Sand“ herab. Damit auch wirklich jeder verstand, was damit gemeint war, hatte jemand rechts und links von dem Wort zwei nach oben zeigende Pfeile gemalt.
Als Trolf und Antarra eintraten, kam der Eistroll auf sie zu.
„Entschuldigung“, sagte er, „wo es hier gehen nach Sand?“
„Wieso willst du
nach Sand?“, fragte Antarra erstaunt. „Ich meine, du bist ein Eistroll.“
„Ich wissen, was ich bin. Ich abgeschlossen mit meinem Leben“, erklärte der Troll. „Ich mir suchen einen hübschen Platz zum Schmelzen.“
„Weißt du“, meinte Trolf behutsam, „manchmal hilft es, mit jemandem darüber zu reden.“
„Ich nicht wollen reden“, grollte der Troll. „Du mir jetzt sagen wo es gehen nach Sand oder ... oder ich dich schlagen.“
„Ist ja gut.“ Trolf hob beschwichtigend die Hände. „Geh einfach hinter der nach oben führenden Treppe nach unten“ Er zeigte in die entsprechende Richtung.
„Du hast ihm gerade das Leben gerettet“, bemerkte Antarra, als sie dem Troll nachsahen, der sich in Richtung Treppe entfernte.
Trolf hob gleichgültig die Schultern. „Ich hoffe er ist mir deswegen nicht böse. Eigentlich kann ich Trolle nicht ausstehen“, fügte er hinzu. „Als ich noch ein Kind war, hat mal einer von ihnen meinen Lieblingsschlittenhund gefressen.“
Sie gingen die Treppe hoch und kamen in einen kleinen Raum, in dem ein Zauberer stand.
„Hallo-und-herzlich-willkommen-beim-8-Planeten-Reiseunternehmen“, sagte er in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er diesen Text jeden Tag viele Male aufsagen musste und er sich durch nichts unterbrechen lassen würde, bis er auch dieses Mal damit durch war.
„Bevor-Sie-den-Sprung-nach-Sand-machen-muss-ich-Ihnen-noch-einige-Fragen-stellen:
1) Führen-Sie-haluzinogene-beziehungweise-berauschende-Substanzen-oder-Stoffe-mit-sich?“
„Nein“, antwortete Antarra geduldig.
„Möchten Sie welche?“, fragte der Zauberer nun etwas wacher.
„Nein!“
„Schade.“ Der Zauberer verfiel wieder in seinen Aufsagemodus zurück: „2) Tragen-Sie-gefährliche-Waffen-beziehungsweise-Waffen-die-das-Gemeinwohl-gefährden-bei-sich?“
„Nein“, log Trolf ebenso geduldig wie Antarra.
„Unser entsprechendes Angebot ist derzeit leider erschöpft“, meinte der Zauberer. „Okay: 3) Befindet-sich-Schmuggelware-beziehungsweise-Diebesgut-in-Ihrem-Besitz?“
„Nein“, log Antarra nicht mehr ganz so geduldig.
„Dann-möchte-ich-Sie-bitten-diese-Tür-hier-zu-passieren“, der Zauberer deutete mit einer mechanisch wirkenden Geste auf eine Tür im hinteren Teil des Raumes. „Ich-wünsche-Ihnen-eine-angenehme-Reise“, fügte er hinzu.
Trolf und Antarra betraten den Raum hinter dieser-Tür-hier und warteten.
Trolf hatte keine Ahnung wie die Seile funktionierten. Er wusste nur, dass sie einen in einem Sekundenbruchteil mehrere tausend Kilometer von einem Planeten auf einen anderen transportieren konnten. Allein der Gedanke daran war beunruhigend.
Doch bevor er sich noch länger damit beschäftigen konnte, wurde ihm schwindelig und schwarz vor Augen. Als er wieder sehen konnte, befand er sich immer noch im gleichen Raum (auf jeden Fall sah er genauso aus), allerdings auf einem anderen Planeten, wie er wusste. Er bemerkte wie Antarra unbewusst nach dem Auge des Sek tastete.
