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Prolog.




„Aufstehen! Jetzt, sofort! Sonst kommst du noch zu Spät!“
Meine Mutter schrie aus vollem Hals.
Ich zuckte unter solch harter Stimme zusammen. Ja, sie war schon immer so gewesen seitdem mein Bruder von uns gegangen war.
Ich befahl meinen Augen sich zu öffnen, was sich als sehr schwer erwies.
„Ich schicke dich sonst ohne Frühstück los, mein Kind!“
„Ja, Mum. Bin schon Unterwegs…“
Achselzuckend stand ich aus meinem kleinen Bett auf und machte mich auf den Weg zum Bad.
Ich brach all meine bisherigen Rekorde, was das Anziehen meiner spärlichen Kleidung betraf, wie auch meiner braunen, hüflangen Haare und dem leichten Make-up.
Meine Mutter schleifte mich zur Tür und drückte mir meine Tasche in die Hand.
„Jetzt mach, dass du los kommst!“ Nickend drückte ich sie zum letzten Mal.
Noch leicht Schlaftrunken wackelte ich aus der Wohnung und verließ das Haus.
Ich drehte mich nochmals um und sah meine Mutter, die sich an das Fenster gelehnt, zu mir rüber winkte.
„Bis nachher!“ Brüllte ich nach oben.
Zur Bushaltestelle waren es nur ein paar Meter die ich genüsslich annahm.
Heute wartete der Bus schon wieder auf mich, aber der Busfahrer war immer sehr nett zu mir, so dass nur ich mir so was erlauben durfte.
Leicht grinsend nahm ich meinen üblichen Platz ganz hinten ein und ließ die Fahrt über mich ergehen.


Später, als die Schule endlich vorbei war, nahm ich mir vor etwas früher aus der Schule zu verschwinden, damit meine Mutter nicht immer auf mich warten musste.
Sie holte mich immer von der Schule ab, da sie den gleichen Weg hatte, den sie immer zur Arbeit nahm.
„Heute so früh, Kleines.“ Nickend stieg ich in unser, viel zu kleines, Auto ein.
Die Fahrt verlief Still. Wie immer.
Die Ampeln meinten es heute nicht gut mit uns, im Gegenteil. Wir hatten meistens Rot.
Immer wieder Schimpfte meine Mutter über die heutigen Autofahrer und über den Verkehr. Er war heute so unnormal unruhig.
Damit die Fahrt nicht noch unangenehmer wurde, stellte ich unser kleines Radio ein.
Die Musik erklang und meine Mutter stöhnte.
„Hörst du immer noch diese Musik?“
Gespielt empört antwortete ich: „Was hast du gegen Hip-Hop?“
Sie schüttelte darauf nur ihren Kopf und so verfiel sie wieder in ihr allzu bekanntes Schweigen.
Als jedoch der Song unterbrochen wurde, und eine Eilmeldung uns erreichte, stockte mir der Atem.
„In der Nähe der St. Maria Schule, auf der M11 in Richtung Cambridge fährt ein Fahrer in die Falsche Richtung. Bitte fahren Sie Vorsichtig, die Rettungseinsätze versuchen alles Erdenkliche. Wenn möglich, wechseln sie die Fahrerspur. Danke.“
Meine Mutter begann zu seufzten. „Kind, denk dir dabei nichts, das sind nur wieder irgendwelche Jugendliche die sich einen Spaß daraus zu machen, anderen Leuten einen Schrecken einzujagen.“
Keuchend rang ich nach Luft. Irgendwas sagte mir in diese Augenblick das meine Mutter eigentlich etwas anderes hätte sagen wollen.
„Wir fahren einfach weiter. Und wird nichts passieren, denk immer dran, ich bin deine Mutter. Egal was mir passiert, dir wird es genauso ergehen.“
Schock durchfuhr meine Adern. „Mum, von was bitte redest du da?“
Erst dann guckte ich auf die Straße und was ich da sah, konnte ich kaum in Worte fassen.
Wir waren das Auto, das sie Spur gewechselt hatte, mitten auf der Autobahn.
Meine Mutter war es, die den Tod wollte.
„Kleines, ich liebe dich über alles und bitte verzeih mir dies, wenn wir uns im Himmel wiedersehen werden.“
Mit diesem Worten drückte sie aufs Gas, drehte das Lenkrad komplett nach rechts, sodass wir uns fast überschlugen und mit quietschenden Reifen immer weiter im Kreis der Autobahn fuhren.
Ich versuchte alles, ihr das Lenkrad aus den Händen zu reißen, sie anzuschreien oder wenn möglich, sie sogar zu schlagen, damit sie losließ. Doch sie hielt ihre müden Augen geschlossen. Bereitete sich auf das Ende vor. Ich wollte nicht aufgeben, mein Leben beenden, so wie mein Bruder es getan hatte.
In den paar Sekunden schlugen viele Autos auf uns ein, krachend überschlugen wir uns, fielen in einen tiefen Graben.
Und in diesem Moment öffnete meine Mutter ihre Augen und lächelte.
Sie flüsterte langsam. „Endlich sehe ich deinen Bruder wieder.“
Das Auto fiel.
Dann war alles Schwarz.


Kapitel 1, Vergangenheit



Seit meinem traumatischen Erlebnis, je mit meiner Mutter gefahren zu sein, lag ich über fünf Wochen im Krankenhaus. Ja, ich hatte es geschafft. Ich hatte überlebt.
Meine Mutter lag nur zwei Wochen im Krankenhaus, starb aber darauf.
Begründung: Zu viele Prellungen, Stichwunden, sowie Brüche. Ihr Herz hatte aufgeben.
Dies ist jetzt schon ganze zwei Jahre her. Damals war ich noch zarte fünfzehn.
Meine Kindheit verbrachte ich bei meiner, über Alles Geliebten Oma. Sie hatte sich liebevoll um mich gekümmert. Ich musste sogar noch lange meine Beinschienen tragen und wieder laufen lernen. Es war eine harte Zeit gewesen, aber sie war immer für mich da.
Nun ist sie auch von mir gegangen.
Ich stand weinend vor ihrem Grab, weil sie alles war was ich noch hatte. Jetzt besaß ich nichts mehr außer mir selbst. Doch mir kam ein Gedanke, den ich schon längst hätte vergessen sollen. Meinen Freund Marco.
Vor meinem schlimmen Unfall hatte er mich nicht besucht, was ich damals als ein Verbrechen angesehen hatte. Doch das war mir egal geworden.
Ich musste ihn finden, ich wollte weg hier. Weg aus dieser Umgebung, der Stadt die ich nicht mehr als mein Heimatort ansah. Hier hielt mich nichts mehr.
Schließlich entschloss ich mich nach reichlichen drei Tagen, zu seiner alten Adresse zu gehen. Dort hatte er noch gewohnt, vor meinem Unfall.
Das Haus sah aus wie immer, groß, geräumig, weiß und einfach nur umwerfend. Diesmal betrachtete ich es aber nicht.
Schnell stieg ich die Treppen hoch und klingelte Sturm.
Ein verwunderter Marco machte mir auf.
„Melanie! Mensch hab ich dich lange nicht mehr geseh’n!“
„Du hast mich ja auch schließlich nicht besucht.“ Giftete ich ihn an.
Er überging meine zickige Bemerkung und nahm mich erstmal in die Arme.
„Willst du nicht reinkommen? Meine Eltern sind nicht Zuhaus’.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss dringend was mit dir besprechen.“
Jetzt wirkte er ernst. Das hatte ich sosehr vermisst. Ja, er war ein Spaßvogel, nur konnte er
Situationen sehr schnell einschätzen. Wenn es ihm also ernst war, machte er alles dafür.
„Was ist los?“
Nach ein paar Sekunden Überlegung, wie ich ihm das nur erzählen sollte, sprudelten die Wörter einfach so aus mir heraus.
„Es geht darum, dass ich hier verschwinden will. Du hattest mir versprochen, dass wir eines Tages diese miese Stadt verlassen würden! Jetzt ist es so weit! Ich habe alles verloren was mir lieb war, mich hält hier nichts mehr. Und nun stehe ich hier und frage dich, ob du mit mir gehst.“
Verwunderung glitt über sein Gesicht. Erst blieb er wie angewurzelt stehen, doch dann umarmte er mich stürmisch.
„Natürlich komme ich mit! Du weisst ja gar nicht, wie lange ich schon auf diesen Tag gewartet habe!“ Er ließ mich los. „Wann soll’s denn losgeh’n?“
Jetzt befreite ich mich ganz von ihm. „In ein paar Tagen, denke ich. Ich muss noch meine Sachen packen. Wie sieht es bei dir aus?“
Marco wirkte etwas Enttäuscht. „Schade.“ Seufzte er. „Ich dachte wir machen das jetzt gleich!“
Mit gespieltem Entsetzen antwortete ich: „Was deine Eltern bloß von dir denken! Nein, jetzt mal im Ernst. Ich brauche noch ein paar Tage. Du kannst dich ja schon mal drum kümmern wo wir überhaupt hingehen und wie wir dort unterkommen. Ich verlasse mich auf dich! Ich ruf dich dann später noch mal an!“
Mit diesen Worten hauchte ich noch einen kleinen Kuss auf seine weiche Wange und verschwand in mein kleines Auto.
Ich machte mich schnell auf den Heimweg, zurück in die Hölle.
Marco war früher ein wundervoller Freund gewesen, ich war sogar eine Zeit lang in ihn verliebt gewesen. Doch das hatte sich schlagartig geändert, als er mir sagte, er sei Schwul.
Mich hat es so tief verletzt, dass ich ein paar Tage sogar nicht mit ihm gesprochen hatte.
Kopfschüttelnd lachte ich über die damalige Zeit. Wie glücklich ich doch gewesen war!
Jetzt hatte sich einfach alles verändert.
Grinsend fuhr ich in meine Einfahrt. Doch das war nicht der Schlusspfiff. Noch lange nicht.

Kapitel 2, Ankunft in ein neues Leben



Nach ein paar Tagen, rief ich endlich Marco an. Er nahm schon gleich beim zweiten Klingeln ab.
„Melanie, bist du’s?“
Lachend antwortete ich:„ Du scheinst mich ja schon heißblütig zu erwarten! Ja ich bin’s.“
„Schön das du dich endlich Meldest.“ Er klang erleichtert?
„Okay, also ich bin soweit fertig, habe das wichtigste gepackt. Von mir aus kann’s losgehen.“
Er ließ ein kleines Lachen durch den Hörer gleiten.
„Gut! Ich habe schon alles geklärt. Du wirst dich freuen! Meine Eltern haben uns eine Wohnung in London besorgt.“
Ich ließ mein Gesicht strahlen. „Super! Also, wann holst du mich ab?“
„Wenn du willst, jetzt sofort.“
Ich nickte, doch dann bemerkte ich, dass er das ja eigentlich gar nicht sehen konnte.
„Okay! Dann bist gleich.“
Ich legte schallend den Hörer auf und stieg schnellstmöglich die Treppen hinauf.
Auf diesen Augenblick hatte ich lange warten müssen. Doch es hatte sich auf jeden Fall gelohnt.

Schon nach ein paar Minuten klingelte es an meiner Haustür. Ich holte schnell meine beiden Taschen aus meinem Zimmer.
Doch dann hielt ich an. Schaute mich nochmals um.
Ich werde es trotz allem vermissen. Dann entschloss ich mich, meinen Gast nicht länger warten zu lassen. Lächelnd machte ich die Tür auf.
„Marco! Da bist du ja schon!“
Ich warf mich ihm in seine starken Arme. Er war um einiges Größer als ich. Und gut sah er aus, richtig zum anbeißen. Seine Haare waren ein wunderschönes Pechschwarz, das komische daran war nur, dass seine Augen im grotesken Unterschied dazu Hellblau waren. Schade, dass die Gutaussehenden immer Schwul sein müssen!
Lachend fing er mich auf und streichelte meinen Kopf. Meine Rehbraunen Augen schauten in seine und wir fingen an zu lachen.
Er hatte sich in den zwei Jahren nicht verändert, auch wenn er ein ganzes Jahr älter war als ich.
Er half mir dabei mein Gepäck in den Kofferraum zu verfrachten und wir stiegen gemeinsam in seinen BMW ein.
Nach London war es nur eine Stunde fahrt, also sollte sie nicht unangenehm werden. Aber natürlich bereitete mir Autofahren immer noch sehr viel Angst.


Das wusste Marco genau, deswegen heiterte er mich immer mit cooler Musik auf, oder erzählte mir was er in den letzten beiden Jahren so getrieben hatte.
„In New York? Was hast du da getan? Deswegen hast du mich nicht besucht!“
Vorwurfsvoll schaute ich ihn an.
Er schaute leicht zu mir herüber, dennoch darauf bedachte, noch immer auf die Straße zu schauen.
„Ich war viel Unterwegs, meist mit meinen Freunden. Du musst verstehen, dass ich vorher überhaupt nicht wusste was in deiner Mutter vorging und, dass ihr einen Unfall hattet.“
„Okay, zugegeben, du konntest ja wirklich nichts dafür. Aber das entschuldigt noch lange nicht, dass du dich danach nicht gemeldet hast!“
Kopfschüttelnd schaute er kurz zu mir, doch ich bekam es wieder mit der Angst zu tun, also schaute er wieder auf die Straße.
„Ich dachte du würdest noch im Krankenhaus liegen. Oder zumindest bei deiner Oma sein. Was ist eigentlich mit ihr?“
Ich musste Schlucken. Er wusste echt über gar nichts bescheid.
„Sie ist gestorben…“
Ich ließ meinen Kopf in meine zierlichen Hände fallen. Langsam fing ich an zu Schluchzen. Ich verkraftete immer noch nicht ihren Tod. Ich konnte im Augenwinkel erkennen, dass Marco sein Lenkrad heftig umklammert hielt.
Er konnte es noch nie leiden, wenn ich geweint hatte. Das war damals immer ein Vorteil gewesen.
„Das tut mir Leid, ehrlich.“ Seine Stimme klang Zaghaft.
Langsam erholte ich mich wieder von der Trauer die mich umschlungen hielt und versuchte nach vorne zu schauen. Bald wird es mir besser gehen, ich gehe zusammen mit Marco weg, in eine neue Stadt in ein neues Leben.
Meine Zukunft ließ mich erneut Aufblicken. Dann schaute ich Marco an und er musste auch lächeln. Zusammen schafften wir das, das wusste ich.

Nach einer Zeit lang fuhren wir endlich von der Autobahn runter und kamen danach schnell an unserem Zeil an. Was mich nicht wunderte, da Marco fuhr wie ein Irrer auf der Flucht.
Die Straße sah schöner aus als meine vorherige und somit freute ich mich natürlich umso mehr.
Unsere Wohnung erwies sich als ein kleines Paradies auf Erden. Jeder von uns hatte ein eigenes, großes Zimmer, ein eigenes Bad und wir hatten einen wunderbaren Plasma Fernseher. Was will man mehr?
„Es ist Wochenende, willst du nicht ausgehen?“ Er fragte schon wie ein Vater, der zu seiner Tochter spricht.
„Ehm, nein danke. Ich bin noch ein bisschen kaputt von der Anfahrt. Ich denke für Morgen muss ich echt ausgeschlafen sein!“ Kichernd ging ich ins Bad und machte mich Bett fertig.
Endlich wieder gute Stimmung. Ich hatte es sosehr vermisst.
Schnell sagte ich Marco, der in der Küche sein Sandwich aß, gute Nacht und marschierte Hoffnungsvoll ins Bett.
In dieser Nacht träumte ich rein gar nichts. Der wunderschönste Traum der Welt.


Stillschweigend saß er in der Küche und versuchte seiner besten Freundin vorzuspielen, dass er ein Sandwich aß. Er schaffte es tatsächlich, es runter zuwürgen. Was er nicht alles tat für sie. Morgen würden sie in die neue Schule gehen, was für ihn eigentlich gar nicht neu war. Er war schon dort gewesen, in den zwei Jahren wo sie im Krankenhaus lag.
Es war keine normale Schule, eine Schule für die Nachtwelt.
Leider musste er Melanie anlügen, er wollte es nicht, aber sie hatte ihm sofort Glauben geschenkt. Es war ein Kinderspiel gewesen.
Dennoch fürchtete er, ihr später die Wahrheit sagen zu müssen. Sie musste es erfahren.
Seufzend schmiss er den Rest des Sandwichs in den Mülleimer und schaltete den Fernseher an.
Er würde niemals schlafen. Ob er bei Melanie nach dem Rechten sehen sollte? Lieber nicht.
Melanie hatte ihm sogar Abgekauft, dass er Schwul war. Er und Schwul!
Ein kleines Lachen ertönte.
Dann war es wieder Still.
Er schaltete den Fernseher schon nach ein paar Minuten aus. Nichts Sehenswertes.
Nun lauschte er dem Klang ihres Herzens. So wunderbar.
Leider durfte er noch nie das Blut von ihr kosten, es war ihm selbst zu kostbar dafür.
Schnell kniff er sich die Augen zusammen. Er durfte daran nicht einmal denken!
Viel schlimmer war es doch, dass er sie über alles, was ihn anging, anlügen musste. Er gaukelte ihr vor Schwul zu sein, nur damit sie ihm nicht Näher kam, sie durfte es nicht. Daran würde sie zerbrechen.
Die Schule sollte ihr und ihm helfen von einander Abschied zu nehmen. Wenn sie herausfand was er wirklich war, dann würde sie sich vielleicht ekeln, ja sogar fürchten.
Melanie würde aus seinem Leben verschwinden, was für sie besser war. Aber niemals für ihn. Trotzdem müsste er alles versuchen, damit sie sicher war. Vor ihm, vor dem was er war.
Einerseits wollte er das, aber er würde es nicht lange aushalten und sich selber das Leben nehmen. Ja, so würde es wohl schließlich Enden.
Mit dem letzten Gedanken an sie, nahm er seine Lederjacke, zog sie über und verschwand so leise, dass sie ihn nicht hören konnte aus der Wohnung.
Er brauchte Blut. Mit jeder einzelnen Faser sehnte er sich nach Ihrem Blut, doch er wollte sie niemals verletzen. Deswegen betäubte er andere Opfer, trank von ihnen und ließ ihre Erinnerung an das, was geschehen war verbleichen. Damit sie sich an nichts erinnern und er nicht zu Schaden kommen würde. Ja, so machen das alle Vampire, die wirklich was von sich halten. Es gibt auch welche, die ihr Unwesen treiben und deswegen würde er trotz Allem, immer irgendwo sein, wenn sie seine Hilfe bräuchte.
Für immer.




Kapitel 3, Wenn sich wahre Gesichter zeigen...




