Kapitel 1
„Belinda, auf jetzt, raus aus dem Bett! Es ist Schule.“, rief meine Mum, Francesca Cullahan von unten mindestens zu Zehnten mal zu mir hoch. Oh shit! Schule! Wieso konnten nicht noch ein paar Wochen Sommerferien bleiben?!
Aber anstatt aufzustehen, zog ich mir einfach die Decke über den Kopf und versuchte wieder einzuschlafen. Heute war der erste Schultag nach den langen Sommerferien und ich hatte überhaupt keine Lust auf Schule, auch wenn ich dort endlich wieder Kayla Jones, meine beste Freundin, sehen würde. Doch nach 5 Minuten wurde ich endgültig aus meinem Halbschlaf gerissen als mein kleiner 12 jähriger Bruder Rick in mein Zimmer kam und mir mit einem Becher kaltes Wasser über den Kopf schüttete.„Ahhhhh! Riiicki! Verdammt was soll das?! Na warte das bekommst du zurück!“ Er hatte so wenig Respekt vor mir, wie vor den Mädchen in seiner Klasse, da half es auch nicht, dass ich 16 Jahre alt war und wir immerhin 4(!!!)Jahre Altersunterschied hatten. Doch da rannte er schon wieder aus meinem Zimmer und ich musste aus meinem mollig warmen Bett schlüpfen um die Verfolgung aufzunehmen. Doch kaum rannte ich aus meinem Zimmer raus hörte ich Mum von unten rufen, die schon ziemlich genervt klang:
„Belinda Cullahan! Du machst dich SOFORT fertig und kommst runter! In einer halben Stunde kommt der Bus.“ Also blieb mir nichts anderes übrig als das kleine Monster von Bruder in Ruhe zu lassen und ihn zu ignorieren,was mir schwer viel denn er lugte schon wieder aus seinem Zimmer raus, grinste mich blöd an UND streckte mir dir Zunge raus. Grrrr! Das nächste mal würde ich ihn erwischen, das schwor ich mir. Ich ging mein Badezimmer, föhnte mir rasch mein dunkel brauens Haar bis es mir in sanften Locken über die Schulter fiel und trug ein dezentes Make Up auf, während ich mir überlegte was ich anziehen sollte. Ich entschied mich für meine dunkle lieblings Jeans, eine karierte Bluse und meinen grauen >I love NY< Pulli. Dann packte ich rasch meine Schultasche, die ich schon am Vorabend gerichtet hatte und eilte die Treppe runter um noch etwas zu essen bevor der Schulbus kommen würde.
„Na endlich. Du musst dich beeilen, der Schulbus kommt in 15 Minuten und du musst noch was essen. Was war da oben eigentlich los?“ fragte meine Mum und versuchte streng zu blicken, was ihr jedoch nicht sonderlich gelang und so mussten wir beide grinsen. Sie reichte mir ein belegtes Brötchen, in das ich hastig hinein biss, und ein zweites zum Mitnehmen in die Schule.
„Ich mache heute ein morgen ein paar Besorgungen und schau mir ein Pferd an. Braust du sonst noch irgendetwas?“
„Nein, ich glaube nicht, aber Süßigkeiten könnten wir wieder welche gebrauchen.“ Ich zwinkerte ihr zu und fuhr fort, ehe sie etwas erwiedern konnte: „Was für ein Pferd?“
„Ich habe dir doch schon mal gesagt, dass Rick sich zum Geburstag ein eigenes Pferd wünscht und wir haben noch einen Platz im Stall frei.“
„Aber er reitet doch immer Blesi...“
„Das ist aber nicht sein eigenes Pferd. Es ist dein Insländer und außerdem hast du noch Safir. Also sei bloß ruhig und verrate deinem Bruder nichts davon!“ Safir! Wenn ich schon an ihn dachte, zauberte er mir ein Lächeln aufs Gesicht. Safir ist mein Vollblutaraber Hengst. Ich habe ihn aufgezogen, als er von seiner Mutter verstoßen wurde, und ihn selbst eingeritten. Er ist kohlrabenschwarz und ich liebe ihn wie ein Familienmitglied, auf das ich nie verzichen könnte! Doch da riss Mum mich wieder aus meinen Gedanken:„Auf Bel, du musst dich beeilen, in 10 Minuten musst du an der Haltestelle sein!“ Da kam mein kleiner -mitten in der Pubertät steckender-, Bruder Rick rein. „Mhh....riechts hier lecker! Was gibt’s für mich?“ Ich konnte nicht anders, ich musste einfach grinsen. Er war so süß, wenn er mit seinem verstrubbeltem schwarzem Haar, seinen Boxershorts, mit Bart von den Simpsons drauf, und so erwartungsvoll schaute. In so einem Moment sah er richtig niedlich aus und man musste ihn einfach gern haben, doch er war trotzdem noch der kleine verschlagene Zwerg, der mir Wasser, und zwar eiskaltes Wasser, über den Kopf geschüttet hatte! Und schon kam meine Wut wieder. Doch ehe ich etwas unternehmen konnte, rief meine Mum mir zu : „Beeil dich Bel, noch 6 Minuten!“
„Jaja, ist schon gut, bin schon weg.“ Ich strich meinen kleinen Bruder schell über seine zerzausten Haare, gab meiner Mum einen flüchten Kuss auf die Wange, schlüpfte schnell in meine Cowboystiefel, die ich immer tragen würde wenn ich könnte, schnappte mir meine Schultasche und rannte aus dem Haus.