Sie verließen den Raum, gingen an einem anderen Zauberer vorbei und traten ins Freie.
*
Der Spion der freien Handelsföderation betrat zusammen mit sechs grimmig dreinblickenden Männern das Seil.
„Wartet hier“, sagte er zu seinen Begleitern und schritt auf die Kaufleute zu.
„Entschuldigung. Haben sie diesen Mann gesehen?“, fragte er und hielt ein Blatt Papier in die
Höhe.
Einer der Kaufleute betrachtete das Bild darauf nachdenklich. „Ja, ich glaube er ist so vor einer halben Stunde hier angekommen. In Begleitung einer jungen Frau. Sie haben mit dem Eistroll geredet. Hey, Arit“, er stieß einen anderen Kaufmann an, „erinnerst du dich? Die beiden jungen Leute, die mit dem Troll geredet haben. Ich hab noch gedacht: Sie geben ein gutes Paar ab. Die jungen Leute meine ich, nicht den Troll.“
„Ja, der Troll“, meinte der andere Kaufmann. „Kam zu mir und wollte wissen wo’s nach Sand geht. Ich hab ihm gesagt, er soll verschwinden und jemand anderes belästigen. Hielt mich wohl für dumm. Ein Eistroll, der nach Sand will ...“ Er lachte und schüttelte den Kopf.
Eine Gesprächspause entstand und der Spion nutzte sie, bevor jemand anderes das Wort ergreifen konnte, indem er fragte: „Wo sind sie hingegangen?“
„Was, die jungen Leute? Nach Sand, glaube ich. Ja, nach Sand.“
„Danke für die Auskunft.“ Der Spion eilte zu seinen Begleitern zurück.
*
Kurze Zeit später kam eine Abteilung Sek-Wächter herein und entging damit knapp einem Schneesturm.
(Zur gleichen Zeit beantwortete der Spion der freien interplanetarischen Handelsföderation die Frage 3 [Befindet-sich-Schmuggelware-beziehungsweise-Diebesgut-in-ihrem-Besitz?] mit „Nein!“ und führte seine Gruppe durch diese-Tür-hier.)
Einer der Wächter trug den Stein Elinir-Arita-Sek. Es war ein Edelstein, der immer stärker leuchtete je näher er dem Auge des Sek kam.
Seit ungefähr einer halben Stunde verströmte er Dunkelheit.
Dummerweise zog der Anführer der Wächter den einzig richtigen Schluss daraus, den er jetzt versuchte den anderen zu erklären. „Ihr kennt doch alle die Legende“, sagte er gerade. „Sie können also nur auf Sand sein. Und Sand ist von hier viel weiter entfernt, als irgendetwas auf einem Planeten je von etwas anderem auf dem gleichen Planet entfernt sein kann.
Und ich will kein ,Ja, aber ...’ mehr hören! Wir gehen jetzt nach Sand!“
Eigentlich war er viel zu intelligent für einen Wächter.
*
Hitze und Lärm schlug ihnen entgegen. Anders als auf dem Planeten, vom dem sie kamen, gab es hier eine Stadt am Fuße des Seil. Außerdem war es wärmer.
„Wir sollten uns zuerst passende Kleidung besorgen“, meinte Antarra und zog ihre Pelzjacke aus. Um das Seil herum hatte Händler ihre Stände aufgebaut und versuchten nun ahnungslosen Reisenden verdächtig wirkende, süße Gebäckstücke und Beispiele einheimischer Handwerkskunst zu verkaufen.
Nach kurzem Suchen fanden sie auch einen Stand, an dem weite Wüstengewänder angeboten wurden. Sie kauften zwei. Anschließend erstanden sie noch folgende Dinge: Zwei Kamele (samt Zubehör), viele Wasserschläuche (gefüllt mit Wasser) und Proviant für zwei Wochen.