Am nächsten Morgen schrillte der kleine Wecker neben mir so laut auf, dass ich ihn nach kürzester Zeit an die Wand schmiss.
Genervt und überaus müde trapste ich langsam ins Badezimmer, dabei entging mir nicht, dass Marco schon weg war.
Gähnend kämmte ich meine zähen, braunen Haare. Heute sind sie schon wieder so wuschlig, zischte ich in Gedanken. Heute war ich überaus genervt, müde und dazu noch aufgeregt.
Bald würde ich die neue Schule kennen lernen. Die Erinnerung daran, hinterließ mir ein Unwohles Gefühl in der Magengrube.
Wie sie mich wohl aufnehmen würden? Marco scheint gar nicht aufgeregt zu sein, vielleicht kennt er schon ein paar?
Verzweiflung machte sich in mir breit, kroch bis zum Höhepunkt und ließ mich weiterhin erschaudern.
Warum mache ich mir eigentlich so viele Gedanken? Nur weil ich es hasste, wirklich abgrundtief hasste, die Neue zu sein? So schlimm konnte es doch niemals werden…
Ich hatte noch nicht mal zu ende gedacht, da klopfte es schon an der Badezimmertür.
„Melanie? Ich muss mit dir reden!“
Seufzend ging ich in Richtung Tür, bis mir auffiel, dass ich außer meiner Hotpants und meinem übergezogenen T-Shirt nichts anderes anhatte.
„Ehm, kann das nicht warten? Ich bin noch nicht ganz fertig.“
Ein grummeln war zu hören, dann ein leiser dumpfer Schlag. Stille.
„Na gut, aber beeil dich!“ Das kam von weiter hinten. Was treibt der da?
In Gedanken verloren schnappte ich mir meine Röhrenjeans und zog sie hastig über.
Das war meine Lieblings Jeans. Sie war schwarz und hinten mir schönen Strasssteinen besetzt. Nun wand ich mich wieder meinem Spiegelbild zu. Ich musste irgendwas verändern, vielleicht die Haare hochstecken?
Nein, das sieht zu schlau aus für den ersten Tag. Nach reichlicher Überlegung machte ich mir doch einen Zopf, ließ ein paar Strähnchen raushängen und machte mir einen passenden, schwarzen Haareif hinein. Sieht doch ganz Passabel aus.
Zufrieden zog ich mein neues Top an. Es war leicht rosa und duftete nach Waschpulver.
Es roch besser und natürlicher ohne das ganze Parfüm.
Schon wieder klopfte es an der Tür. Man der ist ja ungeduldiger als ein Hund!
Seufzend nahm ich mir noch etwas Puder und Lipgloss. Trug es auf und schnappte mir meine Kulturtasche.
„Bin schon Unterwegs!“ Rief ich nach draußen und hoffte, dass Marco es mitbekam.
So groß, ungeduldig, neurgierig und Schwul müsste man mal sein!
Kichernd zog ich die Tür auf und sah einem völlig aufgelösten Marco auf den Boden sitzen. Er kauerte gleich hinter dem Sofa, hielt sich mit einem Arm sogar noch an der Lehne fest. Krampfhaft zog er ihn zurück als er ein meine Richtung schielte.
Sofort war ich bei ihm. Was hatte er nur?
Ich kniete mich neben ihm und versuchte in sein Gesicht zu schauen. Aber er zeigte es mir nicht. Seine Hände umschlossen es, er lehnte sich immer weiter weg von mir.
„Marco… was ist los? Hast du Schmerzen?“ Er schüttelte den Kopf, drehte sich weiter weg von mir.
Er brachte nur ein krächzendes „Geh Weg!“ von sich und dann sank er schließlich in sich zusammen. Ich konnte ihn gerade noch von der Seite auffangen, sonst hätte sein schöner Kopf mit dem Kaffeetisch Bekanntschaft gemacht.
Was sollte ich bloß tun? Einen Arzt holen? Und was ist, wenn er das nicht wollte?
Verzweifelt suchte ich nach einer Lösung. Was mag nur passiert sein, dass er urplötzlich in sich zusammen sank?
Das war doch nicht normal! Oder doch?
Was ist, wenn er mir verschwiegen hat, dass er eine Krankheit hatte? Oder sogar noch Schlimmer, eine Allergie? Die Gedanken kreisten in meinem Kopf wie bei einem Autorennen. Mir fielen immer mehr Ursachen dafür ein. Aber dann erinnerte ich mich wieder, dass er in meinen Armen lag. Schnell versuchte ich ihn aufs dunkel blaue Sofa zu verfrachten.
Er stöhnte leise auf. Und sagte meinen Namen, immer wieder. „Melanie…“
„Ich bin hier, ich bin bei dir.“ Wieder ein kleines Stöhnen, jetzt war er völlig weg.
Schützend hielt ich eine Hand hin, versuchte sein Gesicht zu erreichen, dass immer noch von seinen Arm bedeckt war. Er ließ mich gewähren und was ich dort sah, schockte mich zutiefst.

Sein Gesicht war vollkommen bleich, sogar fast gräulich. Diese Farbe war nicht normal für einen Menschen, das wusste sogar ich. Seine halbgeschlossenen Augen färbten sich schwarz, sahen sie dunkel rot aus?
Ich zog sein Augenlid hoch und betrachtete sein Auge weiter. Dabei musste ich leider auf das Sofa klettern, schließlich saß ich vorsichtig auf ihm. Schreck durchfuhr meine Adern. Dort wo eigentlich weiß in seinen Augen sein sollten, zierten dunkel Rote Äderchen, dass mal so makellose Weiß. Seine Puppille war nicht mehr zu erkennen, seine Augen vollkommen Schwarz. Er stöhnte wieder, kam er wieder zu Bewusstsein? Schnell ließ ich seine Augen in Ruhe und schloss sie wieder.
Was ich da gerade gesehen hatte, war vollkommen unnormal. Aber geirrt hatte ich mich nicht, ich habe ganz genau hingesehen… seine Schwarzen Augen, die gebrannt markten roten Äderchen. Was zum Teufel ist hier los?
Dann schaute ich runter auf seine Kleidung. Was hatte er da an? Einen Anzug? Und dabei sah das alles so teuer aus…
Verwundert blickte ich auf seine Arme. Schnell zog ich die Ärmel hoch und betrachtete sie genauer. Völlig angespannt lag er hier, bewusstlos… wie konnte er da seine Muskeln anspannen? Und seine Hautfarbe war auch hier, vollkommen gräulich.
Ich schrie auf, versuchte Marco zu wecken, doch er schlief weiter.
„Marco! Bitte stirb nicht!“ Verzweifelt zog ich an seinem Arm, an sein geöffnetes Hemd, doch er regte sich keinen Zentimeter.


Ich rang um meine Vernunft.
Konnte ich ihn so einem Arzt überlassen? Was würde der nur denken? Schlimme Allergie… ja, gegen was eigentlich?
Marco hatte mir nie erzählt er hätte Allergien oder Krankheiten. Er war mein bester Freund, er würde mir doch so was sagen, oder?
Kopfschüttelnd ließ ich den Gedanken fallen. Jetzt darf ich nicht daran denken, dass muss warten. Ich muss irgendwie Marco helfen… aber wie?
Vorsichtig stieg ich von seinem Athletischen Körper hinunter, zog ihm sein Jackett aus und knöpfte das Hemd weiter auf.
Oh Gott, lieber Himmel! Wieso musste er nur so einen Körper haben? Staunend strich ich über ihn. Nein! Jetzt nicht!
Mit verwirrten Gedanken ging ich in die Küche, holte einen Eisbeutel um seine Augen zu kühlen. Vielleicht würde das Helfen.
So schnell es ging war ich wieder bei ihm, legte den Eisbeutel auf seine geschlossenen Augen und wartete ab. Nach einer Weile setzte ich mich in den gegenüberliegenden Sessel und wippte nervös hin und her.
Fieberhaft kämpfte ich damit loszuheulen. Das würde ihm jetzt auch nicht helfen…
Dann endlich bewegte er sich. Erleichtert sprang ich auf und war in zwei Schritten schon wieder bei ihm.
„Marco! Marco, sag, kannst du mich hören?“
Er nahm seine Hand, betastete den Eisbeutel und schmiss ihn mit einem Grollen an die Wand. Überrascht zuckte ich zurück. Was war nur mit ihm los verdammt!

Dann sah er mich an. Seine Augen, sie hatten wieder eine ganz annehmbare Farbe bekommen.
Seine Haut, sie sah jetzt nicht mehr ganz so schlimm aus, doch sein Blick war gezeichnet von überfülltem Hass.


Fauchend knöpfte er sein Hemd zu, nahm sich sein Jackett und schnellte von dem Sofa.
„Nein Marco, nicht – “ ich schnellte nach vorne.
Er schwankte, verlor kurz sein Gleichgewicht und knallte mit aller Kraft gegen mich.
Wir beide fielen krachend zu Boden. Ich schrie kurz auf, vor Schock und dem schmerzhaften Gewicht über mich. Krächzend rang ich nach Luft.
Da reagierte Marco endlich, schnellte nach oben und stützte sich mit beiden Händen auf dem Holzfußboden ab. Genau unter ihm, lag ich.

Schwer atmend schaute ich ihn an.
Seine Augen färbten sich wieder dunkler, doch nicht sosehr wie letztes Mal.
Verwundert schaute ich in sein verändertes Gesicht. Irgendetwas war mit ihm los und ich solang ich ihn auch ansah, ich konnte es nicht feststellen.
Unüberlegt hob ich meinen Arm und streichelte mit meiner rechten Hand sein überschönes Gesicht. Er ließ es zu, schloss für einen kurzen Augenblick seine Augen.
Dieser Moment, es war etwas Besonderes. Ich wusste nicht wieso, doch alte Gefühle für ihn kamen wieder hoch.
Schwer schluckend versuchte ich sie wieder loszuwerden.
Marco öffnete langsam seine Augen. Erschreckend sah ich sie an. Wie machte er das nur?
Sie sahen wieder vollkommen normal aus. Widerwillig nahm ich meine Hand von seinem Gesicht, doch er schnappte sie sich, bevor ich mich auch nur einen Zentimeter bewegt hatte. Er umschloss seine Hand mit meiner, schloss seine Augen wieder und seufzte wohlig.
Habe ich gerade ein fauchen gehört, als ich meine Hand zurückziehen wollte?
Ich wusste nicht, wie lange wir einfach so dalagen, doch es schien nie aufzuhören.
Plötzlich regte sich etwas in seinem Gesicht. Er schaute auf mich hinab, kam mit seinem Gesicht immer näher.
Er stockte etwas. Und dann, einfach so, trafen sich unsere Lippen.
Er nahm langsam seine Hand aus meiner und legte sie an meiner Wange. Seine Lippen, sie waren so schön weich und einladend.
Erst war es nur ein zaghaftes Küssen doch er wurde immer fordernder. Seine Hände hoben meinen Rücken an, streichelten ihn sanft. Immer noch küssend, zog er mich weiter an sich heran und kam mir so nah, wie es noch keiner getan hatte.
Aber als ich langsam nicht mehr richtig Atmen konnte, hörte er widerwillig auf.
Wir sahen einander an, so wie nie zu vor.
Ich sah ihn jetzt nicht mehr als meinen besten Freund, auch nicht als einen Geliebten. Ich wusste nicht recht was ich fühlen sollte.
Durcheinander. Das beschrieb meine jetzige Situation ziemlich gut.
Er ließ mich langsam wieder auf den Boden gleiten, nahm seine Hand und streichelte meine erröteten Wangen.
Eine einzige Träne rollte über mein Gesicht.
Dieser Moment war zu schön um wahr zu sein.


Kapitel 4, Hindernisse




Ich wünschte mir, es gäbe kein Morgen mehr. Leider hatte ich damit völlig unrecht.
Langsam wachte ich in meinem kleinen Bett auf. War das wirklich passiert? Stimmte es, was ich gesehen hatte? Und auch noch, dass Marco mich angelogen hatte, was seine Neigungen betraf?
Ich hatte das Gefühl, er log mich bei weitem noch mehr an.
War das wirklich noch nicht genug?
Die Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, spukten in meinem Geist bis mein Durchhaltevermögen auf der ganzen Linie versagte.
Gefühle sackten in mir hoch, die ich schon längst hätte vergessen sollen.
Ja, ich hätte so einiges vergessen sollen.


Aber sie schwappten immer wieder von vorne über, so dass ich anfing zu schluchzen.
Dabei musste ich wieder an den vergangenen Tag denken, an dass was mir Angst machte.
An unser letztes Gespräch.


Seine Hand streichelte mein Tränenüberflossenes Gesicht. Wieder wanderten seine überaus weichen Lippen über meine.
Sein Duft raubte mir den Atem, doch ich genoss das Gefühl seiner warmen Lippen.
Dennoch war er völlig kalt, was mir erst später bewusst wurde.
Doch plötzlich, ohne dass ich dazu in der Lage war ihn aufzuhalten, war er aufgestanden und hatte sich in die letzte Ecke des Wohnzimmers gedrängt.
Langsam setzte ich mich auf, dabei sah ich ihm genau in die Augen, was mir sichtlich schwer fiel, da es draußen immer noch dunkel war.
Verwirrung spiegelte sich in meinem Gesicht wieder und ich wusste, er sah es.
Was war passiert, dass seine Entscheidung urplötzlich von eine Sekunde auf die andere, gewechselt war? Wieso hatte er aufgehört?
Verdattert starrte ich ihn an.
Marco stand ganz hinten in unserem Wohnzimmer. Sein Gesicht, glaubte ich zu erkennen, war schmerzverzerrt.
Eine lange Stille folgte. Nur unsere Atemzüge waren zu hören.
Keuchend atmete er Luft ein, versuchte sie kläglich durch seine Lunge zu pressen.
Er bewegte sich nicht. Keinen Zentimeter.
Lange sahen, nein starrten, wir uns an ohne etwas zu sagen. Seine Haltung verriet mehr als nur Abscheu, aber wovor oder vor wem, dass konnte ich nicht genau erkennen.
Minuten zogen sich dahin. Marco rühre sich immer noch nicht. Er presste sich noch heftiger gegen die Wand.
Dann aber, hielt ich es nicht mehr länger aus und stand langsam auf. Mit zusammengebissenen Zähnen hielt ich mich am Kaffeetisch fest, der vor dem Fernseher stand. Ich trat einen Schritt auf den anderen zu ihm, darauf bedacht, immer in sein Gesicht sehen zu können.
Leider konnte ich durch die Dunkelheit nur umrisse erkennen.
Marco fauchte mich an, als ich immer näher kam. Ganz ehrlich, er fauchte, wie eine Katze!
Was war nur mit ihm los? Ist er jetzt völlig unter den Spinnern gegangen?, dachte ich spöttisch.
Langsam tastete ich mich weiter an Marco heran.

„Nicht!“, brüllte er mich an. Seine Stimme klang sehr rau …. Und bestimmt.
Ich runzelte die Stirn.
„Wieso denn nicht?“, fragte ich ihn in die Stille hinein.
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Als er sprach, war es nur ein sanftes Flüstern.
„D-Das war keine Gute Idee von mir gewesen“, er rieb sich mit einer Hand die Stirn, „Doch als du mir so… so … so nah warst, da konnte ich nicht widerstehen. Bitte vergiss mein törichtes Verhalten.“
Er klang wie aus dem Mittelalter entsprungen. Verwirrt zog ich eine Augenbraue hoch.
Marco ließ mich nicht zu Wort kommen und setzte seine harte Maske auf. So undringlich und so weit entfernt von mir, hätte ich nicht noch ein kleines bisschen Stolz, wäre ich jetzt weinend zusammen gebrochen.
„Aber“, sprach er weiter, „ Ich hatte dir vorher gesagt, du solltest wegbleiben. Warum hast du nicht auf mich gehört? Fordere nie dein Schicksal heraus, Melanie.“
Mit jedem weiteren Wort, das er aussprach, fiel die Maske.
Danach folgte eine längere Pause. Meine Augen weiteten sich ganz von selbst.
Ich sollte vergessen? Vergessen, dass er mir so nah war, wie kein anderer bisher?
Meinem Herz verweigern was es sich wünschte?
Kopfschüttelnd taumelte ich einen Schritt zurück.
Als ich merkte, dass er auf eine Antwort von mir hoffte, brauchte ich erstmal ein paar Anläufe um meine Stimme wiederzufinden.
„Mein Schicksal herausfordern? Inwiefern meinst du das? Ich… kann dir nicht folgen“, gab ich schließlich zu.
Ich musste lautstark schlucken. Die Angst, bald wieder hier allein, im Dunkeln zu sein, überstieg alles andere in diesem Moment.
Marco schüttelte den Kopf. Ich sah ihn kaum, nur Umrisse die ihn kennzeichneten.
„Vergiss bitte einfach was ich getan habe. Du müsstest selber wissen wie ich dazu stehe…
e-es kam einfach so über mich…“ Sein Blick bohrte sich in meinen. Wieso konnte ich ihm nicht glauben? Die Küsse… sie waren so viel mehr als das gewesen.
War mir irgendetwas entgangen?
Alte, längst verdrängte Gefühle für ihn kamen hoch und ich versuchte sie gleich wieder loszuwerden.
Und ich konnte sie übertrumpfen, mit der Wut, die ich jetzt empfand… sie war viel stärker in diesem Moment.
„Marco“, ich sprach seinen Namen sehr sanft aus, „Ich weiß, wie du empfindest. Ich kam dir zu nah und musste mit den Folgen rechnen. Aber als ich dich so leblos daliegen gesehen habe, in meinen Armen konnte ich nicht anders Handeln. Was hättest du da getan?
Und der Kuss, du warst zögerlich, du hattest darüber nachgedacht! Ich habe es gespürt …“
Jetzt sah er wütend aus.
„Nein! So darf es nicht sein!“
Ich runzelte die Stirn. „Wie bitte?“
Eine längere Stille folgte. „Ich komme schon wieder nicht mit“, gab ich zu.
Er seufzte. „So ist es auch besser. Manchmal muss man es nicht wissen, um zu verstehen…“
Seine Augen blitzten in der Dunkelheit auf, seine Haltung entspannte sich, als hätte er sich wieder an etwas erinnert.
Dann schluckte er laut und sprach weiter:„ Es tut mir leid, Melanie. Habe ich dir Hoffnungen gemacht? Oder dich sogar verletzt?“ Er stieß sich von der Wand ab und kam näher zu mir. Seine geschmeidigen Schritte verschmolzen mit dem Schatten.
Er sprach leiser, je näher er mir kam.

„Hast du jetzt Angst vor mir?“ Er blieb ein paar Zentimeter vor mir stehen. Ich schüttelte den Kopf.
Jetzt schnaubte er. „Ich sehe deine Angst, ich kann sie bis zu mir spüren. Sag mir was du denkst.“
Seine Augenbrauen zogen sich wütend zusammen.
Das hier war nicht der sonst so entspannte und lockere Marco den ich kannte. Er sah jetzt viel verletzlicher, wütender und vielleicht sogar ein bisschen schüchterner aus.
Als ich nichts sagte, nahm Marco seine Hand und strich sie über meine Wange.
Wann hatte unser Gespräch so eine Wendung genommen?
Er schaute mich Erwartungsvoll mit seinen undurchdringlichen Augen an.
Auf was für eine Antwort hoffte er?
Ich schluckte lautstark meinen Kloß im Hals hinunter, damit ich sprechen konnte. Vergebens. Ich krächzte die Wörter nur so heraus, es hörte sich scheußlich an.
„Warum du gelogen hast. Denkst du ehrlich ich bekomme das nicht mit, was du hier abziehst? Wie du dich gegenüber von mir verhältst?“
Es sollte selbstsicher klingen, doch es hatte eher etwas von einem Klagelied.
„Glaubst du wirklich, ich könnte dir jetzt noch ver-“
Da unterbrach er mich, bevor ich das Dümmste was ich je gesagt hätte, ausgesprochen konnte.
Melanie“, sagte er sanft, „ich weiß es war unüberlegt von mir. Doch… bitte

,ich wünschte so sehr du könntest mir Glauben schenken. Ich werde mir dein Vertrauen zurück verdienen.“
Den letzten Satz sprach er voller Stärke aus, er meinte es echt ernst.
Ich spürte es und das machte mir Angst auf eine unerklärliche Art und Weise.
Ich fürchtete mich nicht vor ihm, sondern eher vor mir selbst. Würde er mich noch mal küssen oder auf eine schöne Weise mein Herz berühren, könnte ich mich nicht mehr stoppen. Davor hatte ich am meisten Angst.
Sein Atem ging stoßweise und passte sich meinem an.
Er wartete darauf, dass ich etwas sagte. Jedoch schloss ich behutsam meine Augen. Das einzige das ich fühlte, war meine Verletzbarkeit.
Ich glaubte seine Hand an meiner Wange zu spüren, ich wusste nicht ob er sie mir schon wieder entzogen hatte. Ich wollte nicht meine Augen öffnen um nachzuschauen.
„Melanie, du bist müde. Ruh dich aus. Morgen ist schließlich dein erster Schultag!“
Meiner? Ich schlug die Augen auf.
„Du meinst doch wohl unseren.“
Mit beiden Augenbrauen hochgezogen musterte ich ihn in der Dunkelheit.

War das Gespräch wirklich schon so weit, Scherze zu machen?
Oder eher, sich Scherze zu erlauben

?
Er lachte über mein verwirrtes Gesicht. Er lachte tatsächlich.
„Na komm, ich bring dich ins Bett.“
Ich hustete.
„Ne-e-ein! Das kann ich allein.“
Darüber musste er grinsen.
„Wie du meinst, schlaf noch ein bisschen der Tag ist noch jung.“ Er lachte in sich hinein und ich wusste nicht was er damit meinte.
Mit einem Schulterzucken ging er in sein Zimmer und ließ mich alleine.


Schnell wischte ich meine Tränen weg.
Am besten denke ich nicht mehr daran

, zischte ich in Gedanken. Schnell verschwand ich ebenfalls in meinem Zimmer und ließ mich ins Bett sinken.
Tatsächlich ließ sich der Gedanke schnell abwimmeln. Der Neuanfang rückte immer näher, war fast greifbar.
Am späten Nachmittag war Marco nicht mehr aufzufinden. Hatte er was anderes vorgehabt?
Ich dachte nicht mehr länger darüber nach, versuchte meine Gedanken anders zu leiten.
Und ich schaffte es, mit viel Hausarbeit und Fernsehen. Der Tag ging so schnell vorbei, wie er angefangen hatte.
Schmerzhaft schluckte ich, als es draußen dunkler wurde.
Morgen war es soweit.
Der erste Tag, mein … unser Neuanfang.


