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Prolog




Schutzengel werden diejenigen, dessen Schutzengel es nicht geschafft haben auf einen aufzupassen.
Im Klartext: Während ein tonnenschwerer LKW über meinen ehemals grazilen Körper rollte, saß mein SchutzBENGEL in einem Strip-Club und glotzte nackte Weiber-Ärsche an. Und nun muss ich seinen Platz einnehmen, ob ich nun will oder nicht!!!
Man hat ja nicht mal eine Wahl…
Und wie soll ich diesen Job bitte schön erledigen?! Ich meine, haallooo, ich war gestern noch bei der Maniküre und dann soll ich mir meine Nägel gleich wieder kaputt machen???
Schließlich war es das letzte Mal, dass ich in ein Nagelstudio gehen konnte…
Soll ich jetzt mein ganzes Leben mit kaputten Nägeln rumrennen?!
Oh nein, wartet mal!!! Ich leb ja nicht mehr also streicht das mit „mein ganzes Leben“! Es sollte heißen „mein Dasein“… Klingt doch schon viel besser, oder nicht?
Und rumrennen werd ich wahrscheinlich auch nie wieder, jetzt wird geflattert!!! Oder so?
Ach, ich hab ja auch null Ahnung von der ganzen Engel-Sache. Irgendwer sollte mir das Ganze jetzt mal schleunigst erklären, schließlich muss ich wissen, was alles im Bereich des Möglichen liegt und wo ganz fett draufsteht: STRENG VERBOTEN!!!


1




Es sollte mein letzter Tag auf Erden werden, doch das wusste ich um 6 Uhr noch nicht, als mich mein Wecker laut kreischend aufweckte und ich langsam aus dem Bett kroch.

Was würdest du tun, wenn du nur noch 24 Stunden zu leben hättest?

Diese Frage wird Einem im Leben sicher mehrmals gestellt und man antwortet meistens folgendermaßen:


„Ich würde in meine alte Schule rennen, um jedem Lehrer, den ich hasste, mal so richtig die Meinung zu geigen!!!“



„Ich geh den Kerl küssen, den ich schon seit der fünften heiß fand!!!“

„Bungee-Jumping und alles, was ich mich früher nicht getraut hab zu machen oder was mir zu teuer war!!!“

„Den ultimativen Adrenalin-Kick bekommen!!!“

………




Tja, diese Frage wurde mir an diesem Tag nicht gestellt und dementsprechend mies wie auch normal begann mein Tag.
Ich zog die Jalousien meines Schlafzimmerfensters hoch, schob die Gardinen beiseite und öffnete das Fenster.
Ein kalter Windstoß fegte mir entgegen, gefolgt von einer morgendlichen Dusche.
Es regnete! Wie sollte es auch anders sein?! Es war schließlich April und dieser war bekannt für unerwartete Regengüsse, Hagel und gelegentlich auch etwas Schnee. Seltener waren jedoch die warmen Sonnenstrahlen, die man im Frühling immer sehnlichst erwartete, welche einen immer dem Sommer ein Stückchen näher brachte.
Aber – wir erinnern uns – es regnete an diesem Morgen.
Nachdem ich also besagte Dusche erhalten hatte, schloss ich schnell mein Fenster wieder und begab mich in meine kleine überschaubare Küche.
Dort erwartete mich – wie jeden Morgen – meine Katze. Ich hatte sie Nala getauft, nach der kleinen Löwendame aus „König der Löwen“. Ich war ein heimlicher Disney-Fan und liebte jeden Film heiß und innig. Weshalb Nala quasi eine Hommage an Walter Disney war.
Ich fütterte meine Miezekatze – sie war eine Maine Coon und gerade mal ein halbes Jahr alt, weshalb man sie keineswegs als klein bezeichnen konnte, denn sie war riesig und würde in den nächsten zweieinhalb Jahren noch weiter wachsen, was eine Besonderheit dieser Rasse war.
Nach besagter Raubtierfütterung präparierte ich meine Kaffeemaschine und wanderte gemächlich in Richtung Badezimmer.
In Zeitlupe schälte ich mich aus meinem Pyjama und im ebenso langsamem Schneckentempo bewegte ich mich auf die Dusche zu.
Ich hatte die Tür geschlossen, doch ein Kratzen erinnerte mich daran, dass mich eine blutige Bestrafung erwarten würde für dieses Vergehen.
Ich öffnete die Tür und blickte - wie zu erwarten – in zwei kleine Kuller-Katzenaugen, die mich böse anblitzten.
Ich murmelte ein leises Sorry in ihre Richtung und bat sie herein. Hochnäsig stolzierte sie mit aufgestelltem Schwanz und in die Höhe gerecktem Kinn an mir vorbei. Dabei stolperte sie über den Badeteppich und fiel auf ihre dennoch süße kleine Nase.
Ein beleidigtes Miauen in meine Richtung machte mir klar, dass ich sie gerade auslachte. Doch Ihre Majestät duldete kein Fehlverhalten in ihrem Hofstaat.
Sie rappelte sich auf und begab sich – ihres Stolzes beraubt – aufs Katzenklo, ihr eigentliches Ziel. Was mich wiederum vor ihrer Kratz-Attacke rettete, die mich meistens ereilte.
Während sie ihr Geschäft erledigte und mir eine gewaltige Stinkbombe mit ungeahnten Ausmaßen hinterließ, stieg ich endlich unter die Dusche und ließ einen wohlig warmen Schauer auf mich herabregnen.
Nach etwa zehn Minuten, als ich endlich alle meine fünf Sinne auf den Tag eingestimmt hatte, hüpfte ich gut gelaunt raus aus der Dusche, trocknete mich ab und knetete mir etwas Haarschaum in meine Mähne.
Ich säuberte noch kurz das Katzenklo – mit einer Wäscheklammer auf der Nase und mit Duftspray bewaffnet, um einer Ohnmacht zu entgehen und tapste dann in die Küche.
Dort angelangt drehte ich in Lichtgeschwindigkeit wieder um, als ich bemerkte, dass mein Nachbar direkt in meine Küche blickte und mich – völlig nackt wie ich war – wie gebannt anstarrte.
Nachdem ich mir mein größtes Badetuch umgebunden hatte, mir meinen mittlerweile fertigen Kaffee geholt hatte, setzte ich mich an den Tisch und atmete den Duft meines Energiespenders dankbar ein. Ich nahm einen großzügigen Schluck, öffnete die Augen und seufzte leise resignierend als ich feststellen musste, dass mein Nachbar noch immer da stand und zu mir rüber sah.
Ich setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und winkte zu ihm hinüber.
Er winkte zurück und schrie mir durch das geschlossene Fenster einen guten Morgen zu.
Mit einem Satz hüpfte Nala plötzlich aufs Fensterbrett und fauchte ihn drohend an, woraufhin dieser erschrocken zurücktaumelte und endlich verschwand.
Nala hingegen hopste wieder vom Fenster runter und machte sich wieder, nun völlig zufrieden und laut schnurrend, über ihr Futter her und schmatzte was das Zeug hielt.
Ich liebte sie für genau das, was sie war und was sie machte, und dass sie mich immer wieder rettete.
Ich blickte zufällig auf die Uhr, die mir gegenüber an der Wand hing und ließ vor Schreck beinahe meine Tasse fallen. Es war schon dreiviertel sieben und ich war noch nicht mal angezogen!!!
Ich rannte ins Schlafzimmer, riss den Schrank auf und zugleich das Tuch von meinem Leib, schnappte mir die nächstbeste Jeans und eine weiße Bluse, die Unterwäsche nicht zu vergessen, schlüpfte in die Sachen hinein und lief gehetzt ins Bad, um mich zu schminken.
Schnell etwas Make-Up und Wimperntusche, dann noch etwas Lipgloss. Zu mehr war keine Zeit, und deshalb lief ich zu meiner Wohnungstür, wo mich schon meine Lieblings-Pumps erwarteten.
Mit der Handtasche und dem Schlüsselbund in der Hand stürzte ich aus der Wohnung. Ich fummelte verzweifelt an meinen Schlüsseln herum, denn mein Wohnungsschlüssel wollte einfach nicht gefunden werden!
Nachdem ich es endlich geschafft hatte, meine Wohnung abzuschließen, rannte ich zu meinem Auto.
Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloss, drehte ihn um und –
Kein Ton! Nicht ein kleiner Laut ließ sich hören!
Na toll! Also zu Fuß zur Arbeit.
Ich rannte noch mal hoch in meine Wohnung – dritter Stock (die Hölle, wenn man es nicht gewohnt ist und noch schlimmer mit Absätzen) – und holte meinen Regenschirm.
Zum Glück hatte ich nicht weit zur Arbeit und fuhr eigentlich nur aus Faulheit mit dem Auto dorthin.
Ich öffnete den Schirm und rannte los. Ich vermeidete in die Pfützen zu treten, was den Erfolg hatte, dass es aussah als würde ich Kästchen-Hüpfen, wie es immer die kleinen Mädchen machen! Machen das kleine Kinder heutzutage überhaupt noch? Oder stehen die alle mir ihren iPhones und Nitendos rum?


