Prolog:
Ich war gerade auf der Umreise. Als kleiner Junge hatte ich schon immer den Traum, in einer Stadt am Meer zu leben. Leider fehlte mir stehts die Zeit, in solch eine zu reisen. Immer war etwas dazwischen gekommen – aber diesmal nicht. Dieses Mal war mir mein Ziel klar. Es war zwar schon eine Weile her, dass dies mein Traum gewesen war, aber sollte man Wünsche nicht erfüllen? Außerdem musste ich zugeben, ein bisschen gelangweilt war ich von meinem Leben auch. Ich brauchte eine Veränderung. Eine neue Stadt, neue Leute, ein neues Leben.
Ich war in einem Dorf angelangt, nicht weit entfernt vom Atlantischen Ozean. Auf der Straße waren nicht viele Leute zu sehen, nur vereinzelte Gestalten, die einem fast Fehl am Platz vorkamen, aber was sollte man in solch einer Stadt auch machen. Die Häuser waren alle entweder uralt, eingefallen oder wie es schien, unbewohnt. Eine Straße weiter konnte ich einen kleinen Bäcker ausmachen, doch das war der einzige Laden den weit und breit entdecken konnte. Mir schien ich befand mich in einer Geisterstadt, keine Menschen weit und breit, nur Stille und Wind. Fast schon wäre es gruselig gewesen, wenn ich nicht ich gewesen wäre.
Plötzlich beunruhigte mich etwas. Ich spürte Schwingungen. Schwingungen die aus einem der Häuser kamen. Natürlich musste ich mich nicht lange umblicken, diese Schwingungen waren mir nur allzu bekannt. Sobald ich sie spürte, wusste ich auch, wo ich sie finden würde. Sie kamen von nicht weit her, im Gegenteil: sie strömten aus einem naheliegenden Haus zu mir.
Das Haus war groß, es erinnerte mich an ein Krankenhaus, aber hatte nicht die Größe eines gewöhnlichen und sah ziemlich alt und mitgenommen aus. Die Wände des Gebäudes waren größtenteils weiß, aber man konnte noch die hellbraune Grundfarbe erkennen. Höchstwahrscheinlich war es schon älter und hatte nie wirklich Nutzen gehabt.
Eigentlich wollte ich weitergehen, aber etwas hielt mich davon ab. Die Schwingungen? Von Natur aus war ich ein ziemlich neugieriger Mensch, aber so schlimm war es niemals gewesen. Das konnte keinesfalls normal sein, ich hätte schon längst weiter gelaufen sein müssen. Wenn ich Miami noch rechtzeitig erreichen wollte, sollte ich mich langsam beeilen. Doch ich konnte nicht, ich musste den Schwingungen folgen. Etwas zwang mich dazu.
Ich trat in das Gebäude ein, natürlich hatte ich recht, es war ein Krankenhaus, nur eine viel kleinere Version dessen. Von innen wirkte es anders als von außen. Die Wände waren bunt gestrichen, nicht wie in anderen Krankenhäusern, wo die Wände immer weiß und kalt waren. Nein, hier verspürte ich so etwas wie Wärme und Trost, was fast schon angenehm war.
Auf den Fluren konnte ich ein paar wenige Ärzte ausmachen, na gut, um ehrlich zu sein sah ich nur einen, aber trotzdem wirkte alles ziemlich seriös. Je weiter ich ins Gebäude hinein lief, desto stärker wurden die Schwingungen.
Als ich im Wartezimmer angelangt war, wurde mir klar, dass ich mehr oder weniger der einzige Besucher hier war, was mich nicht wunderte. Was sollte man auch von so einem kleinen Dorf erwarten.
Vor mir ragte eine Ärztin auf, sie musste die Dame sein, die kontrollierte, wer in welches Zimmer zu welchem Patienten ging, aber das war keinerlei Problem für mich, mit so etwas kannte ich mich gut genug aus.
Ich blieb kurz stehen um sie zu mustern. Sie hatte schwarze auf die Schulter fallende Locken, die ziemlich trocken und strapaziert aussahen. Auf den 1. Blick war mir klar, dass sie wahrscheinlich Eheprobleme hatte, aber sich die Kosten für eine Therapie nicht leisten konnte.
Als sie mich bemerkte, wurde mir klar, dass ich endlich los gehen sollte. Am Ende würde sie mich noch ansprechen. Sie senkte kurz den Blick, um etwas auf ihrem Tisch abzuchecken, was für der perfekte Augenblick war. Ich ergriff die Gelegenheit. Bevor sie sich wieder aufrichteten konnte, war ich schon verschwunden.
Während ich um die Ecke bog, konnte ich noch den verwirrten Blick von ihr sehen, was mich leicht zum Kichern brachte. Die jahrelange Übung hatte wohl doch etwas gebracht.
Ich lief an verschiedenen Sälen vorbei und begegnete ein paar Ärzten, bis ich endlich vor einer Tür stand. Aus diesem Zimmer musste es kommen, ich spürte es. Solch eine Schwingung hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie verspürt. Einen Moment wartete ich vor dem Zimmer, um mich auch zu vergewissern, dass niemand im darin war, doch ich hörte nur das leise Schnarchen einer Frau. Also drückte ich ganz leise die Klinke herunter und schlich mich ins Zimmer. Was ich dort sah, hatte ich nicht erwartet.
Es war ein normales Patientenzimmer. Die Fenster waren geöffnet und eine kalte Brise kühlte den Raum. Das Zimmer war normal ausgestattet, ein Bett und ein Fernseher, der vermutlich nur 3 Programme hatte, sonst nichts. Aber den Räumlichkeiten schenkte ich nur 1 Sekunde meiner Aufmerksamkeit. Was mich viel eher in den Bann zog, war die Frau, die auf dem Bett lag und das Baby, dass sie in den Armen hielt. Sie musste wohl gerade aus dem OP gekommen sein, denn ich konnte noch ihr Blut riechen. Musste wohl ein Kaiserschnitt gewesen sein.
Neben dem Bett der Mutter stand noch ein weiteres, kleineres, in dem noch ein Baby lag, doch dieses erregte keines Wegs meine Aufmerksamkeit. Die arme Frau, war mit ihrem Kind im Arm eingeschlafen und keiner half ihr. Die Situation war fast schon traurig, ein Neugeborenes und ihre Mutter, ganz alleine. Ihr war deutlich anzusehen, wie fertig sie war. Sie hatte schwarzes Haar und olivfarbene Haut. Auf ihrer Stirn konnte ich ein paar Schweißtropfen ausmachen, die Geburt musste sie ziemlich mitgenommen haben. Aber ihr Kind. Es widersprach allem. Es war bleich wie der Mond und hatte schwarze Augen, die mich direkt anstarrten. Augen wie ich. Pechschwarz, wie ein schwarzes Loch. In meinem ganzen Leben hatte ich noch kein Kind mit meinen Augen gesehen, da fiel es mir wieder ein. Endlich hatte ich sie gefunden.
Ich bemerkte, dass ich immer noch vor der geschlossenen Tür stand, aber ich schätzte, dass nur etwa 2 Sekunden vergangen waren, seit ich eingetreten war. Schließlich ging ich näher heran, um mir das Neugeborene genauer anzusehen. Ich beugte mich über die Bettkante und war nun genau vor ihrem Gesicht.
Intensiv spürte ich ihren Atem und die Schwingungen, die mein Gesicht trafen. Sie gingen ganz klar von ihr aus. Ich konnte schon einen Haaransatz erkennen, später mussten es eindeutig blonde Haare werden. Als ich ihr in die Augen sah, wusste ich, dass sie es war.
Ich schreckte auf, denn plötzlich waren Schritte vom Flur zu hören, welche höchstwahrscheinlich auf dieses Zimmer zusteuerten. Diese Person war vielleicht noch 2, 3 Sekunden von mir entfernt. Ich beugte mich erneut zu dem Baby runter und flüsterte:
''Du wirst mein sein.'' ,als die Mutter plötzlich ihre Augen aufschlug.
Leslie
Ich sah in den Spiegel und verspürte auf ein neues Hass. Alles an mir, meine schwarzen Haare, meine schwarzen Augen, meine bleiche Haut, alles schien mir falsch. Niemand hatte das verdient, nicht ich, nicht ein Fremder, niemand. Und doch war ich es, die es ertragen musste. Wie oft stand ich vor dem Spiegel und stellte mir nun schon diese Fragen: Warum ich? Konnte es nicht jemand anderes treffen? Was hatte ich getan?, doch es brachte alles nichts. Dies war mein Leben, mein Schicksal, mein Verdammnis. Sich darüber aufzuregen würde sowieso nichts ändern. Nichts würde etwas ändern.
Mit trauriger Miene betrachtete ich mich. Meine Mundwinkel hingen herab, ein vertrauter Gesichtszug. Manchmal fragte ich mich, wie ich wohl durch die Welt lief. Keiner bemerkte meinen Schmerz, aber wer sollte auch. Ich hatte keine Freunde, niemanden, dem es auffallen könnte. Warum verweilte ich eigentlich immer noch auf diesem Planeten. Was hatte sich Gott dabei gedacht, mich zu erschaffen. Er hatte mich erschaffen, damit ich leide. Damit ich fühlen konnte, wie es anderen Leuten ging, damit ich anderen Leuten Schmerz zufügen konnte. Er hatte mit mir einen Fehler gemacht; einen gewaltigen Fehler, den er nun nicht mehr rückgängig machen konnte. Nicht das erste Mal wurde mir klar, dass Gott auch Fehler machte. Niemand war perfekt und so Gott wohl auch nicht.
Meine schwarzen Haare glänzten, sie sahen anmutig aus, fast schon atemberaubend, doch ich wollte sie nicht. Ich erinnerte mich daran, wie sie hätten sein können, wenn mein Leben nicht so verlaufen wäre. Vielleicht wären sie braun, oder vielleicht sogar blond geworden. Vielleicht hätte ich blaue Augen bekommen, oder grüne. Alles wäre erträglich gewesen, solange es nicht so wäre, wie es nun war.
Krampfhaft schloss ich meine Augen, um mir die Träne zu verkneifen, die sich meine Wange herunter schleichen wollte, doch es war zu spät. Schön spürte ich, wie die warme Flüssligkeit langsam an meiner Haut herunter lief. Ohne ein Laut zu machen, wischte ich sie weg und sah noch ein letztes Mal in den Spiegel. Genug Leid für heute. Mehr konnte ich an diesem Tag nicht mehr ertragen. Wer wusste, was passieren würde, wenn ich länger hier sitzen bleiben würde. Wem würde ich mein Leid als nächstes antun? Es schmerzte mir, andere Leute zu verletzten, doch ich hatte keine Wahl. Sie sollten meinen Schmerz spüren, wie ich ihn spürte.
Langsam wandte ich mich vom Spiegel ab, doch das Gefühl, unnütz zu sein, blieb an mir haften.
Es war früh morgens, die Sonne stand schon am Himmel, doch es war keinerlei Wärme zu verspüren. Diese Jahreszeit hatte ich noch nie verstanden.
Frühling. Man wusste nie, ob und wann es warm werden würde. Manchmal ist man erstaunt über das Wetter, doch wenn man nicht aufpasst, wird man sofort getäuscht. Es fängt an zu regnen und plötzlich fühlt man sich wieder wie im kältesten Winter.
Mit leisen, fast anmutigen Schritten schlich ich durch das Wohnzimmer. Man könnte meinen, ich tat das, um keinen aufzuwecken, doch die traurige Wahrheit war, dass es niemandem gab, den ich hätte stören können. Ich war alleine in diesem gottverlassenen Haus. Wie oft schon hatte ich mir gewünscht, eine Mitbewohnerin zu haben, eine Freundin, die mir helfen konnte, doch ich wusste, es wäre falsch. Am Ende würde sie sowieso tot sein und ich würde erneut Hass auf mich verspüren. So war es besser.
Um meine Gedanken loszuwerden, schüttelte ich demonstrativ den Kopf. Ich hatte das Bad fast erreicht, mein Ziel, mein Ort der Erlösung. Er war meine Freundin, der Ort, bei dem ich mich geborgen fühlte. Jedenfalls für wenige Momente.
Ohne weiteres Zögern öffnete ich die große, weiße Tür, die sich nun vor mir erstreckte und steuerte schnurstracks auf die Kommode zu. Schnell holte ich ein rotes Handtuch heraus, welches fast schon so aussah, als wäre es mit Absicht rot. Das ließ ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen, welches jedoch sofort wieder verschwand.
Ich setzte mich auf den Boden und zog meine Hose aus. Meine Beine hatten viele Narben, die mich nur daran erinnerten, wie viele Tage ich schon hier gesessen war, um mir den Schmerz abzunehmen, mich vor ihm zu verstecken. Und doch hatte es nichts geholfen. Nichts würde mir helfen. Nichts. Nichts. Nichts.
Niemals.
Aus einer Schublade nahm ich mir eine Rasierklinge und führte sie zu meinen Beinen, auf die ich noch einen letzten Blick warf. Ich nahm tief Luft und fügte mir lächelnd eine weitere Wunde zu, die früher oder später zur Narbe werden würde.
Ein einziger kleiner Bluttropfen lief an meinem Oberschenkel herunter. Ein Tropfen, der so viel beschrieb. Die Erlösung, das Brennen, wenn ich meine Hose wieder anzog, den Schmerz, der mich ablenken würde, wenn es mir erneut schlecht gehen wird. Ein Tropfen, der mich auf ein Neues von meinem Leben erlöste.
Elle
»Nein, Gerard, wir können das nicht machen. Nicht jetzt, nicht hier. Nicht so.«
Ich versuchte ihn wegzudrücken, allerdings mit wenig Erfolg. Er zog mich noch fester an sich, lächelte mich an und drückte mir seine Lippen auf den Mund. Sein Wärme umschlang mich auf ein Neues und ich war versucht es zuzulassen. Doch ich konnte nicht, egal wie angenehm es war. Verzweifelt versuchte ich mich zu wehren, doch er war zu stark für mich. Von ihm konnte man nichts anderes erwarten, immerhin war er Captain des Baseball Teams und ging außerdem jedes Wochenende ins Fitnesscenter.
Ohne Chance auf einen Ausweg trat ich ihn mit meinem Bein, was ihn kurz aus der Fassung brachte. Ich nutzte den Moment um mich aus seinen Armen zu befreien.
