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Bügeleisentherapie

Er musste sich beeilen. Das Morgengrau nahm immer hellere Töne an und würde bald endgültig ins Tageslicht übergehen. Klar – es dauerte nicht lange, den Eimer vollzuschöpfen, aber er musste ja noch den Weg zur Datscha zurücklegen und das waren immerhin ein paar hundert Meter.

Dima entleerte den letzten Schöpfbecher in den Eimer. Gut, dass er das Ding in der Scheune gefunden hatte, sonst wäre es schwierig geworden, an das Wasser heranzukommen. Das Eisloch war gerade mal breit genug für den Becher. Entdeckt hatte er es, indem er einfach den Fußstapfen vom Seeufer aus gefolgt war. Jemand hatte wohl ein Loch in das dicke Eis geschlagen, um fischen zu können.

Dima richtete sich auf und schaute sich um: Kein Mensch zu sehen! Er hatte auch nicht wirklich damit gerechnet, hier draußen auf jemanden zu treffen. Trotzdem war Vorsicht geboten.

Fröstelnd zog er die Ohrenschützer seiner Pelzmütze noch tiefer herunter. Es war am Baikalsee in den letzten Tagen kalt geworden, sehr kalt.

Dima war ziemlich außer Atem, als er das Grundstück erreicht hatte. Erleichtert stellte er den schweren Eimer ab. Dann sah er sich wieder aufmerksam um – alles war still; keiner hauste zu dieser Jahreszeit in einer Datscha, nur er musste sich hier verkriechen.

Dima seufzte und trat in das kleine Haus, dessen Türschloss er vor zwei Tagen aufgebrochen hatte. Es war im Inneren noch nicht ganz ausgekühlt. Zum Glück gab es im Häuschen einen Ofen und auch reichlich Holz im Schuppen. Er wagte indes nur nachts zu heizen, tagsüber durfte kein Rauch aus dem Schornstein entweichen – den würde man schon von weitem bemerken.

Heute war der dritte Tag seines Exils. Nun – genau genommen hatte man ihn nicht hierher verbannt, er selbst hatte sich schleunigst aus dem Staub gemacht. Warum war er nur so dumm gewesen, sich von der Stiefmutter provozieren zu lassen?

Wer wusste, wie lange er hier noch ausharren musste und wie es überhaupt weiterging? Katja ließ sich auch nicht blicken, rief nicht einmal an, obwohl sie es versprochen hatte.

Dima schaute auf sein Handy – soll er vielleicht? …

Aber das war riskant – die Möglichkeit bestand, dass die Polizei Katjas Telefon abhörte. Allerdings hatte er mit seiner Schwester schon telefoniert – ganz kurz – nachdem er sich hier ,einquartierte‘, damit sie wusste, wo er war.

Von Katja erfuhr er zu seiner großen Erleichterung, dass Valentina Petrowna ins Krankenhaus gebracht worden war – denn er war überzeugt gewesen, sie sei tot. Trotz dieser beruhigenden Nachricht zog er es vor, noch hierzubleiben und abzuwarten. Zu essen hatte er fürs Erste, er aß ohnehin nicht viel, und Katja hatte ihm versprochen vorbeizukommen, sobald es ging.

Dimas Gedanken wanderten zu dem schicksalhaften Tag zurück, an dem sein Leben sich so dramatisch veränderte. Vielleicht hätte er doch nicht fliehen, sondern besser versuchen sollen, alles zu erklären?

                        

Osjorsk war eine Siedlung am Baikalsee. Man war fast versucht zu sagen – ein größeres Dorf, aber die Einwohner nannten den Ort stolz ‚unsere Stadt‘. Es gab einen Einkaufsmarkt, einen Kinopalast und ein Kulturcenter, in dem man verschiedenen Hobbys nachgehen konnte. Sogar ein paar mehrstöckige Häuser zählten zu der Siedlung. Obwohl äußerlich alle gleich, waren sie von innen doch sehr unterschiedlich. Je wohlhabender die Besitzer, desto größer die Wohnung und umso komfortabler und ausgefallener die Einrichtung.

In einem dieser Häuser bewohnten die Kostrows eine Mehrzimmer-Wohnung im ersten Stock. Die Familie bestand gegenwärtig aus Valentina Petrowna Kostrowa und ihren Stiefkindern – den sechzehnjährigen Zwillingen Dimitrij, genannt Dima, und Jekaterina, genannt Katja.