2




Halbwegs trocken erreichte ich, wenn auch laut schnaufend (ich war nicht die Sportlichste) die Bank, in der ich arbeitete.
Kaum öffnete ich die Tür des Personaleinganges, tönten aus allen Richtungen die verschiedensten Begrüßungen.

„Moin, Moin, Lala! Haste nich gut geschlafen? Siehst müde aus!“

„Lala!!! Ich wünsche dir einen wunder-wunderschönen guten Morgen!“

„Schon wieder zu spät! Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst, junges Fräulein!? Dieses Mal werde ich es dem Chef melden müssen, Elisabeth!“



Jaaa, ich weiß schon…Elisabeth, voll der altmodische Name, nicht?! Aber eigentlich nennen mich alle, meine Freunde wie auch Kollegen, Lala. Ich weiß, Lala hört sich nicht viel besser an, ist mir aber tausendmal lieber als „Elli, Sissi, Bethi, Bebi“ oder „Sasa“ genannt zu werden!!! Ihr könnt mir ruhig glauben, das hab ich alles schon gehört!
In meinem Büro angekommen linste ich kurz in meinen Terminplaner. Ich hatte noch eine Stunde bis eine Kundin zum Beratungsgespräch kam.
Bis dahin musste ich noch meinen Schreibtisch aufräumen (ich war eher der chaotische Typ und räumte eigentlich nicht gern auf), diese Woche hatte ich Kaffee-Dienst, also musste ich den Kaffee machen. Außerdem hatten wir einen Azubi im Haus, was bedeutete, dass dieser alle fünf Minuten zu mir gerannt kam und irgendwelche dämlichen Sachen von mir wissen wollte, wie z. B. „wo das Papier in den Drucker reinging“!??
Ähhh, jaaa. Ich denke, wir wissen alle, was mir in solchen Momenten durch den Kopf geht und daher brauche ich es wohl nicht zu erwähnen, oder?!
Nachdem ich den ganzen Kram erledigt und noch einen Kaffee getrunken hatte, sah ich nochmal auf die Uhr und stellte erleichtert fest, dass ich noch etwa 15 Minuten Zeit hatte.
Ich lehnte mich entspannt, mit meiner dritten Tasse Kaffee in der Hand, in den Bürostuhl zurück und dachte noch einmal an diese „mein-Nachbar-hat-mich-nackt-gesehen“-Sache zurück, woraufhin ich gleich überlegte, ob ich mich schämen oder eher stinksauer sein sollte, weil der Typ so unverschämt zu mir rüber geglotzt hatte!!
Ich entschloss mich stinksauer auf den Perversling zu sein, als in diesem Moment jemand an meiner Bürotür klopfte.
Ich öffnete die Tür und begrüßte Frau Müller, die Ex-Frau des bekanntesten Polizisten unserer Stadt. Er war ein Arsch, sie eine Alkoholikerin. So einfach war der Grund für ihre Scheidung.

