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Neu geboren


Heute ist es endlich so weit. Mein 16. Geburtstag! Obwohl… eigentlich würde ich heute erst 4 Jahre alt werden, denn ich wurde am 29. Februar geboren, einen Tag, den es nur alle vier Jahre gibt. In den Jahren in denen es den 29. Februar nicht gab, feierten ich und meine Familie immer einen Tag früher. Doch heute ist alles perfekt. Mein Geburtstag wird ein Traum, genau wie ich ihn mir immer vorgestellt habe.
Ich seufze glücklich und öffne vorsichtig meine Augen, dann fange ich an zu strahlen. Die Sonne scheint. Natürlich wird es draußen noch sehr kalt sein, doch ein Geburtstag mit Sonnenschein und einen strahlend blauen Himmel wird wunderschön werden.
Ich höre ein leises Klopfen an meiner Tür und meine Mutter kommt hinein, gefolgt von meinem Vater und meiner kleinen Schwester, Mithia. Sie beginnen ein kleines Geburtstagslied für mich zu singen und dann fällt Mithia mir um den Hals. Sie umarmt mich fest und flüstert in mein Ohr „Alles Gute, Sandra.“ Ich lächle sie kurz an und betrachte sie nachdenklich. Für ihre sieben Jahre wirkt sie viel zu dünn und klein, ihre weiß-blonden Haare fallen lang bis zu ihrer Hüfte hinunter und ihre blauen Augen leuchtet wie kleine Sterne in einer dunklen Nacht, heller als alle Augen die ich je gesehen habe.
Ich umarme sie erneut und meine Mutter löst ihre Stelle in meinen Armen ab. Ich vermisse die Wärme von Mithia, denn alles was meine Mutter mir an Liebe schenke wirkt unecht. Ich kann sie nicht so lieben, wie ich meine Schwester liebe. Die dunkel gefärbten Haare von meiner Mutter fallen mir ins Gesicht als sie mir einen Kuss gibt, danach lässt sie mich langsam los und mein Vater klopft mir lächelnd auf die Schulter. Sechzehn, hatte er gesagt und mich umarmt, ein ganz neues Leben beginnt.

Ich lache erwidere seine Umarmung und steige dann langsam aus meinen Bett. Langsam verlassen meine Eltern das Zimmer und ich und Mithia bleiben alleine zurück. Sie grinst mich die ganze Zeit an und plappert munter über einen Traum von ihr in dem es zwar grausame Monster gab, diese jedoch unheimlich nett zu ihr waren. Ich lächele bei dem Gedanken, dass es nette Monster geben soll, während ich mich hübsch anziehe und etwas Make-up auflege, obwohl ich sonst nie Make-up trage.
Wir gehen zusammen die Treppe hinunter und da warten schon alle. Meine ganze Familie, meine Großeltern, meine Tanten und Onkels, meine Cousinen und alle meine Freunde, warteten dort auf mich um mich zu feiern. Ein breites Grinsen huscht über mein Gesicht und die Feier kann beginnen.
Meine Eltern haben ein wunderbares Frühstück vorbereitet und als wir es zusammen essen ernten meine viele Komplimente. Doch die eigentliche Aufmerksam liegt mir. Ich werde mit Geschenken überhäuft und bekomme tausende Glückwünsche die sich alle gleich anhören.
Nach einen fantastischen Mittag- und Abendessen verließen uns langsam die Gäste und ich falle erschöpft in mein Bett. Mir ist warm, schrecklich warm. Ich seufze und ziehe meine lästige Jacke aus, reiße das Fenster auf und atme die kalte Luft ein. Doch sie ist nicht kalt genug. Wütend über die brennende Wärme in meinen Körper, drehe ich die Heizung ganz aus, renne ins Badezimmer und reiße nahezu die Kleider von mir. Schnell springe ich unter die Dusche und stelle das Wassern so kalt es nur geht. Ich spüre die Kälte auf meiner Haut doch das Feuer erlischt nicht. Ich beiße die Zähne wütend zusammen, springe aus der Dusche und lege mir nur ein Handtuch um. Erst als ich die Tür öffnen will bemerke ich, dass meine Fäuste geballt sind und ich versuche sie langsam zu entspannen.
Dann überkommt mich der Hunger. Heißhunger. Ein tiefes Verlangen nach Essen entsteht in mir und das Wasser läuft mir im Mund zusammen als ich an die Überreste meiner Geburtstagstorte denke. Es gelingt mir nicht ganz doch ich gelange in den Flur und renne die Treppe herunter, wobei mir meine Eltern entgegen kommen und mich fragend anschauen. Bevor sie etwas sagen können sage ich schnell und hart „Ich möchte nur noch etwas Essen.“ Sie schauen sich verwirrt an, zucken mit den Schultern und gehen langsam weiter nach oben, während ich die Treppe runter rase.
Unten angekommen, renne ich in die Küche und reiße den Kühlschrank auf. Ich packe den Kuchen mit bloßen Händen und stopfe mir ihn in den Mund, ohne viel zu kauen schlucke und schlucke ich. Einen Moment überschlagen sich meine Gedanken und ich überlege kurz wie verrückt ich aussehen muss, wie ich da stehe nur mit einen Handtuch bekleidet, meine blond-braune Haare tropfen auf den Boden und ich stopfe massenhaft Essen auf eine eklige, fast tierische, Art und Weise in mich.
Ich schnappe mir den Orangensaft und trinke ihn in schnellen Zügen aus der Packung aus, obwohl er noch ganz voll war. Ich nehme mir noch mehr Essen vor und genieße gleichzeitig die leichte Kälte des Kühlschrankes, doch noch immer brennen das Feuer und das Verlangen nach Essen in mir. Ich stopfe immer noch essen in mich, als ich mich entscheide lieber nach draußen zu gehen, damit mir nicht mehr so heiß ist. Ich nehme zwei Packungen Kekse mit mir, gehe kurz nach oben und ziehe mir die dünnsten und kürzesten Sachen an, die ich finde. Draußen ist es eh schon dunkel, denke ich mir, mich wird niemand sehen.
Ich schnappe meinen Schlüssel und mampfend renne ich nach draußen. Die Kälte dich mich einnimmt hält nur kurz und wird wieder von Feuer ersetzt. Ich knurre, fluche laut und schmeiße die Packung Kekse heftig auf den Boden, dann trete ich auf ihnen herum, bis es nur noch Krümel sind, und trete die Verpackung vor mir her. Ich verstehe nicht, warum plötzlich diese unaufhaltsame Wut in mir tobt, wie ein Sturm saust er durch meinen Gedanken und hinterlässt nichts als Zorn und Aggressivität.

