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Hochzeitsblume

 

1.

„Du kannst dir die Rollen nach dem Mittag holen“

„Danke, Stefan“

Trolan sah nur kurz auf, als der Verwalter der Bibliothek an ihm vorbeiging.

Dann wandte er sich wieder seiner tönernen Schüssel zu und löffelte den Eintopf.

„Was willst du denn noch alles lernen? Bist du nicht müde von der Arbeit im Holzschuppen?“

Trolan wandte sich Johann zu. Der junge Adept war erst vor einigen Tagen in das Kloster gekommen.

„ja, man kann nie genug lernen“, erwiderte Trolan, „ und nach der körperlichen Arbeit braucht auch der Geist etwas zu tun. Sonst weiß der gar nicht, wozu der da ist.“

„Ja, aber du weißt doch schon so viel.“

„Naja, das ist schon möglich. Aber wenn ich Leuten helfen will...“

„Was? Wie meinst du das? Du lebst doch hier in diesem Kloster ganz gut. So wie du lernst, ist für dich du doch ein Platz als Bibliothekshelfer greifbar nahe.“

Trolan lächelte. Es war schon fast ein offenes Geheimnis, dass er zum Herbstfest von seinem geliebten Holzschuppen in die Bibliothek wechseln sollte, zu seinen ebenfalls geliebten Schriftrollen.

„Willst du keine Familie haben?“, fragte er Johann.

Der jüngere sah ihn an.

„Darüber habe ich noch gar nicht so nachgedacht. Ich werden mein Studium in diesem Tempel durchführen, und dann in drei Jahren sehen, was wird.“

Etwas leiser fuhr er fort:

„Soweit ich weiß, hat meine Familie schon eine Heiratskandidatin für mich ausgesucht.“

Trolan schwieg. Ja, es war gar nicht so einfach aus gutem Hause zu stammen. Das merkte er immer wieder.

„Genug geschwatzt“, sagte er dann, auch um den anderen aufzuheitern „ Wir werden beide unsere Deckel schon finden. Vielleicht können wir uns ja auch besuchen.“

Dann lachte er, und Johann fiel ein.

„Nun ist gut“, meinte der, „bevor wir weiter Hirngespinste erzählen, sollten wir an die Arbeit gehen.“

Daraufhin verließen die beiden Adepten den Speisesaal. Johann wandte sich den Gärten zu, und Trolan dem Holzschuppen.

Unterwegs versuchte er sich seine Zukunft vorzustellen. Wenn er weiter so lernte, würde er in einem Jahr die Erlaubnis bekommen, das Kloster zu verlassen, um einen Tempel in einem Dorf zu betreuen. Dann verdiente er Geld, und er könnte eine Familie ernähren. Vielleicht hätte er dann vier Kinder, am liebsten zwei Jungen und zwei Mädchen.

'Doch dafür war noch viel zu tun', fand er.

Sein Geschick im Umgang mit Handwerkzeugen stellte ihn noch nicht zufrieden.

 

Im Holzraum angekommen, ging er zuerst zu einer Wand, die er mit Teer gestrichen hatte. Auf diese schwarze Fläche schrieb er nun einige Merksätze, die er am Abend vorher beim Studium einer Schriftrolle erstellt hatte.

Nun begann Trolan Stämme zu schleppen, und mit Keil und Hammer zu spalten. Die so entstandenen Stücke stapelte er, damit die Adepten im Winter Heizmaterial hatten. Er liebte den Umgang mit Holz sehr. Immer wieder erinnerte ihn der harzige Geruch an grüne Wälder, und der Umgang mit den doch recht schweren Scheiten machte ihn glücklich. Die anderen Insassen des Klosters ließen ihn die Arbeit gern machen, denn sie war ihnen zu schwer und zu grob, wie sie ihm schon oft gesagt haben. Für ihn selbst war es schön, weil er sich dann nicht ihren andauernden Sticheleien ausgesetzt sah.

Trollkind nannten sie ihn. Nicht nur wegen seines Namens, sondern auch, weil er aussah wie die grünen Wesen. Er hatte zwar keine grüne Haut, aber er hatte einen dicken Bauch, keine Haare auf dem Kopf und einen runden Kopf. Das alles unterschied ihn doch sehr von den anderen Adepten in diesem Kloster, und machte ihn recht einsam. Immerhin machte die anderen ihr Schlanksein attraktiver, sie waren gesünder, beliebter, einfach besser, jedenfalls wr ihm das oft genug gesagt worden.

Doch er konnte damit leben, denn ohne ihn würden sie im Winter frieren. Und ob einer von ihnen über einen ganzen Arbeitstag mit dem schweren Hammer umgehen konnte, das wagte er doch zu bezweifeln. So war er zwar allein, aber es machte ihn auch irgendwie zufrieden.

Auf den Wegen zwischen den Stapeln kam er immer wieder an der Schreibtafel vorbei, und so lernte er die Merksätze auswendig.

Doch schon nach etwa einer Stunde wurde er unterbrochen.

„Trollkind, wir sollen alle in den Tempel kommen“

Trolan drehte ich erstaunt um. Er wischte sich die Hände an der grauen Kutte ab, und verließ den Holzschuppen.

Als er aus dem dunklen Holzschuppen trat, vertrieb der Sonnenschein diese dunklen Gedanken. Die weiß getünchten Wände der Gebäude strahlten hell, und das Grün des Grases hatte eine satte Farbe.

Torlan sah andere Adepten schnell auf den Eingang des Tempels zugehen, und auch er machte sich auf, seinen Platz dort einzunehmen.

Nach der Helligkeit draußen konnte er im schummrigen Inneren des Tempels erst nichts sehen. Doch dann erkannte er die hölzernen Bänke, auf denen schon die anderen Adepten Platz genommen hatten. Sie bildeten einen großen Halbkreis um dem Altar, vor dem der Tisch stand, an dem die Ältesten des Klosters saßen. Es lebten immer vierundzwanzig Adepten und die drei Klosterältesten in dieser Anlage; musste jemand fort, kam ein anderer auf seinen Platz.

