(Hoch)Sensibel und Sensitiv
1. Teil
1. Kapitel:
Was bedeutet es, hochsensibel und/oder sensitiv zu sein?
2. Kapitel:
Spiegelneuronen, Intuition, Empathie
3. Kapitel:
Psychotraumatische Einflüsse auf die Gehirnfunktionen
1. Kapitel:
Was bedeutet es, hochsensibel und/oder sensitiv zu sein?
In der Medizin spricht man von einer physiologischen Disposition des Nervensystems.
Ich möchte es jedoch versuchen mit meiner ganz einfachen Sprache zum Ausdruck bringen, ohne jetzt eine "fundierte Wissenschaft" daraus zu machen.
Es heißt im Grunde nichts weiter, als dass im Gehirn bzw. im Nervensystem einige Filter fehlen.
Jeder Mensch verfügt, mehr oder weniger ausgeprägt, über Filter, der das Überleben in der Gesellschaft und in der Umwelt mit all den zahlreichen Einflüssen und Informationen sichert. Insofern kann man diese Filter als natürliche Schutzfilter (und Selbstschutz) betrachten.
Diese Filter fehlen bei den hochsensiblen-sensitiven Menschen teilweise. Die Abstufungen dabei können sehr verschieden sein, immer aber kommt es beim hochsensiblen Menschen zu einem Überschuss an Informationen. (über dem Normdurchschnitt)
Er nimmt die Reize in seiner Umwelt radarähnlich und "hautlos", insofern mit einer größeren Empfindlichkeit wahr, als ein Mensch, der nicht hochsensibel und sensitiv ist.
Ich habe letztens in einem Hundebuch einen wunderbaren, leicht verständlichen Vergleich gelesen, den ich hier gerne einbringen möchte.
Dem Hund wird nachgesagt (auch ist es erwiesen) dass seine Sinne sensibilisierter sind als die des Menschen. Auch, dass er bestimmte Situationen wahr nimmt, bevor sie eintreten. In der gesamten Geschichte lässt sich rückblickend verfolgen, dass der Hund eingesetzt wurde, um Ereignisse "vorauszufühlen". Noch heute hält man teilweise - insbesondere auf Dörfern - an den Aberglaube, der Hund habe telepathische und hellseherische Fähigkeiten, fest.
Der Grund für diese Fähigkeiten ist allerdings ganz simpel, und hat mit Telepathie und Hellsehen im mystischen Sinne nichts zu tun.
Der Hund nimmt Erstsignale wahr. Der Mensch dagegen (in der Regel) die Signale auf diese Erstsignale, insofern die gefilterten Zweitsignale.
Wobei Zweitsignale nicht ganz korrekt ist, da die Informationen auf vielfacher Weise gefiltert werden, bevor sie ins Bewusstsein gelangen. Unter anderem auch durch Gedanken, die vom Erspüren der Signale und Reize "ablenken" können, insofern für Umleitungen/Filterungen sorgen, die das bewusste Wahrnehmen der Information be/verhindern.
Der Hund fühlt sich durch die Erstsignale - anders als der Mensch - nicht überfordert, denn dadurch, dass er unter anderem weder denken noch reden kann, findet keine Überinformation statt.
Der hochsensible Mensch dagegen, der die feinfühlige Sinneswahrnehmung eines Hundes hat und obendrein die menschliche Fähigkeit des Denkens, ist einer ständigen Überinformation mitunter Reizüberflutung ausgesetzt.
Dadurch kommt es oftmals zusätzlich zu einer sogenannten gemütshaften Empfindsamkeit oder gar zur Gemütskrankheit.
Natürlich kann jeder Mensch unter bestimmten Einflüssen psychisch krank werden, doch auch hier ist es leider so, dass die Hochsensibilität eine ergänzende Wechselwirkung herstellt.
Das heißt, dass ein hochsensibler Mensch die negativen, mitunter traumatischen Einflüsse - und somit die Ursache für eine Gemütskrankheit, - genauso wie alles andere, intensiver wahr nimmt, als ein Mensch, der einer sensibilisierten "Norm" entspricht.
Daraus resultierende Empfindsamkeiten können widerrum Einfluss auf die Sensibilität haben und sie verstärken.
