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Kapitel 1 - Kazuras Verschwinden

Yuki und Kazura planten ihr ganzes Jahr nach diesem Ereignis. Es war Halloween. In ihrer Wohnung flackerten unheilvoll unzählige von Kerzen, während auf der Veranda schauerliche Kürbisse den Kindern Angst einjagten. Nur von den beiden Zwillingen war nichts zu sehen. Diese hatten sich in ihr Zimmer zurückgezogen und blätterten eifrig in einem recht rustikal aussehenden Buch mit der Aufschrift 'Streng verboten'. „Kazu … hör doch auf in diesem dummen Buch zu lesen und hilf mir lieber mein Kostüm anzuziehen.“ Yuki stand schon kurz vor der Verzweiflung mit ihrem Korsett, welches zu dem zerrissenen Lolita Kleid gehörte, das, zusammen mit viktorianischen Stiefeln, ein paar Accessoires und einer weißen Perücke, ihr Kostüm darstellen sollte. Kazura dagegen hatte ihr Kostüm bereits an. Es stellte eine Art von Porzellanpuppe dar, die soeben jemanden kaltblütig ermordet hatte. „Das ist kein blödes Buch, Zwilling! Darin steht geschrieben, wie man Leute verhexen und ihnen Schaden zufügen kann …“ Fasziniert blätterte das Mädchen weiter und entdeckte den Zauber, nach dem sie gesucht hatte. „Du bist zu sadistisch. Außerdem ist das doch kein echter Zauber. Ich wusste gar nicht, dass du an so was … ehm Kazu-chan?“ Sie schaute sich um, doch konnte ihren Zwilling nirgendwo entdecken. Sie rief ihren Namen. Nichts.

Vorsichtig hielt sie ihr unfertiges Kostüm zusammen und ging raus auf den Flur. Auch hier war ihre Schwester nirgends zu sehen, nur ein düsterer Gang, der von dem spärlichen Licht der Kerzen erhellt wurde. Sie ging vorsichtig die Treppe hinunter, um im dunklen nicht zu stolpern. Unten angekommen rief sie abermals den Namen ihres Zwillings. Doch sie bekam keine Antwort. Stattdessen hörte sie, wie jemand die Haustür öffnete und leise eintrat. „Kazu … ?“ fragte Yuki leise in die Stille hinein. Langsam trat sie der Tür näher. Ganz vorsichtig spähte sie um die Ecke, doch erkannte nichts. Nur ein großer Schatten. Als er sich zu bewegen begann, schreckte das Mädchen zurück und eilte so leise sie konnte in die nahegelegene Küche. Auch hier war es nicht heller als in den übrigen Zimmern. Fluchend darüber, dass sie das Licht nicht angelassen hatten, versteckte sie sich eine Weile in der Küche. Irgendwann wagte sie noch einmal einen Blick zur Tür hinaus. Nichts. Nur Dunkelheit. Plötzlich bewegte sich abermals ein großer Schatten hinter einer Wand. Es war ein Mensch, soviel konnte Yuki noch erkennen. Jedoch war es mit Sicherheit nicht ihr Zwilling. Nein, Kazura war viel kleiner als dieser Schatten. Als sie gerade daran dachte, dass es womöglich ein Einbrecher sein könnte, hörte sie erst einen leisen Knall, dann eine tiefe Männerstimme leise fluchen. Vermutlich war er gegen ein Möbelstück gelaufen. Yuki wollte schon die Polizei anrufen, wich einen Schritt zurück und trat versehentlich einen Mülleimer um. Kurz erschrak sie, beruhigte sich jedoch gleich wieder. Allerdings war das Geräusch in dieser Stille auch dem Einbrecher nicht entgangen. Yuki hörte leise Schritte auf sie zukommen. Sie saß in der Falle. In ihrer Küche gab es nur diese eine Tür. Und eben auf diese kamen gerade Schritte zu. Gerade als er die Türklinke hinunterdrückte und die Tür öffnen wollte, fing Yuki an zu schreien. Sie kniff die Augen zusammen, schubste den Mann beiseite und rannte ins Wohnzimmer, um ihr Handy zu holen und die Polizei zu verständigen. Jedoch wurde sie verfolgt und am Arm gepackt. Wieder fing sie an zu kreischen und schlug seine Hand weg. Sie rannte ins Wohnzimmer und versuchte sich zu erinnern, wo sie ihr Handy hingelegt hatte. Verdammt sollen diese Kerzen sein, dachte Yuki, während sie wieder Geräusche hinter sich vernahm. Panisch drehte sie sich um und sah eine düstere, große Gestalt auf sie zukommen. Hinter ihr befand sich eine Wand. Sie konnte also nicht fliehen. Also tat sie, was alle Mädchen in dieser Situation getan hätten. Sie schnappte sich einen Stuhl und rannte schreiend auf die Person vor ihr zu. Diese jedoch hielt sie ohne größere Anstrengung auf, woraufhin Yuki erst zu schreien, dann zu weinen anfing. Sollte es nun so mit ihr enden? Sie hatte noch nicht einmal ihr Kostüm fertig anziehen können. „Yuki“ vernahm sie eine Stimme vor sich. Woher kannte der Einbrecher ihren Namen? Sie schluchzte weiter und versuchte zu erkennen, wer die Person ihr gegenüber war. „Yuki, beruhige dich. Ich bin's nur.“ Das war doch … Der Mann schaltete das Licht neben ihnen wieder an. Als Yuki endlich erkannte, wer die ganze Zeit der mysteriöse Einbrecher war, fing sie abermals an zu weinen. Diesmal allerdings vor Freude. Feierlich umarmte sie ihren älteren Bruder und versuchte ihr Weinen zu unterdrücken. „Oh Robin, bin ich froh, dass du kein Einbrecher bist … glaub mir, ich hab mich noch nie so gefreut, dich zu sehen!“ Gleichzeitig lachend und weinend erdrückte sie ihren Bruder beinahe. „Na, das ist ja sehr nett, Schwesterchen …“ Lächelnd erwiderte er die Umarmung seiner Schwester. Abrupt stieß Yuki ihn wieder von sich. „Robin, Kazura ist verschwunden.“ Sich fragend, wo ihr Zwilling abgeblieben sein könnte, suchte sie mit Blicken das Wohnzimmer ab. „Wieso?“ fragte Robin verwundert. „Die steht draußen auf der Straße und macht kleine Kinder mit irgendwelchen Zaubersprüchen verrückt.“ Erst stand Yuki mit offenem Mund da. Dann entschloss sie sich, zur Haustür zu rennen und diese aufzureißen. Tatsächlich stand da mitten auf der Straße eine hysterisch lachende Kazura mit Hexenumhang und Zauberstab und wedelte damit vor heulenden Kindern herum. Bei diesem Anblick fing Yuki an zu lachen. Sie dachte schon, jemand hätte ihre Schwester entführt oder sie hatte sich womöglich wirklich weggezaubert. Und nun stand sie vor ihr auf der Straße und erschreckte wie üblich kleine Kinder. Yuki wusste, an dieses Halloween würde sie sich noch ewig erinnern.

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Tag der Veröffentlichung: 26.03.2017

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