Cover

Beim Durchblättern von Frauenzeitschriften suche ich auf den Anzeigen­seiten für Mode, Kosmetik und Düften vergeblich nach Gesichtern, denen man gelebtes Leben ansieht, nach Frauen mit Figuren, die Rubens entzückt und zum Malen inspiriert hätten; Pfirsichhaut ohne Makel, Modelfiguren überall. Bedeutet das, daß ich als Fünfzigerin kein schickes Kleid mehr in einer verrückten Farbe anziehen, keinen kußechten Lippenstift benutzen und schon gar nicht mit sinnlich-erotischen Parfums experimentieren darf, weil das alles nur für die Jungen da ist? Als ich mir die Seite mit der Frau mit einem makellosen blaßrosa Körper aufschlage, die sich ekstatisch auf nachtblauem Samt räkelnd einen betörenden Duft bewirbt, schmeiße ich die Zeitschrift "endgültig" in den Papierkorb. Als ich sie eine halbe Stunde später wieder heraushole und das umfangreiche Exemplar sorgfältig und aufmerksam noch einmal durchsehe und erneut feststelle, daß sich nicht eine einzige, noch so winzige Anzeige mit einem älteren Frauengesicht und -körper darin zu finden ist, gebe ich auf.

Nur in der Apothekerzeitung, die mir die junge Apothekenhelferin bei jedem Einkauf wohlmeinend in die Hand drückt, entdecke ich Frauen mit blauweißem Haar und diesen vielen feinen Linien um Augen und Mund auf der Pergamenthaut. Allerdings werben diese ehrwürdigen Damen fast alle für Windeln bei Inkontinenz, Doppelherz, Klosterfrau Melissengeist, Ginkgo-Dragees und Produkte gegen Altersbeschwerden aller Art. Nun weiß ich, was auf mich zukommt, was mein Aussehen angeht. Aber erst in 20-30 Jahren. Unsere Lebenserwartung steigt von Jahr zu Jahr, Frauen leben statistisch gesehen um einige Jahre länger als Männer. Das ist eine phantastische Prognose, die Frage ist nur, wie wir in diesem, für uns Frauen erreichbaren hohen Alter dann aussehen. Wichtiger noch: auf dem Weg dahin.
Beim Blick in meinen listig installierten Spiegel (durch den Aufhängungswinkel zeigt er meine Figur um eine Konfektionsgröße schlanker und das Glas ist leicht getönt) sieht mein Gesicht aus wie mit Weichzeichner photographiert, die Haut wie nach einer Stunde Sonnenbad im März, und die Fältchen um die Augen sehe ich ohne Kurzsichtigenbrille sowieso nicht. Ganz passabel. Mit dem Schmeichel-Anblick vom Spiegel optimal bewappnet hole ich das Heft noch einmal vor. Diesmal hatte ich es zwischen einen ganzen Stapel anderer Zeitschriften geschoben und anstatt der vorherigen ziehe ich eine andere hervor. Wie das Kaninchen aus dem Zylinder. Mein Kaninchen zeigt die Aufschrift: Spezialheft für Frauen über 40. Ich habe es nicht gekauft, großes Indianerehrenwort. Mein Freund? Ihn interessiert das Thema nicht, er sei Purist. Sagt er. Wenn ich mit ihm einkaufen gehe, dreht er sich immer nach den geschminkten Zwanzigjährigen um, die sich im Schminken zwar noch üben müssen, dafür aber Miniröcke tragen bis zum Bauchnabel. Mein Freund registriert das Makeup gar nicht erst, sein Blick rutscht gleich zum Rocksaum. Ich sei nur neidisch, weil ich sowas nicht mehr tragen könne, sagt er, wenn ich laut denke. Recht hat er. Daß heißt nicht ganz: wehmütig bin ich, nicht neidisch. Erst vor kurzem hatte ich die vielen-vielen Kisten mit alten Bildern hervorgekramt, auf denen ich rank und schlank, nicht gerade mit Modelfigur, aber doch ganz ordentlich aussah ... Die Fotos sind weg, ich hatte sie nach dieser Besichtigung entsorgt. Es waren mehrere Kilo Hochglanzpapier. Mein Freund war entsetzt, als er es erfuhr. Daß ich die Negative habe, habe ich ihm nicht erzählt.

Und nun? Was mache ich mit meinem Gesicht, dem man die 50 gelebten Jahre ansieht? Zsa Zsa Gábor, die bekannte ungarischstämmige Schauspielerin hat mit über 80 eine glattere Haut als ich. Dafür kann sie keine Miene mehr verziehen, tröste ich mich. In dem oben erwähnten Heft fand ich das Porträt von drei Models aus den 60er und 70er Jahren. Alle drei sahen unglaublich jung aus, die älteste, knackige 69, hatte das jüngste Gesicht. Sie tue auch was dafür, respektive gegen Falten, bekannte sie. Obwohl ihre Bräune die Altersflecken übertönte, verrieten die Hände ihr wahres Alter. Und der Hals. Der ist nun mal mit 69 faltig. Da läßt sich nicht ständig was abschneiden, um diese verräterische Hautpartie zu straffen. Was aber möglich ist, sich aus dem richtigen, sprich vorteilhaften, Blickwinkel ablichten zu lassen. Aber das tue ich schon mit meinem Spiegel, bin mit dem Resultat trotzdem nicht zufrieden.

