Epilog.
Vor ein paar Jahren, als ich noch ein kleines Kind war, träumte ich von der großen Karriere. Ich wollte schon damals Liedsängerin einer erfolgreichen Band werden. Doch meine Eltern verwehrten mir diesen Wunsch. Meine Mutter hatte andere Pläne für mein Leben. Ein Leben, das ich mir niemals selbst ausgesucht hätte.
Ein Leben, geplagt von Armut und Hungernot. Meine Mutter war ungeplant von mir schwanger geworden. Da mein Vater mich nicht wollte, zwang er sie zur Abtreibung.
Doch auch noch zahlreichen Schlägen und Vergewaltigungen bekam sie mich und mein Vater verschwand spurlos. Er hatte uns allein gelassen, für immer.
Jeden Tag verdrängte ich meine Vergangenheit, die Gedanken an meine Mutter, die ich mit siebzehn Jahren verlassen hatte, um mit meiner Band durch ganz Deutschland zu ziehen.
Sie hatte mich Gehen lassen, mit den Worten, ich solle immer ich selbst sein und niemals aufgeben. Sie war so eine starke Frau und doch, bin ich gegangen. Mein schlechtes Gewissen trug nicht gerade dazu bei, das Geschehene zu vergessen. Doch ich würde es niemals vergessen, das schwor ich mir. Bis zu jenem Tag, an dem ich sterbe.
1..
„Jillian! Wenn du noch einmal verschläfst, steige ich aus!“, brüllte meine Freundin Natascha mir ins Ohr. Ich blinzelte schwach und streckte mich ausgiebig auf dem Sofa.
„Was ist los?“, nuschelte ich und legte meinen Arm über die Augen. Ich hatte überhaupt keine Lust aufzustehen und das wusste sie. Natascha seufzte stark und ging mit klackernden Absätzen davon.
Ich steckte mich nochmals auf dem Sofa und stand dann mühsam auf. Sofort schlürfte ich zur kleinen Küche, die nebenan des Wohnzimmers lag und machte mir einen heißen Kaffee mit extra Milch und Zucker. Auch wenn ich danach etwas aufgedreht wirkte, liebte ich den Kaffee so. Schnell rührte ich die heiße Flüssigkeit in den weißen Kaffeebecher um und setzte mich zurück auf meinen Schlafplatz, um den Fernseher anzuschalten.
Ich hörte ein lautes Seufzten, als der Fernseher den ersten Ton von sich gab.
„Wie kannst du morgens nur fernsehen?“, fragte mich Natascha und stemmte ihre zierlichen Hände an die Hüften. Ich zog eine Augenbraue hoch und musterte sie.
Nataschas moosgrüne Augen fixierten mich mit ihren Blicken und danach meinen heißen Kaffe. Sie hatte blondes, gelocktes Haar, das ihr bis an die Hüften reichte. Ihr gerader Pony, der über ihrer Stirn lag, verdeckte fast ihre Augen. Ich seufzte und nahm einen Schluck von meinem Kaffee.
„Das ist eben mein Morgenritual. Hat das nicht jeder?“
„Ist da schon wieder doppelte Zuckermenge drin?“, nervte sie mich weiter und setzte sich schließlich dazu. Ich nickte teilnahmslos. „Wann kommen die Anderen?“
Sie zog beide Augenbraue hoch und schaute zum Fernseher, wo gerade irgendeine Soap lief.
„So circa in einer halben Stunde, wenn ich mich nicht irre.“
Ich verschluckte mich fast an meinem Kaffe, als ich ihre Worte vernahm. „Bitte, was?!“
Sie nickte erheitert, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. „Shit!“ Schnell sprang ich vom Sofa auf und stellte mein Getränk auf den Kaffeetisch.
Mit schnellen Schritten durchquerte ich das kleine Apartment, direkt zu meinem Zimmer. Wir wohnten vorübergehend in einem billigen Hotel, in Hamburg. Durch die wenigen Auftritte hatten wir nicht besonders viel Geld, sodass wir uns kaum etwas Teureres leisten konnten.
Mein ‚Zimmerchen’ bestand nur aus einem einfachen Bett, einer Kommode für die Anziehsachen und einem kleinen Nachtschränkchen, der direkt vor meinem Bett stand. Ich zog mir eine schwarze, enge Röhrenjeans über meine schlanken Beine und dazu ein dunkelbraunes Top mit Spitze. Danach schlüpfte ich in meine schwarzen Ballerinas und stampfte zurück ins kleine Wohnzimmer, wenn man es denn so nennen konnte.
