Prolog.
Vor langer Zeit liebten die Menschen die Natur, verehrten sie und deren Götter. In manchen Religionen beteten Menschen nicht nur zu Gott, sondern auch zu den Elementen und der Natur. In diesem Zeitalter gab es wenige Menschen, die diese verachteten und ihre eigenen Wege einschlugen. Doch mit der Zeit wurden es immer mehr und schufen damit auch Ungläubige. Somit entstandenen weitere Weltreligionen, und die Göttin der Natur geriet in Vergessenheit. Ihre Existenz wurde zu Legende, Legende wurde Mythos, bis kein Mensch auf der Erde die Natur zu schätzen wies.
Unsere Welt litt immer mehr darunter und bald darauf entschloss sich die Natur, dass es Zeit wurde, zurückzuschlagen. Immer weitere Naturkatastrophen brachen in verschiedenen Ländern über die Jahre aus. Menschen starben oder litten an deren Folgen und fragten sich, warum sich die Natur plötzlich gegen sie gewandt hatte.
Viele Wesen der Natur, die Einzigen, die noch an die Göttin glaubten, baten inständig um Hilfe. Denn das manche unschuldige Menschen starben, war keine dauerhafte Lösung. Auch sie sahen ein, dass sie Unrecht taten. So entschloss die Natur, einen Träger und Beschützer aller Welten im Universum zu erschaffen, um zu verhindern, dass die Menschen erneut vergaßen. Vergaßen, was sie eigentlich ehren sollten.
In einer verschneiten Winternacht, wurde auch in unserer Welt ein unsterbliches Kind geboren. Beschützt vor allen Wesen der Nacht und denjenigen, die ihr schaden wollten.
Geliebt von der Natur und ewig begleitet, wächst das Kind in einer Familie auf, die an die Göttin der Natur glaubte. In einer Familie, die die Natur als würdig erwies, solch ein Geschenk zu bekommen. Begleitet von der Göttin, wird das Kind ewig dieser Aufgabe nachkommen um Frieden auf der Welt zu schaffen.
Sechzehnjahre dauert es, bis die Seele des Kindes vollends an Reife erlangt und der Aufgabe als Beschützer nachkommen kann.
Sechzehnjahre, bis solch ein Kind verstanden hat, dass es etwas Besonderes ist.
Sechzehn lange Jahre, um zu wissen, wer man wirklich ist.
Wir schreiben das Jahr 2010.
Nach einigen, schwerwiegenden Naturkatastrophen der Sommersaison, hoffte keiner mehr, dass die Natur sich als gnädig erwies. Sie glaubte nicht mehr an die Menschen. Doch diese erfuhren nichts von den Beschützern der Welten im Universum. Sie blieben geheim und beschützt, bis die Seele des Trägers vollends an Reife erlangt hatte.
Das unsterbliche Kind wurde älter und war immer in Begleitung der Göttin. Zu Anfang sprach das Kind nicht in Gedanken mit der Göttin, sonder sprach alles laut aus. Meist brachte es dem Kind verwirrende Blicke ein, die es sorglos ignorierte. Doch schon bald verstand es, wieso alle Menschen, außer der Familie, sich von ihr abwandten. Es war anders. Die Menschen sahen die wunderschöne Göttin nicht, konnten sie nicht sehen und das machte es dem Kind zu Anfang umso schwerer, mit der Göttin zu kommunizieren.
Doch bald fand es einen Weg, zu lernen. Und somit endete und begann ein neues Leben.
1. Fünfzehn Jahre später.
Es war Anfang Herbst im ruhigen Helston, Süden Englands. Die Blätter verfärbten sich zu bunten Mustern und fielen auf die staubigen Wege der Wälder. Viele Vögel sangen und flogen wild herum, weil es Zeit war, das Nest zu verlassen. Ich atmete tief den Duft der Wiesen und Bäume ein und schloss wohlig meine Augen. Der Wind zog tosend über das Flachland und wehte mir die langen Haare aus dem Gesicht. Hier fühlte ich mich geborgen, es war mein Zuhause.
Sanft strichen mir eiskalte Hände über meine schmalen Schultern und ich öffnete langsam meine Augen. Ein leichtes Lächeln umwog meine Lippen, als ich ein mir nur zu altbekanntes Gesicht erkannte. „Roselyn“, flüsterte sie mir zart ins Ohr. Ihre Stimme war ein Wohlklang meiner Sinne.
Zart und Liebevoll, so konnte nur sie sein.
„Feronia“, hauchte ich und stand von einem umgeknickten Baumstumpf auf, auf dem ich mich niedergelegt hatte. „Begleite mich ein Stück“, sagte sie und ging mit leisen Schritten in den Wald hinein. Ich folgte ihr schweigend. Zusammen liefen wir durch den bunten Wald und hörten in ihn hinein. Es war hier so vollkommen friedlich, wenn Feronia hier war. Die Tiere kamen aus ihren Verstecken und beobachteten uns zögerlich.
„Wie du weißt, ist nicht mehr viel Zeit bis zu deinem sechzehnten Geburtstag. Sag mir Kind, was wünscht du dir?“
Ich sah Feronia etwas verwirrt an und sie fing an zu lachen. Dabei hielt sie leicht ihre Hand vor den Mund. Ich schluckte und heftete meinen Blick auf die Umgebung. Die Sonne schien heute prächtig, nur kam sie nicht ganz durch die Blätter der Bäume hindurch. Der Morgentau hing noch an den Blättern und lies die Blumen und Gräser traumhaft aussehen.