Trolan setzte sich bequem hin, und wartete. In diesem Tempel herrschte Schweigepflicht. Man durfte nur reden, wenn gemeinsam gebetet oder gesungen wurde, oder man den Sprechstab erhielt. Dieser hölzerne Stab lag auf dem Platz des Abtes und wurde bei Diskussionen und Streitgesprächen herumgereicht. Auch Trolan hat ihn schon des öfteren in der Hand gehalten.

Innerlich lächelte er bei dem Gedanken daran. Gerade letzten Woche war Johann gerade neu hierher gekommen. Beim Essen hatte er mit den anderen über ihn gelästert. Doch hier war ihm fast der Kiefer abgefallen. Denn soweit stand ihm vor Staunen sein Mund offen, als Trolan argumentierte. Das hatte er ihm nicht zugetraut, wie er ihm hinterher sagte. Inzwischen waren sie gute Freunde geworden. Trolan sah sich um, doch er konnte Johann nicht auf seinem Platz entdecken.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und Trolan erhob sich vom seinem Platz. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass auch die anderen Adepten aufgestanden waren. Durch die Tür sah Trolan vier Personen schreiten, unter denen sich auch Johann befand. Der Abt war an den roten Streifen an seiner Kutte zu erkennen. Die beiden Vorsteher besaßen gelbe Streifen an der Kutte. Johann dagegen trug immer noch seine Gärtnerschürze und hielt eine Schale in der Hand.

Trolan sah, wie sich die beiden Vorsteher hinter ihre angestammten Plätze stellten. Der Abt hingegen trat in den Raum vor der Tischreihe der Adepten.

„Brüder“, begann er,“ Es ist etwas bemerkenswertes passiert. Wie ihr wisst, ist die rote Sumpfdotterblume wichtig für unser Frühlingsfest. Zeigt uns doch ihre Blüte den Beginn des wieder erwachenden Lebens nach der kalten Jahreszeit an. Doch nun hat sich die Prophezeiung vollendet. Wie in den alten Schriften steht, die wir alle kennen, hat sich die Wurzel nach sieben mal sieben Jahren erschöpft, und ist verdorrt.“

Ein unterdrückte Aufschrei war zu hören.

„Brüder, bitte!“, ermahnte sie der Abt zu Stille, „Das ist ja allgemein bekannt gewesen, und es ist deshalb notwendig, der Tradition genüge zu tun.

Bruder Scriporius, bitte.“

Daraufhin fischte der eine Vorsteher eine Pergamentrolle aus dem weiten Ärmel seines Gewandes. Er entrollte sie und begann daraus vorzulesen:
„Als nun wieder die sieben mal sieben Jahre um waren, wurde aus der Menge der Adepten jemand bestellt, dass er eine neue Zwiebel hole. Sein Platz blieb jedoch unbesetzt, und stattdessen reich mit Blumen geschmückt. Der Erwählte begab sich zu den Trollen in der Stadt, und reiste mit einer ihrer Handelskarawanen in ihre wilde Heimat. Dort konnte er durch sein edles Wesen die Gunst der dort lebenden Geschöpfe erlangen. Er konnte eine Zwiebel bekommen und zurück nach Hause reisen. Dort fand er auch ein Trollpärchen, das die Zwiebel eingrub, um so die Prophezeiung zu vollenden.“

Als er geendet hatte herrschte Stille. Anscheinend ging es allen anderen ebenso wie Trolan, dem langsam die Tragweite der Worte bewusst wurde, die er da gerade gehört hatte.

 

Wieder wurde die Stille von der Stimme des Abtes unterbrochen.

„Der jetzige Erwählte ist Trolan.“

Trolan glaubte nicht, was er da gerade vernommen hatte. Er war der Auserwählte? Sofort schlug sich ein mulmiges Gefühl in seinem Bauch wieder.

'Wieso gerade er?'- diese Frage schoss ihm immer wieder durch den Kopf.

Am königlichen Hof hatten die Wissenschaftler die Proportionen des Menschen berechnet, also das Verhältnis der Körperteile zueinander. Seitdem wurde in den Versammlungshäusern dieses Bild des idealen Menschen verbreitet.

Menschen, die diesem Idealbild nicht entsprachen, hatten etwas in ihrem Leben falsch gemacht, so wurde gesagt. Gerade in den Städten griff dieser Schönheitswahn rasch um sich, so dass viele Menschen, sich der daraus entstehenden Anfeindungen durch die Flucht in die umliegenden Dörfer entzogen.

Auch für Trolan war diese Hervorhebung des Äußeren einer der Gründe gewesen, sich der Gemeinschaft des Tempels anzuschließen. Die weiten Kutten ließen die Figur sowieso nur erahnen.

Und nun sollte ausgerechnet er in die Welt da draußen gehen.

„Nun geh schon“, vernahm der junge Adept die Stimme seines Nachbarn.

Trolan zuckte zusammen. Dann stand er auf, und ging nach vorn zum Abt. Dort nahm er den offiziellen Auftrag und die Wünsche der Brüder in Empfang, die der Älteste im Namen der anwesenden aussprach.

Ohne sich noch einmal umzublicken, drehte sich Trolan um und verließ die angenehme Dunkelheit des Tempels. Draußen blendete ihn wieder die Sonne, doch das störte ihn nicht. Er war den Weg zu seinem Zimmer schon so oft gegangen, dass er ihn auch mit verbundenen Augen finden würde.

In seinem Zimmer packte er all das ein, dass er für eine Reise brauchen würde Das waren insbesondere zwei warme Decken, Messer, Axt, Teller und Löffel. Er packte auch die Rolle in seinen Rucksack, die etwas Papier, Feder und Tinte enthielt. Man konnte ja nie wissen.

So gerüstet verließ er den Raum, der ihn so lange beherbergt hatte.

 

2.

Schon zur Mittagszeit hatte Trolan das Tor des Klosters durchschritten. Seine Hand stützte sich auf einen Wanderstock, der auch gut zur Abwehr von Gesindel verwendbar war. Er hatte seinen Rucksack noch in der Küche mit Brot, Käse und Wurst auffüllen lassen, und am Brunnen einen Wasserschlauch gefüllt. Die nächsten Mahlzeiten musste er sich wohl erarbeiten, denn er hatte wenig Münzen mitbekommen.

