§ 176, Strafgesetzbuch:
(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen läßt.
(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.
Umständehalber abzugeben
© Rena Larf
Sie war jedes Mal froh, wenn sie morgens zur Schule gehen konnte.
Spätestens als die Haustüre sich hinter ihr schloss, konnte sie endlich wieder aufatmen.
Mit gesenktem Kopf und gehetztem Blick verschwand sie in der Menge der anderen Grundschüler, die zur nahe gelegenen Schule stiefelten.
Ihre Jackenärmel zog sie tief über ihre Handrücken, damit niemand die blauen Flecken und die Striemen sehen konnte. Beim Sport trug sie regelmäßig lange Hosen. Es gelang ihr immer wieder alles zu vertuschen und sie war mit ihren neun Jahren auch nicht um kluge Ausreden verlegen.
Ausreden, die ihr der Vater am Abend oder in der Nacht mit auf den Weg gab, wenn er sie wieder abholte.
Dabei quetschte er ihr kleines Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und sprach drohend auf sie ein.
Wenn sie dann anfing zu weinen, nahm er sie liebevoll in den Arm und versprach ihr teure Geschenke und nannte sie „meine kleine Prinzessin“.
In der Schule hatte sie Freunde, die sie niemals zu sich nach Hause einladen durfte. Während die mit ihren Eltern zu McDonalds, ins Kino oder zum Schwimmen gingen, musste sie zum Onkel gehen, und der machte dann immer so komische Sachen mit ihr. Ihr Vater sagte, das wäre in Ordnung, weil der Onkel sehr reich sei und sie viel Geld bekommen würden, wenn sie immer nett zu ihm wäre.
Da sie kaum Geld hatten, nachdem ihre Mama gestorben war und ihr Vater seine Arbeit verloren hatte, musste das ja wohl so richtig sein. Sie tat doch nichts Falsches!
Oft lag sie spät nachts wach und weinte mit offenen Augen den Schmerz aus ihrer Seele.
Der Onkel… tat ihr immer öfter weh, band sie ans Bett und streichelte sie zwischen ihren Beinen. Sie hätte ihn am liebsten angespuckt, aber sie traute sich nicht einmal ihn anzugucken.
Sie machte jedes Mal ganz fest die Augen zu und hoffte, dass es schnell vorbeigehen würde. Sein Atem war schlecht, und er hauchte sie immer an, wenn er sich über sie hermachte.
Jedes Mal wenn ihr Vater sie abholte, gab der Onkel ihm einen Briefumschlag.
Wenn sie danach mit ihrem Vater nach Hause fuhr, zitternd auf der Rückbank des alten Opel Rekord saß, fühlte sie sich so schmutzig und wäre am liebsten tot gewesen. Sie hätte ihre Oma so gerne angerufen, um ihr zu erzählen, was der Onkel mit ihr machte, aber ihr Vater hatte ihr verboten den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, weil Oma ihr sowieso nicht glauben würde und sie nicht mehr lieb hätte, wenn sie lügen würde.
So machte sie weiter und wenn ein neuer Onkel kam, hoffte sie einfach, dass dieser mal wirklich lieb zu ihr war.
Am Montag, als sie wieder zur Schule musste, fand sie am Frühstückstisch die Zeitung von ihrem Vater. Sie war gefaltet und er hatte eine Anzeige mit einem Filzer rot eingekreist.
Dort stand: „Umständehalber abzugeben: Kleines Kätzchen, das viel Liebe braucht, schmusig ist und sehr gehorsam.“
Dahinter stand die Telefonnummer von ihrem Vater.
Sie hatten aber gar keine Katze, schoss es ihr in den Sinn.
Als Anna …eine Stunde später aus dem Kinderzimmerfenster ihres achtstöckigen Hauses sprang und ihr kleiner Körper auf den Gehsteig aufschlug, war kurze Zeit nach dem Notarzt bereits die Lokalpresse vor Ort.
Am nächsten Morgen konnte man im Stadtanzeiger von einem weiteren vorpubertären Suizid lesen, der vollkommen unerwartet und unverständlich für den Vater der Kleinen war.
Tag der Veröffentlichung: 18.07.2009
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