„Was kann ich heute für Sie tun, Frau Müller?“ Ich setzte ein Lächeln auf, obwohl ich am liebsten davon gelaufen wäre, da sie eine nervende alte Kuh war.
Und nicht nur das. Sie wohnte gegenüber meiner Großmutter und hatte die Angewohnheit jedes Mal wenn meine Großmutter aus dem Haus ging, im Garten arbeitete oder einfach nur die Post durchblätterte, hinter ihren dreckigen Scheibengardinen zu stehen und ihr dabei zu zusehen. Und scheinbar war ihr dabei nicht einmal klar, dass jeder sie sehen konnte.
Aber wahrscheinlich war sie dazu einfach zu besoffen. Manchmal schien sie auch der Meinung zu sein, wenn sie auf dem Balkon stand, dass sie dort auch niemand sah, wenn sie sich hinter die Satellitenschüssel stellte. Ich meine, okay, ihr Balkon glich dem eines typischen Messie-Balkon, aber blind waren weder ich noch meine Großmutter!

„Ach, Frau Windbusch!“ Unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen uns aus und spann sich um uns wie eine Spinne ihre Beute einspann. Der Alkoholdunst breitete sich ebenfalls aus.
„Wie geht es eigentlich Ihrer Großmutter, meine Liebe?“ Als wenn sie das nicht selbst am besten wüsste!
„Gut. Es geht ihr gut. Aber sie trauert immer noch sehr um ihren Kater! Das macht ihr ziemlich zu schaffen! Aber weshalb sind Sie denn heute zu mir gekommen?“
„Ach, die Arme! Ich glaub ich bring ihr mal eine Flasche Wein vorbei!“ Dass ich nicht lache! Bevor sie überhaupt die Straße überquert hat, wird die Flasche sowieso schon wieder leer sein!
„Ich, ähhh…, also ich bin gekommen, weil…“ Erneutes Schweigen.
„Ich hab’s vergessen!!! Glaub ich…“
„Nun, Frau Müller, dann kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen! Ich denke, es ist das Beste, sie gehen wieder nach Hause und rufen mich an, wenn Sie es wieder wissen! Dann sagen Sie mir gleich am Telefon worum es geht, was uns das Ganze deutlich erleichtern dürfte!“
„Mhm,… ich denke Sie haben Recht. Na dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag!“ Und weg war sie! Gott sei Dank!!!


3




Nachdem ich den Tag mit Müh und Not überstanden hatte, verließ ich das Gebäude um Punkt 15 Uhr. Ich öffnete erneut den Schirm – es regnete immer noch – und überquerte die Straße, um schnell in den dort gelegenen Bäckerladen zu hasten.
Ich war Stammkundin und daher kannte mich jede Verkäuferin. So begrüßten sie mich auch dementsprechend. Wir waren alle per du.
Egal wie überfüllt der Laden sein mochte oder wie schlecht das Wetter auch war, sobald ich den Laden betrat, breitete sich auf meinem Gesicht ein Lächeln aus.
Ich nahm meine vorbestellten Sachen entgegen, zahlte schnell, wünschte allen noch einen schönen Tag und drängte mich wieder aus dem Laden hinaus.
Erneut überquerte ich die Straße und sah nur noch zwei kugelrunde Lichter auf mich zu rasen.
Und dann…???


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Ich machte meine Augen langsam wieder auf und sah mich um. Ich entdeckte eine Menschenmenge um etwas herumstehen und fragte mich im selben Moment, was eigentlich geschehen war. Ich erinnerte mich eigentlich nur noch an diese zwei Lichter…
Erneut sah ich mich um und sah einen LKW am Straßenrand stehen. Ich beschloss mich zu der Menschenmenge zu gesellen, um herauszufinden, was passiert war.
Ich bat die Menschen, mich durchzulassen, doch keiner reagierte.
Dann auf die harte Tour, dachte ich mir und begann mich durch die Masse zu drängen, was einfacher ging, als ich angenommen hatte.
Am Ende angekommen, drehte ich mich noch einmal um und wunderte mich, dass ich irgendwie durch die Leute hindurch geglitten war.
Doch dann blieb mir das Herz stehen, als ich entdeckte auf was die Menschen gestarrt hatten.
Denn dieses „was“ war ich bzw. mein nicht mehr ganz so ansehnlicher Körper!

„Ja…eine Frau wurde von einem LKW überfahren…richtig, gegenüber der VR-Bank…sie ist tot…. In Ordnung, danke. Tschüss.“ Ich hörte zufällig einen Mann telefonieren und so erfuhr ich die unschöne Wahrheit: Ich war von einem LKW platt gemacht worden!!!
Toll! Super! Megaaffengeil! (Ich hoffe, man hört den Sarkasmus raus!)

Während ich so überlegte, warum ich eigentlich hier rumstehen konnte, wo ich doch tot war (Ich glaubte nämlich nicht an den ganzen „Gott-Himmel-Hölle“-Kram), entdeckte ich einen Mann auf der anderen Straßenseite.
Er fuchtelte hysterisch mit den Händen und schüttelte immer wieder den Kopf. Er hatte kurz geschnittenes Haar, trug einen etwas altmodischen zerknitterten Anzug ohne Krawatte und einen beigen Mantel. Dazwischen blitzten zwei weiße Flügelspitzen hindurch und…
Moment, was hab ich grad gesagt? Flügel???
Ich riskierte einen zweiten Blick, was mir meinen ersten Eindruck nur bestätigte: es waren Flügel!!!

