Ich öffnete die Augen und erblickte mein Zimmer. Ein Anblick der zu Luxus geworden war. Langsam, noch leicht benommen, stand ich auf und ging zu dem großen Spiegel an meinem Kleiderschrank. Meine Haare waren zerzaust, meine Augen leuchteten auf. Ich erblickte das Zeichen, das mein Leben verändert hatte. Ein winziges Zeichen mit einer so enormen Kraft, dass es mein ganzes Leben, mein Denken, meine Handlungen in Frage stellen konnte und gleichzeitig alles was mir wichtig war, unwichtig machte.
Ein großer Punkt in der Mitte, um ihn herum fünf Halbkreise, genau da wo die Spitzen eines Sternes hätten sein können.
Langsam blickte ich an meinem Körper herab, sah das andere Zeichen, dessen Kraft so gering war wie die eines Schmetterlings. Doch ein Schmetterling konnte wegfliegen und mit ihm all der Schmerz und die Trauer, die ich erlebt hatte. Das Zeichen hatte alles beendet, hatte versucht mich mit aller Stärke in mein altes Leben zurück zu bringen. Aber es war ihm nicht ganz gelungen.
Es sah aus wie ein normales Christen-Kreuz, doch oben links und unten rechts, verband ein dünner Strich das Kreuz und ließ es auf verrückte Art und Weise fasst wie ein Sarg aussehen.
Ich schluckte hart und strich über das Kreuz an meinem rechten Knöchel und über die Kreise an meiner Kehle.
Immer wenn ich die Zeichen sehe denke ich an Kathy, mein kleiner Engel, meine Sehnsucht;
an Presly, mein furchtloser Wächter, meine Angst;
an Alex, meine mutige Freundin, mein Halt;
an Osso, mein Retter, meine Kraft;
an Turul, mein Jäger, meine Freiheit;
an Devilia, mein dunkler Schatten, mein Stolz;
an Axik, mein Zauberer, meine Träume;
an Leopold, mein treuer Ritter, mein Schutz:
und an Sermon, mein Geliebter, meine ganze Hoffnung!
Es war ein Freitag im August und Draußen war es trotz der späten Stunde noch angenehm warm. Ich saß mit meinen Freunden auf einer Bank, mitten im Wald und ich genoss den Sonnenuntergang, während sich Alex und ein guter Freund von mir heftig über die neue Lehrerin an unserer Schule unterhielten.
Nach und nach gingen meine Freunde, die Nacht brach ein und Alex und ich saßen schweigend neben einander auf der Bank.
Sie war meine beste Freundin, blassblaue Augen, helle Haut und schwarze, kurze Haare machten sie zu einem hübschen, jungen Mädchen. Manchmal war sie etwas aufbrausend und dickköpfig, doch ich wusste, dass hinter ihr viel mehr steckte. Ich kannte ihre Ängste und Sorgen, wenn wir alleine waren, benahm sie sich immer anders. Echter.
Ich rechnete es ihr hoch an, sich einen Menschen so öffnen zu können und war sogar ein bisschen stolz auf mich, dass ich dieser Mensch war.
Plötzlich sprang Alex von der Bank und grinste mich schief an. Ich kannte dieses Grinsen und seufzte innerlich.
„Lust auf ein Abenteuer?“ Fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.
Nun seufzte ich Laut und blickte sie müde an „Du kennst den Wald genauso gut wie ich. Hier gibt es keine ‚Abenteuer’.“
Sie lachte und zog mich an der Hand von der Bank, ich wehrte mich noch nicht mal, denn tatsächlich fand Alex immer ihr ‚Abenteuer’ und ich war gespannt, was es dieses Mal war.
Wir gingen querfeldein durch den Wald und die Bäume wurden dichter, der Mischwald zu einem Wald mit spitzen Tannen, die in meine Haut stachen.
Wir mussten bald den ganzen Wald durchquert haben, den Tannenwald kannte ich nur von langen Wanderungen.
Es wurde dunkler und die dünnen Nadel schienen alles Licht aufgesogen zu haben.
Mir wurde mulmig, ich mochte die Stille nicht, die uns umgab.
„Alex, lass uns gehen. Es ist zu dunkel. Wir können morgen wieder kommen.“ Meine Stimme erschien mir schrecklich laut, obwohl ich nur flüsterte.