Als die Pforte hinter ihm geschlossen wurde, blieb der junge Adept stehen, und sah sich um. Das Kloster lag in der Hafenstadt Fischgrund direkt am südlichen Tor. Torlan sah, wie sich viele Menschen mit Karren oder auch Fuhrwerken durch die breite Hauptstraße in beide Richtungen bewegten. Dabei fiel ihm auf, dass einige Menschen enganliegende, figurbetonte Kleidung in hellen Gelbtönen trugen, andere dagegen recht bunt gefärbten weiten Kleider trugen.

Ohne sich weiter darüber zu wundern, reihte er sich in den Strom der Menschen ein, und verließ die Stadt.

Auf den breiten Wegen rumpelten die Wagen der Bauern an ihm vorbei. Er ging an Menschen vorüber, die kleine Wagen mit leeren Käfigen zogen, weil sie die Hühner verkauft hatten. Und es kamen ihm andere Wagen entgegen, die wohl Waren in die Stadt fuhren, damit sie dort verkauft, oder verschifft wird.

Trolan hatte sich die Kapuze übergeworfen, so dass er sein Gesicht vor den Strahlen der gleißenden Sonne schützen konnte.

Schon von weitem sah er, dass der Weg bald durch einen Wald führte, und freute sich schon auf die Kühle, die die Schatten der Bäume spendeten.

Dabei sah er, dass die Wagen anhielten, und Leute vom Wagen kletterten, wenn er in die Stadt fuhr, und aufstiegen, wenn der Wagen aus der Stadt kam.

Plötzlich hörte er ein knarzendes Geräusch vor sich. Ein Wagen war von der Straße abgekommen, und stecke nun fest. Es war noch etwa fünfzig Schritt und sah, wie sich Menschen um das Gefährt sammelten. Doch irgendwie sah dies komisch aus, fand Trolan. Es waren meist junge Männer, die dort standen. Sie konnten zwar die Kisten auf den Verkaufsstand stellen, aber sie hatten wohl nicht die Kraft den Wagen wieder auf die Straße zu schieben.

Als Trolan zu dem Wagen kam, wurde er auch freudig begrüßt. Er schob seinen Wanderstab unter das Rad und lehnte sich mit seinem gesamten Gewicht darauf. So wurde das Rad aus dem Morast gehoben, und der Wagen konnte wieder auf die Straße geschoben werden.

Trolan kletterte aus dem Graben wieder auf die Straße. Es war doch gut, in den Holzstab einen Eisenstab einzulassen, dachte er. Da kam auch schon der Mann zu ihm, dem der Wagen gehörte.

„Danke, dass du uns geholfen hast. Willst du mitfahren?“ Ich kann dir leider nicht mit Geld danken“

 

3.

Trolan willigte ein und setzte sich neben dem Bauern auf den Kutschbock.

Als der Wagen sich wieder in Bewegung setzte, genoss Trolan erst einmal die neue Sicht, und erholte sich von dem doch recht ungewohnten Fußmarsch. Nach einiger Zeit passierten sie die steinernen Säulen, die die Grenze des Gebietes markierten, das der Stadt gehörte.

„Nun haben wir die Stadt entgültig hinter uns gelassen“, meinte Torlan.

„Ja, das ist auch gut so“

In dem Satz steckte soviel Verachtung, dass sich Torlan seinem Nachbarn zuwandte.

„Wie meint ihr das?“

Trolan sah auf dem Gesicht des Bauern eine Mischung aus Überraschung und Verachtung.

„ich bin seit fünf Jahren nicht aus dem Kloster hinausgekommen. Was ist denn so entscheidendes passiert?“, erkläre der Adept schnell.

Da glättete sich das Gesicht des Bauern.

„Ja, dann kannst du ja nichts von dem 'Drei-Fuss-Erlass' wissen. In der Stadt war man vor drei Jahren auf den Trichter gekommen, die vorhandene Magie auf die ganze Stadt auszubreiten. So war es möglich, Lebensmittel länger zu lagern, und die Erträge der Gärtner in der Stadt zu steigern. Nun hatten die Menschen in der Stadt viel Zeit, sich um andere Dinge zu kümmern, als der Natur die Früchte abzuringen. Als Folge davon kam man vor zwei Jahren auf die Idee, die Menschen zu vermessen, und auf ihre Gesundheit zu überprüfen. Dabei stellte man fest, dass ein Bauchumfang von drei Fuss ein wichtiges Maß war. Wer darüber lag, galt als unschön und wurde dann per Erlass gezwungen, die Stadt zu verlassen. Wer darunter lag, durfte sich mit der neuen gelblichen Kleidung als 'Kind der Sonne' auszeichnen, und in der Stadt bleiben.

Doch nicht nur Menschen gingen. Auch die Trolle, die zwar nicht unter den Erlass fielen, aber trotzdem unter dem Fortgang vieler Menschen litten, verschwanden aus ihrem Viertel.“

„Und die Menschen außerhalb?“, fragte Trolan.

„Wenn sie eine Rundreise zu den umliegenden Städten machen, so wie wir, dann fahren wir die Stadt immer noch an. Aber alle, die nicht dem Erlass entsprechen, verlassen vor der Stadt den Wagen, um hinterher wieder aufzusteigen.

Ja, wir leben in einem Ort inmitten der drei großen Städte. Fischgrund ist die letzte Station auf unserer Reise, dort liefern wir Getreide und haltbares Obst. In Grünstein, das zu uns am dichtesten liegt, haben wir vorgestern Hühner und Eier verkauft. Ganz gut gehen die Geschäfte auch in Holzhausen, aber die Holzfäller dort wollen keine Lebensmittel. Ihnen geht es um den guten Gebrannten, der aus Äpfeln hergestellt wird.“

Trolan hatte aufmerksam zugehört.

Was der Bauer von den trollen erzählt hatte, machte ihn traurig. Nicht nur, weil er so seinem Ziel entfernter als gedacht war. Nein, er war gern in das Viertel dieser urwüchsigen grünen Gestalten gegangen.

 

„Vater höre auf, dem Jungen so viel komische Sachen zu erzählen. Laß uns Rast machen“.

Der junge Adept hörte diese Stimme aus dem Wageninneren. Bisher hatte er gedacht, dass der Bauer allein unterwegs war.