Zum Glück hatte der Bus mal wieder Verspätung und so hatte ich noch genug Zeit um meine Haare wieder in Form zu bringen.Weil wir ein bisschen auserhalb wohnten, kam der Bus so ziemlich jeden Morgen 5 oder 10 Minuten zu spät. Der Bus fur vor und ich stieg ein.
Da wurde ich schon von meiner besten Freundin Kayla begrüßt und auf den Sitz neben ihr gezogen. Bevor ich auch nur ansatzweise etwas erwiedern konnte, plapperte sie schon eifrig los: „Hey Bel, weißt du schon das Neuste?!“
„Euh.. Nein ich denke nicht, aber du wirst es mir sicher gleich erzählen.“ Sie schaute mich missblickend an und ich musste grinsen. Da fuhr sie auch schon fort: „ Dean und Cara sind wieder zusammen! Oh man, dass er ihr verziehn hat ist echt der Hammer!“ Autsch! Das war ein Schlag voll in die Magengrube. Dean Anderson war der Mädchenschwarm der ganzen Kettle Falls High School, die alle aus Kettle Falls und der näheren Umgebung besuchten. Früher war er ein netter Kerl und wir haben zu viert, mit Kayla und Liam, alles gemacht, bis er ein Macho wurde und sich für etwas besseres hielt. Ich mochte ihn immer noch sehr, aber seine Anmachsprüche und seine überhebliche Art waren einfach wiederlich und so hatte ich mit ihm Schluss gemacht, ehe wir richtig zusammen waren. Und Cara Clarks war der Jungsschwarm der Schule und gleichzeitig die größte Schlampe und Zicke die ich kenne. Die meisten Mädels hassen sie, wie ich, doch die Jungs liegen ihr zu Füßen. Dean und Cara trennten sich vor dem Sommerferien, doch auf unerklärliche Weise waren sie nun wieder zusammen. Während ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie weh es tat das zu hören, redete Kayla ununterbrochen weiter. Bis endlich Liam Cromwell, Kaylas Freund und mein bester Kumpel seit der Kindergartenzeit, dazustieg und Kayla mit einem langen Begrüßungskuss zum Schweigen brachte. Ich drehte mich weg, um ihnen ein bisschen Pivatsphäre zu gönnen, doch hauptsächlich deswegen, weil ich es nicht ertragen konnte sie so glücklich zu sehen, während mir das Herz gebrochen wurde. Nicht dass ich es ihnen nicht gegönnt hätte, ich fand sie passten sogar sehr gut zusammen; Kayla mit ihrem rabenschwarzem Haar, das ihr glatt über die Schulter viel und mit einer zierlichen Gestalt, Liam mit gold-brauen, immer etwas verstrubbeltem, Haar und seinem muskulösem Körper. Als sie ihren Begrüßungskuss beendet hatten, drehte sich Liam zu mir um und grinste mich schief an: „ Hey Bel, wie geht’s? Lang nicht mehr gesehn.“ „Gut,gut und selbst?“
„Na klar, jetzt auf jeden Fall, nach diesem K...“
„Schon gut“, fiel ich ihm ins Wort „lass stecken Liam!“ Ich versuchte mein missblickenden Gesichtsausdruck bei zu behalten, was mir leider nicht gelang und mit einem Lachanfall endete.