„Möchtest du mir keine Antwort geben?“, fragte sie entzückt und unterbrach ihr süßes Gelächter. Ich schüttelte den Kopf. „Natürlich, Mutter.“ Ich stoppte und sah in ihre tiefgrünen Augen. „Aber alles, was ich mir nur wünschen kann, ist hier.“
Sie lächelte und beendete das Thema. „Nun gut.“ Aber etwas Verräterisches blitzte in ihren Augen auf und ich wusste, dass sie mir trotzdem etwas schenken würde. Im letzten Jahr war es ein Armband gewesen, mit meiner Lieblingsblume als Anhänger. Eine perlweiße Lilie, die sich mir sanft entgegenstreckte. Jeden Tag behielt ich sie um, damit ich immer meiner Göttin nahe sein konnte, meiner Mutter. Feronia wandte sich zu mir und lächelte leicht.
„Du solltest zurückgehen. Deine Familie wartet sicher auf dich.“
Ich nickte und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Wange, wie ich es jeden Tag machte, auch wenn sie sich bitterkalt anfühlte. Sie war eine Art wandelnder Geist und nur die Auserwählten Wächter konnten sie sehen. Feronia winkte mir zurück und verblasste vor meinen Augen.
Als ich Zuhause ankam, sprang mir auch gleich mein älterer Bruder, Liam, entgegen. Sein braunes, leicht verwuscheltes Haar fiel ihm über die blauen Augen, verdeckte sie fast. Seine Haut schien in der Sonne noch gebräunter auszusehen, als er es ohnehin schon war. Ich lächelte ihn leicht zur Begrüßung an. „Rose!“, sagte er grinsend und trat einen Schritt zur Seite, sodass ich in unser großes Haus eintreten konnte. Der mit Marmor belegten Fußboden glänzte, als er mit den Sonnenstrahlen in Berührung kam. Im ganzen Haus waren kleine Bäume und Blumen vereilt. Am häufigsten waren es Lilien.
Am nächsten Morgen wachte ich früh in meinem großen Himmelbett auf. Die Sonne begrüßte mich mit ihren süßlichen Sonnenstrahlen auf meiner Haut und meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Jeder Tag begann mit den Sonnenstrahlen am Morgen, die mir die Göttin immer schenkte.
Ausgiebig streckte ich mich in meinem Bett und rollte mich zur Kante, um, wenn auch etwas unbeholfen, aufzustehen. Langsam trat ich auf den Flur und ging hinüber ins obere Badezimmer, das auf meiner Etage zu finden war. Zügig stellte ich mich unter die Dusche und ließ das warme Wasser auf meinen Körper fließen. Es fühlte sich morgens nach der Dusche immer so unglaublich befreiend an.
„Roselyn! Kommst du bitte?“, drang die Stimme meiner Mutter in mein Ohr.
Ich seufzte. Nach ein paar Sekunden der Ruhe, entschloss ich mich zu meiner Familie an den Esstisch zu setzen. Schnell trocknete ich mich ab und wickelte mir ein weißes Handtuch um meinen Körper. Damit schlenderte ich in mein Zimmer und zog die neuen Anziehsachen aus dem Kleiderschrank.
Es war eine weite, perlweiße Bluse, die mit schwarzem Taillengürtel zusammengehalten wurde. Dieser war mit einer Schleife vor meiner Brust verziert. Dazu trug ich eine schwarze Röhrenjeans, ganz, wie die Menschen in meiner Umgebung sich kleiden würden. Zumindest die Jüngeren.
Somit trat ich aus meinem großen Zimmer und schloss leise hinter mir die Tür.
Der Flur erstreckte sich vor mir und durch die großen Fenster erstrahlte die Sonne, die heute ausgiebig zu scheinen schien. Ich ließ ein kleines Lächeln über meine Lippen gleiten, als ich mit schleichenden Schritten auf die mit marmorbezogenen Stufen trat, die in den Esszimmerbereich des Hauses führten. Meine Familie saß schon gespannt auf den modernen, hölzernen Stühlen. Der lange Tisch war im ganzen Raum ausgebreitet.
„Auch schon wach?“, fragte mein Bruder und schaute mich liebevoll an. Ich verzog meinen Mund zu einem kleinen Lächeln und nickte leicht. Schnell setzte ich mich an meinen Stammplatz. Das Essen stand schon auf dem Tisch, der an seinen Beinen mit goldenen Mustern verziert war. Frühstücken mit meiner Familie war immer wieder etwas Schönes, dass ich gerne tat.
Plötzlich umfassten mich kalte Hände an meinen Schultern. Mein Lächeln verstärkte sich, als ich die Göttin im Augenwinkel sah. Sie beugte sich leicht zu mir herab und flüsterte mir beruhigende Worte in mein Ohr. Meine Familie sah sie nicht. Ich seufzte leise und nahm eine goldene Gabel in die Hand, die neben dem Teller lag und begann zu Essen.
Das Frühstück verlief ohne ein tiefgründiges Gespräch, so wie jeden Morgen. Mein großer Bruder erzählte, was er heute alles vorhatte. Heute waren die Herbstferien offiziell zu Ende und das hieß, dass die Schule wieder anfing. Ich liebte sie. Es war immer schön, andere heranwachsende Menschen zu beobachten und sie in ihren natürlichen Lebensraum zu sehen. Und ich liebte das Lernen, das unendliche Wissen über die Vergangenheit, wie zum Beispiel der menschlichen Revolutionen in den vergangenen Jahrhunderten. Meine Göttin hatte mir damals erzählt, sie hätte einige von ihnen selbst miterlebt. Ich hatte nicht schlecht gestaunt, über all die Fächer, die ich belegt hatte. Immer mehr wollte ich wissen und liebte am meisten die Biologie und Geschichte der Menschen. Sie faszinierten mich, wie fast alles, was sie taten.
„Und du, Rose?“, fragte mich plötzlich mein Vater, der seine Zeitung aus der Hand gelegt hatte.