„Wo sollen wir eigentlich anfangen nach Inir zu suchen?“, fragte Trolf.
„Die Hohepriesterin hat mir eine alte Schriftrolle gezeigt“, antwortete Antarra. „Darin stand, dass Inir in der Mitte der Wüste Gebal liegt.“
„Ja, das hast du schonmal erwähnt. Die trockenste aller trockenen Wüsten. Dort leben noch nicht mal Muandi-Mäuse. Und die brauchen so gut wie kein Wasser!“ Trolf ertappte sich dabei, wie er heftig gestikuliert und ließ etwas beschähmt die Arme wieder sinken. „Weißt du, ich würde das hier gerne überleben. Ich habe keine Lust in dieser Wüste zu verdursten. Und deshalb wären etwas genauere Angaben vielleicht ganz nützlich.“
Antarra seufzte, holte eine Karte unter ihrem Wüstengewand hervor und entfaltete sie.
„Siehst du“, sie zeigte auf eine bestimmte Stelle auf der Karte, „das ist die Wüste Gebal. Und das ist ihre Mitte. Dürfte eigentlich nicht schwer zu finden sein, oder?“
„Ach“, schnappte Trolf, „wenn das so einfach ist, warum hat dann noch niemand Inir entdeckt?“
Antarra zuckte mit den Schultern. „Es ist noch keine Expedition zurückgekehrt.“
„Genau das meine ich!“, rief Trolf aufgebracht. „Denkst du etwa, du könntest einfach so etwas fertig bringen, was wasweißich wieviele Leute nicht geschafft haben?“
„Itir-en-tea schützt mich.“ Antarra sagte das mit einer Sicherheit, mit der andere Leute über die Farbe von gras sprachen. „Du musst nicht mitkommen“, fügte sie hinzu, „wenn du Angst hast.“
Das war ein direkter Angriff auf Trolfs Ehre. So etwas konnte er nicht dulden. „Natürlich komme ich mit! Ich wollte nur darauf hinweisen, dass dein Plan nicht sonderlich gut durchdacht ist.“
Antarra sparte sich jeden Kommentar und schwang sich auf ihr Kamel. „Dann komm.“
*
Trolf verfluchte seine Ehre und seine Habgier, während sein Kamel unter der sengenden Sonne dahinschwankte.
Weiter vorne hielt Antarra plötzlich an.
Als Trolf zu ihr aufgeschlossen hatte, fragte er: „Was ist los?“
Antarra deutete nach unten auf den Sand. Dort war ein Gebilde zu sehen, das entfernt an einen Maulwurfshügel erinnerte. „Sandwürmer“, sagte Antarra mit bedeutungsschwangerer und unheilverkündender Stimme.
„Ja?“ Trolf blickte sie verständnislos an.
„Sandwürmer“, sagte Antarra noch einmal bedeutungsvoll, unheilverkündend und ein wenig verärgert darüber, dass Trolf nicht angemessen reagiert hatte, „sind gefährlich.“
Damit gewann sie den Preis für die Untertreibung das Jahrhunderts. Sie verzichtete auf diese Auszeichnung indem sie hinzufügte: „Sogar sehr gefährlich.“
Der Reiseführer über 8 Planeten
schreibt über Sandwürmer folgendes: „Sollten sie in den Wüsten Sands unterwegs sein und ein Gebilde sehen, das entfernt an einen Maulwurfshügel erinnert, so ergreifen Sie sofort die Flucht!
Sie sollten dabei allerdings darauf achten, den Boden so wenig wie möglich zu erschüttern.