Als wir endlich an der Schule ankamen und auf das Hauptgebäude zuliefen, entdeckte ich Dean mit Cara auf dem Schoß, die direkt neben dem Eingang auf 'ihrer' Bank saßen. Oh nein! Dieser Tag fängt ja schon mal super an!, ging es mir durch den Kopf, aber bevor ich mir ein Ausrede überlegen konnte um NICHT an ihnen vorbeilaufen zu müssen, legte Liam einen Arm auf meine Schulter und zog mich mit sich, während er mir ins Ohr flüsterte: „Hmm.. Na super, dieser Tag beginnt ja schon mal so wie ich es liebe! Denn da sitzt Arschbacke mit Schulschlampe auf dem Schoß.“ Ich konnte nicht anders, schon zum zweiten Mal an diesem Tag musste ich ungewollt lächeln. Also ging ich lächelnd mit Liam und Kayla und 'Arschbacke', wie Liam ihn immer nannte, vorbei und schickte ein Gebet zum Himmel, dass er mich dich bitte NICHT ansprechen soll. „Hey Belle!“ Ohh shit! Mein Stoßgebet wurde nicht erhört. Naja, missmutig blieb ich stehn, wobei Liam mich fast umgerissen hätte, da immer noch sein Arm auf meiner Schulter lag. Ich dreht mich langsam und betont genervt um. „Na, wie geht’s Süße?.. Wie ich sehe hängst du immer noch mit diesen Losern rum.“ Er grinste so hinterhältig, dass ich am liebsten zu ihm gerannt wäre und ihm eine rein gehauen hätte, so gern ich ihn auch leider hatte! „Lass sie gefälligst in Ruhe! Nur weil sie nicht auf deine Macho-Nummer reinfallen, sind sie noch lange keine Loser. Und hör auf mich Belle zu nennen, DEDE! Es sind schließlich nicht alle so arrogant und oberflächlich wie du.“ Ha! Das hatte gesessen. Eigentlich bin ich überhaupt nicht selbstbewusst und erst recht nicht in der Öffentlichkeit! Und trotzdem grinste ich so hinterhältig zurück wie ich nur konnte. Er schaute mich völlig geschockt an und einen Moment glaubte ich ein bisschen Ungewissheit in seinen Augen zu erkennen, doch als ich genauer hinschauen wollte, war da nur wieder der alte 'du-kannst-mich-mal-Loser'-Blick, den ich so sehr verabscheute.
Als ich noch etwas sagen wollte, zog Liam mich mit sich. „Warum hast du dich von ihm provozieren lassen?! Es ist mir scheiß egal, ob er uns Loser nennt oder nicht, denn in meinen Augen ist er der größte Loser. Tiefer sinken als er kann man gar nicht mehr!“ Ich schaute ihn entnervt an. IMMER wenn ich mich Dean von provoziert lassen hatte ( was in letzter Zeit nicht ganz selten war), versuchte Liam mir immer noch verzweifelt einzureden, dass es keinen Sinn hatte sich mit ihm anzulegen. Doch da er merke, dass es im Moment überhaupt nichts brachte, auch wenn er sich noch so anstrengte, verstummte er und wandte sich zu Kayla um. „Kay, kannst du bitte mit Bel reden? Ich muss jetzt zum meinem Kurs. Wir sehn uns dann später, okey?“, fragt er sie so sanft, dass mir Tränen in die Augen traten. Wieso hatte ich das Pech mich in das größte Arschloch der Schule zu verlieben?! Als Liam und Kayla ihren Abschiedskuss beendet hatten, der nicht ganz so lang dauerte, weil die Schulglocke klingelte und wir in verschiedene Kurse mussten, wandte sie sich zu mir um, doch ehe sie mit dem Trösten beginnen konnte, schnitt ich ihr das Wort ab: „Kay, lass einfach, ich will im Moment nicht darüber reden ok?“
„Ist ok. Ich verstehe. Wir reden später darüber!“ Sie konnte es trotzdem nicht lassen mich mitfühlend anzuschauen. Doch da klingelte die Schulglocke noch einmal und wir mussten uns beeilen um noch rechtzeitig vor unserem grummeligen Mathelehrer Mr Collman in Klassenzimmer zu gelangen, der heute zum Glück durch ein Elterngespräch aufgehalten wurde und so 5 Minuten zu spät zum Unterricht erschien. So konnten wir gerade noch rechtzeitig auf unsere Plätze huschen. „Guten Morgen alle zusammen.“, nuschelte da schon Mr Collman und wir mussten artig aufstehen, wie in der Grundschule. Das war eine Sache die wir an Mr Collmans Unterricht überhaupt nicht abfanden konnten! „Guten Morgen, Mr Collman.“, murmelten wir zurück, was er mit einem strengen Blick quittierte.