Erstaunt blickte ich in seine markanten Gesichtszüge und auf seinen Lippen breitete sich ein Lächeln aus. „Was hast du heute vor?“, wiederholte er seine Frage, die ich in meinem Gedankenstrom nicht mitbekommen hatte.
Ich zuckte mit den Schultern und sah auf mein halbaufgegessenes Essen. „Ich freue mich, dass die Schule wieder anfängt und ich meine Freunde wiedersehe“, antwortete ich mit meiner sanften Stimme, die etwas leise klang.
„Kommt dich Dawn heute wieder besuchen?“, hakte er weiter nach. In seiner Stimme war ein unruhiger Unterton zu hören. Ich seufzte innerlich.
Dawn war eine Naturgewalt und eine Klasse für sich. Ich mochte sie, auch mit ihren launischen Stimmungsschwankungen die in letzter Zeit mehr zu werden schienen.
Ich lachte leise und schüttelte den Kopf, dabei sah ich wieder in seine warmen, braunen Augen.
„Nein, ich denke heute mal nicht.“
Erleichtert seufzte meine ganze Familie auf. Ich verstand sie alle, dennoch war es nicht gerade nett zu hören, wie sie über Dawn dachten. Sie war es, die mich am meisten faszinierte. Ich hatte vorher noch nie mit einem solch netten Mensch zu tun gehabt.
Feronia hatte sich in der Zeit schon wieder auf den Weg gemacht. Ich wusste nicht genau, was sie den ganzen Tag trieb, doch ich wollte sie nicht mit meinen wissbegierigen Fragen quälen. Meine Lehrer waren mir schon immer schutzlos ausgeliefert.
Meine Mutter kam auf mich zu und drückte mir meine schwarze Hängetasche entgegen. Mein Bruder lief gerade zur Haustür. Dankend nahm ich sie an und drückte meine Mutter schnell und verabschiedete mich auch von meinem Vater. „Viel Spaß euch beiden“, sagten diese und winkten zurück. Mein Bruder schnaufte, als wir unser Grundstück verlassen hatten.
„Ich verstehe nicht, wie du die Schule so sehr mögen kannst“, sagte er daraufhin und musterte mich beim Gehen. Ich verdrehte meine Augen. Natürlich konnte er das nicht. In der heutigen Zeit war so vieles anders, dass es mich schon ganz erschreckte. Die Jugendlichen in meinem Alter wollten nicht viel von Schule wissen, sie wollten Freizeit und am liebsten nur Faul sein. Dass sie später nichts aus ihrem Leben machten, wunderte mich nicht.
„Und dann noch deine Freunde“, er sprach weiter und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Mein Blick heftete sich auf den trockenen Boden unter uns, der von vielen bunten Blättern übersäht war.
„Was soll mit ihnen sein?“
Er sah mich erstaunt an. „Na ja“, antwortete er und wurde rot. Ich zog meine Augenbrauen zusammen. „Du magst Dawn“, schlussfolgerte ich sachlich und behielt Recht, als er mich flehend ansah.
„Bitte nicht“, flüsterte ich. Ich liebte meinen Bruder, aber das, was er mit den Mädchen machte, konnte ich nicht ganz akzeptieren. Wie man es heute nennen würde, war er ein Playboy.
Liam seufzte. „Na gut. Es ist ja nicht so, dass nur sie existiert. Andere sind auch an mir interessiert.“
In seiner Stimme schwankte Überheblichkeit mit und schon war er wieder der Mensch, wie er sich immer in der Schule verhielt. Einfach nur Oberflächlich und Arrogant.
Ich lächelte verwegen und heftete den Blick auf die Schule, die sich vor uns erstreckte. Ich schulterte meine Tasche und ging etwas zügiger. Der riesige Parkplatz der Schule war nicht zu übersehen. Viele Schüler stiegen aus ihren Autos aus und überquerten den kurzen Weg ins Gebäude. Die Schule war in karamellfarbenen Ziegelsteinen gehalten und viele große Fenster schmückten sie.
Das riesige Gebäude umfasste das ganze Grundstück und war in verschiedenen Abteilungen aufgeteilt.
„Und schon fängt der Horrortrip von vorne an“, seufzte Liam, der neben mir stand und mir an die Schulter fasste, als ich stehen geblieben war. „Und da kommt auch noch der Teufel höchstpersönlich.“
Schockiert sah ich Liam ins Gesicht. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet und ich folgte diesem.
Lächelnd sah ich zu Lucian. Er war mein Beschützer und Begleiter, bis zu dem Ende meines Lebens.
Dies wussten mein Bruder und auch der Rest der Menschen, die ich kannte, nicht.
Lucian lehnte lässig an seinem schwarzen Porsche. Seine dunkle Sonnenbrille verdeckten die Augen und ich wusste nicht, ob er mich ansah. Aber denken, konnte ich es mir.
Wie von selbst bewegten sich meine Beine zu ihm hin und ich ließ meinen Bruder hinter mir, der etwas Unverständliches vor sich hin murmelte und in das Gebäude der Schule trat.
„Na Kleines“, begrüßte Lucian mich erheitert. Seine Stimme war unverwechselbar, tief und männlich.
Er hatte eine leicht blasse Haut, die in der Sonne pfirsichfarben wirkte. Seine, unter der Sonnenbrille versteckten, Augen waren von einem übernatürlichen hellblau, die einen starken Kontrast zu seinen schwarzen Haaren bildeten. Diese gingen ihm bis über die Ohren und waren wuschlig gestylt, wie es ein Jugendlicher heutzutage trug.
