Cover



1. Narben, die mich kennzeichnen


Es war spät in der Nacht, als ich mitten in New York durch die Gassen wanderte. Prüfend musterte ich jeden dunklen Schatten, denn ich war sicherlich nicht alleine hier. Die Laternen schenkten mir kaum Licht oder Wärme. Mein Atem ging regelmäßig und leicht.
Meine Augen wanderten über eine schwarze Gestalt, die sich in der Ecke versteckte. Sofort blieb ich mit meinen teuren Absatzschuhen stehen. Mein Blut war für die Wesen der Nacht, etwas ganz Besonderes. Zu jeder Stunde machten sie Jagd auf mich, nur um einmal eine Kostprobe davon abzubekommen.Genau wie diese mickrige Gestalt vor mir.Keuchend kam sie auf mich zu, und ich bemerkte, dass es sich um eine männliche Person handelte. Abschätzend musterte ich ihn. Sein markantes Gesicht wies eine Spur von Verlangen auf. Glühend rote Augen sahen mich begierig an und er verharrte in einer Kampfstellung. Er fletschte mit seinen Zähnen und ging leicht in die Hocke. Seine Arme waren etwas von seinem Körper entfernt und er formte die Hände zu Klauen. Die Reißzähne waren gefährlich gewachsen und er biss sich auf seine Unterlippe. Die rötlichen, schimmernden Augen stachen aus der Dunkelheit hervor und fixierten mich. Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn abwertend an.
Was für eine abscheuliche Kreatur, dachte ich lachend, das schlimmste Wesen von allen.
Es war ein Vampir, der nur nach seinen Verlagen handelte. Sie waren der schlimmste Abschaum aller Wesen, die ich je kennengelernt hatte. Denn jedes Mal, wenn sie nach Blut gierten, verwandelten sie sich in eine Art Bestie, die nie genug bekommen konnte.Diese Kreaturen machten nicht einmal halt vor Familienangehörigen oder Liebenden. Sie nahmen sich immer das, was ihnen gerade in die Fänge kam. Etwas, was einen Puls besaß.
Genau wie es bei mir der Fall war. In mir befand sich das Blut eines Engels, das Verführerischste, das auf dieser Erde existierte. Als der Vampir mir gierig auf den Hals starrte, zuckte ich kaum merklich zusammen. Trotzdem bemerkte er es und grinste mich schief an, dabei zerkratzte er sich mit seinen Fängen ein Teil seiner Haut. Das Lächeln wurde breiter. Aus seinem Mundwinkel tröpfelte sein kaltes Blut und er leckte sich verführerisch über die Lippen. Es widerte mich an. Ein Schauder lief meinen Rücken herunter und ich machte mich kampfbereit. An meinen hautengen Anzug, der vollkommen schwarz war, hatte ich meine Waffen befestigt. Es waren zwei Schusswaffen, schnell und präzise. Sie erfüllten ihren Zweck. Es waren spezielle Waffen, die nur diese Art von Bestien töten konnten. Grinsend und blitzschnell zog ich meine Schusswaffen aus der kurzen Hose und schoss ihm direkt ins tote Herz. Der Vampir machte glucksende Geräusche und sackte in sich zusammen. Sein kalter Körper machte sich offiziell bekannt mit dem Betonboden. Erleichtert, dass er endlich vollkommen Tod war, steckte ich meine Waffen zurück und hob seinen harten Körper an. Ich verfrachtete ihn in die nächst liegende Mülltonne.
Schnell klopfte ich mir meine Hände ab und ging mit schnellen Schritten davon. Meine Absatzschuhe klackten laut auf dem Boden. Doch bald darauf sollte genau das mein Verhängnis werden. Ich musste hier weg!
Meine eingezogenen Flügel bahnten sich einen Weg an die Oberfläche. Elegant öffnete ich sie. Langsam breiteten sie sich hinter mir aus und umschmeichelten meinen Körper. Meine Flügel waren besonders, sie glänzten tief schwarz in der Nacht. Meine ganze Familie besaßen schwarze Flügel, denn wir stammten vom höchsten Blut unserer ganzen Existenz ab. In uns wallte das Blut, eines Vampirs und eines Engels.

Mit schnellen Schritten bahnte ich mir einen Weg durch die verseuchten Gassen. Es wimmelte hier nur so von armen Kreaturen. Sie alle sahen mich entweder gierig oder auch bemitleidend an. Ein kleiner Seuftzer entwich meiner Kehle.Sie alle hatten zu Leiden, auch wenn mein kaltes Herz mir etwas anderes mitteilte.Mein Blick heftete sich auf den Betonboden, der mir endlos schien. Eine lang anhaltende Stille folgte und ich bemerkte, dass ich mich verlaufen hatte.Meine Gedanken hatten sich gefestigt und ich sah mich prüfend um. Meine feine Nase verriet mir, dass sich in der Nähe Vampire aufhielten. Hungrige Vampire. Ich fluchte laut und schlich zu einem Schatten.
Er bot mir genügend Sicherheit, zumindest für diesen Moment. Mein Atem presste sich stoßweise aus meinen Lungen. Die geballte Macht, die diese Vampire ausstrahlten, war nicht normal. Und sie witterten mich. Wieder kam ein leiser Fluch über meine vollen Lippen. Ihre Schritte näherten sich langsam und unaufhaltsam ihrem Ziel - meine Wenigkeit.
Ich sah zum Himmel hinauf und musste schmerzvoll schmunzeln. Die sonst so prachtvollen Sterne, waren unter dicken Wolken verschwunden. Einige Tropfen prasselten auf den Betonboden und ich zischte.
Wenn ich nass wurde, war die Gefahr größer denn je.
Elegant weitete ich meine schwarzen Flügel und stieß mich von dem Boden ab.Doch bevor ich meinen ersten Flügelschlag in der freien Luft getan hatte, wurde ich zu Boden gerissen. Mein Rücken beugte sich unter diesem Schmerz dem Himmel entgegen und ich krümmte mich. Meine Augen wurden zu Schlitzen, als ich die Vampire vor mir sah. Es waren drei.
Sie standen gefährlich nahe an meinem Körper und beugten sich zu mir herunter. Der Größte musterte mich und ein Grinsen trat auf seine vollen Lippen.
„Was haben wir denn da“, sagte er mit einer verführerischen Stimme. „Eine Ephramerin.“
Ich schnaubte laut als Antwort. Dies schien dem Kleinsten, und hässlichsten, unter ihnen nicht zu gefallen. Er ergriff, nicht ganz schmerzfrei, meine Schultern und drückte mich gegen die durchnässte Wand. Meine Flügel schmerzten unheimlich in meinem Rücken.
Ein kleiner Schreckensschrei entwich mir und ich hasste mich dafür, Schwäche vor ihnen gezeigt zu haben. Der Kleinste von ihnen, der mich an die Wand drückte, grinste mich hasserfüllt an. Denn so schien es mir, als er sie zu Schlitzen formte und sein Gesicht sich wütend verzog. Seine roten Augen glühten in der Nacht. Sie waren voller Stolz und Verlangen. Wie alt diese Vampire wohl waren?
Ich konnte wohl kaum auf eine Antwort von ihnen hoffen. Aber mich einfach kampflos aufgeben? Mein Blut preisgeben? Niemals.
Anmutig entzog ich mich seinem klammernden Griff und schlug ihn mit meinem Ellenbogen auf seinen Rücken. Schlaff fiel er zu Boden und wurde schlagartig ohnmächtig. Nicht nur sie hatten besondere Gaben oder Stärken. Protzend grinste ich die beiden Verbliebenen an. Der Größte unter ihnen schnaufte kurz auf und ging mit langsamen Schritten zu mir herüber. Sein ganzer Körper strahlte Kraft aus und ich konnte die ausgeprägten Muskeln erkennen, die er unter seinem schwarzen T-Shirt im Verborgenen hielt.
Er entblößte seine riesigen, schmalen Fänge. Sie ragten stolz aus seinem starken Kiefer hervor. Plötzlich stand er hinter mir und hielt mich mit seinen Armen an meiner Kehle fest. Meine Hände waren hinter meinem Rücken. Ich fluchte laut und zappelte wild herum, wie ein Fisch, der gerade an Land gezogen worden war. Denn dieser wusste, sein Leben würde sich dem Ende zuneigen. Und dennoch blieb er immer entschlossen und kämpfte auch in der letzten Sekunde um sein Leben, wenn auch vergeblich. Der riesige Vampir drückte mich weiter an seine muskulöse Brust. Sein Atem streifte meinen entblößten Hals und ich keuchte laut auf. Dies schien ihm sehr zu gefallen, da er mir ein anzügliches Grinsen zeigte.
Langsam leckte er über meine Halsschlagader und biss neckend hinein. Ein kleiner Bluttropfen entwich aus der Bissstelle und ich weitete meine Augen. Noch nie zuvor hatte ich geblutet. Meine Haut war nicht so empfindlich, wie die eines Menschen. Ich biss meine Zähne zusammen und ließ selbst meine Fänge wachsen. Da ich halb von einem Vampir abstammte, musste auch ich Blut zu mir nehmen. Doch nur das Blut eines Menschen, konnte mich am Leben erhalten. Dafür mussten die Ephramerin nur sehr selten trinken und ihre Opfer dabei nicht unnötig sterben lassen. Im Gegensatz zu den richtigen Vampiren. Mein Blick heftete sich an die gegenüberliegende Wand. Die Gasse wurde von Regen überflutet und meine langen, schwarzen Haare klebten mir auf der Haut. Der Vampir hinter mir umschlang meine Arme, damit ich nicht mehr entkommen konnte.
Ich verzog meinen Mund zu einem Lächeln und der Anführer interpretierte es als ein Zugeständnis dafür, dass er mich beißen durfte. Meine Flügel drückten schmerzhaft an meinem Rücken. Ich breitete sie aus und verfrachtete den Vampir hinter mir in die nächst liegende Ecke. Die Flügel meiner Art, den Ephramerin, waren größer und stärker, als die eines normalen Engels. Als ich den Letzten der Truppe ansah, bekam ich einen Schrecken. Nicht einmal annähernd sah ein anderer Mann so gut aus, wie er es tat. Er hatte dunkelbraune, fast schon schwarze Haare, die ihm leicht über die Augen fielen, die mich fixierten. Der Körper von ihm war muskulös und er strahlte eine unglaubliche Gefahr aus. Ich wich zurück an die Wand und fletschte meine Zähne.
Um seinen Mundwinkel zuckte es und ich bemerkte eine Spur Belustigung in seinen Augen. Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu und musterte mich. Sein Blick verursachte Schmerzen in mir, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Er war so intensiv und berauschend, sodass ich schnell vor ihm zurückwich.
Hatte ich etwa Angst?
„Aber, aber“, sagte er mit seiner tiefen Stimme, die mir bekannt vorkam. Ein Schauder lief über meinen Rücken und meine Nackenhärchen stellten sich auf. „Wir wollen doch jetzt noch nicht gehen, oder?“
Ich verzog meinen Mund zu einem schmerzhaften Lächeln und musterte ihn, damit er mir nicht entkommen konnte. Keine Bewegung würde mir entgehen. Der Kleinste von ihnen, rappelte sich langsam wieder auf und sah mich erneut boshaft an. Er formte seine kräftigen Hände zu Klauen und fletschte mit den Zähnen. Der Anführer machte eine Handbewegung zu ihm und er verbeugte sich leicht mit einem anzüglichen Lächeln auf mich. Schnell drehte er sich um und verschwand in die nächste Gasse. Er war so schnell gewesen, dass ich kaum merklich zusammen zuckte. Mein Blick haftete sich auf die Ferne, die Gassen mitten in New York. Der Regen verstärkte sich und prasselte auf uns nieder.
„Und nun zu dir, Liebes.“ Seine Stimme war zart und einladend zugleich. Alles in mir schrie, dass ich weglaufen sollte, doch mein Verstand war schneller. Ich wusste, dass ich nicht entkommen konnte. Ich hatte es selbst mit eigenen Augen gesehen, sie waren um einiges schneller als ich. Seufzend wanderte mein Blick wieder zu ihm. Er stand nun direkt vor mir und entblößte seine mächtigen Fänge. Meine Gänsehaut verstärkte sich, als ich seinen gierigen Blick vernahm. Auf meinen Armen stellten sich die Härchen auf und das unbehagliche Gefühl verstärkte sich, als ich nicht darauf kam, woher ich diese Stimme kannte. Seine Augen glühten in der Nacht und ließen mich nicht gehen. Ich war gebannt von seiner Schönheit.
Zart und liebevoll streichelte er mir über meine Wange. Kurz bemerkte ich, wie Reue in seinen Augen aufblitze. Ich schluckte vorsichtig und lautlos.
Seine schwarzen, sonst so wuscheligen Haare, waren total durchtränkt vom Regen. Von seinen vereinzelten Haarsträhnen tröpfelte das hängengebliebene Regenwasser. Er roch so unwiderstehlich gut, dass meine Knie weich wurden. Was tat er mit mir?
Doch plötzlich wurde ich brutal nach hinten gezogen und quiekte erschrocken auf. Er drückte mich gegen die Wand und meine Flügel fuhren schmerzhaft nach hinten.
Schnell zog ich sie ein, sodass ich wie ein ganz normaler Mensch aussah. Er zog eine Augenbraue hoch, als er meine Flügel mit dem Wind verschwinden sah.
Aber dies ließ ihn nicht länger davor abhalten, mich zu töten, mich zu quälen. Sein fester Griff wanderte über meine Hüfte. Die andere Hand war auf meinem Hals.
Sein Atem strömte mir entgegen und ich war kurz davor, meine Selbstbeherrschung zu verlieren und in Ohnmacht zu fallen. Meine Gefühle wurden von ihm durcheinander gebracht. Mein Körper wollte mehr, wollte dass er mich biss. Aber mein Herz, sowie mein Stolz verdrängten diese Gefühle. Das war nicht ich. Es war der Vampir in mir, der meine sorgfältig ausgebaute Fassade bröckeln ließ. Nicht einmal meine Waffen zog ich, um ihn zu töten. Ihm gefiel es sichtlich, dass mein Körper so auf ihn reagierte und schlug langsam und zart seine Fänge in meinen Hals. Der Griff seiner Hände wurde fester und drückte mich mit seiner ganzen Kraft gegen die durchnässte Wand eines Hauses. Schmerzhaft stöhnte ich auf. Ich wollte hier weg und mein Körper verkrampfte sich.
Das laute und kräftige Schlucken an meinem Hals wurde jedes Mal stärker und intensiver. Mit jedem Neuen schwand meine Kraft. Die Muskeln in meinem Körper verweigerten mir ihren Dienst und das Gefühl der Hilflosigkeit machte sich in mir breit. Ich wusste, dass ich sterben würde, wenn ich nichts dagegen unternahm. Durch meine Lungen bekam ich keine Luft mehr und sackte in seinen Armen zusammen. Doch er hörte nicht auf, von mir zu trinken. Seine Zunge liebkoste immer wieder meinen zarten Hals.
Mein Körper reagierte nicht mehr auf meine Hilfeschreie und sackte vollkommen in sich zusammen. Meine Augen waren geschlossen und die Schwärze hüllte mich in sich ein. Ich war nicht mehr die Herrin meiner selbst und überließ mich meinem Schicksal. Das wilde Klopfen meines Herzens hörte auf und wurde immer schwächer.
Die kühle Haut des Vampirs und sein klammernder Griff, waren das Letzte was ich spürte.
Ein letzter Gedanke durchzuckte mich. Wäre ich doch bloß in meinem Land geblieben…





Cecilia



Es war wieder einer dieser Samstage. Samstage, die einfach öde

waren. Ich sah schon die Schlagzeile vor mir. Cecilia Byron, ein neunzehnjähriges Mädchen ist an betörender Langeweile gestorben.


Lachend stand ich von meinem Drehstuhl auf und ließ die frisch geschriebenen Notizen auf meinem Schreibtisch liegen. Ich dachte an den heutigen Abend und musste unwillkürlich Lächeln. Es stand mal wieder eine kleine Feier an, die meine Freundin Ann organisiert hatte. Vorher hatte ich ausgiebig mit ihr telefoniert gehabt um alles Geplante nochmals abzusprechen. Gemütlich schlenderte ich in die kleine Küche und bereitete das Abendessen für mich vor. Es würde wieder einmal Spagetti geben mit der besonderen Soße, die mir meine Oma als Rezept mitgegeben hatte, als ich bei meinem Vater ausgezogen war. Damals hatte er immer das Kochen versaut und fast jede Mahlzeit mit Salz durchtränkt, sodass ich zur leidenschaftlichen Köchin geworden war. Etwas anderes blieb mir in diesem Zustand nicht übrig. Als ich auf die Uhr schaute, war es schon kurz nach halb neun. Seufzend stand ich auf und räumte das Essen weg. Schließlich ging ich in mein Zimmer und stand vor meinem Schrank. Er nahm eine ganze Wand des Zimmers ein. In der hintersten Ecke stand mein großer, hölzerner Schreibtisch. Und in der Mitte des Raumes, war mein Himmelbett.
Seufzend stand ich vor einer schwierigen Entscheidung. Was sollte ich anziehen?
Nach langer Überlegung entschied ich mich für ein hübsches, schwarzes Minnikleid. Es besaß T-Shirt ähnliche Ärmel, die flauschig ausgeschnitten waren und sich an meinen Arm schmiegten wie Seide. Das schwarze Kleid ging mir bis zur Mitte der Oberschenkel und hatte einen tiefen V-Auschnitt, der leicht gewölbt nach unten fiel. Um die Beine herum war es eng geschnitten. Schnell ging ich noch ins Badezimmer rüber, um mich fertig für die Party zu machen. Zügig stülpte ich mir mein Kleid über und betrachtete mich prüfend im Spiegel.
Meine leicht gelockten, braunen Haare fielen locker über meine Schultern. Dabei fixierten mich meine unschuldigen, blauen Augen. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Ich trug Puder auf die Wangen auf und schmückte meine Augen mit schwarzem Kajal. Als Letztes trug ich noch etwas Wimpertusche auf. Mein rosafarbender Lipgloss umschmeichelte meine vollen Lippen. Zufrieden legte ich meine Schminkutensilien beiseite und schlendere zurück zu meinem kleinen Schuhschrank. Ich zog meine hohen Pumps an. Der Absatz von ihnen war Pink. Heute sah ich wirklich umwerfend aus. Ich hatte eine Vorahnung, dass dies kein ruhiger Abend werden würde. Wie auch?
Lachend verließ ich das Badezimmer und schaute auf meine Weckeruhr. Es war schon kurz nach halb zehn. Ein letzter Blick in den Spiegel verriet mir, dass noch alles perfekt saß.
Ich nahm mein kleines Handtäschchen mit. Darin befand sich mein Portemonnaie, sowie Hauschlüssel und Handy. Ich holte mein Headset des Handys heraus und verließ mein Apartment. Schnell verkabelte ich mich und hörte laut Musik. Trotzdem vernahm ich noch das Klackern meiner Absatzschuhe auf dem Betonboden.
Draußen war es schon stockdunkel und ich seufzte leise auf. Kleine Laternen waren an der Straße angebracht und durchfluteten eine kleine Stelle des Bodens mit Licht. Ich ging ganz nah an die Laternen heran, um etwas erkennen zu können.
Schon bald danach war ich ohne Zwischenfälle am Club angekommen. Draußen standen viele schlange und ich seufzte. Es war der angesagteste Club hier.
Ich stöpselte meine Kopfhörer aus meinen Ohren und steckte mein Handy samt Headset in meine Ausgehtasche.
Meine Haare wehten leicht im Wind, der an mir vorbeirauschte. Eine kleine Gänsehaut überrannte meine Haut und ließ mich erschaudern.
Nach gefühlten Stunden traf endlich Ann ein. Zu meiner Verwunderung, mit Robert.
Mit hochgezogener Augenbraue musterte ich die beiden, wie sie aus Ann’s Wagen ausstiegen und zu mir geschlendert kamen. Ich schnaubte. Das ist alles Einbildung Celia, sagte ich zu mir selbst. Richtig helfen, tat es trotzdem nicht.
Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Schnell wimmelte ich es ab und ließ mich von Ann umarmen. Ich erwiderte ihre Umarmung zaghaft. „Du siehst bezaubernd aus, Celia!“, hauchte sie mir ins Ohr und machte einen Schritt zurück. Ich nickte ihr vorsichtig zu und sah dann zu Robert. Er kam mit langsamen Schritten auf mich zu und umarmte mich ebenfalls. Seine blonden, kinnlangen Haare waren wirr gestylt und standen in verschiednen Richtungen ab. Es sah zum Anbeißen aus. Seine eiskalten, blauen Augen sahen mich mitleidig an.
Robert berührte mich kaum.
„Was? Nur eine Umarmung?“, sagte ich neckend und küsste ihn auf den Mund.
Er erwidere ihn nicht, so dass ich von ihm abließ und einen Schritt zurück trat. Robert berührte mich kaum.
Ann sprang gleich auf mich zu. Ihre Augen glitzerten vor Freude, was ich nicht verstand. Erfreute sie sich an meinem Leid?
Sie packte mich grob am Arm und zog mich zur Schlange. Wir standen fast eine halbe Stunde an, bis wir rein konnten. Durch unsere gefälschten Ausweise, die Robert für uns anfertigen lassen hat, konnten wir ohne Probleme hinein.
Im Club war es ziemlich stickig und dunkel. Viele Leute waren schon hier. Manche waren in der Sitzecke und knutschten wild miteinander rum.
Kaum Lichter erhellten den riesigen Raum. Auf der Tanzfläche waren viele Neonlichter angebracht, die mit dem Beat über die Fläche huschten. Ich steuerte sofort auf die Bar zu und setzte mich auf einen der aufgestellten Hocker. Die Sitze glänzten in verschiedenen Leuchtfarben. Elegant ließ ich mich auf einen gleiten und schaute zur Tanzfläche. Ann hatte gleich meinen Freund entführt und ihn auf die beleuchtete Fläche gezogen. Wild tanzte sie zu dem Beat der Musik. Ich seufzte stark und drehte mich um.
Dabei sah mich der Barkeeper fragend und zugleich anerkennend an. Ich musterte ihn ebenfalls. Seine dunkelbraunen Haare waren leicht verwuschelt und fielen ihm ins Gesicht. Seine grünen Moosaugen fixierten mich. Die kleine, gerade Nase passte perfekt zu seinem etwas markanten Gesicht und dem Dreitagebart. Er hatte ein schmales Kinn und sinnliche Lippen, die zum Küssen einluden. Moment mal – was dachte ich da bloß?
Leicht schüttelte ich meinen Kopf und bestellte mir einen Cocktail. Elegant setzte ich mich seitlich auf den Sitz und schlug die Beine übereinander.
Der Barkeeper beobachtete mich die ganze Zeit, fixierte mich regelrecht mit seinen Blicken.
Aber ich musste zugeben, dass es mir sehr gefiel.
Nach ein paar weiteren Minuten war auch schon der Cocktail bei mir. Mit langsamen Schlucken nahm ich ihn in mir auf. Es schmeckte köstlich. Erdbeergeschmack, so wie ich es mochte. Die Zeit im Club verging schleichend und ereignislos. Bis jetzt.
Gerade kamen Robert und Ann um die Ecke, genau zu mir. Ich schaute auf meinen fast leeren Cocktail und rührte mit dem Stäbchen in ihm herum. Keuchend kamen die beiden auf mich zu und setzten sich dazu. Ich schaubte leise.
„Was sitzt du hier so rum, Celia? Du hättest mit uns tanzen sollen!“
Ann sah mich entgeistert an.
Ich schüttelte nur mit dem Kopf und sagte schlicht:„Keine Lust.“
Sie beließ es dabei und bestellte harten Alkohol. Als sie die ersten Schlücke getan hatte, merkte man ihr schon an, dass sie leicht verstört wirkte.
Was fand Robert so toll an ihr?
Schnell verwarf ich meine Gedanken wieder und bestellte mir weitere Cocktails.
Sogar Robert, der eigentlich unser Fahrer war, trank immer weiter und teilte mir immer wieder perverse Gedanken mit. Langsam, kaum merklich, rückte ich immer weiter von ihm ab. Sein Atem stank so nach Alkohol, als sei er in ein Fass gefallen.
Die Musik dröhnte laut in meinen Ohren und lies meinen Körper mit vibrieren.
Ich hielt es nicht länger aus, bei ihnen stumm zu sitzen und ihnen beim Trinken zuzusehen, wie sie all ihre Gehirnzellen ertranken. Also setzte ich mich in Bewegung und marschierte elegant auf die Tanzfläche.
Ich hatte auch schon einen umwerfenden Tanzpartner für dieses Lied gefunden, der Barkeeper. Warum er sich freie Zeit genommen hatte, wusste ich nicht. Und ehrlich gesagt, war es mir in diesem Augenblick auch egal.
Zusammen tanzten wir eng und wild miteinander. Es machte so viel Spaß, wie schon lange nicht mehr. Ich vergaß alles um mich herum, es gab nur noch ihn und die Musik. Die Lichter huschten über die Tanzfläche und machten diesen Moment umso besonderer.
Doch plötzlich erklang ein neues, langsames Lied. Er sah mich fragend an und ich lachte leise. Dann zeigte ich auf die Bar und er kam grinsend mit.
Zusammen schlossen wir uns Ann und Robert an, die mich fragend musterten.
Ich ließ mich geschmeidig auf einen der Hocker gleiten.
Zwei neue Barkeeper teilten uns die bestellten Getränke aus und ich lächelte meinen Sitznachbar kokett an. „Wie heißt du?“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Er kicherte leise.
„Victor“, murmelte er und sein Atem streifte meine Haut. Schon unter diesen kleinen Berührung, wenn man es denn so nennen darf, bekam ich eine heftige Gänsehaut. Seine Stimme war so wundervoll tief und männlich. Ein Schauder lief meinen Rücken hinunter, als ich sie genau wahrnahm. Er lachte erneut leise und brachte mich völlig aus dem Konzept.
Alles in mir fing an zu kribbeln. Und ich mochte dieses Gefühl. Sehr sogar.
Ich unterhielt mich immer weiter mit ihm und mein Blick hing an seinen Lippen.
Einmal hatte er sie sogar mit seiner Zunge abgeleckt.
Dabei vergaß ich vollkommen, dass Ann und Robert auch noch da waren. Es fiel mir erst auf, als sie zusammen auf der Frauentoilette verschwanden. Seit wann war Robert eine Frau? Ich konzentrierte mich nicht mehr auf Victor und dies schien er bemerkt zu haben, denn er fragte mich, was los sei.
„Ich komme gleich wieder“, flüsterte ich leise in sein Ohr und stand elegant vom Hocker auf. Mit langsamen Schritten näherte ich mich der Frauentoilette und was ich da sah, schockierte mich zutiefst. Ann saß auf der Anrichte, wo die Waschbecken waren. Über ihr, war Robert, der sie wild umschlang. Seine Hände zogen Ann praktisch aus. Ich konnte kein Wort finden, dass diese Situation angemessen beschrieb. Kein einziges Wort verließ meine Lippen. Ich sah nur stumm zu, wie sie mich beide betrogen.
Sie war meine beste Freundin gewesen und betrog mich mit meinem festen Freund. Es war, als ob man einen Dolch absichtlich in mein Herz rammen wollte.
Ich blutete von innen heraus. Plötzlich wehte ein Windhauch in den Raum und Ann sah mich erschrocken an. Robert bemerkte Ann’s Blick und folgte ihm zaghaft. Als er in meine leeren Augen sah, zuckte er zusammen. Sofort ließ er von Ann ab und schaute auf den Boden. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Mir stockte der Atem und ich drehte mich um und stieß mit meiner geballten Kraft die Tür auf. Ich wollte nicht noch mehr sehen. Mit schnellen Schritten ging ich zum Ausgang, wurde aber am Arm gepackt. Ich drehte mich um und schaute in Victors Gesicht. Er wirkte sehr überrascht.
„Was ist los?“, fragte er mich verwirrt. Ich schüttelte stumm den Kopf und zog meinen Arm aus seinem kalten Griff. Schnell schnappte ich mir meine Handtasche und verschwand aus dem stickigen Club. Der Abend war ein totaler Reinfall gewesen.
An einem einzigen Abend, hatte ich alles verloren, was ich geliebt hatte.


2. Opfer

Cecilia



Als ich mich nach ein paar Stunden in einer der schlimmsten Gassen in ganz New York widerfand, kamen meine Erinnerungen zurück. Die Vergewaltigungsrate hier war schon mehr als nur erhöht. Verunsichert blickte ich mich im Dunkeln um. Nicht einmal Vögel trauten sich hierher, wo sich doch sonst Krähen überall frei herum tummelten. Doch nichts Dergleichen. Ich seufzte. Zu meinem Pech, hatte es noch angefangen zu regnen. Ich hatte keinen Regenschirm oder Sonstiges mit, was mich davor schützen konnte. Meine Haare fielen mir nass über die Schultern. Meine Gänsehaut begleitete mich auf Schritt und Tritt. Eine meiner miesen Eigenschaften ist, sich in etwas viel zu sehr reinzusteigern.
Meine ehemalige beste Freundin hatte mir das immer vorgehalten. Ich schnaubte und kickte einen belanglosen Stein weg. Meine Füße brannten förmlich. Die Hohen Absätze bohrten sich schon fast in meine Fersen. Ich hätte Ballerinas anziehen sollen, zischte ich in Gedanken und ging weiter in die Nacht hinein. Die Kälte bescherte mir eine saftige Gänsehaut die einfach nicht aufhören wollte. Ich wusste, dass dies kein guter Ort war um zu verweilen. Dennoch lief ich einfach immer weiter. In der Verzweiflung, irgendetwas tun zu müssen. Denn in diesen stickigen Club wollte ich nie wieder gehen. Mein seelisches Todesurteil. Doch nach weiteren zwanzig Minuten gab ich schließlich ganz auf und setzte mich auf eine heruntergekommene Bank. Hier in der Nähe war nur noch eine schwach leuchtende Laterne. Der Rest war entweder komplett zerstört oder ausgefallen. Seufzend sank ich in mich zusammen. Die Dunkelheit schlug ihre Krallen in mein gesamtes Ich.
Schmerzhafte Tränen verließen meine Augen und ich schluchzte laut. Mir war es egal, ob irgendein Penner das hier hören würde. Mein Stolz, sowie meine Würde, waren auf der Frauentoilette im Club verloren gegangen. Meine Hände wanderten automatisch zu meinem Gesicht, um die Tränen der Hoffnungslosigkeit wegzuwischen. Doch es flossen immer weitere, so dass ich mich ihnen klaglos hingab. Schweigend stand ich auf, wenn auch etwas unbeholfen. Die Absätze klackerten laut auf dem Betonboden unter mir. Doch in meinen Ohren fühlte sich alles wie betäubt an. So betäubt, als hätte man mir mit Absicht Wattebäuschen in die Ohren gesteckt. Meine Schritte wurden energischer, als ich ein kleines Wimmern vernahm.
Ein kleiner Verdacht beschlich mich. Hatte ich zu viel getrunken? Dabei schüttelte ich langsam den Kopf. Mehr als ein paar kleine Drinks hatte ich nicht getrunken. Außerdem konnte ich noch ziemlich gut aufrecht gehen; das war doch schon mal ein Anfang, oder?
Meine Gesichtszüge entglitten mir, als ich weiterging. Meine Füße, sowie der Rest meines Körpers schmerzten unheimlich. Es waren Schmerzen, die ich so noch niemals erlebt hatte. Schmerzen, die nicht nur körperlich waren. Seelisch war ich total am Ende. Eine weitere Träne entwich meinem Auge, als ich wieder an den Club zurück dachte. Warum ich?
Die Frage schwirrte in meinem Kopf herum, als wäre dort eine bittende Stimme, die mir zurief, mich um Hilfe bat. Doch wem konnte ich in diesem Zustand schon helfen? Ich brauchte selber genügend therapeutische Hilfe, um alles Geschehene aus meinem Kopf zu verbannen. Doch die Stimme wurde zu einem Kreischen. Plötzlich wurde mir klar, dass ich mitten auf dem Asphalt stehengeblieben war. Nur der Grund war mir schleierhaft. Die Stimme keuchte laut auf. Doch da bemerkte ich, dass die Stimme gar nicht nur ein Trugbild meines Zustands war. Nein, es war ein Mädchen, das um Hilfe schrie. Nicht laut mit ihrer Stimme – nein! In meinem Kopf! Wie angewurzelt blieb ich auf meinen hohen Absätzen stehen. Der Schmerz wallte durch meine Füße, bis zu meinen Beinen empor. Dennoch blieb ich einfach stehen und horchte in die Stille hinein. Das Wimmern erklang erneut und brach urplötzlich ab. Der Wind wurde stärker und wehte mir meine Haare über die Schulter. Meine Gänsehaut entschloss sich wohl dazu, in einen Dauerzustand zu wechseln.
Ich seufzte leise und blickte in eine verdunkelte Gasse. Von genau dort kam das kleine Wimmern, das mir einen Schauder auf meinem Rücken hinterließ.
Leicht schüttelte ich den Kopf. Was für ein verrückter Tag. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich ging auf die Gasse zu und versuchte möglichst leise zu sein, was sich durch meine Absätze leider etwas erschwerte. Dennoch war es mir möglich, es irgendwie zu schaffen. Als ich in die etwas kleine Gasse blickte, erschrak ich augenblicklich. Dort waren insgesamt vier Menschen, oder eher Personen. Ich konnte sie nicht genau erkennen. Es waren nur schwarze Gestalten.
Zwei standen außerhalb und beobachteten das Geschehene. Der Größte von ihnen hatte sich hinunter zu dem Mädchen gebeugt, dass immer wieder gewimmert hatte. Und wieder zögerte sie nicht und verkrampfte unter den Berührungen des Mannes, wollte sich wehren.
Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und ich schluckte zaghaft. Ich machte keine Anstalten, mich zu bewegen. Das hätte nur ungewollt die Blicke auf mich gezogen. Was hatte der Mann mit dem Mädchen vor?
Meine Frage sollte gleich beantwortet werden. Der Mann beugte sich herunter und das Mädchen starrte ihn mit hasserfülltem Blick an. Sie tat es tatsächlich.
Wäre ich in ihrer Situation gewesen, würde ich mir vor Angst in die Hosen machen. Doch dem Mann schien es zu gefallen, dass sein Opfer sich wehrte.
Angewidert machte ich einen kleinen Schritt zurück. Doch alles in mir zog mich zu dem Mädchen hin, das halb auf dem Boden lag, halb stand. In Gedanken zischte ich leise. Seit wann war ich so ein Angsthase?
Ich wagte wieder einen mutigen Schritt hervor. Die Schatten um mich herum, ließen mich im Verborgenen bleiben. Ich hatte meine Hände krampfhaft zu Fäusten geballt. Ich wollte etwas für das Mädchen tun, doch irgendetwas hielt mich davon ab, jetzt einzuschreiten. Angespannt glitten meine Augen zu dem Mann, der sich über das Mädchen gebeugt hatte. Er streichelte vorsichtig ihre Wange. Angeekelt verzog ich mein Gesicht. Er hatte Spaß daran, andere, Kleinere, Leiden zu sehen. Und so etwas nannte sich Mensch?
Nein, diese Gestalt war für mich nur noch ein Etwas. Am liebsten hätte ich jetzt eingegriffen, um dem Mädchen zu helfen. Aber mein Körper lehnte sich strickt gegen mich auf. Was für ein Chaos. Plötzlich veränderte sich das Bild vor meinen Augen. Der Mann strich mit den Fingern das schwarze, etwas gelockte Haar des Mädchens beiseite und leckte sich begierig über die Lippen.
Moment mal – kannte ich das nicht von irgendwo her?
Diese kleine, etwas bedürftige Geste kam mir bekannt vor und entfachte einen unsanften Schauder auf meinem Rücken. Ich wusste, dass mir etwas Wichtiges verborgen blieb. Doch warum konnte ich es nicht genau erkennen? Mein Gehirn war wie benebelt von der Szene, die sich mir hier bot. Mein Herz schlug unregelmäßig, setzte sogar mehrere Schläge einfach gekonnt aus. Ich unterdrückte mit Mühe ein gequältes Stöhnen.
Doch ich wurde wieder wachgerüttelt, als der Mann sich noch weiter vorbeugte und ihren Hals liebkoste. Warum sich das Mädchen jetzt nicht mehr wehrte, konnte ich nicht erkennen.
War es Angst? Ihre Augen waren starr auf die Wand gerichtet. Sie bewegte sich keinen Zentimeter. Der Mann lächelte abermals zufrieden und öffnete seinen Mund. Seine wundervolle Stimme drang mir in die Ohren. Ich hatte seine gewaltigen Fänge gesehen, die gefährlich im Mondlicht aufblitzten. Keuchend trat ich erneut einen Schritt zurück. Keiner der Gestalten rührte sich einen Zentimeter. Alle waren wie gebannt und starrten auf das Blut, das dem Mädchen den Hals hinunter floss. Mein Körper zwang mich dazu, stehen zu bleiben und nicht einfach Hals über Kopf wegzulaufen. Und ich tat, was er verlangte. Wie überirdisch das auch klingen mag, ich gehorchte tatsächlich und verhielt mich ruhig. Wieder wimmerte das Mädchen, wenn auch zaghaft. Sie verhielt sich erstaunlich still. Ihre Augen verblassten und wurden leer, bis sie sie schließlich ergeben schloss. Der Mann, nein das unnatürliche Wesen vor mir, trank weiter das Blut des Mädchens und ließ sich durch nichts aufhalten. Eine der Gestalten redete auf ihn ein, es langsam doch sein zu lassen. Doch er saugte sie bis zum Schluss komplett aus. Das Mädchen war vollkommen blass geworden. Sie fühlte sich bestimmt auch so an. Kalt und leblos.
Endlich ließ er von ihr ab und leckte über ihren toten Hals. Es ekelte mich an. Seine Fänge waren immer noch weit ausgefahren. Was war das für ein Monster?
Mein Körper blieb starr vor Angst. Jetzt wusste ich wieso ich mich von ihm überreden lassen hatte, still zu sein. Das Wesen würde genau dasselbe mit mir machen, wie mit ihr. Nicht einmal blinzeln traute ich mich in diesen Moment. Die Wesen sprachen miteinander. In einer Sprache, die ich nicht verstand. Dann verzogen sie sich spurlos. Ihre Bewegungen verschwammen vor meinem menschlichen Auge.
Einige Minuten verstrichen und ich blieb immer noch regungslos auf der Stelle stehen. Ich war mir nicht sicher, ob diese Wesen wiederkommen würden. Doch nach ein paar Momenten, hatte sich selbst mein Herz beruhigt. Ich schluckte noch einmal und setzte mich in Bewegung. Meine Beine schrillten vor Schmerz auf, doch ich ignorierte ihn, so gut es ging. Morgen würde ich das bestimmte einbüßen müssen. Langsam kniete ich mich vor das Mädchen und strich ihr die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Ich musste handeln und zwar schnell.
Aus diesem reinen Instinkt heraus, schnappte ich mir ihren leblosen Körper. In der Hoffnung sie trug noch einen Lebensfunken in sich, nahm sie auf meinen Rücken. Sie war zwar leblos und kalt, doch um einiges Schwerer als ich mir das gedacht hatte. Und klein war sie alle mal. Ich holte tief Luft und trug sie aus den Gassen von New York heraus. Ich wusste nicht, was mich genau zu diesem Entschluss getrieben hatte, aber ich hätte sie da nicht einfach liegen lassen können. Ich fluchte leise, als das Mädchen von meinem Rücken rutschte. Im letzten Moment hatte ich sie noch auffangen können, sonst hätte sie wieder Bekanntschaft mit dem Betonboden gemacht. Aber genau das wollte ich um jeden Preis vermeiden. Meine eigenen Schmerzen schob ich in den Hintergrund und hob sie zurück auf meinen Rücken. Als ihr kalter Atem meinen Nacken traf, blieb ich schockiert auf der Stelle stehen. Schlagartig wurde mir bewusst, was mein Instinkt bereits vorher wusste und warum ich sie nicht liegen lassen konnte. Sie atmete noch! Sie lebte also doch noch. Nach Allem, was ihr widerfahren war. Sofort keimte die Hoffnung wieder in mir auf und ich legte einen Schritt zu. Kalter Schweiß rann meinen Nacken hinunter, als ich die nächsten Schritte tat. Es fühlte sich so an, als seien es meine Letzten. Mein ganzer Körper schrie vor Schmerzen.
Mit schwachen Beinen lehnte ich das Mädchen endlich an die Hauswand des Hauses, wo ich wohnte und kramte nach meinem Schlüssel. Nach endlos erscheinenden Minuten fand ich ihn endlich und schloss die Eingangstür auf. Ich wohnte zum Glück nur im zweiten Stock.
Wieder hob ich das Mädchen auf meinen stark belasteten Rücken und trug sie hinein.
Die Treppenstufen stellten meine ganz persönliche Hölle dar. Keuchend begann ich nach Luft zu schnappen, die mir immer wieder ausblieb. Doch schließlich fand ich mich an meiner Wohnungstür wieder und schloss diese ebenfalls auf. Leicht benebelt und äußerst geschwächt, betrat ich zusammen mit dem halb leblosen Mädchen meine Wohnung. Die Tür schmiss ich hinter mir zu, nachdem ich meinen Schlüssel aus dem Schloss rausgezogen hatte.
Sofort warf ich ihn in das Körbchen, das auf dem kleinen Schränkchen in meinem Flur stand. Ich schaltete zügig das Licht im Flur an und hob das Mädchen auf, um es auf meinem Sofa im Wohnzimmer zu legen. Sie seufzte leise und gequält auf. Verdammt.
Ich suchte ihren sehr zierlichen Körper nach Verletzungen ab, doch ich fand nichts Dergleichen. Nur am Hals blutete die Wunde noch leicht. Sie besaß nun zwei feine Einstichlöcher, die sehr gerötet waren. Narben, die sie auf ewig begleiten würden.
Ich biss meine Zähne zusammen und eilte ins Badezimmer.
Ich säuberte die Wunde und verband sie vorsichtig. Das Mädchen seufzte leise.
Jetzt konnte ich nur noch auf ein Wunder hoffen.
Hoffen darauf, dass sie mich nicht erschlägt, wenn sie aufwachte. Außerdem bedarf es einiger Erklärungen. Ich schluckte wieder, als ich an die Wesen zurück dachte. Gab es sie wirklich? Ich schaute auf das Mädchen hinab. Einbildung war es nicht gewesen. Ich seufzte auf und holte ihr eine wollige Decke. Sie brauchte Schlaf. Genau wie ich. Aber ich fühlte, ich würde ihn nur wage und unzureichend bekommen, wenn überhaupt.
Mit den Gedanken völlig woanders, ging ich zum verdunkelten Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Es war eine ruhige Nacht. Der Wind wehte die vereinzelten Blätter, die herunter gefallen waren, von den Bäumen auf und sie flogen mit ihm.
Ich lehnte mich sachte an die Wand und schaute einfach stumm in die Nacht hinein. Sie war verlockend nah und doch so fern. Während das Mädchen sich auf dem Sofa herumrollte und immer wieder schmerzhafte Seuftzer machte, hantierte ich in der Küche herum. Ich kochte mir schnell einen heißen Tee und setzte mich dann zu ihr, ins Wohnzimmer. Es war zwar klein, aber genau so groß, wie es für zwei Personen ausreichen würde. Ja, zwei Personen. Das Mädchen und ich. Ob sie hier bleiben würde?
Auf jeden Fall würde ich sie nicht einfach wieder nach Hause schicken.
Ihr schwarzer Anzug, der hauteng saß, sah sehr teuer aus. Der weite Kragen fiel locker auf ihre zarten Schultern. Sowie das prachtvolle, dichte Haar von ihr. Es war etwas lockig und tiefschwarz. Ich bewunderte sie schon jetzt. Wie hatte sie es geschafft, doch zu überleben?
Ich schüttelte leicht den Kopf und wandte mich meinem Tee zu. Er war angenehm warm und ein Gefühl der Geborgenheit übernahm die Oberhand. Zufrieden lächelte ich und schaute abermals aus dem Fenster. Wieso ich das genau tat, wusste ich nicht.
Erneut erklang ein schmerzverzerrter, erstickter Laut aus der Kehle des Mädchens. Sie war immer noch am Schlafen, dass sah ich an ihren Augenliedern, die geschlossen waren. Was sie gerade durchleiden musste, sah man ihr direkt an. Das Gesicht war gezeichnet von Schmerz.
Ich stellte meinen geleerten Tee beiseite und deckte das Mädchen wieder zu.
Leise lies ich mich neben das Sofa sacken und beugte mich nach unten. Meine Arme umschlossen meine langen Beine und ich erschauderte, als mich das Angstgefühl wieder überrannte. Meine Stirn hatte ich dabei auf eines meiner Knie abgestützt und begann laut zu schluchzen. Auch wenn ich Schwäche und Weinen über alles hasste, verdrängen konnte ich sie nicht. Meine Tränen waren einfach da und rollten über meine leicht geröteten Wangen. Die Szene im Club schlich sich wieder in mein Gedächtnis und bereitete mir erneut eine Gänsehaut.
Mein Körper zitterte vor Anstrengung. Ich hatte mich und meinen Körper vollkommen überlastet und jetzt bekam ich die Quittung dafür.
Alle Empfindungen des Tages ergossen sich über mich, so dass sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten. Hätte man mich heute Morgen gefragt, ob ich nachher hier verstört sitzen würde, vor Angst zerrissen und vollkommen geschwächt, hätte ich denjenigen ausgelacht. Aber jetzt lagen die Dinge anders.
Ich konnte Ann und Robert nicht mehr ins Gesicht sehen, auch wenn ich wusste, dass sie sich liebten. Sie hatten mich beide betrogen. Alle beide.
Langsam, unmerklich schlossen sich meine schweren Lieder und ich begann in einen dunklen Dämmerzustand zu gleiten. Er umfasste sofort mein ganzes Bewusstsein und ich ließ mich mitziehen. Schlaf war das einzige, was mein Körper in diesen Moment brauchte.
Die Probleme mussten warten.
Doch hätte ich gewusst, was dieser Abend alles anrichten würde, wäre ich im Bett liegen geblieben und hätte mir einen ruhigen Samstagabend gemacht. Ja, hätte, wäre, wenn zählte nicht mehr. Ohne mich noch weiter reinzusteigern, glitt ich in den traumlosen Schlaf.