Mathe war bei mir ein Fach, das ich gar nicht leiden konnte. Sonst bin ich eigentlich eine gute Schülerin doch da ich zum einen Mathe hasse und Mr Collman ebenfalls (was auf Gegenseitigkeit beruht) fiel es mir schwer im Unterricht aufzupassen, was mir oft leider Strafarbeiten oder 'ich-weiß-dass-du-es-nicht-kannst-aber-ich-fordere-dich-trotzdem-auf'- Blicke einbrachte. Da Mr Collman diese Stunde dazu nutzte um uns die Verschmutzung der Umwelt nahezu legen ,konnte ich mir in Ruhe überlegen, wie ich mich später aus der Affäre ziehen konnte, wenn Kayla mit mir über Dean sprechen wollte. Doch ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als die Direktorin mit ernstem Gesichtsausdruck ins Klassenzimmer trat und mich aufforderte mit ihr zu kommen. Ich war verblüfft, denn die Direktorin kam nur persönlich, wenn etwas schreckliches passiert war oder man etwas schlimmes angestellt hatte. Während ich ihr in ihr Büro folgte, grübelte ich über verschiedene Möglichkeiten nach mich aus der Affäre zu ziehen, was ziemlich schwer war, denn ich wusste noch nicht einmal, was ich so schreckliches verbrochen haben könnte. Als wir in ihrem Büro ankamen forderte sie mich auf mich zusetzten und schaute mich mit so einem ernsten und zugleich traurigem Gesichts an, dass mir mein Atem stockte und ich unregelmäßig anfing nach Luft zu schnappen.
Kapitel 2
Ich wusste nicht wie lange ich Ohnmächtig war, aber als ich zu mir kam, lag ich auf dem Boden und Kayla bückte sich sorgenvoll über mich. Ich versuchte zu lächeln, um ihren sorgenvollen Gesichtsausdruck nicht mehr ertragen zu müssen, doch da fiel mir wieder ein was die Direktorin gesagt hatte, und mir wurde erneut schwindelig.
„Nein Bel! Wehe du wirst noch einmal ohnmächtig! Das halt ich nicht aus. Bitte!“ Ich merkte, dass sie dem Weinen nahe war und kämpfte so gut es geht gegen den Schwindel an, der erneut mich zu überrollen drohte. Ich versuchte sie anzulächen, doch nachdem was ich erfahren hatte, war das einfach unmöglich. Die Direktorin hat mich bestimmt mit jemand anderem verwechselt! Das konnte einfach nicht sein! Nein, Rick war in der Schule und Mom war bei der Arbeit! Ich musste nur kurz bei ihr auf der Arbeit, in einem Anwaltsbüro, anrufen und schon würde sich das Missverständnis aufklären. Mir gelang es tatsächlich Kayla anzulächeln und sie seufzte erleichtert.
„Geht es dir gut? Es tut mir sooo leid! Das ist schrecklich ich weiß, aber deine Mutter wird es schaffen. Sie war schon immer eine Kämpferin! Glaub an sie! Du kannst währenddessen mit Rick zu uns ziehen, du weißt doch, dass bei uns immer ein Platz für euch frei ist?!“ Sie drückte mich fest an sich und plötzlich war ich mir doch nicht so sicher, ob alles nur ein Missverständnis war. Ich begann mich langsam aus meiner Starre zu befreien und schaute Kayla schockiert an „Da-, dann ist das also doch passiert?! Es ist KEIN Missverständnis?!“ Ich schrieb die letzten Worte schon förmlich raus, bevor ich schluchzend zusammen sackte und am liebsten wieder das Bewusstsein verloren hätte. Da kam Liam rein und sah mich, mit Tränen überströmten Gesicht, mit Kayla zusammen auf dem Boden hockend, und stürzte sich zu uns. „Oh mein Gott! Was ist passiert?“, er sah Kayla über meinen Kopf hinweg fragend an. Sie schüttelte nur leicht den Kopf und meinte mit einem Kopfnicken in meine Richtung leise: „Francesca und Rick..“, sie hielt inne, als sie bemerkte, dass ich zuhörte und meinte nur noch: „Später.“
Wahrscheinlich sollte ich es eigentlich nicht hören, doch ich wurde schon wieder von einem Krampf geschüttelt und machte mir deswegen keine Gedanken mehr darüber. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Immer wenn ich versuchte mir klar zu machen, dass alles nur ein schlechter Traum oder eine Verarsche war, zwar eine schlechte aber.., dann wurde ich wieder von Heulkrämpfen geschüttelt. Es schien als wollten sie mir weiß machen, dass es die Realität war und es nichts nützte weinend auf dem Boden zu hocken und zu versuchen, als dass nichts geschehen wäre.