Natascha hielt schon die Tür auf und unterhielt sich mit Jemanden. Komisch, ich hatte die Klingel gar nicht gehört.
„Wer ist das?“, rief ich und lief zu meinem Kuschelsofa, auf der noch mein Kissen, sowie die Decke unordentlich dalag. Ich betrachtete meinen kalten Kaffee und seufzte. Auf aufräumen hatte ich keine Lust. „Vale und Damian sind da“, sagte sie erheitert und schloss die Tür, als die beiden Jungs hinein gekommen waren.
„Wie steht’s?“, fragte Vale und setzte sich zu mir und legte einen starken Arm um meine Schulter. Er war so etwas wie ein Bruder für mich, den ich nie gehabt hatte.
Erneut seufzte ich stark und lehnte mich an seine breite Schulter. „Alles Supi.“
„Das sehe ich“, lachte Damian und holte sich einen Hocker von der Küche, um zum Fernseher sehen zu können. Natascha schnaubte laut. „Sie ist und bleibt ein Morgenmuffel.“
„Dankeschön!“, trällerte ich gespielt fröhlich und rollte mit den Augen.
„Was haben wir heute vor?“, fragte Vale und sah zu Natascha, die den Terminkalender in der Hand hielt und angestrengt herum blätterte.
„Heute wieder in der alten Kneipe. Circa um zehn Uhr abends.“
Ich schaute trübsinnig zu Vale hinauf. Seine braunen, leicht verwuschelten Haare fielen ihm über die braunen Augen und verdeckten fast die strahlende Farbe. Er trug sie im Nackenlänger und hatte einen übertriebenen Seitenscheitel. Seine Lippen waren leicht amüsiert gekräuselt, wie er es immer machte, wenn ihn etwas erheiterte. Vale schaute nachdenklich auf meinen kalten Kaffe, der vor sich hin plätscherte, als Damian seine langen, muskulösen Beine auf dem Kaffeetischen legte.
„Oh ne! Nicht schon wieder“, seufzte dieser und verschränkte seine Arme vor der Brust und schaute Natascha beleidigt an. Seine vollen Lippen waren aufeinander gepresst und es sah in diesen Moment urkomisch aus, sodass ich kichern musste. Damian war das totale Gegenteil von Vale. Zumal auch Vales Körper größer und muskulöser war, als Damians.
Ich beugte mich leicht nach vorne, um in Damiens strahlend blaue Augen zu sehen. Diese waren leicht zusammengekniffen und schaute enttäuscht über die Aussage von Natascha. Seine wirr, hoch gegellten, rotbraunen Haare standen in verschiedenen Richtungen ab und dennoch stand es ihm perfekt.
„Dann proben wir heute den Nachmittag durch und machen uns dann auf den Weg“, schlug Vale ruhig vor und zog mich näher zu sich heran. „Nachmittag?“, fragte ich geschockt und sah zum ersten Mal auf die
Uhr. Halb Fünf. Oh Gott!
Natascha lachte und die trübe Stimmung war für den Rest des Nachmittags völlig verschwunden.
Eine Stunde vor dem Auftritt waren wir an der alten Kneipe angekommen. Der schwitzige, verrauchte Geruch wehte mir ins Gesicht und ich musste husten. Vale klopfte mir behutsam auf den Rücken und schenkte mir ein kleines Lächeln. Ich erwiderte es zaghaft und wir gingen hinter die schmale Tribüne, auf der schon unsere Instrumente, sowie die Mikrofone bereit standen. Natascha machte der Geruch von Rauch nichts aus, da sie selbst Raucherin war. Doch aus Rücksicht zu mir, hinterließ sie es in meiner Gegenwart.
„Ich geh mal schnell eine rauchen“, rief sie uns zu und verschwand aus einer kleinen Tür.
Vale verzog das Gesicht. „Ich versteh sie echt nicht.“
„Wenn sie das machen will… oder muss
, dann lass sie doch. Ist ihre Gesundheit.“
Ich zuckte teilnahmslos mit den Schultern und mein Blick schweifte zu Damian, der grinsend auf uns zu kam. „Wow“, meinte er nur und klatschte Vale auf die Schulter. „Da draußen sind so heiße Bräute. Das glaubst du nicht!“
Ich seufzte stark, steckte meine Hände in die Hosentaschen und ging in Richtung Toiletten. Aus reiner Langeweile holte ich meinen IPod heraus und hörte unsere eigenen Songs. Ich hatte hart für dieses kleine Ding schuften müssen und war stolz auf ihn.
