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Prolog

2024.
Zu lange haben die Menschen einem inneren Kampf zwischen Unterdrückung und Freiheitsverlust standgehalten, bevor sie wie apokalyptische Boten ein neues Zeitalter eröffnet haben.
Jahrelange Auflehnung der Bürger, gewalttätige Aufstände und Unruhen, haben die Rollenverteilung der Macht umgekehrt.
Die Regierung ist gestürzt, überrannt von der aufgebrachten Bevölkerung.
Die Städte sind zu Brutstätten der Gewalt und Bandenkriege geworden.
Selbsternannte Bosse, führen exzessive, herrschsüchtige Lebensstile.
Diktatorengleich scharen sie Lakaien um sich, die wie Laufburschen nach den aufgestellten Regeln und Aufträgen ihrer Bosse agieren.
Viele Menschen haben unschuldig ihr Leben gelassen, denn Gewissen und Moral existieren in dieser neuen Welt noch weniger als in der Alten.
Jeder existiert nur noch für sich selbst, jeder versucht zu überleben in einer Zeit, in der Vertrauen ein Fremdwort geworden ist.
Denn diese Welt hat sich gewandelt und zeigt nun, was sich schon ewig unterhalb der Oberfläche zusammengebraut hat.

1
Der Whisky brannte in seiner Kehle. Er schenkte ihm die Wärme, die er in den letzten Jahren verloren hatte.
Es war nicht sein erstes Glas, das er sich an diesem Abend genehmigte. Eine angenehme, innere Ruhe war eingekehrt und ließ ihn ein wenig mehr abstumpfen, als er es ohnehin schon war, um das Geschehen um ihn herum einigermaßen teilnahmslos ertragen zu können.
In einer kaum beleuchteten Ecke räkelte sich ein viel zu junges Mädchen im Bikini vor zwei betrunkenen Kerlen, die schon längst die Kontrolle über ihre Hände verloren hatten.
Er sah auf den Boden seines Glases. Ein letzter Schluck war noch übrig. Schnell kippte er ihn hinunter, bevor er den Blick wieder durch den Raum schweifen ließ.
Leicht bekleidete Mädchen liefen an ihm vorbei, aus deren benebelten Blicken, das Gift in ihren Körpern sprach.
Dies war das bekannte Szenario, mit dem sich sein Boss nur zu gern umgab. Er selbst konnte gut darauf verzichten, aber es gehörte gewissermaßen zu seiner Pflicht, sich öfter hier blicken zu lassen. Im Grunde war er fast jeden Tag in diesen Räumlichkeiten. Aus beruflichen Zwecken, wenn man es so nennen wollte.
Er seufzte leise.
Hin und wieder bekam er einen respektvollen oder ehrfürchtigen Blick zugeworfen. Man kannte ihn hier, wusste wer er ist.
Er bestellte sich ein letztes Glas Whisky, das wie immer für ihn aufs Haus ging, und leerte es in einem Zug, bevor er sich seinen Weg durch die tanzende und feiernde Menge zum Hinterausgang bahnte, hinaus in die regnerische Nacht.
Ein leichter Wind fegte durch die fast verlassenen Straßen, die ihn nach Haus führten. Aber der Alkohol in seinem Blut wärmte genug.
Er lief ohne besonderen Gedanken. Seine Schritte hallten von den Hauswänden wieder und in einigen schmalen Gassen waren sie das einzige Geräusch, das ihn umgab.
Der feine Nieselregen bildete langsam ein Netz aus winzigen Perlen auf seinem tiefschwarzen Haar und benetzte sein Gesicht mit einem kühlen Hauch.
In unregelmäßigen Abständen wurde er von völliger Dunkelheit verschluckt. Viele der Straßenlaternen hatten ihren Dienst schon lange versagt, in den meisten Fällen ein Resultat von Steinwürfen, während Banden ihre Reviere zu verteidigen suchten.
Ganz zu schweigen von der blinden Zerstörungswut, die allgemein sehr beliebt war.
Zehn Minuten lief er so durch die Stadt, die jeglichen Glanz verloren hatte. Sie versank in der selbstzerstörerischen Kraft und Macht ihrer Bewohner.
Der Reflex, die Gewohnheit trieb ihn voran. Vorbei an den Trümmern dieser Welt, an gebrochenen Gestalten, in den alles verzehrenden Schatten. Weiter, bis er vor einem unscheinbaren Häuserblock stehen blieb. Das Haus wirkte unbewohnt. Er schaute sich kurz um. Eine notwendige Angewohnheit. Sicher ist sicher, auch wenn nichts und niemand mehr sicher war. Schließlich verwand er in einem unbeleuchteten Eingang.