Als Kayla und Liam sich schließlich über mich beugten und mich sanft, aber bestimmt, auf die Beine zogen, wurde mir bewusst, dass ich schon mindestens eine Weile da unten auf dem Boden gesessen hatte. Oh mein Gott war das peinlich! Und kurze Zeit, aber auch nur ganz kurz, war mir zu lachen zu Mute, doch da erinnerte ich mich wieder warum ich auf dem Boden gesessen hatte wie ein Häufchen Elend, Rotzt und Wasser geheult hatte und meine gute Laune verschwand wieder, so schnell wie sie gekommen war.
Ich lehnte mich Halt suchend an Liam, der sofort seinen Arm um mich legt und mich beruhigend hin und her wiegte.
In so einem Moment war ich froh, dass ich zwei so tolle Freunde hatte! Und prompt stiegen mir wieder Tränen in die Augen.
Nein! Verdammt! Ich schaffe es. Ich kann es. Aber was sollte ich nun tun?
Die Direktorin, eine gutmütig und sehr nette Frau, Kayla und Liam schauten mich erwartungsvoll an. Da erst bemerkte ich, dass ich irgendetwas gemurmelt hatte.
„Ehm..“, ich musste mich räuspern, denn meine Stimme drohte mir schon wieder zu versagen. „Also ich ehm.. Was ist genau passiert, Mrs Kingsley?“ Ich sah meine Direktorin mit,schon wieder, feuchten Augen an.
„Deine Mutter, Francesca, hatte mit deinem kleinen Bruder, Rick, einen Autounfall. Sie hatte ihn heute früher von der Schule abgeholt und mich persönlich informiert, da sie mir deinem Bruder ein Pferd anschauen wollte. Du kennst doch sicher die Kreuzung von der St. Wendler Straße und der Klare Perle Straße, nicht wahr?!“ Sie schaute mich fragen an.
Erwartete sie nun wirklich von mir, dass ich ihr zustimmte?! Also diese Frau ist definitiv nicht gutmütig und nett! Wie sollte ich ihr bitte schön antworten, wenn ich mit Mühe und Not schon nur die Tränen unterdrückte?! Wenn ich jetzt meinem Mund aufmachen würde, würde ich keinen Ton rausbringen!
Also nickte ich nur kurz und war dankbar, dass Liam und Kayla noch immer neben mir standen und mich zu trösten versuchten.
„Nun, deine Mutter fuhr über die Ampel, bemerkte aber zu spät, dass ein LKW mit Höchstgeschwindigkeit über die rote Ampel raste. Der Fahrer war betrunken und fuhr in das Auto deiner Mutter, sodass es sich überschlug. Wie bereits schon gesagt. Sie haben beide überlebt. Dein Bruder ist sehr warscheinlich mit einem Schock und ein paar Kratzer davon gekommen. Bei deiner Mutter sieht diese Sache leider ganz anders aus, da der LKW die Fahrerseite gerammthatte. Sie hat innere Blutungen, eine Gehirnerschütterung und ist wenig später, als sie von einem Krankenwagen abgeholt wurde, ins Koma gefallen.“ Sie sprach währenddessen mit so kühler Stimme, dass ich sie einen Moment nur verdattert anstarrte.
Als ich mir bewusst wurde was sie mir so eben erzählt hatte, stockte mir erneut der Atem. Koma?! Davon hatte sie vorhin allerdings noch nichts gesagt! Wie konnte ich Mrs. Kingsley nur gemocht haben?! Ich hasse diese dumme Pute von Direktorin! Ich wollte mich einfach nur in eine dunkle Ecke verziehen und mir die Seele aus dem Leib heulen, doch leider hatte ich schon alle vergossen und meine Augen wurden nur feucht, obwohl ich, wie gesagt, mir die Seele aus dem Leib heulen wollte!
Sie schaute mich nun erwartungsvoll an. Sie machte so langsam den Eindruck die Nerven zu verlieren. HALLO?! Ich musste hier mit mir selbst ringen, um überhaupt noch auf den Beinen zu bleiben und nicht wieder auf dem Boden zusammen zu sacken und sie schaute mich nur entnervt an!