Dalia




Schmerz. Dieses Wort beschrieb nicht einmal annähernd, was in diesem Moment mit mir passierte. Das Letzte, an das ich mich noch erinnern konnte, war die Tatsache, dass ich mich selbst aufgegeben hatte. Ich hatte ihn gewähren lassen, von mir zu trinken, mich vollkommen auslöschen zu lassen. Doch warum empfand ich dann immer noch diesen nie vergehenden Schmerz? Wieso durchzuckte mich diese Qual, wenn ich auch nur atmete?
Ein einziger Atemzug reichte, um die Schmerzen zu verschlimmern, die nicht nur in meinem Inneren zu toben schienen. Die kalten Hände meines Angreifers, eines sehr alten und mächtigen Vampirs, konnte ich immer noch auf meiner Haut fühlen. Seine Zähne, die mich ganz langsam durchbohrt hatten als wäre ich ein Spielzeug, das noch leiden musste, bevor man es wegschmiss. Ich unterdrückte weitere solche Gedanken und konzentrierte mich auf das Wesentliche. Wo verdammt noch mal war ich jetzt?
Doch mein Gehirn konnte nichts Genaues feststellen. Mir fehlten Unmengen an Blut, das ich durch den Angriff verloren hatte. Aber es war nicht mehr kalt unter meinem Körper.
Ich fühlte eine wohlige Decke und Wärme, als mich jemand sachte berührte. Mensch, durchzuckte es meine Gedanken, als ich das Blut pochen hörte. Die geschmeidigen Schritte ließen darauf schließen, dass es ein junges Mädchen war. Ich horchte auf ihre schnellen und leisen Atemzüge, die mich etwas zu beruhigen schienen. Ihr Herz schlug in einem etwas zu langsamen Rhythmus. Was war mit ihr geschehen?
Wieso hatte sie mich hergebracht?
Fragen schwirrten in meinem Kopf herum und ließen mich nicht in Ruhe. Doch ich brauchte diese Stille um mich herum, um mir klar zu werden, wie ich wieder aus dieser Sache herauskommen konnte. Doch das Wie spielte auch noch eine ganz bestimmte Rolle, die ich nicht vergessen durfte.
Und was dieses Mädchen mit meinem Überleben zu tun hatte, wusste ich auch nicht. Wieder durchzuckten mich die qualvollen Schmerzen. Sie gingen alle vom Hals aus, wo nun ein sehr gutgemachter Verband saß.
Ich schluckte vorsichtig und bemerkte gleich, dass es ein Fehler war. Meine Kehle war in Brand versetzt. Da ein Biss eines Vampirs mir keine Verwandlung einbrachte, dafür aber unheimliche Schmerzen, machte es die Sache nicht besser. Da ich sowieso schon Gene eines Vampirs besaß, war es nutzlos gewesen. Aber er wollte mich ja nicht verwandeln, er wollte mich aussaugen und danach töten. Was er allem Anschein nach doch nicht geschafft hatte. Innerlich schien ich zu grinsen. Es war ein teuflisches Grinsen, eines, das sich nach Rache und Vergeltung sehnte.
Doch trotzdem, ich war nun mein Leben lang gekennzeichnet.
Die Ungewissheit, was mein Leben für einen Wendung genommen hatte, ließ mich erschaudern. Wie hatte ein Mensch das nur schaffen können? Ich war für Menschen nicht gerade leicht, auch wenn ich sehr danach aussah. Meine Haut war unempfindlicher und stabiler als die eines Menschen. Nicht zu vergessen meine Flügel und die sehr schlanken aber sehr ausgeprägten Muskeln. Die Ephramerin waren die schönsten und stärksten Geschöpfe der Nacht. Und doch waren sie den Vampiren unterlegen, die älter waren, als sie selbst.
Sie waren geschickter und schneller. Doch wenn sie sich dem Blutdurst völlig hingaben, waren sie schwach. Sehr schwach und angreifbar. Ich hätte meine Chance nutzen sollen, als ich sie bekam. Doch als er mir seine Zähne in den Hals schlug, war es bereits zu spät gewesen. Zu spät, um noch einzugreifen.
Durch meinen Körper wallte wieder ein unberechenbarer Schmerzanfall und ich keuchte laut auf. Mir war klar, dass ich den Menschen töten müsste, der sich jetzt bei mir aufhielt. Wenigstens hatte ich meine Flügel eingezogen. Dennoch musste sie sterben. Wahrscheinlich hatte sie mit angesehen, was er mir angetan hatte. Ich musste schnell handeln, um das Wissen von ihr zu löschen. Sie auszulöschen.
Doch dann berührten mich wieder diese Wärme schenkenden Hände und wischten mir den Schweiß von der Stirn. Mein Atem beruhigte sich augenblicklich. Meine Augenlieder flatterten. Ich wollte sie sehen. Die Hände entzogen sich und berührten die Decke, die über mir lag.
Ich zwang meine müden Augen dazu, sich zu öffnen. Und sie taten es nach mehreren Versuchen. Ich befand mich in einem verdunkelten Raum. Alles war schlicht eingerichtet. Durch die Vorhänge schien die lang vermisste Sonne.
Dann sah ich das Menschlein über mir an. Ihre braunen, etwas gelockten Haare fielen ihr sanft über die Schulter. Sie besaß ein schmales Kinn und hohe Wangenknochen, die sie unheimlich niedlich machten. Dabei fielen mir ihre eindringlichen, blauen Augen auf. Sie musterte mich besorgt und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Als ich ihren Duft aufnahm, traf mich der Schlag. Ich hatte schon lange kein Blut mehr zu mir genommen, schon gar nicht nach diesem Angriff. Eine auf mir unbekannte Art und Weise, wollte ich dieses Mädchen schützen, mit meinem eigenen Leben.
Ich schluckte hart auf. Es war schwer mich in ihrer Nähe zu konzentrieren, wenn ihr Blut so nah und erreichbar für mich war. Doch plötzlich durchdrang eine sanfte Stimme mein Unterbewusstsein und ich wusste, dass sie es war, die zu mir gesprochen hatte.
Erneut hob sie die Stimme um zu sprechen. „Wie geht es dir?“, fragte sie vorsichtig.
Ich runzelte die Stirn, als die Angst in ihren Augen aufblitzte.
Ihre Empfindungen strömten auf mich ein wie ein Feuerwerk, das gerade entfacht worden war. Meine Augen weiteten sich. Verdammt.
Sie hatte mich gerettet. Einen gefallen Engel, der aus seiner eigenen Heimat verdrängt worden war. Aus einer Heimat, die ich nie wieder betreten wollte. Ich hatte kein Zuhause mehr.
Ich müsste tot sein, lag aber hier auf ihrer Couch inmitten von wolligen Decken umschlungen. Ich schluckte erneut und blickte in ihre blauen Augen.
„Wo bin ich?“, fragte ich mit sehr angeschlagener, rauer Stimme.
Sie schüttelte sachte ihren Kopf und streichelte meine Wange. „Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun können. Der-der Mann...“, sie fing an zu stottern, „E-Er hatte dich gebissen und du warst eigentlich Tod und ich-ich“, ihre Stimme brach erneut ab. „Ich habe dich zu mir nach Hause gebracht“, beendete sie den Satz schließlich.
Schock durchfuhr meine Adern. Sie hatte mich sterben sehen. Doch wie hatte ich dann überleben können, wenn ich schon gestorben war? Durch den Biss hätte es nicht sein können, da ich mich dadurch einfach nicht verwandeln kann.
Aber was war es dann?
„Wie geht es dir jetzt?“, fragte sie wieder, mit gesenkter Stimme. Besorgnis schlich sich in ihre blauen Augen. Ich senkte meinen Blick und schaute mich in ihrer Wohnung um.
Dabei schweifte mein Blick immer zu ihr. „Es ging schon mal besser“, antwortete ich knapp.
Meine Stimme war immer noch sehr rau und gebrochen.
„Das tut mir leid“, flüsterte sie und kaute auf ihren Nägeln herum, während sie abermals zum Fenster schaute. War es eine Angewohnheit?
„Schon gut“, sagte ich gepresst und entwickelte mich aus den Decken. Sie ließ mich gewähren und trat ein paar Schritte zurück, um sich auf das andere Sofa im Raum fallen zu lassen. Ich war ihr dafür sehr dankbar.
Als ich mich aufrecht hinsetzte, befühlte ich meinen Hals. Er war tatsächlich eingebunden, sauber und ordentlich in einen Verband gepackt.
Ich sah fragend zu ihr und sie bemerkte es sogleich. Ein Lächeln zauberte sich auf ihren vollen Lippen. „Ich studiere Biologie“, murmelte sie nachdenklich.
Na dann, war ja alles klar.
„Danke“, sagte ich leise. Dieses Wort kam nur sehr selten über meine Lippen und ich meinte es mehr als aufrichtig. Sie tat es mit einem Nicken ab und wandte sich abermals zu dem Fenster. Irgendetwas schien sie zu beunruhigen. Ihre Gefühle waren mehr als verwirrend.
Mit einem Bein wippte sie immer wieder auf der gleichen Stelle, was alle Menschen taten, wenn sie nervös wurden oder nicht still sitzen konnten Dies war wohl auch so ein Exemplar vor mir. „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“, fragte sie mich plötzlich.
Ich sah sie fragend an. „Dalia.“
„Wow. Ein schöner Name“, sagte sie fröhlich und schenkte mir erneut ein Lächeln, das ich zaghaft erwiderte.
„Ich heiße Cecilia. Aber nenn mich bitte einfach Celia. Das ist kürzer und praktischer“, sagte Celia. Sie hatte endlich aufgehört auf ihren Nägeln herumzukauen.
Erleichtert stellte ich fest, dass meine Schmerzen langsam nachließen.
Sie bemerkte sofort meine Erleichterung und kam zu mir herüber uns setzte sich neben ich, auf die zusammen geschobenen Decken. Zaghaft lächelte sie.
„Was hattest du in der Gasse verloren?“, fragte ich Celia mit einem tadelnden Blick.
Sie seufzte. „Das ist eine sehr lange Geschichte.“
„Ich höre“, sagte ich auffordernd und sah zu ihr auf. Sie sah mich noch einen Augenblick lang an, doch änderte ihre Position schnell.
Celia stand auf und setzte sich wieder auf das Sofa, wo sie ihren Kopf in die Hände fallen ließ. Mit geweiteten Augen sah ich ihr dabei zu, wie sie anfing zu schluchzen.
„E-es begann alles gestern“, fing sie leise stotternd an. Ihre Stimme war von Trauer erschaudert. „Meine damalige beste Freundin“, sie stockte kurz und holte tief Luft. Celia sah wieder zu mir auf und ließ die Hände in ihren schmalen Schoß sinken. Ihre Augen waren leer. „Hatte mich gestern angerufen, um mal wieder ein bisschen zu entspannen. Bei uns hieß das soviel wie, einfach abzufeiern. Natürlich schöpfte ich keinen Verdacht, als sie nach meinem festen Freund fragte“, sie stoppte wieder kurz und sah zu Boden. „Als wir dann dort waren, verging einige Zeit die ich mit einem anderen vertrieb, den ich eigentlich gar nicht kannte. Na ja, als ich sie dann in der Toilette verschwinden sah, bin ich hinterher. Und dann“, sagte sie und richtete ihren Blick wieder auf mich, der so voller Hass war, dass ich leicht zusammenzuckte, was bei mir schon sehr selten passierte. Dieser Blick war so intensiv und fesselnd, dass selbst ich ein bisschen Angst bekam.
„sah ich die beiden. Robert, mein Freund, lag auf ihr. Sie knutschten wild miteinander rum. Erst bemerkten sie mich gar nicht. Ich konnte einfach nichts sagen. Doch als Ann dann ihren Blick hob, sah sie mich. Den Rest kannst du dir sicher denken“, sagte sie mit angespannter Stimme. Ich seufzte.
„Und wie bist du in die Gasse gekommen? Was hast du genau sehen können?“, hakte ich weiter nach und schlug aus reiner Gewohnheit meine Beine übereinander.
Es verging einige Zeit, während sie nachdachte. Dann endlich antwortete sie auf meine Fragen.
„Ich weiß es selber nicht mehr genau, wieso ich dahin gegangen war. Als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, war ich schon dort. Ich ging immer weiter, bis ich eine Stimme hörte. Deine Stimme, Dalia.“
Ich erschauderte. Dabei hatte ich alles dran gesetzt, mich leise zu verhalten, keine Schwäche zu zeigen. Ich seufzte erneut und senkte meinen Blick.
Cecilia sprach weiter:„Ich hatte erst nicht viel erkennen können, doch dein Wimmern war nicht zu überhören. Ich hatte mich versteckt, irgendetwas hielt mich zurück, dass ich nicht genau dann einschreiten sollte. Dieser Instinkt hat uns beiden das Leben gerettet“, ihre Stimme brach und ich schaute auf. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt.
Man, sie hatte echt Stimmungsschwankungen.
Trotzdem durchzuckte mich Freude, wie ein Blitz, der auf ein Feld einschlug. „Danke“, hauchte ich leise. Eine kleine Pause entstand zwischen uns beiden und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis wieder Celias Stimme die Stille durchbrach.
„Warum hat er dein Blut getrunken? Ist er ein Monster?“, fragte sie kindlich. Ihre Angst war nicht zu überhören. Ich ließ mich zurück in das Sofa fallen und sah sie ununterbrochen an.
„Es gibt Dinge, die du nicht hättest erfahren dürfen. Aber du hast mich gerettet. Du weißt gar nicht, was es für uns beide bedeutet. Du hast mich ins Leben zurückgeholt, Celia. Ich werde nun für immer an deiner Seite sein.“
Meine Stimme klang sehr sanft und doch ernst. Ihre Augen leuchteten auf und sie begann erneut mit ihren Beinen an zu wippen.
„Das heißt also, du bleibst?“
Ich zog eine Augenbraue hoch und musterte sie. „Natürlich“, sagte ich schließlich. Was hatte sie anderes erwartet? Ihr Lächeln wurde breiter.
„Aber bevor wir weiter reden, musst du unbedingt über mich bescheid wissen. Über meinen Angreifer und was noch so alles anfällt“, sagte ich leise. Auch wenn es mir widerstrebte, sie einzuweihen, konnte ich sie nicht länger im Ungewissen lassen.
Sie nickte nur zaghaft als Antwort und wartete.
Ich straffte meine Schultern und sah sie eindringlich an. „Es ist schwer, das alles in eine Kurzversion zu packen, da wir nicht viel Zeit haben werden, bis sie mitkriegen, was mit mir passiert ist.“
„Sie?“, fragte Celia mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich nickte.
„Meine Angreifer waren Vampire. Diejenigen, die nach Blut gieren und sich in ein Monster verwandeln, wenn sie wirklich welches zwischen ihre Reißzähne bekommen. Sie saugen alles aus, was einen Puls besitzt, Celia“, sagte ich mit ernster Stimme.
„Nur das es bei mir, ein klein wenig anders ist“, fügte ich leiser hinzu, als gewollt.
Sie sah mich durchaus fragend an, was mir bewusst war. Würde sie Angst haben?
Ich schluckte und sah sie mit gefestigtem Blick an, den sie stumm erwiderte.
„Was ist so anders?“, murmelte sie neugierig.
„Ich bin auch kein Mensch, Celia. Ich fühle mich zwar so an wie einer, dennoch bin ich vollkommen anders. Sogar anders, als Vampire.“
„Was bist du dann?“
„Eine Ephramerin.“
„Was soll das schon wieder sein?“, fragte sie mich mit der Stirn gerunzelt.
Ich seufzte.
„Ich sagte doch, es ist schwer zu erklären…“
Sie wartete stumm auf meine Antwort.
Ich wich ihrem Blick aus und suchte die Wohnung ab, nur um Zeit zu schinden, was sie gleich bemerkte.
„Na komm schon! Ich werde schon nicht Hals über Kopf aus der Wohnung rennen.“
Ich seufzte. „Nein, die Zeit ist noch nicht gekommen“, erwiderte ich knapp und sah sie wieder direkt an. Cecilia erwiderte meinen Blick genervt, dennoch merkte ich an ihren Gefühlen, die mich durchzuckten wie Blitze, dass sie es auch gar nicht wissen wollte. Noch nicht.
„Na gut“, sagte sie ergeben. „Dann ist es eben noch nicht soweit.“ Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht und ich erwiderte es zaghaft.
Sie war noch nicht so weit, dass sie gleich alles erfahren musste. Es war schwer, die Welt, die Menschen bewohnten, richtig zu verstehen. Sie wusste nicht, was wirklich alles dahinter steckte, was ich damit zu tun hatte. Ob sie mich hassen würde, wenn sie es erfuhr?
Ich wollte gar nicht daran denken.


3. Wahrheit

Dalia



Nach unserem nicht allzu viel bedeutenden Gespräch, legte sich Cecilia schlafen.
Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde, ihr die Wahrheit zu erzählen. Ob sie mir glauben würde? Augenblicklich schüttelte ich den Kopf. Natürlich würde sie mir jedes einzelne Detail in meinem Leben abkaufen. Ihr Geist war für mich erreichbar. Nachdem sie mich gerettet hatte, vor meinen eigenen Tod, wurde unser Schicksal besiegelt.
Ich, eine seltene Ephramerin, würde einem Menschen bedingungslos lieben können. So lieben, wie eine Mutter es für ihr Kind täte. Lieben, als sei sie der einzige Mensch auf der Welt. Ja, ich würde nur noch sie lieben können. Mein Herz war dazu verpflichtet.
Ich sah sie als meine beste Freundin, als Schwester. Seufzend stand ich mich von ihrem dunkelgrauen Sofa auf und tigerte im Wohnzimmer auf und ab.
Würde sie mich so akzeptieren, wie ich war?
Die Wahrheit würde sie eh irgendwann herausfinden, wenn auch für mich ungewollt. Ich wollte nicht, dass sie mich abstieß, wenn sie es erfuhr. Mich liegen ließ, wie der unausstehliche Vampir es mit mir gemacht hatte. In der Gosse, beschmutzt und leblos.
Meine Zunge schnalzte fast automatisch, als ich an ihn zurückdenken musste. Er trug sein Blut in mir. Dies bedeutete nichts Gutes. Er hatte nun, bis das Blut ganz aufgehört hatte in seinem Organismus zu kreisen, wenn er denn einen besaß, unermessliche Kraft in sich.
Nur war dieser Idiot nicht auf die Idee gekommen, dass ein Menschenmädchen mich retten konnte. Nur wie sie es getan hatte, wusste ich nicht. Die Erinnerungen waren verschwommen und nahmen mir die Sicht.
Erneut seufzte ich und ließ mich auf das Sofa gleiten. Es gab sofort unter mir nach.
Der Vampir hatte nicht gerechnet, dass ich noch leben würde, nach seinem Angriff. Die anderen schienen nicht gerade abgeneigt gewesen zu sein, auch mal von mir zu kosten, bis ich denn völlig starb. Nur war ich nicht tot. Ich saß hier, in einer Wohnung meiner Retterin. Mein Körper hatte wieder genug Blut in sich, das ich problemlos auf Jagd gehen konnte. Nur wollte ich es auch? Ich sah zur verschlossenen Tür, wo sich jetzt Cecilia befand.
Mein Entschluss stand fest. Ich wollte sie auch vor mir beschützen. Auch wenn ich kein Monster war, ich brauchte Blut um überleben zu können. Es war unausweichlich.
Somit stieß ich mich vom Sofa ab und zog mir meine hohen Stiefel an. Ich hatte keine anderen Sachen dabei, die waren alle noch in meiner alten Wohnung. Leise nahm ich mir den Schlüssel der Wohnung und machte die Tür auf. Erneut blickte ich zurück zu der verschlossenen Tür, wo Cecilia beruhigt schlief.
Ja, ich liebte sie so sehr, wie eine Mutter ihr Kind. Zaghaft schloss ich die Tür hinter mir und verließ das Apartment. Meine geschmeidigen Bewegungen waren leise und elegant, wie die einer Katze. Ich wusste es würde schwerer für mich werden, da es schon Morgens war. Mit langsamen Schritten ging ich zu den weniger Bewohnten Zirkel der Stadt. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und kitzelte mir auf der Haut. Wieder ein Beweis dafür, dass ich unbedingt Blut brauchte. Meine etwas verlängerten Reißzähne trafen auf meine Unterlippe und hinterließen eine saure Blutspur. Ich leckte es angewidert ab. Das neu entstandene Blut war nicht besonders kostbar für mich, da es mein Eigenes war.
Meine Schritte wurden schneller, je näher ich meinem Ziel kam. Je schneller, desto besser war es auch. Ich gab mich mit dem erst besten Häufchenelend zufrieden. Ich würde ihn nicht töten, denn soviel Blut brauchte ich nicht. Nur das Nötigste, um Cecilia hinterher nicht anfallen zu müssen. Es war ein junger Mann zusammen mit dem Hund unterwegs. Ich lächelte ihn zaghaft an. Die Töle kläffte laut, als sie mich sah. Ja, besonders Tiere bemerkten, was wir wirklich waren. Komisch, aber wahr.

Der Besitzer des Hundes wies dem Hund an, still zu sein und lächelte mich verlegen an. Mein Lächeln wurde breiter und ich marschierte elegant auf ihn zu.
Natürlich musterte er mich sofort. Ich wusste, dass ihm insgeheim gefiel, was er sah. Mein verstand sagte mir, ich sollte dies lieber nicht tun, aber mein Körper verlangte danach. Meine Genesung war erst an abgeschlossen, wenn ich frisches Blut zu mir genommen hatte.
Als ich nur noch einen Schritt von meinem Ziel entfernt war, war sogar die Töle leise.
Sie bemerkte meine kraftvolle Präsenz und winselte leise. Der Mann sah zu mir herunter.
Hatte ich schon mal angedeutet, dass ich etwas kleinwüchsig war? Nun ja, dann wäre diese Frage auch geklärt. Ich war eineinhalb Köpfe kleiner als der Mann vor mir, der mich verstohlen angrinste, als hätte er den Hauptgewinn gezogen. Seine braunen, wirren Haare umspielten sein freundlich wirkendes Gesicht. Die blauen Augen von ihm, musterten mich unentwegt.
Der Wind nahm etwas an stärke zu und wehte mir die schwarzen Haare über die Schulter.
Ich schluckte und sah ihn kokett an. Ich musste meinen Charme spielen lassen, wenn ich das bekommen wollte, was ich brauchte. Sein Blut. Das Elixier meines Lebens.
„Brauchst du Hilfe?“, fragte der junge Mann mich. Der Hund winselte erneut leise und zog den Schwanz ein.
Ich legte meinen Kopf leicht schräg und tat so, als ob ich nachdenken müsste.
„Ja, es wäre zu lieb, wenn du mir behilflich wärest“, antwortete ich zuckersüß und klimperte einmal mit meinen Wimpern. Er wusste ja gar nicht, wie sehr er mir behilflich wäre.
Das Grinsen des Mannes wurde breiter. Es war jedes Mal dasselbe. Innerlich seufzend wies ich dem jungen Mann freundlich auf die kleine Gasse zu, aus der ich gekommen war. Erst beäugte er mich verwirrt, nickte aber. Schnell band er den Hund an eine der vielen Laternen an und folgte mir. Ich musste hundertprozentig bei der Sache sein, wenn ich ihn nicht töten wollte. Als wir an der Gasse angekommen waren, drehte ich mich zu schnell für die Augen eines Menschen um und drückte ihn mit meiner restlichen Kraft zu mir herunter. Sein Körper gab nach und tat, was ich verlangte. Der Mann sah erstaunt zu mir herunter und ich ließ ein breites Lächeln auf meine Lippen zaubern.
Mein Atem streifte seinen empfindlichen Hals und ließ ihn erschaudern. Menschen reagierten besonders auf uns, da wir eine unvorstellbare Schönheit ausstrahlten. Nicht nur äußerlich.
Mein Lächeln erlosch, als ich seine braunen, wirr gestylten Haare beiseite schob und in seinen empfindlichen Hals biss. Er schluckte laut und seine Augenlieder flatterten leicht, als er sah, was ich gerade tat. Die warme Flüssigkeit rann meiner Kehle hinab und ließ mich erschaudern. Es war jedes Mal unvorstellbar köstlich, wenn ich menschliches Blut trank. Auch, wenn es für mich verboten war.
Der stöhnte laut auf und ließ mich gewähren. Es war immer wieder aufs Neue erleichternd, die kostbare Flüssigkeit in mir aufzunehmen. Mit jedem Schluck, fühlte ich mit lebendiger. Der junge Mann lächelte leicht, als er in Ohnmacht fiel. Auch für die Menschen war es ein besonderes Gefühl, wenn ein Vampir, in diesem Fall eine Ephramerin, von ihm trank. Es setzte die Hormone wieder in Gang und diese Menschen wurden dann von Glückswellen überschwemmt werden.
Doch nach ein paar Schlücken ließ ich wieder von ihm ab und der junge Mann fiel auf den staubigen Boden. Ich seufzte leicht auf und streichelte über seinen Kopf. Als ich eine empfindliche Stelle seines Kopfes ausfindig gemacht hatte, löschte ich seine Erinnerungen an meiner schrecklichen Tat. Für mich würde es niemals leicht werden, zu vergessen, dass ich so was tun musste.
Er könnte sich nicht erinnern, was zu diesem Zeitpunkt gemacht hatte. Auch ich hatte versucht, mir selbst die Erinnerungen zu nehmen, was aber kläglich scheiterte. Ich wollte nicht an meine Vergangenheit zurück denken. Kopfschüttelnd sah ich auf den schlafenden Mann hinab. Als ich ihn, neu gestärkt, vom Boden aufhob und zu seinem Hund zurück brachte, winselte dieser leise. Ich setzte ihn genau an die Laterne,
wo sein Rücken dagegen lehnte. Meine Hand schnellte zu dem blöden Köter, der beinahe meine Tour vermasselt hätte und ich erwischte ihn am Hinterkopf. Dieser sackte auf den Schoß seines Herrchens zusammen. Beide würden aufwachen und nicht wissen, was passiert war. Ich schaute mich prüfend in der Umgebung um.
Es war, als ob ich beobachtet werden würde. Dieses Gefühl bescherte mir einen saftigen Tritt in den Magen. Ich würgte immer wieder. Mein Instinkt zwang mich, diesen Ort zu verlassen.
Ich nahm den Weg wieder auf und ließ die beiden nichtsahnenden Lebewesen zurück. Mein Magen beschwerte sich erneut und ließ mich würgen. Blut entwich aus meinem Mundwinkel. Ich wusste, dass mein Körper das Blut abstieß. Nur wieso, war mir schleierhaft. Was hatte dies zu bedeuten?
Ich legte meine Stirn in Falten und hing ganz meinen Gedanken nach. Es war mir egal, ob mich jemand sah. Auch wenn ich vorsichtig sein musste, dass keiner der Ephramerin mich auch nur bemerkte, es war mir vollkommen egal. Ich war in Gedanken ganz bei Cecilia angekommen. Hatte sie bemerkt, dass ich verschwunden war?
Bei diesem Gedanken beschleunigten sich meine Schritte unaufhaltsam. Ich wollte zu ihr, ob sie nun schlief oder nicht. Aber meine Gedanken fuhren Achterbahn. Ich wusste nicht, was ich wegen dem Blut machen sollte, dass mir aus dem Mund lief. Immer wieder tröpfelte es mir auf meinen schwarzen Anzug. Ich wusste nicht, wie ich Cecilia von mir erzählen sollte. Wie ich ihr sagen sollte, was aus ihr nun werden würde. Entweder begleitete sie mich, oder blieb dort, wo sie war. Akzeptieren oder wegstoßen, war das Einzige was wirklich Infrage kam.
Seufzend wandte ich den Blick wieder auf die Straße. Die Bäume raschelten leicht unter dem tosenden Wind, der an mir vorbei huschte. Er blies mir die Haare aus dem Gesicht und ließ mich erschaudern. Am Morgen war es kälter, als ich zunächst angenommen hatte.
Als ich die bekannte Straße vernahm, ging es mir gleich ein wenig besser. Ich würde es vor Cecilia geheim halten, dass ich fort war. Zumindest noch.
Ich war noch nie gut darin, meine Gefühle offen zu zeigen. Schon gar nicht vor einem Menschen. Alles brodelte unter der Oberfläche und war für andere unerreichbar.
Ich stieß einen leisen Fluch aus, als ich den Eingang des Hauses verwechselt hatte. Hier sah alles so ähnlich aus. Mein Magen rumorte abermals auf und ließ mich zusammen zucken. Blut tropfte erneut aus einem meiner Mundwinkel.
Ich riss mich zusammen und stapfte zu der Wohnungstür im zweiten Stock. Drinnen war immer noch alles verdunkelt. Durch die dicken Vorhänge schien kein Licht.
Leise zog ich meine hohen Absatzstiefel aus und stellte sie in eine Ecke. Bestrumpft ging ich zu jedem Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Die Sonne strahlte genüsslich hinein und tauchte die Wohnung in ein berauschendes Licht.
Hinter mir vernahm ich leise Schritte und drehte mich um. Eine lächelnde Cecilia stand vor mir, ihre Arme hatte sie hinter dem Rücken verschränkt. „Guten Morgen“, sagte sie leicht verschlafen und rieb sich mit einem Arm die Augen. Ein Lächeln trat auf meine Lippen.
„Gut geschlafen?“, fragte ich sie mit ehrlichem Interesse.
„So gut, wie es eben ging. Nachdem was gestern passiert ist, konnte ich kaum schlafen.“
Ich seufzte leise. „Willst du was essen?“, fragte ich sie und drehte mich zu der Küche um, in der wir uns gerade befanden. „Klar.“
Mein Lächeln wurde breiter, was sie nicht sah. Sie wusste nicht, dass ich mich endlich voll fühlte. Verstanden und geliebt. Wie noch nie in meinem Leben.
Mit übermenschlicher Geschwindigkeit holte ich alle Zutaten für ein richtiges Omelett heraus. Ich bemerkte, wie Cecilia sich an den Küchentisch gesetzt hatte und mir staunend dabei zusah. Schon nach ein paar Minuten hatte ich ein köstliches Omelett gezaubert und präsentierte es Cecilia. Ihre Augen weiteten sich, als sie es sah. Vorsichtig stellte ich den Teller voller Essen auf den Küchentisch und machte mich daran, ihren morgendlichen Kaffee zu kochen.
„Du solltest in einer Kochshow teilnehmen. Das ist echt super!“, sagte sie fröhlich.
Ich kicherte leise. Währenddessen sie aß, putzte ich die etwas eingestaubte Küche.
Ihre ganze Wohnung war etwas unordentlich, aber trotzdem heimisch eingerichtet. Ich hatte mich gleich im ersten Moment wohl gefühlt. Ihr Duft hing an all den Möbeln, die sie besaß.
Es machte diesen Ort fast magisch.
Als Cecilia fertig war, stellte sie den Teller in die Spüle und musterte mich.
Wir sahen uns eine Weile einfach in die Augen und schwiegen uns an. Es war kein unbehagliches Schweigen. Ein grinsen trat auf ihre Lippen.
„Ich will morgen nicht wieder zur Universität“, sagte sie schließlich und brach somit das Schweigen. Mit einer Augenbraue hochgezogen, spülte ich den Teller ab.
„Wieso? Was ist denn so schlimm daran?“
„Na, Robert und Ann“, half sie mir auf die Sprünge und ich zuckte zusammen, ließ sogar den Teller zurück in die Spüle fallen. Das Poltern hallte im ganzen Raum wider.
„Ich habe extra das Telefon ausgestellt, damit sie mich nicht andauernd anrufen können“, fügte sie hinzu. Ich drehte mich langsam um und sah in das besorgte Gesicht von Cecilia.
Sie saß immer noch am Küchentisch und sah zu mir auf, mit leicht verzogenen Mundwinkeln und trüben Blick.
Ein kleiner Seuftzer entwich aus meiner Kehle und ich setzte mich genau gegenüber von ihr.
„Soll ich dich begleiten?“, fragte ich sie schließlich. Ihre Augen weiteten sich.
„Ich weiß nicht so recht. Du kommst bestimmt nicht einfach so herein, da du nicht einmal mehr angemeldet bist.“
„Lass das mal meine Sorge sein“, sagte ich genervt.
Sie beließ es dabei und die fast vergessene Besorgnis glitzerte in ihren Augen auf. Wieder öffnete sie mir ungewollt ihre Gefühle. Sie strömten auf mich ein überrannten mich fast, wäre ich nicht darauf vorbereitet gewesen. Die Traurigkeit in ihr gewann die Oberhand.
Langsam stand ich auf und beugte mich zu ihr herab. Meine Hand strich über ihre warme Wange. „Wir werden das schaffen“, flüsterte ich zu ihr. Sie nickte nur stumm.
Es war immer wieder eine Ehre für mich, wenn sie mir ihre Gefühle offenbarte. Auch wenn sie es nicht einmal mehr wusste, dass sie es tat. Irgendwann müsste ich sie wohl darauf ansprechen.
Sie gab sich einen Ruck und stand auf und zusammen gingen wir ins Wohnzimmer. Sie fläzte sich sofort aufs Sofa und kuschelte sich in die vielen Kissen. Ich setzte mich zu ihr. Cecilia nahm die Fernbedienung in die Hand und schaltete achtlos den Fernseher ein. Dabei zappte sie immer wieder durch die Kanäle, um etwas Geeignetes zu finden, was sie anscheinend spannend fand. Sie blieb bei den Nachrichten hängen und schaute stumm zum Fernseher.
Unentwegt schaute ich ihr dabei zu. Sie faszinierte mich immer wieder. Ihre Bewegungen waren so zaghaft und doch gewollt. Sie stand auf und sah zu mir herunter. „Willst du auch welche?“
Ich blinzelte. „Bitte, was?“
„Ich wollte Chips holen“, sagte sie erstaunt über mein Gesicht. Dann lächelte sie liebevoll.
„Eh, klar.“
„Supi!“, rief sie beim Gehen. Merkwürdiger Mensch, schoss es mir gleich durch die Gedanken und ließen mich schmunzeln.
Schon nach ein paar Sekunden kam sie mit zwei Tüten zurück und schmiss mir eine auf den Schoß. „Bitte schön“, sagte sie fröhlich und riss ihre Tüte auf, um eine Handvoll in ihren Mund zu stopfen.
„Danke“, murmelte ich. Es war nicht so, dass ich Menschenessen nicht mochte - ganz im Gegenteil. Nur leider sagte mir mein Magen im Moment etwas anderes. Ich würgte erneut.
Cecilia bemerkte meine Stimmung nicht, sie sah entspannt zum Fernseher. Lachte auch öfters.
„Bin mal eben weg“, sagte ich schnell und stand auf.
Sie sagte nichts dazu und nickte nur.
Mit schnellen Schritten ging ich ins Badezimmer, direkt zum Waschbecken. Weiter kam ich nicht. Ein Blutschwall drückte sich an die Oberfläche und ich würgte erneut. Das Blut was ich vorhin zu mir genommen hatte, brach mit einem Schwall aus mir heraus und lief meine Mundwinkel herunter.
Ich konnte gerade so noch ein schmerzhaftes Stöhnen unterdrücken. Es hätte Cecilia nur noch mehr Sorgen bereitet. Wieder zog sich mein Magen zusammen und ließ mich erschaudern. Das Blut kroch erneut zu meiner Mundhöhle hoch und ich stürzte mich wieder über das Waschbecken. Mein Körper zitterte unaufhaltsam und ich umklammerte mit meinen Händen den zierlichen Rand des Waschbeckens. Überall lag das Blut verteilt und ich musste meine Augen zusammenkneifen, um bei Beherrschung zu bleiben. Ich konnte meine Gedanken nicht mehr ordnen. Wieder wurde ich mit dem Gefühl der Übelkeit überrannt. Nach gefühlten Stunden hörte es so langsam auf. Ich wischte das Blut vom meinen Mundwinkel und schaute mich im Spiegel an. Meine Haut war geschwächt, war sogar blasser geworden als sonst. Meine schwarzen, etwas gelockten Haare glänzten in ihrer ganzen Pracht. Nur mein Gesicht sah mitgenommen aus.
Ich rümpfte angewidert meine kleine Nase, die perfekt zu meinem schmalen Kinn und den hohen Wangenknochen passte, als ich das Chaos unter mir vernahm. Schnell wischte ich alles mit Wasser ab und trocknete das Waschbecken mit einem weißen Handtuch und schmiss dies sofort weg. Erschöpft strich ich mir die Haare aus dem Gesicht. Als ich zurück ins Wohnzimmer ging, schaute Cecilia mich fröhlich an.
„Da bist du ja wieder“, sagte sie lächelnd. Innerlich seufzte ich erleichtert auf. Sie hatte nicht mitbekommen, was im Badezimmer passiert war.
Ich zwang mich auch zu einem Lächeln. „Sorry.“
Somit klang der Tag langsam aus und es wurde abends. Wir vertrieben uns die Zeit mit sinnlosen Gesprächen, die ich trotzdem voller Interesse vernahm. Sie hatte mir etwas von ihrer Familie erzählt. Von ihrem etwas stürmischen Dad, der sie immer zur Weißglut getrieben hatte. Sie erzählte mir von ihrem Hund, den sie mit sechzehn bekommen hatte. Erst hatte sie sich total auf ihr gefreut, aber als sie ihn das erste Mal sah, fand sie ihn schon schrecklich. Sie hatte sich einen großen Hund gewünscht und nicht die kleine Ratte, so wie sie ihn genannt hatte. Dabei musste ich immer wieder anfangen zu lachen.
Mein Magen hatte sich endlich beruhigt und ich konnte den Abend vollkommen genießen.
Es war ein komisches Gefühl, dass mich immer wieder heimsuchte. Reiner Instinkt zwang mich öfters dazu, einfach mal so aus dem Fenster zu schauen. Als ob mich etwas anzog.
Doch ich schüttelte dieses Gefühl meistens ab und konzentrierte mich auf Cecilia, die mir immer mehr von sich erzählte. Sie vertiefte ihre Vergangenheit weiter, als sie von ihren Geschwistern erzählte, die nichts aus ihrem Leben gemacht hatten. Sie war mit sechzehn schon dreifache Tante gewesen. Sie hatte sogar eine Zwillingsschwester, Catherine, die irgendwo anders hingezogen war, um nicht mehr bei ihren Geschwistern zu sein. In all der Zeit hatte sie eine tiefe Freundschaft zu einem Mädchen aufgebaut. Doch auch sie ging von Cecilia, als sie mit achtzehn Jahren, an einem Autounfall, verstarb.
„Und jetzt bist du an der Reihe.“
Erwartungsvoll blicke sie mir in die Augen und musterte meine Gesichtszüge. Irgendetwas ließ sie aufseufzten und sie lehnte sich erschöpft nach hinten in die Kissen.