„Quatsch.“ Machte Alex gut gelaunt und zückte ihr Handy „Überlebenstipp Nummer 1: Immer ein Handy dabei haben.“ Sie lachte.
Ich verdrehte die Augen und verlor langsam die Lust an unserem kleinen Spaziergang.
Was würden meine Eltern denken, wenn ich so spät nach Hause kam? Ich schauderte bei den Gedanken, dann prallte ich heftig in Alex.
Sie stand wie ein Eisblock erstarrt auf dem Weg und murmelte „Zehlia, schau dir das an!“
Die drehte sich um und hüpfte nervös von einen Fuß auf den anderen, wie ein Kind, das einen großen, roten Luftballon sah.
„Was ist denn?“ Fragte ich lustlos. Ich wollte weg hier. Einfach nur nach Hause.
Alex schrie begeistert „Ein See!“ und ich zuckte vor der Lautstärke zusammen.
„Ein See?“ wiederholte ich misstrauisch. Aus irgendeinem Grund machte mir der Gedanke Angst.
„Ja, schau!“ Sagte Alex begeistert und zog mich nach vorne, wir standen auf einer winzigen Lichtung und sie drehte das Handy in die Ferne. Ein kleiner, aber klarer See kam zum Vorschein.
Plötzlich hörte Alex auf herum zu hüpfen und schaute mich undurchdringlich an. Ich kannte den Blick, es war der Blick, der mir bis jetzt immer Ärger eingehandelt hatte. Eine Idee, die alles andere als gut war. Aber es war ein Abenteuer und es gab ihr einen Kick.
Doch dieses Mal hatte der Blick noch etwas Anderes… etwas Fremdes, Etwas, das nicht zu ihr gehörte.
„Oh nein.“ Begann ich noch bevor sie Etwas vorschlagen konnte, doch sie meinte nur hypnotisiert „Lass uns schwimmen.“
„Nein.“ Meine Stimme war fest entschlossen „Wer weiß was da drin ist.“ Darüber machte ich mir zwar wenig Gedanken, aber es war immerhin ein Argument.
Doch ehe ich mich versah, hatte sie ihre Schuhe und Jacke ausgezogen und ging weiter auf den See zu. Natürlich. Ich seufzte.
Ich folgte ihr ein paar Schritte und blickte mich um. Der Wald schien verschwunden zu sein, die Dunkelheit hatte ihn eingenommen und es gab nur noch dieses Teich, Alex und mich. Die Nacht wirkte unnatürlich, zu dunkel, zu still.
Der See wirkte eher wie ein Teich. Es war ein perfektes Oval und ich konnte mir kaum vorstellen, dass ein See eine solche Form hatte. Außerdem war der Rand flach und keine einzige Pflanze war zu sehen, es wirkte viel zu… künstlich.
Alex tauchte ihren Fuß vorsichtig ins Wasser und sagte „Es ist ja warm.“ Sie war sichtlich verwirrt und das ungute Gefühl in meinen Körper stieg.
„Alex, lass den Mist!“ Zischte ich und packte ihren Arm. Sie riss sich los und lachte über meine Angst. Dann drehte sie sich um und warf ihr Handy weg.
„Ich wusste gar nicht, dass es einen See in diesen Wald gibt.“ Lachte sie.
Ihre Worte ließen mich erstarren. Ich kannte diesen Wald besser, als mein eigenes Zimmer, es gab keinen See. Es gab keinen!
„Alex!“ schrie ich, getrieben vor Angst und diesem komischen Gefühl in jeder kleinen Ader meines Körpers.
Aber da war es schon zu spät, ruckartig wurde Alex unter Wasser gerissen und schrie kurz auf. Ihr Schrei erstickte im Wasser und ich überlegte nicht lange. Mit einem Kopfsprung, sprang ich schnell ins Wasser. Alex hatte Recht, das Wasser war warm, sogar sehr angenehm, doch ich konnte nicht darüber nachdenken. Kaum war ich unter Wasser, riss ich meine Augen auf.
Ich konnte nichts erkennen, es war dunkel und das Wasser brannte in meinen Augen. Mit ein paar Zügen war ich an der Oberfläche und rang nach Luft „Alex!“ schrie ich voller Panik.