Als er in sein Zimmer verschwand, um Melanie alleine zu lassen, breitete sich in ihm die Angst aus. Ihn so schwach zu machen, dass konnte nur Melanie.
Seufzend sackte er an der Zimmertür zusammen.
Hätte er noch ein Herz gehabt, wäre es bestimmt aus seinem Brustkorb geflogen.
Aber er hatte kein Herz mehr.
Was hatte er sich nur dabei gedacht? Sie hatte Recht behalten, er wollte sie!
„Nein!“ Er schlug heftig mit seiner geballten Faust auf den Holzfußboden.
Der Boden gab unter seiner gewaltigen Kraft nach und hinterließ verbogenes Holz.
Er achtete da nicht drauf.
„So darf es nicht sein…“ Er zog seine Augenbrauen stark zusammen.
Oder doch? Konnte er noch länger verleugnen, was er fühlte? Könnte er es zulassen, dass sie älter wurde mit jedem Tag? Dass sie jemand anderen abbekam als ihn? Würde er es aushalten

?
Er war selbstsüchtig, doch ließ ihn das völlig kalt. „Ich kämpfe für dich…“, säuselte er leise in die Dunkelheit. Er erhob sich schnell und sprang leichtfüßig auf seine starken Beine. Er musste etwas tun. Sein Hunger hinderte ihn leicht daran, Melanie aufzusuchen und in ihr Zimmer zu gehen. Er konnte ihr so was niemals antun. Und somit machte er sich auf zu seinem Vater. Dort würde er alles erfahren, was er brauchte.
Für Melanie, für seiner selbst Willen.



Kapitel 5, Neue Wege




Nun gut, ich könnte entweder entsetzt aufschreien, lauthals los lachen oder in mich zusammensacken und los weinen.
Doch nichts davon geschah, es ergab keinen Sinn.
Ich wollte nicht aufgeben, so kurz vor meinem neuen Ziel.
Marco sah mich Erwartungsvoll an. Als wir das erste Mal das neue Schulgelände betraten, dachte ich in ein Paradies gelandet zu sein.
Hohe, schnörklige Ranken zogen sich an die Stahlzäune. Weiße Rosen zierten sie.
Graue und weiße Backsteine umringten das ganze Schulgebäude, sie sahen noch ziemlich neu aus.
Die Schule war um einiges größer, als meine letzte. Es unterschied sich viel von meiner Alten. Zum Beispiel war die Turnhalle nicht direkt an die Schule dran gebaut worden, sondern weiter hinten. Ein kleiner, backsteiniger Weg führte zu ihr. Viele Blumen umringten ihn. Ich hörte sogar einen kleinen See in der Nähe plätschern.
Die Bäume umringten das ganze Grundstück. Alles war sehr abgeschieden.
Langsam entzog ich den Blick der Schule und wendete mich zu Marco. Er hatte sein typisches triumphierendes Lächeln aufgesetzt.
Er wirkte so entspannt und selbstsicher. Ich könnte so was nie.
„Bereit?“, fragte er mich grinsend.
Ich schüttelte den Kopf. Niemals.
„Lass uns gehen.“ Seufzend ergab ich mich. Als wir zusammen durch das Tor gingen, bemerkte ich im Rücken ungewollte Blicke. Sie verursachten in mir die Angst, die ich durchaus verdrängen wollte.
Ich ließ meine braunen, langen Haare nach vorne fallen. Langsam und geduldig, zumindest tat ich so, ließ ich meine Blicke diesmal auf die anderen Schüler schweifen.
Meine Augen weiteten sich. Merkwürdig angezogene Schüler gingen im Plauderton an uns vorbei. Sie trugen alle auffälligen Schmuck und ziemlich teure Markenklamotten.
Kopfschüttelnd schaute ich nach vorne.
Mein Blick begegnete sich mit einem der Gruppe. Er hatte sich zu uns umgedreht.
Enttäuscht und verletzlich schaute er mich an, dann zu Marco und wieder zurück.
Er ließ den Kopf hängen und schloss sich wieder der Gruppe an. Was war das gerade?
Dann sah ich eine weitere Gruppe die uns überholte. Sie gingen alle ziemlich schnell, manche Bewegungen verschwommen vor meinem Auge.
Ich musste blinzeln. Sie sahen Marco ziemlich ähnlich. Schwarze Haare, bleiche Haut, auf unerklärliche Weise Schön.
Aber nicht alle hatten eine solch dunkle Haarfarbe. Am Rande sah ich drei Mädchen die sich aufgeregt unterhielten. Sie hatten alle, blonde, fließend lockige Haare. Als eine von ihnen lachte, klang es wie ein Glockenspiel, so wunderschön.
Schnell wandte ich meinen Blick ab und konzentrierte mich auf die Schule. Konnte Marco meine Anspannung spüren?
Ihn schien das jedenfalls nichts auszumachen. Er lächelte immer noch auf mich herab. Sein Gesicht zeichnete nichts mehr als bloße Freude.
Die Nervosität überstieg meine Grenzen des Vernünftigseins. Marco hatte mir seine Hand beschützend auf meine Schulter gelegt.
Mit ihm fühlte ich mich wenigstens etwas besser.
Gemeinsam betraten wir das Schulinnere. Was mich nicht weiter überraschte, war auch hier alles modern eingerichtet.


Ich sah am Ende des Gangs sogar ein Schild, auf dem “Café“ geschrieben stand.
Ich achtete nicht weiter darauf. Die Schule war schon ziemlich überfüllt mit Schülern. Alle waren sie in Gruppen aufgeteilt. In diesen Gruppen sahen sich alle ungeheuer ähnlich. Aber wenn man alle Gruppen betrachtete, ähnelten sie sich kein bisschen.
Kopfschüttelnd ging ich weiter.
Marco wirkte so selbstsicher in seiner Rolle, dass es mich nicht überraschen würde, wenn er anfinge zu pfeifen.
Insgeheim freute ich mich auch und seine fröhliche Aura war einfach ansteckend.
Es half immerhin die Nervosität zu überspielen.

Wir bogen gerade um die Ecke des Gangs, als uns eine weitere Gruppe Schüler entgegen kam. Sie lachten, schienen sehr fröhlich zu sein. Als sie Marco bemerkten, liefen sie gleich zu ihm hin.
„Marco, alter Junge! Mensch, lange nicht gesehen!“, brüllte einer der Jungs. Er war der Größte. Viele Muskeln zierten seinen starken Körper. Seine brauen Haare waren kurz geschnitten.
Insgesamt waren sie zu fünft, zwei Mädchen, drei Jungs.
Die beiden Mädchen sahen mich merkwürdig an, musterten mich schon fast. Die Jungs klatschten alle in Marcos Hand ein.
Zweifelnd sah ich ihnen dabei zu. Schnell räusperte ich mich.
„Ich gehe dann schon mal voraus. Bis später dann, Marco…“
Schnellstens nahm ich Reißaus ohne nochmals in deren Gesichter zu schauen. Unbehaglich fühlen gehörte nicht zu den Sachen, die mir lieb waren.
Zufrieden stellte ich fest, dass keiner mir nachgelaufen war.
Aber was mich am meisten störte war, dass sie Marco gekannt hatten. War er ein früherer Freund von ihnen gewesen? Ging Marco schon mal hier auf diese Schule? Sie gingen alle so vertraut mit einander um…
Verzweifelt suchte ich nach Antworten, die ich Wohl oder Übel erst später bekam.
Wenn überhaupt.
Seufzend suchte ich den Weg zum Sekretariat und schließlich fand ich es auch.
In ihm saß eine kleine Frau hinter einem großen, schwarzen, modernen Schreibtisch. Sie knabberte gerade nachdenklich an einem ihrer silbernen Kugelschreiber. Auch andere waren hier. Lehrer? Und eine Handvoll Schüler. Ich bahnte mir den Weg zu der Sekretärin durch und wartete schließlich darauf, dass sie mich bemerkte.
Endlich, sie schaute auf und …
Sah ziemlich erstaunt aus.
Ich musste einmal blinzeln. Ihre Augen waren Karamellfarben, wenn nicht, sogar golden.
Gab es so eine Augenfarbe überhaupt?
Sie räusperte sich.
„Sind sie die neue Schülerin? Marco Stevens hat sie hier eingeschrieben.“
Sie suchte Unterlagen heraus ohne auf meine Antwort zu achten.
„Ja, dass bin ich wohl...“, flüsterte ich.
Schließlich fand sie die gesuchten Papiere und schob sie in meine Richtung.
Anerkennend nickte sie.
„So, dass hier is Ihr Stundenplan.“ Sie hielt einen bunten Zettel hoch.
„“Sie sind in der... warten Sie kurz, lassen sie mich nachsehen“, sie tippte auf dem Laptop und fand schließlich, was sie suchte, „Ah hier. Melanie Anthony?“ Ich nickte.
„Also nach meiner Liste hat Mr. Stevens Sie in seine Klasse zugeteilt, dass wäre dann die 11 D.“
Sie redete ununterbrochen weiter auf mich ein. Marco wollte mich in seiner Klasse? Wie lieb von ihm. Ich wurde merklich rot im Gesicht.

Die Sekretärin schaute auf und deutete mein Erröten falsch.
„Machen Sie sich keine Sorgen. Alles ist zwar noch neu für Sie, aber Sie werden sich sehr schnell eingewöhnen. Es wird alles sehr geschützt.“
Geschützt? Was sollte das jetzt wieder bedeuten?
Sie nickte und wippte in ihrem schwarzen Drehstuhl, dabei erklärte sie immer weiter.
„Wie Sie wohl schon gesehen haben, ist unsere Schule sehr gesichert und ein hoher Zaun umschließt das ganze Grundstück. Bevor ich es vergesse – falls Sie beschwerden, Probleme oder sonstige Anliegen haben – können Sie sich immer an mich wenden, ich stehe dafür zur Verfügung.“
Benommen nickte ich, verstaute die Papiere in meiner Hängetasche und nickte zu der Sekretärin.
„Danke“, nuschelte ich leise. Sie grinste mich an und ich verließ schnell das stickige Sekretariat. Leicht benommen schoss ich aus dem Raum.
Meine innere Stimme meldete sich unter meiner Verzweiflung zu Wort.
Vielleicht, aber nur vielleicht wird es dir ja hier besser gehen? Warum versuchst du nicht endlich mal glücklich zu sein?


Es stimmte. Die Tode, die Abschiede die ich immer machen musste, hatte ich nicht vergessen. Sie verfolgten mich, wie mein Schatten.
Innerlich kämpfte ich immer noch mit meinen Gefühlen. Es wollte einfach kein Ende finden.
Als ich um die Ecke ging, bemerkte ich wieder den Jungen, der mich zuvor so enttäuscht angesehen hatte.
Diesmal schaute er fröhlich zu mir herüber, als hätte er auf mich gewartet.


Langsam kam er mir entgegen, mit einem grinsen im Gesicht.
Verdammt.
Ich biss hart auf meine Lippe herum. Seitdem ich auf dieser Schule bin, fühlte ich mich unbehaglicher als je sonst in meinen Leben. Warum nur?
„Hallo“, sagte er freundlich. „Du musst Melanie Anthony sein. Ich bin Nico Sontal, freut mich dich endlich kennen zu lernen.“
Verdattert starrte ich ihn an, brachte kein einziges Wort heraus.
Wie wohl mein Gesicht aussah? – jedenfalls lachte er darüber. Ein wunderschönes, kindliches Lachen.
„Du brauchst nicht so komisch zu schauen. Jeder weiß hier deinen Namen. Die mysteriöse Unbekannte. Ich muss sagen – das hat einen gewissen Reiz.“ Er grinste mich frech an.
„Ähm… ich f-freue mich auch.“
Mehr bekam ich nicht auf die Reihe.

Innerlich kochte ich vor Wut. Wieso war ich immer nur so ein Waschlappen?
Ich riss mich zusammen.
„In welche Klasse gehst du?“, fragte ich ihn, um abzulenken.
Er sprang sofort darauf ein. Innerlich begann ich aufzutauen, wenn auch langsam.
„11A“, sagte er voller Stolz. „Du?“
„Ich? Eh – 11D, wenn ich mich nicht Irre.“
Jetzt sah er betrübt aus. Dann seufzte er.
„War ja klar, dass er dich in seine Klasse steckt.“ Er rieb sich mit einer Hand die Stirn. „Er hat hier viel Einfluss weißt du?“, sagte er nachdenklich.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich den hochgewachsenen Nico an. Dabei hatte ich noch nicht wirklich auf sein Aussehen geachtet. Blondes, wirres, gestyltes Haar umrahmte sein Gesicht, ging ihm fast bis zum Kinn. Aber es hing nicht so fade im Gesicht herunter.
Dann sah ich wieder in seine Augen. Ein wunderschönes silbrig, blau hieß mich freundlich Willkommen. Ich schmolz etwas dahin, hinderte mich aber krampfhaft daran, hier vor allen umzukippen.
Ich schaute weiter in sein Gesicht. Seine Nase war etwas klein, dennoch passte sie perfekt hinein. In sein schmales, freundliches Gesicht.
Aber schnell holte mich die Wirklichkeit wieder ein und ich hatte nicht vergessen was er gesagt hatte.
„Wer ist ‚er

’?“, fragte ich überrascht.
Jetzt sah er mich nachdenklich an. Überlegte er etwa, ob er es mir sagen durfte? Das war doch lächerlich.
„Na, Marco natürlich – wer sonst?“ Es sollte wohl unbeteiligt klingen, aber seine Stimme war etwas zu

rau.
„Marco?“
Er nickte.
Ich schüttelte den Kopf. „Ist ja auch egal … denke ich.“ Nico zog eine Augenbraue hoch und musterte mich.
„Na gut“, sagte er schließlich, „der Unterricht beginnt bald und – wie es der Zufall so will – liegt mein Klassenraum genau neben gegenüber von deinem. Also was sagst du, wollen wir zusammen gehen?“
Unwiderstehlich sah er mich dabei an. Konnte man so ein verlockendes Angebot überhaupt abschlagen?
„Klar“, sagte ich, versuchte es aber nicht ganz so nervös klingen zu lassen, wie ich mich fühlte.
Aber er durchschaute mich.
„Ich finde es schön, dass du mit mir mitkommst.“ Einladend sah er mich an.
Langsam nickte ich und wir gingen zusammen los.
Schweigend gingen wir nebeneinander her, durch die großen, überfüllten Gänge, bis zum zweiten Stockwerk.
Später fragte er mich über mein altes Leben aus, auf welche Schule ich gegangen war. Dabei zuckte ich kaum merklich zusammen.
Aber Nico bemerkte es, merkwürdigerweise.
„Möchtest du es mir nicht sagen?“
„Tut mir leid Nico, aber ich schätze, dass ich einfach noch nicht soweit bin. Ich hoffe du verstehst das.“
Nico wirkte neben mir etwas mitgenommen, nickte aber nach einer Weile.
Als wir endlich oben ankamen, bemerkte ich wie langsam wir doch gegangen waren.
Marco lehnte sich lässig an die Wand und wartete. Erstaunt über diese Tatsache blieb ich wie angewurzelt mitten auf dem Gang stehen.
Nico bemerkte die veränderte Situation sofort und blieb ebenfalls stehen. Dann schaute er genau zu Marco herüber und ich bemerkte, wie er sich neben mir anspannte. Seine Mimik veränderte sich von nervös zu grimmig.
Marco hatte uns noch nicht entdeckt, er sprach gerade mit zwei Mädchen, die wohl in Nicos Klasse gingen. War er deswegen so sauer?
Überrascht schaute ich zu Nico auf. Jetzt sah er nicht nur grimmig aus, er war ganz außer sich vor Wut. War er vielleicht in eins der Mädchen verliebt?
Die beiden Mädchen erkannte ich sofort wieder. Ich hatte sie vorher an der Mauer gesehen, jedoch war das dritte Mädchen nicht dabei, das wohl schönste von den dreien.
Aber was mich mehr beschäftigte war, dass sich Marco angestrengt und überaus glücklich mit den beiden Mädchen unterhielt. Mädchen , die viel schöner, klüger und bedeutsamer waren als ich. Warum machte mich das so ärgerlich?
Seufzend ging ich an ihnen vorbei und schaute Marco nicht einmal mehr an.


Glücklicherweise erwies sich der Lehrer als zuvorkommend, ich musste mich nicht vor der gesamten Klasse vorstellen. Er verfrachtete mich in die letzte Reihe, neben einem ungewöhnlich, aussehenden Jungen.
Er schaute mich mit einer so überaus beeindruckenden Wut an, ich dachte schon an Selbstverteidigung.
Schnell wandte ich den Blick von ihm ab und schaute durch die Klasse. Marco saß direkt zwei Reihen vor mir. Zum Glück nicht annähernd in meiner Nähe. Ich war immer noch ziemlich verärgert, auch wenn es mir selber völlig albern vorkam.
Kopfschüttelnd versuchte ich dem Unterricht zu folgen – vergebens. Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich zu Marco herüber schielte.
Seufzend gab ich für Heute auf. Möge der Vormittag schnell an mir vorbeiziehen, bat ich inständig.
Nach ein paar Minuten kritzelte ich Skizzen auf meinen Ringblock und versuchte selber daraus schlau zu werden.
Ich malte zwei schwarze Flügel, ein Rosen überwuchertes Kreuz mit dunklen Schattierungen.
Es erinnerte mich Schmerzhaft an meine Vergangenheit. Plötzlich schossen die alten, längst verdrängten Bilder von meiner Mutter, mir wieder in den Kopf.
Ihr lächeln, als sie ihre letzten Worte zu mir sprach. Sie würde endlich wieder meinen Bruder wieder sehen. Verzweifelt versuchte ich sie schnell wieder loszuwerden und radierte das wunderschöne Bild vor meinen Augen komplett aus.
Neben mir bewegte sich mein Sitznachbar heftig. Was war nur los mit dem? Leicht sah ich nach rechts …
und bereute es sofort.
Er sah mich hasserfüllt an. Mein Atem ging schneller und ich hoffte, dass die verdammte Stunde endlich endete.
Meine Bitte wurde erfüllt, schon nach wenigen Sekunden klingelte die schrille Glocke der Schule, die das Ende der Stunde verkündete. Ich versuchte schnell meine Sachen einzupacken um möglichst weit weg von ihm zu sein. Langsam stand ich leicht benommen auf, musste mich sogar an der Kante des Tisches abstützen. Dabei ertappte ich mich, wie ich ihn wieder ansehen musste. Es war wie ein Drang.
Zwei schwarze Augen sahen mir direkt in die Seele, so kam es mir vor.
Mein Körper verkrampfte sich und erschauderte. Mein Fluchtinstinkt machte sich in mir breit.
Ich verzog das Gesicht. Wir beiden waren die letzten im Klassenzimmer. Wie lange haben wir uns schon in die Augen geschaut? Ich wusste es nicht.
Er saß immer noch völlig reglos und angespannt auf seinem Platz.


Seine schwarzen Haare fielen ihm über die Augen. Er sah so was von zum Anbeißen aus. Regungslos stand ich vor ihm, immer noch in derselben Bewegung verharrt.
Würde das nie ein Ende nehmen?
Er nahm mich mit seinen Augen gefangen. Seinen wunderschönen, schwarzen Augen. Sie ließen mich nicht los.
Dann endlich bewegte er sich, stand von seinem Platz auf. Er war ziemlich groß, größer als Nico. Mein Nachbar kam um den Tisch herum, genau zu mir.
Aus ihm heraus strahlte seine ganze Persönlichkeit, eine unbeschreibliche Anziehungskraft, die mich einfach nicht gehen ließ.


Kapitel 6, Schicksalhafte Begegnung




Bewegungsunfähig blieb ich wie angewurzelt stehen. Er schaute mir weiterhin in meine Panik ergriffenen Augen.
Plötzlich war mir der nächste Unterricht vollkommen Egal.
Ihm schien es eben so zu ergehen. Ein liebevolles Lächeln breitete sich auf seinen harten Gesichtszügen auf.
„Hallo“, hauchte er mit einer tiefen, männlichen Stimme.
Sie passte perfekt zu seinem Aussehen. Er hatte überaus ausgeprägte Muskeln, die man sogar durch sein graues T-Shirt hindurch sah. Es schmeichelte ihm nur noch mehr.