Als ich auf der Frauentoilette angekommen war, bemerkte ich gleich den miefigen Geruch den ich in meine Nase zog. Ich rümpfte sie und schüttelte den Kopf. Ich kannte so etwas nur viel zu gut. Schnell ging ich zum Spiegel und musterte mich.
Meine blonden, schulterlangen Haare sahen in dem fahlen Licht der Toilette fast zu dunkel aus. Traurig sahen mich meine türkisfarbenen Augen an. Ich hatte eine kleine Stupsnase, volle Lippen und ein schmales Gesicht. Ich machte mich noch etwas frisch und stampfte aus der Tür, um zu den Anderen zurückzugehen.
Auf den Weg dorthin sah ich die Mädchen, die Damian höchstwahrscheinlich gemeint hatte. Ich straffte meine Schultern und sah ihnen herausfordernd ins Gesicht. Sie waren nicht besonders gut gekleidet, eher billig und aufreizend. Ich schnaubte innerlich. Wenn sie vergewaltigt werden wollten, bitte!
Doch eine von ihnen stach genau heraus. Verblüfft blieb ich stehen und sah der rotblonden Frau entgegen. Ihre blauen Augen hatten einen leichten Silberstich. Ich schluckte. Gab es eine solche Augenfarbe überhaupt? Aber was mich am meisten verblüffte, war ihre Hautfarbe. So fahl und bleich, wie ich es noch nie gesehen hatte. Es sah nicht einmal Gesund aus. Sie passte einfach nicht ins Bild.
Kopfschüttelnd ging ich weiter und trat hinter die Tribüne, nur um gleich von Damian umgerannt zu werden. „Sorry!“, meinte er nur, stellte mich aufrecht hin und wuselte herum. Er geriet vor einem Auftritt leicht außer Kontrolle und wurde fürchterlich nervös. Hinterher sagte er dann immer wieder, dass es doch gar nicht so übel gewesen war. Seine Stimmungsschwankungen manchmal gingen mir auf die Nerven. Plötzlich trat Natascha hinter mir und grinste mich an. Sie roch leicht nach Rauch, doch sie hatte sich etwas mühe gegeben, indem sie mehr Parfüm benutzt hatte. Ich erwiderte ihr Grinsen leicht, machte mich innerlich vor unserem Auftritt bereit und schaltete meinen IPod aus.
„Ich habe vorhin einen Anruf bekommen, als ich draußen eine Rauchen war“, flüsterte sie mir ins Ohr und ich hörte aufmerksam auf ihre Worte. „Und du glaubst nicht, was sie uns angeboten haben! Wir sollen im luxuriösen Club der ganzen Stadt auftreten! Ist das nicht fantastisch?“
Ich starrte sie leicht verwirrt an. „Willst du mich verarschen?“
Sie schüttelte eifrig mit dem Kopf und hielt meine Schultern fest. „Nein! Wir verdienen richtig viel Kohle!“, jubelte sie, sodass auch Vale und Damian aufmerksam geworden waren.
„Seit wann können wir hier
richtig gut Geld verdienen?“, fragte Damien misstrauisch.
Natascha drehte sich zu den Jungs um und erzählte auch ihnen die Neuigkeit. Ich war guter Dinge, auch wenn die Nervosität etwas wuchs. Vor dem Adel zu singen, wir als Rockband… wo war hier der Fehler?
Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus, das ich versuchte zu unterdrücken. „Wann sollen wir dort sein?“, fragte ich Natascha, die sich wieder zu mir gewandt hatte. „In zwei Tagen sollen wir uns bei ihnen melden. Natürlich habe ich schon zugesagt, ich meine, du bist doch damit einverstanden, oder?“
Ich nickte. „Klar.“ Meine Stimme war zwar nicht ganz überzeugend, dennoch harkte Natascha nicht weiter nach.
„So, noch fünf Minuten!“, rief ich zu meinen Bandmitgliedern und der Kneipenbesitzer schaltete die Beleuchtung der Tribüne aus. Wir traten leise hinaus und ich positionierte mich an der Front. Mein Part war die Liedsängerin. Vale war der Gitarrist, Damian der Drummer und Natascha die Backgroundsängerin, sowie unser ‚Manager’. Da wir uns keinen richtigen Leisten konnten, hatte sie den Job übernommen. Und ich musste zugeben, dass sie es ganz gut hinbekam.