»Nein! Hör auf!« zischte ich.
Diesmal tat er , was ich sagte. Sofort wich die Aufregung aus seinen blauen strahlenden Augen, denn ihm wurde klar, dass es nichts mehr bringen würde, mich weiterhin zu küssen, meine Entscheidung stand fest. Außerdem wollte er mich bestimmt zu nichts zwingen. Ein langer Moment verging, in dem er mich einfach nur ansah, denn er war ziemlich aus der Puste und musste sich erst fassen. Sein Brustkorb hob sich einige Minuten schwer und sank dann wieder, bis er schließlich immer flacher atmete. Seine blonden Haare waren zu einer Mähne aus tropfnassen Strähnen geworden, die mich leicht anekelten. Schweiß war noch nie mein absoluter Anturner gewesen.
»Ach komm schon Elle, warum nicht? Wir sind jetzt schon seit 9 Monaten ein Paar, meinst du nicht, es wäre langsam mal Zeit, den nächsten Schritt zu wagen?« hörte ich ihn bittend sagen.
Schnell suchte ich mir einen Punkt im Zimmer, denn ich konnte ihm in diesem Augenblick nicht in die Augen sehen. Ich wusste, seine Augen würden mich voller Schmerz anschauen, enttäuscht und verletzt. Ein schlechtes Gewissen wollte ich mir nicht erneut machen lassen. Nur zu gerne würde ich nachgeben, ihn einfach machen lassen, aber ich wollte nun mal nicht, dass mein erstes Mal hier stattfand. Eigentlich war ich eines dieser Mädchen, die sich ein schnulziges und total romantisches erstes Mal mit Kerzen und Rosen, wie es in Filmen immer dargestellt wurde, vorstellte.
»Ich... ich weiß doch Gerard, aber ich bin einfach noch nicht soweit. Kannst du das nicht verstehen? Und außerdem ist das hier nicht der richtige Ort für so etwas!«
Um meine Worte zu verstärken, schaute ich mich im Raum um und betrachtete einen Moment die Hockeyschläger, die wir erst heute im Sportunterricht benutzt hatten, ein Trampolin und sogar die Pokale, die das Volleyballteam letztes Jahr geholt hatte. Und hier sollte ich meine Jungfräulichkeit verlieren? Auf einer Weichbodenmatte in der Garage für die Sportgeräte? Nein, mein erstes Mal sollte etwas besonderes werden. Ein unvergesslicher Moment. Etwas, was man seinen Kindern später mal erzählen konnte, damit sie auch auf den richtigen Moment warten würden. Damit sie sich ein Vorbild an einem nehmen könnten. Da wäre es wohl nicht sehr passend, zu erzählen, dass man seine Jungfräulichkeit mit 16 in einer Garage verloren hatte.
»Aber ist es hier nicht gerade so perfekt, weil es so außergewöhnlich ist? Ich meine, wer kann schon von sich behaupten sein erstes Mal in einem Geräteschuppen gehabt zu haben?«
Er meinte diese Frage wirklich ernst, was mich nicht groß wunderte. Gerard war schon immer etwas grob gewesen. Dennoch fiel meine Mundklappe nach unten. Wie konnte er in diesem Moment so unverschämt und egoistisch sein?
Vielleicht könnte er das seinen Freunden stolz erzählen, aber ich würde mich nur dafür schämen. Im ersten Moment fragte ich mich, was wohl meine Eltern dazu sagen würden, doch dann wurde mir klar, dass sie es in zehn Jahren nicht heraus finden würden, wenn ich mit einem Jungen geschlafen hätte. Sie würden ja nicht mal merken, wenn ich ausreisen, das Haus verkaufen oder noch schlimmer, mich umbringen würde.
Aber Trish, meine Beste Freundin, würde sich darüber lustig machen.
Langsam gingen mir die Ideen aus, ich wusste nicht mehr was ich ihm noch sagen sollte. Er war stur und würde sowieso nicht auf mich hören. Mir war klar, er würde es nur immer weiter versuchen, ohne dabei auf meine Gefühle zu achten.
Langsam stand ich auf und ging zur Tür. Nur noch weg von hier, das war mein Ziel. Es war die einzige Möglichkeit, ohne noch mehr Schwierigkeiten aus dieser Situation heraus zu kommen.
Kurz davor blieb ich stehen und sah ihm in die Augen. Ich hatte Recht, er sah mich bittend an, flehte praktisch darum, dass ich doch zu ihm zurückkehrte und wir da weitermachen konnten, wo wir stehen geblieben waren.
Aber es half alles nichts, ich war noch nicht bereit dazu. Selbst wenn ich breit dazu gewesen wäre, würde ich mich nicht so leicht dazu bringen lassen. Er müsste sich schon etwas besser einfallen lassen, als mir in der Geschichtsstunde eine SMS mit dem Inhalt bitte komm in der Pause in die Sporthalle zu schicken. Womöglich würde uns hier noch jemand erwischen, und dann könnte ich meinen Schulabluss sofort vergessen und das kam für mich überhaupt nicht in Frage, immerhin wollte ich meinen 1,3 Schnitt noch verbessern, um nach der Schule auf ein gutes College gehen zu können, um meinen Lebenstraum, Arzt zu werden, zu verwirklichen.
»Gerard, das Gespräch hatten wir doch schon. Ich dachte wir wären uns einig, dass wir noch eine Weile warten.« bat ich.
Jetzt stand auch er auf und ging zu mir, nahm meine Hand in seine und sah mir fest in die Augen. Es sah aus, als würde das, was er gleich sagen würde, ihn viel Überwindung kosten, aber ich wusste schon was er sagen wollte, bevor er es aussprach.
»Ich verstehe. Wenn du mich nicht liebst, dann ist es wohl das Beste, wenn wir das
hier schnellstmöglich beenden. Ist es das, was du willst?« fragte er ohne eine Miene zu verziehen. Der grobe, immer mehr zum Arschloch werdende Gerard kam zum Vorschein, den ich noch nie leiden konnte, der aber immer öfter zum Vorschein kam.
Als ich mit Gerard Einmonatiges hatte, überraschte er mich mit einem wunderbaren Tag...
Es klingelte unerwartet an der Haustür - ich konnte mir nicht vorstellen, wer uns an einem Sonntag besuchen sollte. Ein Glück hatte ich schon geduscht und meinen Schlafanzug durch frische, anschauliche Kleidung getauscht, denn als ich die Tür öffnete, stand Gerard mit einem wunderschönen Strauß Blumen vor mir und streckte mir die Hand entgegen. Er schien aufgeregt und trug ein riesiges Lächeln auf dem Gesicht, was mich stutzig machte. Ein kleines Kichern entfuhr mir, bevor ich es verhindern konnte.
»Du glaubst nicht, wie sehr ich dieses Kichern liebe.« waren die einzigen Worte, die er zu sagen brauchte. Ohne mich weiterhin zurückhalten zu können, fiel ich ihm in die Arme und drückte ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Gerard legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. Natürlich erwiderte ich sein Bedürfnis. Ich drückte meinen Oberkörper an seinen und fuhr mit meiner Hand durch seine Haare. Würde das nicht bald aufhören, würde ich die Kontrolle über mich womöglich ganz verlieren, doch ich wollte nicht aufhören. Mein Herz pochte schnell und ich fing an zu schnaufen, während seine Hände das Ende meines T-Shirts suchten.
Nein. Sagte ich mir. Das ging mir zu schnell. Ich wachte aus meinem Halbtraume auf und wandte mich leicht ab von ihm. Lächelnd fuhr er mit seiner Hand über meine Wange, als wisse er, was in mir vorging. Er drückte mich einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
»Ist ok. Das weißt du doch. Keine Eile, Elle.«
Er überreichte mir den Blumenstrauß, der durch den heftigen Begrüßungskuss ein wenig eingedrückt war. Mit breitem Lächeln nahm ich ihn an und trug ihn schnell in die Küche, wo ich ihn in eine Vase, gefüllt mit Wasser, stellte, bis ich kurz darauf bemerkte, dass Gerard mir gar nicht gefolgt war. Suchend ging ich zurück zur Tür. Er lehnte sich in den Rahmen, Arme ineinander verschränkt.
»Willst du denn nicht reinkommen?« fragte ich stirnrunzelnd. Er legte den Kopf schief und grinste mich frech an, als würde er mich zu etwas auffordern. Auffordernd hob ich meine Arme in die Luft, doch noch immer sprach er nicht. Also zog ich ihn erneut zu mir und drückte mich an ihn. Ich liebte seinen Geruch, seine Haare. Seine Lippen. Ihn.
Moment.
Das hatte ich noch nicht zu ihm gesagt. Ich würde auf den richtigen Moment warten. Oder sollte ich es nicht doch jetzt tun? War dieser Punkt nicht perfekt? War das nicht jeder Moment? Entschlossen wich ich von ihm und öffnete meinen Mund, um die gefühlvollen Worte loszuwerden, doch er kam mir zuvor.
»Für unser Einmonatiges habe ich mir etwas anderes ausgedacht. Dazu müsstest du aber mit mir mitkommen.« stellte er klar und nahm meine Hand. Schnell zog ich mit meiner freien Hand die Schuhe aus der Wohnung hervor, denn Gerard war zu geblendet von seinem Plan, um zu merken, dass ich in Socken vor ihm stand. Er führte mich zu seinem Auto, öffnete mir die Tür und ich stieg dankend ein und zog mir kichernd die Schuhe an. Ich hatte den tollsten Freund der Welt.
Der Abend wurde wundervoll. Wir fuhren zu einer märchenhaften Wiese, die sich vor einem großen Berg befand und die größtenteils aus aufgegangenen, farblich perfekt passenden Blumen bestand und picknickten, bis es schließlich dunkel wurde. Die meiste Zeit verbrachte ich in seinen Armen, und als schließlich das Feuerwerk, welches er allein für mich organisiert hatte, losbrach, zog ich ihn noch fester um mich. In seinen Armen fühlte ich mich geborgen und ich schwor mir, ihn nie wieder gehen zu lassen.
An diesem Abend sagte ich ihm nicht, dass ich ihn liebte. Geblendet von seinen wunderschönen Augen, vergaß ich ganz und gar, welches Ziel ich mir eigentlich gesetzt hatte...
Ich hatte keine Lust auf Streit und wusste, wenn ich jetzt etwas falsches sagen würde, würde ich ihn verlieren. Den Jungen, den ich damals am See kennen gelernt hatte, mit dem ich mich von Anfang an super verstanden hatte, mit dem ich schon so viel erlebt hatte. Verzweifelt seufzte ich und hoffte, das würde mir ein bisschen mehr Zeit zum Nachdenken verschaffen. Ich öffnete schon meinen Mund um mich zu äußern, als die Schulglocke läutete. Meine Erlösung.
»Können wir das Gespräch bitte verschieben? Ich hab jetzt Mathe und du kennst doch meinen Lehrer. Ich darf nicht zu spät kommen!« erklärte ich schnell. Er kaufte mir diese Ausrede ab. Gerard war nun mal nicht der Hellste.
Zum Abschied drückte ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, um ihn am Sprechen zu hindern und rannte aus der Garage.
Hinter mir hörte ich noch ein leises Aber...!,doch das hielt mich nicht davon ab weiter zu rennen. Später würde ich mit einer Packung Pralinen zu ihm kommen und mich entschuldigen. So wie ich Gerard kannte, würde er nicht widerstehen können und den Streit sofort vergessen, würde mich in seine Arme nehmen, mich wärmen, mir ins Ohr flüstern, wie sehr er mich liebte und dass es nichts geben würde, was uns trennen könnte. Den liebevollen Gerard, den ich so liebte und nicht diesen aufdringlichen, groben Gerard, der mich zu etwas zwang, was ich nicht wollte.
Nach kurzem Überlegen entschied ich mich allerdings dafür, ihm noch eine Chance zu geben. Immerhin war keiner perfekt und ich liebte ihn nun mal. Vielleicht würde er eines Tages doch wieder zu seinem alten Ich werden, welches ich von ganzem Herzen vergöttert hatte.
Endlich weit genug von der Sporthalle entfernt, ohne zu befürchten, dass er mir noch nachrannte. Ich stoppte, atmete lange aus, schüttelte mich ein Mal durch, um das Geschehene zu vergessen, und ging mit verlangsamten Schritt Richtung Klassenzimmer.
Gerard
Sie ließ mich einfach stehen, alleine, in der dunklen Kammer. Mein Körper war heiß gelaufen. Ich war wütend. Verwirrt. Ich die Energie loswerden. Mit allen Poren spürte ich, wie die Wut in mir hoch stieg und ich hatte keine Lust, sie zurück zu halten. Elle hatte mich abgeschoben, schon wieder. Das würde ich mir nicht länger gefallen lassen. Nun waren wir schon mehrere Monate zusammen und es war endlich Zeit, es zu tun. Ein Mann hatte immerhin auch Bedürfnisse! Und außerdem hatte ich schon die Wette mit Joe und den anderen aus dem Team gemacht und konnte nicht riskieren, dass ich Geld von meinem Konto abheben musste, das ich so mühselig gesammelt hatte.
Das Geld, dass ich gespart hatte, um mir ein eigenes Auto zu kaufen.
Das Auto, mit dem ich in den Urlaub fahren würde.
Das Auto, in dem Elle sitzen würde und mich vom Beifahrersitz aus anschauen würde.
Das Auto, in dem unsere Kinder eines Tages tollen würden.
Das Auto, das später mal unser Sohn bekommen würde.
Das Auto, mit dem unsere Kinder später zu unserer Beerdigung fahren würden.
Ich durfte diese Wette nicht verlieren. Es ging nicht nur um das Auto, es ging auch ums Prinzip. Mein Stolz ließ mich nicht aufgeben.