Ich beginne zu rennen obwohl ich weiß, dass die Wärme dadurch nicht verschwinden wird. Schneller als ich je gerannt bin, laufe ich nun in den Wald und erst als ich zu tief hinein gelaufen bin, merke ich, dass ich verloren bin. Ich weiß nicht wo ich bin, weiß nicht den Weg zurück. Ich beiße die Zähne zusammen und bemerke, dass ich heftig zittere. Da ist plötzlich eine unsichtbare Kraft in mir und sie muss raus. Raus aus meinen Körper, aus meinen Gedanken, aus meiner Seele…
Ich schreie laut und haue kräftig gegen den nächsten Baum, dann noch mal und noch mal. Wie in Trance schlage ich immer wieder auf den Baum ein, es bleibt sogar eine kleine Kerbe in der Rinde zurück. Ich gehe langsam zurück und trete heftig gegen den Baum, er knackt und die Baumkrone wackelt. Ich erstarre, atme tief durch und schließe meine Augen. Ich muss mich beruhigen. Entspannen. Das Feuer ignorieren. Die unzähmbare Stärke. Den Hunger. Die Wut.
Ich seufze und scheine mich wieder gefangen zu haben, langsam öffne ich meine Augen und schaue mich neugierig um. Es ist schrecklich dunkel und ich kann nicht viel sehen. Allein diese Tatsache macht mich wieder unglaublich wütend. Ich beiße die Zähne zusammen, beginne zu zittern, meine Muskeln spannen sich, ich falle zu Knie und schreie so laut ich nur kann.
Ich kneife meine Augen heftig zusammen und ein eiskalter Schauer durchfährt meinen Körper, gefolgt von tiefer Ruhe. Ich entspanne schlagartig und genieße das erlöschende Feuer und die verschwundene Wut. Kein Hunger. Keine Wärme. Keine Unruhe. Ich atme kräftig und fühle mich wie neu geboren, obwohl ich immer noch nicht verstand was gerade mit mir los war. Mit geschlossenen Augen lausche ich in den Wald, ich höre die Straße, ein einzelnes Auto, das schnell durch die Gegend rast, ich höre kleine Ameisen unter mir, wie sie nach Beute suchen, ich höre die Blätter die sich im Wind beugen. Erneut atme ich ein und vernehme Gerüche, die ich noch nie gehören habe. Ich rieche Harz, von dem Baum, den ich gerade noch geschlagen habe, ich kann die Ameisen riechen, die Vögel und nun höre ich auch ihre Herzen schnell schlagen, rechts von mir ist eine Maus die nach Nahrung sucht. Vor meinen geschlossenen Augen entsteht ein wunderbares und klares Bild von dem Wald um mich herum. Jedes Detail ist darauf gemalt. Sogar der Müll, der hundert Meter hinter mir liegt und der See, der gut einen Kilometer von mir entfernt ist. All diese Gerüche, Geräusche und Empfindungen stürzen auf mich ein und mein Gehirn verarbeitet alles blitzschnell, in weniger als einer Sekunde. Das Bild vom Wald fügt sich wie selbstverständlich zusammen, doch nicht nur aus dem, was ich höre und rieche, sonder aus dem was ich an meinen Füßen spüre- und nicht nur an meinen Füßen. Überall an meinen Körper spüre ich den Wald, die kleinste Bewegung, die Luft, den Boden, die Bäume, die Vögel, jeder noch so kleiner Hügel im Umkreis von mehreren Kilometern, spüre ich, atme ich ein und genieße das Wissen über meine Umgebung.
Dann erst wird mich bewusst, dass das nicht normal ist. Und doch kommt es mir ganz natürlich vor, als wäre ich die ganze Zeit blind gewesen. Nun jedoch konnte ich sehen, mit geschlossenen Augen, besser als je zuvor.
Langsam öffne ich meine Augen und schaue in die klarste Welt, die es gibt. Jedes Blatt, jeder kleiner Riss in der Rinde, die kleinen Tiere auf den Bäumen, ich sehe den Staub in der Luft, das Glänzen des Mondes, sehe Kilometer weit obwohl Bäume meine Sicht versperren müssten. Und mit diesen Neuen Sinn, erstrahlte die Welt um mich herum wie ein Stern, ich fühle mich wie auf einen neuen Planeten. Ich sah alles. Alles. Jedes Detail, das man sich vorstellen konnte, Farben, die ich noch nie gesehen habe, Tiere, die ich nie bemerkt habe, Gerüche, die für jede wichtige Informationen bereithielten, Geräusche, die ich noch nie gehört habe- doch nun stehe ich hier, mitten im Wald und mein ganzes Leben hat sich in einer Sekunde auf die andere Verändert. Warum? Ich weiß es nicht. Doch ich bin hier, ohne die kleinste Bewegung, auf einen für mich neuen Planeten, der sich für mich ganz natürlich anfühlt und mit mir verwachsen ist, wie meine Hand an meinen Körper.