Der Weg, auf dem sie fuhren war, hatte tiefe Spurrinnen, so dass es nicht möglich war, ihn zu verlassen. Doch in einiger Entfernung konnte Trolan eine Ausbuchtung des Weges erkennen. Dort waren die Spurrinnen nicht so tief, und am ausgefahrenen Sand konnte Trolan erahnen, dass der Platz wohl öfter als Rastplatz genutzt wurde.

Als das Fuhrwerk stillstand, kletterte Trolan vom Sitz. Ihm tat das Gesäß und der Rücken weh, ebenso stark wie die Füße nach der Wanderung.Er ging einige Male auf und ab, um seine steifen Muskeln wieder zu lockern.

„Guten Tag. Ich grüße dich auf dem Wagen der Familie Holzland. Ich bin Susi. Und wer bist du?“

Trolan sah sich um. Vor ihm stand eine junge Frau, die vielleicht zwanzig Jahre alt war, wie er schätzte. Sie trug ein Kleid aus grünlichem Stoff, das über der Brust geschnürt wurde. Oben konnte er eine weiße Bluse erkennen. Ihr rundes Gesicht umrahmten offene schwarze Haare. Mit den braunen Augen gaben sie der frau ein leicht schelmisches Aussehen. Sie war nicht gertenschlank, sondern eher füllig, fand Trolan. Und er fand, dass die Hände nicht aussahen, als ob sie lange ruhen konnten.

„Mögen die Götter mit dir sein!“, erwiderte er automatisch.

„ich bin Trolan, Adept aus dem Kloster in der Start Fischgrund“, stellte er sich vor.

„Ich bin Leila“, vernahm er da noch eine Stimme.

„Das ist meine zweite Tochter, die ältere der beiden“, begann nun der Bauer zu erklären.

Diese war zwar genauso gekleidet wie ihre Schwester, war aber sehr schlank. Ihre Finger fand Trolan auffallend lang, und anmutig.

„Ich bin Pristerin der Alia. Ich fahre mit, damit uns keiner übers Ohr haut, und denkt, wir wären als Bauern leichte Beute für Schlitzohren.“

Alia, dachte Trolan. Die Luftgöttin.

„Susi und Leila, wie die Göttinnen“, entfuhr es Trolan.

„Ja, aber die Götter haben mir keine zwei Söhne geschenkt, um das Quartett zu vollenden.“, erwiderte der Bauer.

Trolan lächelte in sich hinein. Es gab drei ältere und vier jüngere Götter. Die Göttin Noja beherrschte die Nacht, und ihr Gatte Tikon den Tag. Als sie sich beide nach ihrer ersten Begegnung innig küssten, konnten sie nur voneinander loskommen, in dem beide etwas von sich gaben. So entstand Murva, das Wesen, dass für den Lebenskreislauf und die Magie steht. Noja und Tikon zeugten vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungen. Der ruhige Erbon steht für die Erde. Aila ist als Luftgöttin eine lustige Person. Der ausdauernde Foron ist der Gott des Wassers, und die sowohl schöne als auch gefährliche Disa die Göttin des Feuers, das zugleich wärmen als auch vernichten kann.

In den Tempeln können die Menschen zu den jüngeren Göttern beten, in den Versammlungshäusern zu den älteren.

Das Kloster, in dem Trolan solange gelebt hatte, war eine Stätte, wo Wissen gesammelt und gelehrt wurde.

Die nächsten Minuten vergingen mit der Vorbereitung eines Feuers, über bald ein Topf mit Eintopf kochte. Trolan wurde von den Bauersleuten eingeladen, weil er ihnen geholfen hatte, als der Wagen feststeckte.

Während das Essen kochte, wandte sich Trolan an Leila.

„Wie konnte es zu diesem „drei-Fuß-Erlaß“ kommen?“

Leila sag ihn an. An ihrem Gesichtsausdruck konnte er die Antwort schon sehen.

„Ehrlich gesagt, wir wissen es nicht. Was dir mein Vater gesagt hat, ist die Wahrheit. Es begann auf einmal. Plötzlich tauchten diese gelb gekleideten Gestalten auf und gaben die Gaben Murvas der Allgemeinheit preis. Heraus kam eine gewaltige Umwälzung in den Städten. Körperlich schwere Arbeit war unnötig, die Menschen konnten sich mehr Zeit nehmen. Zeit für schöne Dinge und auch für sich selbst. Ziemlich schnelle entstand auch der Körperkult, den die Jünger der Sonne, wie sie sich selbst nennen, von den Versammlungshallen verkünden lassen.“

„Und wo sind die Trolle hingezogen? Wißt ihr das?“

Die drei Bauernsleute sahen sich an, und begannen dann schallend zu lachen.

„Adept, das weiß niemand. Sie haben die ihnen eigene Magie genutzt, ihre Spuren zu verwischen. Niemand weiß, wo sie sind. Niemand.“

Diese Nachricht traf Trolan wie ein Schlag. Was sollte er tun. Er überlegte. Es gab nur einen Weg, und nur einen, der etwas wusste. Er musste die Gunst Murvas suchen.

„Kennt ihr das Ritual der Familie“, fragte er in die Runde, ohne jemanden direkt anzusprechen.

Alle drei schüttelten den Kopf.

 

4.

Es dauerte einige Zeit und Überzeugungsarbeit, bis die beiden Mädchen zustimmten. Der Bauer redete ihnen zu, aber sie waren doch sehr dickköpfig.

Letztendlich begannen die drei das Ritual vorzubereiten, das die Entstehung Murvas nachstellte, so wie es die Legende sagte. Trolan hatte es in alten Aufzeichnungen gefunden, wo geschrieben stand, dass es zu früheren Zeiten zu beginn des Winters in den Orten so nachgespielt wurde.

Trolan zeichnete ein Quadrat in den Sand. Danach zeichnete er eine Diagonale. An den vier Ecken legten sie nun Gaben ab die sie in der Umgebung fanden, und die zu den vier jüngeren Göttern passten: Eine Feder, eine Wasserpflanze, etwas Erde von einem Maulwurfshügel und etwas Asche von dem Feuer, über dem der Eintopf gekocht hat.
Nun stellten sich Susi und er in die Felder, die durch die Diagonale abgeteilt waren. Leila und ihr Vater standen ausserhalb, und besahen die Szene. Es war ihre Aufgabe, die Erscheinung Murvas nach dem verbleib der Trolle zu befragen.