Also weiter. Ich könnte zum Beispiel mein Konto um ein paar Tausender erleichtern und für vierzehn Tage in eine Schweizer Spezialklinik gehen. Eine Freundin schwärmte neulich davon, wie traumhaft es dort war. Als ich sie wiedersah, erkannte ich sie kaum.
"Ich habe dort die 'Fine Art of Ageing' kennengelernt", erzählte sie.
"Und dazu gehört, daß man sich die Lippen unterspritzen läßt nebst Einkerbungen links und rechts der Nase", fragte ich.
"Stimmt", sagte die Freundin. "Ich habe auch die Kummerfalten auf der Stirn unterfüttern lassen. Du weißt ja, ich bekam sie wegen des vielen Ärgers in meiner letzten Beziehung."
"Und weil die Kummerfalten weg sind, ist auch der Kummer weg?" fragte ich ketzerisch.
"Ja, ganz und gar", antwortete sie.
"Und dein Kontostand, wie ist der jetzt", wollte ich noch zum Schluß wissen, "kommt der Kummer angesichts der Ebbe nicht wieder?"
Daraufhin wollte sie die Stirn in Falten legen, aber das ging nicht, weil auch die Führungslinien mit Gel aufgefüllt waren.

Die feine Art des Alterns. Hört sich gut an. Aber braucht man dazu das Chirurgenmesser? Schönheit kommt von innen, habe ich irgendwo gelesen. Die weise Erkenntnis muß ich begießen, denke ich und suche nach einer Flasche, die garantiert in der Speisekammer stand, halbgefüllt mit einem edlen Rotwein. Das war vor drei Tagen. Heute ist weder Rotwein noch Weißwein noch Sekt da, nicht einmal das klebrige Crème de Cassis, mit dem mein Freund und ich neulich den Sekt gnadenlos versüßt hatten. Wir mußten immer wieder Sekt auffüllen, um das Zeug trinkbar zu machen. Dabei wurde die Flasche überraschend schnell leer. Die Sektflasche, wohlbemerkt.
Weil es schon spät ist, kann ich keinen Wein mehr kaufen. Also steuere ich die nächste Kneipe an. Einen trockenen Rotwein werden sie schon haben. Die Leute am Tresen beäugen mich mißtrauisch, weil sie mich noch nicht kennen. Ich bin erst vor ein paar Wochen hierher gezogen. Zwei Männer, die vorhin nebeneinander saßen, rücken beiseite, machen mir gleich zwei Hocker frei.

In Gedanken proste ich mir selber zu, auf die Schönheit von innen und auf die feine Art des Alterns. Kaum den ersten Schluck getrunken, setzt sich ein junger Mann auf den noch freien Hocker, bestellt den gleichen Rotwein und sieht mich an, wie mich lange kein Mann mehr angesehen hat. Verdammt, ich werde rot. Der junge Mann sagt es zu mir in dem Augenblick, als ich es denke. "Auf die feine Art des Alterns", sage ich laut und hebe mein Glas.
"Welches Alter", fragt er, "ich sehe ein Vollweib im besten Alter."
"Na, fünfzig", oute ich mich, "wenn für Sie fünzig das beste Alter ist..."
Ihm rutschen die Augenbrauen ein paar Zentimeter höher.
"Sie sollten es keinem erzählen", rät er mir, "es nimmt Ihnen keiner ab."
"Sie haben heute Ihre Schönfärberbrille auf", sage ich, trinke mein Glas leer und bedanke mich bei dem Kavalier für das Kompliment. Er kommt hinterher, vor der Tür bittet er mich um meine Telefonnummer. Ich kann es nicht fassen.

Zu Hause angekommen räume ich den Stapel Zeitschriften in den Behälter für Papiermüll. Dabei rutscht eine alte Modezeitschrift aus dem Haufen. Ich spiele Orakel und schlage das Heft wahllos irgendwo auf. Rechts eine Riesenanzeige für ein Parfüm mit schöner jungen Frau. Links ein Artikel über Models, Gesichter, Trends. Und das Altern. Zum Schluß des Artikels ein Zitat von der grand dame der Haute Couture, Coco Chanel: "Die Natur gibt Ihnen das Gesicht, das Sie mit zwanzig haben. Das Leben formt das Gesicht, das Sie mit dreißig haben. Aber das Gesicht, das Sie mit fünfzig haben - das müssen Sie sich selbst verdienen."