Die Wohnung war stilvoll und mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten ausgestattet. Die Kostrows hätten sich auch eine der schönen Villen am Baikal leisten können, denn der Vater Maxim Iwanowitsch Kostrow besaß die Mittel dazu, aber es war seine Absicht gewesen, dass die Kinder in allgemein üblichen, wenn auch finanziell gut abgesicherten Verhältnissen aufwuchsen.

Leider war Maxim Iwanowitsch vor über einem Jahr infolge Herzversagens gestorben und die Zwillinge mussten nun allein kämpfen – gegen die Widrigkeiten des Lebens und gegen eine heimtückische Stiefmutter.

 

Es geschah am 8. Februar, einem Dienstagvormittag ...

Dima bügelte. Das Bügeleisen stammte noch aus Mutters Zeiten – war schwer und ohne Dampf; er musste die Wäsche zuvor mit Wasser befeuchten, um sie zufriedenstellend glätten zu können.

Dima fühlte sich schlapp, eigentlich war er krank und daher vom Unterricht befreit. Das Asthma plagte ihn mehr als sonst. Aber das zählte für Valentina Petrowna nicht. Die Hausarbeit war Sache der Zwillinge und musste erledigt werden; Bügeln gehörte selbstverständlich dazu. Es fehlte noch, dass zwei fast erwachsene Blagen sich schöne Stunden machten, während sie aufräumte und putzte!

Dima wollte die gebügelte Wäsche eben in den Schränken verteilen, als die Stiefmutter ins Zimmer trat. Argwöhnisch betrachtete sie die zusammengefalteten Wäschestücke, nahm einige davon auf und inspizierte sie kritisch. „Das ist noch total zerknittert!”, behauptete sie. „Und das auch. Das bügelst du gefälligst noch einmal!“ Achtlos warf sie die Wäsche in den Korb zurück und erregte sich weiter: „Ihr seid zu nichts Ordentlichem fähig, du und deine Schwester! Habt ihr überhaupt etwas bei eurer Mutter gelernt oder war die ebenso schlampig wie ihr?“

Wütend ballte Dima die Fäuste, trat einen Schritt auf Valentina Petrowna zu und rief: „Hör auf! Lass Mama in Ruhe!“ Nicht genug, dass die Stiefmutter ihn und Katja seit Vaters Tod pausenlos schikanierte, jetzt beschimpfte sie auch noch die verstorbene Mutter!

Valentina Petrowna wich erschrocken zurück. Noch nie hatten Katja oder gar Dima gegen sie aufbegehrt. Nun, der Junge würde gleich begreifen, was er sich und seiner Schwester da antat! Sie zögerte keinen Augenblick, die entstandene Situation für sich auszunutzen.

Valentina Petrowna hasste die Zwillinge, hatte sie immer schon gehasst, weil sie ein Hindernis auf dem Weg zu ihrem Ziel darstellten. Doch eine gute Schauspielerin ließ sich ihre wahren Gefühle nicht vom Gesicht ablesen und sie war eine gute Schauspielerin. Das hatte sie bewiesen, als Maxim Iwanowitsch noch lebte. Ihm spielte sie mit Erfolg die liebevolle Ersatzmutter für seine Kinder vor – voller Güte und Warmherzigkeit. Unter dieser Maske sammelte sie wie ein gefährliches Insekt Gift und wartete geduldig auf den richtigen Moment, um zuzustechen. Geduld hatte sie genug. ,Alles schön der Reihe nach‘ war ihr Lieblingsspruch. Alles der Reihe nach, aber dann auch wirklich restlos alles. Mit einem kleinen Teil würde sie sich nicht zufriedengeben! ALLES – darunter verstand sie das Vermögen des Verstorbenen, das den Kindern zustand. Nun, daran ließ sich noch einiges ändern!

All diese Gedanken schossen Valentina Petrowna blitzschnell durch den Kopf, ehe sie mit schrillem Geschrei theatralisch zu Boden stürzte. Für alle, die zu Hilfe eilten, würde es aussehen, als habe Dima diesen Sturz verursacht.

Natürlich versuchte das tückische Weib, sich so geschickt wie möglich fallen zu lassen, um sich nicht zu verletzen. Nur spielte ihr der Zufall einen üblen Streich:  Während sie zu Boden ging, suchte ihre Hand unwillkürlich nach einem Halt und erfasste dabei die Schnur des Bügeleisens, das auf dem Bügelbrett stand. Es sauste nun mit voller Wucht auf ihre Stirn herunter …

Abrupt verstummten die Schreie. Beklemmende Stille breitete sich aus. Nur die Wanduhr im Wohnzimmer tickte gleichgültig. Dima stand da wie gelähmt und starrte voll Entsetzen auf den reglosen Körper seiner Stiefmutter, ihre blutverschmierte Stirn. Sein Gesicht war kreidebleich, er zitterte …