Nun begann Trolan das Lied zu singen, in der die Erschaffung Murvas besungen wurde. Dabei näherte er sich langsam der Diagonale. Auch Susi auf der anderen Seite kam ihm im gleichen langsamen Tempo entgegen.

Im Rauch der Melodie und der Worte streckten beide die arme aus, um sich beim Zusammentreffen über der Diagonale zu umarmen und – zu küssen.

Als Trolan die feuchten, warmen Lippen spürte, durchflutete ein Wust an Bildern seinen Kopf. Er sah sich bei den Trollen, als Adept in einem Dorf, mit seinen Kindern und seiner Frau. Dieses Bild blieb länger und wurde deutlicher. Das erst schemenhafte Bild klarte sich auf, und er sah- Susi.

Unwillkürlich löste er den Kuss, und das Bild verschwand.

„Ihr müsst es ja nötig haben“, hörte er die Stimme von Leila, „ ich dachte ihr hört gar nicht mehr auf.“

Trolan öffnete die Augen, die er zwischenzeitlich geschlossen hatte, öffnete die Arme und sah sich um.

„Was war denn?“

„Deine Beschwörung klappte. Respekt, Adept. Ich muss sagen, dass es in Natur noch viel beeindruckender ist als auf den Darstellungen in den Versammlungshäusern. Es war auch gar nicht böse, dass ihr es herbeigerufen habt, im Gegenteil. Es hat mir auch mitgeteilt, dass ich Alia sehr gut diene, und bald in eine höhere Stellung gelange. Wusstet ihr, dass die beiden Kopfhälften...“

„Das ist ja ganz spannend, und das kannst du uns später erzählen. Was ist mit den Trollen?“, unterbrach sie Trolan. Dabei sah er Susi an, die immer noch mit geschlossenen Augen, wie in Trance versunken, dastand.

„Ja, die Trolle“, Leila schien nachdenken zu müssen.

Als Trolan den Bauern ansah, sah der nach unten.

„Was hat Murva denn nun gesagt?“, hakte er nach.

 

Doch die Antwort kam von Susi:

„Sie hat nichts gesagt. Stattdessen ist Murva hier bei mir.“

Trolan drehte sich zu ihr um. Susi hatte die Schnur gelöst, die ihr Mieder zusammenhielt, und ihre Bluse herausgezogen. Doch statt der Brüste konnte Trolan zwei Gesichter erkennen, ein männliches und ein weibliches.

„Murva ist in mich gefahren“, sagte Susi.

Sie sah aus, als ob sie nicht so richtig lachen oder weinen sollte. Trolan ging zu ihr.

Da schlug der rechte Kopf, der männliche, die Augen auf.

„Du bist es also, der mich gerufen hat. Mein anderes Ich schläft gerade. So halten wir es immer, damit uns nichts entgeht. Jeder schläft von Mittag bis Mittag. Ihr braucht keine Angst zu haben. Mädchen, du kannst das Mieder wieder schließen. Habe keine angst, wenn wir den Auftrag erledigt haben, verschwinde ich wieder.“

Trolan sah zu, wie Susi ihr Mieder zumachte.

Dann sah er sie auf sich zukommen, und er erhielt eine Ohrfeige.

„Es gehört sich nicht, einem Mädchen auf den Busen zu starren“, bekam er zur Antwort.

 

Susi hielt sich ihre Hand, die nach dem Schlag immer noch weh tat.

'Das hätte nicht sein brauchen', sagte eine Stimme in ihrem Kopf, von der sie wusste, dass es Murvas war.

'Doch' ,dachte sie, ' Er ist ein netter Kerl, aber er braucht trotzdem nicht so zu starren.'

Susi ging wieder zu dem Wagen, neben dem ihr Vater das Feuer wieder angefacht hatte.

Sie setzte sich hin, und nahm sich eine Tasse Tee aus dem Kessel. Ihr schwirrte der Kopf von den Ereignissen der letzten Stunden. Bisher bestand ihr Leben aus ihrem Heimatdorf und dem elterlichen Hof, das durch die gelegentlichen Fahrten auf die Märkte unterbrochen wurde. Der Ausgleich für die oft harte Arbeit auf den Feldern und bei den Tieren war ihr Blumenbeet, das sie hinter der Scheune angepflanzt hatte. Inzwischen waren die Pflanzen so groß und trugen so viel Blüten, dass die Menschen aus dem Dorf zu ihr kamen. Oft tauschte sie einfach die Blumen für andere Dinge, oder sie band sie vorher zu Gestecken oder Kränzen. Sie mochte es, wenn andere zu ihr kamen, oder sie einluden. Wenn sie jemand stichelte, wann sie heirate, dann antwortete sie meist, dass sie dann ja nicht für alle da sein könne. Damit war das Thema meist beendet.

„Hört mir zu“, vernahm sie aus ihrem Inneren die bekannte Stimme, „ ich weiß, warum du mich hergerufen hast, Adept. Ja, ich weiß, wo die Wesen sind, die ihr Trolle nennt, und wir ihr an die Hochzeitsblume gelangt. Doch wisse um den Preis. Ihr müsst zu den Trollen reisen, das ist das erste. Nun müsst ihr dort die Blume erhalten, das ist das zweite. Ihr müsst zwei und doch eins sein, das ist das dritte. Dann werden zwei der Trolle die Blume pflanzen, das ist das vierte. Doch ihr werdet nicht mehr das sein, was ihr jetzt seid. Das ist der Preis.“

„Wie redest immer von ihr? Es geht um mich“, fragte Trolan.

Die Stimme lachte laut. Dann sagte sie:

„Du irrst dich, Adept. Habt ihr in den letzten sieben mal sieben Jahren vergessen, wie die Blume zum Frühlingsfest zu beschaffen ist? Ja, zuerst begibt sich ein Adept auf die Suche. Doch nicht nach einem Trollpaar, sondern nach einer Jungfer. Dann ziehen beide gemeinsam zu den Trollen.“

Da schwante Susi schlimmes: „Bin ich etwa diese Jungfer? Und soll ich nun mit dem da zu den Trollen gehen?“

Dabei zeigte sie auf den Adept, der auch etwas erstaunt aussah.