Cecilia




Ich verstand nicht, wieso Dalia immer wieder ein komisches Gesicht zog, wenn ich mehr von ihr wissen wollte, wieso sie sich vor mir verschloss. Dabei fühlte ich mich sowieso schon unnötig einsam und verlassen. Angespannt saß Dalia gegenüber von mir und musterte mich, als ob sie abwägen würde, es mir jetzt zu erzählen. Ich sah in ihren Augen Verwirrung und Schmerz.
Nach gefühlten Stunden brach sie endlich die Stille zwischen uns.
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagte sie und sah mich weiterhin flehend an.
Ich erwiderte ihren Blick liebevoll. Als ich nichts dazu sagte, fuhr sie fort.
„Gestern hatte ich dir ja schon einiges erzählt…“
Ich nickte und wartete geduldig ab. Meine Hände zitterte etwas, was Dalia sofort auffiel. Gefühlvoll beugte sie sich etwas nach vorne und legte ihre zierlichen Hände in meine,
dabei sah sie mir aufrichtig in die Augen. Sie schluckte laut und sah auf unsere verschränkten Hände.
„Bitte, erzähl mir mehr“, bat ich vorsichtig, fast bettelnd und zog einen Schmollmund.
„Die Ephramerin sind eine Art Engel. Sie wurden nicht erschaffen, so wie die Vampire, sondern sind geboren worden. Alles begann mit einem Uralten Vampir, der aller erste seiner Spezies. Engel gab es schon viel vorher auf der Welt. Aber als dieser Vampir dann auf ‚seinen’ Engel traf, war es Liebe auf den ersten Blick.“
Sie schnaubte verächtlich. Ohne auf mein Schnauben zu achten, fuhr sie fort.
„Die Engelsfrau hatte sich erst gegen diese Liebe gewehrt, so erzählte man es sich. Aber sie unterlag ihren Gefühlen für ihn und akzeptierte ihr Schicksal. Nach ein paar Jahren aber, wurden sie beschenkt. Ein Kind war geboren, was alle für unmöglich hielten. Doch es kam mit weißen Flügeln und blasser Haut zur Welt. Die beiden hatten nicht aufgepasst, was die Gebote und Regeln in unserer Welt betraf. Der Vampir war ‚eigentlich’ zeugungsunfähig, zumindest bei Menschen“, sagte sie mit einem verächtlichen Unterton.
„Dieses kleine Wesen war halb Vampir, halb Engel. Die Ephramerin wurden geboren.“
Sie seufzte leise und schloss die Augen.
„Auch wenn Vampire eigentlich keine Liebe oder Vertrauen empfinden können, da sie seelenlose Blutsauger sind, liegt es in der Kraft der Gefährtinnen, sie zu zähmen und das ewige Blutvergießen zu stoppen. Die Engel machten es sich zur Aufgabe, die abtrünnigen Vampire zu unterjochen und sie auf ihre Seite zu ziehen.“
Unter ihren anklagenden Worten zuckte ich kaum merklich zusammen. Natürlich verstand ich, wieso sie so darüber dachte. Immerhin wäre sie wegen einem Vampir beinahe gestorben.
Sie öffnete ihre von Wimpern umrahmten Augen und sah mich verletzlich an. So hatte ich sie bisher noch nie erlebt.
„Und wer war dieses Kind? Wie entstand dann… diese ‚Rasse’?“, fragte ich neugierig.
In Dalias Augen sah ich Erleichterung. Sie lächelte leicht über mein Interesse.
„Es ist schwer zu erklären. Da gibt es so einiges, das du noch nicht weißt. Sogar vielleicht auch gar nicht wissen solltest.“
„Bitte, sag es mir“, fehlte ich sie flüsternd an.
Sie ergab sich mit einem schuldbewussten seufzten. „Wenn es nur so einfach wäre. Ich habe schon so viele Gesetzte in meiner Welt gebrochen, da kann ich dir jetzt auch den Rest erzählen.“
Ich nickte stumm und hörte ihr aufmerksam zu, dabei hielten mich ihre Hände fest umklammert. „Es ist so, dass die Rasse sich immer weiter in den Jahren entwickelt hatte. Dieses seltene Liebespaar war nicht das Einzige. Danach folgten immer weitere. Manche Engel waren einfach nur dazu geboren worden, ihre Gefährten zu finden und Kinder zu zeugen. Unter diesem hohen Einfluss, entstanden dann die Ephramerin.“
„Und wie kommt es dann, dass es immer noch die andere ‚Spezies’ gibt?“
„Weil manche sich gegen dieses Schicksal wehren. Es gibt nun keine Gebote oder Anordnungen mehr, der das Zusammensein verschiedener Rassen untersagt.“
„Das ist komisch“, sagte ich und runzelte angestrengt die Stirn.
Dalia lachte leise. „Ja, hab ich dir doch gesagt.“
„Dürfen Vampire zum Beispiel, auch mit Menschen zusammen sein?“, fragte ich neugierig.
Sie nickte leicht. „So entstehen immer weitere Vampire, Celia“, sagte sie neckend, als ob ich nicht von alleine darauf kommen würde.
„Uups.“
Weitere Fragen standen mir ins Gesicht geschrieben. Daraufhin lachte Dalia leicht. „Frag ruhig.“
„Wer war dieses Kind? Das erste Kind der Ephramerin?“, hakte ich nach. Sie hatte diesen Satz mit einem so unglaublichen Unterton gesagt, dass es mir gleich aufgefallen war.
„Meine Mutter“, brachte sie nach einigen Minuten der Stille heraus. Ich schluckte und sah sie mit geweiteten Augen an.
„Deine Mutter? Wie geht das denn?“ Was für eine geistreiche Frage!
Sie nickte leicht und sah erneut auf unsere mittlerweile verschränkten Hände.
„Ja“, hauchte sie leise. „Mein Vater ist ein Vampir. Einer der ersten auf dieser Welt.“
Ich streichelte mit der freien Hand über ihren Kopf und sie schmiegte sich an mich. Dalia war in diesem Moment so verletzlich, wie ich sie noch nie in der kurzen Zeit erlebt hatte.
Uns verband ein unzertrennliches Band, als ich sie gerettet hatte. Leise begann sie weiter zu Sprechen und ich legte meinen Kopf an leicht schräg und streichelte behutsam ihren Rücken.
„Ich bin zwar auch eine Ephramerin, aber anders, als alle anderen. Die meisten entstehen aus einem Engel und Vampir. Sie haben dann gleich von Geburt an ihre weißen Flügel. Nur meine Mutter war eine Ephramerin und mein Vater ein Vampir. Dadurch, dass meine Flügel anders waren, als die ihren, war ein Niemand in ihren Augen, eine Außenseiteri.“
„Oh mein Gott“, flüsterte ich geschockt.
Sie nickte leicht. „Als ich dann sechzehn geworden war, bekam ich endlich meine Flügel. Meine Mutter war sofort zu mir gestürmt. Doch als sie mich sah, mit meinen schwarzen, ungewöhnlich großen Flügeln, stempelte sie mich abermals ab. Sie hatte mich vollkommen von sich gestoßen.“
Sie schwieg ein paar Minuten, bis sie ihre nahe liegenden Tränen unterdrückt hatte. Liebevoll strich ich ihr dabei immer wieder über den Rücken.
„Ich gehöre nicht mehr zu ihnen. Ich habe Gebote gebrochen, die niemand zuvor gebrochen hatte. Ich hatte mich gegen meine ganze Herkunft gestellt und sie hinterfragt. Keiner durfte das von uns. Ausnahmslos. Ich werde verfolgt, Cecilia.“ Verwirrt schob ich sie von mir und sah ihr in die dunklen Augen. Eine einzige Träne verließ ihre Augen. Ihr Gesicht war so schmerzverzerrt, wie ich es bei niemand bisher gesehen hatte. „Verfolgt?“, fragte ich geschockt. Sie nickte benommen. „Aber wieso denn?“
„Weil ich anders bin“, sagte sie in einem zerbrechlichen Tonfall. „Weil ich nicht zu ihnen gehöre. Ich habe mich gegen meine ganze Herkunft gestellt“, wiederholte sie erneut. „Ich wollte nie so sein, in dieses verdammte perfekte Leben von ihnen passen.
Ich wollte immer zu jemanden gehören, da mir meine Eltern dies verwehrt hatten.“ Jetzt schaute sie zu mir auf und zeigte ihr strahlendes Lächeln. „Und ich habe sie gefunden.“
Wieder umarmte ich sie beschützerisch.
Als sie sich wieder gefestigt hatte, sah sie zu mir auf. Ihre von angsterfüllten Augen verrieten mir wie hilflos sie sich doch die ganze Zeit gefühlt haben musste. So viel Schmerz und Einsamkeit, all die Jahre über.
„Dalia?“, fragte ich zaghaft.
„Ja?“
„Bist du eigentlich unsterblich?“, fragte ich vorsichtig.
Sie nickte etwas benommen auf meine Frage.
„In welchem Alter bist du, sozusagen, stehen geblieben?“
Ein Lächeln trat auf ihre vollen Lippen. „Mit sechzehn, als ich meine Flügel bekam. Wieso?“
Ich schluckte leise. „Na ja, du bist nicht gerade die Größte, wenn ich das jetzt mal so sagen darf. Und außerdem siehst du noch so jung aus…“
Sie nickte wieder und lächelte schief. „Glaub mir, viele schätzen mich genau deswegen falsch ein.“
„Das kann ich mir gut vorstellen“, gab ich zurück.
„Ich bin die einzige der ganzen Rasse, der es so ergeht. Ich bin unsterblich und altere nicht mehr. Die Ephramerin brauchen das Blut ihres Gefährten um wirklich unsterblich zu werden. Auch so können Engel mehrere Jahrhunderte alt werden, was sie anscheinend nicht interessiert. Ewige Jugend wollen sie, dass ist mit der meiste Vorteil, den sie daraus ziehen.“
„Sie tun es, um ewig Jung bleiben zu können?“, fragte ich ungläubig und zog eine Augebraue hoch.
„Nicht nur deswegen. Die Engel wollen die Ephramerin zu ihrer ganz persönlichen Waffe formen, zu ihrem Vorteil natürlich nur. Weil die Engel menschliche Bedürfnisse haben, wie Schlaf und dass sie essen müssen, um bei Kräften zu bleiben. Wir brauchen das alles nicht.“
Unglaube stand in mein Gesicht geschrieben.
„Ich habe mir die Engel immer ganz anders vorgestellt“, gab ich zu.
„Nicht alles ist so schön, wie es euch Menschen immer erzählt wird.“
„Natürlich nicht…“, sagte ich seufzend und sah aus dem Fenster.
„Können Menschen auch Gefährten sein?“, fragte ich leise.
Ich hörte ein leises Lachen hinter mir und drehte ich zu Dalia um.
„Ja, das können sie sogar. Aber es ist eher selten. Jedes Wesen darf mit euch verkehren, sogar mit einem von euch zusammen sein, wenn dieser es wünscht.“
Das Schweigen übernahm wieder die Oberhand zwischen uns. Es war keine unangenehme Stille, die sich anstaute. Aber mir lagen immer mehr Fragen auf der Zunge, bis ich sie nicht mehr zurück halten konnte.
Dalia schaute zu mir auf und rückte etwas von mir ab, so dass wie uns wieder gegenüber saßen. In ihren Augen sah ich Besorgnis.
„Warum bist du so anders?“, fragte ich nach einer Weile.
Dalia seufzte leise und schaute zum Fenster hinaus. Das Mondlicht strömte in das Wohnzimmer und tauchte es in ihre wohltuende Wärme. Dalias Haut war blasser als sonst, wenn es denn noch blasser werden konnte.
Es dauerte eine Weile, bevor sie wieder das Wort ergriff und zu mir hinauf sah.
„Ich habe in mir mehr Vampirblut, als die eines Engels. Da meine Mutter selber Vampirblut in sich trägt.“
„Sind deine Flügel deshalb so schwarz, wie du sagtest?“
Sie nickte leicht. „Es könnte möglich sein, ich weiß es nicht genau.“
„Musst du Blut trinken, um überleben zu können?“, fragte ich leise.
Sie nickte. „Ja“, hauchte sie. „Aber nicht allzu viel wie die Vampire. Da ich zum Teil immer noch Engel bin.“
Plötzlich erinnerte ich mich wieder an die Vampire, die Dalia angegriffen hatten.
„Kommt es öfter vor, dass eine Ephramerin von Vampiren angegriffen wird?“
Dalia biss sich auf die Unterlippe und schaute zur Seite. „Nein, eigentlich ist es sogar verboten.“
„Aber wieso haben sie es dann bei dir getan?“
„Ich werde, seitdem ich mein Land verlassen habe, verfolgt und gejagt. Ich bin schon seit fünf Jahren auf der Flucht. Mein Blut gehörte denjenigen, der mich zuerst töten würde. In diesem Fall, war es wohl Victor gewesen. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass ich überleben würde.“
Meine Augen weiteten sich, als ich Victors Namen vernahm. Er war es, der sie töten wollte. Er war also auch einer der Gefolge von den Engeln. Mein Körper fing an unaufhaltsam zu zittern. In mir breitete sich Wut aus, die ich versucht hatte zu verdrängen. Die eine Nacht, die mein Leben verändert hatte, erschien vor meinem innerlichen Auge.
Dalia musterte mich besorgt. „Was hast du?“
„Ich kenne ihn“ flüsterte ich.
„Was?!“ Sie packte meine Schultern und rüttelte mich leicht.
Ich nickte benommen, als ich an sein Gesicht zurück dachte. Wie er mit mir getanzt hatte, an seine tiefe, reizende Stimme, die ich überall wiedererkennen würde.
„Sag mir, was du weißt!“, holte mich Dalia zurück aus meinen Gedanken.
„Ich habe ihn gestern kennen gelernt, in dem Club. Bevor das passiert war… mit dir.“
Dalia sah mich ungewöhnlich schreckhaft an und schluckte laut. „Was noch?“, drängte sie mich.
„Ich bin rechtzeitig weggegangen. Du weißt doch, dass mit Robert und Ann.“
Erleichtert ließ sie meine Schultern los und stand vom Sofa auf. Dabei drehte sie sich elegant zum Fenster und schaute in die dunkle Nacht hinein.
„Wärst du nicht gegangen, könnte ich mir gut vorstellen, dass er dich getötet hätte. Schon gar, weil du ein kleines Menschenmädchen bist.“
Ihr Gesicht zeigte keine weitere Regung, doch der Ton mit dem sie sprach, ließ mich erschaudern.
„Wer bist du wirklich, Dalia?“, fragte ich energisch. Ich wusste, das sie mir noch einiges verheimlichte.
Sie drehte ihren Kopf leicht zu mir und sah mich musternd an. „Willst du sehen, was ich bin?“, hauchte sie und drehte sich nun komplett zu mir um.
Ich nickte benommen und starrte zu ihr hinauf. Ihr Grinsen wurde gehässig, jegliche Freundlichkeit war aus ihren Gesichtszügen verschwunden. Da war nur noch tiefgründiger Hass und Rache, die in ihren Augen glühte. Sie schimmerten rötlich in der Dunkelheit und hinterließen einen kalten Schauder auf meiner Haut. Leicht öffnete sie ihren Mund, aus dem lange, schmale Fänge hervortraten. Erneut verzog sie das Gesicht und sah mich unentwegt an.
Schatten stiegen an ihr hoch, umschlungen sie zart und neckend und hinterließen mir eine saftige Gänsehaut. Plötzlich stieg etwas Schwarzes, Riesiges aus ihrem Rücken empor und breitete sich im ganzen Raum aus. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass es ihre großen Flügel waren. Sie umschlungen ihren zierlichen Körper und legten sich beschützend um Dalia. Meine Augen weiteten sich, als ich die ganze Pracht der Flügel vernahm. Sie waren tatsächlich größer, als ich gedacht hatte. Als Dalia sie etwas anspannte, konnte ich manche Federn herausfallen sehen. Verblüfft sah ich der Feder dabei zu, wie sie sich in der Dunkelheit auflösten und sich in den Schatten verloren. Doch als Dalia mein erschrockenes Gesicht sah, entglitten ihr die Gesichtszüge erneut. Mit schnellen Schritten war sie wieder bei mir und umarmte mich. Dabei legten sich ihre Flügel beschützend um uns.
„Es tut mir Leid“, hauchte sie in mein Ohr. „Ich wollte dir keine Angst machen!“
Ich schüttelte leicht meinen Kopf und sie ließ wieder etwas von mir ab.
„Ich bin nur… überrascht“, sagte ich vorsichtig.
Erleichtert seufzte Dalia auf und legte ihre zarten Hände auf meine Schultern. Leicht hob sie ihre pechschwarzen Flügel und breitete sie um uns herum aus. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.
Ich sah verblüfft zu ihren schwarzen Flügeln. Als ich genau hinsah, konnte ich Silberschattierungen in ihnen erkennen. Fragend blickte ich Dalia an.
„Was ist das?“, fragte ich und zeigte auf die Muster und verschiedenen Schattierungen.
Sie folgte meinem Zeigefinger und lächelte leicht.
„Das ist mein Erkennungszeichen“, sagte sie stolz, doch auch leichte Traurigkeit konnte ich heraushören und meine Augen verengten sich leicht.
„Jeder Engel besitzt so etwas. Nur das es bei den Normalen, goldene Züge sind. Sie zeigen unseren Stammbaum an. Je stärker dieser ist, desto heller leuchten auch die Ornamente und Verschnörkelungen. Sie bilden ein einzigartiges Muster. So erkennt man sich untereinander und unter welchem Stand man geboren ist.“
Ihre Flügel hatten tiefe, verschlungene Silberschattierungen. Sie waren sehr ausgeprägt und unvergleichlich. So etwas Atemberaubendes hatte ich noch nie gesehen. Sie glitzerten wie tausend Diamanten im Mondschein der Nacht. „Sie würden mich sofort erkennen, wenn ich versuchen würde, so davon zu kommen“, sagte sie leise. Ich sah wieder zu ihr und bemerkte, dass ihre Lippen leicht zitterten. Dalia ließ den Kopf hängen und schaute zu Boden. Ihre Hände krallten sich in meine Schultern. „Hast du es schon einmal versucht?“, fragte ich zaghaft. „Ja“, murmelte sie, „Ich wurde sofort erwischt. Die Vampire wissen alle, wie ich aussehe und wissen, dass ich einzigartige Flügel besitze. Meine Eltern haben ihnen meinen Duft ausgehändigt, damit sie mich leichter finden können.“
„Oh Gott…“, hauchte ich leise.
„Das ist der Grund“, sagte sie und schaute mir wieder ins Gesicht, „Warum ich immer auf der Flucht bin, Celia. Sie wollen, dass ich sterbe. Ich bin anders. Etwas das Anders ist, passt in ihren Leben nicht mehr hinein. Nein, es ist gefährlich und muss sofort ausgelöscht werden.“
Ahmte sie etwa gerade jemanden nach?
Ich zog meine Augenbrauen zusammen und hörte weiter aufmerksam zu. „Meine Eltern sind unberechenbar und lieben nur sich. Es gibt keinen Platz für eine weitere Person. Sie wollen mich tot sehen. Und da Victor es fast geschafft hatte, würde es den beiden sicherlich mit Freunden erzählen, da bin ich mir sicher“, schnaubte sie verächtlich und sah zur Seite.
„Bist du dann jetzt nicht sicher?“, fragte ich vorsichtig. „Nein. Wenn einer von ihnen mich wieder riechen würde, ist allen klar, dass ich noch nicht tot bin. Dann ist die Jagd von neuem eröffnet.“
Ich schluckte laut. „Was wirst du jetzt tun?“
Sie seufzte leise und ließ meine Schultern los. Bei der Bewegung verschwanden langsam ihre Flügel. Sie zogen sich tatsächlich ein, wie ein Gummiband, nur nicht so schnell. Manche jedoch, verschwanden in der Dunkelheit der Schatten im Raum.
„Bis jetzt weiß ich noch nichts Genaueres. Aber im Moment kann ich keine Vampire riechen. Ich werde also Morgen trotzdem mit dir mitkommen.“ Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Jetzt solltest du aber langsam schlafen gehen“, sagte sie anklagend und ahmte die Stimme einer sorgenden Mutter nach. Dabei musste ich lauthals anfangen zu lachen. „Ich bin wenigstens Volljährig, im Gegensatz zu anderen Personen“, sagte ich neckend.
Sie schnaubte gleichgültig. „Ich bin viel älter, als ich aussehe.“ Sie schob mich zu meiner Zimmertür. „Und jetzt: Husch, husch!“ Ich kicherte leise und ging in mein Zimmer. „Bis Morgen!“, rief ich zu Dalia und ließ mich erschöpft auf das weiche Bett fallen.
Ich steifte mir die Socken von den Füßen und kuschelte mich in die Kissen des Bettes. Schon nach wenigen Atemzügen war ich vollkommen eingeschlafen. Das Gesicht von Victor blieb in meinen Erinnerungen. Auch wenn ich noch nicht ganz wusste, wieso.


4. Abschied

Cecilia



Am nächsten Morgen wurde ich unsanft aus meinem tiefen Schlaf gerissen. Dalia stand mit hochgezogenen Augenbrauen neben mir und musterte mich. Sie beugte sich leicht nach unten und zog mir die Decke weg. „Es ist schon spät!“, drang eine melodische Stimme in mein Ohr. Ich schüttelte den Kopf und drehte mich im Bett um. „Neeeein…“, seufzte ich.
Ich hörte ein tiefes Seufzten. Plötzlich wurde ich hochgehoben und über eine Schulter geschmissen. Ich war sofort wach. „Hey!“
Dalia schnaubte aufgebracht. „Wie gesagt: Es ist schon ziemlich spät. Sollte ich an meinem ersten Tag wegen dir zu viel zu spät sein, wirst du es bereuen.“
Ich seufzte ergeben und sie stellte mich in der Küche ab.
Der Esstisch war schon für eine Person gedeckt.
„Pfannkuchen!“, rief ich fröhlich und setzte mich an den Tisch. Schon jetzt konnte ich mir ohne Dalia kein Leben mehr vorstellen. Sie war für mich alles. Meine Mutter, eine große Schwester, die beste Freundin, die man haben kann.
„Lass es dir schmecken“, sagte Dalia liebevoll und setzte sich gegenüber von mir.
Während ich aß, schaute sie mir dabei zu.
„Was willst du eigentlich anziehen?“
Verblüfft schaute Dalia an sich herunter. Sie hatte ein langes T-Shirt angezogen, das bei mir im Schrank gelegen hatte, was ich eigentlich gar nicht mehr anziehen wollte. „Eh.“
Ich lachte laut auf. „So lass ich dich aber nicht raus!“
Sie lächelte verlegen und schaute zur Seite. Ihre Hände lagen verschränkt auf den Tisch. Neben ihr stand eine heiße Tasse Kaffee.
„Keine Angst. Wir werden schon was finden. Nachher können wir ja noch Schoppen gehen.“
Sie stöhnte auf. „Oh man, alles bloß das nicht!“
„Willst du immer so rumlaufen?“, fragte ich sie und zeigte mit der Gabel auf ihr langes T-Shirt. Dalia verdrehte die Augen und sah mich lächelnd an. „Nein.“
„Na also, keine Widerrede.“
Dalia schnalzte aufgebracht mit der Zunge und lehnte sich erschöpft nach hinten.
Sie sah heute Morgen noch kränker aus als sonst, was ich mir nicht erklären konnte. Aber ich wollte sie jetzt nicht schon wieder ausfragen, nachdem was gestern passiert war. Sie hatte mir alles erzählt und sogar gezeigt, was ich wissen wolle. Dafür war ich ihr überaus dankbar.
Als ich aufgegessen hatte räumte Dalia alles in übermenschlicher Geschwindigkeit weg und putzte erneut die Küche. Sie war so übervorsichtig. Man sah es ihr an, aber wirklich verübeln, konnte ich es ihr nicht. Sie musste immer vorsichtig sein, egal welchen Schritt sie tat.
Nach der Aufräumorgie zog ich Dalia mit in mein Zimmer. Ich schmiss ein paar Klamotten aufs Bett und stellte mich zufrieden daneben. „Such dir was aus“, sagte ich und kramte selbst im Klamottenhaufen herum.
Als Dalia sich jedoch nicht bewegte, stöhnte ich genervt auf.
Ich drückte ihr eine passende schwarze Röhrenjeans, mit einem weißen Taillengürtel und einem gräulichen Top, das einen tiefen V-Auschnitt besaß, in die Hand und zerrte sie ins Badezimmer. „Bis gleich“, rief ich ihr zu und ging zurück in mein Zimmer.
Das Gesicht was Dalia dabei gezogen hatte, war einmalig gewesen. Ich lachte mich halb tot.
Nach ungefähr langen fünfzehn Minuten trat sie aus dem Badezimmer. Die Sachen passten perfekt, auch wenn die Hose etwas länger war, steckte Dalia sie passend in ihre hohen Stiefel.
Ich hatte mich für ein langes, schwarzes Top mit V-Auschnitt entschieden, dazu Jeanshotpants. Weil sich meine Hacken immer noch sehr beschwerten, zog ich mir bequeme, schwarze Ballerinas an. Ich schmiss mir meine Hängetasche über den Rücken und schnappte mir meinen Schlüssel. „Fertig?“, fragte ich und sah Dalia prüfend an.
Ihre schwarzen, etwas gelockten Haare hatte sie über die Schulter gelegt. Ihr seitlicher Pony rundete die Frisur perfekt ab. Sie sah bezaubernd aus.
„Klar“, sagte sie knapp und schritt an mir vorbei, in den Treppenflur.
Die Universität lag knapp drei Straßen weiter, also gingen wir schnell zu Fuß dorthin. Ich konnte mir kein Auto zusätzlich leisten, weil ich die Wohnungskosten dazu noch tragen musste. Ich seufzte und schaute in den Himmel. Es war ein schöner Tag.
Der Himmel war komplett blau und keine Wolke war zu sehen. Die Sonne strahlte in ihrer ganzen Pracht. Es war zwar schon Spätsommer, aber trotzdem hatte sich das Wetter nicht geändert. Die Temperaturen lagen meist bei kuscheligen fünfundzwanzig Grad.
„Wir sind gleich da“, murmelte ich und schaute nach vorne. Dalia neben mir spannte sich etwas an. Ich streichelte ihr beruhigend über den Arm und sie lächelte zaghaft.
Mit den hohen Absätzen war sie genauso groß wie ich, wenn nicht sogar ein klein wenig größer. Ich lachte in mich hinein. Sie war schon mehrere Jahrhunderte älter als ich und verhielt sich auch öfters so, aber trotzdem sah sie immer noch so jung aus. Kaum vorstellbar.
Nach kürzester Zeit waren wir schon an der Uni angekommen, genau in diesen Moment sah ich Roberts Wagen parken. Zusammen mit Ann stieg er aus und schmiss die Autotür missmutig zu. Mein Magen fühlte sich an, als ob ich Blei zum Frühstück gegessen hätte.
Ich konnte gerade noch ein schmerzhaftes Stöhnen unterdrücken. Jetzt war es Dalia, die mir behutsam eine Hand auf die Schulter legte. Sofort breitete sich das Gefühl der Wärme in mir aus. Auch, wenn ihre Hand eiskalt war.
Verzweifelt sah ich sie von der Seite an, aber ihr Blick war auf etwas anderes gerichtet. In ihrem Gesicht zeichnete sich abgrundtiefer Hass ab, den ich gestern Nacht schon bei ihr gesehen und gespürt hatte. Sie hasste Robert, für das, was er mir angetan hatte. Umso mehr liebte ich Dalia dafür. Sie entzog mir ihre kalte Hand und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ihr gefiel es anscheinend gar nicht, dass die beiden in diesem Moment auf uns zu kamen. Ann’s Blick lag bemitleidet auf mir. Aber als ich meinen Blick auf Robert legte, sah dieser verträumt zu Dalia. Ihre dunkelbraunen Augen hatten erneut diesen rötlichen Schimmer, der sie so gefährlich machte. Ich sah zu ihr und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie akzeptierte es und entspannte sich etwas, wenn auch nicht ganz. Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Mir war zu Lachen zumute. Ich empfand nichts mehr für diese Betrüger, die mir an diesem Tag das Leben zur Hölle gemacht hatten. Aber dafür hatten sie mir Dalia geschenkt. Lächelnd nahm ich von ihr die Hand und ging an ihnen vorbei, ohne ein Wort zu sagen.
Die Uni sah immer noch total gleich und eintönig aus. Sie war riesig und lag in unterteilten Gebäuden. Viele Pflanzen zierten die Gärten, die meist auch für Experimente dienten.
Zusammen gingen Dalia und ich auf dem gepflasterten Steinboden in das riesige Gebäude.
Eine ziemlich große Tür, die fast als Tor durchgehen konnte, zierte den Eingang. Sie war komplett aus Glas.
„Hier studierst du?“, fragte Dalia mich ungläubig.
Ich kicherte leise und ließ ihre kalte Hand los. „Jap. Zunächst müssen wir erstmal ins Sekretariat gehen. Ich glaube nicht, dass du dich schon angemeldet hast, oder?“
Sie lächelte verwegen. „Nein, lass das mal meine Sorge sein“, wiederholte sie den Satz von gestern.
Ich nickte schlicht und erklärte ihr den Weg zu dem Saal, wo ich als erstes eine Sitzung hatte.
Wir verabschiedeten uns für kurze Zeit und ich ging in Richtung Biologiesaal.
Ich fragte mich immer noch, wie sie es bloß schaffen würde, einfach so hier reinzukommen. Hatte sie mir etwa noch etwas verheimlicht? Ich lächelte schief, als ich mir vorstellte, wie sie die strenge Sekretärin zu überreden versuchte, in meine Kurse zu kommen. Plötzlich fiel mir wieder etwas ein. Robert hatte mir am Samstag erzählt, dass er vom Sekretariat her angerufen hatte.
Aber normalerweise ließ es die Sekretärin niemals zu, dass das Telefon für private Zwecke genutzt wird. War er an diesem Tag schon bei Ann und hatten sie das alles geplant gehabt? Ich schluckte laut und zog die Tür des Saals auf. Es waren noch nicht allzu viele Studenten meines Kurses da, nicht mal Ann.
Ich setzte mich in die hinterste Reihe und hielt einen Platz für Dalia neben mir frei. Wenn sie denn käme, was ich stark bezweifelte. Aber sie war ja immer für eine Überraschung gut.
Schon nach kürzester Zeit war der Raum überfüllt von Studenten, die sich berauschend unterhielten. Sogar Ann war gerade eingetroffen und setzte sich zwei Reihen vor mir. Genau neben ihre Partyfreundin.
Ich achtete nicht weiter auf sie und zog meinen Block sowie Schreibzeug aus meiner Hängetasche. Ich hatte einwach wahllos irgendwelche Kugelschreiber in meine Tasche geworfen, falls einer davon doch den Geist aufgab.
Plötzlich wurde lautstark die Tür des Saals aufgeschoben. Ich dachte erst, der Lehrer würde hereingestürmt kommen. Falsch gedacht. Dalia kam mit einem übertrieben freundlichen Lächeln hinein und alle verstummten im Saal. Ich wusste nur zu gut, wie sie auf die Anderen wirkte. Sie strahlte eine anziehende Stärke aus, die man nur schwer beschreiben konnte.
Elegant kam sie auf mich zu und ließ sich, von allen Blicken verfolgt, auf den Platz neben mir sinken. Gekonnt schlug sie ihre Beine übereinander und schaute gelangweilt nach vorne, ohne wirklich auf die Anderen zu achten. Ich kicherte leise, als ein Murmeln durch die Reihen ging. Sogar Ann schaute sich Dalia genauer an. Sie war ein Nichts gegen sie und ich wusste, dass ihr es gerade klar geworden war.
Erneut wurde die Tür aufgeschoben und der Professor kam verschwitzt in den Saal. Er murmelte ein, Tut mir Lied, in die Runde und stellte sich neben das Pult.
Eine ziemlich lange Rede von ihm folgte und ich schrieb in einer unschönen Schrift mit. Dalia neben mir schrieb gar nichts auf. Als ich sie danach im Flüsterton fragte, antwortete sie nur, dass sie sich auch so alles merken konnte.
Ich tat es mit einem Nicken ab und schrieb weiter.
Nach zwei Stunden war die Sitzung zu Ende und ich packte meine Sachen ein.
Von Blicken verfolgt standen wir beide auf und gingen aus dem Saal. Von allen Leuten wurde sie angestarrt, man konnte es fast Gaffen nennen. War es nicht unhöflich so etwas zu tun? Ich kicherte erneut.
„Was ist so witzig?“, fragte Dalia neben mir. Ich schüttelte nur belustigt den Kopf und wir gingen zur nächsten Sitzung, die wir zusammen hatten. Weitere folgten, bis wir schließlich aus hatten. Ich hatte alle Kurse auf den Vormittag verlegt, abends hatte ich keine Kraft mehr dazu, wirklich aufzupassen.

Befreit schmiss ich die große Glastür hinter mir zu und atmete die frische Luft ein. Dalia neben mir spannte sich etwas an, was ich nicht verstand.
Ich schaute mich prüfend um, entdeckte jedoch niemanden.
„Was ist los?“
Sie schüttelte den Kopf und lächelte mich an.
„Ich dachte, ich hätte was gehört. Sorry.“ Ich nickte nur etwas benommen und zusammen nahmen wir wieder den Weg nach Hause wieder auf.

Die Tage verliefen alle ähnlich. Zusammen machten Dalia und ich eine ganze Shoppingtour durch New York (Ja, ich hatte sie in alle wirklich guten Klamottenläden geschleppt), entspannten uns im Park oder machten einen gemütlichen Dvd-Abend Zuhause.
Am meisten genoss ich die vertraute Zweisamkeit zwischen uns. Sie war so gut wie immer an meiner Seite und half mir, wenn ich Schwierigkeiten bekam. Zum Beispiel mit Ann, die überall herum erzählte, dass ich die Schlampe gewesen sei. Dabei hatte sie mich betrogen, mit meinem festen Freund.
Seitdem Abend im Club, waren die beiden zusammen und feierten fast jede Nacht durch. Das sah man auch dann bei der Aufmerksamkeit der beiden. Ann schlief sogar mitten in einer Sitzung ein. Ich sage dazu nur: gerechtfertigt. Aber was mir am meisten auffiel war, das Dalia immer weiter an ihrer Entschlossenheit verlor. Sie sah jeden Tag noch kränker aus als zuvor. Es machte mich völlig nervös, ihr dabei zuzusehen, wie sie immer weiter an der Kraft verlor, die ich so an ihr schätzte. Als ich sie jedoch danach fragte, meinte sie nur, dass es ihr bestimmt bald besser gehen würde. Es wäre eine vorübergehende Immunschwäche. Gab es so was bei den Ephramerin überhaupt?
Ich tat ihre Aussagen meistens mit einem Nicken ab und dachte mir meinen eigenen Teil. Irgendwann würde sie nicht mehr können und dann müsste sie meine Hilfe in Anspruch nehmen. Aber ich wartete vergeblich.

Auch heute saßen wir in einem der stickigen Säle und hörten uns weitere Vorträge der Professoren an. Nur dieses Mal hatte sich etwas verändert.
Immer wieder zogen neue Studenten hier her und besetzten die freien Plätze im Saal. Sie alle sahen sich ungewöhnlich ähnlich. Fürchterlich blasse Haut und markelose Körper. Sogar die Frisuren saßen alle perfekt, selbst bei Regen und Wind. Und heute war es mal wieder soweit, dass ein neuer Student dazu kam. Keinen wunderte es mehr, als wir sein markeloses Gesicht erblickten.
Das Komische daran aber war, dass es alle Jungs waren. Kein einziges Mädchen war unter ihnen. Dalia spannte sich jedes Mal von vorne an, wenn sie einen Neuen Schüler sah. Und ich wusste sofort, dass es Vampire waren, die nach ihr suchten. Solange sie sich noch verstecken konnte, würde alles gut gehen…oder?
Doch bald würde sich herausstellen, dass gar nichts mehr so war, wie zuvor. Bedauern würde ich trotzdem nichts.