Nichts.
Ich atmete tief ein und tauchte wieder hinab in die Schwärze. Wenn ich bis zum Boden schwamm, würde ich sie früher oder später finden. Ich spürte das Adrenalin in meinem Körper und machte größere Schwimmzüge, doch der See schien nicht aufzuhören. Immer tiefer schwamm ich hinab, spürte den Druck in meinen Ohren und wusste, ich war eigentlich schon viel zu tief für meine Lungen. Sie begannen zu schmerzen und ich blickte panisch durch die Dunkelheit. Ich musste an die Luft, ich brauchte Sauerstoff. Doch Alex würde ihn auch brauchen und niemand sonst könnte ihr helfen.
Ich schwamm schwach nach vorne, das Adrenalin war verschwunden und mit ihm meine Kraft. Plötzlich schien ich etwas zu spüren. Als würde Wasser von einen Körper verdrängt werden, es war links von mir.
Benommen drehte ich mich in die Richtung machte einen Schwimmzug, dann noch einen und prallte förmlich gegen Alex. Erleichterung durchfuhr meinen Körper und ich krallte mich an ihren Körper, umschlang ihren Arm und sank einen Moment mit ihr. Sie war bewusstlos.
Es begann sich in meinen Kopf zu drehen, ich fühlte mich benommen, während der Schmerz in meinen Lungen unerträglich wurde.
Sterne entstanden vor meinen Augen, waren grell und schmerzvoll und ich schluckte Wasser. Sofort begann ich zu husten, doch ich schluckte nur noch mehr und mehr.
Die Sterne verschwanden und Dunkelheit hüllte mich ein. Während mein Körper um sich schlug und mit dem Schmerz kämpfte, begann ich zu schweben. Meine Gedanken schwebten, flogen aus dieser Welt und ließen meine Sorgen und Ängste zurück. Während ich schwebte gab auch endlich mein Körper Ruhe, entspannte seine Muskeln und flog nun mit mir. Ich nahm meine Umgebung nicht mehr war, ich spürte nur Alex an meiner Seite, denn während ich immer mehr entspannte, spürte ich wie mein Arm sich immer mehr an sie klammerte.
Ich würde sie nicht loslassen.
Ruhe, Entspannung und eine seltsame Art der Freunde durchstreifte langsam meinen Körper und als ich mich still und heimlich von meiner Familie verabschiedet hatte, hörte ich endgültig auf zu denken und ließ die Dunkelheit meinen Körper und meinen Verstand komplett einnehmen.
Dann verschwand dieses angenehme Gefühl schlagartig aus meinen Körper, aus meinen Gedanken. Ich spürte wie mein Hals anfing zu Schmerzen und runzelte verwirrt die Stirn. Doch plötzlich wurde der Schmerz heftiger, unerträglicher und ich schrie laut auf. Der Schrei machte alles noch schlimmer, ich spürte wie mein Hals Feuer fing. Meine Lungen füllten sich fast zwanghaft mit Luft und einen Moment fragte ich mich, ob ich wirklich Luft und nicht Rasierklingen einatmete.
Ich schrie erneut, dieses Mal rau und erschöpft, Tränen rannen über mein Gesicht und endlich riss ich sie auf.
Alles hatte sich verändert und für einen Moment war ich so erschrocken, dass ich den Schmerz vergas. Leider nicht sehr lange.
Das Wasser war glasklar und hellblau, ich konnte mühelos vom einen Ende, bis zum anderen gucken. Das Licht war angenehm, schmerzte nicht und linderte meine Halsschmerzen.
Der Boden war kahl, nur heller, fast weißer Sand, war zu sehen. Keine Pflanze, kein Tier. Ich atmete erneut ein und die Wunden der Rasierklinge wurden mit Säure durchspült.
Das Wasser um mich herum fühlte sich nicht mehr wie Wasser an, es war weder nass noch flüssig. Es schien einfach nicht da zu ein. Wie Luft durchbrach meine Hand das ‚Wasser’ als ich einen halbherzigen Schwimmzug machte.
Doch tatsächlich konnte ich nach oben schwimmen und ich umfasste Alex fester. Mit jedem Zentimeter dem ich der Oberfläche näher kam, wuchs der Schmerz. Einen Moment hatte ich Angst, ich könnte vor Schmerz in Ohnmacht fallen, doch dann war es nur noch ein kleiner Schwimmzug bis zur Oberfläche.