„Ja, so ist es vorgesehen“, erklärte die Stimme.

„Vorgesehen? Was bedeutet das?“, fragte nun ihre Schwester Leila, die bisher nur zugehört hatte.

„Oh Priesterin der Alia, deine Frage erstaunt mich. Wir waren es, der einst diese Blume gestiftet hat. Und so wie wir zweigeteilt sind, soll auch die Blume von zweien geholt und eingesetzt werden. Doch so, wie wir weder jung noch alt sind, so soll auch ein Adept aus einem Kloster, und kein Priester aus einem Tempel derjenige sein, der mit der Suche beginnt. Es ist ihm bestimmt eine Frau zu treffen, mit der er dann die Reise antritt und den Preis zahlt.“

Wieder der Preis, dachte Susi. Er hatte vorhin schon mal darüber gesprochen. Doch was mochten diese Worte bedeuten. Aber selbst wenn sie in einen Steinklumpen verwandelt würde.

„Was soll das hier“, sprach sie ihre Gedanken laut aus,“ Was geht mich die ganze Sache an? Es war doch die Sache dieses Adepten, da drüben. Er hat mich in ein Ritual gezogen, und nun wohnt Murva in mir. Das ist richtig gemein.“

Bei diesen Worten löste sich die innere Anspannung in ihr, und sie begann zu schluchzen. Sie merkte, dass wohl Leila bei ihr war, und sie in die Arme nahm.

Sie spürte in ihrem Kopf eine starke Kraft, die sehr vertraut wirkte. Als sie den Adepten umarmte und küsste, spürte sie diese Kraft schon einmal. Damals sah sie in ihrem Geist das Bild eines Apfelbäumchens, dass aus einem Kern zu einem Baum wurde, und an dem zum Ende der Vision die schönsten roten Äpfel hingen.

 

6.

Sie sah dem Wagen ihres Vaters nach. Nur Leila und ihr Vater fuhren auf den Hof, sie und dieser Adept würden die Landstraße weiterziehen.

In einer starken Vision war Murva ihr erschienen. Sie befand sich auf einem brachen Acker, als sie das göttliche Wesen vor sich sah. Ein leuchtend gelber Himmel hing über dem Land. Murva ließ sie teilhaben an den Ereignissen, die vor sieben mal sieben Jahren stattfanden. Sie sah, wie das Menschenpaar mehrere Zwiebeln erhielt, und diese auf ihrem eigenen Hof anbaute. Diese Blumen steigerten die Ernte der Bauern, wenn diese die Blütenblätter auf ihren Feldern verstreuten.

Ohne ein Wort zu sagen, begann sie den Weg entlangzugehen, der zu dem Ort führen sollte, wo die Trolle nun lebten.

Nach einiger Zeit hörte sie die Worte: „Lass uns Pause machen.“

Beide setzten sich gegenüber ins Gras, aßen Wurst, Käse und Brot. Anschließend tranken sie etwas Wasser aus den Wasserflaschen. Ansonsten schwiegen sie.

Nach der rast standen sie wieder auf, und gingen weiter. Die Straße war von hohen Bäumen umsäumt, die reichlich Schatten spendeten. Dass sich auch irgendwer darin verstecken konnte, wurde ihr erst klar, als sie einen starken Schmerz am Hinterkopf spürte, und ihr ihr schwarz vor Augen wurde.

 

Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich in einem Erdloch wieder. Im Schimmerlicht sah sie den Adepten vor sich, der immer noch nicht bei sich war. Sie sah in ihren Mieder, doch was war das. Beide Ichs Murvas waren verschwunden. Das musste sie unbedingt dem Adepten erzählen.

Sie krochh zu Trolan, und schüttelte ihn.

„Trolan, wach doch auf. Hallo-Trolli“, versuchte sie ihn zu wecken.

Vielleicht ist er verletzt, dachte sie, und untersuchte den Mann. Aber sie konnte nichts entdecken. Aber in ihr entwickelte sich irgend etwas, wenn sie ihn berührte. Ein warmes leichtes Kribbeln spürte sie in sich.

Sie griff nach ihrer Wasserflasche, und führte sie an seinen Mund. Doch es kleckerte viel daneben, so dass sie sich entschloss, sein Gesicht abzulecken.

Dabei berührten sich wieder ihre Lippen. Er schluckte zwar, aber eher automatisch.

In diesem Moment hörte sie über sich Stimmen. Sie klangen hart, aber sie konnte die Worte verstehen.

„Hallo“, rief sie daher.

„Ah, das Weibchen ist schon wieder wach.“

In diesem Moment sah Susi, wie sich die Decke öffnete, die wohl aus einer hölzernen Platte bestand. Das einfallende Licht blendete sie. Als sie wieder sehen konnte. Hatte jemand eine Leiter herunter geschoben.

„Ich gehe mal nach dem Männchen sehen. Ich habe dir aber gesagt, du sollst nicht so hart zuschlagen.“

Susi sah eine Gestalt die Leiter hinunter klettern. Die Beine waren muskulös und sie waren grün. Das war das Bemerkenswerteste. Sie gehörten wohl eindeutig einem Troll. Wenig später war der Troll herunter geklettert, und drehte sich zu ihr um.

Da sie noch nie einen gesehen hatte, sah sie ihn mit starren Blick an.

„Na, keines Fräulein, noch nie einen Troll gesehen“, sprach sie der Troll an. Er drehte sich um sie selbst und schob sie dann sacht zur Seite.

„Seinem Freund fehlt nichts. Er wird noch etwas schlafen.“, hörte sie ihn neben sich sagen.

Dann sah er sie mit seinen kleinen braunen Augen in dem kreisrunden Gesicht an, an dem die Wülste über den Augen und die große Knollennase hervorstachen.

„Komm mit. Wir haben mit dir zu reden“

Trotz seines massigen Körpers bewegte sich der Troll ziemlich schnell, und kletterte die Leiter nach oben.

Susi warf noch einen letzten Blick auf Trolan und folgte ihm.

Oben angekommen sah sie sich um. Die stand auf einem Hügel, der mit kurzem Gras bedeckt war. Etwas weiter sah sie eine kreisförmige Ansammlung von halbkugelähnlichen grünen Dingen. Es musste sich wohl um die Behausungen der Trolle handeln, denn sie sah, wie sie diese betraten und verließen. Die Trolle winkten ihr zu folgen, und gemeinsam gingen sie einer Behausung, die am Rand des freien Platzes lag, um den die Behausungen angeordnet waren. Zwei Pfähle standen zu beiden Seiten.