Langsam wandelte sich meine Trauer auch in Wut um und ich antwortete so kühl wie es mir in meine derzeitigen Zustand möglich war, was leider doch ziemlich kläglich klang. „ Wo sind sie jetzt?“
„Deine Mutter befindet sich auf der Intesivstation des Kettle Falls Krankenhauses und dein Bruder Rick ebenfalls. Allerdings wird er nur noch kurz dort bleiben müssen und kann dann entlassen werden. Bei deiner Mutter weiß ich leider nicht wann sie entlassen werden kann.“ Sie nahm ihr Telefon vom Schreibtisch und rief bei der Taxizentrale an um mir ein Taxi zu bestellen. Als sie ihr Telefonat beendet hatte wandte sie sich wieder uns zu. „Es wird in 10 Minuten ein Taxi kommen, um dich abzuholen und zum Krankenhaus zu fahren. Das Taxi wird von der Schule bezahlt. Du kannst im Krankenhaus dein Bruder abholen und mit dem Taxi nach Hause fahren. Heute bist du selbstverstänlich vom Unterricht befreit, aber ich bitte dich keine Dummheiten zu machen! Deine Mutter wirst du vorerst leider nicht besuchen können, da sie momentan noch in einer kritischen Phase steckt und ihr Zustand noch nicht stabil ist.“
Wieder nickte ich nur benommen und nahm am Rande wahr, dass Kayla und Liam mich aus dem Büro der Direktorin zogen. Kayla lief in das Klassenzimmer zurück um meine Schultasche zu holen, wozu ich im Moment nicht imstande war!
Liam redete die ganze Zeit auf mich ein und ich war froh, dass er nicht von mir verlangte ihm zu antworten oder auch nur einen Mucks von mir zu geben. So gingen wir also durch die mitlerweilen leeren Flure, die Pause war wahrscheinlich schon zu Ende.
Immer noch leicht schwankend stieg ich ins Taxi ein und lächelte Kayla und Liam durch die Fensterscheibe müde an.
„Alles klar junge Lady?“, fragte mich der etwas ältere und pumelige Taxifahrer und mit einem Blick zu mir nach hinten fügte er noch hinzu „Nun ja, da du so eine traurige Fratze ziehst und dich wahrscheinlich selbst bemitleidest, denke ich, ist meine Frage hiermit gelöst!“, er grinste mich unverschämt an. Und obwohl er es wahrscheinlich gut gemeint hatte, wandelte sich meine Traue allmählich in das, was im Moment am nützlichsten war – Wut!
Wieso sollte ich mit einem bescheuerten Taxifahrer Kummerkasten spielen?! Ich lächelte nur ironisch zurück und wandte demonstrativ meinen Kopf zum Fenster.
Aber anscheinend nicht demonstrativ genug denn er räusperte sich wieder, um mir wahrscheinlich eine Predigt zu halten, wie unhöflich es doch sei sich einfach abzuwenden. Also schnitt ich ihm das Wort ab und erwiderte nur schnippig, auf seine noch unausgesprochene Predigt: „ Ich habe nicht vor Kummerkasten mit ihnen zu spielen oder mir anhören zu müssen wie sie mein Ach so tolles Verhalten finden! Ich möchte einfach nur, dass sie ihren Job erledigen und jetzt auf der Stelle losfahren! Und zwar auf der Stelle oder ich rufe ihren Vorgesetzten an und, und … !“
Oh shit ich hasse es! Wieso konnte ich nicht so schlagkräftig sein wie Liam?! Oder so kühl bleiben wie Kayla?! Aber nein, ich musste wieder diese bescheuerte Schüchternheit und diese Unsicherheit haben!
Anstatt weiter zu reden, um meinen Satz zu beenden, schaute ich ihn nur wütend und möglichst missbilligend an.Was, wie gesagt nicht sehr zu meinen Talenten zählte.
Ich musste doch nicht so schlecht gewesen sein wie ich dachte, denn der Taxifahrer schaute ziemlich dümmlich aus der Wäsche, was mich tierisch freute. Fast hätte ich gegrinst, aber so mies wollte ich doch nicht sein.
Nachdem mich der Taxifahrer noch ein paar Sekunden lang entgeistert anstarrte begann er erneut zu sprechen. „Ich glaube ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“
Wie bitte? Stellte er sich nun auf extra dumm oder war er wirklich so? NA dann tut er mir doch leid.
„Ich wollte nicht mit Ihnen Kummerkasten spielen oder Ihnen eine Rede halten. Ich wollte lediglich wissen wohin ich Sie fahren soll.“, er schaute mich fragend an und ich zuckte schuldbewusst zusammen.
Oh man! War das peinlich. So wie ich mich kannte, wurde ich jetzt bestimmt knall rot. „Ehm also...“, ich räusperte mich, da mir meine Stimme drohte zu versagen „Kettle Falls Krankenhaus bitte.“
Ich senkte schnell den Kopf und drückte mich so tief in den Sitz rein wie es nur möglich war.
Nach einer schier endlos langen Fahrt, die jedoch nur 15 Minuten dauerte, kamen wir schließlich ohne weitere Gespäche am Krankenhaus an.