Das hat folgenden Grund: Sandwürmer leben unter dem Wüstenboden und graben dort ihre Tunnel. Sobald sie eine Erschütterung spüren, schießen sie aus dem Sand und wickeln sich um die Beine des Verursachers. Wenn er fällte kriechen sie zu seinem Kopf, durch die Ohren hinein und fressen das Gehirn auf.“
Trolf machte „Urgh“ nachdem Antarra ihm das erklärt hatte. „Und was jetzt?“, fügte er hinzu.
„Wir müssen sie ablenken.“
„Du meinst einer von uns hüpft auf der Stelle, während der andere sich aus dem Staub macht?“, fragte Trolf skeptisch.
„Nein. Eigentlich meine ich nicht ablenken, sondern wir stellen ihnen eine Falle. Gib mir deinen Kamelstock.“
Trolf reichte ihr den Stock, mit dessen Hilfe man normalerweise Kamele antrieb oder sie dazu brachte stehen zu bleiben.
Antarra holte ein Schnur hervor, band ihr Exemplar an seins und ließ das Ergebnis ihrer Bemühungen auf den Sand hinabsausen.
Sie klopfte so lange auf den Boden, bis plötzlich ein 15 cm langer Wurm aus dem Boden geschossen kam, sich um den Stab wickelte und dann daran hinaufkroch. Oben erwartete Antarra ihn mit gezogenem Dolch und schlitzte ihn auf.
Das wiederholte sie fünf mal, dann gab sie Trolf seinen Stock zurück.
„Lass uns weiterreiten, aber achte auf weitere solcher Hügel.“
Sie umrundeten noch zwei Sandwurmhügel in respektvoller Entfernung, dann hielt Antarra abermals an. „Siehst du das?“, fragte sie und deutete nach vorne.
Trolf beschattete seine Augen gegen die Sonne und spähte in die angezeigte Richtung. Weit weg sah er etwas aufragen, das zu regelmäßig geformt war um natürlichen Ursprungs zu sein.
„Ist das Inir?“, wollte er wissen.
„Ich nehme es an“, antwortete Antarra. „Ich denke morgen Mittag sind wir da.“
„Können wir nicht die Nacht durchreiten?“ Trolf fragte sich wie man in dieser vor Hitze flimmernden Luft irgend eine Entfernung abschätzen konnte.
„Wir könnten schon“, beantwortete Antarra seine Frage, „aber dann würden wir die Sandwurmhügel nicht mehr rechtzeitig sehen.“
„Oh. Stimmt.“
Sie ritten eine Zeitlang schweigend nebeneinander her.
Schließlich fragte Trolf: „Warum ist es eigentlich so wichtig, dass du den Diamanten in diesen Tempel bringst?“
„Was?“, fragte Antarra und löste ihren Blick mühsam von dem Etwas am Horizont.
„Genaugenommen geht es mich ja nichts an“, fuhr Trolf fort. „Ich meine, wenn wir das hier überleben sollten, hole ich mir meinen Goldschatz und der ganze Rest kann mir egal sein, aber ... es würde mich doch schon interessieren wofür ich mein Leben riskiere.“
„Hast du noch nie von der Legende gehört?“, fragte Antarra erstaunt.
„Von was für einer Legende?“
„Es heißt in dem Tempel sei die letzte Botschaft des Schöpfers an seine Schöpfung versteckt. Ich dachte das wüsste jeder.“
„Wahrscheinlich habe ich noch nie davon gehört, weil die Botschaft nicht auf einem wertvollen Material niedergeschrieben wurde.“
*
Etwas weiter hinter ihnen ritten die Sek-Wächter durch die Wüste. Der Elinir-Arita-Sek-Stein leuchtete so hell, dass man es selbst jetzt, da die Sonne hoch am Himmel stand, sehen konnte.
Dieser Umstand konnte die Laune des Anführers der Gruppe allerdings nicht heben. Für seine derzeitige (schlechte) Gemütsverfassung gab es mehrere Gründe: die Hitze, der Umstand, dass einer seiner Männer auf einem Kamel seekrank geworden war, der Umstand, dass einer seiner Männer einen Sonnenstich hatte und faselte. Und noch einmal die Hitze.