„Hey“, antwortete ich ruhig zurück und zusammen bewegten wir uns auf die Schule zu. Wenn man den alten Geschichten Glauben schenken würde, dachte man sichtlich, Lucian wäre ein Vampir, was ich ziemlich lächerlich fand, da sie anders aussahen, als Lucian. Sein Körper war menschlich gebaut, wie die eines starken Mannes. Man konnte seine Muskeln unter dem schwarzen T-Shirt, was er zusammen mit einer Lederjacke trug, deutlich erkennen. Ich schmunzelte. Lucian trug viel Grau und Schwarz, nie etwas Auffälliges. Genau wie Heute. Seine Graue Röhrenjeans passte sich perfekt an seine Beine an und ich wusste, dass machte er absichtlich. Damit wollte er viele Mädchen beeindrucken und schaffte es auch noch. Ich schüttelte belustigt den Kopf.
„Was ist?“, fragte er verwundert und sah zu mir herunter. Beim Gehen hatte er seine Sonnenbrille abgenommen und nun baumelte sie lässig an seinem T-Shirt. Ich grinste.
„Nichts, nichts. Ich freue mich eben nur.“
„Ich werde nie schlau aus dir“, gestand er und sah mich verzweifelt an.
„Das kommt noch. Wir müssen uns noch ziemlich lange ertragen“, antwortete ich ihm mit einem starken Unterton in meiner Stimme. Er schmunzelte und nickte zugleich auf meine Aussage.
Die Ewigkeit erwartete uns, wenn mein Sechzehnter Geburtstag stattgefunden hat. Ab da begann meine eigentliche Aufgabe. Ich seufzte stark. Plötzlich umschlangen mich zwei zierliche Arme und ich quiekte erschrocken auf. „Was…?“
„Hallöchen!“, trällerte mir eine erheiterte Stimme entgegen. Ich schmunzelte.
„Stephanie Danyal!“ rief ich mit gespielter Empörtheit und sie ließ mich los. Freudig drehte ich mich um und umarmte sie. Ihr Duft war köstlich und fisch, wie zu erwarten, von einem Wesen der Natur.
„Wie waren deine Ferien? Du hast dich ja kaum bei mir gemeldet! Hast du endlich einen Freund? Erzähl mir alles! Es ist doch nicht geheim, oder doch?“ Verschwörerisch schaute sie zu Lucian der lachend seinen Kopf schüttelte. Auch wenn Stephanie eine junge Elfe war, wussten Lucian und ich, dass sie noch viel zu lernen hatte.
„Tut mir Leid, ich hatte viel zu tun und außerdem waren wir doch weggefahren, dass wusstest du doch“, beantwortete ich ein paar ihrer Fragen. Ruhig musterte ich sie.
Sie war ein bisschen kleiner als ich und sah auch jünger aus, obwohl sie ein Jahr älter als ich war.
Ihre prachtvollen, blonden Locken fielen in sanften Wellen über ihren schmalen Rücken. Sie hatte einen zierlichen Körper und trug immer gerne viel Pink, was sie noch jünger erscheinen ließ. Sie war ein flippiges Mädchen, was immer viel Aufregung suchte.
Ein Lächeln trat auf ihre schmalen Lippen, das perfekt zu ihrer Stupsnase und hohen Wangenknochen passte. Stephanies strahlend graue, fast silberne, Augen erfassten mich.
„Schade“, seufzte sie. „Keinen Freund?
„Keinen Freund.“
„Manno.“
Sie wussten beide was ich war, sowie ich wusste, was ich später zu tun hatte. Trotzdem kosteten wir jeden erdenklichen Moment bis dahin aus und ließen uns nichts anmerken.
Zusammen betraten wir unser Klassenzimmer, das schon halb voll mit Schülern war.
Sofort steuerte ich auf die letzte Reihe zu, die schon immer von uns vorreserviert war. Dort saß auch schon Dawn, die mir aufrichtig entgegen lächelte. Ich erwiderte ihr Lächeln und setzte mich neben sie.
„Na, wie waren deine Ferien?“, fragte sie mich, als ich meine Tasche neben mir fallen gelassen hatte.
„Zu lang.“
Sie lachte laut los. „Jeder würde in dieser Situation wohl eher sagen: Zu kurz!“
Ich schaute sie an und schüttelte lachend meinen Kopf. „Du kennst mich.“
„Oh ja.“
In dem Moment traten auch Lucian und Stephanie zu uns und setzten sich dazu. Es war noch viel Zeit bis zum Stundenbeginn und so redeten wir noch über die vergangenen Ferien. Ich lauschte den Worten meiner Freunde.
„Die Ferien waren viel zu kurz!“, schmollte Stephanie und kräuselte ihre Lippen.
Dawn kicherte und stupste mich an. Wir sahen uns belustigt an, weil wir genau das vor ein paar Minuten darüber gesprochen hatten.
„Was hast du so gemacht, Dawn?“, fragte Steph.
Ich musterte die Angesprochene. Dawn hatte haselnussfarbenes, glattes Haar, das ihr bis zu den Schultern ging. Außerdem hatte sie einen langen Seitenpony, den sie immer aus ihrem Gesicht pustete, wenn er sie störte. Das Ganze sah dann immer ziemlich lustig aus.
Ihre blauen Augen waren so tief, wie Ozeane und ich liebte es, wenn sie mal wieder angestrengt nachdachte, so wie sie es jetzt tat. Dann schaute sie immer leicht zur Seite und ihre Augen wurden glasig.
Nach ihren Anziehsachen zu Urteilen, war sie eher der lässige Typ. Sie trug sehr gerne Freizeithosen, sehr lange T-Shirts und Turnschuhe. Manchmal sogar Kappies, die sie dann immer extra schief trug.