„Hey Ave, alles klar?“
Er sah auf. Sein Bruder lehnte am anderen Ende des Raumes im Türrahmen, wie immer mit einem besorgten Blick.
Er nickte und strich sich ein paar feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er wusste, dass er seinen Bruder beunruhigte, mit dem was er tat. Tag für Tag und jedes Mal wenn er nach Haus kam, nahezu die gleiche Frage, der gleiche Blick.
Ave fasste unter seinen Mantel und holte eine schwarze, schwere Schusswaffe hervor, die er mit einem dumpfen Geräusch auf den Tisch vor sich ablegte. Noch einmal verschwand seine Hand und noch eine Waffe, eine kleinere, silberne kam zum Vorschein.
„Es war nichts Besonderes“, sagte Ave beiläufig, fast schon tonlos, während er seinen Mantel über eine Stuhllehne legte.
Asher, der Jüngere der beiden, stieß sich vom Türrahmen ab. Wieder einmal spürte er die Verschlossenheit seines Gegenübers.
„Wie lang wirst du noch so weiter machen Ave?“, fragte er und warf einen abschätzigen Blick auf die tödlichen Werkzeuge. Er setzte sich an den Tisch, auf dem die beiden Waffen seines Bruders lagen. „Ich mein, ich verstehe ja warum das Ganze, und ich weiß, dass es das Klügste ist! Aber überleg doch mal was du eigentlich tust!“ Er seufzte und suchte den Blick seines Bruders, der ihm jedoch auswich.
„Alveric, ich bitte dich“, diesmal sprach er leiser, sanfter. Der Gebrauch seines vollen Namens, sollte seinem Bruder symbolisieren, wie ernst er es meinte. „Das bist nicht mehr du. Du hast dich verändert, du bist so….ich weiß nicht, so verschlossen. Du redest kaum noch. Du bist regelrecht kalt.“
Ave fuhr mit einer beschwichtigen Geste herum. „Asher, ich weiß was du davon hälst und ich weiß genau was ich tu. Das Thema hatten wir schon tausend Mal. Ich kann es nicht mehr hören.“
Mit diesen Worten griff er die beiden Waffen vom Tisch und verließ den Raum.
Asher blieb allein zurück, in dem fahlen Licht der nackten Glühbirne über ihm. Das Gespräch war beendet.

Ave verschwand in sein Zimmer.
Seine schweren Lederstiefel landeten unachtsam in einer Ecke.
Die kleinere Waffe legte er griffbereit neben sein Bett, während er die Große, zusammen mit seinem Lederhalfter, Shirt und Hose, in einem Schrank verstaute.
Er atmete tief aus und hielt einen Moment inne. Er drückte die Handflächen an die Schranktüren, sodass die Adern auf seinem Handrücken hervortraten.
Ave ließ den Kopf hängen. Er war wütend. Wütend, nicht auf seinen Bruder, der immer wieder auf ihn einredete, sondern auf sich, denn Asher hatte Recht. Er hatte sich verändert. Aber das war kein Wunder, denn alles hatte sich in den letzten Jahren verändert. Man selbst sein, war in dieser Welt doch gar nicht mehr möglich.
Wie gern würde er wieder so unbeschwert sein wie früher, als er noch viel jünger war und ausgelassen mit seinem kleinen Bruder lachen konnte.
Dies war einer der Momente, in denen Aves starke Fassade zu bröckeln begann. In denen der eigentlich so selbstbewusste und nach außen hin unnahbare, junge Mann, ganz schwach wirkte.
Schwache Momente, die er sich nur allein, privat erlauben durfte. Denn alles andere wäre absolut tödlich.
Er atmete ein paar Mal tief ein, saugte die Luft förmlich in seine Lungen, bevor er wieder die Kontrolle über sich gewann.
Langsam blickte er auf. Um ihn herum war es dunkel, denn das Licht der einzigen Straßenlaterne vor dem Haus drang kaum in den Raum. Ave ging zu seinem Nachtschrank und schaltete eine kleine Lampe an, die wenigstens ein bisschen Licht spendete. Neben ihr schimmerte das Metall seiner silbernen Beretta unheilvoll. Schon zu oft hat sie seine Macht verkündet und nicht zuletzt sein Leben verteidigt.
Mit einem leisen Stöhnen ließ er sich auf sein Bett sinken. Er holte eine Zigarettenschachtel aus der Schublade und zündete sich eine an.
Er nahm einen tiefen Zug und atmete den Rauch langsam wieder aus, der kräuselnd durch die Luft waberte. Er lehnte sich zurück. Die Kälte der Wand jagte ihm einen Schauer über den nackten Rücken. Sein Blick haftete in Gedanken versunken auf der rotleuchtenden Glut seiner Zigarette.
„Nichts besonderes“, hatte er seinem jüngeren Bruder gesagt. Doch konnte man es nichts Besonderes nennen, einem Mann den Lauf einer Pistole an die Schläfe zu drücken, während dieser von einem aggressiven Türstehertypen zu einem wimmernden Bündel aus Angst zerfloss?
Wohl kaum.
Nach einigen weiteren Zügen erlöste ihn eine sanfte Entspannung. Das Bett unter ihm wurde immer bequemer.
Das allabendliche Ritual, war vollzogen.
Es fehlte nur noch der letzt Akt - der Schlaf, der für wenige Stunden Frieden schenken konnte, bevor sich die Realität mit dem Morgengrauen wieder hart in das gespannte Bewusstsein bohren würde.

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Tag der Veröffentlichung: 14.09.2011

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