Die Kamele trabten an einem Gebilde vorbei, das entfernt an einen Maulwurfshügel erinnerte.
„Seht mal“, rief der Wächter mit dem Sonnenstich. „Hier gibt’s Maulwürfe.“
Wenn er gewusst hätte, dass das seine letzten Worte werden sollten, hätte er vielleicht andere gewählt.
Das Kamel des Anführers stolperte, fiel und er wurde in den Sand geschleudert. Er hatte gerade noch Zeit sich über den 15 cm langen Wurm zu wundern, der aus dem Boden geschossen kam.
*
Der Spion der freien interplanetarischen Handelsföderation wunderte sich nicht über die maulwurfshügelähnlichen Gebilde, sondern führte seine Gruppe in einem weiten Boden darum herum.
Man blieb als Spion nicht lange am Leben, wenn man nicht über gewisse Grundkenntnisse verfügte.
*
Am nächsten Tag so gegen Mittag erreichten Trolf und Antarra die verlorene Stadt Inir.
Eigentlich waren es nur die Reste einer Stadt, halb vom Sand begraben.
Unschlüssig blieben sie vor einem verfallenen Tor stehen.
„Von Inir hab ich schon viel gehört“, meinte Trolf schließlich. „Wegen des goldenen Zepters.
Ich hab mir die Stad immer ... eindrucksvoller vorgestellt.“
„Und gefährlicher“, fügte Antarra hinzu.
„Ich nehme an, die Fallen und so gibt es nur im Tempel“, vermutete Trolf. „Oder meinst du die Leute, die hier mal gewohnt haben, wollten in eine mit spitzen Stäben gefüllte Grube fallen, wenn sie aus Versehen über das falsche Stück Boden gingen?“
„Trotzdem sollten wir vorsichtig sein“, mahnte Antarra. „Und achte auf Sandwürmer“, fügte sie hinzu.
Dann kniete sie sich hin und füllte einen Beutel mit Sand.
Trolf bedachte sie mit einem anerkennenden Blick. Als barbarischer Held wusste er: Wenn man in einem alten Tempel etwas stehlen wollte, sollte man immer einen Beutel mit Sand dabei haben.
Antarra richtete sich wieder auf. „Wir können gehen.“
So betraten sie die Stadt.
Zwischen den Häusern war es etwas kühler. Das heißt, es war nicht mehr brutal heiß, sondern nurnoch sehr heiß. Und still.
In der Wüste ist es meistens recht ruhig, besonders wenn sie Gebal heißt. Dort vertrocknen alle lauten Geräusche
Aber diese Stille war besonders leise. Es war die Art von Stille, die in alten verlassenen Städten oder Gebäuden herrscht. Trolf war bereits mit ihr vertraut.
Nur das Geräusch ihrer Schritte war zu hören, während sie durch die Straßen gingen. Schließlich blieben sie vor einer Treppe stehen. An ihrem Ende erhob sich der Tempel von Itir-en-tea.
An ihrem Fuß stand ein Pferd.
„Wer ist so blöd und reitet mit einem Pferd durch die Wüste?“, fragte Antarra die Welt im allgemeinen.
„Vielleicht ein barbarischer Held, der nicht genug Geld hat, um sich ein Kamel leisten zu können“, vermutete Trolf und ging um das Pferd herum.
Antarra stieg die Treppe hinauf.
„Er hat rotes Haar“, rief sie zu Trolf hinunter. „Und einen roten Bart.“
„Woher willst du das wissen?“, rief Trolf zurück.
„Sein Kopf liegt hier oben.“
Trolf eilte ebenfalls die Stufen hinauf. „Oh“, kommentierte er den Anblick, der sich ihm bot.
Der Kopf des unglücklichen Helden lag tatsächlich auf der obersten Treppenstufe; sein Körper lag zehn Meter weiter im Inneren des Tempels.