Dalia



Ein schmerzhaftes Stöhnen entwich meiner Kehle. Schmerz. Überall Schmerz.
Ich musste widerstehen. Das köstliche Blut um mich herum, all die lebenden Menschen, die sich sorglos unterhielten, wussten nicht, was sich wirklich unter ihnen versteckte. Überall stank es nach Dämon, nach Vampir. Eklig süß und eiskalt. Jeder weiterer Atemzug den ich machte, verschlimmerte meinen Zustand. Jede weitere Sekunde, die ich hier verbrachte, brachte mich fast um meinen kostbaren Verstand. Ich wusste, dass ich mich konzentrieren musste, um nicht gleich über jeden einzelnen hier im Raum herzufallen wie ein wildes, ungezähmtes Tier. Eine Bestie. Ja, das war aus mir in den letzten paar Wochen geworden.
Schon fast unkontrolliert, nahm ich die schmerzhaften und doch so süßlichen Gerüche in mir auf. Sie kitzelten neckend an meiner Kehle und mir entwich ein weiterer Seuftzer. Ich hielt es hier nicht mehr lange aus.
Auf viele Dinge musste ich mich in diesem Moment gleichzeitig konzentrieren.
Die Vampire waren wieder hinter mir her, um mich zu finden. Ausgebildete Krieger der Nacht, die nur auf das köstliche Blut der Verbrecher aus waren. Ihre schmackhafte Belohnung. Ein Schauder lief meinen Rücken hinunter. Ich wusste, dass sie meine Anwesenheit spüren konnten. Doch durch meine kleine Tarnung, konnten sie mich nicht finden. Nur durch Cecilia gelang es mir, mich wenigstens etwas zu verstecken. Bloß, wer wusste bescheid, dass ich doch noch am Leben war?
Eines wurde mir klar. Ich musste so schnell wie es nur ging verschwinden. Aber ohne Cecilia konnte ich nicht gehen. Würde sie freiwillig mit mir mitkommen?
Ich sah unauffällig in die Richtung von ihr. Sie schrieb gerade an ihren Notizen herum und legte ihre süße Stirn in Falten. Manchmal sah sie so gestresst aus, wie meine Mutter damals, als sie sich immer mit mir gestritten hatte.
Ich seufzte tief. Das war einer der kleinsten Probleme, die ich im Moment hatte.
Mein unterdrückter Blutdurst war auch ein Teil davon. Doch viel schlimmer war es, zu wissen, dass ich Blut brauchte. Seitdem letzten Mal vor ein paar Wochen, hatte ich nicht mehr trinken können. Es war die reinste Folter für mich gewesen.
Jedes verdammte Mal würgte ich es wieder hoch, kaum dass es meine Kehle hinunter rann.
Leicht schüttelte ich meinen Kopf um die schädlichen Gedanken zu verbannen. Meine größte Sorge war immer noch Cecilia. Erneut verkrampfte ich mich auf meinem Stuhl, als die Schulklingel läutete. Die Sitzung war vorüber.
Cecilia neben mir entspannte sich etwas und stieß einen freudigen Seuftzer aus.
„Wieder mal einen Tag geschafft“, sagte sie und klaubte ihre Sachen zusammen. Zusammen stand ich mit ihr auf und wir verließen wieder einmal als Letzte den Saal. Sie brauchte immer so ewig lange, bis sie aus ihrem Trott herauskam.
Aber wirklich übel nehmen, konnte ich es ihr nicht. Nachdenklich kaute Cecilia auf ihrer Unterlippe herum und schaute auf den Boden.
„Du siehst heute wieder schlimmer aus“, sagte sie ganz direkt heraus und schaute mir in die Augen. Ihre Worte hinterließen einen sauren Geschmack in meinem Mund.
„Ja“, krächzte ich. Vorwurfsvoll sahen mich ihre eiskalten, blauen Augen an.
„Nicht jetzt“, murmelte ich und sah zu den Vampiren, die ihre Köpfe zusammensteckten und in einer anderen Sprache redeten. Natürlich verstand ich jedes einzelne Wort, dass aus ihrem verseuchten Mund kam.
„Ich kann sie spüren! Sie muss doch hier irgendwo sein!“
„Sei leise verdammt!“ Ich schmunzelte. Die Stimme kam mir etwas ZU bekannt vor.
„Du hattest uns berichtet, sie sei gestorben. Aber warum nehmen wir immer noch ihren Duft wahr? Das kann doch nicht ganz stimmen!“ Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Victor war hier. Ich schluckte und ging schneller als zuvor.
Ein anderer räusperte sich und sah in unsere Richtung. Sofort verstummten alle und sahen in verschiedene Richtungen. Ihre geraden Nasen waren leicht nach oben gestreckt. Sie rochen mich. Mit schnellen Schritten packte ich Cecilia am Arm und zog sie mit mir aus der Uni heraus. Ich konnte keine weitere Risiken mehr eingehen. Ich musste es ihr sagen. Noch heute.

„Was ist denn jetzt wieder los?“; fragte Cecilia mich, als wir gerade das Grundstück der Universität verlassen hatten. Sie schnaubte aufgebracht und ich ließ sie widerwillig los.
Langsam drehte ich mich zu ihr um und musterte sie. Ihre braunen, langen Haare waren locker über die schmalen Schultern gelegt. Sie zog eine Augenbraue hoch und sah mich forschend an. Mein Atem beschleunigte sich, sowie mein Herz rasend in meiner Brust schlug. Ich wusste was jetzt kommen würde.
Leise räusperte ich mich, um kläglich meine erstickte Stimme zu vertreiben.
„Bitte hör mir bis zum Schluss zu“, sagte ich leise und schaute in ihre glasigen Augen. Sie nickte stumm als Antwort und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
Einige Sekunden verstrichen, in denen keiner von uns etwas sagte. Entschlossen sammelte ich meinen letzten Mut, um die schmerzenden Worte auszusprechen.
„Ich muss gehen. Noch heute.“
In Bruchteilen von Sekunden wurde der Wind um uns herum stärker. Ihre Haare wehten leicht um sie herum. Mit jedem verlängerten Moment, wurden ihre Augen größer. Sie entspannte ihre Arme und ließ sie schlaff neben ihrem Körper gleiten.
Ihr Mund war leicht geöffnet, als wolle sie etwas sagen, es aber doch nicht übers Herz brachte.
Plötzlich ballte sie ihre Hände zu Fäusten und senkte ihren Kopf. Kalte Tränen der Trauer bahnten sich einen Weg an die Oberfläche. Ich sah sie leicht auf den Boden tröpfeln. „Das meinst du nicht so“, flüsterte sie.
„Doch“, sagte ich ernst und fixierte sie mit meinen Blicken. Würde ich jetzt nachgeben, würden wir beide sterben.
Gequält schaute Cecilia mir ins Gesicht. Sie biss sich heftig auf die Unterlippe um nicht laut zu schluchzen. Stumm rannen ihr die Tränen aus den Augen. Mein Herz zeriss in tausend Einzelteile. Ich wollte sie nicht verletzten, doch in diesen Moment schien mir nichts klarer, als zuvor. Ich musste gehen.
„Das kannst du nicht machen“, versuchte sie abermals mich zu überzeugen. „Du wolltest bleiben.“
Ich schüttelte langsam meinen Kopf. „Du hast Recht. Ich WOLLTE. Das ist jetzt vorbei“, versuchte ich kläglich sie umzustimmen, doch meine Stimme brach.
Ich sah in ihre verletzlichen Augen und wollte nichts mehr, als sie beschützend in meinen Armen zu halten. Es kostete mich unheimliche Überwindung, dies nicht sofort zu tun.
„Wieso nur?“, hauchte sie. „Warum ich?“
Erneut verließ eine stumme Träne ihre Augen und rann über das von Qual verzerrte Gesicht. Ich schluckte laut und trat einen Schritt zurück.
Erneut nahm der Wind an Stärke zu und blies mir die Haare aus dem Gesicht.
„Du weißt, ich würde es ändern, wenn es mir Möglich wäre“, fing ich an zu sprechen um die Stille um uns herum zu brechen. Sie schnaubte aufgebracht.
„Natürlich! Spiel ruhig den Märtyrer!“
Ich blinzelte leicht verwirrt über ihre Ausdrucksweise.
„So ist es nicht…“
„Ach nein? Wie ist es dann, deiner Meinung nach?“, fragte sie zynisch.
Ich zischte leise. Hatte ich doch glatt ihr aufbrausendes Temperament vergessen.
Meine Augen funkelten vor Wut und Abscheu vor mir selbst. Ich hatte ihren Zorn entfacht und bekam ihn nun zu spüren. Seufzend blickte ich zur Universität. Doch ich wusste, dass ich ihn hundertprozentig verdient hatte.
„Hast du schon vergessen Cecilia, was ich dir gesagt hatte? Dass ich verfolgt werde? Möchtest du unbedingt mit mir sterben?“ Langsam drehte ich meinen Kopf wieder in ihre Richtung und funkelte sie böse an. „Denkst du nicht, dass du etwas Besseres verdient hast? Dass dein Leben noch nicht zu Ende ist?“ Ich fixierte ihr ausdrucksloses Gesicht, musterte jede doch so kleine Veränderung.
„Nein!“
„Ich denke, du solltest wissen, wie es wirklich um mich steht, Celia.“
Ich schluckte laut und schloss meine Augen, dabei ballte ich meine Hände zu Fäusten.
„Ich habe Dinge getan, auf die ich nicht gerade Stolz bin, Celia. Ich habe Menschen getötet. Viele Menschen. Ich habe gelogen, mein ganzes Leben besteht aus einer einzigen Lüge, gefolgt von weiteren. Ich habe keine glückliche Kindheit genießen können. Mir wurde beigebracht, zu Morden.“
Ich öffnete meine Augen und sah in ein verwirrtes Gesicht.
„Was meinst du?, hauchte sie und kam einen Schritt auf mich zu. Ich zischte leise, als ich ihren unwiderstehlichen Duft vernahm. Vorsichtig streckte sie einen Arm nach mir aus, um mich zu berühren.
Ich biss mir brutal auf die Unterlippe und Blut tropfte aus meinem Mundwinkel.
Geschockt riss ich meine Augen auf, als ich bemerkte, was ich gerade getan hatte. Meine Tarnung brach in sich zusammen. Warmes Blut lief an meinem schmalen Kinn hinunter und bahnte sich einen Weg nach unten.
Wie in Zeitlupe geschah es, dass Cecilia mir das Blut vom Mundwinkel vorsichtig beiseite strich und mich besorgt ansah. Aber meine Aufmerksamkeit lag nicht auf ihr, oder den Schmerzen, die sich in mir langsam aufstauten. In diesem kleinen, unvorsichtigen Moment, hatte ich unbewusst die Kontrolle über mich verloren. Cecilia sprach zu mir, ich sah, dass ihre Lippen sich langsam bewegten, doch ich verstand nichts davon. Ich sah über ihre schmale Schulter, wo ihre Haare sich leicht zu Locken formten. Mein Blick war starr und eiskalt. Ich wusste was jetzt kommen würde und konnte nicht verhindern, was unweigerlich geschehen wird. Schwarze Gestalten traten vor die Schatten, die die Bäume warfen. Ich spürte jeden Einzelnen. Vampire. Sie stanken ekelhaft süßlich.
Tosend huschte der Wind über uns und wirbelte einzelne, gefallene Blätter auf. Ich schluckte laut und Cecilia drehte sich vorsichtig um, als sie meinen Blick vernahm.
Weitere Gestalten traten aus den Schatten. Es waren mehr, als ich erwartet hatte.
Doch einen konnte ich ganz genau erkennen, als ich in sein Gesicht sah. Victor. Dieses überhebliche, fiese Grinsen würde ich niemals wieder aus meinem Gedächtnis streichen.
Cecilia vor mir zuckte leicht zusammen, als auch sie ihn ansah.
Beschützend schob ich Cecilia hinter mich und stellte mich gefestigt vor ihr hin. Sie wollte erst protestieren, aber als ich sie noch einmal angesehen hatte, schwieg sie sofort.
Mein Blick schweifte zurück zu Victor, der an vorderster Front stand. Mutig der Kleine, dass musste ich ihm schon lassen.
Zähnefletschend trat er einen Schritt vor. Seine Kumpanen wollten es ihm Gleich tun, er aber wies sie allesamt zurück. Mit hochgezogener Augenbraue musterte ich ihn. Seine wirren, braunen Haare waren immer noch perfekt gestylt. Langsam reckte er sein schmales Kinn weiter in die Höhe und schaute mich abwertend an.
„Sieh mal einer an, Dalia Schätzchen“, säuselte er und machte erneut einen Schritt nach vorn. Kaum merklich schob ich Cecilia weiter hinter mich und zischte leise.
Was für eine Wahl hatte ich jetzt noch?
Kämpfen war ausgeschlossen, wenn ich Cecilia hier noch heil wieder raus bringen wollte.
„Bist wohl wieder auferstanden und hast deine Sprache verloren, was?“, neckte er mich und grinste süffisant.
„Wie süß, dass du zusammen mit deinem Gefolge hierher gekommen bist, nur um mich zu sehen. Das wäre doch nicht nötig gewesen!“, sagte ich gelassen und verschränkte meine Arme vor der Brust. Ein kleines Lachen hörte ich von Cecilia. Sofort wurde Victors Aufmerksamkeit auf sie gelenkt.
„Sei leise!“, zischte ich ihr zu, ohne meinen Blick von Victor zu nehmen. Ich merkte, wie sie mir ängstlich eine Hand auf die Schulter legte und leise seufzte.
Ich krallte meine Hände in mein T-Shirt, um meine Beherrschung nicht zu verlieren. Wie hätte ich je vergessen können, dass sie immer noch ein Mensch war? Ein Mensch, voll mit ihrem verführerischen Blut, das mich anzog. Ich schluckte und fixierte Victor mit meinen Blicken. Ich durfte ihn nicht aus den Augen lassen, nicht eine Sekunde.
Wieder nahm der Wind an Stärke zu und wirbelte um uns herum. Langsam fragte ich mich, wie es sein konnte, dass er sich in Bruchteilen von Sekunden veränderte. Auch Cecilia verkrampfte sich und krallte sich an meiner Schulter fest. Ich ließ mir nichts anmerken und sah weiter gebannt zu Victor, der weitere Schritte auf uns zu machte.
„Ich dachte mir, es sei mal wieder Zeit für eine kleine Begrüßungsrunde. Findest du nicht, Liebes?“
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Sehr interessant. Leider müssen wir jetzt gehen.“
Victor lachte hart ohne Belustigung auf. Seine Augen funkelten vor Begierde. Ich wusste, was er wollte. Es dürstete ihm nach meinem Blut, nach dem Blut von Cecilia. Abscheuliche Kreaturen.
„Das wäre aber sehr schade, da dich deine Eltern liebend gerne wiedersehen würden.“
Ich schnaubte aufgebracht. „Natürlich. Sie wollen mich ‚liebend gerne’ tot sehen, dass war mir aber schon vorher klar gewesen.“
Ein weiterer Stoß in mein Herz. Er versuchte mich mit allen Mitteln zu locken.
„Ach ja?“, säuselte er und machte einen weiteren Schritt auf uns zu.
Hielt er mich für so blöd? Ich lächelte ihn fies an. „Wenn du noch einen Schritt Vorwärts machst, kastriere ich dich.“
Victors Lächeln wurde breiter. „Das könnte sehr amüsant werden.“
„Wollen wir es etwa drauf ankommen lassen?“, hauchte er und sprang leichtfüßig vor uns hin. Ich wusste, dass uns jetzt nur noch wenige Meter voneinander entfernten.
Jetzt oder nie…
Vorsichtig löste ich meine Arme voneinander und schob Cecilia weiter von mir weg, als Victor wieder zu Sprechen begann.
„Ach Liebes“, seufzte er gespielt. „Warum kommst du nicht wieder zu mir und lässt dich von mir aussaugen, damit wir uns endlich von den Qualen erlösen.“
Langsam schloss ich meine Augen und holte meine letzten Kräfte hervor. Ich hatte sie für diesen Moment sorgsam aufgespart. In Bruchteilen von Sekunden sprang ich nach hinten und zog Cecilia mit mir. Sie quiekte erschrocken über die übermenschliche Geschwindigkeit auf. Meine Augen flogen automatisch auf, als ich Victors Zischen hörte. Mit einem schmerzhaften Ruck, befreite ich meine Flügel aus meinem Rücken und stieß mich vom Boden ab. Dabei hielt ich Cecilia fest umklammert.
Aber Victor kam mir zuvor und sprang uns hinterher. Ich hatte nicht vergessen, wie schnell er sein konnte. Schneller, als ich es jemals sein würde. Meine Kraft war schon wieder fast verbraucht und ich keuchte laut auf. Victor riss Cecilia von mir weg und schloss sie in seine groben Arme. Er knurrte siegreich auf.
„NEIN!“, schrie ich und konnte meinen Blick nicht von ihr nehmen.
Ihre Augen waren auf mich gerichtet. In ihnen lag so viel Angst, wie ich es noch nie bei einem Menschen erlebt hatte. Ich spannte meine Flügel zum letzten Mal an und schrie auf.
Frontal Angriff. Was anderes blieb mir in diesem Moment nicht mehr übrig. Victor hatte damit nicht gerechnet und sprang keuchend beiseite. Meine großen, schwarzen Flügel hatte ich völlig ausgebreitet und machte einen erneuten Sturzflug direkt auf Victor zu. Freiwillig ließ er Cecilia los und sie stürzte zischend auf den Boden.
Ich sah rot. Nur noch die Farbe rot.
Wütend entfachte ich meinen Zorn auf ihn. Meinen ganzen Hass. Schreiend formte ich meine Hände zu Klauen und rammte ihn mit Höchstgeschwindigkeit.
Wir beide prallten aufeinander und ein lautes Krachen war zu hören. Sein Gefolge fletschte wütend mit den Zähnen, als das Blut aus meinen Wunden strömte. Victor war weiter weg gegen einen Baum geflogen, der krachend unter ihm nachgab. Das war meine letzte Chance. Ich raffte mich schleppend auf und torkelte zu Cecilia, die immer noch auf dem Boden lag und qualvoll ihren Körper festhielt. Ich seufzt leise, als ich meine Flügel wieder aufrichtete und sie anspannte, auch wenn es höllisch schmerzte. Vorsichtig hob ich Cecilia auf und stieß mich vom Boden ab. Victor schrie gequält auf, als wir davon flogen. Der Wind half mir dabei, aufrecht zu fliegen. Ich war ihm sehr dankbar dafür. Getragen von meinem Flügeln und dem Wind, flog ich einfach davon. Egal wohin er uns trug, dort wäre es sicherer als hier.


5. Kurz und schmerzlos?

Dalia




Der Wind huschte tosend durch das bepflanzte Feld, auf dem wir gelandet waren. Ich musste zugeben, dass dies nicht die vorteilhafteste Position war. Aber genau hier, mussten wir uns verstecken. Sie würden uns hier nicht gut riechen können. Krieger der Nacht, die dazu ausgebildet worden waren, so etwas wie ‚mich’ zu töten. Und nun hatten sie es auch noch auf Cecilia abgesehen. Ich seufzte stark.
Nach meinem wundervollen Ausbruch, hatte ich Victor für sein Leben gekennzeichnet. Vorher war es niemanden gelungen, ihn zu verletzten, ihn auch nur irgendwie zu Nahe zu kommen. Dies würde nun unendlich an seinem, zu hoch gestochenem, Stolz kratzen. Zu meinem Nachteil. Er war jetzt schier darauf besessen, mich abermals zu töten. Da es ihn schon vor ein paar Monaten gelungen war, mich außer Gefecht zu setzten. Aber er hatte nicht mit Cecilia gerechnet, die nun mit dem Kopf auf meinem Schoß vor sich hin schlummerte.
Sie hatte in der letzten Zeit so viel mitmachen müssen, dass es mich innerlich selbst verletzte, wenn ich sie nur ansah. Nicht nur die körperlichen Schmerzen, die ihr Victor zugefügt hatte. Dazu kamen noch die Seelischen. Zunächst einmal das Problemkind Robert und ihre, ach so tolle Freundin Ann. Eines Tages würden sie büßen, was sie Cecilia angetan hatten. Ich blickte wieder in den Himmel, der von Sternen überfüllt war. Der Mond schien hell auf uns herab, als würde er uns aufheitern wollen.
Doch nichts auf dieser Welt konnte uns in diesem Moment helfen. Ich wusste nicht einmal, wie ich Cecilia wieder Gesund kriegen würde. Oder mich…
Nur schleppend atmete sie tief durch ihre Lungen ein und aus. Immer wenn sie stockte, bekam ich unglaubliches Herzrasen. Behutsam strich ich ihre braunen Haare aus dem Gesicht. Ihre Gesichtszüge spiegelten Zufriedenheit wieder, als hoffe sie, die letzten Momente in ihren Leben friedlich zu Ende zu bringen.
Ich verzog mein Gesicht und schaute erneut zum schwarzen Himmel empor.
Keine einzige Wolke war zu sehen. Ich atmete noch einmal tief ein und wandte mich zu Cecilia. Vorsichtig beugte ich mich weiter vor, um ihr Gesicht sehen zu können. Leicht strich ich ihr mit meiner Hand über ihre schmale Schulter, bis zu ihrem zierlichen Arm hinunter. Sie rümpfte leicht die Nase, als meine langen Haare ihr Gesicht streichelten.
„Hmmm“, machte sie leise und drehte sich mit dem Kopf direkt zu mir um und schaute mich verblüfft an. „Dalia?“, fragte sie verschlafen und rieb sich die Augen.
Ich streichelte liebevoll ihr Gesicht und lächelte zaghaft. „Ich bin hier.“
„Wie geht es dir?“, nuschelte sie und sah mich mit ihren großen Augen an.
Ich schüttelte etwas den Kopf. Meine Blutgier hatte ich in die hinterste Ecke geschoben. So weit entfernt von ihr, wie ich es gerade so noch aushalten konnte.
„Den Umständen entsprechend“, sagte ich wahrheitsgemäß.
Sie zog ihre Augenbrauen zusammen und umarmte mich. „Wir schaffen das“, sagte sie und klang dabei sehr verletzlich. Ich erwiderte ihre Umarmung zögerlich.
„Ja“, hauchte ich. Vielleicht würden wir es schaffen, alles hinter uns zu lassen.
Vorsichtig schob ich ihren Kopf wieder auf meinen Schoß. Dabei schloss sie die Augen und glitt erneut in einen tiefen Schlaf. Ergeben seufzte ich und ließ mich im etwas feuchten Feld nieder. Ich wusste, dass ich genauso viel Schlaf brauchte, wie Cecilia. Aber mir wurde dennoch klar, dass ich ihn nie Voll und Ganz bekommen würde.


Ein paar Stunden später weckte ich Cecilia erneut auf. Mir war es nicht gelungen, friedlich zu schlafen, wenn diese Monster noch unterwegs waren. Meine Kehle setzte sich wie von selbst in Brand, als Cecilia sich langsam aufsetzte und der Wind mir ihren Duft herwehte. Ich schluckte laut und wandte mich von ihr ab. Ich musste mich kontrollieren. Ich wollte kein Monster wie diese ‚Krieger’ werden.
Sie sagte nichts weiter dazu, dachte sich sicherlich selbst ihren Teil und stand unbeholfen vom Feld auf. Unsere Kleidung war etwas feucht geworden, als wir hier etwas Schlaf bekommen hatten. Nun ja, dass ‚wir’ war gelogen.
„Wir müssen weiter“, sagte ich knapp und nahm sie in meine Arme. Sie nickte benommen und sah mich mit ihren klaren Augen liebevoll an. Ich erwiderte ihren Blick und lächelte zaghaft. Fest umklammerte sie mich mit ihren zierlichen Armen und ich befreite meine Flügel aus dem Rücken.
Tausende Federn huschten um das Feld herum und verblassten in der Dunkelheit. Zufrieden lächelte ich und sprang vom Boden ab. Meine Flügel spannten sich unter dem enormen Druck an und mein Rücken zog sich leicht zusammen. Ich wusste, dass ich das nicht mehr lange aushalten würde.
Ich biss meine Zähne zusammen und dachte an etwas anderes. An die bevorstehende Gefahr, an Cecilias Verletzungen und schließlich, an meine Eltern. Das kleine Wortgefecht zwischen mir und Victor hatte mir mehr zugesetzt, als ich jemals zugeben würde. Ich seufzte und Cecilia sah mich fragend an. Ich schüttelte leicht meinen Kopf und breitete meine Flügel etwas weiter aus.
Ich wusste nicht genau, wohin ich fliegen sollte. Der Wind trug uns durch die Nacht. Fließend bewegte ich mich im Rhythmus. Ich versuchte, nicht besonders auf Cecilias berauschenden Herzschlag zu hören, oder auf ihre Ader, die ich in meinem Ohr pochen hörte. Meine Kehle zog sich schmerzhaft zusammen und ich zischte.
Ich verlor etwas an Höhe und schlug mehrmals mit meinen Flügeln auf, um einen Sturzflug zu verhindern. „Du kannst nicht mehr weiter!“, murmelte Cecilia den Tränen nahe.
Ich atmete einmal tief durch und holte die Höhe im Nu wieder ein. „Es geht hier nicht darum, was ich kann oder nicht, Celia. Wir müssen hier weg und etwas Anderes werde ich nicht akzeptieren.“
Sie schüttelte aufgebracht den Kopf und funkelte mich wütend an. Ich versuchte sie zu ignorieren, was mir nur halb gelang. „Nein! Ich werde das nicht mehr hinnehmen. Du brauchst Ruhe.“
Ich zog eine Augenbraue hoch, während ich weiter nach vorne starrte. Schweigend flog ich weiter, ohne wirklich auf Cecilias Protestversuche unter mir zu achten. Ich wusste, dass dies nur wegen ihrer Unsicherheit geschah. Bei mir war es schließlich nicht anders, auch wenn ich mich ein wenig mehr unter Kontrolle hatte.
Schließlich gab sie seufzend nach einiger Zeit auf und ließ mich in Ruhe durch die Lüfte gleiten. Sie presste vorsichtig ihren Kopf an meine Schulter und verkroch sich in meinen wehenden Haaren. Ich hielt sie noch fester umklammert, da wir inzwischen durch Berggelände flogen. Die Sonne stieg langsam am Horizont auf und durchflutete den Himmel in einem rötlichen Farbton. Cecilia drehte ihren Kopf etwas zur Seite und schaute begierig auf die aufgehende Sonne. „Wunderschön“, flüsterte sie und funkelte mit ihren blauen Augen. Ich lächelte, als ich ihre Freude wahrnahm.
„Ja“, hauchte ich und sah auf ihr erheitertes Gesicht. Dies war einer der Momente, in denen es mir wieder gut ging. So richtig gut. Meine Schmerzen waren verflogen, so wie wir durch die Lüfte glitten. Fließend und berauschend zugleich. Ich wusste, dass diese Momente in meinem Leben eine ganz wichtige Rolle spielten. Ich konnte vergessen. Vergessen, was in meiner Vergangenheit passiert war. Ich seufzte und sah wieder zum Himmel hinauf.
Was auf uns dort warten würde, stand in den Sternen, die so unerreichbar für uns waren.
Plötzlich umfasste mich wieder der vergessene Schmerz. Ich zuckte zusammen und meine Flügel zogen sich scharf ein. Ich keuchte und riss meine Augen weit auf.
Wir verloren etwas an Höhe, als Cecilia aufschrie. „Sofort runter!“, brüllte sie mir ins Ohr und ich versuchte meinen betäubten Körper in die richtige Richtung zu bewegen.
Der Schmerz wallte durch meine Adern und ließ mich aufkeuchen. Cecilia wandte sich unaufhörlich unter mir und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich zischte und sah mich im Gelände um. Die Berge hatten wir hinter uns gelassen. Unter uns waren viele Straßen, die befahren wurden. Hinter ihnen war ein größeres Wäldchen ausfindig zu machen. Ich spannte meine Flügel an und sie versteiften sich in meinem Rücken.
„Du blutest! Hör auf!“, schrie Cecilia aufgebracht und wandte sich mehr in meinen Armen.
Meine Flügel wollten mir in diesen Moment nicht ganz gehorchen und wir landeten unsanft auf dem feuchten Rasen. Wobei ich sie auf meinen Körper zog und mit dem Rücken alles abprallte. Erneut erklang ein Schrei aus Cecilias Kehle.
Ich bemerkte noch, wie sie sich sofort aufrichtete und meine Schultern rüttelte. Ich schlug meine Augen weit auf und sah in ihr verweintes Gesicht. „Nein!“, rief sie aufgebracht. „Ich wusste doch, du hättest Pause machen sollen!“ Ich schüttelte langsam meinen Kopf und hauchte leise: „Sie hätten uns dann sicherlich sofort gefunden.“
Seufzend schloss ich meine Augen und genoss die Stille, die um mich herum eintrat. Sie brachte alles zum Schweigen. Der aufbrausende Wind, das süßliche plätschern des Flusses, die raschelnden Bäume, sowie die Vögel, die ein wunderschönes Lied für uns sangen. Und Zuletzt, Cecilias warmen Atmen und ihr berauschendes Herz, dass vor Sorge in ihrem Brustkorb schneller schlug, als normalerweise.
Alles Still. Die Schwärze zog mich tief mit sich hinunter und ich glitt in den Abgrund.


Cecilia



Verweint saß ich auf dem nassen Rasen unter mir. Ich hatte Dalias Kopf auf meinen Schoß gelegt und wippte schockiert auf und ab. Ich konnte nicht fassen, was geschehen war.
Immer weitere Tränen der Fassungslosigkeit liefen über meine erhitzten Wangen.
An meinen Händen klebte Blut. Das Blut von Dalia, das aus ihrem Rücken strömte. Ihre Flügel hatte sie eingezogen, als sie mich beschützend auf ihren Körper gezogen hatte. Immer noch hörte ich das Echo von dem Aufprall in meinen Ohren. Meine Schmerzen drückte ich gewaltsam in den Hintergrund, die mich immer wieder aufkeuchen ließen.
Dalias Körper verkrampfte sich weiter für mehrere Sekunden.
Wann hatte sie das letzte Mal getrunken? Ich schluckte laut und wischte meine Tränen weg. Überall Blut. Es durchfuhr mich wie ein Blitz, als ich daran dachte, dass die Jäger sie jetzt sicherlich riechen konnten. Ich musste etwas unternehmen.
Ich sah auf Dalia hinab. Und zwar schnell.
Meine eigenen Schmerzen ignorierend, stand ich auf und hob Dalia auf meinen Rücken. Wie ich es schon einmal hatte tun müssen. Ich blinzelte meine Tränen aus den Augen, die immer weiter über meine Wangen flossen. Der Damm war gebrochen. Die Zeit, die ich zusammen mit Dalia verbracht hatte, war zugleich Glück und Unglück gewesen. Schmerz und Trauer. Hoffnungslosigkeit und Freude. Alles auf einmal in so kurzer Zeit, das jeden Moment einzigartig erscheinen ließ.
In wenigen Schritten hatte ich auch schon die Hauptstraße überquert. In der Nähe stand ein riesiger Parkplatz. Das war meine Chance. Keuchend wandte sich Dalia vor Schmerzen auf meinem Rücken. „Schsch“, flüsterte ich ihr beruhigend zu. Und tatsächlich – sie hörte auf mich. Ihre flachen Atemzüge waren für mich Beweis genug, dass sie noch lebte. Nichts zählte mehr.
Die Straße wurde nicht viel befahren, so dass ich sie leicht überqueren konnte. Ich rannte schon fast zum Parkplatz und suchte mir das erst beste Auto heraus, das meiner Meinung nach durchhalten konnte. „Sie kommen“, flüsterte Dalia und ich erstarrte. Jetzt oder nie.
Ich setzte Dalia ab und machte mich daran, die Autotür zu knacken. Ich setzte all meine Kraft ein, die ich noch aufbringen konnte. Doch es half nichts. Ich haute mit meiner Hand auf die Tür. Der Schmerz durchzuckte mich wie Schießgewehre, doch ich ließ mir nichts anmerken. Ohne zu zögern ballte ich meine andere Hand zur Faust und schlug die Fensterscheibe ein. Splitter blieben an meiner Hand hängen und ich zog sie unachtsam heraus. Ich wusste, dass dies Folgen haben würde. Doch diese, waren im Gegensatz was da auf uns zukam, eher gering. Dalia sah mir geschockt bei meiner Schandtat zu. Sie war also wieder wach geworden. Ich machte die Tür mit einem Ruck auf und war froh darüber, dass dieses Auto keine Alarmanlage besaß. Was nicht gerade verwunderlich in dieser Gegend war. Schnell zog ich Dalia in das Auto und rutschte zum Beifahrersitz. Erstarrt sah ich auf das Lenkrad.
Wie zum Teufel konnte ich das Auto nun starten? Ich biss mir auf die Unterlippe und bemerkte bald leichte Blutspuren, die mir aus dem Mundwinkel liefen. Doch meine Aufmerksamkeit war auf das Auto gerichtet. In den Filmen hatte das auch immer so gut geklappt…
Mir blieb keine Zeit mehr für weitere Überlegungen, also beugte ich mich nach unten und riss die Ablage heraus. Viele Kabel ragten mir entgegen und ich schluckte. Verdammt.
Ich wählte wahllos ein gelbes und ein rotes Kabel und riss beide auseinander. Schnell verband ich beide und sah gespannt zu, wie das Auto einen Ruck nach vorne machte.
Ich knallte mit meinem Kopf gegen das Lenkrad und es ertönte ein lautes Hupen. Ein Fluch kam über meine Lippen. Ich richtete mich wieder auf und trat auf das Gaspedal. Wieder machte das Auto einen heftigen Ruck nach vorne und ich preschte auf die Straße. Die Reifen unter uns quietschen verräterisch auf. Als ich das letzte Mal Auto gefahren war, war ich gerade mal süße sechzehn gewesen. Aber in diesem Moment hatten sich meine Reflexe auf komplett unzurechnungsfähig eingestellt, so dass ich immer wieder genau auf die Straße schauen musste. Ein paar hupende Autos kamen uns entgegen und ich bemerkte erst jetzt, dass ich auf die falsche Fahrerseite gefahren war. Fluchend schlug ich das Lenkrad nach links und das Auto tat wie befahl. Erneut quietschten die Reifen und ich fuhr in Höchstgeschwindigkeit über die Landstraße. „Du fährst wie betrunken“, sagte Dalia halb lachend, halb ängstlich. Auf meinen Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab.
Ich starrte wie gebannt auf die vorbeirauschende Straße und überholte immer wieder langsam fahrende Autos. „Wie geht es dir?“, fragte ich eindringlich und versuchte den Blick nicht von der Straße zu nehmen.
Sie schnalzte mit der Zunge und setzte sich in den Sitz auf und schnallte sich an.
„Nicht besser als dir“, sagte sie und ich sah kurz zu ihr herüber. Ihr Gesicht, sowie ihre Klamotten waren Blutverschmiert. Die sonst so gelockten Haare, fielen fahl nach unten und ließen sie wie eine Leiche wirken. Ich lachte leise. In diesem Moment sah sie trotzdem schön aus und ich beneidete sie mehr als nur ein bisschen darum.
„Was ist so lustig?“, hakte sie nach und ihre Stimme klang kontrolliert und vollkommen gelassen, als wäre nichts geschehen. Als wären wir jetzt nicht auf der Flucht.
Ich zuckte mit den Schultern. Der Schockzustand hing mir immer noch tief in den Knien.
„Lange wird das Auto es nicht mehr machen“, sagte ich und zog eine Augenbraue hoch.
Dalia stöhnte genervt auf. „Hättest du nicht ein besseres Auto wählen können?“
Ich seufzte. Darum machte sie sich sorgen?
„Warum? Was bringt uns das bitte jetzt? Ich hatte verdammt noch mal keine Zeit mehr!“ Erneut biss ich mir auf die Unterlippe und die Wunde platzte wieder auf.
„Hör auf damit!“
Ich sah sie zweifelnd an. „Was?“
„Blut“, murmelte sie und schaute aus dem Fenster. Ich sah wie sie ihr Gesicht schmerzverzerrt verzog. Ich schaute wieder auf die Straße und lenkte das Auto nach links, direkt zum Highway.
„Wann hast du das letzte Mal getrunken?“, fragte ich verzweifelt und sah sie erneut an.
Sie zuckte teilnahmslos mit den Schultern und ich zog eine Augenbraue hoch.
„Ich kann schon lange nicht mehr trinken.“
„Bitte was?!“ Ich trat noch fester auf das Gaspedal und schaltete einen anderen Gang ein. Das Auto machte einen Ruck nach vorn und fuhr noch schneller. Wir überholten weitere Autos und ich sah auf die Tankleiste. Mist, fast Leer!
„Das letzte Mal war vor circa einem Monat.“
„Warum hast du mir nichts gesagt?!“, fragte ich sie fuchsteufelswild.
„Ich konnte nicht“, seufzte sie und sah mich mit glühenden Augen an. Sie sah in diesem Moment mehr als nur gefährlich aus. „Ich weiß nicht was mit mir passiert ist. Doch egal wie oft ich versucht hatte zu trinken, passierte immer wieder das Gleiche.“
Ich umklammerte das Lenkrad fester und starrte auf die Straße. „Was?“
Sie stöhnte schmerzhaft auf und umschlang mit ihren zierlichen Armen ihre Taille.
„Mein Körper stößt Blut ab. Egal welches. Immer wieder würge ich es hoch, so dass später nichts mehr von dem übrig ist, was ich getrunken hatte.“
Ich biss mir fester auf die Unterlippe. Dabei sah ich etwas zur Seite und hielt ihr meinen Arm hin. Sie sah mich entgeistert an.
„Nein!“
Ich schüttelte den Kopf und sah wieder auf die Straße. „Mach schon!“
Ich bemerkte, wie sie sich leicht im Sitz zu mir lehnte und meinen Arm mit ihren kalten Händen umfasste. Dabei sah sie mich mit ihren großen Augen abermals fragend an. Ich nickte nur und umklammerte mit meiner freien Hand das Lenkrad und starrte weiter auf die befahrende Straße.


Ich fühlte Dalias Zunge auf meiner erhitzten Haut, die unter ihrer kalten Berührung leicht prickelte. Ein Schauder von Angst lief meinen Rücken hinunter. Vorsichtig biss sie mit ihren schmalen Reißzähnen in meinen Arm und hinterließ Blutspuren auf den Sitzen.
Sie saugte begierig an meinem Arm und es fühlte sich gleichzeitig befreiend an. Ich konnte dieses Gefühl kaum in Worte fassen und drückte das Gaspedal nun komplett nach unten.
Der Motor schnurrte laut auf und wir brausten durch die Straßen. Nach gefühlten Stunden befreiten sich ihre Zähne aus meinem Arm und sie leckte über die hinterlassende Wunde. Ich zog diesen zurück und umklammerte fest das Lenkrad. Ein betäubendes Gefühl machte sich in meinem Arm breit und ich schluckte laut.
„Tut mir Leid“, murmelte Dalia verlegen und rückte zurück in ihren Sitz.
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. „Schon gut.“
Plötzlich schoss ihr Kopf nach oben und sah mich zweifelnd an. Die Stille gewann die Oberhand zwischen uns und Dalia horchte gespannt in sie hinein. Ich nahm nur das laute Schnurren des Autos wahr.
„Was ist?“, fragte ich sie, als ich es nicht mehr aushielt.
„Dein Blut regeneriert sich ziemlich schnell“, sagte sie schmunzelnd und sah mich forschend an. „So schnell wie ich es bei keinem Menschen bisher gesehen habe.“
„Und was soll mir das jetzt sagen?“, fragte ich bissig.
Sie stöhnte genervt auf. „Ich weiß es doch selber nicht!“
Ich musterte sie aus dem Augenwinkel und sie konterte ihn geschickt. Ergeben seufzte ich auf und schaute auf die vorbeiziehende Straße. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und viele Wolken bedeckten sie. Ich bog vom Highway ab und nahm eine leere Landstraße. Wir mussten, wie es aussah, bald zu Fuß weiter. Dies berichtete ich auch Dalia, die mich nun fragend ansah.
Wie voraus gesagt, gab der Motor nach weiteren zweihundert Metern den Geist auf und blieb auf der leeren Straße stehen. Mit einem murrenden Geräusch erstarb der Motor und das rote Tankzeichen leuchtete auf. Ich zog beide Augenbrauen zusammen und schlug auf das Lenkrad ein.
Dalia hielt mich an meinen Armen fest und sah mich geschockt an. „Beruhig dich!“
Ich sah in ihre dunkelbraunen Augen und mein Atem beruhigte sich etwas. Sie ließ von mir ab und setzte sich zurück in ihren Ledersitz.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich nach einer Minute des Schweigens. Dalia schüttelte den Kopf. Wie gebannt starrte ich auf die leere Straße und umklammerte das Lenkrad.
Plötzlich erklang ein lauter Knall und Dalia hatte die Tür zugeschmissen und wartete draußen auf mich. Ich stöhnte auf und zog meine Augenbrauen zusammen.
Ich stieg aus dem nutzlosen Auto aus und ging auf Dalia zu. „Wir fliegen weiter.“
Entgeistert sah ich sie an und schüttelte mit dem Kopf. Dabei hob ich abwährend die Hände.
„Auf gar keinen Fall!“
Dalia legte ihre Stirn in Falten. „Stimmt auch wieder“, seufzte sie und sah mich ausdruckslos an. Ich ging auf dem sandigen Boden auf und ab und verschränkte meine Hände hinter meinem Rücken. Dalia verfolgte das Geschehen mit teilnahmslosen Blicken.
Plötzlich hielt ich inne. „Dalia“, hauchte ich und sah ihr forschend ins Gesicht.
„Du hast das Blut nicht hoch gewürgt.“
Die Gesichtszüge entglitten ihr. Dabei fasste sie sich leicht am Hals und horchte in die Stille. Nicht einmal Vögel waren zu hören und auch der Wind blieb aus.
„Du hast recht. Ist mir gar nicht aufgefallen.“
„Vielleicht ein Schockzustand?“
Sie schüttelte mit dem Kopf. „Gift“, flüsterte sie und biss sich auf die Unterlippe.
„Bitte was?“
Sie schluckte laut und sah mich mit ihren großen Augen an. „Victor!“
Ich ging zu ihr herüber, umfasste ihre Schultern und sah sie musternd an. „Wie soll er das denn bitte getan haben?“
Sie zuckte mit den Schultern und legte ihren Kopf leicht schräg. „Er hat da so seine Mittel und Wege.“
Leise seufzte ich und wandte mich von ihr ab. „Denkst du etwa er hat es in die Menschen eingeflösst, von denen du Blut getrunken hast?“, fragte ich und sah sie zweifelnd an.
Sie zuckte mit den Schultern und sah auf die leere Landstraße. „Ich hatte immer viele Schmerzen, als ich getrunken hatte. Und da kommt nur Gift Infrage.“
Ich seufzte ergeben auf und wandte mich zum Auto. „Wir haben keine Zeit mehr darüber nachzudenken. Was sollen wir jetzt tun?“
Ich schüttelte fassungslos meinen Kopf, als keine Antwort von Dalia kam und schlug auf die Motorhaube ein. „Verdammt.“
Dalia legte mir sanft ihre jetzt wieder warme Hand auf meine Schulter und drückte sie leicht.
„Mir geht es besser, dank dir. Wir fliegen weiter.“
Ich seufzte ergeben und drehte mich zaghaft zu ihr um. Ihre anklagenden, dunkelbraunen Augen musterten mich. „Wir sehen aus wie wandelnde Leichen“, scherzte Dalia und kicherte leise. Ich zog meine Augenbrauen hoch und sah an mir herunter.
Meine Kleidung war völlig zerfetzt und hing fahl an mir herunter. An ihnen klebte Blut.
Unendlich viel Blut.
Ich schluckte und sah zu Dalia. „Wir müssen weiter“, drängte sie und sah mich verzweifelt an. Ich nickte stumm und sie nahm mich erneut in ihre schmalen Arme.
„Eines versprichst du mir aber“, sagte ich, bevor sie ihre Flügel mit einem heftigen Ruck aus ihrem Rücken befreite. Diesmal strömte kein Blut aus ihrer Wunde heraus.
„Was denn?“, fragte sie zögernd und sah zu mir auf.
„Übertreib es nicht.“
Sie nickte und lächelte leicht. „Klar.“ Ich stöhnte genervt auf und Dalia lachte leise.
Gekonnt stieß sie sich vom Boden ab und glitt mit mir zusammen hoch in die Luft. Es war immer wieder ein berauschendes Gefühl in der Luft zu schweben und mit dem Wind seine Wege zu ziehen. Ich wollte auch fliegen können, mehr als alles andere.
Vorsichtig schloss ich meine müden Augen, als Dalia schon ihre ersten Flügelschläge getan hatte. Sie umklammerte mich fest und ließ mich nicht los. Ich war jetzt in Sicherheit.