„Ach“, sagte sie und wedelte leicht mit der Hand, „Nicht viel. Ein bisschen mit Freunden unterwegs gewesen und sonst nur abgehangen.“
Und dann schrillte auch schon die altbekannte Schulglocke zum Unterrichtsbeginn. Alle stöhnten schon fast gleichzeitig auf, nur Dawn und ich blieben still. Wir genossen die zeit, die wir zusammen verbrachten, wenn es auch nur kurz war.
Nach den restlichen, nervenaufreibenden Stunden hatten wir endlich aus.
Ich mochte Schule, aber nicht, wenn sich die gleichen Themen immer wieder wiederholten. Seufzend steckte ich meine Hände in die Luft und genoss die Freizeit. Neben mir kicherten Dawn und Steph. Lucian war schon zu seinem Auto gegangen. Irgendein Notfall.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Steph aufgeregt und wirbelte zu mir herum.
„Eher gesagt, was macht IHR jetzt. Ich gehe nach Hause“, sagte ich müde.
„Och manno! Tu mir das nicht an!“, flehte Steph mich an und klimperte mit ihren dunklen Wimpern.
Ich seufzte und stemmte meine Hände in die Hüfte. „T’schuldige. Heute mal nicht.“
Ich drehe mich zu Dawn um und umarmte sie liebevoll. „Bis morgen ihr beiden.“
Damit verabschiedete ich auch die traurige Stephanie und nahm meinen Weg durch den Wald wieder auf.
Später eilte ich in die Küche um mir etwas zu Essen zu machen, als ich meine Mutter vorfand, wie sie verträumt aus dem Fenster starrte und den Fernseher angelassen hatte. Die Situation ließ mich etwas schmunzeln. Es war ein wunderschöner Montagabend und der Wetterbericht für heute hatte Recht behalten.
Plötzlich huschte eine Eilmeldung über den Bildschirm des Fernsehers. Verwundert hielt ich in meiner Bewegung inne und starrte auf die vielen Menschen, die um Hilfe schrien. Die Stimme des Reporters schlich sich in mein Ohr.
„In vielen, vereinzelten Länder brachen ungewöhnlich viele Orkane aus. Schon in den USA ist von gleich zwei Stück die Rede. Sie kamen urplötzlich und ohne Vorwarnung…“
Ich schluckte und meine Augen fixierten den Reporter, der gerade auf die riesigen Windstürme zeigte. Der Regen, sowie die Windzüge waren genau zu erkennen. Das meinte Lucian mit Notfall.
Ich ließ mein Essen auf der Theke stehen und lief in den Flur. Sofort stülpte ich mir meine Jacke über und schlüpfte in meine Stiefel.
„Was ist los?“, fragte mich meine Mutter, die mir besorgt hinterher sah.
Ich schüttelte heftig den Kopf, den Tränen nahe. „Ich gehe kurz raus“, antwortete ich knapp und schmiss die Eingangstür hinter mir zu. Ich durfte meinen Eltern nicht von ihr erzählen. Meiner Göttin, meiner wirklichen Mutter.
Mit schnellen Schritten verließ ich unser großes Grundstück und lief in den Wald hinein. Die Sonne stand schon tief am Horizont und würde bald untergehen. Doch dies war mir nun egal. Ich dachte an die Menschen, die unschuldig getötet wurden, durch solch eine Naturkraft. Hatte meine Göttin damit etwas zu tun? Ich musste es wissen.
Warum hegte sie immer noch einen Groll gegen die Menschen? War es der Grund, dass sie einfach nicht dazu lernen wollten?
Mein Atem wurde schneller und mein Herz raste in meiner Brust, als ich die kleine Brücke des Flusses überquerte und über die Wiesen und Felder des Waldes lief.
Beunruhigt schaute ich mich tief in Wald um. Die Tiere waren weg, alle verschwunden. Nicht einmal die Vögel sangen ihre wunderschönen Lieder. Nur der Wind war noch da, der den Ort noch verlassener wirken ließ. Ein Schauder lief über meine Haut und ich kniff meine Augen zusammen. „Feronia!“, rief ich in den stillen Wald hinein, auf eine Antwort hoffend.
Lange blieb es still und ich hatte mich schon wieder umgedreht, als plötzlich meine Göttin vor mir stand. Sie verzog angestrengt das Gesicht. Der Schmerz stand ihr tief ins Gesicht geschrieben. Ich keuchte, als ich offene Wunden an ihrem zierlichen Körper erkennen konnte. Wie war das nur möglich?
„Was ist passiert?“, flüsterte ich und kam einen Schritt auf sie zu, den Arm nach ihr ausgestreckt. Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nicht!“, flüsterte sie und trat einen Schritt zurück.
„Du darfst mich nicht berühren.“
Ich riss erschrocken meine Augen auf. „Was meinst du damit? Was ist hier los?“
Feronia verzog schmerzhaft das Gesicht, als sie in meine Augen sah. Verzweiflung spiegelte sich in ihnen wieder.
„Sei vorsichtig. Du musst es schaffen. Du bist die Einzige, die es kann. Rette die Natur, die Menschen, die Erde vor ihrem sich bald erfüllenden Schicksal“, hauchte Feronia.
„Feronia!“, rief ich geschockt und trat einen Schritt nach vorne, den Arm immer noch nach ihr ausgestreckt. Ich wollte sie berühren, ihre wohltuende Kälte auf meiner Haut spüren. Ihre Stimme, die so lieblich wie ein Sommermorgen klang, wahrnehmen und ihre grenzenlose Liebe spüren. Doch sie verblasste vor meinen Augen. Und dann, war sie verschwunden.