Mit einem letzten qualvollen Zug durchbrach ich das Wasser und schrie vor Schmerz laut auf.
Verwirrung durchzog meinen Körper und ich fasste mir überrascht an den Hals. Die Schmerzen waren verschwunden, so schnell wie sie gekommen waren. Ohne pochende Erinnerungen verließen sie meinen Körper und ließen mich wieder Herr meiner Gedanken werden.
Ich runzelte verwundert die Stirn, doch dann wurden meine Sorgen größer.
Alex!
Ich drückte meine Hand fester zusammen, um sicher zu gehen, dass sie noch da war, dann machte ich fünf kräftige Schwimmzüge und erreichte das rettende Ufer. Nahezu mühelos zog ich sie aus dem Wasser und legte sie sanft ab.
Sie lag einfach nur da. Mit geschlossenen Augen. Mit erschlafften Muskeln. Mit einem ruhigen Gesichtsausdruck. Doch ohne Atmung.
Panik durchfuhr meinen Körper, Tränen flossen über mein Gesicht. Es war zu spät, ich hatte sie nicht retten können. Wie lange waren wir unter Wasser gewesen?
Ich schaute mich um und bemerkte zum ersten Mal voller Schrecken, dass die Sonne hoch am Himmel stand. Das war unmöglich. Ganz und gar unmöglich!
Ich verbannte die Angst in meinen Körper, weigerte mich, dass sie meinen Verstand einnahm und konzentrierte mich auf Alex.
Langsam legte ich meine Hände auf ihre nasse Brust und begann wohl mit der lächerlichsten Herz-Lungen-Wiederbelebung, die die Menschheit je gesehen hatte. Doch ich wollte sie zurück, wie auch immer! Voller Trauer hämmerte ich auf ihren Brustkörper ein und schrie immer wieder ihren Namen, nein, meine beste Freundin durfte nicht tot sein!
„Warum hast du das nur getan!“ Schrie ich sie vorwurfsvoll an und sofort bereute ich meine Worte. Auf irgendeine Art und Weise, schien es mir, als würden wir streiten und der Gedanke an einen Streit mit ihr, jetzt wo sie tot vor mir lag, war für mich die reinste Folter.
Mein Herz wurde leer, die Tränen stärker.
„Es tut mir Leid.“ Hauchte ich und entschuldigte mich für all meine Fehler. Für jeden Streit, für jedes Wort, für jede Handlung, die sie verletzt hatte und letzten Endes auch dafür, dass sie tot war und ich es nicht ändern konnte.
Mein Atmen wurde schneller, mein Puls raste und die Tränen ließen ihren Anblick verschwimmen. Ich sah ihren blassen, leblosen Körper vor mir und fing vor Wut an zu schreien. Wut, Trauer, Schmerz und… Leere, übernahmen meinen Körper vollständig und ließen mich wie eine Marionette weiter versuchen, sie wiederzubeleben.
Aber es war hoffnungslos und das wusste ich. Langsam wurden meine Bewegungen stockender, ich nahm die Hände von ihr und legte meinen Kopf auf ihre Brust. Ich umklammerte mit all meiner Kraft, das was von ihr übrig geblieben war und weinte.
Wie sehr wünschte ich mir ihre warmen Hände zurück, die sich um meinen Rücken geschlossen hätten und die warmen Worte, die mir Trost gespendet hatten. Sie war ein starkes Mädchen. Ihre Gefühle verschloss sie vor der Außenwelt, doch mir hatte sie alle offenbart. Alex lachte immer wenn andere dabei waren, sie schien selbstbewusst, doch sie wurde gequält von Zweifeln.
Ihre Mutter war im Krankenhaus, sie hatte Krebs und Alex weinte oft deswegen, obwohl ihr Verhältnis niemals gut war. Durch das Alkoholproblem ihrer Mutter und ihres Vaters hatte sie keine Chance so aufzuwachsen wie ich. Wenn sie mal Zuhause war, wurde sie nur angeschrieen, manchmal geschlagen. Alex war schon immer auf sich allein gestellt.