Nach einigen Stunden landete Dalia erschöpft auf einer mir unbekannten Lichtung.
Die Nacht war schon über uns herein gebrochen und das Mondlicht durchflutete die kleine Lichtung. Ich seufzte und ließ mich in den Rasen fallen. Dalia legte sich lautlos daneben und musterte mich besorgt.
„Du hast mich geheilt“, flüsterte sie und legte ihren Kopf an meine Schulter.
Ich zog verwundert meine Augenbrauen hoch. „Wie darf ich das verstehen?“
Sie seufzte leise. „Ich weiß es nicht genau“, murmelte sie an meiner Schulter.
„Ich glaube dein Blut ist etwas Besonderes.“
Mit diesem Worten schlief sie tief und fest ein. Ich entspannte mich etwas und horchte in die Stille hinein. Ein leichter Windhauch umfasste uns, als ob er uns beschützen wollte. Ein Rascheln ließ mich aufhorchen und ich schob Dalia vorsichtig beiseite. Ich setzte mich langsam auf und schaute mich prüfend um. Das Rascheln kam von den Baumkronen die vom Wind aufgescheucht wurden. Ich schüttelte den Kopf und rieb meine Stirn. Ich war schon wie Dalia! Komplett übervorsichtig.
Doch einige Atemzüge später erklang ein erneutes Rascheln, das nicht von den Bäumen kam. Ich sah mich auf der kleinen Lichtung um, konnte aber nichts entdecken. Dalia schlief tief und fest weiter und rührte sich nicht. Unbeholfen stand ich vom trockenen Rasen auf. Plötzlich sah ich Schatten hinter den Bäumen und verkrampfte mich. Nein!
„Ah, die liebe Cecilia. Wie schön“, säuselte eine tiefe Männerstimme und trat aus den Schatten der Bäume. Victors braune, verwuschelte Haare glänzten im Mondlicht. Auch seine bleiche Haut war wunderschön und passte perfekt zu seinem muskulösen Körper. Ich schluckte. An was dachte ich denn da gerade?
Seine vollen und sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln als er mich musterte. „Zu oft hingefallen?“, fragte er und machte eine abwertende Handbewegung zu meinem Äußeren. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Nicht das ich wüsste“, zischte ich und verengte meine Augen zu Schlitzen.
Ein verhöhntes Lachen erklang von seiner Kehle und ich biss mir erneut auf meine Unterlippe. „Und was haben wir da? Dalia Schätzchen ist auch hier“, sagte Victor und schaute dabei auf die schlafende Dalia. Ich trat einen Schritt nach rechts und versperrte ihm die Sicht.
Meine Arme fielen schlaff an meine Seite, als ich ihn wütend anfunkelte. „Wenn du sie noch einmal anfasst, war’s das.“
Seine Lippen verzogen sich und er lachte erneut ohne erbarmen auf. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich keuchte laut auf. Als ich das Autofenster eingeschlagen hatte, hatte ich nicht alle Splitter entfernt. Dies wurde mir nun schmerzhaft bewusst und ich krümmte mich innerlich vor Schmerzen. Mir entglitten die Gesichtszüge und Victor trat einen Schritt auf mich zu. In seinen Augen sah ich sein unerbittliches Verlangen nach meinem Blut.
Ich machte einen Schritt nach hinten. Ich durfte ihn nicht an mich heran lassen oder wir waren beide geliefert. Mein Blick traf seinen und ein kalter Schauder der Angst lief meinen Rücken herunter.
„Wie schade für dich“, säuselte er in die Stille hinein. „Dass ein wehrloser Mensch sein Leben an eine Ephramerin verliert.“ Er schüttelte mit gespieltem Entsetzen den Kopf und musterte mich von oben bis unten. Ich zischte laut und sah ihn wütend an. „Wer will mich denn am liebsten sofort aussaugen? Sicherlich nicht Dalia!“
Victor sah mich für einen Moment entgeistert an, zeigte seine wahre Erscheinung. Doch als ich vor Schreck blinzelte, hatte er seine alte, gleichgültige Miene aufgesetzt. Ich glaubte zu wissen, dass es nur Einbildung von mir gewesen war.
Er schnaubte aufgebracht. „Was denkst du denn sonst was ich hier mache? Euch einen hübschen Besuch abstatten? Ich glaube du leidest unter Warnvorstellungen, Süße.“
Ich schüttelte mich leicht um seine Stimme aus meinem Kopf hinaus zu befördern. Ich fühlte mich sosehr von ihn angezogen, dass es schon schmerzte, ihn nicht berühren zu können. Es nicht zu dürfen. Ich dachte an Dalia, wenn sie meine Gedanken lesen könnte, hätte sie sich spätestens jetzt von mir abgewandt. Ein kleiner Seuftzer entrann meiner Kehle.
Victors Blick lag immer noch forschend auf mir. Ich dachte an unsere erste Begegnung zurück. Wie er mich angesehen hatte. Das war doch keine Einbildung gewesen, oder?
Wollte er nur mein Blut haben? Ich zuckte unter diesem Gedanken kaum merklich zusammen.
Ich fühlte mich von einem Monster angezogen! Wie tief konnte man noch sinken?
„Findest du keine Worte mehr Süße? Mir soll es recht sein. Komm her, dann haben wir es hinter uns“, riss mich Victors charmante Stimme aus den Gedanken. Er sah mich verführerisch an und machte einen Schritt auf mich zu, den ich sofort zurück trat.
„Nein!“, fauchte ich ihn an. Eine Hitzewelle wallte durch meinen kalten Körper und ließ mich erschaudern. Ich fühlte mich mit einem Schlag wieder lebendig. Ich straffte herausfordernd meine Schultern und sah ihn abwertend an. Er zog eine Augenbraue hoch und machte erneut einen Schritt nach vorn, den ich diesmal nicht konterte. Ich blieb wie angewurzelt stehen und sah bei Victors geschmeidigen Bewegungen zu.
Er lächelte schief, als er mein Handeln falsch interpretierte. Idiot!
Sofort spannten sich alle Muskeln in meinem Körper an und ich keuchte schmerzerfüllt auf. Victor hielt bei seinem nächsten Schritt inne und sah mich mit geweiteten Augen an. Ein Licht umhüllte die kleine Lichtung und tauchte es in eine wohlfühlende Wärme.
Ich hörte eine Stimme meinen Namen rufen, Dalias wunderschöne Stimme, die mich zu sich rief. Doch mein Körper wehrte sich gegen die Versuche, mich fortzubewegen.
Die Wärme wurde zu einer unerträglichen Hitze, die sich in meinem ganzen Körper zu verteilen schien. Meine Wut auf Victor wuchs unerbittlich weiter, bis sie das Fass zum überlaufen brachte. Mein Rücken bog sich automatisch nach hinten und ich krümmte mich. Ein Reißen war zu hören und durchbrach die Stille um mich herum. Die Hitze verteilte sich zu einem Punkt. Meinem Rücken. Ich schrie schmerzhaft auf und fiel auf die Knie, als ein weiterer Schwall der Schmerzen meinen Rücken umhüllte.
Plötzlich erklang wieder ein lautes Reißen und an meinem Rücken hang etwas Schweres. Das Licht verschwand und ich blinzelte, um das Geschehene zu verarbeiten. Mein Blick schweifte automatisch zu meinem Rücken, auf dem zwei riesige, perlweiße Flügel ragten. Ich keuchte auf und sprang auf meine Füße. Mein Blick huschte zu Victor, der mich wie erstarrt musterte. Seine Augen waren weit aufgerissen vor Schock. Sein Blick glitt zu meinen Augen und verharrte dort. Ein Gefühl der Geborgenheit und Liebe machte sich in mir breit und ich zischte. Dabei stolperte ich ein paar Schritte nach hinten, fiel aber nicht auf den Rasen. Meine Flügel spannten sich an und ich schreckte erneut auf. Wie war das nur Möglich?
Wieder wanderte mein Blick ganz automatisch zu Victor, der sich aus seiner Starre gelöst hatte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er rannte zu mir, in einer Geschwindigkeit, die ich als Mensch wohl nicht hatte sehen können. Er umschlang mich mit seinen starken Armen und hielt mich fest an seine muskulöse Brust gedrückt. Ich war wie erstarrt. Das Gefühl der Wärme kam wieder in mir hoch und ich hörte wie mein Herz, ohne meinen Willen, schneller schlug. Was passierte nur mit mir?
Doch wieder zeriss eine zarte Stimme die Stille. Es war Dalia.
„Cecilia! Verdammt, was tust du da?!“
Unbeholfen löste ich mich von Victor und taumelte ein paar Schritte zurück.
„Ich-Ich weiß nicht“, stammelte ich vor mich hin und sah Victor ununterbrochen an.
Dalia trat neben mich und sah mit geweiteten Augen meine Flügel, die sich unter ihren Blicken schmerzhaft anspannten. Sie war eine höhere Macht, ich spürte ihre Präsenz tief in meinem Blut. Langsam schweifte mein Blick zu Dalia. Ihre Augen waren pechschwarz und ich bemerkte, wie sie mich wütend anfunkelte. Jedoch erkannte ich in ihren Augen auch Verwunderung.
„Oh Gott“, hauchte sie und sah zwischen mir und Victor hin und her. Sein Blick verharrte auf meinen Flügeln, die genauso groß schienen, wie die von Dalia. An ihnen waren leichte, goldene Lienen zu sehen, die sich zu einem wunderschönen Muster empor zogen. Sie waren wie Ranken, die sich gekonnt miteinander verschnörkelten.
„Victor! Wieso?“, schrie Dalia und sah ihn hasserfüllt an. Ihre zierlichen Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Sie weitete ihre Macht in der Lichtung aus und schleuderte sie gegen Victor, der nun schmerzerfüllt aufkeuchte.
„Nein!“, rief ich aufgebracht und stellte mich schützend vor Victor, der mich verwundert ansah. In seinem Blick lag so viel Liebe, die man kaum beschreiben konnte. Dabei war diese Situation so grotesk und unwahrscheinlich zugleich. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
Ich schluckte laut und sah in Dalias schmerzverzerrten Augen. „Du bist seine Gefährtin!“, schrie sie aufgebracht und wandte sich von uns ab.
Mein Herz blieb stehen. Ich wollte ihr nachrufen, ihr sagen, dass es mir leid tat. Aber ich bewegte mich nicht und ließ sie gehen. Victor nahm mich von hinten in den Arm und ich schluchzte laut.
Warum ich?, hallte die Frage erneut in meinem Kopf. Sie verfolgte mich, wie die Jäger es einmal getan hatten. Schmerz wallte durch meinen Körper und hinterließ eine bleibende Gänsehaut auf meinem Körper.
Ich befreite mich geschickt aus dem Griff von Victor und sah ihm noch einmal tief in die Augen. „Wir werden uns wiedersehen“, war das Letzte, was ich zu ihm sagte, als ich Dalia hinterherlief. Ich rannte in den Wald hinein und suchte sie, verfolgte ihren süßlichen Duft, der mir Unbehagen bescherte. Es war ihre Rache für das, was ich ihr angetan hatte.


6. Catherine

Dalia



„Dalia! Warte doch!“, rief mir eine bekannte Stimme entgegen. Sie klang so verletzlich und zart, dass ich Cecilia am liebsten wieder in meine beschützende Arme gezogen hätte. Doch mein Kopf wehrte sich gegen das Verlagen, dass in mir aufkeimte. Ich schnaubte aufgebracht und drehte mich langsam zu ihr, um in die verletzten Augen zu sehen, die die reinste Folter für mich darstellten.
Ihre schneeweißen Flügel ragten aus ihrem zierlichen Rücken. Ich spürte, wie sie mich besorgt und mitfühlend ansah. Sie hatte ihren Gefährten gefunden, der sie eigentlich vorher umlegen wollte. Was für eine Ironie!
Mein Blick glitt erneut zu ihren Augen und mich hieß eine wohlfühlende Wärme willkommen. Sie strahlte die Sonne aus, die sie in mein trostloses Leben gebracht hatte. Ich seufzte und blicke zu Boden. „Egal was du sagen wirst, es wird nie etwas an der Situation ändern. Egal was du versuchst, mir zu erklären – nie wird es anders kommen. Du wirst zu ihm zurück müssen.“
Ich spürte ihre zarten Hände auf meinen Schultern, die mich leicht drückten. Dennoch blieb mein Blick starr auf den Waldboden unter mir gerichtet. Ich konnte nicht in die wunderschönen Augen sehen, die mir immer wieder das Leben retteten und mir dieses zur Hölle machten. Meine ganz persönliche, wundervolle Hölle.
„Nein, ich kann das. Ich kann mich von ihm fern halten!“, sagte sie verzweifelt und ich blickte in ihre verweinten Augen.
Ich lächelte schief und strich eine warme Träne von ihren Wangen. Auch wenn das Lächeln nicht ehrlich war, so wusste ich, dass mir nichts anderes übrig blieb.
Langsam schüttelte ich den Kopf. „Du verrätst dich selber, Celia. Als Mensch hattest du dich schon von ihm angezogen gefühlt, hab ich nicht recht?“ Ich wartete gar nicht eine Antwort von ihr ab. Ich wusste sowieso, wie sie ausfallen würde.
Leise sprach ich weiter und sah in ihre eiskalten, blauen Augen, die trotzdem viel Wärme und Geborgenheit ausstrahlten. „Und jetzt, da du eine bewundernswerte Verwandlung vollzogen hast und eure Blicke sich getroffen haben, war euer Schicksal besiegelt. Ja, es ist schwer zu verstehen, dass es genau Victor sein musste. Ich kenne ihn und habe niemals Liebe in seinen Augen gesehen. Doch als er dich so ansah, wusste ich sofort, dass es unwiderruflich um euch beiden geschehen war.“
Sie seufzte leise. Es war eine kleine Bestätigung auf meine ehrliche Aussage.
Mein Lächeln erstarb. „Entweder du akzeptierst es, oder wirst mit deinem Unglück leben müssen. Doch dieses Leben, wünsche ich dir nicht.“
„Wie meinst du das?“, hakte sie vorsichtig nach und sah mich fragend an.
Ich schluckte und sah sie den Tränen nahe an. „Du kannst es mir sagen!“, rief Cecilia empört über mein Zögern.
Jedoch interpretierte sie alles Falsch… ich erzählte es ihr und die Erinnerungen kamen hoch, an das, was ich längst verdrängt hatte.


5 Jahre zuvor.


Voller Lebenserwartung lag ich auf einer mir wohlbekannten Lichtung. Die Blumen umragten meinen zierlichen Körper. Überall waren sie verteilt. Ich liebte diesen Ort.
Es war einer meiner Zufluchtsorte, seitdem meine Eltern wieder angefangen hatten, sich für mich zu interessieren. Seit einigen Tagen hatte ich meine Flügel bekommen und sie waren schwarz. Kohlrabenschwarz. Was meine Eltern zuerst zutiefst schockierte. Ich schloss leicht meine Augen und atmete gleichmäßig ein und aus. Die Sonnenstrahlen kitzelten auf meiner pfirsichfarbenen Haut.
Meine Arme und Beine lagen ausgebreitet auf der von Blumen überwucherten Wiese, die mir neue Hoffnung gab. Bald musste ich wieder zu meinem Zuhause zurückkehren, mich dem stellen, was unwiderruflich passieren würde.
Plötzlich streichelten mich zwei eiskalte Hände. Sie berührten leicht meine warme Wange und ich schmiegte mich an sie. Ohne meine Augen zu öffnen, wusste ich, wer mich besuchen kam. „Raven“, flüsterte ich und seufzt wohlig. Ein kehliges Lachen drang in meine zarten Ohren und ließen mich aufhorchen. Ich blickte in zwei schwarze Augenpaare.
„Hey“, hauchte er und setzte sich entspannt neben mich. Ich lachte leise und setzte mich auf, um ihn in seine Augen schauen zu können.
Er seufzte leise und sah mich schuldbewusst an. „Du musst es ihnen sagen.“
Ich nickte benommen. „Ich weiß“, murmelte ich. „Nur habe ich keine Ahnung, wie ich damit anfangen soll.“
Er rutschte näher zu mir und legte seinen Arm um meine Schulter. Langsam legte ich meinen Kopf auf seine muskulöse Brust und seufzte zufrieden.
„Sie werden es verstehen.“
„Ich bin mir da nicht so sicher“, flüsterte ich und sah den Blumen dabei zu, wie sie vom Wind etwas aufgeweht wurden. Ravens Muskeln spannten sich etwas an und seine Atmung hörte abrupt auf. Ich wusste, dass er eigentlich keine Luft zum überleben brauchte.
„Am besten gehst du gleich zu ihnen hin“, murmelte er und stand auf. Er trat ein paar Schritte zurück und drehte sich zu mir um. Dabei blitze sein unwiderstehliches Lächeln auf und ich schmolz dahin. „Ja“, hauchte ich und ich sah ihn zum letzten Mal.

Mit viel Mut betrat ich später das Arbeitszimmer meines Vaters. Wir wohnten in einer unglaublich schönen Umgebung. Meine Mutter hatte einen Garten anfertigen lassen, um den sie sich liebevoll kümmerte. Ja, sie kümmerte sich um die Pflanzen und um ihren Ehemann, doch für mich war nie Platz in ihrem perfekten Leben.
„Vater?“, fragte ich vorsichtig und lugte durch die Tür. Er saß mal wieder an seinem Schreibtisch, wo viele Unterlagen und Papiere sich türmten.
„Was ist denn Schatz?“, fragte er knapp und in seiner Stimme hörte ich die Kälte heraus die er mir immer entgegen brachte. Er hasste mich. Ich schluckte schwer.
„Darf ich dich kurz sprechen?“
Er sah von seinen Papieren auf und schaute mich anklagend an. „Natürlich“, sagte er kühl und lehnte sich in seinen schwarzen Ledersessel zurück. Seine Hände hatte er auf dem Tisch miteinander verschränkt. Geduldig, obwohl ich nicht wusste, ob es gespielt war, wartete er auf meine Worte ab.
Ich setzte mich auf das schwarze Sofa, das in der Nähe von seinem Schreibtisch stand. In Bruchteilen von Sekunden kam meine Mutter in das Arbeitszimmer gestürmt. „Was ist nun schon wieder los?“, sagte sie aufgebracht und betrat schwungvoll das Zimmer. Mein Vater lächelte liebevoll und seine Augen strahlten. Ich zuckte vor Schmerz innerlich zusammen. Mich hatte er nie so angesehen.
„Unsere Tochter möchte mir etwas sagen“, sagte er ausdruckslos wieder an mich gewandt.
Ich atmete tief ein und sah meine Mutter an. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu setzten und ihre Aufmerksamkeit auf mich zu richten. Nein, sie schaute nur Vater an.
„Es geht um Raven“, platze es schließlich aus mir heraus und meine Mutter sah mich endlich an. Und wie sie mich ansah. Erschrecken und Verwunderung glitt über ihr bildhübsches Gesicht.
„Was soll mit ihm sein?“, fragte mein Vater mich und zog eine perfekte Augenbraue hoch.
„Nun ja“, stotterte ich und sah auf meine Hände, die ich miteinander verschränkt hatte.
„Er-Er ist mein Gefährte.“
Stille.
Mit schnellen Schritten kam meine Mutter auf mich zu. Ich hob verwundert den Kopf und rechnete mit anklagenden Worten, die mich zu tiefst erschütterten. Nein, ich bekam eine saftige Ohrfeige. Sie hallte im ganzen Raum wieder. Scharf zog ich die Luft ein und starrte meine Mutter angsterfüllt an. Nie hatte sie Hand gegen mich erhoben, geschweige denn geschlagen. Meine Hand wanderte automatisch zu meiner erröteten Wange. Das Blut kochte in ihr. Eine einzige Träne entrann meinem Auge. Die erste und letzte Träne, die ich je für meine Eltern vergossen hatte. Sie brachte meine ganzen Gefühle zum Ausdruck. Mitleid. So etwas, das sich Eltern nennen durfte, dürfte es eigentlich nicht geben. Eltern, die ihre Kinder hassen, für etwas, dass sie nicht einmal getan hatten. Sie waren schuld, dass sie mich in die Welt gesetzt hatten, nicht ich.
Ich durfte nie Schwäche zeigen, nie in meinem Leben. Nicht vor meinen Eltern, oder sonst wo. Niemals. Schweigend stand ich auf und verließ das Zimmer. Ich drückte die Klinke des Arbeitszimmers herunter und ging mit schleichenden Schritten in mein Zimmer.


Die Tage vergingen und ich sah Raven nicht einmal wieder. Es hieß, er sei aus der Stadt gegangen. Ja, er war gegangen und hatte meine Liebe mit sich genommen. Im gleichen Rhythmus, wie schon seit ein paar Tagen, schlug mein Herz kraftvoll und ausgelassen. Doch trotzdem fühlte ich mich leer, auf eine Art, die ich nur schwer beschreiben konnte. Es war, als ob tausende Stiche sich gleichzeitig in mein Herz bohrten.
Ich wusste, dass meine Eltern Raven weg geschickt hatten. Sie besaßen all die Macht, die mir verwehrt geblieben ist. Sie bestraften mich jedes Mal aufs Neue. Nur diesmal, war es das Schlimmste, was sie je machen konnten.
Seit genau zwei Tagen war ein Junge zu uns gezogen. Er sah nicht schlecht aus, mit seinen blonden, wirren Haaren, dem süßen, schmalen Kinn und den sinnlichen Lippen, die sich öfters zu einem Lächeln verzogen, wenn er mich ansah. Doch er traf immer auf leere Blicke, die ihn hassten. Ja, ich hasste ihn vom ersten Augenblick an. Denn er war hier, um mich zu heiraten.
Ich hatte meinen Eltern gesagt, dass ich dies nicht tun werde. Doch sie hörten mir wie immer, einfach nicht zu und meine Mutter schlug auf mich ein. Sie zögerte nicht einmal, als sie es tat. Alex, mein sogenannter Verlobter, hatte sich in dieser schweren Zeit um mich gekümmert. Auch dann noch, wenn ich seine Gegenwart überhaupt nicht genoss.
Eines Tages war es dann soweit gekommen, dass ich stürmisch in mein Zimmer gerannt war und die Tür zugeknallt hatte. So etwas schwer verbrecherisch durfte man in meiner Familie niemals tun. Nicht in den Gängen rennen oder sonst irgendetwas, was sich nicht schickte.
Ich hasste es hier.
Doch Alex kam sofort hinterher gerannt. Er mochte mich wirklich, dass sah ich an seinen Augen, die Funken sprühten, wenn er mich anfassen durfte. Wenn ich es ihm mal erlaubte.
Denn ich konnte ihm keine Liebe entgegen bringen, wenn dort keine war.
Ich seufzte in mein Kissen, als seine kalte Hand leicht meine Schulter drückte.
„Dalia“, hauchte er sanft meinen Namen, unter dem ich zusammenzuckte.
„Was ist denn, Alex?“, fragte ich ausdruckslos. Ohne eine Antwort zu geben, drehte er mich auf die andere Seite, so dass ich ihn ansehen musste. „Catherine ist hier, sie möchte dich und deine Eltern sehen“, sagte er und spannte seinen Unterkiefer an. Jede Frau, oder eher Mädchen, wäre bei seinem Anblick gestorben. Leicht hatte er sich über mich gebeugt und seine blonden Haare fielen über seine Stirn, bis zu seinen Augen. Diese sahen aus wie flüssige Ozeane, ein Misch aus Grün und Blau. Ich lächelte verkrampft. „Ich komme sofort“, sagte ich knapp und setzte mich aufrecht auf mein Bett, um seinen Blicken auszuweichen.
Er wusste sofort bescheid und ging ohne weitere Worte aus meinem Zimmer.
Wie ich gesagt hatte, verließ ich nach wenigen Minuten das Zimmer und gesellte mich zu meinen Eltern, die mich wütend anstarrten. Es zierte sich nicht, zu spät zu kommen. Ich würde später die Folgen meines Vergehens zu spüren bekommen. Als jedoch die Tür aufgerissen wurde, setzten meine Eltern ein strahlendes Lächeln auf, das so Falsch wirkte, wie ich mich gerade fühlte. Fehl am Platz.
Ein süßes Mädchen betrat unser Wohnzimmer, was eher einem Saal glich.
Ihre braunen, etwas gelockten Haare fielen sachte über ihre schmalen Schultern, die sie eingebildet nach oben gezogen hatte. Ihre Miene war hart und ausdruckslos und sie musterte mich abschätzend. Wir waren das perfekte Gegenteil voneinander und ich wusste, dass meine Eltern lieber sie als Tochter gehabt hätten. Denn jedes Wochenende war es wieder soweit, dass sie uns besuchen kam. Ihre eigenen Eltern hasste sie, genau wie ich meine nicht ausstehen konnte. Dennoch war an ihren leiblichen Eltern nichts auszusetzen. Catherine hasste ihre Eltern nur, weil sie nicht so einen hohen Stand besaßen, so wie meine.
Ich schluckte lautlos und sah sie genauer an. Ihre schmalen Lippen waren zu einem Lächeln verzogen, als sie meine Eltern erblickte. Oberflächlich kam sie erst auf mich zu und küsste abwertend meine Wange. Sie zog die Nase kraus, als sie meinen Duft wahrnahm. Ich roch anders und etwas das Anders war, konnte nicht gut sein.
Stürmisch umarmte sie meine Eltern und ich war nun außen vor. Mit leerem Blick verließ ich den Saal und machte mir nicht einmal die Mühe, meine Würde wiederzufinden und aus dem Raum zu stolzieren, wie es jeder in meiner Situation getan hätte. Ich wollte mich nicht mehr anstrengen, etwas zu sein, was ich nicht war. Etwas vorzugeben, wozu ich anscheinend nicht geboren war.
Als ich meine Tür öffnete, standen drei junge Männer in meinem Zimmer und sahen mich erfreut an. Victor und seine Bande waren zurück gekehrt. Ich lächelte ihn an. Es war selten, dass er uns besuchen kam. Er mochte meine Eltern genauso wenig, wie ich und dennoch kam er zu mir, um mich aufzuheitern.
Doch diesmal schien er nicht so sehr erfreut zu sein, wie es zuerst schien. Denn ich spürte Zögerungen in seinen Bewegungen, als er auf mich zukam. Vorsichtig schloss er mich in seine starken Arme und die anderen beiden drückten mich ebenfalls liebevoll nacheinander.
Sie waren Wächter. Jäger der Nacht, die Ordnung in unserem Reich schufen. Für diejenige, die sich nicht an all die Gesetze und Gebote hielten.
Victor wusste genauso wie ich, dass ich sie brechen würde. Er konnte den Schmerz in mir fühlen, den ich nur ihm und seinen Freunden zeigte.
„Hey meine Kleine. Wie sieht’s aus?“, fragte er mich gelassen und die drei setzten sich. Vincent und Lucan waren mir, genauso wie Victor, ans Herz gewachsen. Aber wenn ich wirklich fort wollte, was ich vorhatte, würde ich sie nur noch als Feinde sehen können.
Bevor ich zu einer neckenden Antwort ansetzen konnte, wurde die Tür stürmisch aufgerissen und Catherine betrat kokett mein Zimmer. Natürlich fühlte sie sich wie Zuhause und klopfte vorher nicht an.
Victor und die beiden anderen zischten leise, als Catherine mich hasserfüllt ansah. Ein leichtes Lächeln umspielte ihr von Hass zerfressenes Gesicht, das so schön gewirkt hätte, wäre sie nicht zu dem geworden, was sie heute war.
„Hmmm“, machte sie wohlwollend und legte eine kalte Hand auf meine schmale Schulter.
„Ich habe jemanden bezauberndes kennen gelernt, musst du wissen“, murmelte sie und ihre Augen leuchteten. Ich wusste nicht ob es vor Hass oder Schadenfreude war. Schnell zog sie ihre Hand von meiner Schulter und legte sie verführerisch an ihre schmale Hüfte.
Ich zog eine Augenbraue hoch und Victor fragte sie das, was ich beinahe ausgesprochen hätte, nur nicht in so einem freundlichen Ton.
„Und?“, fragte er und zog beide Augenbrauen zusammen. „Was sollte uns das interessieren?“
Catherine schnalzte aufgebracht mit der Zunge und schüttelt mit gespieltem Entsetzen den Kopf. „Es sollte euch nicht interessieren, zumindest nur“ - Sie drehte ihren Kopf in meine Richtung und sah mich abwertend an – „Dalia.“
Ich sah sie fragend an. „Wie bitte?“
Sie seufzte wohlig und wickelte eine Haarsträhne um ihren manikürten Finger. Sie schaute verträumt aus meinem offenen Fenster und blinzelte, als wir weiter schwiegen. Sie zog ein perfektes Schauspiel ab, nur wussten wir, dass es eines war. Warum machte sie sich bloß so einen Aufwand?
„Ich habe einen Verlobten!“, verkündete sie mit einem Freudenschrei und ich zuckte zusammen. Verwundert über die Tatsache, dass ein Kerl sie jemals wollte, fragte ich:
„Wer ist der Unglückliche?“
Sie schaute mich böse an. „Raven.“
Mein Herz schlug schneller, als ich seinen Namen wahrnahm. Aber es klang völlig Falsch, als sie ihn aussprach. Und da bemerkte ich erst, was sie da gerade gesagt hatte.
Ich sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.
Ein lautes Lachen erklang im ganzen Raum und ich verzog die Lippen vor Schmerzen in meinem Inneren. Der Schmerz ließ mich vergessen wer ich war. Ich atmete tief ein und sah sie mit einem Blick an, der alle Emotionen widerspiegelte, die ich Jahrelang unterdrückt hatte. Sie keuchte verschreckt auf und sprang zur Seite.
„Werde glücklich mit ihm, er hat es verdient“, hauchte ich, als ich mit schleichenden Schritten an ihr vorbei ging. Victor sprang augenblicklich auf und die anderen taten es ihm nach. Doch ich drehte mich nicht einmal um, als ich mein Zimmer verließ.
Ich spürte die Blicke, die sich auf meinen Rücken zu bohren schienen. Doch ich reagierte nicht. Nein, ich war jetzt jemand anders. Jemand, der ich schon lange sein wollte.
Ich hatte endlich den Mut dazu, aus meinem Leben zu fliehen, das ich schon längst verlassen wollte. Doch vorher wollte ich noch etwas Wichtiges erledigt wissen. Mit schnellen Schritten betrat ich einen, der langen und leeren Flure unseres Hauses. Bilder kamen mir grinsend entgegen. Unseren Familienstammbaum, den ich gleichgültig musterte.
Mit einem Ruck befreite ich meine Flügel aus dem Rücken und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Meine Eltern sahen mich entgeistert an, als ich ihnen meinen hasserfüllten Blick entgegen brachte. Meine Mutter starrte auf meine schwarzen Flügel, die sie so verachtete.
„Na Mutter, genug geglotzt?“, fragte ich mit einem teuflischen Grinsen.
Sie zog ihre perfekt zurecht gezupften Augenbrauen zusammen. „So redest du nicht mit mir!“, brüllte sie mich an und trat angriffslustig einen Schritt nach vorn. Mein Vater stand von seinem Sessel auf und eilte zu seiner Frau, um ihr beschützerisch die Arme um die Taille zulegen.
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. „Ach nein? Willst du mich dann wieder schlagen? Schade aber auch.“ Ich seufzte gespielt und ließ meiner Wut freien Lauf. „Weißt du was? Das Interessiert mich einen Scheißdreck!“
Mein Vater knurrte aufgebracht über meine Worte und zeigte seine Reißzähne, die mich völlig unberührt ließen. Angst war das Letzte, was ich je in diesem Moment fühlen würde.
„Süß!“, säuselte ich und machte einen Schritt auf die beiden zu. Von jetzt an waren es Fremde in meinem Leben.
Ich wagte einen weiteren Schritt und sah ihnen dabei ununterbrochen in die Augen. Blitzschnell wandte ich mich an das riesige Fenster, wodurch die Sonne schien. Der Raum wurde von Licht durchflutet und Wärme umfing meinen kalten Körper. Es kam nicht an mein Herz heran, das sich diese Wärme sehnlichst wünschte.
„Wisst ihr“, begann ich leise und schaute zum blauen Himmel empor. Meine Arme waren immer noch fest auf der Brust verschränkt. Sanft schloss ich meine Augen und vertieft in meinen Gedanken. Alle Gefühle und Emotionen, wollte ich endlich mal freien Lauf lassen.
Bevor ich mich endgültig auslieferte und floh.
„Das Leben, was ihr für mich erwählt hattet, ist nie eingetroffen. Immer war ich der Fußabtreter für eure Probleme, habt alles an mir ausgelassen, was es an Anliegen gab. Nie hast du Vater“, ich drehte mich zu ihm um und schaute ihn gleichgültig an. „Mich je wie deine Tochter behandelt.“ Ich zuckte mit den Schultern. Mein Blick schweifte zu meiner Mutter, die ihre Augen vor Schreck geweitet hatte. Ich wusste schon immer, dass sie von Außen betrachtet, immer sehr stark gab. Doch innerlich war sie ein Wrack.
„Ich bin anders. Und alles was anders ist, wird in euren Augen gleich abgestempelt.“
Ich seufzte und wandte meinen Blick wieder dem Fenster zu.
„Euch gebührt die Auszeichnung großartiger Eltern nicht, als die ihr immer gefeiert werdet. Ihr seit in meinen Augen Fremde, in deren Haus ich leben muss. Doch damit ist jetzt endlich Schluss.“
Mein Vater knurrte laut. „Du wirst nicht gehen! Oder wir werden dafür sorgen, dass du unsere Welt komplett verlässt!“
Ich lachte humorlos auf. „Das hattet ihr euch so schön ausgemalt nicht wahr?“, grinste ich und sah die beiden an. „Eine Tochter, die sich perfekt verhält, auf jeden eurer Befehle hört und ganz artig und brav ist. Nur leider, meinte das Schicksal es nicht gut mit uns.“
Ich spannte meine schwarzen Flügel an und breitete sie im ganzen Raum aus.
„Dir hat nie gefallen Mutter, dass ich anders war. Meine Flügel, sieh sie dir an! Hast du jemals etwas Derartiges gesehen?“, ich schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht! Deine Augen sind verschlossen. Sie sehen nur das, was du wirklich sehen willst. Eine heile, perfekte und kleine Welt nur für euch zwei. Kein Platz für mich.“
Meine Mutter biss sich auf die Unterlippe, als sie meine Flügel betrachtete. Die silbernen Schwingen und Muster auf ihnen, färbten bedrohlich auf.
„Na, hast du jetzt Angst, was ich anstellen könnte? Euren Ruf schädigen? Ich wette ihr bekommt das alles wieder hin.“
„Jetzt hör aber auf!“, schrie meine Mutter aufgebracht.
„NEIN!“, brüllte ich zurück und drehte mich nun komplett zu ihnen um. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und sah sie wütend an. „Nie werde ich euch ein weiteres Wort glauben, dass eure verseuchten Münder verlässt!“
Damit war der Bann gebrochen. Mein Körper zuckte auffällig unter der Macht, die sich in mir aufkeimte. Sie überrollte mich vollkommen und spülte meine Angst weg. Ich war frei.
Meine Mutter keuchte erschrocken auf, als sie merkte, dass ich mich von ihnen befreit hatte. Ein Gebot besagt, dass nie ein junger Ephramerin, sich frühzeitig von seinen Eltern befreien durfte. Dies war nun geschehen.
Ich grinste schief und formte meine Hände zu Klauen.
„Das war’s! Ich mach da nicht mehr länger mit. Ihr seid Fremde für mich. Fremde, denen ich gegenüber nichts mehr als Gleichgültigkeit empfinde.“
Ich drehte mich zu dem Fenster um und spannte meine Flügel an. „Ich freue mich schon auf unser nächstes Widersehen Denn eines Tages, werde ich zurückkehren. Merkt euch das“, hauchte ich und preschte durch das Fenster. Splitter fielen zu Boden und schrammte meine Haut auf. Der Schmerz durchzuckte mich und ließ mich zusammenzuckten. Ich schluckte schwer und sah auf den nahe kommenden Boden. Meine Flügel breiteten sich in ihrer vollen Länge aus und ich huschte knapp über den Boden weg. Eine Luftwelle schwang mit mir und ließ mich vor Kälte erschaudern. Mein Blut verteilte sich auf den Rasen, der Meterweit unter mir zu sehen war. Mir war bewusst, dass alle Vampire in Umkreis von ein paar Kilometern mein Blut rochen. Die Jagd war eröffnet.
Eine letzte Träne rann an meiner Wange herunter. Ich hatte mir geschworen, keine Tränen mehr zu vergießen, für das, was man mir angetan hatte. Aber warum fühlte ich mich so abgewiesen und komplett Leer?




