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1. Bei den Zwergen

"Nun denn, laß uns fahren"
Orinok zeigte nach vorn. Der neben ihm sitzende Fahrer drehte an den Hebeln und das Fahrzeug schwebte in die Höhle. Zum ersten Mal betrat Orinok die schwarze Welt der Zwerge. Er hatte sehr widersprüchliches darüber gehört und gelesen. Einige waren unermeßlich reich und andere bettelarm. Die letzteren waren sein Ziel.
Kaum hatte das Fahrzeug den Eingang passiert schon standen mehrere Dutzend Gestalten um das Fahrzeug herum. Dünne Ärmchen streckten sich dem Elfen entgegen und die Gesichter unter den schwarzen Mützen waren kaum auszumachen. Orinok winkte dem Fahrer langsam weiterzufahren, und so bahnte sich de Kolonne einen Weg ins Innere der Höhle. Diese war in ein gelbes Licht getaucht, das an den Wänden angebrachte Leuchter erzeugten. Orinok sah, dass links und rechts Wege angingen, deren Fußboden festgestampft war. Voraus jedoch erkannte er eine Höhle, deren Wände nur grob bearbeitet waren. Er zeigte dorthin und sagte:
" Das ist unser Ziel."
Im Inneren der Höhle bot sich ihm ein Bild des Elends. Wie in einem Bienenstock waren viele hundert Höhlen in den Stein gehauen worden. Klapprige Leitern ermöglichten es den Bewohnern, ihre Behausungen zu erreichen. Nur die allgemeinen Wegelampen erhellten den Ort, an dem der Elf das Fahrzeug halten ließ.
Er stieg aus und ging zur Ladefläche, auf der sich viele Säcke mit Getreide befanden, deren Inhalt für eine Person eine Woche reichte. Er hatte sie in seiner Heimat mit Spenden finanziert, um den hier herrschenden Hunger wenigstens etwas zu lindern.
Kaum hatte er die Plane geöffnet, die die Ladefläche bedeckte, da war er schon von ausgemergelten Gestalten umringt. Innerhalb weniger Augenblicke war die Ladefläche leer und die Zwerge waren verschwunden. Zufrieden band der Elf die Plane wieder fest und winkte dem Fahrer umzudrehen.
Sprechen konnte er nicht, denn eben gesehene Elend hatte ihn sehr mitgenommen.
Als das Fahrzeug wieder dem Ausgang dieser Höhle entgegenschwebte, sah Orinok einen alten Zwerg winken. Er hatte einen bunt bestickten Mantel an und neben einem langen weißen Bart auch eine weiße Zwergenmütze auf dem Kopf.
"Ein Priester", sagte der Fahrer und Orinok nickte. Der Zwerg winkte ihnen, ihm in einen Gang zu folgen. Orinok staunte nach dem Elend, das er gerade gesehen hatte, wie bunt ausgeschmückt dieser Gang war. Vor Bändern und Blumen konnte man kaum Gestein sehen. Wenig später vergrößerte sich der Gang zu einer gigantischen Höhle, deren Ausmaße nicht erkennbar waren. Der Elf konnte Zwergenfiguren entlang der Wände sehen und im Inneren, anscheinend genau im Mittelpunkt der Höhle stand ein riesiger Zwerg aus Stein. Der alte Zwerg führte Orinok um die Figur herum, und da blieb dem Elf fast das Herz stehen. Die gesamte Ladung, die er für die hungernden Zwerge mitgebracht hatte, lag das auf einen großen Haufen getürmt. Nur im Unterbewußtsein nahm Orinok wahr, wie ihm der Priester eine Kete aus weißen Steinen umhängte.

Er hatte den Schreck noch nicht verdaut, als er nach zwei Stunden in der Handelsstation bei einer Tasse Tee saß. Boriwok war der Verantwortliche für die Beziehungen zu den Zwergen, und hatte ihn eingeladen.
Orinok nippte an der Tasse, und fragte:
"Wieso haben sie das getan? Wir bringen ihnen Nahrung, damit sie nicht verhungern, und sie tragen das zu einem steinernen Gottesbild- Wieso, frage ich Sie."
Er sah, daß sein gegenüber leicht lächelte. Dann setzte dieser die Tasse auf das Tischchen, und begann:
"Wissen Sie, das haben sich schon mehr Leute wie Sie gefragt. Die Zwerge haben eine andere Auffassung von der Welt. Bahro, der Gott, vor dessen Abbild Sie standen, soll der Legende nach siebentausend mal tausend Zwerge geschaffen haben. Und jeder Zwerg bekam einen rang zugeornet, der sich in der Farbe seiner Mütze ausdrückt: weiß für die Priester, gelb für die Verwalter. So geht es weiter über rot, blau und grün bis hin zu braun für die Arbeiter und schwarz für die Bettler. Die Zwerge glauben, daß Bahro bei ihrem Tod ihre Taten wiegt. Fanden sie sein Wohlgefallen, dann steigen sie eine Mützenfarbe auf, wenn nicht, dann bekommen sie eine dunklere Mützenfarbe. Die Zwerge mit der schwarzen Mütze haben also im letzten leben nicht den Wohlgefallen Bahro's gefunden. Sie wurden dafür mit der schwarzen Mütze gestraft. Im jetzigen Leben müssen nun alles tun, um ein Leben in Demut und Reue zu führen, um im nächsten Leben eine andere, hellere Mütze zu bekommen.
Diese Menschen hatten in Eurer Gabe einen willkommenen Grund gefunden, damit um das Wohlgefallen Bahro's zu bitten."
"Und der Priester? Es gibt doch nichts mehr nach der weißen Mütze!"
"Das ist richtig. Er steigt nach dem Glauben der Zwerge im nächsten Leben zur Rechten Bahro's auf. Für ihn kommt ein neuer Zwerg in den ewigen Kreislauf."
Orinok nickte und schwieg.