Es ist erwiesen, dass insbesondere Traumata die Ausprägung der Sensibilität und Sensitivität enorm verstärken. Dazu dann aber mehr im dritten Kapitel.
Gemütshafte Empfindsamkeiten, inklusive Störungen und Krankheiten, werden nicht selten mit der Hochsensibilität gleich gesetzt. Ich selbst trenne beides ersteinmal, bevor ich dann anschließend (wie im Absatz zuvor) einen Zusammenhang herstelle.
Ich habe inzwischen Menschen kennen gelernt, die in einer intakten und liebevollen Familie und Umgebung aufgewachsen sind. Diese Menschen sind zwar hochsensibel, weisen aber keine sonderliche Empfindsamkeit auf.
Unter anderem, weil ihnen schon in der Kindheit die Basis dafür gelegt wurde:
> durch persönliche Initiative Ersatzschutzfilter herzustellen
> Prioritäten zu setzen
> einen Ausgleich zu erleben und zu schaffen
(denn die Hochsensibilität ist nicht nur belastend, sondern auch bereichernd)
> und – das Wesentliche - eine stabile Identität zu entwickeln, die den Überinformationen und Überreizungen stand halten kann.
Hochsensibilität ist keine Krankheit, und sie lässt sich auch nicht einfach "weg therapieren", was natürlich nicht heißt, dass man keinen Einfluss darauf nehmen kann.
Da es oft zur Verwechslung einiger Begrifflichkeiten kommt, möchte ich hier ganz kurz noch mal auf den Unterschied zwischen "Empfindlichkeit" und "Empfindsamkeit" eingehen.
In der Umgangssprache werden beide Begriffe synonym im selben Kontext gebraucht, in der Psychologie bezieht sich die Empfindlichkeit auf die Sensibilität bzw. die Sinneswahrnehmung, und die Empfindsamkeit auf die Gefühlsqualität.
In diesem ersten Kapitel habe ich mich bemüht, auf genau diese Unterscheidung einzugehen, ohne jedoch den Zusammenhang und die Wechselwirkung außen vor zulassen.
2. Kapitel
Spiegelneuronen, Intuition, Empathie
Spiegelneuronen sind die Basis für „emotionales Verstehen“.
Um es mit den Worten des Internisten und Psychiaters Prof. Dr. Joachim Bauer von der Universität Freiburg zu sagen:
„Spiegelneurone sind einerseits normale Nervenzellen, die unsere Handlungen, unsere Körperempfindungen und Gefühle steuern. Andererseits werden sie auch aktiv, wenn wir andere beobachten. Das heißt, im Gehirn des Beobachters läuft ein Simulationsprogramm ab, so dass er erlebt, was der Beobachtete tut oder fühlt“
Ein Blockmechanismus sorgt dafür, dass der Mensch nicht alles nachahmt, bzw. simuliert, was ihm begegnet.
Bei einem Menschen, der der sensiblen Norm entspricht, funktioniert das System der Spiegelneuronen und der Blockmechanismus in einer intakten Wechselwirkung, die zumeist unbewusst (gefiltert) abläuft.
Bei einem hochsensiblen Menschen aber sorgt die fehlende Filterung dafür, dass die Spiegelung auf dem direkten Wege ins Bewusstsein gelangt, dazu aber auch die Signale (Intuition), unter anderem die Bedürftigkeiten der Mitmenschen in Bezug auf Nähe und Distanz.
Diese Wahrnehmung führt zu einer Überinformation und gleichzeitig auch zu einer inneren Zerrissenheit, die dafür sorgt, dass die notwendige Spontaneität im sozialen Umgang verloren geht. Ein hochsensibler Mensch ist permanent mit den Verhaltensweisen, Mimiken, Signalen, Energien und Gefühlswelten anderer Menschen beschäftigt, was unwillkürlich zu einer Erschöpfung, ggf. auch zu einem Burnout führt.
An der Stelle möchte ich auf die Unterscheidung zwischen Intuition und Empathie eingehen.
Zur Intuition:
Jeder Mensch nimmt Unmengen an Reize, Energien und Informationen auf, die sein Verhalten, seine Reaktion und sein Fühlen mit beeinflussen.