Und jetzt war sie auch allein. Im Himmel. Im Nichts. In der Dunkelheit. Oder im was auch immer, das nach dem Tod kam.
Warum lebte ich überhaupt noch? Ich hatte es nicht verdient und diese Erkenntnis, ließ mich Angst verspüren. Ich entfernte mich langsam von der Leiche, denn das war nicht Alex. Alex war fort und die fast bizarr wirkende Hülle ihres leblosen Körpers würde das nicht ändern.
Ich krabbelte einen Meter zurück, umschlang meine Knie und legte meinen Kopf darauf ab. Es wurde dunkel, aber das war unmöglich.
Das würde bedeuten, sie waren fast einen Tag unter Wasser gewesen, aber dann würde sie auch tot sein. Vielleicht war sie das auch und jetzt erlebte sie nur in einer seltsamen Halluzination ein anderes Ende.
Ich ließ meinen Blick schweifen und stellte nüchtern fest, dass auch der Wald sich verändert hatte. Es waren wieder Laubbäume um mich herum. Ich seufzte und zweifelte an meinen Verstand, dann erschrak ich so heftig, dass mein Herz stoppte und mir ein lauter Schrei entfuhr.
Ich sprang sitzend zurück und meine Muskeln spannten sich schmerzvoll an, mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die Person am Waldrand an, während mein Atem immer schneller wurde.
Der Junge kam ein Schritt auf mich zu und ich erkannte ihn nun besser. Seine Kleidung war seltsam, sie wirkte altmodisch als wäre sie aus dem Mittelalter.
Das weiße Hemd schien aus einem dünnen Stoff zu sein und hatte einen U-förmigen Ausschnitt, der mit einem lockeren, schwarzen Faden zusammen gehalten wurde. Darüber hang eine kurze schwarze Weste, deren Stoff stabil und warm wirkte. Ohne Knopfe oder ähnliches schien sie unheimlich kahl und die schlichte dunkelbeige Hose war mit einem einfachen Gürtel umbunden. An ihm hang mehrere kleine Taschen aus Stoff, einige größer, andere kleiner und ein riesiges Schwert schwang an seinem Bein.
Dieser Anblick machte ihn erst so altmodisch: das große Kriegsschwert mit dem schwarzen Griff. Es machte mir Angst.
Seine Haare dagegen wirkten recht modern, blonde zerzauste Haare ließen ihn jung und schön wirken. Seine Augen waren grün, aber dunkel, nicht wie meine.
„Entschuldigung.“ Sagte er mit einer tiefen, aber dennoch angenehmen, Stimme, er runzelte die Stirn als wüsste er nicht, was er von mir denken sollte. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Verzeih mir, bitte.“
Wie beide schätzten einander ab, während ich ihn tief in die Augen blickte, zuckte sein Blick durch die Gegend. Zu mir, über meinen Körper, zu Alex, dem Wald hinter mir, dem See und dann wieder zu mir. Er schluckte dann wurde sein Blick weich und die Anspannung viel von mir. Er war nicht gefährlich, trotz des Schwertes an seiner Seite.
Dann fragte ich mich, wie lange er dort wohl schon stand und warum er mir nicht geholfen hatte. Wut kochte auf, doch sie wurde von Trauer ersetzt und Tränen rannen erneut über mein Gesicht.
Der Junge schaute mich unsicher, nein sorgenvoll, an und kam langsam näher, er achtete nicht auf Alex und hockte sich vor mich. „Ich bin Sermon.“ Meinte er und schaute mir tief in die Augen.
„Ich bin Zehlia.“ Antwortete ich matt, mein Hals war trocken und meine Stimme rau vom schreien. Er schien meinen Blick aufzusaugen, starrte mich an und fragte dann unschuldig „Kannst du Hilfe gebrauchen?“ Sermon deutete mit einem Nicken auf Alex und zog eine Augenbraue hoch.
Meine Stimme war tonlos und gleichgültig, doch auf irgendeine Art verbittert „Sie ist tot.“
Er zuckte mit den Schultern und nickte „Ja. Aber sie ist noch nicht verloren.“
Ich starrte Sermon an spürte Wut über die gefühlskalte Art, mit der er über Alex sprach und presste die Zähne heftig zusammen.