Die Trolle geboten ihr zu warten, und so blieb sie stehen. Auch Frauen waren nun gekommen, genauso wie kleine Trolle. Die Trolle trugen keine menschliche Kleidung. Doch schützten sie sich mit braun aussehenden Decken aus einem ihr unbekannten Material.

Da bewegte sich die Decke am Eingang des Zeltes, und ein großer Oger kam heraus. Er war wohl an die sieben Fuß hoch. Tiefe Furchen gaben seiner Haut ein rindenförmiges Aussehen.

Sie sah den Troll neben sich fragend an, was sie nun machen sollte. Doch der beachtete sie nicht.

Der alte Troll holte die Hand aus, und klopfte ihr so an den arm, dass sie hingefallen wäre, hätte sie der Troll neben ihr nicht aufgefangen.

„Ich begrüße dich, Menschenmädchen. Es tut mir leid, dass meine Begrüßung etwas zu stürmisch war. Ich wollte dir nur leicht an den Arm klopfen, als Zeichen der Begrüßung. Doch was leicht ist, hat für Trolle und Menschen eine andere Bedeutung.“

Susi verstand und versuchte nun diese Geste nachzumachen. Doch sie schaffte es nur, ihm am Ellenbogengelenk zu treffen.

„Du willst also die Frühlingsblume holen“, begann der Troll, „Warum sollten wir sie euch geben? Ihr habt uns aus euren Städten vertrieben, wo wir gut zusammengelebt haben. Doch nun müssen wir wieder zu den Sitten unserer Vorväter zurückkommen.

Aber ich sehe, dass du auch selbst von den deinen gemieden worden wärst, so wie wir.“

„Ja, das habe ich gehört. Aber ich kann nichts dafür“, versuchte Susi sich zu rechtfertigen.

Der alte Troll schnitt ihr das Wort ab.

„Da wo wir nicht erwünscht sind, kommt ihr icht wieder hin. Und da wo ihr sein werdet, werden auch wir sein. Nun soll die Prüfung beginnen.“

Hinter dem Oger traten zwei junge Trolle aus dem Zelt, eine Frau und ein Mann. Sie traten zu Susi und nahmen ihre Hände.

„Wir prüfen nun dein aufrechtes Wesen, Mädchen.“, sagte der alte Troll, “Solltest du falsch sein, dann wirst du zerrissen. Solltest du aber von rechten Wesen sein, dann sind diese beiden es, die dir die Hochzeitsblume geben werden. Nun beginnt.“

Susi merkte nun, wie zwei starke Kräfte in sie eindrangen.

„Sie ist rein, genau wie der Junge“, erklärte der Trollmann.

Susi sah, wie sich der alte Troll an die Trollfrau wandte, und sagte: „Nun geht die Zwiebeln holen.“

Die Trollfrau zog Susi vom Haus des Ältesten weg, und den weg zwischen den Behausungen entlang. Plötzlich blieb sie stehen. Vor ihnen saß eine Trollfrau. Während sie an etwas arbeitete, spielten um sie herum kleine Trollkinder.

„Das ist mein Traum“, sagte die Trollfrau versonnen, „ Ein Haus, Kinder und auch für mich Freiraum. Und wie stellst du dir dein Zusammenleben mit dem Jungen vor?“

Susi sagte nichts. Diese Frage hatte sie sich noch gar nicht gestellt. Sicher hatte sie den Adepten kennengelernt, und er war ihr an's Herz gewachsen. Aber ein leben mit ihm?

„Du brauchst ja nicht antworten“, sagte die Trollfrau weiter, „Ich kenne meinen Mann auch noch nicht so lange. Aber das ist ja nicht so wichtig. Was willst du übrigens morgen anziehen, wenn wir heiraten?“

Susi blieb wie angewurzelt stehen.

„Was? Wir beide heiraten?“

„Nein, so nicht. Du heiratest deinen Mann und ich meinen. Aber beides Morgen. Diese Doppelhochzeit ist Tradition bei der Übergabe der Hochzeitszwiebel. Ich trage eine Decke aus Schilfzweigen, in die ich ein Muster aus Eichenblätter gewebt habe. Mein Mann wird aus der Überraschung nicht herauskommen.“

Susi konnte immer noch nichts sagen, so überrascht war sie.

„Aber du brauchst dir keinen Kopf zu machen, ich glaube es sind noch schöne Decken im Speicher. Da ihr ja bei uns heiratet, werdet ihr auch aussehen wie wir.“

Susi sagte immer noch nichts. Sie trottete hinter der Trollfrau hinterher, von der sie nicht einmal den Namen wusste. Doch das war auch das wenigste, was sie im Moment interessierte. Stattdessen dachte sie über die Dinge nach, die die Trollfrau gerade gesagt hatte.

„Liebst du deinen Mann?“, fragte sie.

Die Trollfrau blieb stehen.

„Das ist eine gute Frage. Ich frage mich, warum du sie stellst. Wenn Murva ein Paar berührt hat, dann gehören sie zusammen. Sie werden es vielleicht erst nicht wissen. Aber es wird sich so entwickeln, dass sie bis an ihr Lebensende zusammen bleiben werden. Glaubt ihr das nicht?“

Die Trollfrau zog sie weiter. Beide gingen nun weiter, bis sie das Dorf verlassen hatten.

Murva schon wieder, dachte Susi. Das Wesen wurde in den Versammlungshäusern nur noch als Hüter der Magie angebetet. Aber die Trollfrau hatte Recht. Worauf wartete sie noch? Auf den viel besungenen Liebhaber, der mit Liedern um sie warb? Oder auf die Leidenschaft des heimlichen Treffens hinter der Scheune. Die Männer im Dorf sahen sie kaum an, und es gab niemanden dem sie sich so hingezogen fühlte, wie zu Trolan. Allein, wie er ihrem Vater geholfen hatte, machte ihn schon zu etwas besonderem.

Je länger sie an die wenigen Tage, die sie sich kannten, dachte, desto mehr hatte sie den Eindruck, den Adepten schon jahrelang zu kennen.