In der Regel gelangt nur ein ganz winziger Teil dieser Reize und Signale ins Bewusstsein.
Ein sehr sensibler Mensch jedoch nimmt jede kleinste Unstimmigkeit und Energie bewusst wahr.
Um ein Beispiel zu nennen:
In einem Warteraum befinden sich 10 Personen, die sich nicht kennen, sich insofern schweigend gegenüber sitzen. Einige dieser Personen sind innerlich angespannt und unausgeglichen, was nach außen nicht erkennbar ist.
Ein Mensch mit einer stark ausgeprägten Intuition empfindet die Atmosphäre als sehr bedrohlich und erdrückend, ggf. sogar als angsteinflößend.
Er spürt die negativen Energien und Signale, kaum, dass er den Raum betritt.
Und genauso spürt er auch im Alltag, im Umfeld, im Beruf, im Freundeskreis, - überall, egal, wo er sich aufhält, jede kleinste Schwingung, die den meisten Menschen verborgen bleiben.
Um beim soeben genannten Beispiel zu bleiben:
Der hochsensible Mensch spürt radarähnlich, ob das Schweigen friedfertig oder bedrohlich ist, und entsprechend versucht er sich permanent zu orientieren, um sich keiner Gefahr auszusetzen, was nicht selten dazu führt, dass er sich sozial isoliert.
Zur Empathie:
Anders als bei der Intuition geht es bei der Empathie nicht primär darum, Signale und Informationen bewusst wahr zu nehmen, sondern die Gefühle anderer Menschen zu erfühlen, mitunter so sehr, als wären es die eigenen Gefühle.
Natürlich gibt es auch dabei verschiedene Ausprägungen, angefangen von der sozialen Kompetenz, - den Mitmenschen ganzheitlich wahr zu nehmen und Grenzen zu berücksichtigen, bis hin zur Selbstaufgabe.
Intuition und Empathie können, müssen aber nicht parallel und/oder gemeinsam auftreten. Es gibt auch intuitive Menschen, die sich in keinster Weise in andere Menschen einfühlen können.
Empathie ohne Intuition tritt dagegen seltener auf, da die Wahrnehmung der Signale zumeist die Voraussetzung dafür ist, auch die Gefühle anderer Menschen erspüren zu können.
Im schlimmsten Fall geht die Empathie so weit, dass die Gefühle der Kontrahenten erfühlt werden, auch subtile Ängste und Unsicherheiten, was nicht selten dazu führt, dass die eigenen, mitunter verletzten Gefühle verdrängt oder zur Seite gedrängt werden, und in Folge keine angemessene Auseinandersetzung statt finden kann.
Der mitunter notwendige Selbstschutzmechanismus wird beeinflusst, ggf. sogar verhindert, was in den meisten Fällen zu einer starken Ambivalenz führt. Erneut kommt es zu einer Erschöpfung, nicht selten auch zur Resignation.
Empathische Menschen haben Probleme damit, sich von den Situationen und Mitmenschen abzugrenzen, je nach Ausprägung kann es sogar zu einer Verschmelzung mit anderen Personen, somit also auch zu einem Identitätsverlust kommen. Insbesondere dann, wenn die Betroffenen gleichermaßen an einer Gemütskrankheit leiden.
Nun könnte man meinen, die viel hohe Sensibilität wäre durchweg negativ und belastend, denn bisher bin ich fast nur auf die Probleme eingegangen.
Jedoch hat sie auch viele Vorteile.
Hochsensible Menschen verfügen über ein sehr hohes Maß an Kreativität, woraus sich viele künstlerische Werke entwickeln.
Auch im Bereich der Psychologie und Philosophie entwickeln hochsensible Menschen immer wieder neue Thesen und Zusammenhänge, die dann zu einem wissenschaftlichen Fortschritt führen.
Nicht zuletzt muss man natürlich auch erwähnen, dass eine sehr intensive Empfänglichkeit für die Natur, Freude, den leisen Tönen, - all dem Schönen und Positiven herstellt wird, was als Bereicherung, nicht aber als Belastung betrachtet werden kann. Das führt oft zu der Aussage Betroffener:
"Es ist Fluch und Segen zugleich!"