Während ich nachdachte, bewegte ich mich kein Stück. Als mir schließlich auffiel, wie starr ich gewesen war, ließ ich mich auf die Weichbodenmatte sinken. Minuten verstrichen, vielleicht Stunden, Tage, in den ich einfach nur da lag und an nichts dachte. Die Zeit schien etwas Unwichtiges zu sein, etwas, worauf man nicht achten müsse. Ich wollte nicht wieder in den Unterricht, geschweige denn nach Hause, ich war nicht in Stimmung dazu. Alles was ich wollte, war Elle. In allen Zügen. Ich wollte sie riechen, schmecken, wie ich es schon so oft getan hatte. Doch ich wollte mehr. Ein Gedanke schlich sich in mein Gehirn, dass sie nicht gleich empfinden würde wie ich. Mit der zur Faust geballten Hand schlug ich gegen meinen Kopf, um diese Vermutung zu vernichten, zu zerstören. Nicht. Elle würde mich niemals verlassen. Ich war Gerard, DER Gerard, mit dem sich jedes Mädchen dieser Schule gerne treffen würde, das war mir klar. Doch ich wollte nur eines: Sie und zwar für mich allen.
Elle
Auf dem Gang standen unerwartet noch mehrere Leute, die mir zuwinkten. Es hatte Vorteile beliebt zu sein, jeder kannte und respektierte einen, aber in diesem Moment wünschte ich mir nichts anderes, als unsichtbar zu sein. Ich wollte einfach nur in Mathe bei Parabeln oder was wir zur Zeit hatten einschlafen und alles vergessen, was mir gerade passiert war, aber man war eben nicht nur einen Tag beliebt, sondern immer.
Freundlich winkte ich allen zu und ging schnell weiter, damit mich nicht noch jemand ansprach.
Zu meinem Unglück stieß ich auch noch auf Lisa und ihre Freundinnen, so ziemlich die Einzigen an dieser Schule, die mich nicht ausstehen konnten. Lisa hasste mich schon seit dem Kindergarten, weil meine Eltern mich einmal vom Kindergarten abgeholt hatten und ihre sie nicht. Eine total überflüssige Streitigkeit, aber wenn sie sie für nötig hielt. Mich scherte das kein bisschen. Außerdem warf sie mir vor, ich hätte ihr meinen früheren Freund Louis ausgespannt. Das meinte sie jedenfalls... Ich konnte doch nichts dafür, dass Louis in mich verliebt gewesen war und das obwohl er mit Lisa zusammen war. Dann kam eben Eins zum Anderen. Außerdem war das in der vierten Klasse, meiner Meinung nach hätte sie jetzt längst schon längst darüber hinweg sein müssen, aber man täuscht sich eben manchmal. Früher war das noch nicht so schlimm, aber jetzt wurde sie immer unausstehlicher. Bestimmt lag es nur daran, dass mich jeder mochte und sie keiner ausstehen konnte, aber das würde sie niemals zu geben. Lieber würde sie sterben. Dabei bemerkte sie nicht einmal, dass mich dieses ganze Rumgezicke nicht runtermachte, sondern nur lächelnd den Kopf schütteln ließ.
Während ich an ihnen vorbei lief, lachten sie ziemlich offensichtlich über mich und Lisa schaute mich erheitert an. Wahrscheinlich sah ich noch ziemlich durchwühlt aus, doch das machte mir gerade nichts aus und ich wollte Lisa diesen Triumph nicht gönnen. Allerdings machte ich mir eh nichts aus den Meinungen von Lisa und ihren Freunden. Ich wusste, dass ich nicht gerade die hässlichste Person auf dieser Welt war und das reichte mir vollkommen.
Gerade als ich um die Ecke biegen wollte, stupste mich jemand an. Reflexartig setzte ich mein Allzeit-Lächeln auf, doch verlor es im nächsten Moment wieder, als ich erkannte, wer mich aufgehalten hatte. Es war Josh. Gerade jetzt hatte ich überhaupt keinen Nerv für ihn.
Sein braunes Haar, das ihm über die Stirn hing, war leicht nass, doch seine bernsteinfarbenen Augen blitzen trotzdem darunter hervor. Einen kurzen Moment war ich fasziniert von ihnen, fasste mich aber schnell wieder.
Hatte er etwa eben Sport gehabt oder war er nur so aus der Puste, weil er mir nach gerannt war? Ein Glück, dass er mich und Gerard nicht dabei erwischt hatte, wie wir zusammen in der Garage gestritten hatten. Er mochte Gerard nicht sonderlich. Ganz im Gegenteil: Er hasste ihn. Josh versuchte mir immer wieder zu sagen, ich sollte mit ihm Schluss machen, mich in jemand anderen verlieben. In ihn verlieben.
Doch ich ging ihm eigentlich so gut wie immer aus dem Weg. So gut wie es nun einmal ging. Wenn ich ihn auf dem Gang erblickte, bog ich schnell um die nächste Ecke, wenn ich ihn ins Klassenzimmer laufen sah, tat ich so, als wäre ich beschäftigt, immer darauf gefasst, dass er mich doch irgendwann einmal abfangen würde. Und nun war es dazu gekommen.
Aber er war nichts für mich, wir passten nun einmal nicht zusammen, was er auch langsam mal kapieren sollte.
Ich seufzte, ein wenig zu offensichtlich, woraufhin sein Lächeln verschwand und sein Blick zum Boden glitt.
»Hi... Josh. Na, was gibt’s?« fragte ich und gab mir Mühe heiter zu klingen. Ich wollte ihn nicht noch mehr kränken, wusste aber, er würde mich durchschauen. Dazu kannte er mich einfach zu gut.
Josh war schon ewig hinter mir her. Eigentlich sah er ziemlich gut aus, mit seinen braunen, schulterlangen Haaren und dem dünnen Körper, der nicht zu lang und nicht zu kurz war. Früher waren wir gute Freunde gewesen, aber nach dem Unfall konnte ich ihm einfach nicht mehr in die Augen blicken. Viel zu schmerzhafte Erinnerungen waren mit ihnen verbunden. Erinnerungen, an die ich mich nur ungern erinnerte. Erinnerungen, die bald wieder aufzuflackern schienen.
»Hi Elle. Du, ich wollte dich nicht lange aufhalten, also komme ich gleich zur Sache. Du fehlst mir. Seit dem Unfall haben wir nicht mehr viel miteinander geredet... wird sich das je wieder ändern? Ich will dich nicht als Freundin verlieren. Können wir das nicht einfach vergessen?« fragte er leise. Die Unsicherheit war deutlich in seiner Stimme zu hören.
Er schaute mich so liebevoll an, dass ich ihm nur zu gerne gesagt hätte, dass wir das wirklich konnten, aber es ging nicht. Eigentlich wünschte ich mir auch, dass es wieder so sein würde, wie früher. Ja, das wünschte ich mir das mehr als alles Andere auf der Welt, doch man konnte nichts ungeschehen machen, was bereits geschehen war. Dafür war es zu spät.
Ich schüttelte leicht den Kopf, woraufhin er gekränkt nickte und sich mit der Hand durch seine Haare fuhr. Eine Geste die ich nur zu gut kannte.
»Wir oder ich kann es nicht vergessen. Die Erinnerung hat sich in meinen Kopf gebrannt, ich denke zu oft daran, ich würde jetzt zu gerne anfangen zu weinen, aber ich darf nicht. Und wenn ich dich sehe, dann fällt es mir noch schwerer glücklich zu sein. Weißt du, es ist noch nicht lange her, und langsam fange ich wieder an, mich in mein Leben einzufinden und wenigstens ein bisschen zu vergessen, was passiert ist. Ich habe nicht mehr jede Nacht den Albtraum, der sich immer und immer wiederholt, aber trotzdem ist es nicht weniger schlimm. Es ist einfach zu viel passiert. Ich denke nicht, dass sich das je ändern wird...« erklärte ich vorsichtig und spürte wie mir eine Träne über die Wange lief, doch davon lies ich mich nicht beirren. Ich wusste, was zu sagen war und ich wollte es schnellstmöglich hinter mich bringen.
»...Es tut mir so Leid, was aus unserer Freundschaft geworden ist, wir haben uns früher so gut verstanden, du warst mein bester Freund, aber es geht einfach nicht mehr. Vielleicht wird sich das irgendwann ändern. Vielleicht wache ich eines Tages auf und denke: Mir geht’s klasse, ich sollte mit Josh reden! Aber bis es soweit ist, brauche ich Abstand...« fuhr ich langsam fort.
Er schloss die Augen. Wollte nicht, dass ich sehe, dass Tränen in seine Augen stiegen. Wollte nicht, dass ich ihn weinen sah. Nach einigen Sekunden sah er mich wieder an, mit so viel Sorge im Blick, dass ich fast aufgegeben hätte. Mich fast in seine Arme geschmissen hätte. Alles vergessen und einfach den Augenblick genossen hätte.
Ich war fast soweit nachzugeben, doch dann fiel mir wieder ein, wie fest entschlossen ich war, nicht aus der Fassung zu fallen und das hier zu beenden. Eigentlich wollte ich das schon längst hinter mich gebracht haben, aber ich war bisher zu feige gewesen, es ihm zu sagen. Ich sollte ihm danken, dass er von sich aus auf mich zugegangen war, denn ich selbst hätte es vermutlich nie getan.
»Aber du bist nicht glücklich. Ich sehe das doch. Denkst du, ich falle auf deine falsche Fassade rein? Wahrscheinlich merkt keiner wie es dir wirklich geht. Bestimmt nicht mal Gerard. Aber ich Elle, ich kenne dich. Ich kenne dich mehr, als jeder Andere und ich sehe wie es dir wirklich geht. Ich bitte dich nur um eins Elle. Gib mir eine Chance. Lass uns einen Nachmittag zusammen etwas unternehmen und danach kannst du mir sagen, ob ich verschwinden soll, oder ob ich bei dir bleiben soll. Es muss nicht so sein, wie es jetzt ist. Bitte Elle. Denk doch nur daran, wie es früher war. Willst du etwa, dass ich für immer aus deinem Leben verschwinde? Willst du wirklich die schönen Erinnerungen an die Erlebnisse, die wir haben, vergessen?« fragte er mit ernstem Blick. Die Tränen waren verschwunden, die Unsicherheit, er war plötzlich stark und entschlossen, was mich ein wenig verwirrte.
Sekunden lang sah ich ihm in die Augen. Natürlich wollte ich das nicht, alles in mir sträubte sich danach, ihm zu sagen, dass ich ihn vergessen wollte, aber es war genau das, was zu tun war. Es war besser so, für uns Beide. Keineswegs wollte ich ihn nicht verletzten, aber es ging einfach nicht anders.
Ich nickte zögerlich.
»Dich vergessen ist das, was ich will.« flüsterte ich, blickte ihm entschlossen einige Sekunden in die Augen, bevor ich mich schließlich umdrehte und ihn alleine, mit diesen verletzenden Worten, auf dem Flur zurück ließ.
Vor dem Klassenzimmer stand Trish. Sie wartete wohl auf mich, denn sie schaute immer wieder auf die Uhr während sie mit den Händen wild umher zappelte. Ganz offensichtlich hatte sie Angst vor Herr Schuster, was man ihr auch nicht verübeln konnte. Sie war sein Hauptopfer, diejenige, die er immer wieder an die Tafel holte und ihr unlösbare Aufgaben stellte.
Herr Schuster war die Art Lehrer, die ihren Frust an den Schülern ausließ und den es Spaß machte, anderen Leuten dabei zuzusehen, wie sie untergingen. Kurz fragte ich mich, was ihn wohl dazu brachte, so mit seinem Schülern umzugehen, ob er Stress mit seiner Frau hatte oder ob es doch Alkoholprobleme waren, die ihn plagten, doch das erschien mir alles unwahrscheinlich. Es musste etwas anderes sein. Ein Rätsel, dass ich wohl nie lösen würde.
Als sie mich sah, lächelte sie kurz und ging ins Klassenzimmer. Am Ende des Flurs sah ich Herr Schuster, mit seiner karierten Hose und seinem roten T-Shirt, welches er fast jeden Tag trug, der mit erhobenen Finger auf mich zulief, also legte ich einen Gang zu, und war kurze Zeit später am Klassenzimmer angelangt.
Bevor ich allerdings die Tür öffnete, prüfte ich mein Aussehen, denn ich musste noch ziemlich mitgenommen von der Unterhaltung mit Gerard aussehen.
Außer Puste setzte ich mich neben Trish, die ihre Haare nach hinten warf, während Marc an ihr vorbeilief, doch er schenkte ihr nicht mal einen kurzen Blick, sondern ging ohne sie auch nur zu bemerken zu seinem Tisch und lehnte sich geschmeidig über die Tischkante, was Trish wahrscheinlich gerade zum Schmelzen brachte.
Er hatte blonde, kurze Haare und dieses Lächeln, das jedes Mädchen zum Schmunzeln brachte.
Trish war schon seit einiger Zeit in ihn verliebt, aber er wies sie immer wieder ab. Selbst die Nachhilfe, die sie ihm angeboten hatte, da er letztes Jahr wegen einer Fünf in Englisch fast sitzen geblieben war, lehnte er nur dankend ab.
Was sie als nächstes vorhatte, um doch noch ein Treffen mit ihm zu erreichen, wusste selbst ich nicht und das musste schon etwas heißen, denn normalerweise platzte sie mit dem neusten Plan noch vor der Begrüßung heraus. Womöglich sollte ich sie danach fragen, doch ich war gerade nicht in Stimmung.
Stöhnend wandte sie sich zu mir. Ihre hellgrünen, heraus stechenden Augen, die perfekt zu ihren hellbraunen, schulterlangen Haaren passten, funkelten mich böse und traurig zugleich an.
»Ich werde Marc nie rumkriegen. Ich denke, ich sollte ihn aufgeben...« gab sie seufzend von sich.
Mir war klar, dass es nun an mir lag, ihr Mut zuzusprechen. Sie wartete darauf.
»Nein, bleib an ihm dran! Du bist doch die hübsche, sexy und verführerische Trish! Kein Junge kann dir widerstehen! Glaub mir, es braucht nur ein wenig Zeit.« beschwichtigte ich nickend.
Insgeheim aber dachte ich, dass sie ihn nie bekommen würde, da er ganz offensichtlich in seine Sitznachbarin Amber verliebt war. Die beiden flirteten immer wieder ziemlich öffentlich miteinander.
Ich konnte nicht einmal verstehen, warum er Amber so klasse fand, sie war nicht sehr hübsch und auch ein wenig pummelig, doch ich wollte nicht vorschnell urteilen. Sie musste wohl sehr nett sein, doch das konnte ich nicht beurteilen, da ich bisher nichts mit ihr zu tun hatte. Sie hielt sich strickt von den beliebteren Menschen fern, was ich nachvollziehen konnte. Selbst ich würde lieber mit durchschnittlichen Klassenkameraden befreundet sein.