Als mein Blick zu seinem Gesicht zurückschweifte, bemerkte ich, dass er mich beobachtete und schließlich ging er direkt auf mich zu.
„Bist du Elisabeth? Elisabeth Windbusch? Natürlich bist du das!“
„Ähm, jaaaa. Und Sie sind?“
„Kasimir. Ich bin dein Schutzengel.“
„Jaaa, klaaaar. Wollen Sie mich verarschen? Schutzengel!? Das ist doch ein Scherz, oder?!“
„Nein, nein. Sie… du hast schon richtig gehört und das ist kein Witz! Ich bin ein Schutzengel!“
„Natürlich. Und warum gleich nochmal bin ich tot, wenn ich doch einen Schutzengel habe, der doch auf mich aufpassen soll?“
„Hm, ja richtig. Ähm… also ich hab dich irgendwie… also ich bin…“
„Okay. Lassen Sie mich raten, SCHUTZENGEL Kasimir. Sie waren in einem Puff und haben Ihr Gesicht zwischen zwei wunderbar unechte Silikonbrüste gedrückt!!!“ (Nochmal: Meine Verachtung hört man hoffentlich)
„Nein…nicht so ganz… es war irgendwie mehr ein Club, jaaa… ein Strip…Club….“ Ein beschämtes Lachen kam über seine Lippen.
„Wow, ich bin also tot, weil mein sogenannter Schutzengel sich lieber einen runtergeholt hat, als auf mich aufzupassen?! Versteh ich das richtig?“
„Hey sorry. Ein Mann hat auch Bedürfnisse, auch wenn er ein Engel ist!!!“

Mit diesen Worten hatte er das Fass sprichwörtlich zum Überlaufen gebracht und meine Geduld war nun bis zum Äußersten strapaziert.
Ich fauchte wie eine Katze und sprang ihm ins Gesicht (wortwörtlich!!!) Ich würgte ihn und schüttelte ihn, bis wir beide keuchend am Boden lagen.

„Na super! Mein Schutzengel ist also nicht nur ein Mann mit Bedürfnissen, mit einem dämlichen Namen, sondern er ist obendrein auch noch ein total chauvinistischer Arsch!!!“
„He!!!“
„Lass gut sein, ja?! Mach’s nicht noch schlimmer!“ Ich hatte ungewollt sein du übernommen… aber das war jetzt auch schon egal.
„Also ich muss dich zu meinem Boss bringen und das möglichst schnell. Ähm weißt du, wo das nächste öffentliche WC ist?“
„Wieso? Musst du schon wieder eins deiner Bedürfnisse befriedigen??“ (Sarkasmus!!!)
„Nö, das ist nur die schnellste Art und Weise für Engel sich fortzubewegen! Ich meine, es geht auch anders, aber das dauert normalerweise ewig!“
„Na gut. Beweg deinen himmlischen Arsch in Richtung Einkaufszentrum!!! Und halt die Klappe!“


4




„Dort vorn neben der Apotheke ist das Klo. Und jetzt?“
„Wir gehen rein und dann…“
„Und dann was?“
„Dann… ach ich kann das nicht erklären! Komm einfach mit, dann zeig ich‘s dir!“

Nachdem ich mich ungefähr hundertmal umgedreht hatte, um sicherzustellen, dass uns niemand sah, folgte ich Kasimir ins Klo.

„Stell dich auf die Kloschüssel!“ Ich rührte mich nicht vom Fleck.
„Na los, mach schon!“ Noch immer hatte ich mich keinen Millimeter bewegt.
Er packte mich am Arm und zog mich grob zur Kloschüssel und stellte sich drauf.
„Komm schon! Es geht nicht anders! Rauf mit dir!“
Wiederstrebend stieg ich auf die Klobrille, wobei Kasimir mir dabei half, indem er meine Hand festhielt.
Dann warf er ein kleines Kreuz ins Klo und spülte es runter.
„Was sollte das d…“ begann ich noch, doch da waren wir schon längst wo anders.
„…enn bringen?“Und plumpste sogleich auf mein Hinterteil.
„Ach ja, das hätte ich dir wohl noch vorher sagen sollen… Wenn du zu zweit reist, solltest du dich immer an dem anderen festhalten. Ansonsten passiert genau das!“
„Schön, dass ich das auch mal erfahre!“ motzte ich und rappelte mich wieder auf.
„Wo sind wir denn hier eigentlich? Wie der Himmel sieht das ja nicht gerade aus! Eher wie ein…stinknormales…Büro?!“
Während ich mich so umsah, und dieses kleine Kämmerchen begutachtete, denn anders konnte man es nicht nennen, begann Kasimir auf einen korpulenten kleinen Mann, der hinter einem riesigen Schreibtisch saß, einzureden.
Er schien etwa fünfzig zu sein, und auf seinem Kopf bildete sich schön langsam eine Mönchstonsur hervor. Er strahlte eine immense Ruhe aus, obwohl man ihm anmerkte, dass er nicht gerade gut gelaunt war und doch gewahrte er sein Gesicht als augenscheinliche Autoritätsperson.
Dieser Mann wirkte respekteinflößend und Kasimir benahm sich auch dementsprechend servil.
„Es tut mir wirklich leid! Es wird nicht wieder vorkommen!“ winselte der Schutzengel niedergeschlagen.
„Sie haben Recht! Es wird NIE WIEDER vorkommen! Sie sind gefeuert! Packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie dahin zurück, wo Sie hergekommen sind!“ schimpfte hingegen sein Boss.