Mit einem schmerzhaften Ruck wurde ich aus meiner Vergangenheit gerissen. Geschockte Augen von Cecilia musterten mich. Ihre Haarsträhnen bahnten sich einen Weg über ihre schmalen Schultern. Ihr Mund war leicht geöffnet und eine Träne lief über ihre erröteten Wangen.
„Oh mein Gott“, brachte sie nur heraus und umarmte mich stürmisch. Ihre weißen Flügel waren ausgebreitet und berührten leicht den Boden unter uns. Ihre goldenen Muster leuchteten leicht auf, als das Mondlicht auf sie traf. Sanft schloss ich meine Augen und dachte abermals an die letzten Jahre zurück.
„Warum war Cathy so zu dir? Und deine Eltern? Was ist mit Raven?“, fragte sie mich ununterbrochen ohne Pause. „Ich verstehe sie nicht. Wie konnten sie nur Jemanden so liebenswertes einfach ausschließen? Auch wenn du anders warst, gerade deswegen bist du doch etwas Besonderes!“
Ich seufzte leise. „In meiner Welt akzeptierte man so etwas nicht. Ja, meine Mutter hat auch schwarze Flügel. Aber diese hatten immer noch goldene Lienen auf ihnen. Sie waren nicht pechschwarz.“ Ich öffnete meine Augen und brachte zwischen uns ein wenig mehr Freiraum, um in ihre klaren Augen zu sehen. „Du weißt nicht wirklich über unsere Herkunft bescheid, oder?“
Sie schüttelte den Kopf und sah mich verweint an. „Erzähl es mir“, bat sie mich.
„Die Flügel spiegeln unsere Seele wieder. Weiß war schon immer die Definition der Reinheit, der Liebe und Aufrichtigkeit. Da meine Flügel pechschwarz waren, dachten alle sofort: Unreine Seele.“
Cecilia sah mich geschockt an. Die Tränen stoppten sofort, wie auf Kommando. Ich schmunzelte etwas. Konnte sie etwa auf Kommando Heulen?
„Sie haben dich einfach abgestempelt?“, flüsterte sie abwesend, eher zu sich selbst. „Aber deine Mutter hatte doch auch schwarze Flügel!“
Ich schluckte. „Ja, aber ihre Herkunft wurde durch den goldenen Lienen verdeutlicht. Was man von mir einfach nicht sagen kann.“
Sie seufzte leise und umfasste meine Schultern. Dabei sah sie mich aufrichtig an
„Du hattest einen Gefährten…“
„Ja, aber das ist schon lange her.“
Sie schüttelte ihren Kopf und die braunen Locken begannen herum zu wirbeln. Der Wind nahm deutlich zu. Ich hielt stark die Luft an und befreite meine Flügel aus meinem Rücken. Der Wind wurde stärker, versammelte sich regelrecht um Cecilia, die wie erstarrt dastand und mich musterte.
Ich wurde gegen den nächsten Baum geschleudert, der unter mich krachend nachgab. Mein Rücken drückte sich schmerzhaft durch und ich kreischte leise.
Die Schmerzen begannen zu Brennen und hinterließen blutige Wunden an meinem Rücken. Cecilia blinzelte erstarrt. Sofort lief sie zu mir und stützte mich. „Nein! Dalia?“
Ich seufzte leise und lächelte leicht. „Mir geht es gut.“
Ich sah ihr aufrichtig in die Augen. „Wie hast du das gemacht?“
Sie blinzelte erschrocken. „Was gemacht?“
„Du hast den Wind kontrolliert.“
„Ich habe, was?“
Ich schluckte hart und stellte mich aufrecht hin. Langsam glitt Cecilia neben mir, mit vor Schock geweiteten Augen.
„Es gibt da eine alte Legende“, fing ich leise an und sah zum Mond hinauf. Die Stille brach über uns herein. Cecilia schluckte leise und räusperte sich. „Ich werde dir zu hören“, versprach sie und setzte sich auf den umgeknickten Baum.
Ich seufzte leise und gesellte mich zu ihr.
„Raven hatte sie mir damals immer erzählt. Er wusste immer viel über unsere Herkunft und Sagen, sowie alle Legenden, die sie mit sich trugen.“
Ich schüttele lächelnd den Kopf, als ich ihn wieder vor mir sah. Strahlende Augen, vertieft in seinen Büchern.
„Was ist dann passiert?“, hakte Cecilia nach und sah mich fragend an. Ich senkte meinen Kopf und schaute auf meine verschränkten Hände, die ich locker auf meinen Schoß gelegt
hatte. „Es ist lange her, dass ich meine Vergangenheit wieder hervorhebe. Ich habe sie lange verleugnet, wollte nicht wahr haben, was passiert war. Aber leider, wollte mein Schicksal mich dazu zwingen, wieder an das zu denken, was ich nie wieder wollte. Du Celia.“
Ihre Atmung wurde schneller und setzte ein paar Mal aus, dennoch sagte sie kein Wort und ließ mich weiter sprechen, ganz, wie sie versprochen hatte.
„Es hieß, es gab fünf besondere Engel, die von Gott persönlich erschaffen wurden“, Cecilia sah mich geschockt an, sagte aber nichts dazu.
„Diese Engel hatten besondere Gaben. Sie dienten dem Zweck Mutternatur. Fünf Elemente, die zu einer unwiderstehlichen Macht heran wuchsen. Du kennst sie sicher?“
Eifrig nickte Cecilia. „Wasser, Luft, Feuer, Erde…“
„Und Geist“, fügte ich knapp hinzu. Sie nickte benommen.
„Jeder dieser Engel verfügte über solch ein Element, Gottesgeschenk an seine treuen Engel. Diese wurden an die Generationen weiter gegeben, und verstärkt. Es gibt für jedes Element, auch nur einen Träger. Und du besitzt das Stärkste von allen, Celia.“
„Luft“, flüsterte sie und zeigte ein niedliches Lächeln.
„Genau“, sagte ich knapp und blickte ihr dabei in die verträumten Augen. „Aber ich muss dir noch etwas sagen.“
Sie wandte ihren Blick leicht zu mir und nickte.
„Wie heißt du mit Nachnamen?“, fragte ich gespannt. Cecilia blinzelte leicht, als sie meine Frage hörte. „Weißt du das nicht?“
„Beantworte einfach meine Frage, bitte.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Byron.“
Ich schnappte nach Luft. „Was ist?“, fragte sie besorgt und musterte mich.
„Hast du je was von deinen richtigen Eltern gehört?“
Sie runzelte die Stirn. „Ich habe richtige Eltern“, beharrte sie und schaute zum Mond.
Ich seufzte. „Du hast nicht ohne Grund eine Zwillingsschwester. Ist dir keine Ähnlichkeit aufgefallen? Sie heißt Catherine Byron.“
„Natürlich, aber was willst du mir damit genau sagen?“, fragte sie mich und schaute mich wieder direkt an. In ihren Augen funkelte Besorgnis und Wut.
„Ich habe Catherine gekannt. Ich habe es dir erzählt, wie sie ist. Sie besitzt das Element des Geistes.“
„Dann habe ich noch weitere Geschwister“, schlussfolgerte Cecilia.
„Du bist einer der Engel aus der Legende. Und wie ich sehe, ist sie wahr.“
Sie nickte benommen und legte mir eine zitternde Hand auf meine Schulter.
„Weißt du etwas über meine anderen Geschwister?“
Ich schüttelte leicht den Kopf. „Wir müssten Catherine aufsuchen, da sie bestimmt einiges mehr weiß, als ich. Sie lebte schon immer in meiner Welt, du nicht. Aus Gründen die ich nicht verstehen kann, bist du als Mensch geboren worden.“
Entschlossen stand sie vom Baum auf und reichte mir ihre Hand. „Gehen wir.“
Ich lächelte sie zaghaft an und gab ihr meine zierliche Hand.
„Wohin müssen wir eigentlich?“, fragte sie verblüfft, als wir beide aufgestanden waren. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Folge mir“, hauchte ich und breitete meine Flügel aus, um in den Himmel empor zu steigen. Dabei nahm ich wie von selbst ihre Hand und zog sie mit mir. Zusammen flogen wir über den nächtlichen Himmel, nichtsahnend, was dort auf uns wartete.


7. Lügen

Cecilia



Als Dalia mir ihre Vergangenheit erzählt hatte, konnte ich gar nicht richtig fassen, was ihr wirklich widerfahren war. Sie hatte mir zwar schon öfters gesagt, dass sie verstoßen worden war, aber nie so eindringlich, wie heute. Aber in diesen Moment ging mir etwas ganz anderes durch den Kopf. Meine Zwillingsschwester, war nie die gewesen, die ich mir insgeheim immer vorgestellt hatte. Dazu kam noch, dass ich, ohne Catherine, drei weitere mir unbekannte Geschwister hatte. Ich schluckte schwer, als ich der aufgehenden Sonne entgegen sah. Meine früheren Probleme waren vergessen. Sie kamen mir, im Gegensatz zu jetzt, klein und unwichtig vor.
Beschützend hielt Dalia meine Hand. Zusammen flogen wir über verschiedene, wunderschöne Landschaften. Meine Flugbalance hielt sich noch sehr in Grenzen, da ich noch nie wirklich geflogen war. Aber es fühlte sich richtig an. Die Harmonie stimmte perfekt, als ich meinen ersten Flügelschlag getan hatte. Der Wind kam mir helfend entgegen, so dass ich Dalias Hand losließ und sie mich erstaunt ansah.
Es wurde immer später und die Sonne verzog sich wieder hinter dem Horizont. Meine menschlichen Bedürfnisse meldeten sich und Dalia verzog den Mund. Sie zeigte auf eine Großstadt und wir landeten elegant. Ich schaute ihr dabei zu, wie sie ihre Flügel einzog und manche, feine Federn sich auflösten und in der Dunkelheit verschwanden. Meine ersten Versuche gingen kläglich daneben.
„Entspann dich“, murmelte Dalia und ich schloss meine Augen. Wie von selbst wurde mein Rücken um einiges leichter und ich sah mich erschrocken um. Dalia grinste frech. „Geht doch und jetzt komm. Du hast doch schließlich Hunger, oder?“
Ich lachte leise und ließ mich hinterher ziehen.

Die Großstadt war perfekt. Die Menschenmasse überdeckte unsere Gerüche, sodass wir uns nicht zu verstecken brauchten. Entschlossen ließ ich ihre Hand los und ging neben ihr her. Wir hatten uns mitten auf unserem kleinen Ausflug umgezogen. Jetzt sahen wir wieder halbwegs normal aus.
Ich sehnte mich nach einer großen Badewanne, in der ich mich fallen lassen konnte. Ich seufzte tief in meinen Gedanken versunken, so dass ich nicht die vordere Gestalt bemerkte.
Ungeschickt wie ich war, lief ich gegen eine harte Brust und stolperte, fiel aber nicht hin, so wie ich es als Mensch getan hätte. Ich rieb mir die Stirn. „Können Sie nicht aufpassen?“
Ich fluchte leise und Dalia sah mich geschockt an. Mein Blick hob sich nach oben. Sofort überrannte die Wärme mein Herz und es schlug doppelt so schnell, wie zuvor. Victor.
Ich zischte und trat erneut einen Schritt zurück. Dalia verkrampfte sich und glitt an meine Seite. Victor sah mich liebevoll an, doch hielt in seiner Bewegung inne.
„Tu ihr nicht weh“, flüsterte ich. Dabei sah ich Dalia an und konnte schwer meine Tränen unterdrücken.
Victor schüttelte mit dem Kopf. „Nein, nie wieder.“
Mein Atem stockte und ich schaute ihn direkt an. Seine Augen glühten, aber nicht vor Verlangen nach unserem Blut. Er sprach die Wahrheit, ich konnte es fühlen. Ich biss mir unsanft auf meine Unterlippe, die zurzeit ziemlich zu leiden hatte. Dalia atmete schwer ein und aus.
„Und das sollen wir dir glauben?“, fragte sie, in einem milden Ton. Doch ich wusste es besser. Sie war außer sich vor Wut und ich konnte es ihr nicht übel nehmen. Nachdem ich erfahren hatte, wie sie mal zu Victor gestanden hatte, konnte ich es mir jetzt kaum vorstellen. Die Eltern hatten einen Keil zwischen den beiden getrieben. Eine wichtige Freundschaft zerbrach. Ich seufzte.
„Er spricht die Wahrheit.“
Sie zog beide Augenbrauen hoch und sah zu mir. „Woher willst du das wissen?“
„Ich fühle es“, murmelte ich und nahm den Blick von ihr, um in seine dunklen Augen zu sehen. Sofort überrannte mich das Gefühl der unwiderruflichen Geborgenheit. Vorher hatte ich nie jemanden anderen geliebt, ich hatte immer auf ihn gewartet, so kam es mir vor.
Ich hatte mich so in ihn getäuscht. Vorher war da Hass. Der Hass, den ich empfand, weil er Dalia unendlich weh getan hatte. Aber dabei war er es nicht gewesen, sondern Dalias Eltern. Sie waren schlimmer als der Tod selbst.
Zögerlich machte er einen Schritt auf uns zu. Die Menschenmenge schien sich aufzulösen, dennoch war es nur ein Trugbild meiner selbst. Ich schluckte schwer und verlor mich in seinem Blick. Doch Dalia reagierte schnell. „Sag mir was du vorhast!“, zischte sie und glitt elegant vor mich hin. Ich hatte nicht gesehen, dass Victor schon so nah zu mir gekommen war. Er blinzelte ebenfalls erschrocken, als fühlte er dasselbe.
„Ich will euch helfen.“
„Du hast mir vorher auch nie geholfen.“
„Weil ich vorher keinen Grund gehabt hatte. Doch mir wird klar, dass deine Eltern kein Recht hatten, dir solch ein Unheil anzutun.“
Dalia verkrampfte sich, als sie diese Worte vernahm. Ich sah, wie ein Schauder sie überkam. Angst. Sie war tief in ihr.
Dalia schluckte schwer und trat zur Seite. Ich traute meinen Augen nicht. „Ich warte dort hinten“, murmelte sie leise und ging direkt auf einen Hotdogstand zu.
Mein Blick wanderte wieder zu Victor. Seine dunkelbraunen Haare sahen in der Nacht fast schwarz aus. Er verwirrte mich. Aber diese Verwirrung war nur ein weiterer Grund, warum ich ihm nicht trauen durfte. Aber warum tat ich es trotzdem?
Zögerlich trat er zu mir und streichelte sanft meine Wange. Wie selbstverständlich schmiegte ich mich an sie. Die Geräusche hupender Autos, die Gespräche der Menschen und sogar das Geräusch des Windes, der mir sanft ums Gesicht strich, blendete ich vollkommen aus. Es gab nur noch ihn. Sein verlockender Duft, der mich zu ihm rief. Ich schloss meine Augen und ließ mich treiben. Er schmiegte seine starken, kalten Arme um mich und drückte mich fest an sich. Wie von selbst wanderten meine Arme um seinen Hals. Ich erschauderte leicht, als er sanft meinen Hals küsste.
„Ich werde mir nie verzeihen, beinahe meine Gefährtin getötet zu haben“, hauchte er leise in mein Ohr und sein Atem streifte meinen Nacken. „Du hast es nicht getan“, flüsterte ich zaghaft zurück. Meine Stimme gehorchte mir in diesem Augenblick nicht mehr.
„Ich war zu geblendet um zu sehen, wer ihr wirklich seid. Wer du wirklich bist.“
Er schob mich ein wenig zurück, um in meine Augen zu schauen. Ich lächelte ihn leicht an. „Frieden?“, fragte ich leise und schaute ihn unschuldig an.
„Mehr als das.“ Victor drückte mich erneut fest an sich und ich ließ ihn gewähren.
Vorsichtig zog er mich zu einer Seitengasse. Dalia kam nach ein paar Atemzügen meinerseits zu uns zurück. Sie hielt einen dampfenden Hotdog in der Hand und grinste friedlich.
Ich sah sie dankbar an, nicht nur wegen des Hotdogs. Sondern auch, dass sie mir diese Zeit mit Victor gab.
Während ich aß, sprachen Victor und Dalia unkompliziert miteinander. Was mich stark verwunderte. Dennoch sah ich in Dalias Blick, dass sie ihm noch nicht zu trauen schien.
„Die Legenden sind wahr, Victor. Cecilia besaß schon unheimliche Kraft als Mensch. Und jetzt kann sie ihr Element sogar ohne große Anstrengungen kontrollieren. Die Macht schien größer, als ich gedacht hatte.“
„Wenn dem so ist, hat sie vier weitere Geschwister.“
„So weit waren wir auch schon. Erinnerst du dich an Catherine?“
Victors Gesichtszüge verdunkelten sich bei dem Namen meiner Zwillingsschwester.
„Natürlich.“
„Catherine ist Cecilias Zwillingsschwester.“
„Was?“, fragte er verdattert und sah zu mir, wie ich meinen Hotdog verputzte.
„Siehst du die Ähnlichkeiten nicht? Catherine war damals zwar noch zarte Fünfzehn, aber trotzdem gibt es sie. Ich musste mich auch erst zurück erinnern, um es sehen zu können.“
Victor vertiefte sich in meine Miene und ich schluckte den letzten Rest des Hotdogs herunter.
„Du hast Recht“, sagte er und wandte den Blick wieder zu Dalia.
Sie seufzte erleichtert. „Wir müssen mehr über ihre Geschwister herausfinden. Und zu unserem Leid, auch über Catherine.“
„Das kannst du nicht machen! Du weißt nicht mehr was bei uns los ist!“, rief Victor außer sich und nahm mich fest in seine Arme. Ich quiekte erschrocken auf und sah zu Dalia, die etwas verärgert schien. „Ich kann Celia nicht dorthin bringen“, flüsterte er.
Jetzt meldete ich mich zu Wort und brachte etwas Abstand zwischen Victor und mir.
„Hallo? Ich bin auch noch da!“
Dalia kicherte leise. „Ich weiß.“ Sie verdrehte die Augen und fügte ernster hinzu:„ Cecilia, du musst dir im Klaren sein, was du bist, woher du kommst. Was kann da besser sein, als es aus erster Hand von Cathrine zu erfahren?“
Ich seufzte leise und ignorierte ihre Stichelei. Dann sah ich besorgt zu Victor.
„Was wird aus Dalia, wenn sie ihr altes Reich betritt?“
Victors Augen weiteten sich und sahen zu Dalia. Ihre Miene war vollkommen ausdruckslos.
„Ich warte schon ewig auf Rache. Mir wird nichts geschehen.“
Ich schluckte hart. Ja, sie hatte sich Rache geschworen. Auch wenn es aus erklärlichen Gründen war, konnte ich es meinerseits nicht akzeptieren. Es war einfach nicht richtig.
Dalia räusperte sich, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. „Ich begiere nicht nur auf Rache, die unser kleiner Besuch ausmachen wird. Am meisten mache ich mir noch Sorgen um die Unwissenheit, die uns alle betrifft wenn es um dich geht, Celia. Ich kann mir nicht erklären, warum genau du das Element des Windes geerbt hast. Warum du überhaupt eine so starke Kraft in dir trägst.“
Victor war ganz still geworden und lauschte unseren Worten. „Was wäre da besser, als in die Höhle des Löwen zu gehen und sich dem zu stellen?“, säuselte ich und musste leicht grinsen. Die Anspielung betraf sich auf Cathrine und ich sah, dass Dalia verstanden hatte.
„Du hast also verstanden. Dann wäre das schon mal geklärt“, sagte Dalia und grinste schief.
Galant drehe sie sich um. „Wenn wir vor Morgen noch dort ankommen wollen, müssten wir so langsam aufbrechen.“ Ihre Stimme klang zart und doch lag so viel Stärke in ihr, dass es mich ganz erschütterte, sie so zu sehen. Ich sah zu Victor, der hin und her gerissen war. Ich nickte leicht und wandte mich aus seiner Umarmung, „Wir sollten aufbrechen.“ Dabei nahm ich grinsend seine Hand und drehte mich zu Dalia um. „Kann’s los gehen?“, fragte ich neckend und ich hörte ein süßes Lachen. „Klar.“
Mit einem Ruck befreite sie ihre pechschwarzen Flügel aus ihrem Rücken und stieß sich elegant vom Boden ab. Schwarze Federn glitten zu Boden und verschwanden in der Dunkelheit. Ich lächelte und tat es ihr gleich, auch wenn meine Bewegungen nicht ganz so perfekt waren, wie die Ihre. Wind umfing mich und ließ mich in die Luft gleiten. An meiner Hand war immer noch Victor, der mich mit großen Augen musterte. Ich lachte aus vollem Hals und flog immer höher. Ich spürte, dass die Luft mein Element war.
Mit einem Ruck zog ich Victor an mir hoch und schlang meine Arme um seine Taille.
„Anders herum wär’s mir lieber“, brummte er und verzog seinen Mund. Doch seine Augen strahlten. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Was soll ich bloß mit dir machen?“, schmunzelte ich und sah nach vorne. Dalia flog voraus und lachte laut. Victor brummte etwas Unverständliches und ließ sich von mir durch die Lüfte tragen.
Schweigend flogen wir durch die an uns vorbei huschenden Landschaften. Der Wind gab mir das Gefühl der Geborgenheit. Sichtlich auch, weil Victor in meinen Armen lag.
Vor einer Woche hätte ich mir das nicht vorstellen können. Niemals hätte ich mir erträumen lassen können, einen Vampir in meinen Armen zu halten, Flügel zu besitzen, kein Mensch zu sein. Denn ich war seit ich denken kann ein ganz normaler Mensch gewesen. Ich seufzte und schaute zu Victor, der mich ununterbrochen musterte. „Können wir irgendwann auch mal laufen?“, fragte er mürrisch und zog eine Augenbraue hoch.
„Wir betreten gleich das Territorium meiner Eltern. Da sollten wir wirklich lieber laufen. Sie könnten mich viel zu leicht an meinen Flügeln erkennen“, sagte Dalia und flog blitzschnell neben mich. Ich blinzelte. Nicht schlecht, dachte ich mir und sie grinste, als hätte sie meine Gedanken erraten. Schweigsam flogen wir nebeneinander her, bis sie
„Und runter“, sagte und schutzlos einen Sturzflug in die Tiefe machte. Ich hielt erschrocken an und sah auf die abstürzende Dalia. Sie zog gekonnte die Flügel ein um mehr Schwung zu bekommen, nur um sich am Boden abzufangen. Ich lachte leise und ließ mich einfach nach unten gleiten. Victor schnaubte, als er Dalia erkannte, die an einen Baum gelehnt dastand. Ich entließ Victor aus meinem Griff, als wir auf festem Boden standen. Meine Beine fühlten sich nach stundenlangen Fliegen etwas taub an.
Ich zog meine Flügel in meinen Rücken und manche weiße Federn flogen in die Nacht und verblassten schließlich vor meinen Augen. Ich lächelte verträumt, als ich ihnen dabei zusah. Ich wandte meinen Blick ab und sah eine flügellose Dalia. Wie sie das gemacht hatte, war mir schleierhaft. Sie lächelte schwach. Doch war dies nicht ehrlich gemeint. Schalk blitzte in ihren Augen auf und sie verschränkte ihre Arme vor der Brust.
„Ab jetzt führt Victor.“
Dieser sah sie erstaunt an. „Warum?“
„Ich erwähne es gerne noch einmal“, sagte sie sarkastisch.
Dalia sah ihn mit bohrenden Blicken an. „Wenn es hier so anders ist, wie du es mir vorhin geschildert hast, werde ich dir liebend gerne das Kommando übergeben.“
Während sie sprach, wanderten dunkle Schatten über ihren zierlichen Körper. Ich blinzelte erschrocken, doch sie waren keine Einbildung.
Sie umwucherten liebevoll ihren Körper und ließen sie gefährlich aussehen. Ich schluckte.
„Ehm, Dalia. Ich unterbreche dich zwar nur sehr ungern aber“, ich zeigte auf die düsteren Schatten, die sich sachte an ihre Körper schmiegten. „Du hast da was.“
Sehr geistreich Celia, dachte ich spöttisch.
Sie blinzelte und löste ihre Arme von der Brust. Sie glitten schlaff neben ihren Körper, als sie mich skeptisch ansah. Ihr Blick huschte zu Victor, der nur leicht benommen nickte.
„Das Kennzeichen, eines Verbannten“, flüsterte er.
Dalia seufzte verärgert auf. „Hätt ich mir gleich denken können.“ Stumm sah sie an sich herunter und schüttelte spöttisch den Kopf.
Ich zog beide Augenbrauen zusammen. „Und das heißt im Klartext?“
„Das heißt, Celia. Dass ich jetzt nicht einfach durch die Gegend laufen und irgendwelche Vampire abschlachten kann“, sagte sie zynisch und verdrehte die Augen.
Ich verzog meinen Mund. „Das ist mir auch klar.“
Victor wandte sich zu mir. „Wir müssen uns was überlegen. So können wir Dalia auf gar keinen Fall da rein gehen lassen.“
Dalia schnaubte. „Wer sagt bitte, dass ich mitkommen will?“, zischte sie und verdrehte die Augen, als sie unsere Blicke sah. „Ganz einfach. Da Cecilia die Zwillingsschwester von Catherine ist, wirst du lieber Victor, sie dort einschleusen. Sie werden Celia herzlich Willkommen heißen, doch traue dem Frieden nicht.“ Ihre Stimme hatte einen heftigen Unterton angenommen.
Ich nickte benommen und sah zu Victor. „Ich weiß in diesen Moment auch nichts Besseres“, bestätigte dieser mir. „Also gut“, flüsterte ich als kleine Bestätigung. Dalia nickte zufrieden. „Du weißt, dass ich nur dein Bestes will“, sagte sie nun mütterlich und schaute mich mit einem intensiven Blick an. „Und ich weiß dass du mehr über dich wissen willst. Also gewähre ich es dir, mehr über dich herauszufinden.“ Auch wenn ihre Stimme noch so stark klang, hörte ich einen nervösen Unterton in ihr. Hatte sie etwas zu verbergen?
„Aber was wirst du machen?“, fragte ich stattdessen und Dalia und runzelte die Stirn.
„Um mich brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich werde solange auf euch warten. Kommt schon! Die Zeit läuft uns davon. Wer weiß, ob Catherine hier überhaupt ist, was ich nicht unbedingt bezweifle.“ Sie schnaufte und kreuzte erneut die Arme vor der Brust.
Ich wusste was ihr in diesem Moment durch den Kopf ging und seufzte darauf ergeben.
„Versprich mir, mach nichts Dummes.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. „Was glaubst du, mit wem du hier redest?“, fragte sie sarkastisch. Ich lachte hart auf. „Da hast du auch wieder Recht. Bis später.“ Ich drückte sie leicht an mich und nahm Victors Hand. Geschmeidig ließ ich mich von ihm mitziehen und blickte zurück zu Dalia, die einsam auf der Wiese stand. Sie sah mich nicht an und doch konnte ich die Trauer in ihrem Gesicht sehen. Die Lüge war ihr nicht leicht über die Lippen gekommen, dass sah ich in ihren schmerzerfüllten Augen. Doch warum hatte sie uns angelogen? Was verbarg sie hinter ihrer schillernden Rüstung, die sie uns immer zeigte?
Ich wandte meinen Blick von ihr ab und Victor hob mich auf seine starken Arme.
Während er in übermenschlicher Geschwindigkeit über die flachen Wiesen rannte, sprach er beruhigend auf mich ein. „Dalia ist stark, du brauchst dir keine Sorgen um sie machen. Wir sind wesentlich schlimmer dran.“ Er verzog den Mund und konnte ein Lachen nicht verkneifen. Ich nickte stumm und schlang meine Arme um seinen Hals. Meine Gedanken waren wirr und durcheinander.
„Du musst dich bitte gleich schlafend stellen“, flüsterte er mir ins Ohr und wurde schon etwas langsamer. Ich zog meine Augenbrauen hoch und sah ihn fragend an. „Warum?“
„Damit mir das Sprechen leichter fällt. Mach es mir bitte nicht noch schwerer.“
Ich schluckte und nickte benommen. Er seufzte erleichtert auf. „Danke“, murmelte er und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Ich bemerkte erst jetzt, dass wir stehen geblieben waren. „Wir sind da“, hauchte er gequält und ich wandte den Blick von ihm ab. Ein Schloss hieß mich Willkommen. Ich schluckte und weitete meine Augen. Das riesige Anwesen, das mitten auf Blumenwiesen stand, war größer als ein paar Fußballfelder. Dunkle Steine zierten die Wände und hochgewachsene Pflanzen ließen es wie ein Gruselschloss erscheinen. Bäume umzäumten den Privatbesitz und unterstrichen dessen Reichtum.
„Schlaf“, bat er mich und ich schloss, wie befohlen, meine Augen. Auch wenn ich mehr sehen wollte, von dem prunkvollem Schloss, so musste ich Victor vertrauen, um ihn und Dalia zu schützen.
Dalia… Ich seufzte.
Ich bemerkte seine geschmeidigen Schritte und das knirschen der Kieselsteinen unter Victors Füßen. Plötzlich hielt er inne und klopfte an eine hölzerne Tür, so kam es mir zumindest vor. Ich hörte leise Schritte, die auf uns zukamen und leise die Tür geöffnet wurde.
„Victor?“, fragte eine tiefe Männerstimme. Diesen bemerkte ich leicht nicken.
„Ist es das, was ich denke?“, fragte eine sanfte Stimme, die zu einem Mädchen gehörte. Victor verkrampfte sich und spannte seine Muskeln an. Der Griff um meine Beine wurde stärker.
„Ja Catherine, dass ist deine Zwillingsschwester“, hauchte Victor und ich bekam eine Gänsehaut. Sie war hier, ganz in meiner Nähe. Ich spürte, wie die Wut in mir ihren eigenen Willen in mir bekam. War es das, wovor mich Victor indirekt gewarnt hatte? Dass ich unseren Plan zunichte und uns alle verraten würde? Aus Wut? Außerstande, die Kontrolle zu behalten? Der Wind um uns wurde stärker. Ich hielt meine Augen weiterhin geschlossen und stellte mich schlafend, auch wenn es mir nicht unbedingt leicht fiel.
„Sie sieht sehr erschöpft aus. Ist sie schon…?“, fragte die Mädchenstimme, von der ich wusste, dass sie zu Catherine gehörte.
„Ja“, beantwortete Victor knapp ihre Frage, ob ich denn schon schliefe.

„Wunderbar“, hauchte sie direkt neben mein Ohr. Ich rührte mich nicht, was unfassbar schwer für mich war. „Willkommen Zuhause, mein kleiner Engel.“
Victor drückte mich näher an seine Brust und ich war ihm unendlich dankbar dafür.
Die Männerstimme meldete sich wieder zu Wort. „Bring sie am besten in deine Gemächer.“
Victor nickte und trat ein. Seine Schritte hallten laut wieder, sodass ich feststellen konnte, dass wir uns in einem großen Saal befanden. „Du kannst die Augen öffnen“, flüsterte Victor mir nach ein paar Atemzügen meinerseits zu.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen einen Spalt weit und sah zu Victor.
Meine Hände zitterten und ich drückte mich an ihn. „Oh Gott“, flüsterte ich und er schlang die Arme um meine Taille. „Alles ist gut“, hauchte er und vergrub seinen Kopf in meine Haare. Ich nickte benommen.
Ich dachte zurück an Dalia, die jetzt irgendwo alleine im Wald war. Ich schluckte und sah in Victors dunkle Augen. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir zusammen im Bett lagen, unter der Bettdecke. War ich so neben der Spur, dass ich gar nichts mehr mitbekam? Aber in diesen Moment überrannte mich die Müdigkeit und ich machte mir keine weiteren Gedanken darum.
Ich seufzte und kuschelte mich an seine Brust. Er strich mir einfühlsam über meine Haare. Langsam fielen mir meine Augen zu und ich dachte nicht an Morgen, was passieren würde, wenn etwas schief ging. Ich fühlte mich unendlich wohl in Victors Armen, die mir Trost spendeten. Leicht glitt ich in einen traumlosen Schlaf, ohne auf die Hilferufe in meinem Kopf zu reagieren. Und es war der größte Fehler meines Lebens, wie ich bald darauf feststellen sollte.



Dalia



Es war Nacht.
Die Dunkelheit umhüllte mich wie ein schauriger Schatten, der mich verfolgte. Jeder meiner Atemzüge brannte und quälte mich weiter. Ich seufzte tief und ließ mich an einem Baum nieder. Dalia und Victor waren schon seit mehreren Stunden fort. Ich wusste, dass Cecilia Schlaf brauchte. Ich wusste es. Aber warum fühlte ich mich trotz allem so verlassen, wie schon vor ein paar Jahren?
Die Schatten waren mehr geworden, so dass ich gezwungen war, mich tiefer im Wald zu verstecken. Sie schürften mir regelrecht meine Haut auf. Schmerz. Überall Schmerz.
Doch ich hielt es für die beiden im Schloss aus. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schlug auf die dunklen Blumen ein, die von meinen ausgehenden Schatten ganz eingegangen waren. Schwach schloss ich meine Augen und lehnte mich an den Baumstamm. Auch ich konnte Schlaf gebrauchen, dennoch ließ mein Innerstes es nicht zu.
Müde stand ich auf, um meine Schwäche zu unterdrücken. Bewegung konnte nicht schaden.
Nach ein paar Schritten, bemerkte ich erst, dass ich aus dem Wald lief. Eine breite Wiese voller bunter Blumen lag vor mir. Ich erinnerte mich nur zu stark an sie.
Nie wollte ich sie wieder betreten, denn sie war der Anfang und das Ende für mich gewesen. Ich schluckte und trat einen Schritt nach vorne. Der Wind toste und blies mir die Haare aus dem Gesicht.
Der Mond schien zu mir herunter und lies die Lichtung magisch werden. Viele Sterne zierten den dunklen Nachthimmel. Ich seufzte wohlig und trat in die Mitte der Wiese.
Aufrecht stand ich dort, mit dem Kopf zum Himmel geneigt.
Sanft schloss ich meine Augen und atmete tief ein. Die Schatten hatten sich für diesen Moment zurückgezogen, dennoch erkannte man sie schwach. Schließlich wurde mir bewusst, dass es nicht so weiter gehen konnte. Ich musste mich auf die Suche machen, um mehr über Cecilias Geschwister herauszufinden und wer ihre wirklichen Eltern waren.
Irgendetwas in mir fühlte, dass dies noch lange nicht das Ende war. Ich versuchte mich vergeblich an die alte Sage zu erinnern, die mir Raven immer erzählt hatte. Die Sage der mächtigen Fünf. Diejenigen, die dazu auserkoren waren, dass Element was sie besaßen, zu tragen und zu beschützen. Aber warum war es bei Cecilia genau jetzt ausgebrochen?
Diese Bürde lag immer in den Familien und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Daher musste etwas passiert sein, dass Cecilia diese Verwandlung überhaupt ermöglicht hatte. Das stärkste Element, die schwerste Bürde. Ich seufzte. Die Engel standen schon immer für die Aufrichtigkeit und Reinheit unserer Welt.
Aber seitdem sich die Engel einen großen Nutzen aus den Vampiren gemacht hatten, lebten sie länger, als gewöhnlich. Länger, als es sein sollte. Länger, als sie durften.
Sie wurden beschmutzt, ohne es zu wissen. Die Reinheit war Vergangenheit und hinterließ einen sauren Nachgeschmack in meinem Mund. Mich dürfte es nicht geben, alle Ephramerin dürfte es nicht geben. Nicht so, nicht unter diesen Umständen. Ich schlug meine Augen auf und neigte meinen Kopf zur Blumenwiese.
Und dazu kam noch, dass ich verunreinigt von meinen Lügen gegenüber Cecilia und Victor war. Ich wollte keine Rache, ich wollte sie nie. War ich hierher gekommen, um in Ravens Augen zu blicken? Ihm zu sagen, wie ich ihn vermisst hatte. Zu sagen, dass ich unglaubliche Schmerzen erleiden musste? Ich versuchte die Gefühle, die wieder in mir hoch stiegen, zu unterdrücken. Das einzige was ich wirklich wollte, war nie wieder einen Fuß in das verseuchte Land zu setzen und somit alte Erinnerungen in meinen Kopf frei fließen zu lassen. Ich war schwächer, als ich zugeben wollte und seufzte darauf erneut. Träge verlagerte ich mein Gewicht auf das linke Bein und ließ mich treiben. Der süße Duft von Blumen wehte mir ins Gesicht.
Warum war ich hier?
Ich schüttelte meinen Kopf und rieb mir angestrengt die Stirn. Hatte mich das Schicksal so satt? Ich grinste unter dieser Vorstellung. Der Wind hatte nachgelassen und strich mir sanft ums Gesicht. Mein schwarzer Anzug, den ich angehabt hatte, als ich auf Cecilia traf, glänzte im Mondlicht. Meine Hotpants war unten rum leicht aufgerissen, genauso wie meine Träger fahl herunter hingen. Ich hatte ihn mit Absicht gewählt, da ich mich somit gut tarnen konnte.
Entschlossen drehte ich mich um und trat einen Schritt nach vorn, den ich sofort bereute.
Wie angewurzelt stand ich still und sah zu den Bäumen, die einen weiteren Schatten warfen. Ich wusste, dass mich jemand beobachtet hatte.
„Mist!“, fluchte ich leise und verzog meinen Mund. Auch das noch.
Ich wusste, dass es ein Vampir war, der mich anstarrte. Der süßliche Geruch, der von ihm ausging, brannte in meiner Nase. Der Geruch war also nicht von den Blumen gekommen.
Obwohl ich Cecilia gesagt hatte, nichts Dummes zu tun, hatte ich es indirekt doch getan. Denn als ich mich dazu entschloss, auf meine frühere Lieblingslichtung zu gehen, hatte ich nicht damit gerechnet, dass mich jemand riechen konnte. Ohne Schutz, ohne Deckung.
Ich schluckte und fixierte die Person, die aus dem Schatten trat. Die schwarze Gestalt trat ins Mondlicht und ich riss meine Augen auf. Er hatte sich nicht verändert. Seine schwarzen Haare waren immer noch in der gleichen Länge, wie vor fünf Jahren. Verwuschelt vom Wind, glänzten sie im Mondlicht. Sofort behielt ich meine Gesichtszüge unter Kontrolle.
„Raven“, sagte ich kalt und blieb gelassen auf der Wiese stehen.
Er kannte mich nicht mehr, wusste nicht, was ich geworden war. Er schmunzelte und kam auf mich zu, ohne zu zögern. Doch ich schüttelte den Kopf. Raven blieb drei Meter vor mir stehen und weitete seine Augen. Ich legte meinen Kopf leicht schräg und sah ihn ausdruckslos an. „Dalia“, hauchte er, immer noch schockiert über die Tatsache, dass ich hier war.
„Wie es aussieht, ja“, fügte ich hinzu und legte meine Arme um meine Hüfte.
Mein Herz schlug unregelmäßig, wusste nicht, was es von dieser Situation halten sollte. Meine Seele fühlte sich verraten. Gekränkt und Enttäuscht.
Ich atmete tief ein, ohne auf den brennenden Schmerz in meiner Kehle zu reagieren.
„Was tust du hier?“, fragte er aufgebracht.
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Rache“, flüsterte ich nur und wandte meinen Kopf zum Mond. Das war nur Teil unseres Plan, oder eher, meines verlogenen Plans. Ich wusste, dass es Cecilia nicht gefiel, dass ich Rache nehmen wollte, an diejenigen, die mir das Leben zur Hölle gemacht hatten. Aber es war die Strafe, die sie bekommen sollten. Aber warum tat ich es nicht? Warum wollte ich es auf einmal nicht mehr?
„Das kannst du nicht tun, verdammt!“
„Ach, nein? Wer sagt das?“, fragte ich, immer noch den Blick von ihm abgewandt. Ich wollte nicht in seine Augen sehen. Ich würde nur unter Schmerzen leiden, die ich mir in diesen Moment gern ersparen würde. Doch es würde sich nicht vermeiden lassen.
„Du wirst gesucht“, hauchte er.
Ich lachte humorlos auf. „Das wusste ich schon, bevor ich hier her gekommen war. Oder denkst du“, ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. „Dass ich so dumm bin und einfach ohne Grund hierher spaziere?“
Er schmunzelte über meine Ausdrucksweise. „Du hast dich verändert.“ Falsch.


„Hast du etwas anderes erwartet?“
In seinen Augen funkelte Besorgnis. Ja, hatte er.


Ich seufzte stark und meine Arme glitten schlaff neben meinen Körper. „Was hast du in den letzten Jahren getan?“, fragte er mich, um unser Gespräch aufrecht zu erhalten. Ich schnaufte und zog beide Augenbrauen zusammen. „Denkst du, dass sage ich dir? Du hast nicht das Recht dazu.“ Auch Falsch.


Er schüttelte den Kopf. Sein Blick blieb trotzdem starr auf meinem Gesicht, als wollte er es sich noch einmal genau einprägen. „Ich weiß“, er seufzte. „Aber denkst du, es hat mir Spaß gemacht, dich sitzen zu lassen?“ Vielleicht.


„Tu das nicht. Rechtfertige dich nicht vor mir, ich habe verstanden“, sagte ich monoton.
Themenwechsel also.


Seine Augen weiteten sich erneut. „Nichts was du sagst, könnte etwas daran ändern“, wiederholte ich den Satz, den ich schon mal zu Cecilia gesagt hatte. Und ich hatte Recht behalten. Ich wandte meinen Kopf zum Himmel. Der Mond schien aufmuntert auf uns herab und spendete mir in diesem Augenblick den ersehnten Trost.
„Ich bin zurück gekehrt um Rache zu nehmen. Ich bin nicht mehr die alte, süße kleine Dalia, die ich vielleicht mal war. Nein, nie wieder werde ich so sein und mir alles gefallen lassen.“ Falsch.


Ich blickte in sein erschrockenes Gesicht. Diese Lüge, sie schmeckte bitter auf meiner Zunge.
Er ballte seine Hände zu Fäusten. „Rache“, schnaubte er verächtlich.
„Weißt du, was du da wagst?“ Nein.


Ich lächelte süffisant. „Ich bin mir bei der Sache durchaus im Klaren.“ Wieder Falsch.