Plötzlich blieb die Trollfrau stehen.

„Hier sind die Zwiebeln.“

 

Trolan fühlte sich in seinem Element. Er saß in der Hütte des Ältesten inmitten der Trollmänner. Als Walsmenschen waren Bäume für die Trolle unwahrscheinlich wichtig. Und da er auch Holz und den Umgang damit so liebte, fühlte er sich gleich wie zuhause.

Er bekam schnell mit, dass die Trolle ihre namen als etwas sehr heiliges betrachteten, und sich gegenseitig an der farbe der Matten erkannten, die sie umgebunden hatten. So gab es „Eichenblättrigen“, weil er in seine Schilfmatte die Blätter eines Eichenbaums eingebunden hatte. Er war nur „der Menschenjunge“, wenn er angesprochen wurde. Der „Kleeblättrige“ war der Bräutigam, der die Trollfrau heiraten würde, mit der Susi gerade unterwegs war.

Immer wieder schweiften Trolans Gedanken zu ihr ab, und er stellte sie sich in einer Trollmatte vor.

Plötzlich öffnete sich die Decke vor der Tür:

„Sie sind da!“, sagte eine ältere Trollfrau.

„Dann kommt es geht los“, sagte der Älteste und winkte Trolan und dem Trollmann.

 

8.

Draußen krähte ein Hahn. Trolan erwachte, und fand sich in einem weißen weichen Bett wieder. Alser neben sich griff, ergriff er eine warme Hand. Er hörte ein leises Stöhnen, und spürte, wie sich die Person neben ihm umdrehte. Er sah dorthin und sah Susis Rücken, über den noch die Verschnürungen der Trollmatten liefen.

'Nun hatten sie also den Preis bezahlt, von dem Murva sprach', dachte er.

Er erinnerte sich, wie er mit dem Trollmann in eine Hütte ging, und sich die Männer ihren Frauen gegenübersaßen. Sie erfassten sich alle vier an den Händen, und dann sollten sie die augen schließen. Danach hatte er den Duft von starken Kräutern gerochen, und er wurde zunehmend ruhiger. Sein Geist sendete ihm klare Bilder. Er sah sich mit Susi und den beiden Trollen auf einer Ebene inmitten von Trollen stehen. Der alte Troll gab den Paaren je eine Zwiebel und winkte sie zu einem Tor, das aus dem Nichts aufgetaucht war. Obwohl dahinter kein Gebäude war, stand es offen, und man konnte durch es sehen. Trolan sah den Klostergarten in Fischgrund vor sich und er durchschritt mit Susi das Tor. Es muss eine Neumondnacht gewesen sein, denn es war stockdunkel. Trotzdem fanden sie genau die Stelle, wo sie die Blumenzwiebel einpflanzen mussten. Jedes Paar pflanzte eine Blumenzwiebel. Als sie sich erhoben schimmerten in der Luft zwei Tore. Durch das eine schritten die Trolle, und durch das andere Susi und er. Dann erinnerte er sich an nichts mehr.

Plötzlich hörte er draußen Stimmen.

„Die jungen Leute werden noch schlafen. Immerhin sind sie erst über Nacht angekommen“, sagte die eine, es war die einer Frau.

„Ja, und das Pferd haben sie vor dem wagen gelassen. Komische Leute gibt es“, sagte eine männliche.

' Ein Pferd?', Trolan setzte sich auf den Bettrand. Er trug zwar noch seine Trollmatte, aber es lag passende Kleidung auf einem Hocker neben dem Bett für ihn bereit.

Dann verließ er das Schlafzimmer, das außer dem Bett und zwei Hocken noch einen großen Schrank beinhaltete. Alles war in zartem blau gestrichen, und mit Blumen verziert. Trolan erreichte einen kleinen Flur, von dem noch weitere Türen abgingen. Er öffnete die Tür, von der er annahm, das sie nach draußen führte.

Er stand wenig später tatsächlich vor dem Haus im freien. Vor ihm stand ein kleiner Mann mit einem weißen Rauschebart und eine Frau.

„Murva sei mit euch, Herr Priester, Willkommen in Grünberg. Wir sind ihre Nachbarn“, sagte die Frau.

„Mögen die Götter euch segnen“ , erwiderte Trolan schlaftrunken.

„ich habe doch gesagt, der ist von außerhalb“, hörte Trolan die beiden tuscheln, „ Warum würde er sonst so komisch grüßen“

Trolan achtete nicht weiter darauf, und sah sich um. Vor dem Stall stand tatsächlich ein Pferdefuhrwerk. Als er unter die Plane sah, erkannte er eine komplette Haushaltsausstattung. Auf einer Kiste erschien plötzlich das zweigeteilte Gesicht Murva's.

„Die Suche ist vollendet. Nehmt dies als Geschenk“, sagte das Abbild und verschwand.

Trolan verließ den Wagen und besah sich das Grundstück, das nun seins war. Es hatte neben dem Haus und der Scheune noch ein großes Gebäude. Als er es betrat, gelangte er in einen großen Raum, an dessen Stirnseite die Abbilder der Götter abgebracht waren. Doch anders als in Fischgrund, stand Murva ganz oben in der Götterpyramide, und die älteren und jüngeren Götter unter ihm. Nun ahnte er auch, wo er war. Er hatte von einer Gegend gelesen, wo die Götterfamilie auf diese Art angebetet wurde. Sie befand sich am anderen Ufer des Meeres, ungefähr sieben Tagesreisen nördlich von Fischgrund. Er durchschritt den Versammlungsraum, und fand die Tür zu den Arbeitszimmern. Dort sah er eine Rolle liegen, die jemand beschwert hatte, um in krakeliger Schrift Eintragungen zu machen. „Geburten in Grünberg“.

„Hallo Trolan. Hier bist du. Ich habe dich schon überall gesucht. Komm lass uns frühstücken.“

Er sah sich um, und sah Susi in der Tür stehen. Mit ihrem schwarzen Kleid, der weißen Schürze und der weißen Kappe sah sie wunderschön aus.

„Ja, ich komme“, sagte er, und dachte :' Wir sind angekommen.'.

 

 

Impressum

Texte: Andre' Elget
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2014

Alle Rechte vorbehalten

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