„Elisabeth! Kommen Sie zu mir! Ich darf Sie doch Elisabeth nennen, oder?“
„Mir wäre Lala lieber, wenn’s recht ist!“
„In Ordnung. Gut, Lala. Wie Sie ja sicher grade mitbekommen haben, habe ich eine Stelle zu vergeben. Und hier bei uns ist es Vorschrift, dass der oder die Verstorbene den Platz seines ehemaligen Schutzengels einnimmt, sollte dieser versagen!“ Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. Dann fuhr er fort.
„Was bedeutet, Sie, Lala, müssen Kasimirs Stelle einnehmen und seinen Job ab jetzt machen! Sie haben keine anderen Optionen offen, falls Sie versuchen abzulehnen.“
Er machte erneut eine Pause und wartete auf eine Antwort von mir. Ich hingegen saß mit offenem Mund da und brachte kein Wort heraus.
Ich war sprachlos, dass so eine Entscheidung einfach ohne mein Einverständnis gefällt und mir nicht einmal die Möglichkeit gegeben wurde, etwas dazu zu sagen!
„Ich werte Ihr Schweigen mal als ein Ja.“ Er griff zum Telefon und tippte eine Nummer ein.
„Ja, Ambriel hier. Ich brauche einen Ausbilder für Stufe eins in meinem Büro. In fünf Minuten, aber dalli!“ Er legte wieder auf sah mich mit einem Lächeln an. Dann schien ihm etwas eingefallen zu sein, denn er griff erneut zum Telefonhörer.
„Ambriel, hier. Schicken Sie mir bitte sofort alle Unterlagen betreffend aller Schützlinge von Kasimir, Schutzengel der Stufe 3, herüber! Wir haben einen Azubi im Haus!“
Es klopfte an der Bürotür.
„Herein. Das ging ja schnell.“
Ein Lullatsch mit Hornbrille betrat den Raum, verbeugte sich kurz, schob sich seine Brille zurück auf seine Nase und hielt Ambriel einen Aktenstapel aus drei Metern Entfernung hin.
„Würdest du bitte…“
„Aber natürlich! Natürlich…“
Die Brillenschlange ging auf den Schreibtisch zu, um Ambriel den Packen Papier zu überreichen.
„Danke,Harahel.“
Dieser verbeugte sich erneut, drehte sich um und wollte gerade gehen, als in dem Moment die Tür erneut aufging und Harahel direkt in den Engel hineinlief.
„Eloa! Du sollst der neue Ausbilder sein? Gut, wir werden sehen, ob das klappt. Bewährst du dich, wirst du höher gestuft!“
Harahel verschwand ohne ein weiteres Wort und schloss die Tür hinter sich.
„Ja, alter Mann! Ist ja schon gut, nur schrei bitte nicht so rum, mir tut der Schädel weh!“
Wow! Ein Säufer, hm. Es kann eigentlich nur noch besser werden…
Bitte, bitte, lass es besser werden!!!
„Häh, was ist los? Was soll besser werden?“ Ups! Hab ich das etwa laut gesagt?
„Ni…nichts. Alles okee. Und jetzt? Was passiert nun?“
„Eloa wird dir alles beibringen, was du wissen musst und wird dir die nächsten Wochen bei deinem Job helfen.“
Eloa nickte träge. Und Ambriel drückte mir den Aktenstapel in die Hand.
Während er uns zur Tür hinausschob, sagte er noch: „Lies die Akten gut durch, das Wissen kann dir später von Nutzen sein!“


5




Eloa musterte mich von oben bis unten, rieb sich dabei ständig seine Schläfen.
„Du hast nicht zufällig eine Aspirin dabei?“ fragte er, als sein Blick an meiner Handtasche hängen blieb.
„Doch. Aber zuerst wäre ich über einen Ortswechsel sehr froh, dann kannst du eine Kopfschmerztablette bekommen!“
„Muss das sein?“ maulte er gequält, weiter seine Schläfen bearbeitend.
„Jep. Das muss jetzt sein. Ich will in meine Wohnung zurück! Beam uns dorthin, oder wie immer man das auch nennen mag!“
Murrend zerrte er mich den Gang hinunter und blieb an einer unscheinbaren Tür stehen. Er drückte sie auf und stieß mich hinein, dann folgte er mir.
Ein Klo. Schon wieder.
„Geht das echt nicht anders?“ fragte ich hoffnungsvoll.
„Mach schon! Ich will endlich meine Aspirin!“ Er stieg auf die Klobrille und hielt mir die Hand hin.
Ich ergriff sie und er zog mich mit

einer ungeahnten Leichtigkeit zu sich hinauf. Er legte meine Hände um seine Hüften, murmelte „Festhalten“ und vollzog die gleiche Prozedur wie Kasimir.
Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Dabei inhalierte ich den Duft seines Parfums und genoss die Wärme seiner Haut, spürte seine Muskeln darunter spielen…
„Ähm, wir sind jetzt da. Du kannst wieder loslassen!“ Und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich hatte mich unbewusst an ihn geschmiegt, während wir schon längst im Badezimmer meiner Wohnung gelandet waren.
Plötzlich kroch mir ein unangenehmer Geruch in die Nase und ich blickte nach unten zu meinen Füßen.
Wir standen im Katzenklo!!!
Entsetzt löste ich mich von Eloa und hüpfte aus dem Katzenstreu heraus.
„Schuhe ausziehen, sofort!“ befahl ich und schlüpfte zugleich aus meinen.
Während er noch an seinen Schuhen herumfummelte, ging ich in die Küche, um ihm ein Glas Wasser und eine Aspirin hinzustellen.
Auf dem Fensterbrett saß bereits Nala und sah mich fordernd an. Sie hatte Hunger.
Ich kippte ihr etwas Futter in einen Futternapf, während sie sich zufrieden schnurrend um meine Beine schlängelte.
Sobald ich von der Schüssel zurücktrat, stürzte sie sich auf ihr Futter und beachtete mich nicht mehr. Während ich ihr so zusah, zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie es möglich sein konnte, dass Nala mich sehen konnte, aber jeder andere nicht.
Dabei war ich so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass Eloa im Türrahmen stand und mich erneut musterte.
Als ihm auffiel, dass ich ihn quasi ertappt hatte, wandte er seinen Blick ab und setzte sich an den Tisch.
„Für mich?“ Seine fragenden Augen durchbohrten mich regelrecht, doch ich ignorierte seine Blicke, wandte mich wieder Nala zu, und nickte.
Diese hatte ihren Napf vollkommen ausgeleert und legte sich in meine Nähe, wobei die Art, wie sie sich niederlegte, der eines Dominosteines ähnelte. Sie fiel einfach um und streckte mir ihren Bauch entgegen.
Ich kraulte sie kurz, setzte mich dann aber an den Tisch und begann, die Akten durchzublättern. Jede einzelne Akte bot eine detaillierte Übersicht über das Leben einiger Menschen.
„Was sind das für Leute? Und wozu soll ich mich über sie informieren?“
„Du bist ihre Patronin, ihr Schutzengel. Deine Aufgabe ist es, auf diese Menschen Acht zu geben und dafür zu sorgen, dass ihnen nichts geschieht.“ Er machte eine kurze Pause, um seine Aspirin zu nehmen.
„Um sie beschützen zu können musst du über sie und ihr gesamtes Leben Bescheid wissen. Deshalb wollte Ambriel, dass du dir diese Akten durchliest. Es ist eine Sammlung aller Informationen, die deine Vorgänger über diese Personen zusammengetragen haben. Und auch du musst sie ab jetzt immer wieder ergänzen.“
„Womit? Was soll ich bitte reinschreiben?“
„Na, ob sie in einer Beziehung stecken, geheiratet haben, irgendwo eingebrochen sind… Einfach alles, was sie später in irgendeiner Weise in Gefahr bringen könnte. Wenn du alles aufschreibst, kannst du hiermit deinen Job dann erledigen und denjenigen dann retten, du kannst ihr Schutzengel sein.“
Okay. Jetzt war ich wenigstens etwas schlauer.
Ich sah zu meiner Küchenuhr hinüber – wie schon heute Morgen – und stellte fest, dass es schon halb acht war. Ich musste ziemlich viel Zeit bei Ambriel verbracht haben, obwohl es mir nicht recht viel länger als eine halbe Stunde vorkam.
Ich öffnete den Kühlschrank – ich brauchte unbedingt was zwischen den Zähnen – und überlegte, was ich kochen konnte.
Ich hatte noch etwas Hackfleisch, ein paar Tomaten und Karotten, Knoblauch und etwas Käse mit denen ich Spaghetti alla Bolognese machen konnte.
„Lust auf Spaghetti?“ fragte ich den immer noch verkaterten Engel.
Dieser nickte nur und begann seine Schläfen wieder zu massieren. Ich seufzte und versuchte mit seiner unhöflichen Art klarzukommen.
Er hatte nicht einmal überlegt, mir beim Kochen zu helfen. Aber damit musste ich wohl ab jetzt zurechtkommen.
Nach etwa einer dreiviertelten Stunde – Eloa hatte sich noch immer nicht vom Fleck gerührt – war das Essen fertig und Nala hatte es sich auf seinem Schoß gemütlich gemacht.
Ich stellte die Schüssel mit Nudeln und den Topf mit der Soße auf den Tisch, rückte Besteck und Teller zurecht und holte noch zwei Weingläser. Ich verschwand noch einmal kurz im Wohnzimmer, um eine Flasche Rotwein hervorzukramen.
In der Küche öffnete ich sie und setzte mich dann an den Tisch, um den Wein einzugießen und das Essen auf den Tellern zu verteilen.
Eloa strich währenddessen sanft über Nalas Fell.
„Es wundert mich, dass Nala dich mag. Eigentlich mochte sie die Männer, die ich nach Hause brachte, noch nie.“