Er trug eine schwarze Jeans, passend zu seinen wirr gestylten Haaren, die ihm übers Gesicht fielen.
Wenn er Atmete konnte man sogar leicht seine Bauchmuskeln sehen.
Welche Frau, schmelzt bei so einem Anblick nicht sofort dahin?
Ich fühlte mich wie Wasser.
„Hi“; brachte ich mühevoll heraus.
Er grinste frech.
„Wie heißt du?“, fragte er mich unwiderstehlich.
Ich wusste nicht wieso, aber er sprach mit einer solchen Neugierde, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
„M-Melanie.“; brachte ich stotternd hervor.
Innerlich beschimpfte ich mich selber.
Waschlappen! Waschlappen! Waschlappen!


Verärgert über mich selber, senkte ich meinen Blick.
„Und du?“ Ich hoffe inständig, dass er nicht meine Panik bemerkte.
„Ich heiße Sascha“, antwortete er zügig, beinahe zu schnell.
Verwundert sah ich ihn an.
„Ich mag meinen Namen nicht besonders, musst du wissen.“ Er verzog sein Gesicht zu einem Schmunzeln.
„Warum das denn?“ Ich wollte unbedingt mehr erfahren.
Aber er schüttelte den Kopf. „Ein andern Mal.“
Er zog einer seiner perfekten Augenbrauen hoch und musterte mich. Ich sah für ihn bestimmt wie ein Vollidiot aus.
Mein Outfit – wenn man es denn so nennen durfte – bestand aus einer Jeans und Top Kombination, mit schwarzen Chucks.Dann Begriff ich, warum er mich so musterte.
„Wir beide passen echt gut zusammen“; sagte ich kichernd. „Ich mag schwarz.“
Er lächelte.Die Schlechte Stimmung war komplett verschwunden. Ausradiert, wie das Bild das ich nicht aus meinem Kopf bekam.
„Was hast du als nächstes?“, fragte er mich spontan und schaute auf seine schwarze Armbanduhr.
„Hmmm.“ Ungeduldig tappte ich mit meinem Fuß auf den Boden. Angestrengt dachte ich nach. „Ich glaube Biologie.“
Er lächelte zart, nahm seine Hand und strich sie über mein Gesicht.
Ich erschrak. Hatte ich echt gehofft, er würde genauso kalt sein wie Marco? Seine haut, sie war so unendlich weich und warm. Sie sah genauso aus wie Marcos bleiche, harte Struktur.
Doch das täuschte. Hatte ich mir da was eingebildet?
Er lachte herzhaft über mein Gesicht.
Ich verzog mein Gesicht noch mehr, schlug seine Hand weg und verschränkte meine Arme vor meiner Brust.
„Ich Geschichte“, sagte er immer noch lachend.
„Na ja, wir sehen uns dann nachher. Du willst bestimmt nicht zu spät kommen. Die Pause ist gleich vorüber.“
Nachdenklich schaute er schon wieder auf seine Uhr. Wollte er verzögern?
Dann schaute er mich wieder an, es blitzte Erkenntnis in seinen Augen auf.
Ich blinzelte und bevor ich irgendetwas dagegen mache konnte, küsste er mich auf die Wange, schnappte sich in Höchstgeschwindigkeit seinen Rucksack und verschwand.
Voller Schreck und Panik krallte ich mich am Tisch fest.
Ich senkte den Kopf, hielt mir eine Hand an die Stirn. Ich wusste nicht, wie lange ich so da stand, doch die Schulglocke verkündete das Ende der Pause.
Schnell musste ich mich wieder zusammenreißen. Mit zusammengebissenen Zähnen verließ ich nun auch endlich das Klassenzimmer.
„Melanie, beruhig dich…“, befahl ich mir selber, in der Hoffnung es würde klappen.
Langsam tappte ich in Richtung Biologieraum.
Zu meinem Entsetzten musste ich wieder ganz nach unten, das hieß Treppen runter steigen.
Im Erdgeschoss angekommen, sprintete ich schnell in Richtung E18.
Durch den Plan, den die Sekretärin mir gegeben hatte, fand ich es auf Anhieb. Ohne wäre ich ganz schön aufgeschmissen gewesen.
Zum Glück erreichte ich den Raum, bevor der Lehrer hineinkam.
Er begrüßte mich freundlich und stellte sich als Mr. Johnson vor. Komisch, er kam mir nicht älter als dreiundzwanzig vor.
Stirnrunzelnd setzte ich mich auf den letzten freien Platz neben Nico.
Er war über die Maßen erfreut darüber.
Marco entdeckte ich nirgends. Ich würde ihn später noch zur Rede stellen müssen.
Die Stunde spielte ich wie alle, nur so herunter.
Ich kapierte nicht ein Wort, was der Lehrer uns sagte. Ich hatte keinen nerv mehr darauf und konzentrierte mich auf das Gespräch mit Marco.
Was sollte ich bloß sagen? Wie sollte ich Anfangen?
Auch Nico schien sich nicht für den Unterricht zu begeistern und sah mich ununterbrochen an.
Frech grinste er.
„Was ist?“, flüsterte ich leise.
Er schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich finde dich nur, auf eine unerklärliche Weise, wunderschön.“ Er zog seine Augenbrauen hoch.
„Bekomm das nicht in den falschen Hals, ich meine es aufrichtig.“ Wieder grinste er.
Ich tat es mit einem nicken ab. Es wurde immer Schlimmer.
Wieder dachte ich an Sascha. Er war so… ich konnte es nicht mit Worten beschreiben. So was wie himmlisch, war noch untertrieben.
Als ich dann endlich auch die Biologiestunden hinter mich gebracht hatte, begleitete mich Nico mit nach draußen.
„Hey Nico, hast du mal eben Zeit?“
„Klar doch.“ Er war sofort Feuer und Flamme.
Er ließ seine Augen strahlen.
„Komm“, ich deutete auf die freien Tische auf dem Hof der Schule, „wir können uns dahinten hinsetzten.“
Er nickte eifrig und wir gingen zusammen zu den Tischen.
Schnell setzte er sich gegenüber von mir und schaute in mein Gesicht.
„Ich möchte direkt zur Sache kommen.“ Ich schluckte laut. Keiner war hier außer uns.
„Natürlich“, sagte Nico, voller Neugierde.
Mein Blick wurde ernster.
„Also es geht um heute Morgen.“
Sein Atem stockte kurz, ließ sich aber nichts weiter anmerken. „Was soll damit sein?“
Ich verschränkte meine Hände, auf dem Tisch, miteinander und schaute auf sie.
„Du hattest so wütend ausgesehen. Was war denn los? Das beschäftigt mich schon die ganze Zeit.“
Nico lachte hart. Erschrocken schaute ich zu ihm auf. „Was ist?“
„Du interpretierst manchmal einfach zu sehr da hinein. Ich habe mich nur ein bisschen darüber aufgeregt, dass er dich alleine gelassen hat. Du kennst dich eben noch nicht so gut aus und er wusste das. Na, er ist doch so was wie dein ’Begleiter’, oder irre ich mich da?“
Ich zog meine Augenbrauen zusammen.
„Keiner ist hier für mich verantwortlich.“
„Hmmm. Irgendwie ist er es doch. Immerhin ist es dein erster Tag.“
Meiner?
„Du kennst Marco schon länger?“, fragte ich ihn und versuchte dabei nicht aufgeregt zu klingen.
Er nickte. „Klar, er geht hier schon länger auf diese Schule.“
Ich musste erstmal blinzeln „Wie bitte? Seit wann?“
Erschrocken schaute er mich an, als ob er zu viel verraten hätte.
Schließlich wandte er den Blick ab und schaute ins Leere. „Na ja, schon seit drei Jahren, wenn ich mich nicht Irre. Er ist der Sohn des ’Direktors’, sozusagen.“
Ich erstarrte.
Alles Lügen. Warum tut er mir so was an? Was will er damit erreichen?!
Aufgebracht schnaubte ich.
Nico schaute zu mir. „Warum fragst du?“
Ich platzte mit der Wahrheit hinaus und bereute sie nicht. Ich war zu wütend.
„Weil er mir nie etwas erzählt hat. Er hat mich belogen, über fast alles.“
Wütend biss ich auf meine Lippe, ballte meine Hände zu Fäusten und schrie genervt auf.
„Man!“
Nico stand auf und kam zu mir, legte einen Arm um meine Schulter und versuchte mich zu beruhigen.
„Beruhig dich, Melli. Er hatte bestimmt seine Gründe.“
Erschrocken sah ich ihn an.
„Du wusstest es?“
Langsam nickte er. Schnell setzte er sich neben mich und hielt meine Hände fest.
Dabei erklärte er mit wackliger Stimme:„ Es ist nicht so, wie du denkst.“ Er legte eine Pause ein, suchte er nach Worten? Ich wusste es nicht.
„Er muss dir noch einiges erklären und du musst dafür erst bereit sein. Solang du es nicht bist, wird er immer so weiter machen. Es ist besser so.“
Grinsend tätschelte er meine Hand.
Ich verstand rein gar nichts.
„Denk darüber nicht so viel nach, kleine Melli. Er wird es dir schon noch sagen. Hab Geduld.“ Damit ließ er das Thema fallen.

Den Rest des Schultages verbrachte ich mit meinen eigenen Gedanken. Anfangs hatte ich noch heimlich Ausschau nach Marco gehalten, doch er war nirgends aufzufinden.
Verzweifelt und mit meinen Gedanken alleine ging ich am Schultor vorbei.
Meine Verletzbarkeit war noch nie ausgeprägter gewesen. War es das Alles wert? Ich sollte warten? Auf was? Mein Ende? Hatte ich noch nicht genug gelitten?
Ein kleiner Hoffnungsschimmer war immerhin vorhanden. Ich hatte meinen ersten Schultag hinter mir gebracht.
Auf dem Weg, begegnete ich neugierige Blicke, die ich gekonnt ignorierte.
Sollen sie doch gucken, wenn sie Spaß dran hatten.
Plötzlich packte mich jemand an meine Schulter und zog mich leicht nach hinten.
Ich prellte leicht gegen einen harten Körper.
Erschrocken schaute ich nach hinten und sah Sascha.
Überrascht zog ich meine Augenbrauen hoch. Doch er grinste nur und drehe mich zu sich herum.
„Na, wie war dein erster Tag?“, fragte er mich Wissbegierig.
Ich schüttelte den Kopf. Schließlich fand ich die Worte die ich suchte.
„Er war sehr lang.“ Anlügen wollte ich ihn nicht, nicht direkt. Er musste ja nicht wissen, was in mir wirklich vorging.
„Verstehe.“ Er seufzte leicht. „Es ist schrecklich langweilig, findest du nicht auch?“, sagte er spöttisch.
Im Hintergrund nahm ich Gekicher wahr und auch andere neugierige Blicke.
Warum starrten alle immer nur so herüber, verdammt!
„Sag mal, mögen dich die anderen nicht?“, fragte ich ihn genervt.
Er zog eine Augenbraue hoch. „Wie?“
„Ich habe beobachtet, dass dich manche so komisch ansehen. Oder dir auch aus dem Weg gehen, so scheint es mir zumindest.“
Peinlich berührt schaute ich auf den Stein gepflasterten Boden.
„Gut beobachtet. Aber das liegt daran, dass ich sie eher meide. Ich bin eigentlich nicht der Typ für andere Bekanntschaften.“
Er nickte leicht und ließ das Thema fallen.
Ich wusste es steckte mehr dahinter, aber ich wollte nicht aufdringlich wirken und weiter nach fragen. Also verschob ich das Gespräch.
„Also gut“, sagte ich als die Stille die Oberhand gewann, „Wie sieht’s aus? Morgen um dieselbe Zeit?“
Er lachte. „Sehr gerne. Wir sehen uns Morgen.“
Auch wie letztes Mal, hauchte er mir einen kurzen, leichten Kuss auf die Wange. Sascha kicherte leise als ich errötete.
Schnell verschwand er in Richtung Parkplatz und ich machte mich auch auf, um den Bus nicht zu verpassen.
Wenn Marco nicht zu hause ist, kann er was erleben, zischte ich in Gedanken.
In Gedanken fluchend stapfte ich zur Bushaltestelle.


Kapitel 7, Vertrauen




Am Abend kehrte endlich Marco zurück.
Wäre ich nicht so sauer auf ihn gewesen, hätte ich mich wirklich darauf gefreut.
Ich ließ ihm fairer Weise, obwohl er das gar nicht verdient hatte, ein bisschen Zeit sich zu sammeln.
Jeder der gerade erst nach Hause kam, wollte nicht gleich überrumpelt werden.
Keiner wusste das besser als ich.
Ungefähr eine halbe Stunde später, hielt ich es nicht mehr länger aus und marschierte fuchsteufelswild ins Wohnzimmer.
Marco saß ganz gemütlich auf einen der Hocker, die in der Küche standen.
Sein Arm ruhte an seinem Kopf, er hielt ihn fest. Schlief er schon?
Aber als ich näher kam, sah ich, dass er sich wieder Sandwichs reinstopfte.
Hatte er nicht langsam genug davon?
Übertrieben laut räusperte ich mich, doch dass beeindruckte Marco nicht die Bohne.
Ohne auf seine Gefühle zu achten, wenn er denn welche besaß, wovon ich nicht gerade überzeugt war, schob ich seinen Teller beiseite und setzte mich neben ihm.
Sein Gesicht verzog sich sehr langsam. Dann seufzte er.
„Was soll das werden, wenn es fertig ist?“, fragte er mich bissig.
Was war denn mit dem los?
Sollte ich

nicht eher so sein? Grimmig schaute ich ihn an.
Das stachelte mich nur umso mehr an.
„Ich würde sagen du hast es absolut verdient“, sagte ich unsanft.
Das ließ ihn aufhorchen. „Wie bitte?“
Verdattert sah er mich an und zog einer seiner perfekten Augenbrauen hoch.
Ich schluckte kurz und antwortete mit starker Stimme:„ Du hast mich wieder angelogen, Mister.“
Das war hart.
Marco zuckte etwas zusammen. Bedeutend sah er mich an.
„Inwiefern?“, fragte er gelassen. Er stand auf, nahm seinen Teller und spülte ihn sorgfältig ab. Was sollte dieses Theater?
„Du sagtest, du wärst bisher noch nie auf dieser Schule gewesen, insgesamt hättest du diesen Ort eigentlich gar nicht kennen dürfen.“
Ich schüttelte heftig den Kopf. Erinnerungen kamen hoch.
„Aber nein, wieso auch nicht? Lügen wir einfach mal die beste Freundin an, macht ja nichts. Ich habe ja keine Gefühle.“
Enttäuscht und wütend schaute ich zur Seite.
Ich ließ meiner Wut freien lauf. Aber Marco ließ sich nichts anmerken.
Ohne mir eine Antwort zu geben, schmiss er sein Geschirrtuch über die Schulter und schruppte unnötiger Weise, den schon sauberen Teller, weiter.
Seufzend stellte ich mich neben ihn, legte meine zarte Hand auf seinen Starken Arm.
„Bitte“, flüsterte ich, als er aufgehört hatte, „Erzähl mir endlich die Wahrheit, erspar mir diese ganze Lügerei.“ Ich bat ihn inständig. Wir waren trotz Allem doch immer noch Freunde… oder?
Er drehte sich zu mir um und sah mir direkt in die Augen.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, stellte er den Teller weg und legte sein Geschirrtuch ab.
Die ganze zeit schaute er mir ununterbrochen an.
Dann schluckte er laut und begann wie ein Wasserfall an zu reden.
„Es stimmt. Ich habe dich tatsächlich angelogen und das bewusst. Ich war gar nicht weg in den zwei Jahren und auch nicht in der Zeit, als du im Krankenhaus lagst. Die ganze Zeit war ich hier gewesen. Mir war klar, dass“ – er strich schnell seine wirr gestylten Haare aus dem Gesicht- „du es irgendwann heraus finden würdest.“
Sein Blick glitt über mein schmerzverzerrtes Gesicht. Wartete er meine Reaktion ab?
Ich wusste nicht, was in meinem Gesicht geschrieben stand, aber er sah mich nur verzweifelt an.
„Du hast es also nicht getan, um mich von dir fernzuhalten?“
Marco fing schallend an zu lachen. Während er sprach, verwuschelte er meine Haare.
„Ach Melli, niemals deswegen. Ich tat es um dich in Sicherheit zu wiegen. Außerdem wollte ich, dass wir beide nicht in eine völlig neue Umgebung müssen. Außerdem ist es doch ganz nett hier, oder?“ Frech grinste er mich an, ich schlug seine Hand weg und versuchte meine Haare wieder zu ordnen.
Aber meine Augen verrieten mich, ich strahlte vor Freude.Er tat es nicht um mich auf Abstand zu halten.
„Ich habe schon ein paar kennengelernt… sie sind alle zu zuvorkommend und – fröhlich?“
Beantwortete ich seine Frage, die er nicht gestellt hatte, die er aber wissen wollte. Glaubte ich zumindest zu wissen.
Er seufzte leicht. „Du durchschaust mich aber auch immer wieder, ob das nicht mal zum Problem wird?“, sagte er leise zu sich selber und ich wusste nicht, ob ich es richtig verstanden hatte.
Schnell fügte er hinzu:„ Sie wollen nur, dass du besser einfindest. Genau wie ich:“
„Das mag ja sein, nur ich finde … es komisch. Ist ja auch egal.“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen. „Mir gefällt es hier ganz gut.“
Anerkennend nickte er. „So sollte es ja auch gedacht sein.“
Obwohl das Gespräch eigentlich damit beendet war, blieben wir genauso Regungslos in der Küche stehen. Marco nahm seine kühle Hand und legte sie auf meine Wange. Ich errötete, und hasste mich dafür. Der Hass auf mich selber war berechtig, ich durfte nicht so fühlen. Tat es aber trotzdem.
Er bemerkte es und zog sie sofort wieder zurück.
Leise versuchte ich einzuatmen, um mich zu beruhigen. Marco räumte das übrige Geschirr ab und fragte mich heiter. „Hast du keinen Hunger?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hab schon vorhin gegessen.“ Enttäuscht und überaus verzweifelt zog ich meine Augenbrauen zusammen.
Währenddessen ich versuchte, meine Selbstbeherrschung wieder zu finden, räumte Marco die ganze Zeit die Küche auf. Grinsend und – glücklich? – sah er mich manchmal aus seinen eisblauen Augen an.
Sie standen in so einem grotesken Kontrast mit seinen Haaren, dass es mich immer wieder verblüffte.


Als er fertig war und ich mich immer noch nicht bewegt hatte, seufzte er leicht.
„Dann gute Nacht, Melli. Schlaf schön.“
Ich nickte, reib mir die Stirn und machte auf den Absatz kehrt. Dabei flüsterte ich noch leise: „Ja, du auch.“
Darauf musste er lachen.
Hatte er das tatsächlich gehört? Oh man.


Seufzend marschierte ich in mein Zimmer und schmiss mich auf mein kleines Bett. Am liebsten wäre ich sofort eingeschlafen, aber das Bad reif schon schreiend nach mir.
Also sputete ich mich und kramte in meinem Kleiderschrank nach meinen Schlafklamotten.
Erleichtert fand ich sie, nach wilden kramen, und tappte leise ins Bad.
Aber bevor ich nur die Türklinke berühren konnte, hörte ich ein Duschgeräusch.
Schallend klopfte ich gegen die Tür. War ich so unaufmerksam gewesen? Wie schnell war der Kerl denn!