Diese Aussage zeigt auf, in welch einer zerrissenen Welt die betreffenden Personen leben. Nur Wenige schaffen es leider, aus diesem Irrgarten der Intensität heraus zu kommen, und ihre hochsensible und sensitive Veranlagung positiv und konstrutiv zu nutzen.
3. Kapitel
Psychotraumatische Einflüsse auf die Gehirnfunktionen
Es gibt bereits zahlreiche Studien darüber, dass eine physische Disposition des Nervensystems zum Teil angeboren ist, aber auch durch Traumata hervorgerufen oder verstärkt werden kann. (Wechselwirkung siehe 1. Kapitel)
Um zu erklären, wie sich Traumata auf das Gehirn, so auch auf die Veränderungen im Gehirn auswirken, möchte ich gerne fundierte, medizinische Beschreibung wählen, dazu siehe Anhang die Quellnachweise.
Danach möchte ich noch einmal kurz auf die Fortsetzung der Buchreihe "Sensibel und sensitiv" eingehen.
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Wie das menschliche Gehirn funktioniert:
Stress und Trauma benutzen dieselben hirnphysiologischen Muster. Es ist zum Verständnis von Trauma daher notwendig, sich die Verarbeitungsmechanismen im Gehirn anzusehen.
Eine lebensbedrohliche Situation führt bei höheren Tierarten zu einer von zwei möglichen primären Grund-Reaktionsmustern: Flucht oder Verteidigung. Falls keine dieser beiden Reaktionen Aussicht auf Erfolg hat, kann es, je nach Tierart und Umständen, zu einer weiteren möglichen Reaktion kommen: dem Totstellreflex. Man vermutet, dass der „Totstellreflex bei Menschen“ mit Dissoziation in einem Zusammenhang steht.
Die normale Verarbeitung („Kompetenzmodus“ im Gehirn),
der normale "Datenfluss" eines eintreffenden Reizes:
1. Das Stammhirn
(Thalamus) ist eine Art "Schaltzentrale", ähnlich einer Telefon-Vermittlungsstelle.
Es stellt Verbindungen zwischen den ankommenden Sinnesreizen (vom Rückenmark, Sehnerv,
Hörnerv, usw.) und den anderen Gehirnteilen her.
2. Die Amygdala
dient als eine Art "Vorfilter" für Sinneseindrücke; sie unterscheidet "unwichtige"
Sinneseindrücke von „wichtigen“ (ggf. überlebenswichtigen) und ordnet ihnen eine Bedeutung zu.
Hier entstehen die grundlegenden Gefühle, wie z.B. Angst und Wut.
3. Der Hippokampus
erzeugt eine räumliche Karte der Umgebung, speichert einfache Erinnerungen
und kategorisiert die Erfahrungen ähnlich einer Skizze (für unsere Orientierung wichtig).
4. Die impliziten Gedächtnisse
sitzen in den evolutionsgeschichtlich älteren Teilen des Gehirns. Sie
speichern die vor-interpretierten Sinneseindrücke aus der Amygdala und kategorisierte
Erfahrungen aus dem Hippokampus weitgehend uninterpretiert. Die Inhalte der impliziten
Gedächtnisse sind nicht zeitlich sortiert, sondern kategorischer Art wie z.B. "Heisse Herdplatte = Verbrennungsgefahr" oder "Torte = Nahrungsmittel = Speicheldrüsen aktivieren" oder "lautes Explosionsgeräusch = Lebensgefahr = sofort in Deckung werfen ohne lange nachzudenken".
Es ist wichtig zu wissen, dass diese nicht-zeitliche Interpretation auf relativ niedriger Ebene
stattfindet (wie bei Tieren) und einen "automatischen" Charakter hat, und dass diese Prozesse
unabhängig vom expliziten Gedächtnis und oftmals auch unbewusst ablaufen.