„Tja. Mir kann eben kein weibliches Wesen wiederstehen!“ Wahnsinn, der nächste Macho-Arsch!

Die nächste halbe Stunde verbrachten wir schweigend, wobei ich ständig seine Blicke auf mir spürte. Ich versuchte dies krampfhaft zu ignorieren, doch immer wieder sah ich ihn dennoch an und blickte direkt in seine dunkelbraunen Augen.
Ich stand auf, nahm meinen Teller und brachte ihn mitsamt Besteck und Weinglas zur Spülmaschine. Ich räumte mein Geschirr hinein und murmelte in Eloas Richtung: „Ich bin müde. Ich geh jetzt ins Bett. Gute Nacht.“ Und damit verschwand ich.
Ich ging ins Bad, zog meinen Pyjama an und putzte mir die Zähne. Dann ging ich in mein Schlafzimmer, zog meine Vorhänge zu und ließ die Jalousien runter. Im Dunkeln tappte ich zum Bett und kroch dann unter die Decke.
Ich hörte, wie Eloa das restliche Geschirr wegräumte und dann ins Bad ging. Ich hörte, wie er sich wusch und lauschte dem Rauschen des Wassers, wie es den Abfluss hinunter rann. Das Rauschen verklang und die Badezimmertür öffnete sich erneut.
Ein paar Sekunden später spürte ich, wie er unter meine Decke kroch. Ich wollte protestieren, ihm sagen, er solle auf der Couch schlafen, doch ich war einfach zu müde und so ließ ich es geschehen. Er rückte näher, bis er an meinen Rücken stieß. Und so kuschelte ich mich in diese wie für mich geschaffene Kuhle seines Körpers und schlief ein.


6




Mit einem leisen Seufzer auf den Lippen erwachte ich. Ich drehte mich um, sodass ich Eloas Gesicht direkt vor mir hatte. Er schlief noch. Tief und fest. Dieser friedvolle Ausdruck der sich über ihn gebreitet hatte… So ruhig und entspannt wie er dalag…
Er atmete tief ein und drehte seinen Kopf etwas. Dabei fiel ihm eine seiner pechschwarzen Locken ins Gesicht und verdeckte seine Augen.
Sanft schob ich sie wieder zurück und beförderte sie hinter sein Ohr.
Ich konnte der Versuchung nicht wiederstehen und begutachtete ihn weiter. Vorsichtig fuhr ich die Konturen seines Gesichtes nach, strich über seine Lippen und wünschte mir, ich könnte mich in seinen Augen erneut verlieren.
Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, öffnete er – als ob er meine Gedanken gehört hätte – seine Augen.„Lala?“ Schlaftrunken blinzelte er mich an.
„Guten Morgen! Gut geschlafen?“ fragte ich – immer noch starrte ich ihn wie gebannt an.
Ich befeuchtete meine mittlerweile trocken gewordenen Lippen mit meiner Zunge.