Von irgendwoher drang Musik zu ihm … Kinder lachten … dann lautes, ungeduldiges Klopfen … aufgeregte Stimmen an der Wohnungstür …

Dies alles nahm er wie in einem Traum wahr. In Gedanken wiederholte er immer wieder: „Ich hab’ sie umgebracht!“ Plötzlich rührte sich sein Fluchtimpuls: „Schnell weg von hier!“, dachte er. Ihm kam nicht in den Sinn, dass kaum einer annehmen werde, die Kraft eines schmächtigen, asthmakranken Jungen reiche aus, den massigen Körper dieser Frau auch nur vom Platz zu schieben und mit dem Bügeleisen auf sie einzuschlagen.

Die Beine gehorchten Dima nun wieder. Er schnappte sich den Schulrucksack, entleerte ihn auf den Boden, hastete zum Kühlschrank und warf alles Essbare hinein, griff im letzten Augenblick auch noch nach einem Brot. Rasch zog er sich die Daunenjacke an, stülpte die Pelzmütze über, dachte sogar noch an die warmen Fäustlinge, an sein Asthmaspray, an das Handy …  

Dann riss er die Wohnungstür auf und stürmte an den überrascht zurückweichenden Nachbarn vorbei die Treppe hinunter.

                        

Als Katja aus der Schule nach Hause kam, sah sie gerade noch einen Krankenwagen mit heulender Sirene davonfahren. Beunruhigt dachte sie sofort an ihren Bruder: War etwas mit ihm passiert? Hatte er wieder einen Asthmaanfall?

Ein Polizeiauto parkte vor dem Haus. Was hatte die Polizei hier zu suchen? Aus unerfindlichem Grund ahnte Katja Schlimmes, und ihr Herz begann zu rasen.

Hausbewohner standen vor dem Eingang, unterhielten sich aufgeregt und verstummten, als sie das Mädchen sahen. Eine Gasse bildete sich …

Katja achtete nicht auf die Leute, sie eilte die Treppe hinauf. Die Wohnungstür stand offen …

Und da sah sie auch schon die Polizisten: Einer untersuchte im Wohnzimmer etwas am Boden, der andere hielt das wohlbekannte Bügeleisen in der Hand. Auf den zweiten Blick nahm Katja den großen roten Fleck auf dem Teppich wahr und schrie auf: „Oh Gott, was ist das? Was ist hier passiert?!“

Der Polizist mit dem Bügeleisen kam auf sie zu und fragte streng: „Wo ist dein Bruder?“

Da wusste Katja, dass es nicht Dima war, der mit dem Krankenwagen abtransportiert wurde.

    

Als die Polizisten die Wohnung verlassen hatten, setzte Katja sich mit einer Tasse Tee grübelnd an den Küchentisch. Sie versuchte, das Geschehene zu enträtseln, aber es gelang ihr nicht. Wie auch, wenn es keine Zeugen gab? Die Nachbarn hatten Schreie in der Wohnung gehört. Trotz Klopfen hatte anfangs niemand geöffnet und dann war Dima plötzlich in Panik heraus- und die Treppe hinuntergestürmt. Sie hätten ihn aufhalten wollen – so sagten sie der Polizei – aber der Junge sei wie ein Blitz verschwunden.

Das Blut auf dem Boden stammte von Valentina Petrowna, das am Bügeleisen vermutlich ebenfalls.  

Hatte Dimka die Stiefmutter erschlagen wollen? Dazu besaß er doch gar keine Kraft! Was also hatte sich hier abgespielt?

Zum Glück war Valentina Petrowna nicht tot, obwohl sie eine schlimme Verletzung am Kopf und zweifellos auch eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Jedenfalls teilte man dies Katja mit, als sie telefonisch nachfragte, und auch, dass die Patientin noch immer bewusstlos sei. Hoffentlich ging alles gut.

Katja versuchte, Dima über das Handy zu erreichen – es war ausgeschaltet. Sie trank gerade einen Schluck Hagebutten-Tee, als ihr eigenes Handy zu vibrieren begann. Hastig drückte sie auf die Taste.

„Dimka? Dimka, wo steckst du? Was hast du nur angestellt?“ Und dann erfuhr sie die Geschichte des verhängnisvollen Bügel-Vormittags. Dimas Stimme klang aufgeregt und bedrückt zugleich. Was er erzählte, glaubte Katja ihm aufs Wort. Sie kannte die Bösartigkeit und Heimtücke der Stiefmutter nur zu gut.