2. Fluch
Mehr als zwei Wochen waren vergangen, als mich meine Göttin verlassen hatte. Uns verlassen hatte. Nun stand die Welt schutzlos da und ich war noch nicht dazu bereit, meine Aufgabe zu erfüllen. Ich hatte mein seelisches Alter nicht erreicht und so blieben mir auch die Fähigkeiten verwehrt. Ein starker Seuftzer stahl sich aus meiner Kehle, als ich ausatmete.
Wie sollte ich die Erde beschützen, wenn ich es nicht konnte? Wie konnte ich ohne jegliche Ausbildung jemanden retten, Menschenleben retten?
Tränen verließen meine geröteten Augen. Dieses Leben war ein Fluch und es war aussichtslos. Weitere Menschen würden auf meine Kosten sterben, weil ich sie nicht beschützen konnte, was meine Aufgabe war. Immer wieder schaute ich mir die Berichte im Fernsehen an, hörte Radio und schaute im Internet über neue Informationen. Die Schule hatte ich völlig vergessen und dementsprechend waren auch meine bisherigen Erfolge.
„Schon wieder eine Fünf!“, seufzte meine Mutter und knallte mir mein Matheheft auf den Schreibtisch, an dem ich gerade saß.
„Mum, ich habe gerade andere Sorgen“, sagte ich trocken und suchte weiter das Internet ab.
Sie schnaufte laut und klappte einfach meinen Laptop zu. „Andere Sorgen? Du willst mich wohl veräppeln. Deine Zukunft steht auf dem Spiel, meine junge Dame!“
Wie ich diese Worte hasste. Sie hatte ja gar keine Ahnung!
Mein Gesicht zeigte keine Regung, als sie weiter auf mich einredete und sich irgendwann geschlagen gab.
„Den Laptop nehme ich mit!“, rief sie mir noch einmal zu und ich ließ mich erschöpft in den Drehstuhl gleiten. „Du kannst ihn wieder haben, wenn deine Noten besser geworden sind.“
Meine Mutter knallte meine Zimmertür zu und dann war die Stille zurückgekehrt.
Meine Ablenkung im Internet wurde weg genommen, also musste ich mir etwas anderes suchen. Fragend blickte ich mich um und sah mein Handy auf meinem großen Doppelbett liegen. Schnell griff ich danach und bemerkte, dass ich eine SMS von Lucian bekommen hatte. Ich öffnete und las sie öfters durch. Immer und immer wieder.
Roselyn,
Der Notfall ist schlimmer als gedacht. Immer weitere Naturkatastrophen sind in den letzten Tagen ausgebrochen, wie du sicherlich schon bemerkt hast.
Bald wird es soweit sein, dass sie auch England erreichen. Ich werde weitere Erdteile untersuchen, aber ich kann nicht mit Gewissheit sagen, ob ich dann schon zu deinem Geburtstag zurück sein werde.
Mach’s gut.
Lucian.
P.S: Wenn irgendetwas Schlimmes sein sollte, kannst du mich immer auf mein Handy erreichen
!
Erschrocken las ich mir die Nachricht abermals durch. Er hatte mich im Stich gelassen, gerade als ich ihm am meisten brauchte. Hilflos setzte ich mich auf mein Bett und ließ den Kopf sacken. Meine Haare fielen mir über die Stirn und verdeckten mir weitere Sicht auf das Handy. Die Tränen flossen aus meinen Augen, wie zwei Flüsse, die nicht aufhören wollten zu fließen. Die Trauer erschütterte mich.
Ich wusste, dass Lucian das nicht gerne tat, aber es musste sein. Dies war seine Aufgabe. Er wollte die Menschheit genauso beschützen, wie ich. Da er auf mich noch zusätzlich aufpassen musste, fiel es ihm schwerer, mich gerade jetzt zurück zu lassen.
Der Griff an meinem Handy wurde stärker, so stark, dass ich es fast zerdrücke. Im letzten Moment ließ ich es auf den Boden fallen und starrte hinunter. Meine Augen brannten vor Tränen, die immer weiter flossen. Ich wollte sie auch gar nicht zurückhalten.
Die Stunden vergingen wie Minuten und ich bemerkte, wie langsam die Sonne unterging.
Das Licht traf auf meinen Rücken und mir wurde schlagartig wärmer. Es war tröstend und ich griff nach diesem letzten Strohalm, bis mich auch die Sonne für ein paar Stunden verlassen würde.
Langsam stand ich von dem Bett auf und verließ mein Zimmer. Mich hielt hier nichts mehr, ich wollte zu meinem wirklichen Zuhause. In den Wald, den Wald der Göttin.
Ohne meinen Eltern bescheid zu geben, verließ ich das Haus. Ich hatte es nicht einmal für nötig empfunden, mir eine Jacke überzustülpen. Es war mir in dem Moment völlig egal.
Meine Füße trugen mich in den Wald hinein. Über die kleine, schmale Holzbrücke, die direkt zu den Blumenwiesen und Feldern führte. Die Nacht war schon über dem Himmel angebrochen und ich sah schon die ersten Sterne. Es war eine klare Herbstnacht, wunderschön und ausgeglichen.
Nur fühlte ich mich nicht ausgeglichen. Mein Gesicht verzerrte sich schmerzhaft, als ich an den Ort des Verlassens zurückkehrte. Unschlüssig blieb ich stehen, den Kopf zum Boden geneigt und lauschte in den Wald hinein.
Ich wusste, dass die Göttin nicht zurück kommen würde. Sie würde mir niemals wieder den Halt geben, den ich so dringend brauchte. Ich würde niemals mehr in ihr wunderschönes Gesicht blicken. Feronia war die Perfektion einer Frau. Sie hatte eine schmale, gerade Nase und sinnliche, volle Lippen, die sie öfters kräuselte wenn sie lachte.