Er biss ich auf die Lippe und erklärte schlicht „Ich kann dir helfen.“ Flüchtig legte er eine Hand auf mein Knie und schien erneut meinen Blick aufzusaugen, dann drehte er sich um und kroch zu Alex.
Misstrauisch folgte ich jeder Bewegung, als er eine Ampulle mit einer zähen Flüssigkeit aus einem Beutel zog. Die Flüssigkeit versprühte alle Farben des Regenbogens und die einzelnen Farben bewegten sich wie ein kleines Meer, ohne dass die Farben sich vermischten.
Was war das für ein Zeug?
Vorsichtig öffnete Sermon den Mund von Alex und ließ den Inhalt in ihren Mund rutschen, sie wirkte eher wie Schlamm als Wasser. Als die Ampulle leer war, drehte er sich wieder zu mir „Fertig.“ Verkündete er fröhlich „Es könnte einige Sekunden dauern…“ er richtete seinen Blick gespannt auf Alex und ich hielt die Luft an. Ich klammerte mich an das letzte bisschen Hoffnung, die mir geblieben war und vertraute den seltsamen Jungen, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war.
Alex bewegte sich lange nicht, doch dann fing sie an zu husten. Langsam, mühevoll. Immer heftiger hustete sie und mein Herz machte einen freudigen Sprung. Husten bedeutete Leben, oder?
Ihr husten wurde zwanghaft und sie rollte sich krampfartig zur Seite, schreckliche Muskelzuckungen durchzogen ihren Körper. Wie ein Fisch dem man aufs Land legte, wand sie sich schmerzvoll und begann zu Spucken. Erst Wasser, dann Blut.
Ich erstarrte, mein Atem stockte. Was hatte er ihr da gegeben?!
Plötzlich, so überraschend wie der Anfall gekommen war, sank sie erschöpft zusammen. Ihre Muskeln erschlafften mit einem kranken Seufzer.
Ich war wie erstarrt, einen Moment, dann krallte ich mir Sermon’ Arm und schrie laut „Was hast du getan?!“ Unbemerkt löste er meine Hand und sagte schlicht. „Sie schläft nur.“
Ruhig legte er die Hand auf den Bauch von Alex, ich sah wie sie sich auf und ab bewegte, langsame, ruhige Atemzüge. Irgendetwas verließ meinen Körper, Angst? Wut? Ich wusste es nicht, doch die Erleichterung, das Glück, das meinen Körper durchschoss, erschöpfte mich.
„Sie lebt.“ Hauchte ich und ließ mich nach hinten ins Gras fallen. Immer und immer wieder dachte ich daran, dass Alex noch bei mir war. „Danke.“ Flüsterte ich und ich hörte ein sanftes, ruhiges Lachen. Dann schlief ich ein, wohl wissend, dass Alex noch lebte.
Erst als ich aufwachte kamen die entsetzlichen Fragen, ohne eine kleine Antwort. Wie konnte ein seltsamer Schleim Alex retten? Wieso war der Wald wieder so anders? Wer war Sermon? Woher kam er und wieso trug er ein Schwert und die lächerlichen Sachen? Warum war es hell, als ich aus dem Wasser kam? Träumte ich?
Dann durchfuhr ein schrecklicher Gedanke meinen Körper, was, wenn ich wirklich nur geträumt hatte und Alex tot war?
Blitzschnell richtete ich mich auf und nervös sah ich mich um. Die Anspannung fiel von meinen Körper, genauso schnell, wie sie gekommen war. Ich atmete erleichtert durch.
Alex saß nahezu entspannt am See, genau wie Sermon, der mein Erwachen sofort bemerkt hatte und sich aufrichtete.
„Geht es dir gut?“ Fragte er mich besorgt, doch ich ignorierte ihn.
Ich sprang auf die Beine und schrie überglücklich „Alex!“ Dann fiel ich ihr um den Hals und sie begann laut zu lachen „Du lebst.“ Flüsterte ich in ihr Ohr und sie erwiderte meine Umarmung einen Moment, dann drückte sie mich weg, um mir in die Augen zu schauen.
Sie sah aus wie immer, gesund, glücklich und auf ihre ganz persönliche Art und Weise einfach wie Alex.