Am anderen Ende der Leitung atmete der Bruder erleichtert auf, als sie ihm mitteilte, dass Valentina Petrowna am Leben sei. Katja versuchte Dima zu bewegen, nach Hause zu kommen, aber er wollte nicht – seine Angst vor der Polizei war zu groß.

„Vielleicht ist es auch besser so. Soll er sich erst mal beruhigen”, dachte sie und versprach, den Bruder in seinem Versteck aufzusuchen, sobald es möglich sei.

 

Am darauffolgenden Tag fuhr Katja nach der Schule ins Krankenhaus. Valentina Petrowna war noch immer nicht aufgewacht. Der Arzt versicherte, das sei nichts Ungewöhnliches, sie müsse sich keine Sorgen machen. Wieder daheim, überlegte Katja, ob sie Dima anrufen solle, aber diese Frage erübrigte sich – sie bekam Besuch von einem Mann, der sich als Ermittlungsleiter Luganow vorstellte. Er fragte sie über den Bruder aus. Ob er sich gemeldet habe? Wo er sich aufhalten könne? Wer seine Freunde seien? Und so weiter und so weiter …

Er schrieb sich auch Dimas Handy-Nummer auf.

Selbstverständlich gab Katja Dimas Aufenthaltsort nicht preis. Aber sie wagte auch nicht, seine Handynummer zu wählen – wer wusste denn, was die Polizei in die Wege leiten konnte, um den Verschwundenen über den Anruf aufzuspüren! Sie beschloss, am nächsten Tag mit dem Bus zu den Datschen zu fahren, in der Hoffnung, die Polizei werde es nicht bemerken.

Es kam anders.

Frühmorgens, als sie gerade ihre Schultasche packte, klingelte es an der Tür. Sie öffnete und stand dem Ermittler Luganow gegenüber. Das Herz rutschte ihr vor Schreck in die Jeans. Luganows Gesicht war sehr ernst und seine Stimme klang mitfühlend. „Guten Morgen, Katja. Ich habe Informationen, die ich dir unverzüglich mitteilen muss.“

 

Dima wollte sich soeben eine Scheibe vom Brotlaib abschneiden, den er von daheim mitgebracht hatte, als er draußen eilige Schritte vernahm. Mit dem Messer in der Hand fuhr er erschrocken herum. Die Tür flog auf und mit breitem Grinsen im Gesicht stand Katja vor ihm.

„Priwet, Dimka! Kak dela? Wie geht es dir hier in der Wildnis?“

Dimas entsetzte Miene ging in Verunsicherung über. „Was ist mit dir los, Katja? Hast du was geraucht? Warum bist du so gut gelaunt? Und du kommst mit leeren Händen! Ich habe bald nichts mehr zu essen.“

Die Schwester winkte ab. „Ich habe natürlich keine Drogen genommen, aber es gibt etwas, das tausendmal besser wirkt als Hasch“, versicherte sie. Ohne auf die Frage nach der Verpflegung einzugehen, blickte sie sich prüfend um. „Kalt hast du‘s hier, Brüderchen. Wird Zeit, dass du wieder nach Hause kommst.“

Sie lachte, als sie Dimkas verdutztes Gesicht sah, ließ sich auf dem alten Schlafsofa nieder und klopfte mit der flachen Hand einladend neben sich: „Komm, setz dich. Ich habe dir viel zu erzählen.“ Und mit ernster Miene setzte sie hinzu: „Leider nicht nur Gutes.“

Mir flauem Gefühl im Magen nahm Dima zögernd neben Katja Platz und hörte ihr bald gebannt zu. Die Geschichte war fast unglaublich …

 

An diesem Morgen erwachte Valentina Petrowna Kostrowa endlich aus der Bewusstlosigkeit.

Als der Arzt die Polizei darüber informierte, dass die Patientin einen Beamten der Mordkommission zu sprechen wünsche, eilte der Ermittler Luganow ins Krankenhaus.

Valentina Petrowna wirkte noch sehr schwach, ihr Gesicht war bleich, aber sie blickte klar. Und noch etwas lag in ihrem Blick, das der Beamte am ehesten als Zwang deuten konnte, um jeden Preis über sich selbst zu reden. Luganow beugte sich zu der Frau hinunter. „Valentina Petrowna, sdrawstwujte! Wie fühlen Sie sich? Erinnern Sie sich, was mit Ihnen passiert ist?“

„Ja, ich erinnere mich an alles.“ Valentina Petrowna sprach langsam, ein wenig stockend, aber konzentriert. „Ich werde alles erzählen … alles … der Reihe nach.“ Dann sagte sie laut und deutlich: „Ich gestehe. Ich habe ihn umgebracht.”