„Gleich!“, brüllte er zu mir.
Seufzend lehnte ich mich gegen die Tür. Würde er sich nicht beeilen, schlafe ich hier noch im Stehen ein. „Beeil dich“; flüstere ich, als langsam das Geräusch des prasselnden Wassers verklang. Müde fielen mir langsam die Augen zu, nach einigen Sekunden wurden sogar meine Knie weich.
Doch plötzlich wurde ruckartig die Tür aufgerissen. Ich fiel und knallte gegen einen harten, kalten Körper.
Erschrocken sah ich auf und begegnete Marcos Blick. Seine Hände umfassten meine Schultern, seine nassen, schwarzen Haare tröpfelten Wasser auf mein Top.
Der warme, fast schon heiße Dampf des Duschwassers wehte mir entgegen.
In meinen wildesten Träumen, hätte ich mir ihn

nie so vorgestellt,
so vollkommen.
Langsam drehte ich mich um, stieß seine Hände ab und trat einen Schritt zurück. Der Dampf benebelte meinen Verstand und ich war mir sicher, nicht nur der Dampf war es, der mich aus meinen Verstand lockte.
Ich schluckte schwer. Langsam ließ ich meinen Blick auf seinen muskulösen Körper schweifen. War ich vorher müde gewesen? Ich wusste es nicht mehr.
Er hatte nur eine lockere, graue Schlafhose angezogen. Sein Oberkörper war nackt und es tröpfelte immer noch das Wasser von seinen Haaren, auf seine nackte Brust. Er war der Gott auf Erden.
Ich schüttelte hastig den Kopf und wandte mich missmutig wieder seinem perfekten Gesicht zu. Seine Augen glühten.
„Wolltest du nicht ins Bad?“, fragte er mich verführerisch. Dabei stützte er seinen Arm am Rand der Tür ab und beugte sich langsam zu mir herunter.
Sein Gesicht war nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt, ich konnte sogar seinen unwiderstehlichen Duft riechen. Seine Wärme, die ich vorher noch nie wahrgenommen hatte, berauschte mich. Seine Nähe ließ mich erschaudern.
Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter.
Langsam nickte ich benommen, auf seine Frage. Die Sekunden verstrichen, sein Atem streifte mein Gesicht. Seine Augen glühten vor Verlangen, ich merkte sogar, dass sie sich veränderten. Spielten meine Gedanken mir einen Streich? Sie wurden dunkler.
Keuchend rang ich nach Luft. Heftig musste ich schlucken. Was tat er bloß mit mir?
Spielte er ein Spielchen mit mir? Ich konnte nicht mehr richtig denken.
„J-Ja!“, stammelte ich, es klang fast hysterisch.
Marco kicherte. Ich sah wie seine Bauchmuskeln sich langsam dabei bewegten…
Meine Haare wirbelten nach vorne. Ich spürte einen leichten Luftzug, der meine Haut abermals erschaudern ließ. Nun fühlte ich den Rand der Tür hinter mir. Marcos Hände umfassten mein Gesicht. Er grinste frech.
Glaubte er wirklich, er kam damit durch? Ich zwang mich dazu, mich selber wiederzufinden.
Schnell schüttelte ich seine Hände ab, doch er presste sich mit seinem ganzen Körper gegen mich. Piepsend holte ich Luft. Eins seiner Beine hatte er zwischen meine geklemmt.
Er vergrub sein Gesicht in mein Haar, lehnte es gegen meinen zarten Hals.
„Hmmm.“ Er holte keuchend Luft. „Du berauscht mich so, Melanie. Dein Duft, deine weiche Haut, du selber machst mich völlig verrückt.“ Leise schnurrend küsste er meinen Hals.
Er umfasste stark, ein bisschen besitz ergreifend, meine Hüften. Leise stöhnte er und ich bemerkte wie meine Haut abermals erschauderte, diesmal nicht vor Kälte oder Angst. Was tut er da?
Er lehnte sich weiter gegen mich, schaute auf und vor Schreck, piepste ich mit meiner Stimme eine ganze Oktave höher. Seine Augen hatten sich vollkommen verändert, in ihnen erkannte ich die Schwärze, die mich so fürchten ließ.
Er hielt meinem Blick stand, er ging sogar noch weiter an mein Gesicht heran, küsste meine kleine Nase und seufzte wohlig.
Reiß dich zusammen Melanie!!

, zischte ich in Gedanken. Ich durfte unsere feste Freundschaft doch nicht wegen so einem Moment zerstören lassen, oder? Nein! Er war mir zu wichtig.


Ich schluckte laut krallte meine Hände fest an den Rand der Tür und erstarrte. Verzweifelt holte ich das bisschen Mut heraus, was mir noch geblieben war und sprach überaus wütend.
„Warum sagst du mir nächstes Mal nicht einfach bescheid, dass du beabsichtigst ins Bad zu gehen, Mister?“
Er lachte ein kehliges Lachen. Dabei bebte sein Körper wieder gegen meinen.
„Warum sollte ich das tun?“ Frech grinste er mich an.
„N-Na Darum!“ Genervt seufzte ich auf, doch diese Bewegung hätte ich lieber lassen sollen.
Verflucht sei meine Unschuldigkeit!


Er hörte schlagartig auf zu lachen und stöhnte leise wieder. Er ließ den Kopf hängen und versuchte sich zusammenzureißen. Wieder ein Stöhnen, die Stille war unberechenbar!
Dann schaute er wieder Selbstbewusst und arrogant auf.
„Warum so zickig?“, seine Stimme war ziemlich rau.
Dabei glühten seine Augen noch immer. Wie machte er das nur?
„W-Weil du mir einfach bescheid geben sollst, okay?! Verdammt!“ Ich drückte meine Knie durch und stieß ihn mit meiner ganzen Kraft weg. Dabei taumelte er nicht mal, er trat nur einen Schritt zurück, als hätte er gar nichts gespürt.
„Damit wären uns beiden echt geholfen“, sagte er sarkastisch. Er wuschelte seine nassen Haare durch. Schnaufend ging ich an ihm vorbei und schlug heftig die Badezimmertür zu.
Verdammt soll er sein! Verdammt!! Das wird er noch bereuen!


Wütend stapfte ich im Badezimmer auf und ab.
Was dachte er sich nur? Hatte er spaß daran gefunden, mich verrückt zu machen? Und was sollte das mit dem Gefasel von:„Du berauscht mich, Melanie!“ Von wegen!


Ich zog fest meine Augenbrauen zusammen, setzte mich auf die Toilette, schlug meine Beine übereinander und verschränkte meine Arme vor der Brust.


Woah! Dieser Idiot! Er hätte beinahe unsere Freundschaft auseinander gebracht! Wie kann ich ihm nur jemals wieder in die Augen sehen? Es war… so… so Peinlich!
OH GOTT!!



Schnell stand ich auf, kramte meine Zahnputzsachen raus, wusch mein Gesicht und putzte mir anschließend die Zähne. Schnell war ich wieder fertig. Na toll… was jetzt?
Ich klaubte meine Sachen zusammen, zog mich schnellstes um und trottete aus dem Badezimmer.
Vorsichtig schaute ich in die Dunkelheit. Nichts von Marco zu sehen, ein Glück!
Vergewissert ging ich leise in mein Zimmer. Ich wollte nicht wieder die Aufmerksamkeit auf mich ziehen.
Als ich endlich Bettfertig im Bett lag, wurde ich langsam doch schläfrig. Doch es dauerte seine Zeit bis ich endlich schlafen konnte.
Fiebrig dachte ich wieder an vergangene Tage, was sich alles verändert hatte und was sich noch verrändern würde.

Könnte ich mit Marco einfach wieder so normal umgehen wie sonst immer? Ihm in die Augen schauen, ihm böse sein wenn er wieder was falsch machte?


Ich wusste es nicht. Zusammengerollt kuschelte ich mich in die Decke. Es war hart gewesen, ihm so zu widerstehen, aber ich hatte es geschafft. Für unsere Freundschaft und für meine seelische Gesundheit.
Seufzend gab ich mich geschlagen. Die Müdigkeit half, es einigermaßen zu verdrängen.
Mein Vertrauen zu Marco, war nur noch ein Häufchen Asche. War ihm das bewusst?
Ich wusste es nicht, rein gar nichts mehr.


Kapitel 8, Geblendet




Steif und völlig Bewegungsunfähig lag ich in meinem Bett.
Der Traum, den ich letzte Nacht gehabt hatte, war so wirklich gewesen. Oder hatte ich es nicht geträumt? War es wirklich passiert? Der Schmerz der in mir aufstieg, hatte nicht gelogen. Es war alles wahr. Dennoch verstand ich, wie immer, nichts davon.
Stirngerunzelt sah ich auf meinen Nachtisch, dort wo mein Wecker stand. Halb sieben.
Meine innere Uhr war also noch völlig in Ordnung.
Seufzend schwang ich die Beine aus meinem Bett und bereitete mich auf den neuen Tag vor.
Das Treffen mit Sascha hatte ich nicht vergessen. Mein Magen füllte sich mit Schmetterlingen. Kribbelig marschierte ich ins Bad.
Mit Sascha war so vieles leichter. Er log mich nicht an, sagte zwar nicht immer direkt was er meinte, dennoch immer die Wahrheit. Was ich von Marco einfach nicht behaupten konnte.
Vorher war er doch wirklich nie

so gewesen. Was verschwieg er mir noch alles?
In Gedanken versunken brachte ich mein morgendliches Ritual hinter mich und tappte in die Küche.
Wie immer war ich allein, was ich nicht mehr so beunruhigend fand, wie vorher.
Ich machte mir mein Frühstück, schluckte die Cornflakes nur so herunter, ohne sie wirklich zu schmecken, und machte mich auf zur Bushaltestelle.
Zügig verschloss ich unsere Wohnungstür und lief nach unten. Fasst schon stürmisch ging ich die leeren Straßen entlang.
Die Sonne ging langsam auf und blendete meine Augen. Hätte ich mir doch einfach meine Sonnenbrille mitgenommen.
Mit zusammengekniffenen Augen lief ich weiter. Zickig, wie ich manchmal war, fluchte ich.
Warum war ich nur in letzter Zeit so aufgebracht?


Nach ein paar Metern war ich schon angekommen. Kein einziger wartete hier auf den Bus, was für mich nicht weiter verwunderlich war.
Um diese Uhrzeit fährt keiner, von unseren Schülern, Bus. Ich holte mein Handy raus und schaute auf die Uhrzeit. Oh man so früh noch? Der Bus kam mindestens in fünfzehn Minuten.
Mit dem Fuß auf den Boden tappend, pfiff ich vor mich hin.
Ich weiß, dass ist albern, aber was soll’s mich kann doch eh keiner hören!




Falsch Gedacht

,dachte ich im nächsten Moment.
Als ein protziges Auto zu mir herüber rollte. Und ich fasste es nicht – in diesem protzigen, schwarzen Cabrio saß tatsächlich Sascha. Meine Kinnlade klappte automatisch runter.
Der Motor des Cabrios schnurrte und Sascha lächelte begeistert zu mir rüber.
Meine Augen weiteten sich und ich versuchte meinen Mund dazu bewegen, sich zu schließlich. Doch er tat es nicht, erst nach ein paar Anläufen.
Übertriebener Weise hupte er lautstark, so dass ich zusammen schrak.
„Na, hast du lust mitzufahren?“, fragte er mich charmant.
Benommen nickte ich, unfähig etwas zu sagen. Doch dann bemerkte ich, dass es ziemlich unhöflich wirkte also sammelte ich meine Stimme:„ Klar doch!“ ich hoffte es wirkte überzeugend. Und tatsächlich, Sascha freute sich über meine Begeisterung und stieß die andere Beifahrertür auf, so dass ich mich setzten konnte. Etwas unbeholfen, wegen der dummen Hängetasche, die erst stecken blieb, stieg ich endlich in.
Als ich mich angeschnallt hatte, gab er so richtig Gas. Der Wind wehte mir ins Gesicht und meine Haare flogen nach hinten. Es war ein berauschendes Gefühl.
Ich schaute Sascha an, sein Blick war erst auf die Straße geheftet. Doch als er sah, wie ich ihn musterte, schaute er mich lächelnd an.
Ich lachte laut auf. Hatte er bei unserem ersten Zusammentreffen noch Hasserfüllt gewirkt, so war das nun Vergangenheit.
Die Offenheit, das breite Grinsen im Gesicht, sowie die Fröhlichkeit die er ausstrahlte, wenn er mit mir zusammen war, passten perfekt zu ihm. Es war so einfach mit ihm zusammen zu sein.

Nach ein paar Minuten war die Fahrt schon vorbei, der Wind ließ nach und ich bemerkte, dass er auf den Schulparkplatz fuhr.
Ich musste wohl einen Schmollmund gezogen haben, denn Sascha lachte über mein Gesicht.
Als er in eine freie Parklücke fuhr, ließ ich mich in Sitz sinken. „An das hier könnte ich mich gewöhnen“, sagte ich heiter und strich über die Sitze des Autos.
Sascha schaltete den Motor aus und sah mich überrascht an. „Ich wollte dich was fragen…“, begann er langsam. Diesmal war seine Stimme nur ein Flüstern, was mich beunruhigte.
„Na ja, da du dich darüber freust … wollte ich dich fragen ob du vielleicht jeden Tag mit mir mitfahren möchtest?“
Ich blinzelte. Meine Augen fingen an zu stahlen. „Nichts lieber als das!“ Ich warf mich unbeholfen in seine Arme.
Ich wollte ihn unbedingt näher kennenlernen. Er war wirklich in vielerlei Hinsicht, ein guter Freund für mich.
Sascha freute sich über meine Begeisterung und tätschelte meinen Rücken, ließ aber nach ein paar Sekunden wieder los.
Grinsend stieg er aus und ich tat es ihm nach.
Unschuldig sah er mich an. „Was ist?“
„Ehm, wir haben jetzt noch ungefähr eine halbe Stunde Zeit, der Unterricht beginnt noch lange nicht…“, gestand er.
Ich zuckte mit meinen Schultern. „Wir können ja solange was anderes machen.“
Er ließ seine schneeweißen Zähne aufblitzen.
„Auf was hast du lust?“, fragte er mich heiter.
Ich lachte fröhlich. „Lass uns erstmal rein gehen“, bot ich ihm an.
Er nickte und zusammen gingen wir in Richtung Schule.


Die nächste Halbestunde verbrachten wir im Schulgebäude. Er führte mich etwas herum, fragte mich nach den Räumen ab, damit ich sie mir hinterher besser merken konnte. Ohne immer auf diesen doofen Zettel zu schauen.
Er war mir eine sehr große Hilfe.
Schon sein ganzes Auftreten war elegant, graziös und schmeichelnd zugleich. Voller Bewunderung sah ich ihm dabei zu. Wie er sich bewegte in seiner Umgebung. Er faszinierte mich.
Später kamen wir zu einer Steintreppe, er lud mich ein mich zu setzten. Nach dem ganzen Umhergehen, wollte ich mich nur zu gerne hinsetzen.
Dabei erzählte er mir, dass er hier oft alleine saß.
Als ich ihm nach dem Grund fragte, schaute er nur auf den Boden. Dabei fielen seine Pechschwarzen Haare ins Gesicht. Ich sah sogar wie er seine Armmuskeln langsam anspannte und wieder entspannte, immer wieder im gleichen Rhythmus.
Ich wusste, dass ich immer mehr von ihm wissen wollte und hielt mich extra nicht mehr zurück.
Leise begann er zu sprechen:„ Wie gesagt, ich hatte noch nie wirklich Interesse an anderen gezeigt, außer meiner besten Freundin ausgenommen. Ich sollte sie dir mal vorstellen.“
Er sah immer noch nicht zu mir auf und verschränkte seine Finger miteinander.
„Ich habe … mich von den anderen fern gehalten. Bestimmte Gründe, weißt du?“
Dann sah er endlich auf. Seine dunklen Augen suchten meine. „Können wir über etwas anderes reden?“
Ich nickte nur. Natürlich wolle ich keine alten Wunden aufreißen, dass stand mir noch nicht zu. Geduldig musste ich sein, gestand ich mir selber ein.
Plötzlich erklang die schrille Glocke der Schule. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war.
Viele Schüler stapften schon in ihre Räume. Grummelnd stand Sascha auf und hielt mir eine Hand hin. Unnötiger Weise.
Ich nahm sie trotzdem Dankend an und er half mir auf die Beine.
Schweigend gingen wir nebeneinander her. Fieberhaft überlegte ich mir irgendein Thema, was spannend genug war, um ihn aufzuheitern.
Hatte ich ihn wieder daran Erinnert, was ihm wehtat? Um Himmelswillen, das wollte ich nicht


Doch schließlich sah er zu mir herunter und fragte mich gelassen:„ Nun. Hast du heute schon was Besonderes vor?“
Verdattert starrte ich ihn an. Ich hätte mit etwas anderem gerechnet – allem nur dem nicht.
Ich war vollkommen überwältigt. Wollte er vielleicht…?
„Öhm. Nein?“, sagte ich leise und versuchte seinem Blick auszuweichen.
Ich hörte sein feines Lachen. „Hast du vielleicht lust, was mit mir zu machen? Ich meine außerhalb der Schule.“
Ich hörte nicht Recht. Etwa ein Date

? In Gedanken schrie ich hysterisch auf.
„K-Klar doch. Sehr gern“, stammelte ich.
„Was möchtest du machen?“, wollte er wissen. Wir beide sahen uns nicht in die Gesichter, wir schauen einfach nur stumm gerade aus.
Wie albern!
„Ehm. Ich weiß nicht. Vielleicht zu mir?“
Er nickte. „Klar. Wann soll ich kommen?“
Ich schluckte. „Ehhh… ich würde sagen erst abends.“
„Geht klar.“
Wieder schwiegen wir. Ich schaute zu seinem Gesicht auf. Er grinste. Ein wunderschönes Lächeln. Sascha nickte nach vorne. Wir standen schon vor dem Klassenraum. Verwundert zog ich meine Augenbrauen zusammen. Wieso vergesse ich nur immer die Zeit?
Zusammen gingen wir hinein. Ein paar sahen zu uns herüber, was ich gekonnt ignorierte.
Ein paar Schüler waren schon im Klassenraum versammelt, einer trug sogar ein mysteriöses Amulett um seinen Hals. Seine Farbe strahlte rubinrot.
Ich blinzelte. Aber wir waren schon an unserem Platz angekommen, also ließ ich mich missmutig auf meinem Platz nieder.
Eine kleine Gruppe saß zusammen auf den Tischen und steckte die Köpfe zusammen.
Nie hatte ich bisher sosehr auf die anderen um mich herum geachtet.
Mürrisch sackte ich in meinem Stuhl zusammen. Ich hatte keine Lust mehr, mir über andere Leute den Kopf zu zerbrechen. Genug andere Probleme warteten schon auf mich, riefen ja schon förmlich nach mir.
Sascha bemerkte meine veränderte Stimmung und fragte mich was los sei.
Ich schüttelte nur den Kopf und antwortete:„Ist nichts, glaub mir. Ich finde es nur sehr anstrengend hier, das ist alles.“ Lügen konnte ich noch nie wirklich gut, aber er kaufte es mir ab.
Der Lehrer kam missmutig – war wohl nicht der einzige – in den Klassenraum gestampft. Er ließ seine Tasche auf das Pult fliegen und plumpste auf den Stuhl.
Er fing wieder an mit seiner morgendlichen Rede, die mich nie wirklich interessiert hatte.
Schon gestern hatte ich nicht darauf geachtet – wie auch?
Doch als ich mich weiter darauf konzentrierte, bemerkte ich, dass etwas vollkommen nicht stimme.
„… Zurückhaltung ist die oberste Priorität. Niemand darf von unserer bewundernswerten Schule erfahren. Die Legenden darüber, könnt ihr in Geschichte 2 lernen. Bald mehr dazu.“ Er kramte in seiner Tasche herum und ordnete Zettel auf seinem Pult.
Ein Gemurmel zog sich durch die Reihen.
Hatte ich gerade richtig zugehört? Es gab tatsächlich Legend über diese Schule?
Hätte ich doch Geschichte 2 gewählt!
Seufzend hörte ich nicht weiter zu und beschäftigte mich damit, Sascha zu mustern.
Heute trug er ein weißes T-Shirt, mit Schriftzügen drauf, die ich jedoch nicht erkennen konnte. Passend dazu, eine graue Jeans, die ihm wirklich schmeichelte. Seine Haare lagen wie immer, wirr und wuschlig gestylt.
Er schaute starr nach vorne, doch zuckte es um seine Mundwinkel. Er bemerkte also, dass ich ihn anstarrte. Ich grinste zurück, stützte mit meinem Ellenbogen meinen Kopf auf den Tisch ab und beugte mich weiter vor.
Doch nach ein paar Sekunden klingelte es zu Stunden ende. Wie schnell doch nur zwei langweilige Mathestunden vorbei gingen.
Zufrieden nickte er zu mir herüber.
„Wir haben Pause. Möchtest du mit mir nach draußen? Ich würde dir gerne etwas zeigen.“
Benommen nickte ich, klaubte meine Sachen zusammen und stand auf.
Grinsend tat Sascha das gleiche.
Dabei bemerkte ich, wie Marco uns anstarrte. Ich sah zu ihm herüber und musste erstmal blinzeln.
Er wirkte ziemlich verärgert.
Langsam kam er auf uns zu geschlendert, die Hände tief in seine schwarze Jeans gestopft.
„Melanie…“, hauchte er. Sascha erschrak und drehte sich um.
„Was war los heute Morgen? Ich habe dich nicht mehr gesehen.“
Oh Gott. Konnten wir die Unterhaltung nicht auf später verschieben?