Das Krankenhaus von Kettle Falls war ein eher kleines 2 stöckiges Gebäude mit zwei Flügeln, die sich links und rechts an dem Hauptgebäude anschlossen. Es war schon recht alt und hier und da blätterte auch schon die Farbe von den Wänden ab. Das einzig Schöne an diesem Haus war die Eingangstür. So schräg es auch klingen mag! Die Eingangstür war eine riesige alte hölzerne Flügeltür.
Habe ich schon erwähnt, dass ich alte Gegenstände, besonders Häuser und Möbel, liebe? Die Tür hatte kunstvoll geschnitzte Muster und als ich ausstieg, konnte ich nicht anders, als stehen zu bleiben und sie zu mustern.
Nun ja, es könnte auch sein, dass ich Schiss hatte rein zu gehen, aber...
Ich atmete noch einmal tief und setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen. In Gedanken ermahnte ich mich noch einmal nicht zusammen zu brechen, das hatte Zeit bis wir zu Hause waren. Außerdem musste ich mit Rick reden und mich erst um ihn kümmern bevor ich wieder an mich selbst dachte.
Mit diesem guten Vorsatz ging ich langsam die Treppe zur Eingangstür hoch. Oben angekommen öffnete ich ganz langsam die Tür, um mir möglichst viel Zeit zu lassen und um noch mehr Zeit zu bekommen mich zu sammeln.
Als ich langsam auf den Tresen zuschlenderte musste ich schon wieder diese nervige Flüssigkeit zurück zwingen, die sich sonst einen Weg aus meinen Augen gebahnt hätten und verräterisch nach Tränen aussahen.
Ich schaute mich um und nahm einen ziemlich geschmackvolle Einrichtungsstil wahr. Wenn ich nicht aus so einem schrecklichen Grund da gewesen wäre, würde ich sogar sagen, dass es mir hier gefiel: die hohe Decke und die kunstvollen Stühle im Warteraum sahen alt und einmalig aus, dazu kamen noch drei riesig Kronleuchter die von der Decke herab hingen. Es sah nicht wirklich nach einem Krankenhaus aus, doch im Moment war ich wirklich froh darüber, dass es nur ein kleines Krankenhaus war und nicht so ein überfülltes wie in den Großstädten!
Inzwischen war ich an dem Tresen angekommen. Eine nett wirkende, etwas rundliche mit knall rotem Haar, ca. 40 jährige Frau lächelte mich freundlich an. „Was kann ich für dich tun Schätzchen?“, sie schaute mich mit fragendem Blick an, genauso wie es Mrs Kingsley heute morgen - oder war es da schon mittag gewesen? Naja egal.. - in ihrem Büro getan hatte. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht so scheinheilig nett war. Doch ich hatte im Moment keine Lust weiter darauf ein zugehen, also erwiderte ich nur: „Ich möchte meinen Bruder Rick Callahan abholen.“
Ich versuchte mein Pokerface bei zu behalten, was anscheinend kläglich scheiterte, denn die nette Frau hinter dem Tresen lächelte mich vielsagend an und meinte: „Du kannst währenddesen auf einer der Stühle Platz nehmen. Ich schaue mal ob dein Bruder schon bereit ist.“ Sie lächelte mich noch einmal freundlich an und ich setzte mich langsam in Bewegung.
Die Stühle waren weich und – so komisch es nun auch klingen mag – ich fühlte mich seltsam wohl. Der Raum hatte eine beruhigende Wirkung und ich war froh, dass es hier nicht wie in einem typischen Krankenhaus aussah, denn sonst wären meine so sorgsam aufgerichteten Dämme wieder eingebrochen.
Die nette Frau erhob sich und ging auf eine gläserne Schiebetür zu, die sich automatisch öffnete, und sie verschwandt dahinter.
Nach ca. 5 Minuten, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, kam die Frau mit -Oh mein Gott!, wie sah Rick nur aus?! Die Hälfte seines sonst so schönen Gesicht war mit blauen Flecken übersäht, eine großes Pflaster klebte auf der rechten Seite seines Gesichts aus der Stirn, wahrscheinlich eine Platzwunde. Als er mich sah, riss er seine Augen auf und fing kurz danach an hemmungslos zu weinen. Ich sprang von meinem Stuhl auf und rannte auf ihn zu.
Nun rannte er ebenfalls los und schmiss sich mir in die Arme. Mittlerweile hatte ich wieder angefangen zu weinen und so saß ich mit Rick zum zweiten Mal an diesem Tage heulend auf dem Boden.
Ich war verzweifelt. Was würde geschehen wenn Mom es nicht schaffte? Was würde aus Rick, den Pferden und mir werden? Und ganz zu schweigen von dem Haus und unserem Stall! Wie sollten wir nur weiter machen?