Er zischte und war blitzschnell an meiner Seite. Seine eiskalten Hände drückten mich an meinen Schultern, so dass ich auf die Blumenwiese fiel. Er war über mir und keuchte. In seinen Augen spiegelte sich ein tiefgründiges Verlangen wieder. Ich presste meine Lippen aufeinander. Nein! Ich wollte das alles nicht!
Sein Körper hielt mich unter ihm gefangen, so dass ich mich nicht von ihm abwenden konnte. Was hatte er nur vor? Ich zog meine Augenbrauen zusammen und ließ meine Lippen locker.
„Was willst du?“, fragte ich und sah ihm gefestigt in die Augen. Wollte ich das wirklich wissen?
Dich

.“
Ich holte tief Luft und schüttelte nur stumm mit dem Kopf. „Warum?“, brachte ich mühsam hervor. „Warum tust du mir das an?“ Meine Lunge verweigerte mir weiteren Sauerstoff.
Er schmunzelte. „Weil ich viel zu lange auf dich warten musste. Ich wollte nicht fort gehen, aber mir blieb nichts anderes übrig.“ Mit jedem Wort, das er aussprach, wurde er leiser.
„Du hast Catherine geheiratet“, sagte ich heiser. Ich hatte den Ring an seiner Hand bemerkt, der mir im Mondlicht verräterisch entgegen blitzte.
Er schluckte und nickte leicht auf meine Feststellung. „Ja.“
Ich schloss meine Augen. Der Schmerz, den ich solange unterdrückt hatte, kam mit einem Mal wieder hoch und ließ mich erschaudern. Es war nicht die körperlichen Schmerzen, die ich aushalten musste, den Drang, Blut zu trinken. Oder die Wunden, die ich überall am Körper hatte. Nein, mein Herz, das endlich wieder zu mir sprach. Es schrie aus mir heraus und ich wollte am liebsten weinen, doch ich tat Raven diesen Gefallen nicht.
Mit letzter Kraft, die ich noch besaß, hob ich blitzschnell meine Arme und stieß ihn von mir. Ich stand schnell vom Boden auf und befreite meine pechschwarzen Flügel aus meinem Rücken. Ich breitete sie in ihrer vollen Größe aus und fluchte, als ich sein Gesicht sah.
„Na, was ist? Hast du meine Flügel schon vergessen?“
„Nein“, hauchte er und blinzelte erschrocken und sah mir in die Augen. „Du hast sie mir noch nie gezeigt, erinnerst du dich?“
Ich schluckte. Wie viel ich wohl noch verdrängt hatte?
Ich zog meine Augenbrauen zusammen und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Das ändert nichts an der Lage.“ Die Schwingen und Muster leuchteten in ihrer vollen Pracht auf. Im Mondlicht wirkten sie um einiges gefährlicher. Ich grinste hämisch.
„Sie sind“, er stockte. „Einzigartig.“
Ich lachte humorlos auf. „Natürlich“, sagte ich sarkastisch. Dabei wandte ich meinen Blick ab und sah zu dem weit entfernten Schloss, das noch sehr gut zu erkennen war. Ein Seuftzer entwich meiner Kehle. Ich machte mir Sorgen um Cecilia. Mein Blick schweifte zu Raven, der ganz dicht vor mir stand. Ich wunderte mich über diese Tatsache nicht. Er war groß, ich ging ihm gerade bis zu den Schultern. Dennoch schränkte mich das nicht im Geringsten ein und das wusste er.
Ich schnaufte und trat einen Schritt zurück. „Ich werde nicht gehen“, sagte ich leise, als die schwarzen Schatten meinen Körper umwucherten. Und dennoch war es indirekt eine Lüge. Ich würde irgendwann gehen müssen. Mit oder ohne ihn. Wobei das Schicksal sich schon längst gegen mich entschieden hatte.
„Nicht, bevor ich mir sicher bin, dass sie für all das gebüßt haben“, beendete ich meinen Satz und sah ihn forschend an. Glaubte er mir diese Heuchelei tatsächlich? Ich dachte, er würde mich kennen. Wie man sich in einer Person so täuschen konnte…
Er bewegte sich nicht. „Ich werde dich nicht verraten“, gab er schließlich zu und sah mich mitfühlend an. „Wenn, dann weißt du, was dich erwartet. Ich werde auch nicht vor dir Halt machen, solltest du wissen.“ Erneute Lüge. Ich konnte ihn nicht mal ansehen, ohne zu verbrennen. Wie sollte ich ihn dann berühren?
Ich zog eine Augenbraue hoch. Er schluckte. „Ich weiß.“
Ich nickte geschäftsmäßig und drehte mich um, dabei breitete ich leicht meine Flügel aus um im nächsten Moment abzuheben. Doch Raven packte meinen Arm, bevor ich mich losreißen konnte. Das Gefühl seiner kalten Haut auf meiner, war unglaublich. Ich seufzte und sah zu ihm nach hinten. „Was?“, zischte ich.
„Sehen wir uns wieder?“, fragte er mich inbrünstig. Mein Herz machte Luftsprünge bei diesem Gedanken. Ich nickte zaghaft und riss mich von seinem klammernden Griff los. Elegant stieß ich mich vom Boden ab und glitt in die Luft. Ich flog nicht in die Nähe des Schlosses, so wie Raven es vermutet hatte. Nein, ich machte einen Sturzflug in einen der zahlreichen Wälder, die hier in der Nähe waren. Dort ließ ich mich auf einen der Baumkronen nieder und versteckte mich hinter den Ästen. Eine Träne entwich meinem Auge. Länger hätte ich sie nicht unterdrücken können. Sanft befreite ich dabei meine Flügel aus dem Rücken. Meine Federn zogen mit dem Wind ihre Wege und verblassten in der Nacht. Ununterbrochen flossen Tränen über meine leicht erröteten Wangen. Ich weinte stumm, doch mein Innerstes schrie. Der Schmerz begann mich zu zerfressen, dennoch blieb ich stumm auf einen der großen Ästen sitzen und umklammerte mit meinen zierlichen Armen meine Beine. Ich schloss meine müden Augen und doch konnte ich keinen Schlaf finden. Wie lange würde es wohl noch so weiter gehen?


8. Täuschungsmanöver

Cecilia




Kurze Zeit danach kamen wir an einer riesigen Holztür zum Stehen. Viele Bilder hatte ich in den Gängen zum Hauptzimmer des Hauses gesehen. Ich konnte meinen Gesichtsausdruck kaum unter Kontrolle halten, als ich die Bilder sah. Selbst gemalte Bilder, wie im früheren Jahrhundert. Und dennoch passte nichts davon hierher, denn das Wichtigste fehlte. Dalia. Es war die Wut, die aus mir sprach. Es war, als hätte es Dalia nie gegeben.
Ich seufzte, als Victor mich nervös ansah. Ich konnte seine Angst um mich fast ergreifen, so sehr stand es in seinen Augen geschrieben. Noch einmal atmete ich tief durch und nickte Victor zu. Langsam wandte er sich der Tür zu und klopfte mit seiner freien Hand an. Mit der anderen hielt er immer noch die Meine.
Schweigend ließ er meine Hand los und riss die beiden Türhälften auf. Mir entfuhr fast ein Schrei, als ich das Wohnzimmer sah. Es war ein riesiger Saal mit teurem Parkettboden und einem großen Kamin. Das Feuer trug besonders der Atmosphäre bei, die ich fühlen konnte. Wärme. Dennoch berührte mich diese Art von Wärme nicht. Mein Herz, blieb kalt.
Weiter entfernt vom Eingang, standen zwei große, schwarze Ledersofas, die zum Sitzen einluden. Ich schluckte und festigte meinen Gesichtausdruck. Auf eines der Sofas saß eine kleine Gestalt, die den Rücken zu uns gewandt hatte. Victor steckte seine Hände in die Hosentasche, doch ich konnte sehen, dass er sie zu Fäusten geballt hatte.
Ich schmunzelte bei seinem Anblick. Er lächelte, doch das Lächeln spiegelte sich nicht in seinen Augen wieder. Ich wusste, dass es nur geheuchelt war, um mir Mut zuzusprechen.
Ich schüttelte leicht meinen Kopf und folgte Victor, der zu den Sofas ging. Die Person, die auf dem Sofa saß, hatte die gleiche Haarfarbe wie ich. Es konnte sich nur um Catherine handeln. Mein Gedanke wurde sogleich bestätigt, als Victor ihren Namen hauchte. „Catherine.“
Endlich stand sie auf, wobei sie ihr violettes Kleid glatt strich und sich umdrehte.
Auf ihrem Gesicht war ein angedeutetes Lächeln zu erkennen.
Ich erschrak, als ich sie genauer musterte. Sie war meine Schwester, ohne Zweifel. Dennoch hatte sie etwas markantere Gesichtszüge, als ich. Mit verwirrten Augen schaute ich in ihre.
„Cecilia“, sagte sie nur und beachtete Victor nicht einmal. Ich nickte stumm als Antwort, völlig geblendet von ihrer Schönheit. Wie konnte Victor nur mich mögen, nicht diese Perfektion einer Frau? Ihre Haare sahen um einiges gepflegter aus und ihre Locken waren fülliger, als die Meine. Das violette Kleid schmeichelte ihrer kurvenreichen Figur und betonte diese zusätzlich. Währenddessen ich zu einem schlichten Schwarz gegriffen hatte, trug sie etwas Farbenfrohes. Ein Schauder lief mir über den Rücken und ließ mich noch verzweifelter aussehen. „Endlich lerne ich dich persönlich kennen“, hauchte sie und beförderte mich zurück in die Gegenwart.
Ihre klare Stimme hallte in meinen Kopf wieder. Sie hatte einen melodischen Klang, wie die Vögel, die draußen in den Bäumen ihre Lieder sangen. Catherines Auftreten war perfekt. Und ich verhielt mich total zurückgetreten. Ich seufzte innerlich und riss mich zusammen.
„Ich mich auch, Catherine.“
„Nenn mich Cathy, Schwester“, bot sie mir freundlich an und setzte sich wieder. Mit ihrer zierlichen Hand deutete sie auf den Platz neben ihr, den ich dankend annahm. Victor hatte sich in einer Ecke zurückgezogen und beobachtete mich, als ob gleich etwas passieren würde. Seine Haltung war versteift und mit Bedacht gewählt.
Es war schon ziemlich komisch, gegenüber von meiner Zwillingsschwester zu sitzen, die ich nie kennen gelernt hatte. Meine Wünsche erfüllten sich alle nacheinander, ich konnte mein Glück kaum fassen.
„Erzähl mir etwas von dir“, sagte Catherine in wiederholten freundlichen Ton und lächelte leicht. Ich seufzte und sah auf meine Hände, die ich auf meinem Schoß miteinander verschränkt hatte.
„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“
Sie lachte melodisch und ihre Stimme klang so rein, wie es meine nie werden würde.
„Mich interessiert es trotzdem“, beharrte sie und legte ihre kalte Hand auf meine. Ein Beweis dafür, dass sie Blut von ihrem Gefährten trank. Doch konnte es wirklich Raven sein? Dalia hatte mir erzählt, dass Catherine es verkündigt hatte, doch ich glaubte kaum daran. Es klang so Falsch in meinen Ohren.
Wieder hörte ich ein Lachen und riss mich zusammen. „Du brauchst nicht nervös sein“, hauchte sie und ich wandte mich nun komplett zu ihr. Nervös beschrieb meine Situation nicht einmal annähernd. „Ich habe bis vor kurzer Zeit studiert, bis ich Victor traf“, antwortete ich knapp und ohne Leben in meiner Stimme.
„Oh“, entkam es ihr und zog ihre Augenbrauen hoch. „Was für ein Fach?“
„Hauptsächlich Biologie.“
Sie lächelte liebenswürdig und streichelte meine Hand. „Das ist wundervoll.“
„Ja, aber ich habe aufgehört.“ Das traf es nicht ganz, aber anders konnte ich die Situation nicht beschreiben, ohne uns zu verraten. Ich sah kurz zu Victor, der mich süffisant anlächelte. Ja, er erinnerte sich auch noch daran. Es war die Zeit, die ich noch als Mensch verbracht hatte.
„Wieso das denn?“
„Ich wollte Victor und dich unbedingt näher kennenlernen“, antwortete ich ohne zögern. Etwas zu schnell. Sie nickte interessiert und ein Glänzen trat in ihre Augen. Sie musste wirklich glücklich sein. Doch meine Miene blieb ausdruckslos.
„Ich habe einige Fragen“, sagte ich und schaute sie neugierig an.
Sie seufzte und lehnte sich im Sofa zurück. „Natürlich hast du das.“
Catherine räusperte sich und sah Victor energisch an. „Victor, lass uns allein!“, befahl sie und ihre Stimme war plötzlich eiskalt. Ich schluckte und fragte mich, wie sie das machte. Vor allem störte es mich, dass sie mit ihm so redete. Aber ich sagte nichts dazu.
Geräuschlos, wenn auch zögernd, trat er aus dem Wohnzimmer und schloss die Türhälften hinter sich. Die Stille kehrte zurück, nur das Knistern des Feuers im Kamin war zu hören, sowie unsere flachen Atemzüge.
„Also“, sagte sie wieder freundlich und sah mich behutsam an. „Frag nur.“
Ich nickte benommen über ihre Stimmungsschwankungen. „Was ist mit unseren Eltern?“
Catherine zog beide Augenbrauen in die Höhe und sah mich nachdenklich an. „Gleich so direkt, gefällt mir“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln. Ich erwiderte es zaghaft.
„Muss wohl in der Familie liegen“, sagte ich knapp mit einem Hauch Ironie in der Stimme.
„Scheint so.“
„Und?“, fragte ich weiter.
Sie seufzte und sah mich mitfühlend an. „Müssen wir gerade jetzt darüber reden?“
Ich nickte wissbegierig und sie tätschelte meine Hand. „Also unsere Eltern – “, weiter kam meine Schwester nicht, denn die Tür wurde achtlos aufgezogen. Ohne ein Klopfen betrat ein hochgewachsener Mann das Wohnzimmer und sah mit großen Augen zu mir. Als ich sein Gesicht erkannte, stockte mein Atem. Ich irrte mich, es war kein Mann. Es war ein Junge, ungefähr in meinem Alter. Seine schwarze Kleidung passte perfekt zu seinen Haaren. Diese fielen ihm wirr ins Gesicht und machten ihn noch attraktiver. Seine Augen, wie auch der Rest seines Aussehens, standen im starken Kontrast zu seiner blassen Haut. Der süßliche Geruch, der von ihm ausging, deutete stark auf einen Vampir hin.
Spöttisch zog er eine perfekte Augenbraue hoch und musterte mich. Ich wandte meinen Blick von ihm ab und sah erneut zu Catherine, die übers ganze Gesicht zu strahlen begann.
„Raven“, hauchte sie zuckersüß und ihre Augen bekamen einen besonderen Glanz. Ich konnte ein Keuchen nicht unterdrücken und sah zu Raven. Er war es. Dalias Ex-Gefährte.
Raven lächelte schief, als er Catherine ansah und kam mit langsamen Schritten zu uns. Ich sah, dass er einen schwarzen Umhang mit Kapuze trug. Oh Gott, dachte ich und schluckte.


Konnte jemand anziehender wirken? Benommen schüttelte ich meinen Kopf und versuchte die verwirrenden Gedanken, die ich eben noch gehabt hatte, zu verdrängen.
Bedeutend langsam, ich verstand nicht ganz wieso, stellte er sich hinter das Sofa und umarmte Catherine. Sie zog ihn näher an sich heran und vergrub ihren Kopf in seinen Haaren.
Ein Schauder lief meinen Rücken herunter. Zum Glück war Dalia jetzt nicht hier, dachte ich und musste erneut laut schlucken. Raven sah mich verführerisch an und sein Lächeln wurde breiter, als sein Blick meinen traf.
Nach ein paar Minuten löste sich Raven endlich aus der begierigen Umarmung von Catherine und setzte sich direkt neben sie. „Wie ich sehe, ist Cecilia endlich da“, sagte er kalt und ausdruckslos. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Nervosität mit. Ich verkrampfte mich und sah zu Catherine, die Raven immer noch anstarrte. Ich verdrehte meine Augen und ließ mich tiefer ins Sofa sinken.
„Ja“, hauchte Catherine und sah mich an. „Und endlich ist es soweit, dass wir die Wahrheit sprechen können.“ Ihr Gesicht verzog sich in Bruchteilen von Sekunden und wurde zu einer hassverzerrten Fratze. Ich schluckte und weitete meine Augen. Ich wusste ja, dass sie Stimmungsschwankungen hatte, jedoch nicht zu solch einem Ausmaß.
Raven lächelte gelassen und beugte sich etwas weiter nach vorne, um mich ansehen zu können. „Nun“, fing er amüsiert an zu sprechen. Lässig stemmte er seine Hände auf die Knie. „Ich habe gestern jemand interessantes getroffen, musst du wissen.“
Waren wir schon beim Du?
Ich zog beide Augenbrauen hoch und lauschte seinen Worten. „Ich muss schon sagen, sie hat sich sehr verändert. Doch glaube ich nicht, dass sie an Stärke erlangt hat, nach den kurzen fünf Jahren.“ Er schüttelte mit gespielter Fassungslosigkeit den Kopf und seufzte.
„Was willst du mir jetzt damit sagen?“, hakte ich nach und sah ihn fragend an. Catherine lachte humorlos auf. „Es ist schon eine Weile her, dass ich soviel Spaß hatte!“
Ich sah sie entgeistert an. „Guck sie dir an Raven, so unschuldig und süß. Das macht das Ganze noch aufregender, findest du nicht?“
Dieser nickte mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen. „Oh ja.“
Verwirrt blickte ich zwischen den beiden hin und her. Was ging hier vor sich?
„Dalia war sehr kooperativ, muss ich sagen. Sie hat mir gleich alles verraten, was ich wissen musste. Ihre Mutter wird sich sehr freuen.“
Ich zuckte unter ihrem Namen zusammen. „Wovon redet ihr?“, fragte ich unschuldig, wusste aber, dass es nicht half. Ravens Grinsen wurde breiter. „Oh, ich glaube das weißt du auch schon so, nicht wahr?“
Ein lautes Lachen ertönte und ich sah zu Catherine. „Endlich habe ich sie! Das wird sie mit ihrem Leben büßen.“ Erschrocken fuhr ich zusammen und ließ mich weiter ins Sofa sinken.
Raven seufzte gespielt und fixierte mich mit seinen Augen. „Ihr ganzes Leben ist eine Lüge. Wir haben Dalia nur vorgespielt, dass ich ihr Gefährte bin. Wir wussten schon, dass sie irgendwann zurückkehren würde, mit dem Wissen, dass ich noch hier bin und auf sie ‚warte‘.“
„Niemals!“, brüllte ich und stand auf. Ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt.
„Wachen!“, schrie Catherine und sah mich gehässig an. „Schönen Aufenthalt noch, Schwester.“
Aus allen Türen des Wohnzimmers kamen Wachen herein gestürmt und packten mich an den Armen. Die Bewegungen verschwammen fast vor meinen Augen. Alles ging viel zu schnell.
Ich wehrte mich nicht. Ich wusste, dass es feige war, aber ein klarer Kopf würde mir viel mehr helfen, als wütend herum zu brüllen.
Catherine hätte eine Show von mir erwartet, dass sah ich in ihren Augen. Sie grinste vergnügt über mein Leid und fügte schadenfroh hinzu:„Dalia wird wahrscheinlich schon unten im Kerker auf dich warten!“ Ich wusste, dass sie mir damit nur eins reinwürgen wollte. Und sie hatte es geschafft. Ich schluckte hart und warf ihr einen letzten, hasserfüllten Blick zu, ehe sich die großen Türen mit einem lauten Knall schlossen und ich hart über eine breite Schulter geworfen wurde.
Ich biss mir auf die Unterlippe und konnte nur schwer ein schmerzhaftes Stöhnen unterdrücken. Sie hatten von Anfang an gewusst, dass wir hier waren. Die Schatten, die Dalia hier im Land kennzeichneten, waren Beweis genug dafür. Wieso war es mir nicht schon vorher aufgefallen? Ich schluckte. Was war mit Victor? Sie hatten ihn nicht erwähnt. Vielleicht würde er davonkommen, so dass er wenigstens in Sicherheit war. Ich wollte nicht wissen, was sie sonst mit ihm gemacht hätten.


Zur gleichen Zeit, Gedanken von Dalia

.


Sie waren zu schnell gewesen, hatten mich überrumpelt in einem schwachen Moment.
Schmerzhafte Schreie, die aus meinem Mund kamen. Überall waren ihre Krallen, die sich tief in mein Fleisch bohrten. Jäger der Nacht.
Ich fluchte und leistete ihnen unerbittlichen Widerstand, was ihnen nicht zu gefallen schien. Doch ich war auf mich alleine gestellt. Es waren zu viele. Es war Raven.
„Hör auf dich zu wehren“, hatte er mir süßlich ins Ohr geflüstert. Ein Fausthieb in sein Gesicht war das Ergebnis und er hatte sich, wie die anderen Jäger, einfach auf mich gestürzt.
„Ihr werdet sie niemals kriegen!“, krächzte ich und spuckte Blut aus meinem Mund. Sie hatten meinen Brustkorb fast vollkommen zerquetscht. Doch keiner würde je meine Worte entschlüsseln können. Sie galten nicht Cecilia, sondern ihren anderen Geschwistern, diejenigen, die noch ahnungslos in der Menschenwelt herumirrten und vergeblich einen Platz in ihrer Welt zu Finden versuchten. Fast taten sie mir Leid, wenn ich nicht diejenige war, die gerade unter den wahren Schmerzen litt.
Voller Qualen krümmte ich mich in den Armen von Raven und den anderen.
„Sei still!“, raunte er mir ins Ohr. „Schlaf…“, seine Stimme war nur noch ein Flüstern und mein Körper reagierte euphorisch auf seine Stimme und seine Nähe. Ich wollte es nicht mehr fühlen, er hatte mich benutzt, wollte mich quälen. Seit wann war er so? Hatte er mich die ganze Zeit nur angelogen?
Die Gedanken waren nur Wortfetzen und brachen eine Lawine ins Rollen. All meine Gefühle begannen sich gegen mich auflehnen zu wollen. Ich schluckte das Blut in meinem Mund herunter, das sich in meiner Kehle nach oben drängte. Auch wenn ich noch so schwach war, nachgeben, kam bei mir nicht infrage. Aber wehren nützte mir in dieser Situation auch nichts. So verhielt ich mich still und stellte mich schlafend.
Bald darauf spürte ich den kühlenden Wind nicht mehr in meinem Nacken, der mich ruhiger werden ließ. Meine Atmung hörte abrupt auf, als sich erneut die kühlen Finger um meinen Körper schlangen. Wir waren wieder im Schloss und ich wusste, wo er mich als nächstes hinbringen würde. Alles schrie in mir, flieh! Solange du noch kannst.
Doch nichts in meinem Körper regte sich und so, wurde ich in die Kerker des Schlosses befördert. Unsanft schubste mich Raven höchstpersönlich hinein und lachte schadenfroh.
„Weißt du, solange habe ich mich nach diesem Augenblick gesehnt…“, säuselte er krankhaft und es wurde nach seinem Abgang unheimlich still.
Da lag ich nun, zusammengekauert in der Ecke meiner Zelle. Es stank nach totem Fleisch und Schweiß. Ich würgte das Blut in meinem Inneren hoch und begann, wie damals, als Victor mich vergiftet hatte, mich zu übergeben. Alles in mir schrie auf, doch mein Gesicht blieb regungslos.
Cecilia, schoss es in mein Bewusstsein. Ihr Name brannte sich in meine Adern und meine Muskeln zuckten verräterisch auf. Dennoch regte ich mich nicht, alles war Schwarz um mich herum. Die Sehkraft wurde mir geraubt und meine Sinne wurden betäubt.
Blutarm.
Ich schluckte noch einmal und übergab mich dem Schicksal. Es sollte wohl so kommen. Das Ende. Es war so nah, wie nie zuvor. Aber ich wusste, dass es nicht das vollkommene Ende für mich war. Nein, Catherine und Raven würden sich etwas viel Schlimmeres einfallen lassen, um mich noch mehr leiden zu sehen. Ich lächelte benommen zum Abschied meiner Sinne. Unendlich in die Tiefe gezogen, gab ich mich den Schmerzen hin.


Cecilia




Mein Atem ging schnell und unkontrolliert, als mich die Wächter in eine dreckige und äußerst dunkle Zelle warfen. Ungeschickt landete ich dabei auf meinem Hinterteil. Ich keuchte auf und schaubte ihnen spöttisch ins Gesicht. Die Wächter lachten grausam und amüsiert über mein Verhalten, dabei gingen sie schleppend davon. Die Kerkertür wurde achtlos zugeschmissen, von der ich wusste, dass sie aus reinem Stahl erbaut worden war.
Meine Sinne waren verschärfter als die eines Menschen. Doch so gut sehen wie Dalia, konnte ich nicht. Reine Dunkelheit kroch meinen Körper empor und ließ mich erschaudern. Plötzlich hörte ich ein lautes, schmerzhaftes Stöhnen, das von der Ecke aus zu hören war.
Ich zwang meinen Körper dazu, sich zu bewegen und kroch auf allen Vieren zu dem Wesen hin, das sich vor Schmerzen krümmte. Doch etwas ließ mich innehalten. Wer war dieses Wesen überhaupt? Hatte ich Sicherheit vor ihm?
Eine eiskalte Hand schnellte nach vorne und packte meinen Arm. Ein lauter Schrei kam aus meiner Kehle und ich zuckte heftig unter der Berührung zusammen.
Ich fluchte und versuchte mich gegen den festen Griff zu wehren, doch es gelang mir nicht. Wild fuchtelte ich mit dem Armen hin und her und fluchte unentwegt weiter.
„Verdammt, Cecilia! Hör auf!“, keuchte plötzlich eine mir allzu bekannte Stimme. Sie war sanft und weise, so wie ich es von Dalia gewöhnt war.
„Dalia!“, hauchte ich glücklich und mir schossen warme Tränen ins Gesicht. Ein kehliges Geräusch dröhnte in mein Ohr, als Dalia versuchte zu lachen. Was hatten sie ihr bloß angetan?
„Ruhig“, flüsterte sie mir sanft ins Ohr und umarmte mich fest. Ihr Körper war kalt, wie die, eines Untoten. Ich bemerkte, dass sie zitterte und schlang nun auch meine Arme um ihren zierlichen Körper.
„Was haben sie mit dir gemacht?“, fragte ich leise. Die Stille, die sich zwischen uns gelegt hatte, war mir unheimlich. Ich hörte Wassertropfen auf den Boden platschen und Ratten, die über den Boden huschten.
Dalia schüttelte plötzlich mit dem Kopf und legte ihn auf meine Schulter. Dabei seufzte sie leise und ich konnte schon fast fühlen, wie sie wohlig ihre Augen schloss. Ich genoss ihre Nähe, die ich lange Zeit nicht spüren konnte.
„Es ging alles so schnell“, flüsterte sie in mein Haar. Ihre Stimme war schmerzverzerrt und schwach. „Meine Gedanken haben sich in dem Moment fast überschlagen. Es war unmöglich zu entkommen.“ Abrupt hörte sie auf und schluchzte. „Ich war zu schwach! Es tut mir so leid.“
Das Mondlicht durchflutete die Zelle mit Licht. Es schien, als hätte sich die Dunkelheit verzogen. Ich schüttelte erschrocken meinen Kopf. „Dalia!“, hauchte ich besorgt und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. „So etwas darfst du nicht denken, wir haben unser Bestes versucht. Jetzt können wir einfach hoffen, dass Victor uns noch helfen kann.“
Ich glaubte meinen Worten selber kaum, doch es half für diesen Moment. Wer wusste schon, was meine Zwillingsschwester vor hatte? Ich hoffte inständig, dass Victor verschont blieb.
„Ich hasse es, schwach zu sein“, murmelte sie und löste ihren klammernden Griff. Vorsichtig rutschte sie über den feuchten Boden, um etwas abstand zu gewinnen.
„Wann hast du das letzte Mal getrunken?“, fragte ich sie verärgert und zog meine Augenbrauen zusammen.
Sie seufzte. „Was hat das dich zu interessieren?“ Ihre Stimme war wieder eiskalt geworden.
„Ich möchte in diesem Zustand nicht gerne angefallen werden, wenn du verstehst, was ich meine.“
Sie schmunzelte und nickte dabei leicht. „Es ist egal, wann ich das letzte Mal etwas zu mir genommen habe“, meinte sie plötzlich und schaute mich an.
„Wie meinst du das?“
„Sieh mich doch an!“, sagte sie bedrohlich. Mein Blick lag die ganze Zeit auf ihrem Gesicht, das sich nun verzerrte. Ob vor Schmerz oder Abscheu, konnte ich nicht sagen.
„Und?“
Sie schnaubte. „Sieh genauer hin.“
Mein Blick glitt zu ihren Armen, die brutal aufgerissen worden waren. Blut rann aus ihren offenen Wunden. Es heftete sich an ihren Kleidern, das nur noch ein Fetzen war. Ihr ganzer Körper war voller Schnittwunden und Bisse. Ich schluckte hart und ein kalter Schauder überlief meinen Rücken. Was zum…?
„Oh Gott!“, hauchte ich. Und streckte meine Arme nach ihr aus. Ich wollte sie bei mir wissen. Doch sie zischte und stand blitzschnell auf.
„Wenn du wirklich nicht angefallen werden möchtest, solltest du solche Aktionen demnächst lassen.“
Ich nickte verlegen und ließ meine Arme in meinen Schoß gleiten. Ich hörte Dalia erleichtert ausatmen. „Was machen wir jetzt?“
Sie seufzte und sah mich zerknirscht an. „Sie haben mich unschädlich gemacht. Ich kann nichts tun, was mich sofort umbringen würde.“
Das lies mich schmunzeln. Auch wenn Dalia noch so verletzt war, witzig war sie alle mal.
Ein Kichern ließ sich einfach nicht mehr vermeiden und ich prustete drauf los. Sie sah mich verwirrt an und hob eine perfekte Augenbraue.
Ich räusperte mich und tarnte mein Lachen als Husten, was sie gekonnt ignorierte.
„Was ist so lustig?“
„Das alles hier“, ich wedelte mit der Hand und umschloss die Zelle, „Ist so grotesk zu dem, wo ich vorher war. Ich frag mich, wen sie hier alles einsperren.“
Dalia grinste. „Du bist echt ein Dummkopf.“
Ich musste wohl ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt haben, denn auch Dalia lachte leise.
Wenn wir schon kaum noch Zeit hatten, wollte ich diese wenigstens glücklich mit Dalia verbringen. Auch, wenn ich sie nicht in meinen Armen halten durfte.
Plötzlich hielt sie inne. „Ich frage mich“, sagte sie leise und beugte sich leicht zu mir. Ihre Augen funkelten, als das Mondlicht auf sie traf. Ich schreckte heftig zurück.
Dalia zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Seit wann hast du denn Angst vor mir?“
Ich ignorierte ihre Stichelei. „Was wolltest du sagen?“
Ihr Blick huschte zum kleinen Fenster, das sehr hoch an der Steinmauer angebracht war. Sie runzelte die Stirn und seufzte. „Hast du wenigstens etwas Neues herausfinden können? Vielleicht hilft es uns ja weiter.“
Meine Mundwinkel verzogen sich, als ich ihre Worte vernahm. Ich musste zurück an Raven denken. Raven, ihr vor geheuchelter Gefährte. Der, der sie eigentlich hätte lieben sollen. Ich schluckte und sah wie sie vorher zum Mondlicht hinauf. Es gab mir Hoffnung.
„Wo soll ich da bloß anfangen?“, fragte ich leise und runzelte die Stirn.
Ich wusste, dass Dalia mich ansah, doch ich konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Nicht nachdem ich erfahren hatte, wer Raven wirklich war.
„Erzähl es mir“, bat sie leise und rutschte näher an mich heran. Ich biss mir auf die Unterlippe und verkniff mir somit einen Seuftzer. Mein Körper stand unter Anspannung, zitterte und zuckte unentwegt.
„Du hattest Recht“, platzte es aus mir heraus und ich sah in ihre Augen, die mich müde ansahen. „Du hattest so verdammt Recht und wir haben trotzdem gehandelt“, flüsterte ich. Tränen des Schmerzes liefen mir wieder über die Wangen, die wie Feuer brannten.
„Scht“, murmelte Dalia und strich mir sanft über den Arm, um mich etwas zu beruhigen, was ihr gelang. Meine Atmung ging wieder ruhiger und das Zittern hatte aufgehört.
„Womit hatte ich Recht, Cecilia?“, fragte sie nun etwas strenger und blickte mich ernst an.
„Raven“, keuchte ich und schloss angewidert meine Augen.
Dalia hielt abrupt in ihrer Bewegung inne und zog die Hand weg.
„Du hast ihn getroffen, stimmt’s?“, fragte ich sie mit gebrochener Stimme. Als ich keine Antwort erhielt, wusste ich, dass es wahr war. Ich seufzte leise und nickte.
„Dann war es also doch keine Lüge, die er mir erzählt hat.“
„Wie meinst du das?“, fragte sie mich unsicher. Plötzlich war ihre Hand wieder auf meiner Schulter.
„Wir haben geredet.“ Ich schmunzelte leicht. „Am Anfang war Victor noch dabei. Es war nur Smalltalk, sie wollte mehr über mich und mein Leben wissen. Ich wusste nicht, dass ihr Interesse nur vorgetäuscht war.“ Dalia blieb still und lauschte aufmerksam meinen Worten.
„Als ich sie nach unseren wahren Eltern ausfragte, schickte sie Victor weg und er hatte dem Folge geleistet.“ Ich öffnete langsam meine Augen und sah in das besorgte Gesicht von Dalia.
Eine stumme Träne lief über ihre bleichen Wangen.
„Und dann war da plötzlich Raven.“
Dalias Atem stockte und ihre Augen weiteten sich. Ich biss mir auf meine Unterlippe und hielt ihrem Augenkontakt stand. Der Schmerz kam zurück in ihr Gesicht und ich wusste, dass sie wieder in der Vergangenheit schwelgte.
„Er ist nicht das für dich, was du immer geglaubt hast. Er ist nicht…“
„NEIN!“, schrie sie plötzlich. Ihre Augen waren vollkommen Leer. „Nein“, hauchte sie wieder und schüttelte ihren Kopf. Die Hand war an ihren Mund gepresst um weitere Schreie zu unterdrücken. „Ich will es nicht wissen…“
Ich zog meine Augenbrauen zusammen und packte sie grob an den Schultern. „Dalia! Bleib bei mir!“ Ein Fluch kam über meine Lippen und ich rüttelte sie stark. „Bleib“, hauchte ich an ihr Ohr und presste sie an meinen Körper.
„Hör mir zu Dalia! Er ist und war nie dein Gefährte. Ich weiß, dass es schlimm ist. Doch du musst ihn endlich hinter dir lassen!“
Meine Stimme brach, als ich ihre hilflosen Schreie hörte. Ihr eiskalter Körper verkrampfte sich und sie schlug mir ihren Händen auf meine Schultern ein.
„Nein!“, schrie sie wieder und dicke Tränen rannen ihr übers Gesicht. Dalias ganzer Körper zitterte, so wie meiner zuvor. Weitere Schläge folgten, doch ich hielt stand. Für sie.
Immer wieder erklangen schmerzhafte Schreie, bis sie schließlich in einem kehligen Schluchzen endeten. Zusammen lagen wir auf dem feuchten Boden. Ich hatte meine zierlichen Arme behutsam um ihren Körper gelegt. Dalias tränenerfüllten Augen musterten mich. „Danke“, hauchte sie leise. Ich lächelte zerknirscht, als ich an die blauen Flecke dachte, die ich mir sicherlich eingehandelt hatte und schüttelte sanft mit dem Kopf.
„Für immer“, säuselte ich und strich ihre schwarzen Locken aus dem Gesicht.
Bald darauf schloss sie die Augen und gab sich der Müdigkeit geschlagen. Ich jedoch konnte nicht für eine Sekunde meine Augen schließen und wachte über Dalia. Sie wirkte beruhigt, endlich ihrer Wut freien Lauf gelassen zu haben und ich war froh, dass sie jetzt wieder behutsam in meinen Armen lag. So würde es immer sein, bis wir beide starben

, schwor ich mir und strich Dalia sanft über den Kopf.

Immer

.


9. Blutdurst

Dalia




Das fahle Licht der Sonne wirbelte jeglichen Staub auf, der in der Zelle verteilt war.
Ich runzelte meine Stirn und seufzte laut. „So kann es nicht weiter gehen“, beteuerte ich und sah Cecilia ernst an, die leise fiepte. Sie schüttelte leicht mit dem Kopf und lehnte sich an die kühle, steinerne Wand, die unsere Zelle darstellen sollte.
Hier hätten gerade mal sechs Leute platz, wenn sie sich eng aneinander pressen würden. Es war wie ein Kerker im Mittelalter und die Ketten, die an meinen Füßen befestigt worden waren, waren Beweis genug dafür. Ich schnaubte aufgebracht, als ich an die letzte Nacht zurück dachte. Es war eindeutig mit mir durchgegangen.
„Dalia?“, fragte Cecilia leise und holte mich zurück in die Wirklichkeit. Ich sollte nicht träumen, solange wir hier festsaßen.
„Ja?“, hauchte ich zurück und wirbelte erneut Staub auf. Ich hatte schon vor langer Zeit aufgehört zu Atmen, da auch mich die Luft sehr schädigte. Ich wollte gar nicht erst wissen, wie es bei Cecilia war.
„Ich habe Hunger.“
„Wem sagst du das?“, fragte ich leicht angriffslustig und hob eine Augenbraue.
„Ich weiß“, seufzte sie und holte erneut Luft, dass mich erschaudern ließ. Warum konnte sie normal Atmen, ohne dabei Schmerz zu empfinden?
„Aber ich habe Hunger nach fester Nahrung“, witzelte Cecilia und begann leise zu lachen. Ich schmunzelte leicht, ließ mich aber nicht dazu hinreißen zu lachen, da ich sonst wieder die staubige, leicht verseuchte Luft einatmen müsste.
Als sie sich bewegte, konnte ich ihren gleichmäßigen Herzschlag wahrnehmen, wie schon in den letzten vergangenen Stunden auch. Es schmerzte, sie nicht anfallen zu müssen und doch ekelte ich mich davor. Wie konnte ich nur so etwas denken?
Ich schüttelte meinen Kopf um bei klarem Verstand zu bleiben. Diese Luft bekam mir wirklich nicht. Wieder tat ich einen kleinen Atemzug um Luft zum Sprechen zu bekommen. Der Schmerz ließ mich erzittern. Er kroch brennend meine Kehle hinunter und entfachte erneut meinen Blutdurst. Ich brauchte es. „Cecilia“, keuchte ich und Atmete erneut ein, was wieder brennende Schmerzen bedeutete. Mein ganzer Körper heilte entsprechend langsam, da ich auf Blut verzichtete, was mir Cecilia andauernd angeboten hatte. Die Versuchung war da, sie saß einen Meter von mir entfernt. Doch ich konnte das nicht zu lassen. Oder doch?
„Mach das es aufhört“, murmelte ich leise und zog die Beine zu mir heran, um mein Gesicht zu verdecken. Ich schlang langsam meine Arme um meinen Körper und legte meine Stirn auf die Knie. Ich atmete fließend ein und aus, froh meinen eigenen noch bestehenden Duft riechen zu können, der den staubigen überdeckte.
„Dalia? Was ist los?“, fragte Cecilia aufgeregt und besorgt. Ihre Stimme war brüchig.
Ich hörte, wie sie versuchte aufzustehen und dennoch scheiterte. Tränen brannten in meinen Augen.
Sie ist genauso geschwächt wie ich, ich kann nicht von ihr trinken, sonst würde sie sterben.