5. Das Großhirn
(auch Neokortex genannt) ist beim Menschen prozentual sehr viel größer als bei fast
allen anderen Tieren; es ist entwicklungsgeschichtlich das Jüngste und ist Sitz des normalen
Alltags-Bewusstseins und Alltags-Gedächtnisses. Man nennt dieses Gedächtnis auch das explizite
Gedächtnis oder narratives Gedächtnis, weil es längere Szenen und Geschichten speichern,
wiedergeben und bewerten kann, welchen „Sinn“ die Wahrnehmung macht. Das Großhirn arbeitet
aber wesentlich langsamer als alle anderen Gehirnteile, dafür kann es aber auch wesentlich mehr
(was nicht zuletzt auch den Unterschied zwischen niederen Tieren und Primaten / Mensch
ausmacht).
Wie verändern sich die Gehirnfunktionen bei einem Trauma?
Eine gefährliche Situation wird zunächst in der Amygdala festgestellt; dies geschieht ganz automatisch und ohne Zutun des Großhirns. Daraufhin werden Hormone wie Glukokortikoide und Serotonin ausgeschüttet, die den Körper in Alarmbereitschaft versetzen und Energie-Reserven mobilisieren. Innerhalb des Gehirns kommt es nun zu einer folgenschweren Umschaltung des normalen Datenflusses und zu einer Umverdrahtung, die die gesamte Funktionsweise des Systems grundlegend ändert.
Die Entscheidungsfindung durch das Großhirn wird unterbunden, indem die Verdrahtungen zwischen Amygdala und Hippokampus regelrecht unterbrochen (gekappt) werden. Große Teile der Nachrichten werden dadurch erst gar nicht an das explizite Gedächtnis weitergeleitet. Die Reaktionen auf die Gefahr werden fast ausschließlich von den impliziten Gedächtnissen gesteuert.
Diese Unterbrechung zwischen verschiedenen Gehirnteilen wird von einigen Gehirnforschern auch Dissoziation genannt. Dissoziation bedeutet wörtlich "Scheidung" oder "Trennung"; die verschiedenen Gehirnteile stehen nun nicht mehr miteinander in vollem Kontakt und können teilweise unabhängig voneinander verschiedene Dinge tun.
Durch diese Trennung wird vor allem die Reaktionszeit stark beschleunigt.
Während das Großhirn zu einer angemessenen Bewertung einige Sekunden benötigen würde, kann eine Flucht oder Verteidigung durch die impliziten Schaltkreise sehr viel schneller organisiert werden. Die Entscheidungswege werden durch die Umverdrahtung drastisch verkürzt!
Während dies vor Urzeiten ein deutlicher Überlebensvorteil war, kann dies bei "künstlichen" und "menschengemachten" Traumata wie sexuellem Missbrauch fatale Folgen haben, allein schon wegen der relativ langen Dauer solcher Traumata.
Wie man u.a. durch Tierversuche nachgewiesen hat, führen schwere und häufig wiederholte Traumata zu einer dauerhaften Umverdrahtung von Nervenverbindungen (insbesondere zwischen Amygdala und Hippokampus) und zu einer physiologisch nachgewiesenen Schrumpfung des Hippokampus. Der Hippokampus ist bei schwer Traumatisierten nachweisbar kleiner als bei Gesunden, und einige seiner Verbindungen zu den anderen Gehirnteilen sind teilweise unumkehrbar unterbrochen.
Eine dauerhafte Störung des Gleichgewichts von Botenstoffen im Gehirn ist ebenfalls nachgewiesen, und zwar als kausale Folge von wiederholten Traumatisierungen!
Was sind die weiteren Folgen dieser anderen Funktionsweise?
Traumatische Erfahrungen werden vor allem in den impliziten Gedächtnissen gespeichert. Das Großhirn (und damit das explizite Gedächtnis / der Verstand) wurde ja während des Traumas nicht mehr mit allen Informationen versorgt und bekam nur noch Bruchteile von dem mit, was vor sich ging; im Extremfall kaum noch etwas. Daher kann es u.U. kaum etwas davon abspeichern.
Auch die Entscheidungen in der Trauma-Situation haben kaum mit dem Verstand zu tun und laufen automatisiert in den impliziten Gedächtnissen ab.