Marc gehörte eigentlich mehr zu den Beliebten, was eigentlich klar war, da Trish sonst niemals an ihm interessiert sein würde.
Früher hing er manchmal mit uns ab, aber seitdem er in Englisch wegen seinen schlechten Noten in die erste Reihe neben Amber gesetzt wurde, hatte er nur noch Augen für sie.
Das wusste hier jeder aus der Klasse – außer Trish, aber ich wollte sie nicht noch mehr verärgern, also sagte ich ihr einfach, was sie hören wollte. Ich hatte schon genug Stress für diesen Vormittag und mein Nachmittag würde wohl auch nicht besser werden, denn ich musste das mit Gerard noch klären. Hoffentlich würde mich Josh nicht noch einmal aufhalten, das fehlte mir gerade noch.
Jetzt lächelte Trish mich wieder an, nickte überzeugt mit dem Kopf und wandte sich kurz von mir ab, um zu schauen, ob Marc sie nicht gerade doch ansah, aber der leichten Enttäuschung in ihrem Gesicht zu Folge war das nicht der Fall. Wahrscheinlich unterhielt er sich gerade mit Amber.
»Und du? Habt ihr es getan? Du und Gerard? Ich meine, solange wie du weg warst müsst ihr es doch getan haben! Ich dachte schon du kommst nicht mehr wieder.« fragte sie neugierig und hob ihre Augenbrauen an, als erwarte sie, dass ich ihr jetzt gleich eine überaus romantischen Geschichte erzählen würde.
Doch das tat ich nicht. Ich zuckte lediglich mit den Schultern und wandte mich von ihr ab, was sie allerdings verärgerte. Sie wollte schon ansetzten mir Vertrauensbruch und andere Dinge vorzuwerfen, als Herr Schuster hereinkam.
Heute hatte ich echtes Glück in Sachen Timing, doch trotzdem stand mir jetzt eine lange, grausige Stunde Mathe bevor.
Während Trish zusammenzuckte und sich klein machte, damit er sie übersah, malte ich eine Sonne auf meinen Blog. Sonnen hatten mich schon immer sehr fasziniert. Wenn man meinen Blog durchblätterte, konnte man mehrere Zeichnungen von Sonnen sehen, manche vom Sonnenaufgang, manche vom Untergang und manchmal auch einfach nur runde Kreise. Zeichnen war schon immer ein Hobby von mir gewesen. Ich ermahnte mich das Positive an der Situation zu sehen: Wenigstens lenkte mich das Zeichnen davon ab, an Gerard, Josh oder irgendjemand anderen zu denken.
Trish
Herr Schuster hatte es wieder einmal auf mich abgesehen, welch Überraschung! Er sah mich mit seinen gruseligen Augen an, forderte mich heraus, doch ich war schwach, ich war ein leichter Gegner. Meine Nackenhaare stellten sich auf, denn ich wusste, ich würde nun an die Tafel müssen.
Ein Seitenblick zu Elle. Sie hatte abgeschaltet, ihre Augen waren leer, wie so oft. Wahrscheinlich schlief sie schon innerlich. Wie unfair. SIE hätte es verdient an die Tafel zu müssen, nicht ich! SIE war doch das Nervenbündel, nicht ich! SIE wäre reif für die Klapse, nicht ich! Doch ich bekam immer alles ab. Wie viele Momente gab es schon in meinem Leben, in den ich mir wünschte, mit ihr den Platz tauschen zu können. Ich wollte so beliebt sein wie sie, wollte so viele Freunde haben, so viele Liebschaften. Ich hätte das verdient.
Als ich Elle kennenlernte, war sie ein Frack...
Das Sommerfest der Schule fand statt und ich war mit meinem guten Freund Paul dort. Wir lachten, hatten Spaß, tanzten zu der tollen Musik, bis ich schließlich ein Mädchen allein am Boden sitzend erblickte. Sie tat mir Leid und außerdem wollte ich mein Image pflegen, also ging ich zu ihr. Als ich näher kam, bemerkte ich, dass sie weinte. Das konnte ich gar nicht ab und war kurz davor, schon wieder zurück zur Tanzfläche zu gehen, wo Paul mich wahrscheinlich schon vermisste, suchte, doch gerade, als ich ihr den Rücken zuwenden wollte, hob sie den Kopf und sah mich verwirrt an. Sie war hübsch und ich erkannte sie. Es war Elle gewesen, die sich in den letzen Monaten von allem abgegrenzt hatte. Nie hätte ich erwartet, sie mal so zu erleben. Ich musste mir ein Grinsen unterdrücken, die Hilflosigkeit ihrerseits erfreute mich, machte mich schadenfroh. Diese Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen. Sie als Frack zu erleben, das war eine echte Genugtuung für mich, denn nachdem sie mir mein Date in der siebten Klasse geklaut hatte, war ich immer neidisch auf sie gewesen.
Wir redeten. Sie weinte. Ich tröstete. Sie bemerkte nicht, dass ich alles nur vortäuschte. Nach kurzer Zeit beruhigte sie sich. Ich munterte auf. Sie lächelte.
Schließlich führte ich sie zur Tanzfläche und wir genossen den Abend. Der Beginn unserer ''Freundschaft''. Nach kurzer Zeit allerdings fing ich wirklich an, sie zu mögen, oder es kam mir so vor. Und nun? Nun war sie wieder die Beliebte, nicht ich, sie hatte mir wieder den Rang gestohlen, etwas, für das ich sie für immer quälen könnte. Doch ich spielte. Ich tat so, als wäre sie meine beste Freundin, als würde ich sie vergöttern und irgendwann würde ich zuschlagen, ihr alles heimzahlen. Der Moment würde kommen. Eines Tages. Und ich wartete schon sehnsüchtig auf ihn.
»Trish, kommst du bitte an die Tafel und löst die Aufgabe, die ich angeschrieben habe?« fragte Herr Schuster. Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein breites Grinsen, das fast schon nett aussah. Es täuschte. Es gefiel ihm, mir mein Leben zur Hölle zu machen, doch das konnte ich nicht zulassen.
Lächelnd stand ich auf und schritt zur Tafel vor.
»Natürlich«
Meine Stimme war höflich, nett und aufgesetzt, doch das würde niemand merken. Nachdem ich die Aufgabe falsch gelöst hatte, schrie er mich an, er schrie sich die Seele aus dem Leib, fragte mich, wie dumm ich eigentlich sei und ich stand kurz vorm Weinen. Jede Stunde lief gleich ab, doch langsam lernte ich dazu. Mein aufgesetztes Lächeln blieb standhaft, bis ich mich schließlich wieder zu meinem Platz begeben durfte.
Ein Seitenblick zu Elle. Sie hatte sich nicht verändert, kein Stück. Ihr Körper war steif, hatte sich seit fünf Minuten nicht bewegt, wie eine Statue. Auf sie konnte ich mich natürlich nicht verlassen.
Ein Seitenblick zu Marc. Er redete freudig mit Amber, natürlich. Ein breites Lächeln befand sich auf seinem Gesicht und eine Sekunde wünschte ich mir, es wäre für mich. Dass er mich anschauen würde, mit genau diesem Blick.
Stopp. Diesen Gedanken verbannte ich aus meinem Kopf.
Erleichtert ließ ich mich tiefer in meinen Stuhl sinken, die erste Hürde dieses Unterrichts war geschafft, nun hatte ich mindestens fünfzehn Minuten Ruhe.
Falsch gedacht.
Fünf Minuten vergingen.
Herr Schuster redete und redete und redete und redete und redete, ich glaubte, ich schlafe gleich ein. Plötzlich bewegte sich etwas am Rande meines Sichtfeldes. Es war Elle. Langsam drehte ich den Kopf zu ihr, doch als ich sie erreichte, war sie bereits aufgestanden. Wie ein Zombie schob sie ihren Stuhl zurück.
»Fräulein Rise, gibt es ein Problem?« schnauzte Herr Schuster, doch sie antwortete nicht. Sie starrte ihn lediglich an und das machte mir Angst. Schnell zog ich an ihrem Arm, um ihr zu befehlen, sich wieder hinzusetzen, doch sie riss ihren Kopf herum und schenkte mir einen tödlichen Blick, bevor sie meine Hand von ihrem Arm schlug und sich auf den Weg zu Herr Schuster machte. Was hatte sie denn jetzt vor? Wollte sie sich und mich für immer blamieren? Ich war so geschockt, dass alles wie im Kino für mich ablief.
Als sie den Pult von Herr Schuster erreicht hatte, stand dieser auf und fragte sie, was ihr einfiel, ihm einfach nicht zu antworten, doch sie hatte uns verlassen, war in sich gefangen. Sie stoß Herr Schuster von sich Weg und er taumelte mindestens 5 Meter durch den Raum, weshalb die halbe Klasse ein huch ausstieß und sich die Hand vor den Mund hielt. Ich allerdings sank immer tiefer in meinen Stuhl, um mich unsichtbar zu machen, damit keiner auf die Idee kam, mich mit dieser Situation in Bezug zu ziehen.
Nachdem Herr Schuster von der Bildfläche ist, packt Elle den Schreibtisch, hebt ihn über sich, stößt einen schrecklichen Laut aus, bei dem selbst mir der Mund offen stehen bleibt und reißt ihn samt Mappe des Lehrers auseinander. Mit weit geöffneten Augen starre ich Elle an, die nun ein Grinsen auf ihrem Gesicht trug.
Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.
Das kann nicht passieren. Was. Macht. Sie. Sie. Zerstört. Meinen. Ruf.
Kaum zu fassen! Die Wut steigt meinen Hals hoch, doch ich halte sie zurück. Leise schlage ich auf meinen Tisch. Immer und immer wieder. Es hilft mir. Niemand kriegt es mit, denn Elle hat die volle Aufmerksamkeit. Wie immer.
Elle
»Elle?ELLE!« schrie jemand.
Mit einem Ruck hob ich meinen Kopf und stellte erschrocken fest, dass ich immer noch im Mathe Unterricht war. Mein Blick traf sofort die verärgerten Augen von Herr Schuster, der still vor mir stand und erwartend die Hände von sich streckte.
»Also? Wie willst du das erklären?« fragte er angespannt. Ich verstand nicht, was er meinte. Gut, ich war im Unterricht eingeschlafen und das war keine Meisterleistung, aber kein Grund mich so anzuschnauzen? Also was sollte ich vorbringen, wenn ich nichts getan hatte? Fragend hob ich meine Augenbrauen.
Er schaute mich mit bitterem Blick an, dass ich Angst hatte, er würde gleich explodieren, auf mich zurennen und mich schlagen. So verärgert hatte ich ihn noch nie gesehen, aber dennoch wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Nichts, ich hatte nichts getan. Mein einziges Verbrechen war, dass ich Sonnen auf meinen Block gezeichnet hatte. Schlaf war meiner Meinung nicht als Straftat anzusehen, denn ohne ihn würde ich mich sowieso nicht konzentrieren können. Also schwieg ich. Sekunden der Stille vergingen. Minuten.
Als er langsam immer wütender wurde und ich immer noch nichts sagte, drehte er sich um und lachte höhnisch.
»Fräulein Rise hat also das Sprechen verlernt.« stieß er schließlich aus.
Seine Worte reizten mich ziemlich, doch ich konnte nichts anderes tun, als ihn fragend anzublicken und zu warten, bis er mir endlich erklärte, was ich getan haben sollte. Ich musste mir eine freche Aussage verkneifen, denn eigentlich hatte ich keine Lust mir seine Rede anzuhören.
Er drehte sich wieder zu mir um und seine Augen wurden zu langen Schlitzen. Musterte mich, als würde er mich für einen Verbrecher, jemand, der in den Knast gehörte, halten, und das, obwohl ich seine beste Schülerin war.
Und es machte ihm sichtlich Spaß mir das anzutun.
»Wollen sie nichts zu ihrer Verteidigung vorbringen?« fragte er wütend.
Ein Lächeln zierte sein Gesicht. Er erwartete, dass ich mich stelle, ihm Recht gab, aber das hatte ich nicht vor. Erstens wollte ich ihm diese Genugtuung nicht gönnen und zweitens hatte ich verdammt nochmal keine Ahnung, was ich getan haben sollte, also warum sollte ich mir dann einen langen Vortrag über etwas anhören, dass ich nicht verbrochen hatte?
Mein Bauchgefühl riet mir, nichts zu sagen, sondern einfach abzuwarten.
Schließlich zuckte ich lediglich mit den Schultern. Diese Geste brachte ihn völlig aus der Rolle. Er öffnete immer wieder den Mund, schloss ihn aber Sekunden später wieder, als fände er nicht die richtigen Worte für das, was er nun zu sagen hatte.
Ich warf einen kurzen Blick zu Trish, die mich mit verängstigten Augen anblickte und mich anflehte, diesem Ganzen ein Ende zu setzten und zu gestehen, doch nicht einmal Trish zu Liebe hätte ich das getan.
»Es tut mir Leid Herr Schuster, aber ich weiß nicht was sie meinen.« sagte ich schließlich ehrlich. Er brach erneut in schallendes Gelächter aus. Es dauerte mehrere Minuten, bis er wieder verstummte.
»Ach, sie wissen es nicht mehr. Natürlich. Sie wollen mir also sagen, sie wissen nicht mehr, wie sie meinen Schreibtisch auseinandergerissen haben? Wie sich mich durch das ganze Klassenzimmer geschubst haben? Sie überraschen mich immer wieder aufs Neue. Ich muss sagen, so etwas ist mir in meiner Laufbahn wirklich noch nie passiert.« erklärte er kalt.
Mein Blick glitt zum anderen Teil des Zimmers, in dem sich normalerweise sein großer Pult aufragte. Tatsächlich. Er lag zerbrochen da, in der Mitte durchgerissen. Mir fuhr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Hatte er womöglich Recht? Hatte ich das wirklich getan? Das würde auch den verängstigten Blick von Trish erklären. Aber wenn ich es wirklich getan hätte, warum erinnerte ich mich dann an nichts? Was war das heute nur für ein Tag.
Erst die Sache mit Gerard, dann musste ich mich mit Josh auseinandersetzten und nun auch noch das. Das war genug für heute.