Mit Madamoiselle Cocos Worten gestärkt, werfe ich vor dem Schlafengehen noch einen Blick in meinen Schummelspiegel. Es wird ein langer Blick, und ich ertappe mich dabei, daß ich mein Gesicht selbstgefällig betrachte wie Narziss aus der griechischen Mythologie seinen Antlitz tagelang auf der Wasseroberfläche eines Sees betrachtete. Die Rolle der Nymphe Echo spiele ich selber, ich verliebe mich in das eigene Gesicht, das während der Betrachtung immer jünger und strahlender wird. Bis ich zu mir komme, den Kopf über mich selbst schüttele und nachdenklich gestimmt ins Bett gehe.

Zur besten Traumzeit, das liegt bei mir so zwischen zwei und drei Uhr in der Nacht, wache ich mit einer Szene vor Augen auf, die ich soeben geträumt habe. Ich interviewe Madamoiselle Gabrielle, genannt Coco Chanel.
Ich: "Mademoiselle, ich habe Ihr schönes Zitat über das Gesicht einer Frau in den verschiedenen Lebensaltern gelesen. Es waren ausgesprochen hübsche Sätze. Aber sie geben keine Antwort auf die Frage, weshalb in Hochglanzmagazinen und anderen Zeitschriften kaum Frauen mit Falten und fülligerer Figur Kosmetikprodukte und Mode bewerben; die Älteren sind doch auch eine Zielgruppe für diese Sachen, dazu noch eine zahlungskräftige? Warum sieht man so selten das 'verdiente' Gesicht, wie Sie es nennen?"
CC: "Madame, die Frage habe ich erwartet. Leider muß ich sie mit einer neuen Frage beantworten: Hand aufs Herz, würden Ihnen die besagten Fotos mit älteren Damen darauf wirklich gefallen?"
Ich: "Aber ja, Mademoiselle, selbstverständlich."
CC Lächelt geheimnisvoll, schlägt eine Zeitschrift auf (eine von denen, die ich gestern in den Papierkorb geworfen hatte) und fährt mit ihrer gepflegten Hand über die Seite, wie beim Handauflegen. Nur bei ihr geschieht das Umgekehrte: Das, was vorhin noch makellos glatt und heil war, bekommt durch ihre Handbewegung diese charakteristischen feinen Risse. Fältchen und Falten überziehen das junge Gesicht der Schönen, die so verführerisch lächelnd die Parfumflasche dem Betrachter entgegenhält. "Gefällt Ihnen das Bild immer noch?" fragt sie.
Ich: (Stammelnd) "Naja, ich weiß nicht recht... Eher nicht."
CC: "Dachte ich mir schon. Mir auch nicht."
Ich: "Wo liegt das Geheimnis?"
CC: "Im Betrachter. Selbst wenn Sie ein Gesicht sähen, das Ihrem heutigen ähnlich ist, würden Sie es nach einigen Sekunden mit der jüngeren Version ersetzen wollen. Weil der Anblick ästhetischer ist. Und weil Sie dabei hemmungslos träumen und sich vorstellen können, Sie seien diese junge Schöne auf dem Bild."
Ich: "Bin ich aber leider nicht, Mademoiselle."
CC: "Warum so enttäuscht, Madame? Wie wäre es mit ein bißchen spielerischer Leichtigkeit? Tun Sie einfach so als wären Sie höchstpersönlich, diese junge und begehrenswerte Frau! Die Betrachtung des Schönen verzaubert den Betrachter, macht ihn selber anziehender. Probieren Sie es einmal aus."
Ich: "Mach ich, bestimmt."
Madame ist von meiner Experimentierbereit-schaft nicht überzeugt und gibt mir noch den ultimativen Tip: "Die Sache funktioniert auch bei Männern. Ich meine, wenn Ihr Mann oder Geliebter mit Ihnen zusammen das Bild einer verführerischen Frau betrachtet, wird er nach kurzer Zeit Sie in diesem Bild sehen und Sie verführerisch finden", spricht Mademoiselle und verabschiedet sich.
Und ich schlafe noch einmal ein.

Am nächsten Morgen durchsuche ich den Papierkorb nach der Zeitschrift mit der sich räkelnden Schönen. Die ganzseitige Anzeige trage ich zu meinem Lieblingscopyshop und lasse sie mit dem Großkopierer auf DIN A0-Format vergrößern. Die Großkopie ziehe ich auf eine gerade herumliegende passende Holztafel auf und besprühe die Oberfläche mit Fixierspray. Zwei Ösen sind schnell montiert, ein Bilderhaken gefunden und schon hängt das Prachtstück an der Wand, so, daß man es vom Bett aus ausgezeichnet sehen kann. Generalprobe heute Abend, mein Freund kommt nämlich zum Essen. Und übernachtet hier.

Nur die Sache mit dem jungen Mann, der unbedingt meine Telefonnummer haben wollte, muß ich noch klären und ihn fragen, was er an meinem fünzigjährigen Aussehen so spannend findet. Vielleicht weiß es meine Freundin, sie hat viel mehr Erfahrung mit Männern als ich. Wenn sie aber sagt, der Junge hätte lediglich einen Mutterkomplex, kratze ich ihr mit meinen nicht stets perfekt manikürten Nägeln neue Falten ins Gesicht.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /