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Die Hölle

Noch im Schlaf, aber wissend, dass sie träumt, spürte Maja die Panik wachsen. Sie musste sofort aufwachen, sie musste heraus aus diesem Traum, zurück in die Wirklichkeit, sonst war es zu spät. In einem verzweifelten Versuch sich zu befreien, schnappte sie nach Luft, schrie und riss die Augen auf …

Es war noch sehr früh. Aus dem offenen Fenster strömte frische Luft ins Schlafzimmer und brachte einen Hauch Rosenduft mit sich. Maja atmete tief ein und aus.

„Habe ich wirklich so geschrien?“, fragte sie sich, kam aber sofort zu dem Schluss, dass es im Traum geschehen sein musste, sonst hätte sie ja Luna geweckt, die einen sehr leisen Schlaf hatte.

Maja drehte sich zu ihr um und … entdeckte das leere Bett: Luna war nicht da. Ach, bestimmt gerade im Bad.

Benommen schüttelte Maja den Kopf – noch immer durch den Traum verwirrt. Sie versuchte sich zu konzentrieren und die Bildfragmente zusammenzufügen, aus denen sie sich herausgeschrien hatte.

Was hatte sie so erschreckt? Das Einzige, das sie noch immer spürte, war das Gefühl, gefesselt zu sein, gefesselt und eingesperrt.

Sie hatte Durst und außerdem starke Schmerzen im rechten Fuß.

Maja knipste das Licht an und betrachtete verwundert ihren geschwollenen, pochenden Fuß. Woher kam das? Vorsichtig stand sie auf und humpelte in die Küche, trank einen Schluck Wasser direkt aus der Flasche und lauschte. In der Wohnung herrschte Totenstille. Kein Geräusch drang aus dem Bad. Selbst der ewig summende Kühlschrank gab keinen Ton von sich. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Unruhe breitete sich in Maja aus und verwandelte sich schnell in Angst …

Luna blieb verschwunden.

Es half nichts, immer wieder durch die Räume zu gehen oder besser gesagt zu hinken und nach ihr zu rufen. Zu guter Letzt warf Maja sogar einen Blick in den Abstellraum, von der Furcht geplagt, zwischen Besen, Körben und dem Staubsauger eine schreckliche Entdeckung zu machen. Aber auch da war alles so, wie es sein sollte.

Hatte Luna die Wohnung zu so früher Stunde schon verlassen? Maja nahm die Eingangstür in Augenschein und ihre Augen weiteten sich: Der Schlüssel steckte von innen im Schloss! Sie stellte fest, dass abgeschlossen war, wie immer, wenn Luna als Letzte zu Bett ging.

Maja zitterte vor Erregung und Kälte am ganzen Körper. Mit letzter Kraft und dem Wahnsinn nahe taumelte sie ins Schlafzimmer zurück und schloss das Fenster.

Dann sah sie die Kleidung, die Luna wie gewöhnlich achtlos auf den Stuhl geworfen hatte, ihre Brille, die auf dem Nachttisch lag, und eine neue Panikwelle überflutete Maja. Selbst wenn die Freundin es irgendwie geschafft haben sollte, die von innen verschlossene Wohnung zu verlassen, dann war sie sicher nicht im Nachthemd und vor allem nicht ohne Brille unterwegs!

Majas Blick fiel auf den Kleiderschrank. Darin hatte sie noch nicht nachgesehen. Mit flauem Gefühl starrte sie das mehrtürige Ungetüm an, das ihr auf einmal wie ein gigantisches Monster vorkam. Sie musste all ihren Mut sammeln, von dem fast nichts mehr übrig war, um es zu wagen, die Türen eine nach der anderen zu öffnen. Erleichtert stellte sie fest, dass sich hinter der Kleidung nichts Schlimmes verbarg. 

‚Wonach suche ich eigentlich?‘, dachte Maja. ‚Nach Lunas Leiche?‘ Ein Schauder überlief sie.

Nicht mehr imstande, sich länger aufrecht zu halten, legte Maja sich wieder ins Bett und wickelte sich fest in die Decke ein. Aus irgendeinem Grund – sie hätte es nicht erklären können, warum – wagte sie nicht, Lunas Decke über die eigene auszubreiten, und so verging eine ganze Weile, bis ihr warm wurde und das Zittern nachließ.  

Im Stillen hoffte Maja, jeden Moment Lunas Stimme zu hören und sie ins Schlafzimmer hereinkommen zu sehen, befürchtete gleichzeitig. dass mit Luna etwas Schreckliches passiert war.

Unbemerkt überfiel Maja schließlich der Schlaf der Erschöpfung und sie glitt wiederum in den illusorischen Fluss eines Traumes hinein ...  

 

Maja erwachte abrupt und erfasste sofort mit allen Sinnen, was sie nachts erlebt hatte.

Es war neun Uhr. Um diese Zeit hatten Luna und sie geplant aufzustehen, um einen Kuchen zu backen, denn um drei Uhr nachmittags waren sie bei Lunas Mutter zum Kaffee eingeladen.

In der Wohnung herrschte noch die gleiche Stille und Majas Fuß tat immer noch weh. Trotzdem erhob sie sich, zog die Sachen vom Vortag an – es spielte ja im Augenblick keine Rolle – schleppte sich in die Küche und sah aus dem Fenster, das den Blick auf die Kreuzung freigab. Sie registrierte, dass die sonst so belebte Straße leer war, aber andere Dinge beschäftigten sie weit mehr. Sie zwang sich, die neu aufsteigende Angst zu unterdrücken und in Ruhe nochmals die vergangene Nacht zu überdenken.

Also, was könnte passiert sein?

Außer dem üblichen Weg durch

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Rosa Ananitschev
Cover: Erstellt mit ImaArtist / Pixabay
Lektorat: Barbara Siwik
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2020
ISBN: 978-3-7487-3935-7

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