Kapitel 3
Das Haus war wunderschön. Es lag in einem ruhigen Tal, das sich etwas abseits der kleinen Stadt erstreckte. Er fuhr langsam die mit Bäumen gezäumte Allee entlang. Viel zu schnell kam er an dem Haus, das am Ende der prachtvollen Straße stand, an. Es war erschreckend nach so vielen Jahren wieder zurück zukehren und immer noch das Gefühl zu haben man sei hier zu Hause.Doch schnell verdrängte er diesen Gedanken und wendet seine volle Aufmerksamkeit wieder auf das Haus vor sich. Er war neu gestrichen, in einem schönen und schlichten gelblichem Ton. Langsam öffnete er die Tür seines nagelneuem Audi und stieg aus. Er zuckte unter der Kälte die am frühen Morgen herrschte zusammen, doch er unternahm nichts dagegen, denn seine volle Konzentration lag auf dem Haus vor ihm. Langsam ließ er seinen Blick schweifen und nahm nun auch alles andere wahr, was er bisher unbeachtet gelassen hatte - der schöne, liebevoll errichtete Vorgarten, der Kiesweg, der zur großen schon antik aussehenden, wunderschönen Haustür führte, und den kunstvoll gefertigtem Torbogen, an dem Rosen kunstvoll entlang wuchsen.
Langsam setzte er sich in Bewegung, während er seinen Anzug glättete, der unter der langen Autofahrt sehr gelitten hatte und nun völlig zerknittert war.
Er ging um rechts das Haus herum und gelangte an ein kleines hölzernes Gartentor, das er gemächlich aufschob. Wieder ließ er seinen Blick schweifen und war beeindruckt. Als er gegangen war, war dieser Garten hier nur eine sehr große verwilderte Wiese mit vereinzelt großen Bäumen gewesen, die im Sommer viel Schatten spendeten. Doch nun, einige Jahre später, sah es vollkommen verändert aus.
Die früher vollkommen verwilderte Wiese, war nun eine riesige Rasenfläche. Er ging weiter in den riesigen Garten hinein und drehte sich wieder zu Haus um. Und was er sah, war erschreckend.
Alles hatte sich geändert – doch nicht zum negativen, wie er nach dem ersten Eindruck feststellte. Die Terasse war groß und es stand nur ein schöner Holztisch mit Stühlen darauf, die im Sommer wahrscheinlich häufig genutzt wurden. Die Terassentür bestand aus einer riesigen Glasscheibe die, wie auch die Eingangstür, gebogen und am Rand kunstvoll verziert war. Direkt neben der Terasse war ein Swimmingpool in der Erde eingelassen worden, der ebenso wie die Terasse und der Garten, riesig war.
Als er seinen Blick weiter nach links schweifen ließ, sah er den Stall, der auch früher zu seiner Zeit schon da gestanden hatte, vollkommen unverändet stehen. Die sechs Boxen waren mit der Boxentür zum Garten ausgerichtet und daneben war die Sattelkammer, die alles mögliche zum Thema Pferd beinhaltete. Sie hatte Pferde immer schon geliebt – genauso seine Tochter und sein Sohn. Früher hatte auch er viel mit den Pferden zu tun gehabt, doch dann hatte er Nicoletta kennen gelernt.. Schnell verbannte er die Gedanken an seine Ex-Freundin, die seine glückliche Familie auseinander gerissen hatte, und ließ seinen Blick weiter schweifen. Der Wald der an dem Ende der Wiese grenzte wirkte nicht mehr ganz so düster und unheimlich wie früher, doch er hatte immer noch etwas an sich, das einen erschaudern ließ. Schnell wandte er den Blick ab und erblickte den kleinen Pavilion, der auf einer Anhöhe hinter ein paar Büschen stand, sodass man ihn nicht so leicht erblicken konnte.
Es war sein Werk. Wehmütig dachte er an die Zeit zurück, in der er mit seiner Familie unermüdet an ihm gebaut hatte, bis er perfekt war. Und er war perfekt.
Er sah vollkommen aus, wenn er von den ersten Sonnenstrahlen des Tages beleuchtet wurdet. Dann sah es wie in einem Märchen aus. So in Gedanken versunken blieb er lange stehen, ohne zu bemerken, dass er schon die ganze Zeit von zwei , erst ungläubigen und dann hasserfüllten, Augen angestarrt wurde.
Fotsetzung folgt... :)
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch vor allem meiner allerbesten Freundin Ade, mit der ich über alles reden und über jede noch so dumme Sache lachen kann! Und ich widme dieses Buch Soffel, denn auch mit ihr kann man Pferde stehlen. :D