„Du kennst Marco, Melli?“, fragte er mich verwundert. Wusste er etwas davon nichts?
Ich nickte leicht, fand meine Stimme nicht wieder.
Dafür antwortete Marco für mich. „Klar, wir wohnen schließlich zusammen.“
Schock. Sascha sah zwischen uns beiden hin und her.
Marco verengte seine Augen. „Wir kennen uns schon seit der Grundschule.“
„Das wusste ich nicht“, flüsterte Sascha leise und schaute zu mir herunter.
„Na ja, dass weißt du es eben jetzt“, sagte Marco herablassend. Ich zischte und schlug ihm auf den Arm.
„Lass das doch Marco!“ Er grinste mich frech an.
„Sascha kommt uns heute besuchen – na ja, eher mich. Ich wollte dir nur mal bescheid geben, dass wir heute einer mehr sind.“ Voller Freude strahlte ich.
Marco schüttelte nur den Kopf. „Nein!“
Ich zog die Augenbrauen hoch „Wie bitte, was?“
„Ehhh..!“ Er rieb sich die Stirn.
Ich schüttelte nur den Kopf und wand mich zu Sascha. „Was wolltest du mir noch mal zeigen?“
Ich wusste, Marcos Blick lag auf mir, doch ich wollte ihn nicht mehr sehen, das war echt fies von ihm gewesen.
„Ehm, das kann noch warten. Du, ich muss los, hab doch noch was zu erledigen. Man sieht sich. Tschüss!“
Sascha wandte sich von uns ab und ging ziemlich hastig, fast überstürzt aus dem Klassenraum und schloss die Tür hinter sich.
Oh ne!


Marco und ich waren die letzten im Klassenraum. Ich trat unauffällig einen Schritt nach hinten.
„Hmmm“, sagte er in die Stille hinein.
„Was ist?“, fragte ich ihn, ein wenig

gereizt.
Er zog eine perfekte Augenbraue hoch. „Ach nichts.“
Ich schüttelte meinen Kopf. Super.


„Ich glaube dir nicht.“
„Warum?“ Bedeutend sah er mich an und er freute sich, dass ich sein Spielchen mitspielte.
„Das alles hier“, ich wedelte mit der Hand, „kommt mir so komisch vor, verstehst du?“
Er nickte langsam. „ So ist das, wenn man neu ist.“ Frech grinste er mich an, als ob es gestern Nacht gar nicht gegeben hätte.
„Na dann“, sagte ich leichtfällig und marschierte zur Tür. Doch Marco hielt mich zurück und packte mich am Arm.
„Melanie“, er flüsterte meinen Namen ganz sanft, „Sei nicht enttäuscht. Hab keine Angst. Glaub mir, bald

werde ich dir alles erzählen, was du wissen möchtest.“
Er zog mich leicht nach hinten, so dass ich mit dem Rücken gegen seine Brust stupste. „Hab noch ein wenig Geduld“, hauchte er mir ins Ohr. Seine Finger verschränkten sich mit meinen.
Marco hatte sein Kinn auf meine Schulter gestützt und roch an meinem Haar.
Ein paar Sekunden verweilte er in dieser Position, doch dann zerrte er mich zu sich herum und schaute mich bedeutend an.
„Lass und gehen“, sagte er ernst. Langsam gingen wir zum nächsten Unterricht, dabei hielt er immer noch meine Hand.

Der restliche Schultag verlief schleppend. Sascha war nirgends aufzufinden und ich dachte schon, er würde unserer Verabredung absagen.
Doch er fing mich am ende des Schultages am Tor ab.
„Tut mir Leid. Ich musste es nur erstmal verdauen, dass du mit ihm… zusammen.“ Seine Stimme brach, doch ich wusste was er meinte. Für jemand Außenstehenden mag es vielleicht komisch gewirkt haben, solange ich mich zurück hielt, wusste ich es besser.
Benommen nickte ich nur und ließ es darauf beruhen. Ich wollte nicht noch zusätzlich Dreck in die Wunde reiben.
Leich bedrückt schaute ich ihn an. „Steht das Treffen noch?“
Er wirkte verwundert. „Natürlich!“ Er drückte mich ganz leicht und zusammen gingen wir zu seinem Auto.
Sascha fuhr mich bis zur Bushaltestelle. Ich musste ihm erstmal erklären wo die Wohnung von mir und Marco lag, weil er davon keine Ahnung hatte.
Langsam erklärte ich ihm den Weg und bald waren wir auch schon angekommen.
Ich bedankte mich und umarmte ihm, wenn auch etwas unbeholfen. Im Auto war es immerhin schwerer.
Ein wunderschönes Lächeln glitt über sein Gesicht. Schnell taumelte ich zur Tür, die ins Treppenhaus führte. Er fuhr mit seinem schnurrenden Auto davon.
Oben angekommen, schmiss ich sofort meine Sachen in die Ecke und lief ins Wohnzimmer, schaltete den Flachbildfernseher an und zapple mich durch die Kanäle.
Ich fand nichts sehenswertes, also blieb ich bei irgendeiner Soap hängen. Schließlich kam auch Marco nach Hause. Er starrte erstmal auf meine Sachen die neben der Tür lagen.
„Kannst du das“, er zeigte auf meine Sachen, „nicht wegräumen?“
Ich zog eine Augenbraue hoch, seufzte und hob meine Sachen auf. Lief schnell ins Zimmer und platzierte sie dort. Erschöpft vom Tag kam ich zurück. „So besser, Mr. Pingelig?“
Er stöhnte auf und ging wortlos in sein Zimmer.
Den Rest des Abends, verbrachte Marco in seinem Zimmer, zum Glück.
Sascha und ich machten uns einen schönen Dvd-Abend, er schaute fast die gleichen Filme wie ich, nur das er Stolz und Vorurteil nicht unbedingt sehen wollte – verständlich. Welcher Junge schaut schon so was gerne?
Wir lachten, fraßen uns mit Chips voll und genossen die Zweisamkeit. Es war einfach perfekt so einen tollen, verständnisvollen Freund zu haben.
Langsam klang der Abend aus und der Abschied rückte näher.
Er umarmte mich fest und hauchte mir einen kleinen Kuss auf meine Wange.
„Bis demnächst.“ Er verwuschelte liebevoll meine Haare und verschwand. Schnell versuchte ich meine Haare wieder in die richtige Ordnung zu bringen. Wie ich es hasste!


Seufzend verzog ich mich in mein Zimmer.


Er verstand die Welt nicht mehr. War es nicht eigentlich sein Plan gewesen, Melanie zu beschützen? Ihr nicht zu

nahe zu treten? Sie bemerkte ohnehin schon viel zu viel.
Mit angespanntem Kiefer lief er im Wohnzimmer auf und ab. Und dann auch noch dieser Sascha! Er machte es ihm noch schwerer und Melanie schien Sascha wirklich zu mögen.
Wieso nur? Was hatte Sascha, was er nicht hatte?
Gar nichts!
Wütend kickte er gegen das Sofa. Zu viel Kraft und es würde zerbrechen. Genau wie Melanie daran zerbrechen würde. Nun, sie ist zwar kein wertloses Stück Holz, niemals könnte sie wertlos sein, aber auch wie das Sofa, wäre sie zerbrechlich.
Kopfschüttelnd lief er weiter im Raum auf und ab. Melanie dürfte schon längst schlafen.
Ein Lächeln umspielte seinen Mund, doch es währte nicht lange.
Er horchte in die Stille hinein. Er hörte Melanies wunderschönen Herzschlag und ihren flachen Atem.
Eigentlich wusste sie fast nichts über ihn und doch soviel mehr, als jeder andere.
Schlimm genug, wenn sie auch noch sein Geheimnis erfuhr. Was würde sie dann tun? Zu Sascha laufen?
Pah! Wieder schlug er gegen das Sofa, diesmal heftiger als zu vor.
Dieser räudige Köter versucht meinen Besitzt zu nehmen! Er hat sich mit dem falschen angelegt.
Er schüttelte den Kopf. Aber im Moment gab es wichtigeres zu erledigen.
Er musste zu seinem Vater, zum inneren Zirkel. Leise verschwand er aus der Wohnung in die Nacht hinein.
Seine Gedanken waren immer noch bei Melanie. Hatte es ihn wirklich so sehr erwischt? Er verzog den Mund. Das war wohl schon immer so gewesen.

Er lief im übermenschlichen Tempo zum Wald. In ihm war ein langer Tunnel, tief im Berg vergraben, dort war er, der innere Zirkel.
Dort saßen die Mächtigsten der Welt. Einer davon, war sein Vater und bald würde er diese Rolle übernehmen müssen.
Diesen Gedanken verwarf er schnell wieder. Noch nicht.
Schnell kam er an seinem Ziel an. Der Tunnel lag ganz verbogen tief im Wald.
Niemand würde auf die Idee kommen, solch einen Schritt zu wagen.
Er stieß das Schloss auf und öffnete die vergrabene Holztür. Zügig schlüpfte er ins Loch und machte die knarrende Luke wieder zu.
Ihm machte es nichts aus, in der Dunkelheit zu sein. Er konnte, nicht wie die Menschen, in der Dunkelheit hervorragend sehen.
Er steckte seine Hände tief in die Hosentaschen. Dieser Tunnel glich einem alten Horrorfilm.
Überall war es matschig, klebrig. Aber so sollte es ja auch sein.
Schließlich erreichte er eine Holztür und stieß sie ohne große Probleme auf.
Er hörte vertraute Stimmen.
So wie jeden Abend war es hier still und leise. Nur das Gemurmel der Ältesten war zu hören.
Kein Atemzug, kein Herzschlag.
Kerzenlicht überflutete den dunklen Raum.
In der Mitte des Raumes war ein roter Dreiecksstern aufgezeichnet. In ihm waren tiefe Ornamente verborgen, viele Ranken umwucherten ihn zusätzlich. Das Zeichen des inneren Zirkels, das Zeichen der Schule.
Um ihn herum standen vier große Männer. Sie trugen alle schwarze Roben, hatten diese tief ins Gesicht gezogen. Man konnte nur den Mund erkennen und ihre bleiche Haut, die im Kerzenlicht leicht schimmerte.
Einer darunter war sein Vater, der Gründer des inneren Zirkels, der Schule der Verstoßenen.
Sein Vater stand in der Mitte und er bemerkte die Anwesenheit seines Sohnes sofort.
„Ahhh. Du bist gekommen“, sagte eine tiefe, grollende Männerstimme.
Er verdrehte die Augen.
„Natürlich Vater, so wie fast jeden Abend.“
Auch die restlichen drei glitten zu seinem Vater. Einer darunter war sein bester Freund. Er lächelte ihm zu.
Er verbeugte sich kurz und brüderlich vor ihm und zog sich dann wieder zurück.
Hier, in diesem verlassenen Versteck, zogen die Ältesten alle Fäden, trafen Entscheidungen für alle Schüler. Auch für Melanie. Etwas Schreckliches stand ihr bevor. Einen Wechsel hatten sie mit ihr vor, sie solle sich entscheiden.
Und er sollte ihr dabei helfen. Wie sollte er das nur anstellen?
Seufzend verwarf er diesen Gedanken.
„Auch heute verhalten sich die Nachtwesen friedlich. Wie sah es heute am Tage aus?“, erkundigte sich sein Vater. Stumm nickte Marco.
„Dann ist ja alles hervorragend, mein Sohn.“ Sein Vater schlich wieder zurück zum Stern und goss Blut in die Ornamente.
Sein Verlangen erwachte wieder, obwohl er versuchte, es in Melanies Gegenwart zu unterdrücken.Die anderen drei schritten an seines Vaters Seite und verteilten das Blut. Bald würde es losgehen. Die Tage waren gezählt.
„Mein Sohn, du musst dich nicht zusätzlich quälen. Du bist noch sehr jung, mein geborener Sohn. Du kannst gehen, wenn du es wünscht.“
Marco nickte erneut und wandte sich zum Gehen.
Sie hielten mal wieder eines ihrer Rituale ab. Das Geheimhalten dieser Schule war oberste Priorität. Wichtiger als das Leben, aller hier.
Übernatürlich schnell verschwand er aus dem Versteck und rannte zurück nach Hause. Zurück zu Melanie.
Melanie, die immer noch nichts ahnend in ihrem gemütlich warmen Bett schlief.


Kapitel 9, Entblößte Geheimnisse




Die Tage verstrichen. Sie zogen an mir vorbei und ich konnte nichts daran ändern.
Nun war ich nicht mehr „Die Neue“ in unserer Schule.
Marco hatte endlich mit seinen Lügen aufgehört, dafür musste ich aber einen Preis zahlen.
Er ignorierte mich so gut es ging, entfernte sich immer weiter von mir.
Waren wir nicht mal beste Freunde gewesen? Die sich wirklich alles anvertrauen konnten?


Es war nicht mehr so. Wem machte ich etwas vor? Es war schon seit sehr langer Zeit nicht mehr so gewesen.
Wie jeden Morgen holte mich Sascha mit seinem Auto ab, diesmal kein Cabrio. Das Wetter hatte sich verschlechtert und es wandte sich langsam dem Herbst zu.
Ich wusste nicht, wie viel Geld diese Schüler hier alle besaßen. Aber es war mir auch ziemlich egal.
Auch Nico war eine Zeit lang weg gewesen. Als er wiederkam sah er verblüffend anders aus.
Ein leichter Schimmer überzog seine sonst so sonnengebräunte Haut. Sie war jetzt tatsächlich, im Gegensatz zu vorher, eher bleich. Seine Haare waren etwas kürzer geschnitten, sahen jetzt eher edel und vornehm aus. Mir lief es eiskalt den Rücken runter, als ich ihn ’wieder’ zum ersten Mal sah.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte man sich binnen Tagen so sehr verändert haben? Ihm schien es alles nichts auszumachen. Auch auf meine Fragen antwortete er nie.
Was war geschehen?


In was für eine Schule war ich hier nur geraten? Innerlich fluchte ich vor mich hin.
Jeder einzelne Tag war fast wie der andere.
Nur heute war Freitag.Sport!


Es war der blanke Horror was die Lehrer alles von uns abverlangten. Am Anfang waren sie ja noch ganz nett zu mir gewesen, ja das war einmal.
Nun meinten sie tatsächlich, ich müsse mich so langsam mal ansträngen, wenn ich es zu etwas bringen wolle.
Will ich Sportfetischist werden oder was?


Auch heute musste ich mal wieder mitmachen und bekam so ziemlich nichts auf die Reihe. Zirkeltraining, Hochsprung und dann noch Basketball am Ende.
Keuchend ließ ich mich auf eine Holzbank fallen, die überall in der Turnhalle aufgestellt waren.
Auch wenn ich keine Aufmerksamkeit auf mich erregen wollte, kam Nico trotzdem zu mir.
Besorgt musterte er mich.
„Was ist los?“ Er hockte sich vor mich hin und legte seine Arme auf meinen Schoß.
Ich ließ mich nach hinten sacken und seufzte. „Ach, Sport. Ich bekomm das einfach nicht hin. In meiner alten Schule war das hier alles kein Problem gewesen. Aber was diese Lehrer hier von uns abverlangen ist einfach nur übertrieben.“
Mit heftiger Verzweiflung schüttelte ich meinen Kopf.
Nico zog die Augenbrauen zusammen. „Na ja, ich bin ja auch ziemlich größer als du und außerdem ein guter Sportler. Nicht jeder hat die … Veranlagung dazu.“
Wieder schüttelte ich den Kopf. „Ich habe gar nichts was ich gut kann, ich hasse Mathe, Kunst und Sport. Was Mädchen eigentlich mögen sollten.“
Er lächelte entschuldigend. „Sorry, das musst du schon selbst herausfinden.“
„Na super.“ Ich seufzte.
„Ach komm lass den Kopf nicht hängen.“ Versuchte er mich aufzubauen?
Ich sagte nichts, dann seufzte er und setzte sich neben mich auf die Bank.
„Ich kann auch zu dem Lehrer gehen und bescheid sagen das es dir nicht gut geht. Vom Sportass der Schule wird er es vielleicht glauben…“, murmelte er leise.
Ich schaute zu ihm auf und begegnete seinem Blick. Er lächelte nur vor Triumph.
„Danke“, murmelte ich leise.
„Kein Ding.“ Er klatschte auf seine Oberschenkel und sprang in einer leichten Bewegung auf. Wie zum Teufel machte er das nur?
Immer noch außer Atem, saß ich auf der Bank und wartete auf Nico. Es dauerte nicht lang, da war er schon wieder bei mir.
Grinsend hockte er sich wieder zu mir runter und streichelte meinen zarten Arm.
„Du kannst früher gehen.“
Dankend nickte ich und er half mir beim Aufstehen.
Schweigend begleitete er mich zur Mädchenumkleide. Ich hatte mich immer noch nicht an sein neues Aussehen gewöhnt.
In Gedanken versunken musterte ich ihn wieder, dass entging Nico nicht und schaute mit einem schiefen Lächeln zu mir herunter. Er sah nicht nur anders aus, er war auch noch gewachsen!
Doch mein Blick heftete sich etwas um Nicos Hals. Es war fast das gleiche, wie einer der Jungs es in meinem Klassenzimmer getragen hatte.
Sein Amulett unterschied sich etwas von dem, was ich gesehen hatte. Es war außen golden und trug viele schwarze Steine, die ich nicht kannte. Sie schimmerten alle so wundervoll.
„Seit wann trägst du eigentlich solchen Schmuck?“ Ich zeigte auf sein Amulett.
„Die habe ich von meinem Vater geerbt“, antwortete er schlicht und schaute wieder auf den Gang.
„Ich wusste nicht, dass –“.
„Ist schon gut“, unterbrach er mich. „Ich habe es nur von ihm geschenkt bekommen.“
Betrübt nickte ich.
Dann sagte ich leise:„Ich trage ein Armband von meiner verstorbenen Mutter. Sie ist … erst kürzlich von mir gegangen.“
Sein Blick huschte wieder zu mir. Entsetzen spiegelte sich darin.
„Deswegen hat er dich hergeholt…?“, flüsterte Nico und ich wusste nicht, ob ich as jetzt richtig verstanden hatte.
„Wie bitte, was?“ Ich starrte ihn verdattert an.
„Ach nichts“, sagte er ausweichend. Was verbarg er vor mir?
„Na gut“, sagte ich daraufhin beleidigt.
Weiter gingen wir schweigend nebeneinander. Ich hatte keine lust mehr auf solche Unterhaltungen. Wir waren angekommen und hielten vor der Tür an.
„Hier kann ich leider

nicht rein“, sein Unterton entging mir nicht. Ich sah auf und begegnete seinem belustigten Blick.
Die röte schoss mir ins Gesicht und ich starrte auf die Tür.
„Tja, ist eben nur für Mädchen.“
„Schade, eigentlich…“
„Was?!“ Er lachte lauthals los und drehte sich um, um zu gehen.
„Idiot“, murmelte ich und stieß die Tür mit einem einzigen Hieb auf.
Ich hörte seine Schritte im Gang. Seufzend ließ ich mich auf die Bank fallen und zog mich langsam um.
Ich war schneller als erwartet fertig geworden, also beeilte ich mich nicht weiter.
Langsam marschierte ich aus der Schule. Alles war hier still. Unheimlich.
Prüfend schaute ich mich um, doch hier war nichts. Also bewegte ich mich wieder weiter zur Bushaltestelle. Nach ein paar Minuten war auch endlich dieser eingetroffen.
Der Bus war nicht übermäßig voll. Dennoch waren viele Plätze schon von einer Person belegt, also war ich gezwungen mich neben einem merkwürdigen Jungen zu setzen.
Seine ganze Haltung war sehr entspannt. Er trug eine größere, schwarze Sonnenbrille.
Dadurch konnte ich leider seine Augen nicht sehen.
Wieso leider? Hallo, Erde an Melanie!


Mein Blick verharrte auf ihm. Seine braunen Haare waren kürzer geschnitten, als die von Marco. Dennoch stand die Frisur ihm sehr gut.
Bewundernd sah ich ihn weiter an. Die Sonnenbrille von ihm verweigerte mir weitere Blicke in sein Gesicht. Doch was ich da sah, verblüffte mich. Ein perfektes, markantes Gesicht, eine kleine, starke Nase und ein sinnlicher Mund.
Er lächelte schief doch sein Blick blieb weiter gerade aus geheftet.
Ups! Er hatte mich beim Starren entdeckt!


Beinahe schlug ich mir mit der Hand auf den Mund. Ich erinnerte mich wieder, dass es unhöflich war, andere Leute anzustarren.
Also wand ich meinen Blick ab von ihm und sah peinlich berührt nach unten.
Ich verschränkte meine Hände miteinander und sah sie ununterbrochen an.
Seine Aura fühlte sich, dunkel und arrogant an. Selbstsicher strich er sich manchmal durch sein Haar, wenn es mal wieder verrutscht war.
Langsam fühlte ich mich merkwürdig neben ihm.
Was tat er da?