„Also zehn Meter kommen wir auf jeden Fall“, fügte Trolf seinem „Oh“ hinzu und deutete auf den Boden: Sand war hereingeweht worden und die Fußspuren des Toten waren gut zu erkennen.
„Leider sind wir nicht genug Leute, um diese Methode so anzuwenden, dass wenigstens einer von uns durchkommt“, meinte Antarra trocken.
Beide spähten ins Innere des Tempels. Keiner von ihnen hatte große Lust dort hineinzugehen.
„Wir nehmen unsere Kamelstöcke“, entschied Trolf schließlich, „tasten uns damit voran und da wo Skelette liegen sind wir besonders vorsichtig.“ Er sah Antarra fragend an.
Diese nickte widerstrebend. „Hört sich ganz gut an. Lass uns die Stöcke holen gehen.“
„Das wird nicht nötig sein“, erklang eine Stimme hinter ihnen.
Sie gehörte dem Spion der freien interplanetarischen Handelföderation. Er war die Nacht durchgeritten, was zur Folge hatte, dass er nun alleine war. Das machte für Trolf und Antarra allerdings keinen großen Unterschied. Ein Armbrustbolzen konnte ebenso ein tödliches Loch hinterlassen wie sieben.
„Wer hat das Auge?“, fragte der Spion.
„Ich“, meldete sich Antarra.
Der Spion warf ihr seinen Kamelstock zu. „Du gehst die letzte Botschaft holen. Ich warte mit dem Barbaren hier auf deine Rückkehr. Na, los“, fügte er hinzu, als Antarra zögerte.
Sie drehte sich um und betrat den Tempel.
Trolf lehnte sich an die Mauer neben dem Eingang. „Ich wette eine Silbermünze, dass sie es schafft.“
*
Über Inir werden viele Geschichten erzählt. Eine ist die über die letzte Botschaft, eine andere berichtet über das goldene Zepter von Inir, das allerdings nicht in der Stadt liegt, sondern – so heißt es jedenfalls in der Legende – irgendwo in der Wüste verloren ging.
Immer wieder wird auch das große Geschick der Inirer erwähnt, wenn es um Mechanismen geht, die man auslöst, indem man irgendwo drauftritt oder irgend etwas irgendwo wegnimmt.
Für die letzte Art von Falle hatte Antarra ihren Beutel mit Sand. Doch bis dorthin musste sie erst einmal kommen.
Sie erreichte den glücklosen barbarischen Helden und mied die Bodenplatte mit dem letzten Fußabdruck. Sie hockte sich hin und rammte den Kamelstock auf die daneben.
Nichts rührte sich und sie setzte ihren Fuß darauf.
So tastete sie sich langsam vorwärts.
Mehrmals zischte etwas Scharfkantiges dicht über ihren Kopf hinweg oder etwas Spitzes fiel auf die Platte vor ihr.
Schließlich erreichte sie einen großen Raum. Dort lag der große Goldschatz, den sie Trolf versprochen hatte.
Antarra sah nicht nur Berge von Goldmünzen, sondern auch haufenweise Edelsteine und jede Menge wertvollen Schmuck.
Sie durchquerte den Raum und hielt nur einmal inne, um eine Goldmünze und einen Edelstein aufzuheben und einzustecken.
Ein großes Wandbild bedeckte die ganze hintere Wand. Davor blieb Antarra stehen.
Das Bild bestand aus mehreren Einzelbildern und schien eine Geschichte zu erzählen. Oft war ein blauer Mann zu sehen, der geheimnisvolle Dinge tat, mit Leuten sprach oder irgendwohin ging oder rannte. In der Mitte der Wand, ungefähr auf Augenhöhe war ein Loch, um das viele seltsame Zeichen angebracht waren. Eines davon sah aus wie ein Fisch mit Beinen.