Als Traumatisierter ist es wichtig zu wissen, dass dieses prinzipiell nicht mit dem Verstand beeinflusst werden kann, sondern durch einen biologischen Mechanismus automatisch abläuft, da es offensichtlich von der Natur so gewollt ist. Die Trauma-Hormone schalten die Funktionsweise des Gehirns vollkommen um. Verstandes-Entscheidungen und -Bewertungen sind in Trauma-Situationen rein körperlich kaum noch möglich. Soweit sie trotzdem stattfinden, haben sie kaum Einfluss auf das Geschehen, weil die Kontrolle fast vollständig von den impliziten Schaltkreisen übernommen wird.
Dies erklärt auch die häufigen Berichte von Missbrauchten, dass sie etwas getan haben, was sie eigentlich gar nicht wollten. Oftmals ist weder Flucht noch Verteidigung möglich. Daher kann man in so einer Situation auch kaum noch Verantwortung im üblichen Sinne tragen bzw. moralische Schuld auf sich laden. Die üblichen Instanzen sind bei Lebensgefahr lahm gelegt und abgeklemmt. Das nackte Überleben hat Vorrang vor allem anderen, und eine willentliche Steuerung ist physiologisch kaum noch möglich.
Die Dissoziation des Großhirns ist jedoch nicht der einzige Effekt: Durch die Hormonausschüttung werden die Informationen teilweise nicht mehr vorgefiltert, sondern gelangen uninterpretiert und mit einer höheren "Bitrate" in die Amygdala und die impliziten Gedächtnisse. Die dadurch entstehende Reizüberflutung scheint einen Überlebensvorteil in gefährlichen Situationen zu haben: die impliziten Gedächtnisse suchen permanent nach Aus- und Fluchtwegen. Dazu werden alle Informationen aufgenommen, die erhältlich sind, auch scheinbar nebensächliche Details. Diese werden nicht vom Großhirn bewertet und interpretiert, sondern von den impliziten Gedächtnissen in roher Form verarbeitet und dort gespeichert.
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Eigene Worte:
Vor allem der letzte Absatz zeigt medizinisch auf, in welch massiver Form hochsensible, sensitive und traumatisierte Menschen die Informationen in ihrer Umwelt und durch ihre Mitmenschen aufnehmen.
Betroffene findet man sehr häufig unter den folgenden Krankheitsbildern:
Menschen mit einer
* Borderline-Persönlichkeitsstörung,
* komplexen posttraumatischen Belastungsstörung
* mit einer dissoziativen Störung, insbesondere mit einer dissoziativen Identitätsstörung (bekannt als multiple Persönlichkeitsspaltung)
Worauf ich in diesem Buch nicht eingegangen bin, sind die speziellen Formen der sensitiven Wahrnehmung, unter anderem auch parapsychologische Erscheinungen und Phänomene .
Das ist noch einmal ein sehr komplexes Thema, weswegen ich mich entschieden habe, darauf irgendwann in einem separaten Buch einzugehen. Insbesondere um Verwässerungen zu vermeiden.
Mir ist es wichtig, soweit wie möglich auf mystifizierte Beschreibungen zu verzichten, und an der Stelle auf die psychologischen und neuropsychologischen Abläufe einzugehen.
Der spirituelle Glaube
entsteht, weil den meisten Menschen die Kenntnisse über die logischen (medizinischen) Zusammenhänge fehlen. Auch befindet sich die Parapsychologie noch weitgehend am Anfang der Forschung, so, dass ich Zeit benötige, das, was bereits wissenschaftlich belegt wurde, zusammen zu tragen und in eigenen Worten zu fassen.
Anhang:
Quellnachweise und Literatur:
http://www.iasag.ch/fileadmin/docs/pdf/Ingo_Kitzelmann.pdf
http://www.psy-reile.de/trauma_emdr4.htm
Grundlagen der Psychologie; David Krech und Richard S. Crutchfield, Norman Livson, William A. Wilson jr., Allen Paerducci
Bessel A. van der Kolk, Alexander C. McFarlane, Lars Weisaeth (Hrsg.): Traumatic Stress - Grundlagen und Behandlungsansätze. Theorie, Praxis und Forschung zu posttraumatischem Streß sowie Traumatherapie. Junfermann Verlag 2000.
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2009
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