Ihre Haare waren wie flüssiges Gold, das ihr bis an die Hüften reichte. Wenn der Wind aufkam, wehten sie leicht mit ihm, als gehörten sie dazu. Ihre Bewegungen waren fein und zierlich, wie ihr Körper, der von Blumen umrankt war. Und dann waren da noch ihre Augen. Die wunderschönen, grünen Augen, die die Natur widerspiegelten. Es war, als würde der Wald direkt in ihr weiterleben.
Doch nun war sie fort und hatte uns alle zurück gelassen. Ich wusste nicht einmal warum.
Sie strahlte sonst immer unglaubliche Kraft und Zuversicht aus. Doch als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, war es, als ob alles davon verschwunden wäre.
Verzweifelt legte ich den Kopf in den Nacken und blickte in den Sternenhimmel. Der Mond durchflutete die Wiese mit Licht, auf der ich stand. Nur noch eine Woche.
Ich schloss wohltuend meine Augen, als der kalte Wind mir ins Gesicht blies, als wollte er mir Trost spenden. Und was half… für diesen Moment.
Am nächsten Morgen stand ich früher auf, als gewohnt. Das Wetter hatte sich verschlechtert und der blaue Himmel wurde von trüben Wolken überzogen. Regen lag in der Luft, als ich das Fenster weit öffnete.
Letzte Nacht hatte ich mir einen klaren Gedanken gefasst. Ich würde die Göttin finden. Nur musste ich bis dorthin auf meinen Geburtstag warten. Feronia hatte mir nicht viel erzählt, was meine Aufgabe alles mit einschloss, doch ich wurde jeden Tag zuversichtlicher.
Wenn ich scheiterte, war die Welt dem Untergang geweiht. Doch soweit wollte ich es einfach nicht kommen lassen. Entschlossen meldete ich mich bei der Schule ab. Ich würde meiner Familie viel Kummer bereiten, wenn ich jetzt einfach gehen würde, doch ich musste diese Aufgabe allein beschreiten.
Schnell packte ich mir alles Wichtige in meine Schultasche und stopfte mein Handy in die Hosentasche. Zuletzt sah ich mich noch einmal in meinem Zimmer um und prägte mir genau die Gesichter meiner Familie ein, die ich über alles lieben gelernt hatte. Ich tat meinen letzten Atemzug und rauschte aus dem Haus. Doch als ich die Eingangstür unseres Hauses öffnete, sah ich Dawn und Stephanie. Steph sah mich traurig an und Dawn neigte eher zur Wut.
„Du hast dich in der Schule abgemeldet?!“, rief Dawn mir ins Gesicht. Woher wussten sie davon? War es etwa schon bekannt geben worden?
Ich blickte mich um und zog die beiden mit mir. Seufzend riss sich Dawn von mir los, nur um mich wieder wütend anzufunkeln. „Nicht hier!“, zischte ich ihr zu und sah Steph aufmerksam an. Sie verstand natürlich sofort, was los war.
Schweigend führte ich die beiden in den Wald hinein. Dawn wurde mit jeder Minute ungeduldiger, bis sie es schließlich nicht mehr aushielt. „Warum schleppst du uns so weit weg?“, fragte sie mich misstrauisch. „Wir müssen reden“, antwortete ich knapp und hörte ein wütendes Schnauben hinter mir.
Würde sie mir glauben?, fragte ich mich selbst in Gedanken. Ich hatte Dawn von allem was damit etwas zu tun hatte, fern gehalten. Doch jetzt war es eine andere Lage und gleichzeitig verfluchte ich mich dafür. Was hatte mich bloß soweit getrieben, sie mit in die Hölle zu nehmen? Der Fluch, den ich früher als einen Segen betrachtet hatte, lag über mir. Irgendwann würde er in mir ausbrechen und ich wusste nicht, was von mir dann noch übrig bleiben würde.
Und genau dieses Schicksal wollte ich mit niemanden teilen.
„Na los, sag schon!“, brüllte mich Dawn an, als ich endlich stehen geblieben war. Bis hierhin dürfte uns keiner gefolgt sein. Keiner… ich seufzte.
Stephanie war schon den ganzen Weg über ruhig und verständnisvoll zu mir gewesen. Sie wusste, was jetzt passieren würde. Was auf uns alle zukommen wird. Es war unausweichlich.
Die Unterwelt existierte genauso wie der Himmel selbst. Und wie die Natur, die in uns allen weiterlebte. Und jetzt würden diese Welten aufeinander prallen und keiner könnte diesen Krieg verhindern. Außer unsere Göttin. Erneut seufzte ich.
„Es ist so“, versuchte ich zu erklären, doch Dawn schnitt mir das Wort ab.
„Ich möchte keine Erklärung für“, sie zeigte auf den Wald und schließlich auf mich. „Das alles hier. Sondern warum du dich so verändert hast!“
Stephanie fasste besorgt an Dawns Schulter, deren Körper heftig zitterte. Ich erschrak, als ihre Wut plötzlich so unbegreiflich stark wurde. Der Hass, der sich auf der Lichtung ausbreitete. Er war zum greifen nah und doch so verboten. Ihr Blick verriet Abscheu und ich konnte mir schon denken, vor wem.