»Ja, Herr Schuster, ich erinnere mich an nichts.« murmelte ich leise. Erst jetzt bemerkte ich, wie still es im Klassenzimmer war. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ich drehte mich zu meinen Mitschülern um, erwartete, dass sie zu mir hielten, doch sobald ich den Blicken von ihnen begegnete, wandten sie sich von mir ab. Jeder einzelne.
»Sollte ich mir ernsthafte Sorgen um Sie machen, Fräulein? Oder ist das nur eine miese Ausrede?« gab es zurück.
Plötzlich fing mein Bauch höllisch an zu schmerzen. Meine Hände umfassten meine Hüfte, verzweifelt drückte ich gegen meine Knochen, doch alles half nichts. Ich wollte so schnell wie möglich hier raus, denn ich würde es keine einzige Sekunde mehr mit diesen Schmerzen aushalten, ohne einen Schrei von mir zu geben. Verzweifelt entschied ich mich, einfach zu sagen, dass ich es war. Es kostete mich zwar viel Überwindung, denn das Letzte, was ich wollte, war diesem Biest von Lehrer Genugtuung geben, aber ich riss mich zusammen und sprach die Worte aus.
»Na gut! Ja, ich war es, sind sie jetzt zufrieden?!« stieß ich schnell von mir.
Er lächelte zufrieden und zeigte mit dem Finger zur Tür.
Das Zeichen, auf das ich sehnsüchtig gewartet hatte. Das Zeichen, dass mir befahl, zum Direktor zu gehen.
Sofort stand ich auf, rannte aus dem Klassenzimmer und ging schnurstracks zur Toilette. Natürlich hatte ich nicht vor zum Direktor zu gehen, das wollte ich mir für heute ersparen, auch wenn ich mir damit vielleicht einen Schulverweis einhandelte. Die Schmerzen allerdings waren so groß, dass mir selbst der Schulverweis in diesem Augenblick unwichtig erschien. Ohne eine Sekunde zu stoppen rannte ich in eine Kabine der Mädchentoilette und übergab mich. Sehnsüchtig hoffte ich, dass es mir nun besser gehen würde, doch das Glück stand nicht auf meiner Seite. Mein Bauch schmerzte weiterhin wie davor und das waren keine Unterleibsschmerzen. Nein, das war etwas viel Schlimmeres.
Nachdem ich mich drei weitere Male übergeben hatte, lief ich gebeugt zum Spiegel, die Arme noch immer um meinen Körper geschlungen und warf einen Blick auf ihn. Ich keuchte vor Schreck auf. Meine Augen waren von großen schwarzen Augenringen umgeben, meine Haare zerzaust und kraftlos. Normalerweise erstrahlten meine Haare wie rotes Feuer, doch nun waren sie ausgebleicht und hingen ohne Volumen herunter. Meine Haut war kreidebleich. Ich war zwar nie ein besonders dunkelhäutiger Typ gewesen, doch so weis war ich noch nie. Was war nur los mit mir. Eigentlich sah ich ziemlich erwachsen für meine sechzehn Jahre aus, doch jetzt wirkte ich wie ein kleines, zerbrechliches Kind, das gleich losweinen würde, weil ihm sein Eis auf den Boden gefallen war.
Ungläubig berührte ich mit der Hand meine Wange. Sie war eiskalt. Ich konnte die Augen nicht von mir abwenden, das im Spiegel war nicht ich. Und meine Augen, sie hatten ein solch intensives schwarz, dass es fast schon gruselig war. Zwar waren sie schon immer dunkel gewesen, aber jetzt verängstigten sie mich ein wenig, denn so düster kannte ich sie nicht. Sie waren mir fremd. Ich war mir fremd. Mir stiegen Tränen in die Augen, doch mir war nicht nach weinen. Schnell schloss ich meine Augen, atmete ein paar mal tief durch, bis ich mich schließlich wieder unter Kontrolle hatte.
Ich musste hier sofort raus. Keine Sekunde länger würde ich in diesem Schulhaus verbringen können. Den Schulverweis hatte ich ja sowieso schon in der Tasche, also hielt ich es nicht mehr für nötig, nochmal zurück zum Klassenzimmer zu gehen. Herr Schuster würde mir sowieso kein Wort glauben.
Schon auf dem Weg nach draußen, kam plötzlich ein Mädchen herein und starrte mich unverwandt an. Ich schenkte ihr kaum Beachtung, rannte einfach an ihr vorbei, doch als ich draußen war, blieb ich verwirrt stehen. Mein Kopf drehte sich in ihre Richtung. Ohne es zu wollen, musste ich an ihre pechschwarzen Augen denken, die mir so bekannt vorkamen. Sie waren schwarz wie die Nacht gewesen. Ich kannte diese Augen. Nur wenige Sekunden, bevor sie reingekommen war, hatte ich sie im Spiegel gesehen. Dies waren meine Augen gewesen.
Leslie
Sie stürmte an mir vorbei und verließ die Mädchentoilette. Ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. Mein Plan funktionierte wunderbar. Nach ihrem Ausraster im Klassenzimmer würde sie nun jeder für labil halten und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen, es könnte nicht besser laufen. Sobald niemand mehr zu ihr stand, würde alles noch leichter für mich sein. Ich hätte freie Bahn, niemand könnte mich mehr aufhalten. Und ihre Haare, ihre Augen. Die Verwandlung begann. Sie verlor langsam die Kontrolle über sich, auch wenn ihr das nicht klar war. Noch ein paar Rückschläge und sie würde völlig am Ende sein. Ein Kinderspiel für mich. Mit zufriedenem Blick lief ich den kurzen Flur des kahlen Raumes - um den sich nicht mal die Putzfrauen gescheit kümmerten – bis zum Spiegel und betrachtete mich einen Augenblick. Ich hasste mich. Ich hasste mein Aussehen, ich hasste meine Augen. Alles. Hass. Hass. Hass. Hass. Hass. Hass. Hass. Hass. Hass. Hass.
Keine Sekunde länger konnte ich diesen Anblick ertragen. Angewidert schloss ich meine Augen und stellte die mitgebrachte Tüte ans Waschbecken. In ihr befand sich meine Erlösung. Freudig holte ich die vor ein paar Stunden gekauften Rasierklingen aus ihr und öffnete die Packung mithilfe meiner spitzen Fingernägel. Es hatte wohl doch Vorteile, ich zu sein. Nachdem ich eine der Klingen abgetrennt hatte, ging ich in eine der Kabinen und öffnete meine Hose. Drei kleine Schnitte und mein Leben würde wieder gut sein. Ein letztes Mal sog ich die dreckige Luft, die um mich herum schwebte, ein und führte dann die Klinge an meiner Hüfte entlang. Ein tiefer Seufzer entfloh mir, doch ich konnte ihn nicht aufhalten, die Erlösung war ein so schönes Gefühl. Zwei weitere Schnitte, zwei weitere Linien, aus der meine rote Lebensflüssigkeit entrann und mein Leben war wieder schön.
2
Elle
Ich warf einen Blick auf die Kasse.
208,99€.
Die Kassiererin lächelte mich überfreundlich an. Aus Höflichkeit erwiderte ich ihren Blick, obwohl ich mir eigentlich Gedanken darüber machte, was in ihrem Kopf vorging. Sie war gezwungen dieses falsche Lächeln bei jedem Kunden aufzusetzen und doch froh, wenn ich endlich ihre freie Zeit nicht weiter in Anspruch nahm. Doch ich beherrschte dieses Spiel genauso gut wie sie.
»Danke für ihren Kauf!« sagte sie freundlich und reichte mir die Tüte, mit dem sich darin befindenden Bon. Ein teurer Spaß.
Trish wartete am Ausgang schon ungeduldig auf mich und gab unruhige Geräusche von sich, die mich aufforderten, schneller zu machen, um sie nicht mehr warten zu lassen.
»Man beeile dich mal Elle! Wir müssen auch noch in die anderen Läden gehen!« schrie sie so laut, dass selbst die Leute am hinteren Ende des Ladens aufmerksam wurden. Eine Frau, nicht weit entfernt von mir, die bis jetzt damit beschäftigt gewesen war, Unterwäsche anzusehen, warf mir einen Blick zu, der mir Röte in die Wangen steigen lies. Beruhig dich, ermahnte ich mich und sprach in Gedanken meinen Motivationsspruch vor mir auf. Keiner konnte mir sagen, was ich zu tun hatte, ich war ein freier Mensch mit freien Entscheidungen.
Ich warf einen verstohlenen Blick zu Trish, die nun lautstark Hin – und Her lief und dabei wild mit den Armen um sich schlug. Sie schaffte es immer wieder, aus einem kleinen Stadtbummel eine gigantische Sache zu machen.
Schnell nickte ich der Kassiererin zu, nahm meine Einkaufstasche von der Theke und lief schließlich zu Trish, die sich nun endlich beruhigte. Ihr Outfit war das Gewagteste, das ich je gesehen hatte. Ausgenommen von Fasching natürlich. Ihr hellblaues, bauchfreies Top passte perfekt zu ihren hellbraunen Haare, die sie heute gelockt trug, jedoch machte der knielange, grell gelbe Rock, den sie darunter trug, alles zunichte. Sie hätte sich ein Beispiel an der Kassiererin nehmen sollen, welche zwar schlichte Sachen trug, aber dennoch wunderbar aussah.
Das erinnerte mich wieder an das Geld, dass ich eben aus dem Fenster geworfen hatte. Ich durfte wirklich nicht mehr so viel Geld ausgeben, sonst würde ich demnächst blank dastehen. Würde Trish doch nur nicht jede Woche shoppen gehen wollen, doch das war nun mal eine der unzähligen Charaktereigenschaften von Trish.
»Was hat denn da so lange gedauert? Denkst du, ich hab ewig Zeit oder was?« stieß sie genervt aus.
Ich rollte leicht meine Augen, sodass Trish es nicht sehen konnte. Manchmal nervte sie schon gewaltig, aber trotzdem war sie meine beste Freundin. Sie war fast so wie eine Schwester, man hasste sie oft, aber eigentlich liebte man sie und außerdem konnte man mit ihr lachen. Sie gehörte einfach zu mir, denn sie war fast wie sie. Doch selbst Trish konnte diese Lücke nicht füllen, auch wenn sie sich noch so sehr anstrengen würde.
»Was weiß ich, die Kassiererin hat eben zu lange gebraucht.« erklärte ich hastig.
Die Wahrheit war jedoch, dass ich mir noch unbedingt die neuen Mützen anschauen wollte, aber das konnte ich vor ihr natürlich nicht sagen, denn außer ein Lachen würde ich nichts zurück bekommen. Sie würde fragen, wer bitte im Sommer schon Mützen kaufen würde und was denn mit mir los sei. Für Diskussionen war ich gerade nicht in Stimmung.
»Also? Hast du vor hier den ganzen Nachmittag zu verbringen, oder können wir endlich gehen?« fragte sie und riss mich damit völlig aus Gedanken. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie mich mit erhobenen Augen anblickte. Brav nickte ich und wir gingen weiter.
»Ich habe mir überlegt meine Haare blond zu färben. Was meinst du, würde es gut aussehen?« fragte sie.
Nein.
»Würde bestimmt super aussehen!« antwortete ich und unterstrich diese Aussage mit einem Lächeln und gab mir dabei wirklich Mühe, es echt aussehen zu lassen. Doch es fühlte sich falsch an. Mein arrogantes Ich war mir unangenehm, aber in Gegenwart von Trish kam es oft zum Vorschein. Meines Erachtens zu oft. Sie allerdings war viel zu beschäftigt die vielen Schaufenster zu betrachten, als dass ihr meine gespielte Geste aufgefallen wäre.
»Ich meine, Marc würde das bestimmt gefallen! Weißt du, ich hab gehört er hat sich mit so einer Traicy getroffen! Und die soll angeblich blonde Haare haben!...« erzählte sie geschockt.
Schwer vorzustellen, dass Marc sich mit jemandem getroffen hatte, der nicht Amber war... meines Erachtens war er unsterblich in sie verliebt und würde sich nicht von einem Tag auf den Anderen eine Neue suchen.
»...Also das heißt, er steht auf Blondinen! Vielleicht hat er mir deshalb nie eine Chance gegeben! Ich habe einfach schon immer die falsche Haarfarbe! Jetzt wird mir so einiges klar... man, ich war doch so dämlich! Ich hätte das schon viel länger in Erwägung ziehen sollen!...« meinte sie, während sie ein Grinsen auf dem Gesicht trug und sich demonstrativ durch die Haare fuhr. Kichernd schüttelte ich leicht den Kopf.
»Elle, können wir nachher noch in einen Salon gehen, dann kann ich meine Idee gleich umsetzten! Dann muss ich nicht noch einen Tag verkraften, an dem er mich nicht beachtet... Also, kommst du mit?« fragte sie, ohne mir einen Blick zu schenken. Ihre volle Aufmerksamkeit hatte der seriöse Laden, an dem wir soeben vorbeischlenderten.
Das passte mir so gar nicht. Mein Plan war es gewesen,später noch bei Gerard vorbei zu schauen, denn ich hatte ihn mit dieser Shoppingtour schon versetzt, doch bevor ich recht überlegen konnte, hatte ich auch schon geantwortet.
»Ja, klar...«
Sofort hätte ich mir eins auswischen können.
Plötzlich blieb sie wie erstarrt stehen und hielt mich am Arm fest. Ich wollte sie gerade fragen, was mit ihr los war, als sie mich mit funkelnden Augen ansah. Sie sah aus, als hätte sie der Blitz getroffen. Schon lange hatte ich diesen Gesichtsausdruck nicht mehr bei ihr gesehen. Oder bei irgendjemand anderem.
»OMG! Guck dir doch dieses tolle Kleid da im Schaufenster an! Das muss ich unbedingt haben! Damit bekomme ich Marc bestimmt rum!« rief sie aus und zeigte mit ihrem Finger auf eins der Schaufenster.
Sogleich war enttäuscht. Ich hatte etwas viel erschütternderes erwartet. Ein Kleid, das war alles?
Eine Bestätigung von mir brauchte sie nicht mehr, sie drückte mir lautlos ihre Tüten in die Hand, ohne nur ein Stück darauf zu achten, wie ich reagierte und rannte mit strahlendem Gesicht in den Laden.