2. Bei den Menschen

Katina sah sich um. Um sie herum standen einige wenige Hütten aus Lehm ohne Fenster und Türen. Nur einen, mit einem bunten Tuch zugehängten, Eingang gab es. Die Elfe drehte sich um und rief:
"Meine Damen, wir sind da."
Darauf stieg sie aus ihrem Fahrzeug und betrat erstmals den heißen Boden.
Durch ihr Rufen angelockt kamen nun mehrere Gestalten, die aber in sicherer Entfernung stehenblieben.
'Das waren also die Menschen', dachte Katina. Von Abbildungen wusste sie, dass sie sich von ihresgleichen nur dadurch unterschieden, dass sie keine spitz zulaufenden Ohren hatten. Ansonsten hatten sie aber die Errungenschaften der elfischen Zivilisation noch nicht kennengelernt. Aber das würde sich ja bald ändern, weil sie und ihrer Freundinnen hier eine Arztstation erreichten wollten, um die armen Menschen vor den Krankheiten und Seuchen zu schützen.
"Guten Tag, schöne Frau"
Erschrocken sah sich Katina um. Vor ihr stand ein Mensch in seinem typischen Wollhemd, dass ihm bis an die Knie reichte. Der Mann vor ihr hatte einen schwarzen Bart und einen Speer in der Rechten.
"Ihr könnt unsere Sprache?", fragte Katina etwas verwirrt.
"ja, das kann ich. Ich begrüße euch auf unserem Stammesland. Was wollt ihr?"
"Wir wollen hier eine Arztstation gründen, um euch vor den Krankheiten zu heilen."
Der Mann übersetzte das und die Menschen fingen an zu lachen.
Zu der verdutzten Katina sagte der Mann:
"Kommt mit."
Schon nach einigen hundert Metern erreichten sie ein hölzernes Gebäude, in dessen unmittelbarer Nähe sich ein Feld befand, das von einem niedrigen Zaun umgeben war. Anhand der Hügel darauf schloss Katina, dass es sich hierbei um einen Friedhof handelte.
"Seht her. Das ist der Ort, auf dem sich die letzten Elfen befinden, die hierher kamen, um uns ihre Zivilisation zu bringen. Sie sind alle gestorben. Das ist ihre Station, nutzt sie, wenn ihr mögt oder nicht."
"Woran sind sie gestorben?"
"Das Mana, das eure Zauber speist kann die große Hitze hier nicht vertragen. Es schmilzt doppelt so schnell, wie in eurer kalten Heimat. Und ohne das Mana keine Zauber. Und ohne Zauber..."
"... kein Leben und keine Heilung"
"Ihr sagt es, schöne Frau. Wollt Ihr noch hierbleiben?"
"ja, wir bleiben", erwiderte Katina mit fester Stimme.
An den Häuptling gewandt fragte sie:
"Was wißt ihr über Mana?"
"Gute Frau, wir leben hier zwar weit weg von Euren Handelsstationen, doch sind wir nicht ungebildet. Die Schwestern, die hier liegen lehrten uns so einige Dinge. Sie zeigten uns Euer Leben. Ihr wohnt unter einem Himmel, der mal kalt und mal warm, mal feucht und mal trocken ist, in Euren schönen Städten aus kaltem Stein, die von Magie erfüllt sind. Licht in Hülle und Fülle, Wärme ohne Feuer und selbstfahrende Fahrzeuge. Die Schwestern lehrten uns auch, dass ihr zum Erschaffen all dessen Steine braucht, die alle 'Mana' nennen. Dieses Mana findet ihr in unseren Bergen, doch wir brauchen wenig davon, denn die Götter selbst haben uns mit Sonne, Wärme und Licht reichlich beschenkt."
"Und doch leidet ihr oft Hunger", stellte die Elfin fest.
"Ja. Aber auch das ist ein Willen der Götter, deren Ratschlüsse für uns unerklärlich sind. Haben wir eine gute Ernte geht es uns gut, und die Speicher sind gefüllt. Ist sie schlecht, dann sind die Speicher leer, und unsere Mägen auch. So ist das Leben nun mal, gute Frau."
"Und wenn Menschen an Hunger sterben"
"So ist das der Ratschluss der Götter, an dem wir Menschen nicht zu zweifeln haben. Wir glauben, dass die Menschen, wenn ihre Zeit gekommen ist, an den Tisch der Götter aufsteigen, der immer frisch gedeckt ist, und wo sie von den Entbehrungen des irdischen Daseins durch himmlische Genüsse entlohnt werden."
Katinka schüttelte den Kopf. Das war zu viel für sie. Ohne weiter auf den Häuptling zu achten, ging Katina in die verlassene Station. Die Station war einst wohl weiß angepinselt, doch nun hatte der Staub der Farbschicht arg zugesetzt. Die Eingangstür war mit einem Brett verriegelt, dass die Elfin aus den Verankerungen herausnahm. Nun ließ sich die Eingangstür erstaunlich leicht öffnen und Katina stand in einem großen Raum. Die Wand der Tür gegenüber enthielt zwei große Fenster, die den Raum mit Licht füllten. In den Seitenwänden führten jeweils drei Türen in andere Räume. Dass das Gebäude so gut erhalten war, konnte nur daran liegen, dass sich irgendwo in seinem Inneren noch Mana befand.
Katina öffnete die Türen, hinter die Arbeits- und Wohnräume der Schwestern lagen. Auch hier schien alles intakt.
Da sie genug gesehen hatte, ging sie wieder nach draußen und rief:
"Kommt, lasst uns beginnen."

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Tag der Veröffentlichung: 18.12.2008

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