Verwundert schaute der Ermittler die Frau an: „Warten Sie mal, warten Sie!“ Er hob die Hand: „Meinen Sie Ihren Stiefsohn? Dem ist nichts geschehen, der hat sich nur davongemacht.“

„Nein!“ Valentina Petrowna bewegte ungeduldig ihre Hand, die auf der Decke lag. „Nein, den meine ich nicht. Ich rede von meinem Mann, von Maxim Iwanowitsch. Er starb nicht an einem Herzinfarkt, ich habe es nur so aussehen lassen.” Schwang da Stolz in ihrer Stimme mit?

Dieses Mordgeständnis kam jedenfalls so unerwartet, dass Luganow nur schweigend zuhörte und keinerlei Fragen stellte. Das war auch nicht nötig. Valentina Petrowna beschrieb ihr Vorgehen sehr ausführlich und nannte ohne Zögern ihre niederen Beweggründe für das Verbrechen. „Die Zwillinge wollte ich auch loswerden, irgendwann“, schloss sie ihr Geständnis und fügte nach einer kurzen Pause fest hinzu: „Ja, ich bin eine Mörderin! Verhaften Sie mich.“

Nun, das Verhaften war im Augenblick kaum zu bewerkstelligen. Luganow machte sich erst einmal auf die Suche nach dem behandelnden Arzt und erzählte ihm, was er eben erlebt und gehört hatte. „Die Kostrowa macht den Eindruck, als stünde sie unter Drogen, die sie zwängen, die Wahrheit zu sagen”, sagte er. „Was soll ich davon halten?“

Der Arzt erwiderte, es sei durchaus möglich, dass der Schlag mit dem Bügeleisen zur Beschädigung eines Bereiches im Gehirn geführt habe, der den Menschen befähige, unliebsame Dinge zu verschweigen. „Wir wissen noch sehr wenig über Hirnfunktionen.”

„Es könnte also wahr sein, was sie sagt?”

„Nun, das sollte eine polizeiliche Untersuchung doch wohl schnell ans Tageslicht bringen“, war die Antwort des Arztes.

Ja und dann hatte Luganow sich auf den Weg zu Katja gemacht.

 

„Als Luganow so unerwartet bei mir auftauchte, um mir mitzuteilen, was ich dir eben erzählte, bekam ich einen Riesenschreck”, schloss Katja ihren Bericht. „Ich dachte, sie hätten dich erwischt.“

Sie blickte den Bruder besorgt an. Dima saß reglos da, finster vor sich hinstarrend. „Ich kann es nicht fassen. Sie hat unseren Vater ermordet!“, murmelte er.

„Aber sie kriegt nun ihre gerechte Strafe und das Beste daran ist, dass sie sich das Bügeleisen selbst auf den Schädel gerissen hat. Uns kann sie jedenfalls nichts mehr antun“, tröstete Katja. Dann stand sie auf und lockte: „Komm, Brüderchen, wir fahren jetzt nach Hause ins Warme. Ich mache uns etwas Leckeres zu essen und wir stoßen mit einem Gläschen Wodka auf uns an. Heute dürfen wir das mal, auch wenn wir noch keine achtzehn sind.“

Dimas Miene hellte sich unversehens auf. Ihm schien etwas eingefallen zu sein. Er kicherte und schlug dann vor: „Weißt du was, Schwesterchen? Das mit dem Wodka erledigen wir sofort! Ich habe doch nicht umsonst einen Eimer Woda* vom See hierhergeschleppt.“

Dima holte aus einem Hängeschränkchen zwei Gläser, die einigermaßen sauber waren, füllte sie mit dem eiskalten Wasser und reichte eins davon Katja. Dann hob er sein Glas, blickte einen Moment nachdenklich und rief mit funkelnden Augen: „Auf die Bügeleisen-Therapie!“

Katja schaute den Bruder irritiert an, aber im nächsten Moment begriff sie, worauf er anspielte.

„Oh ja!”, stimmte sie lachend zu. „Es ist eine schmerzhafte, aber äußerst wirksame Therapie. Darauf müssen wir anstoßen! Na sdorowje!“ Sie ließen die Gläser klingen und tranken von dem kristallklaren, köstlichkalten Wasser.

 

*Woda - Wodka (Wasser - Wässerchen)

 

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Mein Blog: https://rosasblog54.wordpress.com/

Impressum

Texte: Rosa Ananitschev
Bildmaterialien: Coverbild: photo by f.stroganov "Lake Baikal", Quelle: www.flickr.com
Lektorat: Barbara Siwik
Tag der Veröffentlichung: 19.02.2011

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