Wäre ich nicht so eine gute Freundin gewesen, hätte ich ihre Einkaufstüten jetzt auf den Boden geschmissen und hätte mich vom Acker gemacht, aber nein, so war ich natürlich nicht.
Was war sie bloß für ein modeverrücktes Mädchen... ich glaubte kaum, dass dieses Kleid Marc gefallen würde, es war ihm viel zu glitzernd. Bisher dachte ich immer, ihr wäre klar, dass er den einfachen Typ mehr schätzte, als den Aufgesetzten, aber da hatte ich mich wohl geirrt, sie tappte immer noch im Dunkeln. Nachdem sie ihre Haare blond färben wollte, hätte mir klar sein sollen, dass sie es immer noch nicht verstanden hatte.
Arme Trish, so würden ihre Gefühle zu Marc nie erwidert werden. Wenn diese überhaupt existierten.
Marcs Eltern waren zufälligerweise reich und früher hatte mir Trish immer davon geschwärmt, später mal einen reichen Freund zu haben. Einen, der ihr alles kaufen würde, was sie wollte. Einer, der sie wie eine Göttin behandeln würde, so wie sie fand, es auch verdient zu haben.
Eigentlich sollte ich mitleidig auf Trish hinab sehen, aber wie gesagt, so war ich eben nicht. Keineswegs war ich perfekt, aber es gab weitaus oberflächlichere Leute als mich. Auch wenn ich zugeben musste, dass ich manchmal ziemlich stur sein konnte. Da ich nichts besseres zu tun hatte als zu warten, setzte mich auf die nächstgelegene Bank.
Es würde eine halbe Ewigkeit dauern, bis sie wieder heraus kam. Ich kannte ihre Gewohnheiten. Sie würde das Kleid anprobieren, es ausziehen, es erneut anziehen, sich an die Kasse stellen, um es sich dann wieder anders zu überlegen und das Kleid noch einmal anprobieren, um sicher zu gehen, dass es ihr auch wirklich passte und ob sie es nicht doch eine Nummer kleiner kaufen könnte, um vor mir mit ihrer perfekten Figur anzugeben. Erst dann würde sie das Kleid kaufen und mir dann ganz stolz präsentieren.
Um die Zeit zu überbrücken, schaute ich mir erneut meine Einkäufe an.
Zuerst holte ich einen Pulli aus der Einkaufstüte. Ein braunen Seidenpullover, wie ich ihn früher einmal hatte. Einen, wie den, den ich damals verloren hatte, der mit viel Schmerz verbunden war, ohne den ich aber trotzdem nicht leben konnte. Er war ein Geschenk von ihr gewesen und ich hatte es mir nie verzeihen können, dass ich ihn dabei verloren hatte. Wenigstens hatte ich jetzt eine Art Ersatz, allerdings war auf diesem Seidenpulli oben rechts ein kleines Symbol , das der andere Pullover nicht besaß, aber mir war vom Anfang an klar gewesen, dass es diesen Pullover sowieso nicht mehr geben würde, welcher Laden hatte schon Ein und den Selben Seidenpullover 2 Jahre lang? Ich nahm an keiner.
Dann hatte ich noch eine schwarze Hose und ein grünes gestreiftes Top gekauft, die ich natürlich nur gekauft hatte, weil sie gerade IN waren. Eigentlich gefielen sie mir überhaupt nicht, aber wie sollte ich mich denn sonst in der Schule blicken lassen? In meinem braunen Seidenpulli und einer weiten Jeans? Nein, dann wäre nicht nur mein Ruf zerstört, ich würde womöglich sogar ein Außenseiter werden. Würde das nicht passieren, hätte ich solche Klamotten angezogen, aber ich wusste natürlich, dass es so werden würde und das fehlte mir gerade noch.
Ich holte den Taschenspiegel raus, den ich mir ebenfalls gekauft hatte und warf einen kurzen Blick auf mein Gesicht. Schon viel besser.
Die Augenringen waren dank des vielen Make-Ups kaum noch zu sehen. Es war allerdings immer noch kreidebleich. Würde meine Haut jetzt immer so bleiben? Natürlich sah immer noch ziemlich mitgenommen aus, das war kein Wunder. Dieses Erlebnis von heute Morgen erschrak mich immer noch.
Ich überspielte es zwar sehr gut, aber trotzdem machte ich mir Gedanken um meine Gesundheit. Nicht nur über meine körperliche, sondern auch um meine Geistige. Dieses Black Out konnte nichts Gutes heißen, ich sollte in nächster Zeit genauer auf mich achten, sonst lande ich in ein paar Wochen womöglich noch in der Psychiatrie oder noch schlimmeres. Seit dem Unfall war ich oft genug bei Psychologen gewesen und hatte keinerlei Drang noch einmal zu einem zu gehen, also spielte ich einfach ein rundum glückliches Mädchen und alles war gut. Inzwischen war ich ziemlich gut darin geworden, immerhin hatte im letzten Jahr niemand meine Fassade durchschaut. Naja, bis auf Josh eben. Er kannte mich viel zu gut. Wenigstens tat er mir den Gefallen und sagte niemandem etwas von meinem echten Zustand, der nun wirklich nicht labil war... Dafür sollte ich ihm irgendwann einmal danken.
Ein leises Ringen erhob sich aus der Menge. Erst nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass das Klingeln von meinem Handy ausging, also nahm ich es heraus, mit dem Wissen, dass ich jetzt von Gerard Vorwürfe angeworfen bekommen würde, warum ich nicht zu ihm gekommen war und ob ich ihn überhaupt noch liebte.
Ich überlegte kurz, ob ich ihn nicht doch einfach wegklicken sollte, so wie ich es heute schon 3 Mal getan hatte, entschied mich dann aber dagegen, weil ich gerade eh nichts besseres zu tun hatte, als auf Trish zu warten. Ich gab noch einen Seufzer von mir ab und nahm dann ab.
»Ja?« fragte ich genervt.
Dieses »Ja?« hätte ich mir eigentlich ersparen können, ich hätte gleich zur Sache kommen sollen, dann müsste ich mir jetzt nicht seine Rede anhören, doch jetzt konnte ich ihn eh nicht mehr stoppen, also stellte ich mich auf lange Minuten ein, die hoffentlich bald vorbei sein würden.
»Achja, Ellen, schön, dass du auch mal dran gehst! Bis jetzt konntest du mich wohl immer wegdrücken. Hattest es wohl nicht nötig mit mir zu reden, nicht wahr?! Du hast gesagt, du kommst um 15 Uhr zu mir und jetzt ist es 17 Uhr und du bist immer noch nicht da! Hast du mich etwa versetzt? Ach, spar dir die Antwort, ich weiß sie eh schon! Und, bei welchem Kerl treibst du dich gerade rum! Mit mir willst du nicht schlafen, aber hintergehen kannst du mich! Ich wusste schon immer, dass du untreu bist!...« sagte er wütend.
Ungerührt schaute ich auf die Uhr. Es waren erst 20 Sekunden vergangen, seit er angerufen hatte. Mir kam es allerdings vor wie eine Ewigkeit.
»Weißt du Elle, von dir hatte ich wirklich mehr erwartet! Ich dachte das mit uns wäre etwas besonderes! Da habe ich mich wohl geirrt. Und ich denke es ist für uns beide leichter wenn ich es jetzt endgültig beende.« fuhr er fort. Ich musste das Telefon einige Zentimeter von meinem Ohr weghalten, da sein Schreien in meinen Augen stach.
Was dachte er nur von mir! Er hielt mich wirklich für das Letzte! Er kannte mich anscheinen gar nicht! Doch ich wusste, er war noch lange nicht fertig.
»Ellen, ich bin auch nur ein Mensch! Ich habe auch Gefühle! Und ich dachte, du wüsstest das! Und weißt du, wie ich mich jetzt fühle?! Ich fühle mich schrecklich, ich fühle mich ausgenutzt! Ich bin nicht nur der immer coole Gerard! Ich kann auch anders! Hast du überhaupt eine Ahnung wie egoistisch das ist? Du denkst immer nur an dich! Du machst nie das, was ich will!...« rief er.
Was? Dass ich mich von ihm in einem Geräteschuppen entjungfern lasse? Dass ich nicht streiten wollte? Nicht gerade überzeugende Argumente. Er zerstörte womöglich noch unsere ganze Beziehung, wenn er mich nicht endlich zu Wort kommen lies. »...Und jetzt hintergehst du mich auch noch. Das ist das Letzte! Du bist das Letzte! Es ist aus! Oder hast du noch irgendetwas vorzubringen?! Denn wenn du jetzt keine logische Erklärung für das, was du getan hast, vorzubringen hast, meine ich meine Worte ernst. Jedes einzelne! Also, ich höre? Und spare dir deine billigen Ausreden! Ich hatte schon genug Freundinnen, die mich belogen und betrogen haben!«
So weit war es also schon zwischen uns gekommen. Das wollte ich doch alles gar nicht, ich wollte mich doch nur ablenken, wollte nach dem schrecklichen Tag an etwas Anderes als ihn oder mein bleiches Gesicht, Josh oder dem Black Out denken und jetzt hatte ich alles nur zerstört. Er unterstützte mich dabei aber auch nicht gerade! Gerard wusste doch gar nicht was in mit vorging, doch da ich mich ja entschieden hatte ihm noch eine Chance zu geben, wollte ich alles erklären. Seine Worte einfach vergessen. Ich öffnete meinen Mund schon, als ich sie sah.
Sie, wie sie mitten in der Menge stand und mich anstarrte.
Ich konnte nicht anders als mein Handy zuzuklappen, es auf der Stelle liegen zu lassen und auf sie zuzugehen. Ich lies alles an seinem Platz, wusste es würde wenn ich zurück kommen werde nicht mehr da sein, doch das hielt mich nicht auf weiter zu gehen. Ich musste einfach zu ihr. Irgendetwas drängte mich dazu. Ich kam immer näher, doch sie bewegte sich kein Stück. Auf ihrem Gesicht erschien nun ein freundliches aber zugleich auch unheimliches Lächeln. Eigentlich wollte ich sofort kehrtmachen, ich wollte einfach umdrehen, meine Taschen nehmen und Trish suchen, doch ich konnte nicht. Sie zog mich förmlich an.
Ich blieb erst stehen als ich ganz nah bei ihr stand. Sie roch ganz vertraut, als würde ich sie schon mein ganzes Leben lang kennen, doch ich hatte sie bisher erst einmal gesehen.
Ihre schwarzen Haare unterstrichen ihren schlanken, kleinen Körper perfekt. Sie trug Gothic Klamotten, welche zu ihren Haaren und Augen passten. Man könnte auch sagen, ein Mädchen in schwarz, doch sie roch wie das Meer.
Wie das Meer, das ich so liebte, das Meer, indem ich früher immer mit Josh schwamm. Und mit ihr... bis zu dem Unfall.
Ich bemerkte erst, wie versunken ich in meine Gedanken war, als sie mir zunickte, sich umdrehte und davon ging. Irgendwie wusste ich, dass ich ihr folgen musste. Ich musste herausfinden, wer sie war, warum ich sie noch nie in der Schule gesehen hatte und warum sie mich immer so ansah.
Und natürlich waren mir unsere gleichen Augen auch ein Rätsel, doch das musste wohl warten, denn sie lief immer weiter, aus dem Einkaufzentrum hinaus und es sah nicht so aus, als würden wir demnächst stoppen, also folgte ich ihr den ganzen Weg lang.
Wir liefen durch die ganze Stadt, sogar an Gerards Haus vorbei. Einen Moment lang fragte ich mich, was er wohl gerade machte? Wahrscheinlich würde er sich immer noch unglaublich über mich aufregen... unsere Beziehung war womöglich endgültig vorbei. Hätte ich doch nur nicht einfach aufgelegt... und Trish?
Die würde sich höchstwahrscheinlich auch total aufregen, denn nicht nur ich war weg, sondern auch ihre teuren Einkäufe. Wenigstens hatte sie ihr Kleid noch, aber ich glaubte kaum, dass das ihre Stimmung noch rettete.
Ich zerstörte langsam mein ganzes Leben und das nur wegen diesem komischen Mädchens. Warum folgte ich ihr eigentlich, es war alles so mysteriös, wahrscheinlich war sie einfach nur ein Junkie, der auf sich aufmerksam machen wollte und jetzt führt sie mich zu ihren Freunden...? Damit ich mich ihr anschloss?
Doch so sehr ich mir auch befahl umzukehren, weg zu gehen, dieses Mädchen ein für alle Male zu vergessen, es ging nicht. Ich musste ihr folgen.
Wir mussten schon kilometerweit gelaufen sein, als wir in ein schäbiges Gebäude eintraten. Ich hatte wohl doch recht mit der Junkie Tatsache. Komischerweise taten meine Füße auch nach dem langen Weg nicht im Geringsten weh.
Wir stiegen die Treppen empor und sie führte mich in ein Zimmer. Dort setzte sie sich mit einem Seufzer auf das Bett und zog ihre Schuhe aus, ich jedoch blieb einfach neben der Tür stehen.
Ich spürte, wie ich plötzlich wieder die Kontrolle über mich bekam, war schon bereit wegzurennen, zählte schon bis drei, als sie meinen Arm ergriff und mich böse anblickte. Sie stand auf und Schloss die Tür hinter mir ab, damit ich nicht mehr abhauen konnte. Was wollte sie bloß von mir?
»So Elle, hier wären wir also. Und hier bleiben wir auch, ist das klar?« fragte sie so kalt, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Woher kannte sie meinen Namen? Was wusste sie alles über mich?
»Ich weiß deinen Namen, weil ich alles über dich weiß, Elle Rise.« erklärte sie ungerührt.
Konnte sie etwa meine Gedanken lesen, oder wie machte sie das? Ich brachte kein Wort mehr von mir, konnte mich nicht mehr bewegen, konnte sie lediglich anstarren. Sie nickte kurz. Was wollte sie mir damit sagen? Wollte sie meinen Verdacht bestätigen, dass sie Gedanken lesen konnte, oder doch, dass sie ein Junkie war? Wer war dieses Mädchen? Warum hatte sie es auf mich abgesehen?
Innerhalb von wenigen Sekunden gingen mir tausende dieser Fragen durch den Kopf. Als sie jedoch ein Seufzen von sich gab, richtete sich meine volle Aufmerksamkeit wieder auf sie.