Er nahm nicht einmal seine Brille ab und trotzdem hatte ich das Gefühl, er beobachtete mich.
Ich stieg voller Panik, und ich wusste nicht einmal warum, eine Station früher aus. Was mich, dank meiner Dummheit, einen weiten Weg bescherte.
Meine Muskeln zerrten schon an mir. Ich schaute noch einmal auf dem Platz, wo ich gesessen hatte. Erschrocken klappte mein Mund nach unten.
Er war weg!
Ich blinzelte und versuchte einfach weiter zu laufen.
Das kann nicht sein! Oder doch? War er vielleicht auch ausgestiegen? Ich hatte niemanden gesehen, der es auch getan hatte…


Der Schmerz holte mich aus meinen Gedanken.
Der Muskelkater machte sich jetzt schon in mir breit, schlug die Krallen in meinen Körper.
Ich stöhnte auf und knickte ein. Was war nur los mit mir?
Krächzend holte ich nach Luft.
Alles fühlte sich heiß in mir an, meine Haut verbrannte! Kopfschüttelnd versuchte ich aufzustehen. Ich schaffte es tatsächlich irgendwie ein paar Schritte zu machen, wenn auch humpelnd und krachte dann wieder zusammen.
Diesmal konnte ich meinen Sturz jedoch mit meinen Händen abfangen. Steine gruben sich in meine Haut.
Ich zitterte am ganzen Körper. Hatte ich mir irgendeine Krankheit eingefangen, die erst jetzt ausbrach? Ich konnte mich nicht daran erinnern jemals in Berührung von Kranken gekommen zu sein. Aber vielleicht war ja so etwas möglich?
Zögernd versuchte ich wieder aufzustehen, immer wieder von vorne.
Meine ganze Haut war aufgeschürft und blutig verschmiert. Ich hoffte inständig Marco so nicht zu begegnen. Mein Kopf brannte, ich konnte an nichts mehr denken.
Nur dank meinem Erhaltungsinstinkt schaffte ich es an unsere Haustür, die zum Treppenhaus führte.
Das Treppensteigen war einfacher, da ich mich am Geländer festhalten konnte. Ob ich dabei Schaden anrichten würde, war mir ziemlich egal.
Ich fluchte, fauchte und schimpfte vor mich hin.
Das Monster in mir schlug immer wieder die Krallen in meinen Körper, in meine Adern und Muskeln. Mein Magen verkrampfte sich.
Das Blut an mir roch schrecklich!
Langsam erholte ich mich wieder. Die Schmerzen schwanden, wie sie gekommen waren.
Was zum Teufel geht hier ab?


Sie klangen aber nur langsam ab, so dass ich an der Tür angekommen, fast nichts mehr von ihnen spürte.
Kopfschüttelnd suchte nach meinem Schlüssel und schloss sofort die Tür auf.
Krachend schmiss ich sie wieder zu und lief schnell in mein Zimmer und schloss mich da ein.
Falls Marco da wäre, jetzt könnte er nicht mehr nerven.
Schnell verschwand ich im Bad und schloss auch hier ab.
Ich musste unbedingt duschen. Als auch das geschafft war, sah ich mich im Spiegel an.
Verblüfft schaute ich auf meine Hände. Die Wunden waren verschwunden!
Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. Wie… wie konnte – das sein?
Leicht zittrig untersuchte ich alle Stellen, doch es war alles verschwunden. Alle Schürfungen die ich mir geholt hatte, waren weg.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Was passiert mit mir?
Meine Augen weiteten sich. Ich musste dringend zum Arzt!
Aber als ich meinen ersten Schritt in Richtung Tür getan hatte, hielt ich auch wieder inne.
Was würde der Arzt bitte von mir denken? Meine Haut heilt sich von selbst nach ein paar Minuten? Der würde das mir doch niemals glauben, und wenn er täte mich als Versuchskaninchen in irgendein Labor verfrachten. Also verwarf ich diesen Gedanken ziemlich schnell wieder.
Ich holte tief Luft, zog mich schnellstens um und verschwand aus dem Bad.
Und vor mir stand Marco. Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich.
Ich schluckte kurz und wollte mich wieder zum Gehen wenden, als er mich an meinem Arm packte.
Entsetzt quiekte ich auf.
„Bist du so egoistisch, dich die ganze Zeit im Bad aufzuhalten? Denkst du immer nur an dich?“
Das saß. Wusste überhaupt was mit mir passierte? Nein! Er sollte sich nicht so was einbilden! Manno man, Jungs!


Knurrend fuhr ich ihn an, entzog ihm meinen Arm und trat einen Schritt zurück.
Ich… ich hatte geknurrt! Schnell schlug ich gegen meinen Mund.
Marco schaute mich erst verblüfft, dann entsetzt an.
Er schüttelte den Kopf und trat einen Schritt näher.
„Hast du heute Sport geschwänzt?“, fragte er ablenkend.
„Nein du Idiot. Nur was die da von mir abverlangten, war einfach zu viel. Nico hat mit dem Lehrer geredet und ich durfte früher gehen.“
Schnippisch schnalzte ich mit der Zunge. „Und ach was! Du redest wieder mit mir.“
Er schaute verärgert zur Seite und ballte seine Hände zu Fäusten.
Dann wandte er sich abrupt von mir ab und ging ins Wohnzimmer. Zittrig stützte ich mich an der Wand ab.
Ich durfte Marco nichts erzählen was in mir vorging, durfte nicht sagen, was ich wirklich dachte.
Also schwieg ich und sackte weiter runter.


Mit aller Kraft versuchte er, nicht sofort zu Melanie zu rennen, sie in die Arme zu nehmen und zu beschützen.
Er hörte sie, wie sie krampfhaft die Luft einzog und sich gegen die Wand presste. Er wusste über ihren jetzigen Zustand bescheit. Aber was sollte er dagegen tun?
Sein Vater hatte ihm verboten, dort einzuschreiten. Als sie Melanies Blut in die Ornamente gegossen hatten, fing es an. Sie hatten das Ritual angefangen und bald würden die Ältesten sie aufsuchen. Als sie heute in die Wohnung kam, blutverschmiert, dachte sie tatsächlich, er bekäme das nicht mit. Doch er roch ihr süßes, unvergleichliches Blut.
Krampfhaft hatte er sich an seinem Bettgestell festgekrallt um nicht gleich zu ihr zu stürzen. Es hätte ihn sofort verraten. Zum Glück hatte Melanie gleich geduscht und natürlich ist ihr dabei nicht entgangen, was aus ihr werden würde. Aber die Wahl stand noch aus, sie war noch ein Mensch. Noch.
Ihre Schreie in der Nacht, ihre immer weitgehend schlechteren Zustände waren nur der Anfang. Und wem hatte sie das zu verdanken? IHM!
Er müsste ihr bald die Wahrheit sagen müssen und das schnell. Die Ältesten würden sie bald aufsuchen, wenn nicht sogar die Jagd für eröffnet verkünden.
In der ganzen Schule herrschte schon genug Anspannung, jeder wollte sie auf seine Seite wissen. Was tat er nur mit ihr?
War er ein Monster? Oder nur ein verliebter Narr, der glaubte, sie würde sich für ihn entscheiden?
Zischend ging er in zu dem Sofa im Wohnzimmer. Er wollte nicht, dass Melanie ihn so sieht, seine wahre Seite. Die Seite seines inneren Monsters.




Als ich endlich wieder einigermaßen zu mir kam, ging ich mies gelaunt und ziemlich angekratzt ins Wohnzimmer.
Marco saß entspannt im Wohnzimmer. Solch ein Idiot!
Mit zusammengebissenen Zähnen schnappte ich ihm die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Fernseher aus.
Ich stemmte die Hände in die Hüfte und sah ihn mordlustig an.
Verdattert begegnete er meinem Blick und wurde sofort ärgerlich. „Was soll das werden?“
„Warum hast du nicht abgewaschen? Du warst heute dran.“ Ich zeigte auf die Küche, die gleich neben an lag und rümpfte die Nase.
„Keine Lust.“ Das war doch alles nicht wahr oder?
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon verstanden.“
„So läuft das aber nicht!“
„Aha.“
„Also gut, wenn du es so willst.“ Wütend warf ich die Fernbedienung in die Ecke und marschierte angewidert aus dem Wohnzimmer.
Er kam nicht hinterher, so wie er es sonst immer gemacht hätte.
Er kam nicht, ließ mich alleine, als ob ich ihm völlig egal wäre. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
Lange schloss ich mich in meinem Zimmer ein.
Wut beschrieb nicht einmal annähernd mein Gefühl, dass ich jetzt empfand.
Warum war er nur immer so zu mir? Launisch bis zum geht nicht mehr! Da ist eine Schwangere ja erträglicher.


„Grrrm!“ Wütend schmiss ich ein Kopfkissen gegen die Wand. Es rutschte runter und fiel zu Boden.
Ich ließ meinen Arm schlapp neben meinem Bett hängen.
Doch dann bemerkte ich, dass etwas fehlte. Ein klimpern. Ich schaute entsetzt auf meinen Arm.
Mein Armband!
Oh Gott. Hatte ich es im Bad liegen gelassen?
Schnell stand ich auf und durchsuchte mein Zimmer, dann das Badezimmer – doch ich fand nichts.
Verzweifelt dachte ich nach, wo ich noch überall war. Vielleicht hatte ich es ja auf dem Weg zurück gelassen?
Schnell packte ich meine Jacke vom Drehstuhl und knallte meine Zimmertür zu.
„Ich geh noch mal raus! Bis später!“, rief ich einfach laut durch die Wohnung. Ich wusste, er würde es hören.
Stürmisch lief ich das Treppenhaus runter und suchte den ganzen Weg drei oder viermal ab.
Doch nichts zu finden. Ich schüttelte meinen Kopf. Es war doch das Einzige was ich noch von meiner Mutter besaß.
Es wurde immer dunkler draußen. Sogar durch meine Jacke fror ich. Da kam mir die Idee.
Ich musste zurück zur Schule.
Schnell rannte ich los, weil um diese Uhrzeit kein Bus mehr fuhr. Ich rannte und rannte, mein Herz raste vor Anstrengung. Mein Atem fiel Keuchweise aus und trotzdem rannte ich weiter.
Durch die untergehende Sonne, konnte ich gerade noch so viel wie möglich erkennen und lief über die gegenüberliegende Straße.
Ich musste mich beeilen wenn ich es noch schaffen wollte. Irgendwann stoppte ich dann. Das Waldgebiet lag vor mir. Ich schluckte einmal und lief zum schmalen Pfad der durch führte. Nun war die Sonne ganz hinter dem Horizont verschwunden.
Keuchend rang ich nach Atem und versuchte trotzdem weiter zu laufen, wenn auch schleppend. Doch dann sah ich endlich die Umrisse der Schule. Der Mond war am Himmel zu erkennen und gab mir die Sicht frei.
Mein Rennen war nicht mehr als Joggen. Meine Muskeln zerrten wieder an mir und das Monster schlug wieder die Krallen in meinen Körper.
Der Schmerz kam so unvorbereitet, dass ich beinahe gefallen wäre.
Ich holte tief Luft und zwang mich weiter zu gehen. Mein Ziel lag direkt vor mir.
Der Wald umwucherte vorher die Schule, doch jetzt war sie deutlich zu erkennen. Sie lag versteckt.
An irgendetwas hätte mich das erinnern sollen, doch ich kam einfach nicht drauf. Ich wollte nur noch mein Armband wiederhaben.
Verwundert blieb ich auf der Auffahrt stehen. Autos waren noch hier, jede Menge. Aber weitere Schüler erkannte ich hier nicht. Schulterzuckend ging ich tappend weiter.
Ich erkannte das Schultor und es stand offen.
Meine Augen weiteten sich, aber das war mir jetzt egal ich musste zur Turnhalle.
Ich nahm den hinteren Pfad, der zur Halle führte. In der Nacht, sah es tatsächlich gruselig aus.
Auch wenn mein Bewusstsein das nicht wahr haben wollte.
Zittrig schleppte ich mich weiter, schlich schon fast, als ob ich ein verbrechen begehen wollte.
Aber das tat ich nicht oder? Das Tor stand sperrend weit offen!
Meine Haut erschauderte, vor Angst und Kälte. Der Herbst hatte schon begonnen, das durfte ich jetzt fühlen. Super.


Endlich kam ich an der Halle an. Sie stand nicht offen, dennoch war sie nicht verschlossen als ich an der Tür zog.
Sie ging schwerer auf und war auch um einiges Schwerer als die anderen Türen der Schule. Erleichtert quetschte ich mich durch einen Spalt.
Ganz hinten im Gang war Licht zu erkennen, ich glaubte sogar, Stimmen zu hören. Bilde ich mir das etwa alles ein?
Schnell ging ich ein paar Schritte vorwärts, und…
Bereute sie sofort. Ich fand jemanden, der nicht halb so menschlich aussah, wie ich es erhofft hatte.
Starr vor Schreck knallte ich gegen die geschlossene Hallentür. Meine Augen weiteten sich ein Stückchen mehr.
Ich versuchte zu Atmen, doch meine Lunge verweigerte sie mir. Der Schreck fuhr durch meine ganzen Adern und das Monster in mir erwachte, schlug erneut die Krallen in meine Muskeln, so dass ich aufstöhnen musste.
Das Wesen kam zwei kleine Schritte näher. Wie ich erkennen musste, war es ein Weibchen.
Sie trat in das Mondlicht, das durch die Tür schien.
Mein Herz blieb stehen und schlug umso heftiger weiter. Mein Fluchtinstinkt kam hoch, doch ich blieb weiter wie erstarrt stehen.
Sie musterte mich durch ihre dunklen, rubinroten Augen.
Rote und schwarze Muster zieren ihre bleiche Haut, zogen sich durch ihren ganzen Körper. Sie trug Sportsachen, so ziemlich das, was ich erkennen konnte.
Die Muster sahen aus wie Schranken, sie umwucherten ihren zierlichen Körper. Alle waren sie miteinander verbunden.
Ein langer, schwarzer und außerordentlich dünner Schwanz ragte nach oben. Am Ende spitz zulaufend.
Er glich den Erzählungen in der alten Zeit, in denen von Dämonen die Rede war. Konnte das sein? Er sah aus wie ein kleiner Teufelsschwanz.
Aus ihrem blonden, dichten, lockigen Haar ragten zwei kleine Hörner heraus. Eine Figur aus reiner Fantasie. Aber sie war wirklich hier, bewegte sich vor meinem geistigen Auge.
Angewachsen blieb ich bei der geschlossenen Eingangstür stehen. Sie rührte sich ebenfalls nicht.
Mein Körper wehrte sich, gegen meinen Willen, endgültig zu fliehen. Ihre roten Augen musterten mich ebenso von oben bis unten, wie ich es vorher getan hatte.
Als ich genau ihr Gesicht betrachtete, fiel mir auf, dass ich sie schon konnte. Es war diejenige die zu dritt immer unterwegs waren. Allesamt sahen sie sich ähnlich nur sie, war die schönste von den dreien gewesen.
Ihre rubinroten Augen funkelten in der Nacht. Außer der roten Muster, die auch ihr Gesicht zierten, sah ihr Gesicht völlig normal aus. Eine kleine Stupsnase, ein kleiner, voller Mund und ein rundes Gesicht.
Plötzlich kam sie wieder einen Schritt näher, sodass ich gezwungen war, mich mehr an die Tür zu drücken.
Was sagte man in den alten Geschichten noch mal? Ich wusste rein gar nichts mehr! Ich musste mich doch irgendwie Verteidigen, wenn sie mich anspringen sollte!
Zitternd holte ich tief Luft.
Innerlich tobte ein wilder Kampf in mir, die Schmerzen waren noch nicht ganz verschwunden.
Ich wusste weder ein noch aus. Wieder kam sie näher und ihre stechend roten Augen drangen in meine Seele ein. Jeder Gedanke in mir flüchtete wie ein Schreckgespenst in der Dunkelheit.
Sie hielt sich diesmal nicht zurück und kam immer näher.
Und dann, verwandelte sie sich vor meinen Augen. Ihr Schwanz zog sich komplett zurück, ihre Hörner verschwanden und die Muster auf ihrer Haut verblassten. Auch ihre Augen hatten ein wunderschönes Blau angenommen.
Ich schüttelte den Kopf.
Sie legte ihren Kopf etwas schief, als wollte sie mich mustern. Dann trat sie noch einen Schritt zu mir, ihre Bewegung verschwamm vor meinem Auge und beugte sie leicht nach vorne.
Sie schloss die Augen und schnüffelte an meinem Haar. Ich ließ es zu, immer noch vor Schreck erstarrt bleib ich stehen.
Plötzlich schrak sie zurück.
„Ein Mensch!“, zischte sie.
Was sonst? Sie wich einen Schritt von mir, ihre Augen wurden glasig. Man sah ihr an, dass sie i Gedanken versunken war.
Plötzlich verstand sie.
„Ach, bist du nicht die Kleine von Marco?“ Ich nickte nur, auch wenn es mich ärgerte, wie sie es sagte. „Verstehe. Melanie, richtig?“
Wieder ein nicken. Ihre weiche Stimme klang wie flüssiger Honig.
„U-U-Und du bist?“, fragte ich stotternd. Meine Augen waren immer noch starr vor Schreck.
„Domenique“, sagte sie spontan. „Tut mir Leid, dass ich dich so erschreck habe. Oh man das gibt ärger von Fürst Vlad.“
Sie schüttelte verärgert den Kopf.
„Fürst?“, quiekte ich.
Sie zog die Augenbrauen hoch und sah mich wieder an. „Oh, verstehe. Du weißt absolut gar nichts?“
Ich nickte benommen. „Ich erstehe nicht das Geringste.“
„Oh man, wie du zitterst! Der Hammer.“, sagte sie erstaunt, „Das wird mir Sascha niemals glauben!“
Feierlich hüpfte sie wie ein Kindergartenkind, das gerade erst eingeschult wurde, auf und ab.
Verstört sah ich ihr dabei zu. Doch als sie seinen Namen nannte, horchte ich auf.
„Sascha? Du kennst ihn?“ Sie hörte sofort auf zu hüpfen und schaute mich wieder ernster an.
„Klar. Immerhin sind wir gut befreundet.“ Seufzend ließ sie ihre Schultern hängen. „Das nervt echt, er erzählt immer von dir. Egal wo, egal wann. Immer!“
Erstaunt sah ich sie an. Wie schaffte sie es nur, einfach so im Plauderton weiterzureden?
„Was bist du?“, fragte ich sie leise und schaute dabei auf den Boden.
Sie schnaubte.
„Am besten wir verschwinden von hier. Es ist hier nicht… sicher. Glaub mir.“
Sie wandte sich zum gehen, doch dann hielt sie inne. „Was wolltest du eigentlich mitten in der Nacht hier?“ Tadelnd schaute sie mich an.
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Ich habe mein Armband verloren. Ich hatte alles abgesucht, bin die Wege auf und ab marschiert und dann bin ich hier her gelaufen. Aber nicht, es ist weg.“
Sie blinzelte. Dann kramte sie in ihrer Tasche herum. „Meinst du etwa das hier?“
Verblüfft schaute ich darauf, was sich in ihrer zarten Hand befand. Ein silbernes, kleines Armbändchen mit vielen Anhängern dran. Mein Armband!
„Ja“ Woher hast du das?“
Sie zuckte mit den Schultern. „ich habe es in der Mädchenumkleide gefunden und wollte es ins Fundbüro bringen.“
Schnell nahm sie meine Hand ließ mein Armbändchen hinein gleiten. Dann schloss sie meine Hand und legte ihre drauf. Ihre Haut fühlte sich genauso zart an, wie sie aussah.
„Bitte.“ Sie lächelte ein bezauberndes Lächeln.
„Danke“, flüsterte ich.
Jetzt sah sie ernster aus. „Es wird Zeit.“ Mit diesen Worten, packte sie mit ihrer Hand meinen Arm und zog mich aus der Turnhalle raus.
Domenique flitzte mit mir zusammen durch die Nacht. Erst betraten wir den tiefen Wald, der die Schule umzog. Ich sah fast nichts, alles verschwamm vor meinen Augen. Der Wind peitschte mir ins Gesicht und ich musste einen Schrei unterdrücken.
Immer wieder stolperte ich über liegen gebliebene Äste oder Steine, die mitten auf dem Pfad rumlagen.
Es dauerte nicht lange, dann ließ der Wind schon wieder nach. Ich konnte wieder etwas erkennen, dennoch musste ich mehrmals blinzeln.
Wir waren auf einer großen Lichtung angekommen, in der Mitte war ein großer, klarer See. Er war nicht sehr tief, man konnte sogar Fische drin schwimmen sehen. Bewundernd sah ich mich um.
„Schön, nicht wahr?“, murmelte Domenique. Sie stand ganz nah neben mir,. Ich erschrak und sie musste kichern.
„Sorry.“ Ich nickte nur zu ihr.
„Mein Lieblings Platz, hier wird uns niemand stören außer…“
Ihr kam jemand zuvor. Eine tiefere Männerstimme. „Außer mir.“
Geschockt drehte ich mich zu der Stimme um und entdeckte Sascha, der gerade an einem Baum gelehnt stand. Ich sah zu ihm herüber und traute mich nicht ihm zu sagen, was Domenique wirklich war. Oder wusste er es schon?
Er lächelte ich an und kam zu uns rüber geschlendert.
„Sascha, gut du bist endlich da.“ Erleichtert lächelte sie und trat direkt zu mir, tätschelte meine Schulter und schaute erwartungsvoll zu Sascha.
Ein paar Schritte vor uns blieb er stehen. Mein Blick schoss zu Domenique. Waren Sascha und Domenique vielleicht mehr als Freunde…?
„Was macht Melanie hier, Domenique?“, fragte er leise.
„Sie hat mich gesehen.“
Sascha nickte. „Warum warst du hier Und auch noch allein.“ Wie Domenique, sah mich Sascha tadelnd an.
„Es hätte sonst was passieren können.“ Er schüttelte den Kopf.
Verdattert sah ich ihn an. Was?
„Was hast du dir dabei gedacht?“, harkte er weiter nach, als ich nicht antwortete.
Dabei kam er zu mir und packte mich an die Schultern.
Zischend wehrte ich seine Hände ab. „Fass mich nicht an!“ Sofort bereue ich meine Worte, als ich in sein Gesicht blickte.
Erschrocken starrte er mich an. „Was