Sie nickte „Ich kann es auch kaum glauben.“ Erzählte sie und schluckte „Sermon hat mir alles erzählt, dabei hat es sich nur angefühlt als würde ich schlafen.“ Sie strich sich durch ihre Haare und lächelte mich an.
Ich schaute wieder zu Sermon, er hatte sich vor dem See gesetzt und starrte mit einem fast fassungslosen Blick in das Wasser. Vielleicht spürte er meinen Blick, denn er runzelte die Stirn und fing meinen Blick auf.
Leise sagte ich „Danke. Vielen Dank.“
Sermon lächelte sanft und schaute Alex lange an. Ich tat es ihm gleich und obwohl ich nicht wusste warum, Alex noch lebte war ich einfach froh, dass sie noch lebte. Das ergab natürlich genau so wenig Sinn wie alles andere hier, doch es war mir gleichgültig. Die Freude verdrängte alles und nun wollte ich einfach nur noch nach Hause.
Plötzlich schoss Sermon hoch und ich erschrak kurz, dann meinte er „Lasst uns in die Stadt gehen.“
Ich war etwas verwirrt. Unsere Umgebung konnte man keines Falls als ‚Stadt’ betrachten, besten Falls als kleines ‚Dorf’, doch er benutzte das Wort gewählt und ganz bewusst.
Langsam schlenderte Sermon zum Waldrand, er erwartete, dass wir ihn folgen.
Mein Blick glitt zu Alex und ihre Augen sagten das Selbe, wie meine. Wir wollten beide einfach nur nach Hause. Zudem kam, dass mir der Junge irgendwie unheimlich war, obwohl er doch sehr nett wirkte.
Dann veränderte sich der Blick von Alex und ich zuckte zusammen. Nein, oh nein! Der Blick war der Selbe, wie am Abend zuvor. Sie wollte ein Abenteuer. Ihren Kick. Etwas Spannendes erleben, die Sorgen Zuhause vergessen.
Ich deutete ein Kopfschütteln an, doch sie erwiderte nur ein Nicken mit glänzenden Augen. Mein Herz schlug schneller, ich konnte sie doch nicht mit diesen Jungen alleine lassen.
Sermon hatte sich zu uns umgedreht und musterte uns lange, dann sprang Alex auf die Beine „Auf in die Stadt.“ Verkündete sie und lachte.
Sermon lächelte sanft und blickte zu mir, er hob die Augenbraue „Na komm schon, Zehlia.“
Nein, dachte ich entschlossen, doch meine Handlung war eine Andere. Widerwillig stand ich auf und folgte ihnen unschlüssig.
Nur kurz zur Stadt, dann würden wir so schnell wie möglich nach Hause gehen. Was würden meine Eltern nur sagen?
Sermon legte seine Stirn in Falten und grübelte „Wenn wir in der Stadt sind, bringe ich euch so schnell wie möglich zum Palast. Ich muss dann kurz Etwas erledigen, dann komme ich und bringe euch essen- und Kleidung. Danach schauen wir weiter…“
Ich legte meinen Kopf schief und wiederholte misstrauisch „Palast?“ Wovon redete er da? Es gab hier keinen ‚Palast’, oder Etwas, dass man so bezeichnen könnte. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinen Körper aus.
Alex und ich waren in einen Teich, mitten in der Nacht, gesprungen. Doch als ich Alex wiederbeleben wollte, war es hell. Der Wald war auch anders. Dieser komische Sermon trug ein Schwert und diese seltsame Kleidung, zudem hatte er Alex mit einem bunten Schleim gerettet. Nun wollte er mit uns in die ‚Stadt’, obwohl es in der Umgebung keine gab und es gab bestimmt Nichts, das man mit einem ‚Palast’ vergleichen könnte. Irgendetwas stimmte hier doch nicht! Das war alles unmöglich…
Erst jetzt antwortete mir Sermon „Ich bin der Diener der Königin, ich habe eine kleine Hütte gleich neben dem Palast. Dort könnt ihr euch verstecken.“
Nein. Mein Gehirn weigerte sich weiter über seine Worte nachzudenken. Königin? Und er der Diener? Nein, nein, nein. Ich musste träumen.