Sie wirkte ziemlich genervt, als verschwende ich nur ihre Zeit und als wolle sie das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen. Das gleiche empfand ich jedoch auch, noch länger mit ihr in diesem Raum zu bleiben, war für mich keine Freunde. Im Gegenteil. Ich konnte es kaum erwarten von hier raus zukommen und sie nie wieder sehen zu müssen.
»Ich denke wir haben die selbe Meinung, was dieses Treffen hier angeht.« sagte sie und lächelte mich verschmitzt an.
Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten. Wenn sie sowieso meine Gedanken lesen konnte, warum sollte ich dann noch das auszusprechen, was ich dachte?
Dies erschien sie zu erfreuen, denn ihre Mundwinkel gingen sofort nach oben.
Ja. Und es wäre wohl höflicher, nicht jeden meiner Gedanken mitzuhören.
Sie wandte sich von mir ab, murmelte etwas Undeutliches vor sich hin und setzte sich dann auf den Stuhl neben mir.
»Spar dir deine überflüssigen Gedanken einfach. Wir können hier auch ganz anders reden! Oder soll ich dich lieber gleich töten?« fragte sie und kam mir gefährlich nah.
Sie bluffte. Ich merkte es daran, wie sie es sagte. Niemals würde sie mir nie etwas tun, nicht nachdem sie mich durch die ganze Stadt geführt hatte. Dann wäre doch die ganze Mühe umsonst gewesen.
Mach doch. dachte ich kalt.
Sie sah aus, als würde sie am liebsten sofort von ihrem Stuhl springen und mich angreifen, doch irgendetwas hielt sie davon ab. Ich nahm an, sie durfte diese Entscheidung nicht selber treffen. Plötzlich fing sie an zu klatschen.
»Schlaues Mädchen, ich muss schon sagen.« sagte sie und es schien ihr Spaß zu machen, mich zu provozieren.
Anstatt endlich mal zur Sache zu kommen, lächelte sie mich an, ohne irgendetwas zu sagen.Sie wartete auf irgendeinen Gedanken von mir, doch diese Freude wollte ich ihr nicht bereiten.
Ich zuckte kurz mit den Schulten und lies mich auf auf einen Stuhl fallen. Dieses Gespräch hier würde wohl ewig dauern.
» Gut. Bringen wir es hinter uns. Also, du bist sicher, du willst wissen, was ich dir nun zu sagen habe?« fragte sie ohne den kleinsten Funken Sorge. Sie sagte es spöttisch, was mich nur noch aggressiver machte.
Raus damit.
Ihre Augen verengten sich.
Sie sollte endlich ihre Geschichte loswerden, damit ich von hier verschwinden konnte und endlich zu Gerard gehen konnte, um alles zu erklären.
»Dir ist sicherlich schon aufgefallen, dass wir beiden die selbe Augenfarbe haben, nicht wahr? Und deine Haut verändert sich. Und dir war heute doch ziemlich schlecht, nicht wahr? Und was war das heute in der Schule? Ich habe gehört, du hast einen.... Schreibtisch zerstört?« sagte sie mit einem Grinsen.
Ich hatte nicht vor zu antworten, sollte sie sich eben ihre Antwort zusammen reimen.
»Und du kannst dich natürlich nicht daran erinnern. Ein Jammer, es war wirklich lustig, dir dabei zuzusehen.« fuhr sie fort.
Dabei zuzusehen? Sie war nicht mal in meiner Klasse, wie hätte sie es sehen können. Außerdem war dies mein Problem, mein Leben, mein Black Out.
»Es gibt eine sinnvolle Erklärung für das. Für alles,was heute passiert ist. Und noch viel mehr. Weißt du, in letzter Zeit hast du dich ziemlich verändert, Elle. Dir ist es nur nicht aufgefallen.« erklärte sie, als wäre es etwas ganz Normales. Ich würde womöglich noch von der Schule fliegen und sie blieb so ruhig! Das machte mich rasend!
»Entspann dich. Deinen Schulabschluss wirst du nicht brauchen.« informierte sie mich schulterzuckend.
Aber sicher doch, ich fliege von der Schule und werde Penner. So habe ich mir mein Leben immer vorgestellt.
Das wäre doch schrecklich. Ich brauchte meinen Abschluss. Einen Moment fragte ich mich, wie ich wohl im Moment aussehen würde. Wahrscheinlich war mein ganzes Gesicht verzerrt. Genauso gleichgültig, wie sie, sah ich sie an. Diesen Triumph wollte ich ihr nicht gönnen.
»Denk was du willst. Aber ich sage es dir, du wirst keinen Abschluss brauchen! Wie auch immer. Also, es gibt einen guten Grund für das alles. Wir beide – du und ich – wir sind Schwester.«
Niemals. Sie und ich? Sie log. Außerdem hätten mir meine Eltern so etwas nie verschwiegen. Sie hatten noch nie eine Schwester erwähnt. Meine Eltern waren zwar nie viel Zuhause, aber wenigstens diese Information hätten sie mir nicht verschwiegen. Dieses Mädchen musste vollkommen verrückt sein. Sie musste mich verwechseln, es gab bestimmt noch eine Elle Rise in dieser Stadt. Oder Elle Ris oder ähnliches.
»Deine Eltern haben es dir wirklich nicht gesagt? Oder sollte ich sagen, unsere Eltern? Naja, wahrscheinlich haben sie es dir einfach nicht gesagt, da sie es vergessen haben. Oder verdrängt. Wer weiß. Ich fand die beiden schon immer gruselig.« gab sie gleichgültig zu, was mein Fass zum Überlaufen brachte. Ich sprang von meinem Stuhl und stürzte mich auf. Niemand durfte solche Lügen über meine Familie erzählen, und vor allem nicht jemand, der sie überhaupt nicht kannte!
Ich holte schon zu einem Schlag aus, doch ehe ich mich versah stand sie am anderen Ende des Zimmers und ich schlug ins Leere.
Hatte ich mir das nur eingebildet, oder hatte sie sich übernatürlich schnell bewegt? Eben saß sie doch noch auf diesem Stuhl, doch plötzlich war sie weggewesen. Jemand Menschliches könnte sich nie so schnell bewegen. Es war, als hätte sie sich gar nicht bewegt, sie war einfach plötzlich an einem anderen Ort gestanden.
Langsam drehe ich durch, vielleicht sollte ich es doch in Erwägung ziehen, wieder zum Psychiater zu gehen... Jedoch brachte das meiner Meinung nach nicht viel, ich konnte auch alleine ''UNO'' und ''Wer ist es?'' spielen. Als ich ein kleines Kind war, hatte ich immer wieder diesen gleichen schrecklichen Alptraum. Ich wurde von einem Mann ganz in schwarz verfolgt und er sah mich am Ende des Traums mit seinem schwarzen kalten Augen an. Jede Nacht wachte ich schweißgebadet auf. Es ist schon länger her, dass ich diesen Albtraum hatte, aber ich konnte mich immer noch genau an ihn erinnern. Damals war ich deshalb zum Psychiater gegangen, aber als es nichts half, brach ich es ab.
»Du bist nicht verrückt. Du hast schon richtig gesehen. Tut mir Leid wenn ich das sagen muss, okay, nein, es tut mir nicht Leid, dir das sagen zu müssen, es macht mir viel mehr Spaß, aber deine Eltern haben dir wohl oder Übel sehr lange Zeit verheimlicht, dass du noch eine Schwester hast. Arme Elle.« sagte sie und ein freudiges Lächeln entstand auf ihrem Gesicht.
»Schätzchen, das ist nur die Wahrheit. Wenn du sie nicht hören willst, dann geh eben.« gab sie kühl von sich. Die Kälte ihrer Stimme überraschte mich aufs Neue. Wie konnte jemand nur so gefühllos reden.
Ich stand auf und ging durch die Tür, entschied mich einfach zu gehen. Warum sollte ich noch länger hier bleiben und mir anhören, was eine Irre zu sagen hatte? Das wäre pure Zeitverschwendung.
Schnell stand ich auf und war schon fast an der Tür angelangt, als sie plötzlich vor mir auftauchte.
»Wie du willst. Dann viel Glück dabei, dich weiterhin durchs Leben zu schlagen! Wenn du die Wahrheit nicht wissen willst, dann sage ich sie dir nicht.« stieß sie vor und ich schaute sie verwirrt an.
Das bestätigte nur meinen Verdacht, dass sie irre war. Meiner Meinung nach sollte definitiv mal einen Therapeuten aufsuchen. Ohne zu antworten drückte ich mich an ihr vorbei und ging hinaus.
Ich kam mein ganzes Leben schon gut zurecht, also würde ich weiterhin ebenso gut durchs Leben kommen, und das auch ohne ein so verrückte Mädchen. Ich versprach mir, nie wieder auch nur in Erwägung zu ziehen, hierhin zurück zukehren und ich hatte nicht vor dieses Versprechen zu brechen. Heute nicht und auch in ferner Zukunft nicht. Doch bevor ich ich vollends aus dem Zimmer war, sagte sie so leise, dass ich es fast überhört hätte:
»Er will dich.«
Als ich Zuhause ankam, war es 21:28 Uhr.
Eigentlich wollte ich noch Gerard besuchen, doch ich entschied mich dagegen. Frühstens um 22 Uhr würde ich bei ihm ankommen, das war mir zu spät. Wir würden sowieso nur streiten und so wie ich ihn kannte, würde er mich nicht gehen lassen, bevor alles geklärt sein würde. Ich würde bis zum frühen Morgen bei ihm bleiben müssen und um diese Uhrzeit durfte ich sowieso nicht mehr Auto fahren. Entspannt nahm ich mir einen Apfel aus der Küche und begab mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Ich hatte fürchterlichen Hunger, denn ich hatte schon seit heute früh nichts mehr gegessen und ich liebte Äpfel. Besonders die grünen sauren. Sie mochte sie auch... eigentlich sollten sie mich viel zu sehr an den Unfall erinnern, aber das taten sie komischerweise nicht. Ganz im Gegenteil: Sie heiterten mich auf, wenn es mir schlecht ging. Erinnerten mich an die schönen Zeiten mit ihr.
Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer und blieb sofort stehen. Vor lauter Schreck vergaß ich zu atmen. Sekunden später verlor ich das Bewusstsein.
3
»Wie lief es ab Leila, hat alles funktioniert, wie ich es mir erhofft hatte?«
Er stand an einer Fensterscheibe, manchmal kam er mir wirklich gruselig vor. Neben ihm war seine Freundin. Gefährtin. Frau. Er sprach nie darüber. Und ich fragte ihn auch nicht. Es war ein Thema, das wir generell einfach übergingen. Er wollte wohl nichts darüber erzählen und so nervte ich ihn nicht und bekam auch keine Schwierigkeiten, weil ich ihn eventuell verärgern könnte. Sie hatte blondes Haar und war eine Naturschönheit.
» Ich muss Sie enttäuschen, sie ist einfach gegangen. Sie wollte das alles nicht wissen.«
Er drehte sich um und sah mich einen Augenblick an. Dann schritt er hinüber zum Kamin, wo er kurz seine Hand hinein streckte, die kurz darauf Feuer fing. Er liebte nun mal das Drama. Und die Show. Ich hatte sogar gehört, er wäre damals ein Zauberer gewesen. Das war natürlich in jungen Jahren gewesen. Allerdings glaubte ich, er vermisste es. Die Aufregung, die Spannung während dem Zaubertrick und den Applaus.
» Ich fürchte, das wird schwerer, als wir gedacht hatten.«
Seine Hand brannte immer noch. Von Schmerz war in seinem Gesicht keine Spur zu sehen. Das war wieder rum ein Zeichen seines Alters. Wie alt er jedoch war, wusste keiner so genau. Und keiner fragte ihn. Das gehörte sich einfach nicht.
» Sie haben mir versprochen, dass wir es schaffen! Wir müssen es schaffen. Sie haben uns getrennt, Sie haben mich entführt, als ich ein Kind war und das schulden sie mir nun! Es ist schon schwer genug, die Eiskalte zu spielen. Ich haben ihnen vertraut und sie haben es mir versprochen!«
Er blieb ganz ruhig, doch am Fenster bewegte sich etwas. Es war seine Freundin. Gefährtin. Frau. Sie war unausstehlich.
» Du wagst es, so mit ihm zu reden! Willst du, dass ich dich mit eigenen Händen foltere und danach verbrenne?!«
Ich wusste, ich war zu weit gegangen, doch ich wollte ihr diesen Sieg nicht gönnen. Ich trat einen Schritt näher auf sie zu, um sie nur anzuspornen, mich hier und jetzt zu töten.
Er tupfte seine Hand kurz an seiner Jacke ab, was die Flammen löschte und stellte sich zwischen uns.
» Nur Ruhe meine Lieben. Wir kriegen das schon hin. Und Leila, denkst du, ich habe keinen 2. Plan oder 3. und 4. Plan? Ich bin weit aus genialer und älter, als manch einer weiß. Ich weiß, wie man spielt. Ich habe schon viel erlebt meine Liebe. Und nun geh. Ich habe genug gesagt! Ich muss das wohl selber in die Hand nehmen.«
Ich wusste ich war zu weit gegangen, aber es war richtig, dies zu sagen. Ich drehte mich um und ging zur Tür. Kurz davor blieb ich stehen und drehte mich ein letztes Mal um.
» Ich vertraue auf Sie. Wir müssen es schaffen. Sie ist immerhin meine Schwester.«
Der nächste Tag verlief ohne Schwierigkeiten. Ich begegnete dem komischen Mädchen, dessen Namen ich komischerweise nicht mal wusste, zwar immer wieder auf dem Flur, in der Toilette, eigentlich überall, aber sie tat nichts weiter als mich weiterhin anzustarren. Eigentlich hätte ich erwartet, dass sie mich erneut zu einem Gespräch zwang, aber da lag ich wohl falsch.
Was komisch war, ich hatte Gerard heute kein einziges Mal getroffen, nicht mal, als ich bei seiner Klasse nach ihm geschaut hatte. Vermutlich hätte ich einfach seine Freunde nach ihm fragen sollen... darauf war ich nur leider zu spät gekommen.
Auf dem Weg nach Hause nahm ich mir einen Apfel aus meinem Rucksack, der genauso aussah, wie der gestrige.