?“
Domenique schüttelte den Kopf. „Beruhig dich Sascha und du auch Melli.“
Dann sah sie Sascha an. „Melanie hat mich in.. meiner wahren Form gesehen.“
Sein Kopf schnellte zu Domenique und wieder zu mir. Hin und her.
Sascha seufzte. „Das erklärt alles.“
„So ist es.“ Sie schaute mich beunruhigt an. „Warum sie jetzt hier so gelassen steht, ist die andere Sache.“
Ich schüttelte nur den Kopf. „Marco hat mir nichts erzählt, was hier wirklich abgeht. Und langsam habe ich die Schnauze gestrichen voll von den ganzen Lügen. Bitte sagt mir endlich die Wahrheit!“
Beide seufzten gleichzeitig auf, nickten aber.
Sascha setzte sich im Schneidersitz auf den grünen Rasen, der zu leuchten schien.
Es war ein magischer Ort.
Domenique wies auf einen mittelgroßen Stein, auf dem ich Platz nehmen sollte. Ich setzte mich zittrig hin und sie folgte mir.
Diesmal wich ich nicht zurück, als sie sanft über meinen Arm strich.
Der Mond schien direkt auf uns herab. Die Kälte, die ich vorher verspürt hatte, fühlte ich nicht mehr. Auch meine Schmerzen waren wie weggeblasen.
„Also“, fing Sascha an und räusperte sich. Er sah mir direkt in die Augen und sein Blick verharrte auf meinem.
Mein Bein fing an hin und her zu wippen.
„Das ist hier keine gewöhnliche Schule. Die Geschichte ist schon sehr alt und für manche, fast vergessen. Was du gesehen hast, war Domenique in ihrer wahren Gestalt.“
Eindringlich sah er mich an und machte eine kurze Pause, eher er schluckte und weiter sprach.
„Sie ist ein Jahrhunderter alter Sukkubus. Aber keine Angst sie hat sich davon abgewandt und ist eine Mephala geworden.
Erschrocken sah ich Sascha an. „Sie ist eine, was?“
Erstaunt sah er zu Domenique herüber.
„Erzähl du ihr lieber wovon wir reden. Du weißt es schließlich besser als die meisten von uns.“
Sie nickte nur, rückte näher an mich heran und umfasste meine Taille. Dabei strich sie immer über meinen Arm. Es hatte etwas sehr mütterliches, etwas, was ich nie wirklich gehabt hatte.
Ihre strahlend blauen Augen sahen mich verständnisvoll an.
„Ein Sukkubus ist ein weiblicher Dämon der Verführung. Er stammt aus den Erzählungen von Adam und Eva, als Gott eine wunderschöne Frau für Adam schuf, die jedoch verweigerte seine Bedürfnisse und fiel damit bei Gott in Ungnade. Sie wurde in die Hölle verbannt, behielt aber ihren eisernen Willen und setzte ihre Reize geschickt ein.“
Ich weitete meine Augen. „Heißt das du bist ein böser Dämon aus der Unterwelt?“
Sie lachte kurz auf.
„Du hast mich nicht ausreden lassen. Es ist wahr, dass die Sukkubus sich dem Bösen verschrieben haben, aber ich gehöre nicht mehr zu ihres Gleichen.“
„Das verstehe ich nicht. Was bist du dann?“
Behutsam strich sie wieder über meinen Arm und hielt mich fester.
„Wie Sascha schon sagte, ich bin eine Mephala. Das ist die Art von Sukkubi, die Gott erschaffen wollte.“
Erstaunt sah ich sie an.
„Also gibt es einen Gott? Er ist nicht irgendein Hirngespinst von religiösen Gläubigen?“
Sie lachte wieder kurz. „Das ist so komplex, dass es keiner so richtig weiß. Keiner kann dir diese Frage wirklich beantworten. Wir vermuten es nur. Zumindest ist er nicht, so wie ihr Menschen ihn darstellt.“
Ich nickte. Um alles zu verstehen, musste ich genauer hinhören.
„Ich hatte dazu den Willen und das Herz, mich dem Bösen abzuwenden und deshalb hat mich Fürst Vlad aufgenommen. Doch sei auf der Hut, nicht alle Sukkubi sind wirklich Gut, Es gibt auch welche auf dieser Schule, die sich dem nicht abgewannt haben.“
Benommen nickte ich. Konnte ich verweigern was ich mit meinen eigenen Augen gesehen hatte? Es war kein alberner Streich meiner blühenden Fantasie gewesen.
Saschas blick wanderte zu Domenique. „Warum warst du eigentlich in deiner Gestalt?“
Sie blickte peinlich berührt zu Boden.
„Ehm. Können wir das wann anders besprechen? Sonst kommt Melanie ja völlig durcheinander.“
Sascha lächelte nur kurz, nickte aber.
Jetzt wandte sich Sascha wieder zu mir und erzählte weiter.
„Unsere Schule tritt für diejenige in Kraft, die von ihrem Volk, Planeten oder Heimatort verbannt worden sind. Das es die Erde war, war nur ein Zufall. Es gibt aber auch Freiwillige unter unseren Schülern.“
„Du sprichst wie einer der Ratsmitglieder, oder noch besser wie einer der Ältesten“, sagte Domenique und verdrehte die Augen.
„Ratsmitglieder, Ältesten?“, fragte ich erstaunt.
Sascha nickte zögerlich.
„Bei uns gibt es anstatt eines Direktors, Ratsmitglieder. Das sind jene, die die Schule führen, geheim halten und gegründet haben. Es gibt vier Ältesten.“
Angestrengt versuchte ich jedes Wort mitzubekommen. Die Müdigkeit nagte schon an mir.
„Es gibt insgesamt zehn Ratsmitglieder, die Ältesten mit dazugezählt. Der Vorsitzende ist Fürst Vlad. Außerdem ist es Marcos Vater.“
Schwer schluckte ich. Das musste ich erstmal verdauen. Domenique hob die Hand zu meinem Gesicht und streichelte mich sanft. Ich schloss kurz meine Augen.
„Ich weiß, dass es schwierig ist, zu verstehen. Doch bitte versuch es.“
Ich nickte und machte wieder meine Augen auf.
Endlich fand ich meine Stimme wieder.
„Ich möchte endlich die Wahrheit wissen“, sagte ich wieder.
Zu lange hatte Marco mir alles verweigert und mir vorgegeben in einer falschen Welt zu leben, die anscheinend gar nicht existierte.
Sascha erzählte im ruhigen Ton weiter. „Fürst Vlad ist kein Mensch. Alle außer dir auf der Schule, sind keine Menschen.“
Das ließ mich aufschrecken. „Was bist du dann?“, fragte ich mit neugieriger aber zittriger Stimme.
Sascha schaute zu Boden. War ihm das etwa peinlich

?
Domenique übernahm das Wort. „Sascha ist ein Elf. Genaugenommen ein Nachtelf. Das Erkennungszeichen ist seine blasse Haut und seine spitzen Ohren.“
Sie Beugte sich nach vorne und verwuschelte seine Haare. Sascha ließ es zu, ohne auch nur den Blick vom Boden zu nehmen. Dann sah ich seine spitzen, süßen Ohren. Sie ragten ein klein wenig nach oben.
Langsam nickte ich und Domenique rutschte wieder zurück.
„Früher einmal war er ein Auralia, was du einen „Hochelf“ oder einen „Elf des Lichts“ nennen würdest. Aber seine Familie war in Ungnade des Herrschers gefallen, durch Tod und Unglück.
Somit wurde er mitsamt Familie verbannt. Er hat seine ganze Art aberkannt und ist zu dem geworden, was er heute ist.“
Jetzt sprach Sascha wieder und schaute zu mir auf. Seine Augen glühten.
„Zurück zu den Ratsmitgliedern“, sagte er gepresst.
Sascha war schon immer ziemlich abgedroschen gewesen. Ich musste ein hysterisches Lachen herunter schlucken.
„Fürst Vlad ist ein sehr alter, um genau zu sagen Jahrhunderte alter, Vampir. Keiner weiß wirklich, wie alt er schon ist. Außerdem besitzt er große Macht. Seine rechte Hand ist Carahil.
Sie ist eine alte Auralia. Mit zwanzig sind die meisten Elfen ausgewachsen und altern danach nicht mehr. Als sie jünger war, starb ihre Mutter. Ihre Mutter war das höchste Ratsmitglied ihres Reichs und somit musste ihre Tochter das Amt übernehmen. Nach kürzester zeit aber, hatte Carahil dazu keine Kraft mehr und verschwand. Fürst Vlad fand sie und gründeten somit den inneren Zirkel.“
Er machte eine kleine Pause uns schaute mich bedeutungsvoll an.
„Das dritte Ratsmitglied ist Fürst Lethril (engl. Ausgesprochen). Er ist eine große Bereicherung für uns. Lethril ist eine Art Geist, Nachtigal genannt. Normalerweise spuken sie sinnlos herum und machen es den Menschen schwer. Doch er war anders. Durch einen mysteriösen Überfall und Mord des Kaisers im späteren Jahrhundert, starben alle Angestellten mit ihm.
Fürst Lethril ist als Geist erwacht. Das besondere aber an ihm war, dass er trotzdem eine Menschengestalt annehmen kann. Durch viel Disziplin lehrt er das den verstorbenen, die den Willen dafür besitzen.“
Scharf dachte ich über seine Worte nach. Sie alle hatten ein übles Schicksal hinter sich. Trotzdem sind sie stark geblieben. Domenique wandte sich wieder mir zu.
Mit leicht errötetem Gesicht sprach sie weiter. Sascha kicherte.
„Das letzte Ratsmitglied, die wir benennen dürfen, heißt Meister René. Warum wir manche Ratsmitglieder nicht benennen oder über sie sprechen dürfen, hat damit zu tun, dass sie unerkannt bleiben wollen. Aber sie sind da.
Meister René stammt aus dem früheren Himmelreich. Er ist ein Erzengel, ein besonderer Engel, so würdest du ihn wohl nennen. Sie nennen sich auch Seraphim.
Die Seraphim wurden von Gott erschaffen, zumindest einige von ihnen. René wurde geboren, aber sein Vater stammt aus dieser Zeit.
Meister René hat besondere Kräfte. Zum Beispiel kann er alle Elemente kontrollieren. Er besitzt sogar die Gabe der Wiederbelebung. Sicher fragst du dich jetzt, warum er hier bei uns ist.“
Ich nickte. Natürlich, was machte auch schon ein Engel auf der Erde.
Weiter hörte ich zu. Ich wurde mit jedem Wort neugieriger. Die Angst war völlig von mir gewichen.
„Die Geschichte erzählt, dass der Teufel den Angriff auf das Himmelreich geplant hatte. Der Vater von meister René hasste das Kämpfen und suchte eine friedlichere Lösung. Der Teufel verlange seinen einzigen Sohn, dies verwehrte sei Vater aber. René kam damit nicht klar und entschloss sich schließlich, sich selber zu opfern.
Der Teufel dachte aber nicht mal daran, ihm einen schönen Tod zu gönnen. Nein, er wurde auf die Erde verbannt, so wie viele anderen, die danach folgten.
Fürst Vlad nahm Meister René auf und seitdem ist er das letzte genannte Ratsmitglied.“
Verwunderung glitt über mein Gesicht.
„Und wie alt ist dieser „Meister René“?“ Ich wollte immer mehr erfahren.
Domenique lächelte mich mütterlich an. „Nun ja“, sagte Sascha, „Er müsste eigentlich schon über zweihundert Jahre auf den Buckel haben. Aber auch er ist unsterblich, was das Altern betrifft. Sein ganzes Leben wird er neunzehn sein.“
„Sind alle Wesen unsterblich?“, harkte ich nach.
Doch Sascha schüttelte den Kopf. „Nein, nicht alle. Zum Beispiel werden die Dämonen, um genau zu sein, der Sukkubi und Seelenräuber die sogenannten „Isomäre“, werden nur ein paar Jahrhunderte alt. Dennoch ein sehr langes leben, in Menschensaugen.“
Ich schluckte. Domenique würde nicht ewig leben?
„Genau wie die Liquid, die Wasserwesen. Sie werden genauso alt, wie die Dämonen. Dabei sind sie in zwei Teile gespalten. Männchen und Weibchen sind zwei verschiedene Arten.“
„Wie darf ich das verstehen?“, fragte ich verwundert.
Sascha zuckte mit den Achseln. „Niemand weiß warum das so passiert ist, sie haben sich einfach auseinander heraus entwickelt.“ Er grinste mich frech an.
„Die Weibchen“, sagte Domenique wieder zu mir gewandt, „nennt man auch Meerjungfrauen. Sie verwandeln sich, wenn sie mit Wasser in Berührung kommen. Halb Mensch halb Wasserwesen.“
Nichts scheint mehr Legende oder Märchen zu sein. Sascha sprach zügig weiter. Stritten sie sich jetzt etwa darum, wer weiter erzählen durfte?
„Die Männlichen Wesen sind dabei total verschieden. Man nennt sie auch die Wasserbändiger, Sophran. Wie der Name schon sagt, beherrschen alle männlichen Liquid das Element des Wassers.“
„Wow“, flüsterte ich, als die Stille die Oberhand gewann.
Beide nickten. Wie eingefroren saß ich auf de Stein und lauschte weiter ihren Worten. Es hätte alles ziemlich unwirklich geklungen, wenn ich es tatsächlich nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.
„Habe ich irgendetwas vergessen?“, fragte Sascha, Domenique.
Sie nickte. „Ja.“ Grinsend sprach sie weiter:„ Du kennst doch Nico, nicht wahr?“
Mit großen Augen sah ich sie an. „Woher weißt du das?“
Sie kicherte. „Ich habe euch öfters zusammen gesehen.“
Ich nickte.
Eifrig sprach sie weiter. „Nico ist seit ein paar tagen ein besonderer Drache. Vorher steckte er noch in der Entwicklung, er war ein Jioras, ein Jüngling. Das heißt, dass er noch nicht ganz ausgewachsen war, was in Drachenjahren gezählt wird. Ein Drachenjahr, sind zehn Menschenjahre. Außerdem gibt es drei unterschiedliche Arten. Wie eben genannt, Jioras.
Dann noch die Lorias, dass sind welche die keine besonderen Talente, oder in keiner Familie rein geboren wurden, die vom Adel abstand.“ Sie machte eine kleine Pause.
„Und Nico ist ein „Lorias“?“, fragte ich.
Sascha schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er schnell, „wenn du das je zu ihm sagen würdest, wäre er zutiefst gekränkt.“
Domenique seufzte und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sie.
„Die dritte und letzte Art sind die Schandoras. Die Kaiserdrachen. Sie stammen von einem Schandora ab, oder haben besondere Talente oder Fähigkeiten. Nico besitzt die Gabe der Harmonie. Das bedeutet soviel wie, er kann seine Mitwesen beeinflussen.
Jeder Drache, außer dem Jüngling, muss besonderen Schmuck am Körper tragen. Wenn sie diesen abnehmen, verwandeln sie sich. Je nachdem wie wertvoll der Drache ist, desto edleren Schmuck trägt dieser. Nico stammt vom Herrscher des Drachenvolks ab, seinem Vater.
Ich runzelte die Stirn. „Ich habe Nico schon seit Tagen dieses komische Amulett tragen sehen. Er meinte, es stamme von seinem Vater.“
Sascha nickte. „Das hat er von seinem Vater bekommen, zur Gratulation, ein Schandora geworden zu sein. Nicht alle schaffen das.“
„Aber warum ist er hier bei uns?“, fragte ich betrübt. War ihm was passiert – oder seinem Vater?
Leise antwortete Sascha:„ Das müsstest du ihn selber Fragen. Er … beantwortet uns nie diese frage, jedenfalls uns nicht.“ Er zwinkerte mir zu.
„Das hat Zeit“, sagte Domenique streng, „Lass sie selbst erstmal verstehen.“
Sascha nickte.
Doch dann fiel mir wieder etwas völlig anderes ein. Was war mit Marco?
Ich tippte auf Domeniques Schulter, die sich gerade angestrengt mit Sascha unterhielt, in einer Sprache, die ich nicht kannte.
„Marco…“, flüstere ich nur. „Ist er…?“
Wie lächerlich! Waschlappen! Ich konnte nicht mal das Wort Vampir aussprechen!


Sie nickte. „ja, er ist ein Vampir, ein geborener. Keine Angst, er ist genauso alt wie du, na ja zumindest in deinem Alter. Soviel ich weiß, ist er ein Jahr älter als du, das war’s aber auch schon. Was besonders an ihm ist, er ist schon ausgewachsen und altert nicht mehr.“
Das hatte ich mir schon gedacht. Ich kannte ihn seit meiner Kindheit. Er war genauso klein wie ich gewesen, immer hatten wir zusammen gespielt.
Ich war enttäuscht, von ihm und sogar von mir. Ich hätte eigentlich sauer auf ihn sein sollen, oder Angst verspüren sollen. Doch nichts der Gleichen fühlte ich. Nur Erleichterung, endlich nicht mehr die Ausgeschlossene zu sein.
„Ich solle langsam gehen, ich bin ziemlich müde.“
„Natürlich – so siehst du auch aus.“ Sascha lachte lauthals los. Ich verengte ein Stück meine Augen und wandte mich an Domenique.
Aber Sascha kam mir zuvor. „Ich nehme dich schon mit, Kleine. Keine Angst.“
Ich seufzte und nahm an. Ich war zu müde und wollte, dass dieser Tag endlich endete.
Domenique drückte mich noch einmal zärtlich und winkte uns zum Abschied. Danach verschwand auch sie.
Sascha fuhr mich nach Hause, mit seinem neuem „Herbstauto“. Wie konnte man nur für jede Jahreszeit, ein anderes Auto haben? Ich verstand es einfach nicht.
Als er vor der Einfahrt anhielt, fragte er mich:„ Sehen wir uns Montag?“
Ich nickte und drückte auch ihn kurz.
Es war schon ziemlich spät als ich oben in der Wohnung ankam. Marco war nirgends zu sehen. Ob er wieder bei seinem Vater war? Ich wusste es nicht und wollte heute nichts weiter, als mein Bett und viel schlaf.
Ich war so müde, dass ich gleich kurz nach meinem Ankommen es gerade noch rechtzeitig ins Bad geschafft hatte, meine Zähne geputzt und in mein Nachthemd geschlüpft war.
Danach fiel ich ins Bett, rollte mich zusammen und genoss die friedliche Stille.


Impressum

Texte: Die Geschichte und die Charaktere sind von mir. Das Cover habe ich selber verändert.
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen Bruder, er hat mir viel Stoff zum nachdenken geben, was ich umgesetzt habe. Danke dir!

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