„Nicht…“ Eloa fuhr mit seinem Daumen sanft über meine Lippen und ich bemerkte, dass ich unbewusst an meiner Unterlippe geknabbert hatte.
Ein Schauer durchlief mich, als er mit seinem Zeigefinger vorsichtig an meinen Hals hinabglitt. Er fuhr die Konturen meines Schlüsselbeines nach und folgte dem Brustbein hinab zwischen meine Brüste. Sein Blick war jedoch die ganze Zeit auf mich gerichtet – er blickte mir direkt in die Augen.
Dann beugte er sich langsam zu mir und seine Lippen strichen – leicht wie ein Windhauch – über meine. Währenddessen wanderte seine Hand immer weiter nach unten und ein Schauer nach dem anderen durchlief mich wie Stromschläge.
Ein leiser Schrei entfuhr mir, als seine Hand zwischen meinen Beinen ankam…




Schweißgebadet schreckte ich hoch und stellte fest, dass es nur ein Traum gewesen war. Ich drehte mich vorsichtig um und erblickte Eloa, der leise schnarchend dalag, die Arme wie für eine Umarmung einladend, geöffnet. Ich realisierte, dass ich in dieser Kuhle die ganze Nacht gelegen hatte.
Mein Bauch fing zum Kribbeln an und brachte die Erinnerungen an meinen sehr realen Beinahe-Sex-Traum zurück.
Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken los zu werden, denn es war nur ein Traum, es war nie geschehen. Und außerdem war er ein notorischer Schnarcher! Was machte ich mit einem Schnarcher?!
Ich tastete nach meinem Handy und holte es aus dem Stand-by-Modus. Es war halb sieben, stellte ich fest, als ich auf das grelle Display blickte.
Langsam schob ich meine Decke zurück und stieg vorsichtig aus dem Bett. Ich drehte mich nochmal um, um die Decke wieder zurückzuschieben und Eloa wieder zuzudecken, damit er nicht aufwachte.
Auf Zehenspitzen schlich ich mich zum Schrank, tastete nach ein paar Klamotten und ging dann zur Tür. Leise schloss ich diese und tappte dann in Richtung Bad.
An der Tür angekommen, schoss Nala zwischen meinen Beinen hindurch und hüpfte gekonnt - mit einem triumphierendem Miauen - über den Badeteppich, um nicht erneut zu stolpern.
Dem allmorgendlichen Ritus getreu, stieg ich währenddessen unter die Dusche und versuchte meine fünf Sinne zu sammeln. Ich scheiterte. Das Wasser fühlte sich an wie die Hände von Traum-Eloa und brachten mich mehr durcheinander als dass ich meine Gedanken und Gefühle sortieren konnte.
Ich drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und trocknete mich ab. Im Schneckentempo fuhr ich mit einem Kamm durch meine Haare und band sie dann mit einem Haargummi zusammen. Beinahe apathisch zog ich mich an, schminkte mich und befreite dann das Katzenklo von Nalas Hinterlassenschaften.
Ich setzte mich an den Küchentisch und blätterte noch einmal durch die Akten. Ich musste es gestern übersehen haben, denn heute entdeckte ich eine Akte, auf der mein Name stand.
Ich öffnete sie und sah mein gesamtes Leben in allen Einzelheiten aufgelistet. Die letzte Seite meiner Akte zog jedoch meine Aufmerksamkeit auf sich.
Es war eine Art Merkzettel, eine Hilfestellung, um sich in der Welt unbemerkt fortzubewegen und auch dort zu leben.
Wie es schien lebten Engel auf der Erde, nahmen verschiedene Gestalten und Identitäten an und hatten Wohnungen und auch Autos zur Verfügung.
Jeder einzelne Punkt war erklärt worden, wie alles funktionierte und durchzuführen war.
Doch momentan interessierte mich nur eines: ein richtiges Frühstück.
Ich las mir also den Punkt durch, in dem stand, wie man eine andere, sichtbare Gestalt annahm. Ich brauchte schließlich Brot und Semmeln.
Es war eigentlich ganz simpel. Man stellte sich einfach die Gestalt vor, in der man erscheinen möchte und konzentrierte sich darauf, dass die anderen einen sehen konnten.
Kann ja nicht so schwer sein, dachte ich bei mir, zog meine Schuhe an, nahm meinen Schlüsselbund und Portemonnaie und ging zur Tür hinaus.
Kurz vorm Bäcker verschwand ich in einer Seitengasse, um mich vorzubereiten.
Vorstellen, sichtbar sein. Ganz einfach.
Dachte ich zumindest. Nach etwa zehn Anläufen hatte ich eine ganz passable Gestalt hinbekommen und nun versuchte ich mich darauf zu konzentrieren, sichtbar zu werden.
Das war der schwierigste Teil. Nach mehreren missglückten Versuchen, war ich eine etwas schwummrig sichtbare Gestalt, so als ob ich von Nebel umgeben wäre.
Nach einem weiteren Versuch war’s schon etwas besser und da dachte ich mir: Was soll’s! Wird schon schiefgehen!!! Und ging los.
Ich öffnete die Tür zum Bäckerladen, begrüßte alle freundlich und orderte einen Laib Vollkornbrot und sechs Weltmeisterbrötchen.
Ich nahm die frisch gefüllten Tüten mit den noch warmen Semmeln entgegen und zahlte. Beim Hinausgehen stellte ich entgeistert fest: Ich war schon wieder unsichtbar!!! Hatte ich etwa als zwei in der Luft hängende Papiertüten gezahlt?!
Egal, dachte ich dennoch, Hauptsache ich hab was zu essen. Dann lief ich nach Hause.
Vorsichtig öffnete ich die Tür zu meiner Wohnung, brachte die beiden Tüten in die Küche und ging zum Schlafzimmer, um mich zu vergewissern, ob Eloa noch schlief.
Ich musste noch nicht einmal die Tür öffnen um sicher zu sein, das Schnarchen, das durch die Tür hindurchtönte, sagte alles.
Also kehrte ich wieder in die Küche zurück, machte Kaffee, deckte den Tisch, kochte zwei Eier, schnitt etwas Brot und fütterte Nala, die schon ungeduldig um meine Füße schlich und mir immer wieder am Bein hochhüpfte, um zu verdeutlichen (auch mit ihren Krallen), dass sie Hunger hatte.
Sie fiel über ihre Schüssel her, als hätte sie seit einer Woche nichts mehr zum Fressen bekommen, verteilte aber dennoch die Hälfte ihres Futters um ihre Schüssel herum und rührte es nicht mehr an.