Als die Musik leise begann zu spielen, schalteten sich die Scheinwerfer ein, genau auf mich gerichtet. Es war ein trauriges Liebeslied, das ich früher einmal geschrieben hatte.
Eigentlich gingen wir eher in die Richtung einer Funk- Rock oder Popband. Doch auch langsame Lieder beherrschten wir. Genau an der Richtigen stelle setzte ich meine sanfte Stimme ein und begann zu singen. Ich hatte fast die ganze Zeit meine Augen geschlossen und fühlte mich wieder wie vor ein paar Jahren. Eine kleine Träne stahl sich aus meinem Auge und huschte über meine leicht errötete Wange.
Als schließlich das langsame und traurige Lied endete, begannen wir mit einem etwas schnelleren Lied, das eher zu uns passte. Ich hielt mich an die Kombination aus Bewegungen und Natascha und ich sangen ein Duett. Der Abend verlief einigermaßen gut. Wir bekamen viel Applaus und es wurde gejubelt. Am Ende angelangt, huschte mein Blick wie selbst zu der schönen, rotblonden Frau, die nicht mehr bei den vielen Mädchen stand.
Ihr Körper war zierlich und sie trug ein schlichtes, elegantes, schwarzes Minnikleid. Als sie meinen Blick bemerkte, verließ sie fluchtartig die Kneipe. Ich hatte ihre Augen gesehen. Da war kein Blau mehr in ihnen zu sehen. Nur reines, flüssiges Silber.
Nach unserem, etwas zu schlecht bezahlten, Auftritt stiegen gingen wir zurück zum Hotel. Es war schon fast zwei Uhr morgens und dementsprechend kalt. Vale hatte wieder einmal einen starken Arm um meine Schulter gelegt und drückte sich an mich.
Ich konnte seinen gleichmäßigen Herzschlag an meiner Haut spüren und mir wurde augenblicklich wärmer.
Er war wirklich für mich wie ein Bruder und ich liebte ihn auch so. Ich konnte nur eine Sache nicht in seinem Leben akzeptieren. Seine grässliche Freundin.
Es war nicht so, dass ich auf Alissa eifersüchtig wäre, aber sie war die schlimmste und zickigste Person auf der Welt. Auf unergründliche Weise fand Vale aber Gefallen an ihr, sodass ich sie in seiner Nähe dulden musste, was nicht hieß, dass ich sie akzeptierte, oder aber besonders mochte.
Ihr wasserstoffblondes, gefärbtes Haar war verfilzt und man sah, dass sie zu viel mit dem Glätteisen herumhantierte. Und sie trug auch farbige Kontaktlinsen, so wie sie Vale gebeichtet hatte, dass es nicht ihre wahre Augenfarbe war. Das war auch nicht schwer zu erraten. Wer hatte denn bitte grelle, goldene Augen, die auch ohne Lichteinstrahlung, völlig übernatürlich wirkten?
Amüsiert schüttelte ich in Gedanken den Kopf, worauf mich Vale gleich ansprach.
„Was ist so lustig?“
„Das möchtest du eh nicht hören, glaub mir“, meinte ich nur und das Grinsen verschwand aus meinem Gesicht. „Na gut“, sagte er und blickte in den Himmel.
Er schien in Gedanken versunken, sodass ich ihn nicht weiter störte. Als wir endlich an unserem Hotel angekommen waren, ging ich sofort in mein kleines Zimmer und streckte mich ausgiebig im Bett. Erschöpft zog ich mich um und schlüpfte in mein niedliches Nachthemd. Anschließend ging ich ins kleine Bad und putzte mir die Zähne. Leise tapste ich zurück und ließ mich ins Bett fallen und schloss gemütlich die Augen.
Wir mussten am nächsten Tag früh aufstehen, um pünktlich unseren Zug nach Berlin zu erwischen. Von dort aus würden wir erstmal ein anderes Hotel suchen. Ich war noch nie in Berlin gewesen, darum freute ich mich riesig und es machte mir das einschlafen umso schwerer. Doch schon nach ein paar Minuten war ich im Land meiner Träume.
Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 24.10.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Das Buch, Gefährtin der Finsternis, widme ich meiner besten Freundin. Ich Liebe sie mehr als meine Schwester!^^
Hier ganz für dich, ich hoffe es gefällt dir!
Und natürlich auch an alle Leser! Viel Spaß. ♥