Ich schaue langsam auf meine Hand und ich erstarre. Alles in mir scheint eingefroren zu sein und meine Gedanken überschlagen sich. Das ist nicht meine Hand. Ich blicke weiter an mir herunter. Das ist nicht mein Körper. Ich schließe die Augen und versuche nicht durchzudrehen, dann öffne ich sie wieder und betrachte mich so neutral wie möglich. Meine Hände sind Klauen. Tödlich Klauen mit fast zwanzig Zentimeter langen Krallen und meine Haut ist mit leichten, aber schrecklich vielen, Haaren überseht. Meine Arme sind noch behaarter genauso wie mein ganzer Körper, denn meine Kleidung ist verschwunden, außer meine Brust und mein Bauch, sie sind von einer dicken Knochenplatte überzogen, die mich fast an den Panzer einer Schildkröte erinnert. Um meinen Hals spüre ich eine Mähne, aus festen und engem Haar, sie wirkt wie die gewaltige und anmutige Löwenmähne, die meine Kehle vor Feinden beschützen wird.
Als ich meine Füße betrachte fällt mir als erstes die halbrunde, riesige Kralle in der Mitte der… Pfote? Nein es war keine Pfote wie von einem Säugetier, denn es ähnelte eher dem Fuß eines Reptils, drei Zehn mit spitzen Krallen.
Außerdem bin ich riesig, gut 3 Meter hoch und in jeder Faser meines Körper spüre ich unzähmbare Kraft, jeder kleine Muskeln ist aufs Töten konzentriert und alles in mir schreit danach zu überleben. Und genau deshalb bemerke ich kaum, wie ich die Geräusche an meiner linken Seite wahrnehme, mich instinktiv in diese Richtung drehe und sich alle meine Sinne auf einen Kampf vorbereiten. In diesen Moment tritt aus den dichten Gebüsch ein Wesen hinaus, das genauso aussieht wie ich.

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Texte: Alle Rechte des Textes liegen bei mir, der Autorin
Bildmaterialien: Bild-Quelle: Google
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2012

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