„Tut mir leid“, flüsterte sie leise und ich schüttelte nur mit dem Kopf.
„Mach dir keine Sorgen um mich, ich kann nur diese stickige Luft nicht ab“, murmelte ich und hoffte, dass sie mich verstand. Plötzlich hörte ich laute Schritte und verkrampfte mich. „Verhalte dich still!“, befahl ich ihr und sie setzte sich unruhig hin.
Die Schritte wurden lauter und ich wusste, sie würden Cecilia etwas zu Essen bringen.
Widerwillig nahm ich meinen Kopf von den Knien und erhob mich, um wieder normal zu sitzen. Die Tür wurde krachend aufgeschlagen und ich bemerkte, wie sie unserer Zelle immer näher kamen. Plötzlich hielten sie vor unserer Tür inne. Ich biss mir auf die Unterlippe und sah angestrengt zu Cecilia, die fast vor der Tür saß. Würden sie es wagen…?
Die Riegel der Türen wurden achtlos aufgeschoben und sie ging auf. Als wäre es das Normalste der Welt, kamen die Wächter grinsend auf uns zu.
„Essen für die Gefangenen“, sagte der Fordere spöttisch und knallte ein Essenstablett, das schon die besten Jahre hinter sich hatte, neben Cecilia auf den Boden. Ich erschauderte, als ich Blut wahrnahm, das köstlich in einem Behälter hin und her schwappte. Ohne es zu wollen, leckte ich mir gierig über die Lippen und meine Fänge wurden länger.
Mein Verstand versetzte mich zurück in die Gegenwart und ich sah zu dem Wächter auf, der mich interessiert ansah. Seine rotbraunen Haare waren wirr gestylt, als hätte er sich extra fertiggemacht, um sich zu präsentieren. Schalk leuchtete in seinen Augen auf, als er auf mich herab sah. „Du bist also Dalia“, säuselte er und kniete sich neben mich.
Alles in mir schrie und ich wollte ihn für diese Tat den Hals umdrehen, wäre ich nicht klar bei Verstand gewesen. Also grinste ich schief und zeigte ihm meine langen Reißzähne.
Ich hatte Durst und würde mich auch mit dem kalten Blut eines Vampirs zufrieden geben.
Die Augen des Wächters leuchteten auf. „Dann ist es also wahr“, hauchte er und streichelte sanft meine Wange. Ich ließ ihn gewähren. Das Blut von ihm war mir zuwider. Es war süßlicher als Honig und Zucker zusammen. Es jagte mir einen kalten Schauder über meine Haut. Seine Augen wurden dunkler, je länger er mich ansah.
„Luciel“, meinte einer der restlichen zwei Wächter bedrohlich. „Du weißt, was unsere Aufgabe ist. Spiel nicht mit dem Essen.“
Ich erkannte die Stimme sofort wieder. Erschrocken beugte ich mich etwas vor um an Luciel vorbei zu sehen und erkannte Vincent, der mich leidend ansah. Ich schluckte und sah wieder zu Luciel. Er war also immer noch hier.
Der Angesprochene erhob sich elegant. Seine Haare fielen im wirr ins Gesicht und verdeckten seine Augen, die eben noch voller Interesse und Belustigung gefunkelt hatten. Werde doch mal jemand schlau aus Vampiren.
„Ich weiß“, seufzte er und sah mich abermals an. „Dalia ist einzigartig, kein Wunder das Catherine sie los werden will. Sie stört unsere…Aufgabe.“
Er verzog keine Miene, als er seine geballten Fäuste in die verwaschene Jeanshose stieß und sich mit hängendem Kopf aus der Zelle schlich. Vincent sah mich noch mal enttäuscht und auch mitleidig an, während er langsam und knarrend die stählerne Tür schloss und die Riegel wieder an ihre Plätze schob.
Erleichtert atmete ich aus und bemerkte erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hatte.
„Oh Gott“, hauchte Cecilia und taute aus ihrer Starre auf. ‚Oh Gott’ wurde langsam zu ihrem Lieblingssatz.
„Der eine, was wollte er von dir?“, fragte Cecilia und sah mich mit erwartungsvollen Augen an. „Kanntest du ihn?“ Sie winkelte ihre Beine an und rutschte näher zu mir. Ich wünschte mir, dass sie solche Aktionen demnächst sein lässt. Was natürlich niemals geschehen wird.
„Welchen meinst du?“, fragte ich bewusst gelangweilt. Ich wusste, dass sie meine neugierigen Blicke gesehen hatte, die ich Vincent zugeworfen hatte.
„Der an der Tür stand, direkt neben mir. Und dieser Luciel! Was für ein Schleimer“ seufzte sie, schüttelte ihren Kopf und legte empört ihre Hand auf die Stirn.
Ich muss mich korrigieren. Werde doch mal jemand schlau aus Cecilia.
„Das war Vincent, ich hatte dir von ihm erzählt“, meinte ich nur und ließ das Thema fallen. Er würde uns nicht retten, er war gebunden. Und das genau an meine Eltern.


Ich blickte erneut auf das Essenstablett. Darauf lagen Sandwiches und Wasser für Cecilia und Blut, das höchstwahrscheinlich für mich war. Ich zog das Tablett prüfend zu mir heran und schraubte die Plastikflasche auf, die mit Blut gefüllt war. Interessiert roch ich daran und musste feststellen, dass es viel zu süßlich roch. Ein sauerer Geruch mischte sich mit dem Süßlichen und ich wusste, dass es vergiftet worden war. Genervt seufzte ich auf.
Cecilia hatte in der Zeit nichts gesagt und schaute mich wachsam an.
„Was ist?“, fragte sie ängstlich.
„Das Blut ist vergiftet.“
Sie erschrak und zog scharf die Luft ein. „Woher weißt du das?“
„Sie haben versucht mir vampirisches Blut zu geben, damit ich die Säure darin nicht bemerke.“
„Ich verstehe nicht…“, meinte sie und blickte mich nervös an.
„Vampire haben einen anderen Stoffwechsel, als Menschen und die Kälte ihres Körpers, sowie der Herzstillstand machen das Blut anders. Dadurch wirkt es süßlicher und überdeckt den kleinen, sauren Anteil des Giftes“, erklärte ich ihr ausführlich.
„Daher riechen sie so…anders.“
Ich nickte und verschloss das Plastikfläschen und stellte es zurück an seinen Platz.
„Es tut mir leid, aber das Essen kannst du auch nicht anrühren“ sagte ich bedauernd.
Sofort schossen beide Augenbrauen nach oben. „WAS?!“
Ich seufzte und kräuselte meine Lippen. Lachen war hier definitiv nicht angebracht.
„Ich rieche das Betäubungsmittel, was dort enthalten ist, deutlich und es brennt in meiner Nase.“
Ein schmerzhaftes Stöhnen entrann ihrer Kehle und sie sankt an der Wand zusammen. „Wenn das so weiter geht, weiß ich nicht, wie lange ich das noch aushalte.“
Ich nickte nur und sah zum kleinen Fenster hinauf. Die Dämmerung war sichtlich zu sehen und bald würden wir wieder im Dunkeln sitzen, wartend auf das Ende.

Die Luft brannte höllisch in meiner Kehle, als ich wieder anfing zu Atmen.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schlug achtlos auf den staubigen Boden. Der Mond schien tröstend durch das Fenster und durchflutete die Zelle mit etwas Licht.
„Können wir nicht irgendetwas tun?“, fragte Cecilia leise und sah zu mir.
Langsam raffelte ich mich auf und stieß mich vom Boden ab. Es tat gut, mal wieder zu Stehen. „Ich kann es versuchen“, murmelte ich und ging Barfuß und mit den Resten meines Anzugs zur Tür und stemmte meine Hände gegen sie. Ich verwendete all meine Kraft, die ich noch besaß und drückte die Tür durch. Sie gab nicht nach, hinterher waren nur deutliche Beulen in ihr. Seufzend gab ich auf. „Hilft nichts“, flüsterte ich und setzte mich gegenüber von Cecilia.
Der Staub wirbelte auf, als ich mich zu schnell für menschliche Augen hinsetzte.
Wie gebannt starrte ich auf ihren Hals, der von ihren Haaren leicht bedeckt war.
Sie strich verführerisch die Haare aus ihrem Nacken und seufzte. Ihre Hauptschlagader konnte ich deutlich erkennen und beugte mich weiter vor. Vorsichtig streckte ich meinen Arm nach ihrem Hals aus und sie ließ mich gewähren. Meine kühlen Finger tasteten ihren sanften, warmen Hals ab, der gerade dazu einlud, meine langen Reißzähne in ihm zu versenken. Ich schmeckte jetzt schon ihr würziges Blut, das nach Blumen roch.
„Trink“, sagte sie leise und fasste mit ihrer Hand sanft an meinen Hinterkopf und schob ihn näher zu ihrem Hals. Ich folgte ihrer Bewegung und erschauderte, als meine Lippen ihn berührten. Langsam glitt meine Zunge aus meinem offenen Mund und ich leckte ihr vorsichtig über den Hals. Sie versteifte sich nicht, im Gegenteil. Die andere Hand von ihr umschlang meine Taille und presste mich an ihren Körper. Die Finstere Seite in mir kam zum Vorschein und verwandelte mich in ein wildes Tier, das die prickelnde Aufregung in der Luft genoss. Ich schnurrte genüsslich wie eine Katze.
Und endlich stieß ich meine ausgefahrenen Fangzähne in ihren sanften Hals. Das frische Blut rann mir die Kehle hinab. Es schmeckte atemberaubend gut und ich wollte mehr. Vorher hatte ich schon einmal ihr Blut getrunken, aber es war nur von ihrer Hand aus gewesen. Diesmal war es am Hals, direkt an ihrer Halsschlagader. Begierig saugte ich weiter und streifte ihre Haare zurück, die mich am Gesicht kitzelten.
Die Sucht, die mich überkam nach all den trockenen Tagen, die ich erlebt hatte, war gerade zu ergreifend. Sie nahm Besitz von mir, sodass ich nicht bemerkte, wie die Tür aufgerissen wurde. Cecilia fuhr zusammen und drückte mich strampelnd von ihrem Hals weg.
Widerwillig gab ich nach und sah zu der Person, die uns gestört hatte. Sie würde dafür büßen.
Der Schleier, der sich um mich gelegt hatte, verschwand langsam und mein geliebter Verstand gewann die Oberhand. Blinzelnd nahm ich Victor wahr, der sich auf Cecilia gestürzt hatte.
Fauchend riss ich ihn von ihr runter und schmiss ihn krachend in die nächste Ecke. Ich fletschte mit den Zähnen und knurrte bedrohlich.
Victor sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Plötzlich umfassten mich kühle Arme, die mich direkt an einen muskulösen Oberkörper pressten. Ich strampelte wild umher und wurde aus der Zelle gerissen.
Fuchsteufelswild sah ich auf und konnte sein Gesicht nicht sehen. Es war verdeckt von einer pechschwarzen Kapuze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Nur das schmale Kinn und die vollen Lippen lagen frei.
Mein ‚Retter’ bewegte sich so schnell, wie kaum ein Vampir es konnte. Es verwunderte mich sichtlich, dass er mich einfach auf seine breite Schulter schmiss und mit schnellen Schritten durch das Schloss eilte. Ich sah wie Victor Cecilia sanft in den Arm nahm und wie sie müde die Augen schloss. Er kam kaum hinterher, was mich etwas zum Lachen brachte.
Ich stand immer noch unter Schock. Ich hatte einfach meiner Begierde nachgegeben und mich im Rausch gesuhlt, was ich zu tiefst verabscheute. Ich erinnerte mich noch genau an dem Tag, als Cecilia mich gefunden hatte. Ich hatte an dem Abend unzählige Vampire getötet, die bloß ihren Hunger stillen wollten. Jetzt verstand ich, was sie wirklich durchmachten, der Hass hatte mich geblendet. Ich seufzte und ließ das Prozedere über mich ergehen.
Ich war froh, wieder fische Luft einatmen zu können, ohne dass es mich unendlich dabei quälte. Zufrieden schloss ich meine Augen und gab mich dem Wind hin, der mir ins Gesicht peitschte und mir die Haare über die Schultern wehte.
Die Geschwindigkeit mit dem mein Retter rannte, überraschte mich erneut, als wir aus dem Schloss kamen und er zulegte. Ich riss meine Augen auf und sah direkt in das Gesicht von Victor, der angestrengt versuchte mitzuhalten. Mein Blick glitt zu Cecilia, die er schlafend in seinen Armen hielt. Es erschauderte mich, als ich ihren Hals sah. Die Bisswunden waren tief und schimmerten rötlich, da das Blut immer noch an ihr klebte. Hätte Victor mich nicht von ihr los gerissen, wäre sie gestorben. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und fluchte laut.

Plötzlich hielt der Unbekannte auf einer mir unbekannten Wiese an und drehte sich zu Victor um. Behutsam holte er mich von seiner Schulter herunter. Ich wollte mich von ihm losreißen, doch sein Griff war viel zu stark, als das ich etwas hätte ausrichten können. Es gab bisher immer nur einen, der stärker als ich war. Mein Vater. Und dieser hier, war eindeutig stärker.
Ich schluckte und er presste mich, zu Victor umgedreht, erneut an seine Brust. Ich hörte ein Knurren von ihm, als Victor endlich ankam. „Man Alter!“, hechelte Victor und blieb vor uns stehen. „Nächstes mal nicht so schnell, klar?“
Ich hörte ein tiefes, sehr erotisches Lachen hinter mir und der Brustkorb des Unbekannten hob und senkte sich gleichmäßig. Ein wohltuender Schauder lief über meinen Rücken. Ich seufzte und konnte mich dafür wirklich Ohrfeigen.
Schnell wandte ich mich aus seinem festen Griff und wirbelte herum. Mein Retter hatten einen dicken, schwarzen Kapuzenpullover an, die Kapuze immer noch sehr tief ins Gesicht gezogen. Ich erkannte seine markanten Gesichtszüge kaum, doch das, was ich sah, raubte mir den Atem. Gelassen stand er da und legte seinen Kopf schief.
Ich riss meinen Blick von ihm los und drehte mich zu Victor, der sich rührend um Cecilia kümmerte. „Wie geht es ihr?“, fragte ich unsicher und wischte mir den Rest des Blutes an meinem Mund ab. Langsam kniete ich mich vor ihr und strich über ihr zartes Gesicht. „Es wird besser“, murmelte Victor.
„Wir müssen fort“, sagte die Stimme wieder, er kniete sich neben mich und hob Cecilia elegant auf seine starken Arme. Victor knurrte, ließ es aber geschehen. Die beiden Männer gingen voraus und ich ging langsam hinterher. Mein Kopf schmerzte unheimlich und die ganze Anspannung der letzten Stunden vielen von mir ab.


Nach einem zweistündigen Fußmarsch durch den tiefen Wald kamen wir an einer Straße an, wo ein Auto auf der Straßenseite geparkt war, das mir zu sehr nach Sportwagen aussah. Ich sah Victor fragend an der jedoch zuckte nur mit den Schultern und lief meinem Retter hinterher, um nach Cecilia zu sehen. Ich hatte immer noch nicht seinen Namen erfahren und das ließ mich stutzen. Nicht einmal bedanken konnte ich mich ordnungsgemäß. Warum hatte er uns geholfen? War er ein Freund von Victor?
Die Fragen brannten mir auf der Zunge, als er in das Auto einstieg und ich mich auf den Beifahrersitz gleiten ließ. Victor und Cecilia saßen hinten, sie immer noch schlafend.
Verstohlen blickte ich meinem Retter entgegen, der gerade den Motor startete und das Lenkrad scharf nach rechts warf. Ich staunte über seine Fahrkünste und er lächelte schief, als er meine Blicke sah. Peinlich schaute ich aus dem Fenster.
„Warum fliegen wir eigentlich nicht?“; fragte ich interessiert, da wir sonst schneller wären.
„Ich musste unsere Fährte erstmal deutlich verwischen und wie geht es besser, als danach sofort mit einem Auto zu fahren?“, murmelte er und fuhr auf die Autobahn.
Ich sah ihn wieder an. „Aber fliegen ist immer noch schneller, als mit dem Auto zu fahren.“
„Du vergisst, dass sie deinen Duft kennen und Cecilias auch, da du ihr Blut getrunken und alle Vampire im Umkreis des Schlosses es riechen konnten. Wir mussten schnell handeln, sonst wäre es uns nicht gelungen, zu entkommen.“
Ich biss mir auf meine Unterlippe und sah erneut aus dem Fenster. Die Autos fuhren nicht so schnell wie wir, aber das störte mich kein bisschen.
„Warum sagst du mir nicht deinen Namen?“, harkte ich weiter nach, doch mein Blick hielt ich starr auf die Straße gerichtet. Er lachte leise.
„Ich musste uns erstmal dort raus schaffen und da blieb eben nicht viel Zeit für Vorstellungsrunden.“ Er war schlagfertig, genau wie ich. Das brachte mich zum Grinsen. „Da hast du Recht.“ Obwohl ich es nicht gerne zu gab.
Er grinste weiter und wechselte die Fahrerspur, um die langsam fahrenden Autos zu umgehen.
„Da ich deinen Namen kenne, ist es nur richtig, wenn du meinen Namen auch weißt“; meinte er und schmunzelte leicht über seine Aussage. Warum widerstrebte es ihm so sehr?
„Mein Name ist…“ Er hörte abrupt zu Sprechen auf, als ein herzzerreißender Schrei von der Rückbank kam. Es war so furchterregend und laut, dass ich zusammenzuckte.
Schnell drehte ich mich um und starrte Cecilia an, die ihre Augen aufgerissen und sich hilfesuchend an Victor geklammert hatte. Doch ihre Augen waren leer. Obwohl das Mondlicht durch die Fenster des Autos schien, konnte ich keine Lichtpunkte in ihren Augen wahrnehmen. Es war, als wäre sie ganz woanders, nicht hier bei uns. Tränen sammelten sich bei mir in den Augen und meine Kehle fing Flammen. Ich schnallte mich ab und beugte mich über die Sitze, um zu ihr zu gelangen.
„CECILIA!“


Cecilia



Die Schmerzen die mich urplötzlich überfielen, waren etwas, was ich vorher noch nie erlebt hatte. Mein ganzer Körper litt unter der Anspannung, die eine mir unbekannte Macht auf mich ausübte. Besonders litten mein schwaches Herz darunter und die Augen, die ich weit aufgerissen hatte und dennoch nichts mehr sah. Es war wie ein schwarzer Schleier, der mich sanft umwog und mir Schmerzen bereitete, die ich nie für möglich gehalten hätte.
Ich hörte wirre Stimmen und fühlte jede einzelne Berührung um mich herum. Plötzlich erschien ein schwaches Licht, dass mich aufzusaugen schien. Es wurde immer stärker bis ich eine Person erkannte. Es war meine Zwillingsschwester.
Verblüfft sah ich mich um und erkannte einen weißen Raum, der schier endlos schien. Catherine machte keine Anstalten sich zu bewegen, starrte mich nur mit ihrem hasserfüllten Blick an. Sie verzog ihren Mund und lachte triumphierend auf.
„Ich wusste nicht, dass ich es immer noch drauf habe“, säuselte sie und machte einen Schritt auf mich zu, den ich sofort auswich. „Was willst du?“, fauchte ich sie an und die Wut packte mich. „Wo sind die Anderen? Was hast du mit ihnen gemacht?!“
Catherines Lachen wurde lauter und gehässiger. „Mit ihnen?“, fragte sie unschuldig mit ihrer schmierigen Stimme. „Du meinst wohl eher, mit dir.“
Ich hob eine Augenbraue hoch und sah mich um. Das gleißende Licht war überall und verhinderte weitere Sicht auf mehr. Ich war hier alleine mit Catherine, die mich hier gefangen hielt. Ich fluchte laut und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Ich frage nur ungern noch einmal“, sagte ich wütend. „Was willst du?“
Ihr Lachen erstickte und wurde zu einer ernsten Miene. „So kenn ich dich, immer mit dem Kopf durch die Wand. Gefällt mir.“
Als ich darauf nichts erwiderte, sprach sie weiter. Ich sollte nicht auf ihre Sticheleien reagieren, dass machte sie nur noch wütender und brachte mich einen Schritt der Wahrheit näher.
„Ich will ein paar Antworten von dir“, sagte sie und klimperte aufreizend mit ihren Wimpern. Ich fauchte sie an und sie seufzte lautstark. „Sei doch nicht immer so aggressiv, das steht dir nicht!“
„Was für Antworten?“, harkte ich weiter nach und sah sie ununterbrochen an.
„Hmmm“, machte sie und setzte sich im Schneidersitz auf den weißen Boden. „Fangen wir mal mit Dalia an.“
„Denkst du wirklich, dass ich dir irgendetwas erzählen werde?“
„Nein“, sagte sie und sah mich mit ihren großen Augen an. „Freiwillig jedenfalls nicht.“
Sie legte ihre zierlichen, blassen Hände auf ihren Schoß und schloss die Augen. Auf ihrem Mund breitete sich ein Lächeln aus, welches ich nicht deuten konnte. Was hatte sie vor?
Unsicher blieb ich immer noch auf der gleichen Stelle stehen und sah Catherine an, die sich nicht mehr bewegte.
„Sag mir, wer euch geholfen hat“, sagte sie mit monotoner Stimme.
Ich schnaubte nur. „Niemals!“
Ihr Lächeln wurde breiter. „Das dachte ich mir.“ Sie legte ihre Stirn in Falten und zog die Augenbrauen angestrengt zusammen.
„Hier liegt leider der Fehler, Süße“, meinte Catherine theatralisch und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. „Ich kann mit dir hier alles anstellen, was ich will und keiner kann mich aufhalten. Ich kann dich leiden lassen, bis zum Äußersten. Ich kann dich nie mehr aufwachen lassen, bis du wie von selbst in eine Art Koma fällst.“
Sie hielt einen Moment inne und das Lächeln wurde gefährlich. „Und dann“, flüsterte Catherine. „Dann werde ich in deinen Geist eindringen können und die Antworten von selbst bekommen. Du kannst es dir also aussuchen. Entweder du gibst mir die Antworten, die ich haben will, oder ich erzwinge sie und du leidest nur weiter darunter.“
Sie verzog nicht eine Miene, als sie die Sätze sagte, die zu meiner persönliche Hölle wurden. Ich schluckte. „Ich werde sie dir verweigern, bis du mich tötest.“
Sie lachte humorlos auf und öffnete ihre Augen. Ich zog scharf die Luft ein, als ich sie sah. Das war nicht mehr die liebreizende Catherine, die ich kennen gelernt hatte. Ihre Augen waren vollkommen silbern und ihr Blick war teuflisch.
„Dann wirst du sterben.“
Sie verzog ihr Gesicht zu einer hässlichen Fratze und das eben noch gefährliche Lächeln verschwand. Ihr Mund war geformt, als würde sie jeden Moment los schreien, doch kein Laut verließ ihre Lippen. Ihr Blick war starr auf mich gerichtet und ich fühlte mich unbehaglich.
Angespannt stand ich da und wusste nicht wohin. Sie würde mich hier festhalten, auch wenn es ewig dauern würde, dass war mir klar. Dalia, flehte ich in Gedanken und kniff meine Augen zusammen. Hilf mir!
Ein unbeschreiblicher Schmerz durchwanderte meine Adern in meinem ganzen Körper. Ich schrie gequält auf und stürzte auf meine Knie. Mein ganzer Körper stand in Flammen und mir wurde schwarz vor Augen.
Plötzlich nahm der Schmerz etwas ab, so dass ich wieder sehen konnte. Zerknirscht blickte ich zu Catherine, die mich erheitert ansah. „Und?“ fragte sie. „Wie sieht’s aus. Noch eine Kostprobe, oder gibst du mir eine Antwort?“
Ich knurrte und sprang auf meine Beine. „Was gibt dir das Recht, so etwas zu tun?“, schrie ich laut heraus und meine Stimme hallte in dem weißen Raum wieder.
Sie lachte entzückt über meine Wut und der Schmerz kam wieder. Er zwang mich erneut in die Knie und durchzuckte mich wie Schießgewehre. Und so ging das Spielchen, das Catherine anführte, weiter, bis ich keuchend auf dem Boden lag.
„Noch einmal und du wirst sterben. Irgendwelche letzten Worte?“
„Fahr zur Hölle“, murmelte ich und sie seufzte hart auf. Lautlos setzte sie sich neben mich.
„Ich darf dich nicht töten“, murmelte sie und stöhnte genervt auf. Verwundert sah ich zu ihr auf und begegnete ihrem hasserfüllten Blick. „Und wieso?“
„Weil ich dich noch brauche.“
Ich schnaubte und setzte mich unbeholfen auf. Ich hatte keine Lust mehr hier mit der Verrückten zu sitzen. „Für was?“, zischte ich und zog meine Augenbrauen zusammen.
„Du hast keine Ahnung, warum du noch nicht tot bist?“, säuselte sie und spielte mit ihrer Haarsträhne. Verzückt lachte sie mich an. „Du besitzt das Element des Windes und wir brauchen alle, um unseren Plan zu verwirklichen.“
Ununterbrochen redete sie einfach weiter und ich hoffte auf nützliche Informationen.
„Der Grund, warum du und ich hier sind, ist ganz alleine der, dass ich das Element des Geistes besitze. Ich habe diesen Ort erschaffen und du kannst erst gehen, wenn ich ihn verlassen habe.“
„Und was hat das Ganze mit Dalia zu tun?“, fragte ich spöttisch und hob eine Augenbraue.
Sie blieb einen Moment still, was mich verwunderte. Dann grinste sie plötzlich.
„Sie war mir schon immer ein Dorn im Auge. Ich hatte ihr alles weg genommen, was sie jemals besessen hatte. Und jetzt habe ich ihr auch dich weggenommen.“
Ich zog scharf die Luft ein und war kurz davor, ihr eine zu Klatschen. Doch sie redete einfach weiter. „Es gehört nicht zu unserer Aufgabe, Dalia zu töten, dennoch hinterließ mein Meister mir diese kleine Freiheit. Es ist das Sahnehäubchen des Ganzen.“
Catherines Gesichtszüge verdunkelten sich sichtlich und sahen mich gefährlich an.
„Meister?“
Natürlich! Warum waren wir da nicht gleich darauf gekommen? Ich schüttelte den Kopf.
Es war ja so offensichtlich! Catherine wäre niemals imstande, so etwas zu planen. Weder sie noch Raven. Doch wer steckte wirklich dahinter? Wer war es, der Dalia auch Tod sehen wollte? Ich schluckte hörbar und das gefiel Catherine. Sie stachelte meine Angst noch zusätzlich an.
„Die Macht wird bald unser sein und dann kann ich endlich Raven für mich alleine haben“, murmelte sie und blickte verträumt zu Boden.
Was hatte sie bloß mit ihm angestellt?
„Hatte Raven von Anfang an Dalia angelogen?“, fragte ich leise.
„Nein“, ihr Lächeln verschwand. „Er hatte sie wirklich geliebt und sie getäuscht, dass er ihr Gefährte war. Er wollte Dalia später einmal nicht verlieren, denn ihr Gefährte war damals auf dem Weg zu ihr.“
„Und dann ist sie gegangen.“
Catherine nickte ernst. „Ja. Ich hätte sie sowieso heraus geschafft, doch so war es leichter.“
Ihr Blick verfinsterte sich und sie schaute zu mir auf. „Eines muss ich Dalia lassen“, murmelte sie. „Sie hat dich gefunden, sie wusste sofort bescheid, dass du etwas Besonderes bist. Und genau aus diesem Grund ist sie noch nicht Tod. Sie führt uns zu den Anderen.“
Sie räusperte sich. „Ich habe dir ein paar Antworteten gegeben, jetzt will ich deine.“
Verbittert sah sie mich an. Doch plötzlich veränderte sich etwas im Raum und Catherine zog scharf die Luft ein. Es sah so aus, als hätte sie fürchterliche Schmerzen. Schmerzen, die sie mir selbst zugefügt hatte.
„Mein Meister…ruft“, keuchte sie und dann war alles Schwarz.


Ein Schleier legte sich um meinen Körper und hielt mich fest zusammen, als wollte er nicht, dass ich ginge. Ich seufzte wohlig und versuchte meinen Körper zu bewegen, doch etwas hielt mich weiterhin fest. Ich wurde ungeduldig und zappelte herum, bis ich schließlich bekannte Stimmen hörte.
„Cecilia“ Schatz, wach auf!“, flüsterte mir eine melodische Stimme in mein Ohr.
Ich bemerkte einen süßlichen Atem auf meinem Nacken. Seinen Atem.
„Victor?“, murmelte ich leise und versuchte meine Augen zu öffnen, was mir schwerer fiel als alles andere.
„Ich bin hier. Schtscht…dir kann nichts mehr passieren“, flüsterte er sanft und ich beruhigte mich augenblicklich. Plötzlich gefror mein Körper und ich schlug die Augen auf.
Ich musste an Dalia denken. Wo war sie? Ich blickte mich erschrocken um. Wir waren in einem Wald auf einer Blumenwiese, die mir nicht bekannt vorkam. Die Sonne kam nicht durch das Dickicht der Bäume. „Wo ist Dalia?“, fragte ich ängstlich und blickte in die dunklen Augen von Victor, der mich müde ansah. Er räusperte sich und wir setzten uns auf.
„Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit. Da ist Dalia ausgerastet und ist gegangen. Sie ist nicht weit weg, ich kann sie immer noch spüren“, sagte eine unbekannte Stimme zu uns. Erschrocken drehte ich mich zu ihr um und erkannte einen muskulösen Mann. Er trug einen schwarzen Kapuzenpulli und eine passende, schwarze Röhrenjeans. Seine Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen, sodass ich nicht weiteres als seinen Mund erkennen konnte.
„Ahhh“, machte ich und hielt meinen Kopf mit den Händen fest. Victor schlang seine starken Arme um mich und ich seufzte wohlig, als ich wieder an ihn gekuschelt dasaß.
„Geht’s?“, fragte Victor und sah mich entschuldigend an.
Ich schüttelte leicht mit dem Kopf. „Ach was, das wird schon… nur die Kopfschmerzen machen mir noch etwas zu schaffen.“
Der Unbekannte kam näher, bis er schließlich vor uns stand. Seine Hände hatte er lässig in die Hosentaschen gesteckt. Er kniete sich vor mich hin und schaute mir tief in die Augen, sodass Victor feindselig knurrte. „Ich will nur was gucken, Vic. Beruhig dich“, murmelte er und seine tiefe Stimme verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper.
„Nichts Auffälliges mehr“, meinte er nur und stand wieder lässig auf.
„Was meinst du damit?“
„Du…warst in einer Art Trance“, redete Victor beruhigt auf mich ein.
Ich biss mir auf meine Unterlippe. Den Gedanken an Catherine und an das, was sie mir alles erzählt hatte, war schlechtweg das Grausamste was man einem antun konnte.
Sie hatte wirklich alles meiner Dalia weg genommen, einfach alles. Ich war so kurz davor gewesen, mich mit der Verrückten anzulegen, doch es hätte nicht viel gebracht.
Ein Rascheln des Gebüsches ließ mich zusammenfahren.
„Cecilia“, säuselte Dalias atemberaubende Stimme. Ich drehte mich zu ihr um und sah ihre großen, schwarzen Flügel, die ihren Körper sanft umschmeichelten. Mit langsamen Schritten kam sie auf mich zu und ihr besorgter Blick traf meinen. Waren ihre Flügel größer geworden?
Als sie sich vor mich hin kniete und mir über meine Wange strich, hatte sie ihre Flügel um uns ausgebreitet. „Sag mir, was passiert ist.“
Ich schluckte laut und öffnete meinen Mund um zu Sprechen, doch meine Stimme versagte.
Mit Tränen in den Augen umarmte ich sie stürmisch und sie erwiderte meine Umarmung lachend. „Dir geht es wieder gut“, stellte sie zufrieden fest. „Ich hatte wirklich Angst um dich.“
Der Unbekannte schnaubte wild. „Das ist etwas untertrieben.“
Dalia fauchte ihn an und sah wieder zu mir. Zerknirschte lächelte sie mich an.
Vorsichtig begann ich zu Sprechen und versuchte nichts auszulassen. Ich erzählte von dem Raum, indem Catherine mich unter zwang festhielt. Die Schmerzen unter denen ich litt und die Antworten, die sie von mir wollte. Ich wusste, sie würde es wieder tun.
Doch ich brachte es nicht übers Herz, Dalia von Raven zu erzählen. Etwas hielt mich bewusst zurück, wie an dem Abend, als ich Dalia gerettet hatte. Eine reine Intuition sagte mir, ich sollte warten. Und ich tat, was meine innere Stimme verlangte.
In Dalias Augen erkannte ich Wut und Besorgnis zugleich. Sie hatte ihre Lippen fest aufeinander gepresst und brachte kein Wort heraus. Um uns herum war Stille eingekehrt, als ich zu Ende geredet hatte. Nach einer Weile fühlte ich mich etwas unbehaglich, da keiner etwas sagte. Victor sah mich stumm an und versuchte mich mit seinen Blicken zu beruhigen, doch es hatte genau die falsche Wirkung auf mich.
Plötzlich räusperte sich der Unbekannte wieder, der seinen Namen nicht verriet, was ich etwas komisch fand. Auch sein Gesicht war immer noch verdeckt. Konnte man ihm trauen?
Wie in Zeitlupe drehte Dalia ihr Gesicht zu ihm hin. Ihre Blicke waren teuflisch, noch schlimmer als die von Catherine. Ich riss erschrocken meinen Mund auf, sagte aber nichts.
„Was?“, zischte sie und formte ihre Augen zu Schlitzen.
Seine Lippen kräuselten sich zu einem unwiderstehlichen Lächeln. Dalia seufzte hart und spannte ihre Flügel an. „Spuck’s aus oder dir wird es noch leidtun.“
Er lachte ein tiefes, erotisches Lachen, dass mir einen Schauder über den Rücken gleiten ließ.
„Du bist wahrlich bezaubernd“, meinte er nur und Schalk schwang in seiner Stimme mit.
Hastig stand Dalia auf und flog zu schnell, sogar für meine Augen, zu ihm hin und fasste ihm an die Kehle. Mit ihrem zierlichen Körper drückte sie ihn gegen einen Baum und funkelte ihn böse an. So hatte ich sie bisher noch nie erlebt. „Was willst du hier?“, zischte sie ihn an.
„Dalia!“, rief Victor empört. Sie neigte ihren Kopf leicht zur Seite und sah ihn mordlustig an.
„Noch ein Wort und du wirst sterben“, meinte sie trocken und wandte sich zurück an den Unbekannten, den sie immer noch an den Baum genagelt hatte. Ihre langen Nägel bohrten sich leicht in seine Haut, doch er sagte nichts, ließ es stumm über sich ergehen.
Ich zog meine Augenbrauen zusammen und stand unbeholfen auf. Dalia sah blitzschnell zu mir. Ich erkannte ihre Augen nicht wieder, das war nicht Dalia, die ich gekannt hatte. Es war etwas mit ihr passiert, etwas, was ich einfach nicht zu deuten wusste.
Ich hob leicht meine Hände und signalisierte ihr, dass alles in Ordnung war. Ihre Augen musterten jede meiner Bewegungen, die ich tat. Unsicher stand ich vor ihr, immer noch die Hände leicht nach oben geneigt.
Plötzlich schnellte die Hand des Unbekannten nach vorne und ergriff Dalias Hals. Er schleuderte sie im hohen Boden in den Wald und viele Bäume gaben unter ihr nach. Ich bewegte mich nicht von der Stelle. Meine Augen waren weit aufgerissen und ich starrte den Angreifer mit offenem Mund an. Er rauschte an mir vorbei und sein wohltuender Duft schlich sich in meine Nase. Ich nieste leise. Der Duft kam mir so bekannt vor. Er ähnelte Dalias, nur war er intensiver und männlicher.
Erschrocken drehte ich mich um und sah zu Victor, der bewusstlos auf dem Boden lag.
Doch meine Gedanken drehten sich nicht mehr um ihn, es war Dalia, die sich wieder fauchend auf den Unbekannten stürzte. Er wich jedem Angriff geschickt von ihr aus und lachte dabei sogar noch. Meine Augen verfolgten jeder ihrer Bewegungen, es fesselte mich, wie mordlustig sie sich an ihn heranpirschte, um mit ihren ausgefahrenen Fängen seinen Hals zu erwischen.
Sie schrie auf, als er sie an den Haaren packte und in meine Richtung warf, direkt auf mich zu. Sein Mund stand offen, als wollte er etwas sagen, doch es war schon zu spät. Ihr kalter Körper riss meinen mit und wir kamen zusammen auf dem Boden auf. Ich wurde tief in die Erde gerissen und ihr Körper verdeckte meinen. Sie fauchte und stand blitzschnell auf, um mich mit fiesen Blicken zu erstechen. Langsam kam sie auf mich zu, die Mordlust stand ihr tief ins Gesicht geschrieben. Dalia öffnete leicht ihren Mund und entblößte ihre langen Fänge.
„Du riechst so köstlich“, murmelte sie und kniete sich vor mich hin. Ihre Flügel waren weit ausgebreitet und angespannt. Sie reckte ihren Hals, als eine Windböe um uns aufkam und leicht meine Haare über die Schulter warf. Sie zog genießerisch meinen Duft ein.
Die Sucht packte sie und in ihren Augen flackerte Verlangen auf. Tiefes Verlangen, dass ich bisher noch nie bei ihr erlebt hatte. Die Angst gewann die Oberhand von mir und ich stand unbeholfen auf. Ich drehte mich um und wollte fliehen, doch etwas packte mich an den Handgelenken und schleuderte mich direkt gegen einen harten Baum. Ich drückte meinen Rücken durch und stöhnte schmerzhaft auf.
Ich wollte nicht meine Kräfte nutzen, um Dalia aufzuhalten. Ich brachte es nicht übers Herz, ihr wehzutun. Ich wusste, dass sie das auch niemals gewollt hätte. Doch der Blutrausch, indem sie sich befand, hatte von ihr Besitz ergriffen. Das war nicht Dalia. Das war eine ungezähmte Bestie. Ich schloss meine Augen und wollte mich dem Ende hingeben, als plötzlich wieder ein herzzerreißender Schrei erklang. Ich hielt mir instinktiv die Ohren zu.

Der Unbekannte hatte in Dalias Hals gebissen. Ich fasste es nicht. Ich blinzelte erschrocken, doch er hing an ihrer Kehle und Blut tropfte aus seinem Mund. Dalias Augen wurden langsam schwer und sie ließ sich sanft in seine Arme fallen. Er hörte abrupt auf und leckte über die Bisswunde. Dann sah er zu mir. Seine Augen schimmerten immer noch vor Verlangen, doch er hielt es unterdrückt. Langsam legte er Dalia neben Victor und kam auf mich zu.
„Sie war nicht sie selbst, seitdem sie das letzte Mal von dir getrunken hatte“, erklärte er sachlich mit monotoner Stimme. „Dalia hatte einige Zeit von Tieren getrunken, und das schon mehrere Tage lang. Doch das reicht nicht aus, für ihren Körper.“
Er stockte und sah hinunter zu mir. Vorsichtig half er mir auf und wir gingen zu Victor hinüber. „Du meinst, sie war in einer Art ‚Blutrausch’?“
Er nickte und beugte sich zu Dalia hinunter und fasste an ihre Bisswunde. Langsam kräuselten sich seine Lippen und er versprühte so viel Trauer, als wäre die Welt am untergehen. Ich wollte diesen Moment nicht zerstören, also trat ich an Victors Seite und streichelte ihm sanft übers Gesicht.
„Warum sagst du uns nicht deinen Namen?“, fragte ich leise. Er seufzte verbittert auf.
„Wenn ich es tue, würde Catherine es sofort wissen. Sie hat unendliche Macht über das Element des Geistes und kann sogar wissen, wo du dich gerade aufhältst, wenn sie sich konzentriert. Ich darf mich nicht zu erkennen geben, sonst wäre alles umsonst gewesen“, hauchte er den letzten Satz, sodass ich ihn kaum verstehen konnte.
„Es wäre ein fataler Fehler und wir würden erneut in ihre Fänge geraten.“
Ich sagte nichts weiter dazu und er nahm Dalia auf den Arm. „Wir sollten weiter gehen. Wenn wir länger an einem Ort bleiben, als es nötig ist, wird sie es wissen.“
Ich nickte nur und trug zu meinem Leid, Victor. Er war kräftig gebaut und ich musste zu geben, dass er alles andere als Leicht war. Ich musste unwillkürlich Lächeln, obwohl die Situation kaum zum Lachen war.
Erneut schielte ich zu dem Unbekannten und musste feststellen, dass er ganz angestrengt aussah. Sein Kiefer war angespannt und er ließ ihn nicht locker.
„Der Tank wird bald leer sein“, meinte er trocken, als wir am Auto angekommen waren.
„Bis dahin werden Victor und Dalia wieder wach sein. Dann müssten wir wieder zu Fuß weiter.“ Ich nickte und stieg hinten ein, als er Dalia auf den Beifahrersitz platzierte.
Schweigend nahm ich Victor in meine zierlichen Arme und eine stumme Träne verließ mein Auge. Meinen eigenen Schmerz ignorierend, kümmerte ich mich um Victor und strich seine Haarsträhnen aus dem Gesicht, die ihm über die Augen fielen. Er sah vollkommen ruhig aus und atmete gleichmäßig, was mich etwas beruhigte. Schweigend gab, der mir immer noch völlig Fremde, Gas und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Müde schloss ich meine Augen und glitt selbst in einen tiefen Schlaf


Impressum

Texte: Alle Charaktere, sowie die Geschichte, sind von mir und frei erfunden. Alle Rechte liegen bei mir! (P.s Jaaa das auf dem Bild bin ich^^)
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle meine Freunde, die mich des Öfteren immer wieder ermutigt haben, weiter zu schreiben. Besondere Widmung natürlich an meine süße Alice.cullen, denn die Figur Cecilia verkörperst du perfekt. Du bist eine ganz besondere Inspiration für mich. DANKE! :)

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