Antarra holte das Auge des Sek hervor, löste den blauen Diamanten aus seiner Fassung aus Gold und Silber und setzte ihn in das Loch. Er passte genau.
Es ertönte das charakteristische Geräusch eines uralten Mechanismus, der seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden war: Es rumpelte und knirschte und ein Teil der Wand glitt zur Seite.
Dahinter kam eine kleine Kammer zum Vorschein. Licht fiel durch einen Lichtschacht auf einen Sockel in der Mitte, auf dem eine Schriftrolle lag.
Als Antarra nach ihr greifen wollte, zerfiel sie zu Staub.
Zurück blieb ein dünner Stab aus Blei, auf dem das Papier aufgerollt gewesen war. Bestürzt sah Antarra darauf hinab.
Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe und schließlich rang sie sich zu folgendem Schluss durch: Irgendetwas musste sie mit nach draußen bringen.
Sie nahm den Bleistab und legte den Beutel mit Sand an dessen Platz. Über ihr in der Decke knarrte etwas. Es klang enttäuscht.
*
Trolf starrte über die Ruinen der Stadt Inir.
Im Inneren des Tempels zischte etwas. „Tja“, meinte der Spion, „Du schuldest mir eine Silbermünze.“
„Nein“, wiedersprach Trolf, „es hat nicht gepocht. Es pocht wenn ein Kopf zu Boden fällt.“
Kurz darauf krachte es. Es klang als wäre eine Steinplatte in eine Grube mit spitzen Stäben gefallen.
„Es hätte ein abrupt abbrechender Schrei erklingen müssen“, kam Trolf der Bemerkung des Spions zuvor.
Es krachte erneut. „Und nun?“, fragte der Spion.
„Warte ab“, meinte Trolf und lauschte angestrengt.
Es blieb lange Zeit still, dann klapperte etwas. Es hörte sich nach einem Pfeil an, der von einer Steinwand abprallte.
Trolf grinst. „Siehst du.“
Diesmal dauerte die Stille noch länger. Schließlich rumpelte und knirschte es.
„Hört sich nach einer sich öffnenden Geheimtür an“, meinte Trolf in der Hoffnung den Spion mit seinem Optimismus in den Wahnsinn zu treiben.
Stille, die sich immer weiter ausdehnte, bis sie von dem Geräusch eines fliegenden Bleistabes unterbrochen wurde.
Er traf den Spion am Kopf, woraufhin dieser seine Armbrust fallen ließ.
Trolf reagierte blitzschnell, stieß sich von der Mauer ab und zog sein Schwert. Es zischte als er ausholte, dann pochte es.
Antarra trat aus dem Tempel, als der Körper des Spions in sich zusammensank.
„Hast du die letzte Botschaft?“, fragte Trolf.
„Sie ist auseinandergefallen.“ Antarra hob den Bleistab auf. „Das ist der Rest.“
Trolf nahm ihr den Stab aus der Hand und betrachtete ihn nachdenklich. „Wertlos“, meinte er und warf ihn fort. Dann wandt er seine Aufmerksamkeit wieder dem Spion zu. „Er schuldet mir noch eine Silbermünze.“
„Ich hab ihn nicht umgebracht“, meinte Antarra ungerührt, „aber ich hab etwas für dich.“
Sie holte die Münze und den Edelstein hervor.
Trolf nahm sie entgegen. „Oh ja“, murmelte er, „der Goldschatz.“
„Er ist da drin“, Antarra deutete in den Tempel. „Geh rein und hol ihn dir.“
Trolf rang mit sich selbst. Und diesmal gewann er. „Die beiden reichen mir.“ Er winkte mit dem Edelstein und der Münze und ließ sie dann unter seinem Wüstengewand verschwinden.
Allerdings sah er noch einmal bedauernd zurück als sie die Treppe hinunterstiegen.
Tag der Veröffentlichung: 31.05.2009
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