Ich schaute ihn wütend an „Willst du mich verarschen? Ein Palast, mit einer Königin? Ich finde das wirklich nicht lustig. Vielen Dank, dass du mir und Alex geholfen hast, aber ich will jetzt wirklich nach Hause!“
Sermon schaute besorgt „Das habe ich befürchtet…“ murmelte er „Ich kann es dir jetzt nicht erklären, Zehlia, aber bitte komm mit mir in die Stadt.“ Sein Blick wurde flehend, doch er traf mich nicht. Ich kannte ihn nicht und wollte ihn auch nicht kennen lernen.
Alex beobachtete uns einen Moment, dann fragte sie ruhig „Wie heißt die Stadt?“
Sermon wand sich zu ihr und erklärte schlich „Es gibt nur eine Stadt hier, deswegen hat sie keinen Namen.“
Das wurde mir zufiel. Einen Moment wurde mir schwindelig und ich drohte umzukippen. Benommen stützte ich mich an einem Baum ab und versuchte meine Gedanken zu ordnen, immer wieder dachte ich ‚Es ist nur ein Traum, keine Sorge’, aber das alles war zu real. Die Gefühle, die Menschen…
„Das reicht!“ Schrie ich Sermon an „Du kannst mit jemand anderen deine Spielchen spielen, aber nicht mit mir. Ich verschwinde von hier.“ Energisch drehte ich mich um und stapfte durch das Unterholz, wartete auf Alex’ Schritte, die nicht kamen.
Unsicher drehte ich mich um und starrte Alex an, die noch immer bei Sermon stand.
Leise flüsterte sie „Ich glaube ihm.“ Ungläubig schaute ich sie an, doch sie fuhr unberührt fort „Jetzt überleg doch mal. Wir waren stundenlang unter Wasser, du lebst noch und mich hat so eine Brühe wiederbelebt. Das ist unmöglich. Also warum sollte es nicht auch eine Stadt ohne Namen mit einem Palast geben?“
Sie kam ein paar Schritte auf mich zu, ihre Stimme klang kindlich, freudig, als sie meine Hand nahm und sagte „Komm schon, Zehlia. Das klingt doch nach einem Abenteuer.“
Fassungslos blickte ich sie an, ich war eigentlich ein ruhiger Mensch und gerade Alex hatte ich noch nie angeschrieen, doch plötzlich war alles anders.
„Alex, deine ach so tollen Abenteuer haben uns doch schon immer Ärger gemacht! Wärst du nicht in den See gesprungen, wäre das alles nicht passiert. Verstehst du? Du bist Schuld an allem und ich will jetzt nach Hause, denn ich bekomme Ärger, wenn ich stundenlang von Zuhause weg bin.“
In ihren Augen flackerte Wut auf, die ich sonst nur sah, wenn sie über ihren Vater sprach, aber nun galt die Wut mir.
„Dann hau doch ab!“ Schrie sie „Ich bleibe hier, denn niemand wird mich Zuhause vermissen. Meinen Eltern wäre es egal gewesen, ob ich nach Hause gekommen wäre, oder im See ertrunken wäre. Weißt du, das ist der Unterschied zwischen uns.“
Sie senkte ihren Blick und ging zu Sermon, der einfach nur dastand. Alex schaute mich lange an, dann flüsterte sie „Komm mit mir und lass mich nicht allein. Sei eine gute Freundin und lass mich nicht im Stich.“
Man hatte Alex schon so oft im Stich gelassen. Ihre Eltern, ihre anderen Freunde, ihre Familie. Sie hatte niemanden, den sie bedingungslos vertrauen konnte, auf den sie sich verlassen konnte.
Mein Herz brannte, die Worte schienen mich von Innen aufzufressen. Das konnte ich ihr nicht antun, zu lange waren wir befreundet, zu gut kannte ich sie. Allein der Gedanke schien mir unerträglich. Ich konnte sie nicht im Stich lassen.
Ich senkte meinen Blick, niedergeschlagen ging ich auf die Beiden zu und sofort setzte Sermon sich in Bewegung.
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Wenn es in deinem Bauch kribbelt,
Deine Augen glänzen,
Und deine Knie weich werden…
Wenn dein Körper zittert,
Deine Stimme bricht,
Und dein Herzschlag steigt…
Wenn Fragen dich nicht mehr loslassen,
Dein Kragen platzt,
Und du den Verstand verlierst…
… dann wird es Zeit deinem Schicksal ins Auge zu sehen!