Entschlossen raffte ich meine Schultern auf und begann mit starker Stimme zu sprechen, die im ganzen Wald noch widerhallte. „Dawn, jetzt hör mir zu! Niemals ist etwas einfach im Leben und das müsstest gerade du am besten wissen! Ich kann nicht die ‚perfekte’ Freundin in deinem Leben spielen, wenn es etwas gibt, was gerade dich, mit hinunterziehen würde.“
Ich atmete tief durch und sah meiner Freundin direkt in die starren Augen. Keiner sagte von uns etwas, wir sahen uns nur stillschweigend in die Augen. Plötzlich ergriff Stephanie das Wort. „Dawn“, murmelte sie. „Es gibt etwas in unserem Leben, was du einfach nicht verstehen kannst. Etwas, was dich für immer verändern würde, wenn du es wüsstest. Und genau darum wollen wir dich davor bewahren.“
Entsetzt sah Dawn zu Steph. „Wie bitte, was?! DU hängst da auch mit drin?“
Sie schüttelte leicht mit dem Kopf und sah zu Boden. „Ich hänge da nicht mit drin, ich bin ein Teil dessen Leben.“
Ein Auge von Dawn zuckte nervös, als ihr wieder die Strähnen ins Gesicht fielen. Doch diesmal pustete Dawn sie nicht aus dem Gesicht, sonder sah mir starr in die Augen.
„Ich will es wissen“, meinte sie kleinlaut und glaubte uns anscheinend. Ich atmete etwas brüchig und auch mein Herzschlag schien sich verdoppelt zu haben.
Vorsichtig setzte ich mich auf einen umgeknickten Baumstamm und legte meine Hände auf den Schoß. Stephanie schob Dawn neben mich und setzte sich schließlich auch dazu. Ich sah auf meine Hände, die langsam begannen zu zittern.
„Wenn du uns nicht glaubst, steht es dir frei, zu gehen“, meinte ich knapp um meine Nervosität zu überspielen.
Dawn gab mir keine Antwort also sprach ich ungehindert weiter. Ich erzählte ihr von der Geschichte, die mir die Göttin als kleines Kind immer erzählt hatte. Von den Beschützern der Welten und de Wächtern. Einer Wächterin, wie ich es war.
„Außer den Wesen der Natur und denen, die die Sehkraft erhalten, kann sie niemand sehen.“
„Und du hast sie erhalten?“, fragte mich Dawn leise und legte ihre leicht gebräunte Hand auf meine. Ich schüttelte meinen Kopf und lachte bitter.
„Nein, bei mir war es etwas anders.“
Stephanie hatte Dawn leicht in ihre Arme gezogen, als ob sie einen Schockanfall erleiden würde, wenn ich Dawn die wahre Geschichte über mich erzählte.
„Ich bin eines dieser Kinder, die nur dazu geboren worden sind, zu beschützen. Ich werde ewig bis zu meinem Tod an dieser Welt hängen und wenn ich zu meinem sechzehnten Geburtstag völlig ausgereift für diese Aufgabe bin, wird sich einiges ändern.“
Dawn erdrückte einen heftigen Schrei und schluckte ihn gerade rechtzeitig herunter.
„Du sagst es so, als ob es ein Fluch wäre“, stellte sie zaghaft fest. Ich nickte verbittert.
„Seitdem ich erkannt habe, dass es niemals mein Segen sein wird, ich niemals Lieben darf und für immer festsitze, ist es ein Fluch, den ich noch zu umgehen versuche.“
Ich schluckte und sah in ihre funkelnden Augen, die verständnisvoll zu mir aufblickten. Sie sah mich nun anders, das war mir schon vorher klar gewesen.
„Die Göttin ist seit zwei Wochen spurlos verschwunden und jeden Tag verschlechtert sich unsere Lage. Die Dämonen sind zurückgekehrt, die die Göttin einst verschlossen hatte.“
„Was bedeutete das für uns und vor allem – für dich?“
„Mein Geburtstag ist in sechs Tagen. Bis dahin kann ich nicht viel ausrichten. Ich kann nur warten… warten, bis ich die Kräfte dazu habe, sie alle aufzuhalten.“
„Die Dämonen treiben auf unserer Welt ihr Unwesen, da sie schon zu lange in der Unterwelt gefangen gehalten wurden“, sagte Stephanie völlig ausdruckslos.
Ich nickte und unterstrich damit Steph’s Antwort.
„Und das ist der Grund, warum du dich aus der Schule abgemeldet hast?“, fragte mich Dawn zögerlich und sah in meine Augen. Ich erwiderte ihren Blick und nickte erneut. „Ja, zum Teil. Ich möchte gehen, Dawn.“
Erschrocken sprang sie auf. „W-Wieso? Ich meine, hier ist deine Familie!“
„Nein“, sagte ich stark. „Meine wahre Mutter wird immer die Göttin bleiben und ich werde sie suchen. Du kannst und darfst mich dabei nicht aufhalten, Liebes.“
Sanft streichelte ich ihre Wange und sie schluckte laut. „Wir gehen mit dir“, sagte Stephanie plötzlich völlig entschlossen und fasste mir an die Schulter.
„Ich habe auch damit etwas zu tun und Dawn nun auch, nachdem du ihr alles erzählt hast. Du wirst uns nicht mehr los.“
Ich seufzte ergeben. „Ich sage euch eines, wenn es zu gefährlich wird, geht ihr. Sofort!“
Beide nickten gleichzeitig und in mir keimte etwas wie Hoffnung auf. Zusammen hätten wir eine bessere Chance. Doch was wäre, wenn die Göttin gar nicht mehr zurück käme? Wie sollte ich ohne jegliches Training meine Kräfte kontrollieren können?
Ich wusste ja nicht einmal, was sich genau verändern würde!
Plötzlich durchbrach die Sonne den Wolkenhimmel und schien auf uns herab. Der Wind ließ etwas nach, strich mir jedoch wie zuvor sanft ums Gesicht. Ich würde die Göttin finden, egal, was passieren mag.
Texte: Die Geschichte gehört mir, sowie die Charaktere.
Das Cover habe ich selbstständig bearbeitet.
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch an meinen Vater, der mich sehr unterstützt hat. Und auch an alle Leser, die dieses Buch angefangen haben, zu lesen ;).
Vielen Dank!