Ich verließ die Küche, in der Absicht endlich den Schutzengel aus dem Bett zu schmeißen, während mich Nala’s Schmatzen und Schnurren hinaus begleitete.
Ich öffnete die Tür zu meinem Schlafzimmer und trat in völlige Dunkelheit. Nur das Tageslicht, das sich aus der Küche herüberstahl, warf einen schmalen Lichtpegel an meinen Kleiderschrank.
Doch das gleichmäßige Ein- und Ausatmen, das von Eloa zu mir drang, leitete mich in die richtige Richtung.
Ich tappte zum Fenster, zog die Jalousien nach oben und schob die Vorhänge zur Seite.
Ich drehte mich um und wollte eigentlich nur einen kurzen Blick auf meinen Teilzeit-Mitbewohner werfen.
Eigentlich.
Er hatte sich auf den Bauch gedreht, mit der einen Hand umklammerte er sein Kissen, während seine andere Hand in seinem Lockenkopf verkrallt war.
Die Decke war verrutscht und offenbarte seinen schlanken, aber muskulösen Oberkörper.
Der Schutzengel seufzte, streckte seine Beine unter der Decke aus.
Dabei schob er diese noch ein Stück weiter nach unten und gab mir freie Sicht auf einen wohlgeformten, knackigen Hintern.
Gebannt von seinem Anblick, schaffte ich es einfach nicht mich abzuwenden.
Noch immer schlief Eloa tief und fest.
Ich ging um das Bett herum und setzte mich an seine Seite.
Unfähig mich zu rühren, sah ich zu, wie sich seine Brust in einem gleichmäßigen Rhythmus hob und senkte.
Ein lautes Schnarchen entfuhr ihm und riss mich aus meiner Anhimmelei.
Ich rüttelte sanft an seiner Schulter.
Ein weiterer Schnarcher.
Ich rüttelte etwas fester.
Ein Seufzer und ein weiterer Schnarcher.
„Eloa! Du Schlafmütze! Wach endlich auf!“ Ich rüttelte noch etwas fester an seiner Schulter.
Der Schutzengel reckte sich schlaftrunken und blinzelte mich verschlafen an.
„Huh? Wa’n’lo?“
„Guten Morgen, du Schnarchzapfen! Auch endlich wach, ja?!“
Ich strich eine Haarsträhne aus seinem Gesicht und steckte sie hinter sein Ohr.
Mist! Zeitreisen sind noch nicht erfunden worden, oder?! Mach’s rückgängig oder lass es ihn zumindest nicht bemerkt haben!!!!
Bitte, bitte, bitte, biiiittteee!!!!
„Hm? Ah, Morgen… dir auch.“ murmelte er mir ins Gesicht, noch immer halb im Schlaf.
Gott – sei – Dank!!! Ich glaube, er hat’s nicht mitbekommen. Zumindest lässt er’s sich nicht anmerken!!! Hoffen wir das Beste!!!
„Raus aus den Federn! Das Frühstück steht schon fertig auf dem Tisch und ein strahlender Frühlingstag wartet auf uns!“ lobpreiste ich und schlug seine Decke zurück.
Mein Kopf lief extrem rot an - eine Tomate hätte neidisch werden können – und ich versuchte NICHT auf seine Lendengegend zu starren.
Allerdings erfolglos.
Sobald ich in Eloa’s Gesicht blickte (nicht, dass er hässlich wäre), schwenkte mein Blick sofort wieder nach unten.
Er hatte die ganze Zeit vollkommen nackt an meiner Seite geschlafen, was mir bis gerade eben nicht klar gewesen war.
Und jetzt sprang mir sein sehr ansehnliches und vor allem großes Geschlecht ins Auge, während mir Schauer über den Rücken liefen.
Als ich meinen Blick wieder in Kopfrichtung zwang, sah ich geradewegs in ein breites Grinsen, das zwei makellose Reihen strahlend weißer Zähne offenbarte.
Nun hellwach, sahen seine verschmitzt dreinblickenden Augen mich an und machten klar, dass er bemerkt hatte, dass ich ihn beziehungsweise eher seinen Körper äußerst anziehend fand.
Ertappt zog ich mich zurück. Ich erhob mich und wandte mich zur Tür.
„Steh auf! Und zieh dir was an! Ich will mein Frühstück länger als nur eine halbe Stunde bei mir behalten!“ befahl ich pampig und versuchte meine Scham zu überspielen.
Ich ging zur Tür hinaus, während mich sein belustigtes Gelächter begleitete und ich erneut einen kurzen Blick auf sein schelmisches Grinsen erhaschte.
Ich ging zurück in die Küche und setzte mich an den Tisch.
Nala strich schnurrend um meine Beine und die des Tisches und bedeutete mir damit, dass sie irgendetwas wollte, was sich auf dem Tisch befand.
„Nala! Du hattest gerade eine ganze Schüssel Futter! Wie ist es möglich, dass in deinen Bauch immer noch was reinpasst?!“ Immer noch etwas beschämt schob ich sie etwas zu unsanft von mir.
Ein beleidigtes Fauchen war ihre Antwort.
Wenn sie weiterhin so viel fraß, würde ich wegen ihr noch arm werden.
Ich blickte auf, als Eloa die Küche betrat und gerade den Reißverschluss seiner Jeans schloss, wobei klar war, dass er nichts drunter anhatte.
„Hast du schon mal was von Boxershorts gehört? So was trägt man für gewöhnlich UNTER einer Hose!“
„Ich besitze keine Unterhosen. Die sind total unbequem und engen nur meine ‚Bewegungsfreiheit‘ ein. Wenn du verstehst, was ich meine?!“
Ich verstand sehr gut und legte mir in Gedanken schon mal eine To-Do-List zurecht.
Punkt Nummer eins: Unterhosen kaufen gehen!!! (Fett und rot geschrieben, für: EXTREM dringend)



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Texte: Dies ist ein Werk der Fiktion. Die Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse sind ein Produkt der Fantasie der Autorin. Jede Ähnlichkeit mit Personen, lebend oder tot, tatsächliche Ereignisse, Lokale oder Organisationen sind zufällig erwählt. Alle Rechte sind vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf verwendet oder in irgendeiner Weise ohne schriftliche Genehmigung reproduziert werden außer im Falle von kurzen Auszügen oder Zitaten in Artikeln oder Kritiken.
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2011

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