Ich erinnerte mich an die rote Schrift an der Wand, die mit höchster Wahrscheinlichkeit mit Blut geschrieben war, wie ich sie versuchte wegzubekommen, mit allen möglichen Mitteln, wie sie einfach nicht wegging.
Ich überlegte wer so etwas an meine Schlafzimmerwand hätte schreiben können. Wer sollte ''Du hättest auf mich hören sollen. Er will dich.'' auf die Wand eines Teenagers geschrieben haben? Klar, Gerard hätte es sein können, ich hatte ihm genug Gründe gegeben, sauer auf mich zu sein, aber wäre solch eine Drohung nicht ein wenig übertrieben? Und Josh, er hasste mich womöglich, aber wir hatten uns früher so gut verstanden, dass mir das unrealistisch vorkam. Aber wer sonst hätte es sein sollen?
Natürlich! Diese Irre musste es gewesen sein. Sie hatte wahrscheinlich den Schlüssel der unter der Fußmatte lag genommen und war dann in mein Zimmer gelaufen.
Aber warum sollte sie das tun? Ja, natürlich war sie irre, aber auch wenn ich sie definitiv nicht leiden konnte, traute ich ihr so Etwas nicht zu. Doch wenn sie es nicht gewesen war, musste es jemand Fremdes gewesen sein. Ich nahm an, es war einfach irgend ein blöder Scherz von irgendwelchen Raudis gewesen.
Als ich nach Hause kam, fand ich Cookie allein im Wohnzimmer auf. Er hörte mich erst nicht, doch als ich seinen Namen rief, sprang er mich wie wild an und freute sich abgöttisch. Das sah ich als eine Auffassung zum Gassigehen auf, also schnappte ich mir die Leine, die wie gewohnt an der Gaderobe im Flur hing und brach zu einem Spaziergang auf.
Es war schönes Wetter, perfekt um Spazieren zu gehen. Cookie war heute anders, er wollte in eine völlig andere Richtung als sonst, aber da ich ihn liebte und er nun einmal ziemlich stur war, folgte ich ihm einfach.
Cookie war ein kleiner Yorkshire Mischling und mein Ein und Alles. Allerdings war er schon 7 Jahre alt und ich wusste nicht, wie lange er noch leben würde, denn er hatte schon einige Krankheiten durchgestanden und benahm sich auch schon eher wie ein alter Hund.
Heute aber war er fröhlich und aufgeweckt wie nie, weshalb ich ziemlich schnell laufen musste, um mit ihm mitzuhalten.
In der Ferne sah ich einen anderen Hund kommen, doch es war zu spät. Cookie raste schon auf ihn zu und ich wusste, er würde ihn sofort angreifen. Es war mein Fehler, ihn von der Leine loszumachen, doch ich hatte gedacht, dass ich hier niemanden treffen würde.
Er war nicht gerade der freundlichste Hund, naja, jedenfalls was das Zusammentreffen mit anderen Hunden anging. Ich rannte ihm also hinterher, doch ich befürchtete, ich kam zu spät. Cookie entfernte sich immer mehr und hatte den anderen Hund nun fast erreicht. Plötzlich spürte ich etwas unter meinen Füßen und wurde weggezogen. Sofort wurde alles schwarz.
»Hey, ist alles in Ordnung?« hörte ich jemanden hastig sagen.
Ich wurde gerüttelt. Als ich langsam wieder sehen konnte, blickte ich in das Gesicht von einem total gutaussehenden Jungen. Sofort war es mir peinlich, hingefallen zu sein und ich versuchte mich aufzusetzen. Mit Folgen. Mein Kopf dröhnte und kurz wurde alles um mich herum wieder schwarz. Was war nur passiert?
»Was machst du da, du darfst dich doch nicht so schnell aufsetzten! Du bist gerade echt schlimm hingefallen!« beteuerte der fremde Junge.
Ich verstand die Situation noch immer nicht, doch als ich im Hintergrund Cookie erkannte, fiel mir alles wieder ein. Ich war ihm nachgerannt und plötzlich hingefallen. Anscheinend musste ich ohnmächtig geworden sein...
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in den Armen des Fremden lag, der mich ziemlich fürsorglich anschaute. Er sah wirklich gut aus, hatte braune, kurze Haare und strahlend blaue Augen.
»Eh ich eh.. tut mir Leid, hat Cookie deinen Hund angegriffen?« fragte ich noch immer nicht ganz bei der Sache. Er lachte kurz. Was gab es hier zu lachen? Ich war hingefallen, mein Kopf schmerzte unglaublich und mein Hund hatte wahrscheinlich mal wieder jemanden gebissen. Mir war absolut nicht zum Lachen zumute.
»Du machst Witze oder? Die beiden haben sich auf Anhieb toll verstanden. Schau doch!« antwortete er und zeigte mit seiner Hand zu den Hunden.
Er hob mich vorsichtig hoch, damit ich die beiden sehen konnte. Tatsächlich. Sie lagen nebeneinander und sahen sich total niedlich an, so etwas hatte ich bei Cookie noch nie gesehen. Bisher hatte sie jeden Hund, den wir trafen von der ersten Sekunde an gehasst. Einmal hatte ich sogar eine Klage am Hals, weil mein Hund einen anderen angefallen hatte, doch die beiden verstanden sich wohl ziemlich gut.
»Achso, ich bin übrigens Till, ich bin der Besitzer von Jerry und hab dich fallen sehen, deshalb bin ich so schnell wie möglich hier her gerannt, aber du warst schon ohnmächtig. Ich bin echt froh, dass es dir soweit gut geht, ich hab mir schon überlegt, einen Krankenwagen zu rufen!« erzählte er.
Angestrengt wand ich mich aus seinem Armen, um ihm zu zeigen, wie gut es mir ging und setzte mich auf. Jetzt konnte ich seine Schönheit vollends erkennen, er hatte wirklich etwas Einzigartiges.
»Ach nein, es geht mir gut. Aber vielen vielen Dank! Ich bin auch so ein Tollpatsch, so was passiert immer nur mir... aber naja, du hast mich ja gerettet. Dafür bin ich dir eigentlich was schuldig.« sagte ich, während ich mich mit meiner Hand am Boden abstützte.
Er schenkte mir ein bezauberndes Lächeln, ihm gefiel wohl was ich sagte.
»Ja das stimmt. Ich würde ja eine Einladung ins Kino verlangen oder wenigstens deine Handynummer, aber so ein hübsches Mädchen wie du hat doch bestimmt einen Freund.« gab er grinsend zurück.
»Nein hab ich nicht.«
Bevor ich auch nur eine Sekunde nachgedacht hatte, platzen die Worte aus mir heraus. Warum sagte ich so was? Ich meine, das mit Gerard war immer hin noch nicht vorbei? Oder doch? Vielleicht war das ja ein Zeichen.
Ich wollte mich gerade korrigieren, da fiel er mir ins Wort.
»Super, na dann würde ich sagen, wir treffen uns hier morgen um 18 Uhr und entscheiden uns dann, was wir machen wollen? Meine Nummer bekommst du nicht, damit du mich nicht versetzten kannst. Ich meine, du bist mir doch was schuldig, nicht wahr?« fragte er immer noch lächelnd.
Er stand auf und wollte mir aufhelfen, doch ich blieb sitzen. Ich musste einen Moment überlegen, ob ich Gerard wirklich so hintergehen sollte. Er war mein Freund, doch wir hatten Streit. Aber er liebte mich und ich war niemand, der betrug. Andererseits aber war es bei uns doch gerade sowieso so gut wie aus und außerdem konnten wir ja als Freunde etwas zusammen machen. Ich würde ihm gleich morgen sagen, dass ich doch einen Freund hatte, doch für jetzt entschied ich mich, ihm die Wahrheit zu verschweigen.
Tief atmete ich durch, nahm seine Hand, die er mir entgegenstreckte und ließ mir schließlich von ihm hoch helfen. Ich stand zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber außer den Kopfschmerzen ging es mir schon viel besser.
»Okay, genau hier, morgen um 18 Uhr. Ich werde da sein.« beschwichtigte ich und schenkte ihm ein Lächeln. Insgeheim freute ich mich wirklich auf morgen. Man lernte immerhin nicht jeden Tag Jungs kennen und erst recht nicht so gutaussehende und ein wenig Ablenkung nach dieser Verrückten und dem Vorfall mit dem Schreibtisch konnte wohl auch nicht schaden.
Ich rief Cookie zu mir und gemeinsam gingen wir dann wieder in die entgegengesetzte Richtung. Till begleitete mich noch ein Stück, wobei ich ihn etwas kennen lernte. Und er war toll. Wirklich. Selten hatte ich jemanden getroffen, der so gut aussah und trotzdem so einen wundervollen Charakter besaß.
Als ich Zuhause ankam, hatte ich schon wieder alles von dem Gespräch vergessen. Mein Kopf schmerzte unmenschlich und die Bauchschmerzen waren auch wieder zurück gekommen. Ich musste wohl doch härter gefallen sein, als ich zuerst dachte und sollte mich wohl etwas ausruhen, vielleicht würde mir dann wieder alles einfallen. Das Einzige, was ich noch in Erinnerung hatte, war, dass er echt nett war. Und, dass ich mich morgen um 18 Uhr mit ihm traf.
Am nächsten Morgen stand ich früher auf. Ich wollte noch bei Gerard vorbeischauen, weil ich die Sache zwischen uns wieder in Ordnung bringen wollte. Ich hatte keine Lust auf eine Konfrontation während der Schule und außerdem hatte ich noch ein schlechtes Gewissen wegen Till und wollte ich ihm auch noch erklären, warum ich im Einkaufszentrum so einfach aufgelegt hatte.
Ich sprang unter die Dusche und putzte mir die Zähne. Heute sah mein Gesicht schon besser aus, allerdings hatte es immer noch die selbe bleiche Farbe wie am Tag zuvor. Kurz überlegte ich, ob ich vielleicht mal wieder ins Sonnenstudio gehen sollte, wie ich es früher immer getan hatte, entschied mich dann jedoch dagegen, da mir meine neue Gesichtsfarbe sogar ein wenig gefiel. Sie brachte meine schwarzen Augen gut zum Vorschein.
Nachdem ich mich angezogen und geschminkt hatte, ging ich hinunter in die Küche, um mir für die Schule noch ein Pausenbrot zu belegen. Mein Vater George saß am Esstisch, mit der Zeitung und einem Kaffee in der Hand. Als ich an ihm vorbeilief, schaute er nicht einmal auf.
»Guten Morgen, Daddy« rief ich ihm zu.
Er blickte kurz auf, murmelte etwas, das sich entfernt anhörte wie »Morgen« und wandte sich dann wieder seiner Zeitung zu.
Nichts Ungewöhnliches, mein Vater hatte eigentlich nie Zeit für mich. Jedenfalls ließ er sich ein paar Mal in der Woche hier blicken, im Gegensatz zu meiner Mutter. Sie hatte nicht mal den Anstand einmal in der Woche anzurufen, nein, von ihr hörte ich so gut wie nie etwas.
Es kam mir oft so vor, als hätte ich eine eigene Wohnung, weil ich meist die Einzige Person im Haus war, mit Ausnahme von Cookie. Für viele meiner Freunde wäre das wahrscheinlich ein Traum, aber ich kam mir einfach nur verlassen vor. Der Einzige, der mich immer Glücklich machte, war mein Hund. Er schenkte mir seine ganze Liebe und ich brauchte alles davon. Für Cookie würde ich sterben.
Ich entschied mich dafür, mich kurz zu meinem Dad zu setzten, weil ich schon so lange nicht mehr mit ihm geredet hatte und ihn ziemlich vermisste.
Also machte ich mir auch einen Kaffee und setzte mich zu ihm.
»Wie läuft es in der Arbeit, Daddy?« fragte ich so nebenbei, wie es mir gelang.
Er schien etwas verwirrt zu sein, er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn noch einmal ansprach.
»...Gut« murmelte er so leise, dass ich es kaum verstand.
Das war typisch mein Vater.
»Kann ich heute dein Auto benutzen, Daddy?« fragte ich leicht gereizt.
Jetzt hatte ich seine volle Aufmerksamkeit. Wenn es um sein Auto ging, kannte er kein Erbarmen. Hätte er die Möglichkeit, sein Auto zu heiraten, würde er es sofort tun. Ich war mir nicht hundertprozentig sicher, aber wahrscheinlich würde er sogar meine Mutter für das Auto stehen lassen.
»Sei nicht dumm, Kleines. Du weißt, dass das nicht geht.« erklärte er leichtherzig.
Ich wusste natürlich, dass ich es sowieso nicht bekommen würde, ich hatte ja selber ein Auto, aber so schnell würde ich nicht nachgeben. Heute wollte ich einfach mit ihm reden, und wenn dies die einzige Möglichkeit war, es zu schaffen, würde ich das Thema ganz ausreizen.
»Warum nicht?«
Während ich ihn fragte, blickte ich ihm direkt in die Augen.
Jetzt war er richtig fassungslos. Er öffnete ein paar mal den Mund und schloss ihn dann aber wieder, so, als ob er nicht wüsste, was er sagen sollte. Nach kurzer Zeit hatte er sich wieder gefangen.
»Wie kannst du es wagen! So habe ich meine Tochter nicht erzogen!«
Die Gereiztheit war deutlich in seiner Stimme zu hören. Ich hatte zwar erreicht, dass er mir zuhörte, aber mehr auch nicht, denn auf einen Streit hatte ich es nicht abgesehen.
»Ach Daddy, ich wollte doch nur mal mit dir reden... du und Ma, ihr seid immer weg, es kommt mir so vor, als wäre ich Waise! Ich sehe euch beide so selten, dich sehe ich zwar manchmal, aber du bist immer nur mit dir beschäftigt, oder mit deiner Arbeit! Und Ma? Ich weiß nicht, wie viele Monate ich sie jetzt schon nicht mehr gesehen habe! Was habe ich getan, damit ihr euch so wenig für mich interessiert?! Kannst du mich nicht verstehen? Ich vermisse euch einfach... könnt ihr nicht mal etwas mehr für mich da sein?« fragte ich, spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und musste mir das Weinen verkneifen.
»Mh-hm« war alles was mein Vater zusagen hatte. Jetzt war das Gespräch vorbei. Er wandte sich wieder seiner Zeitung zu und ich wusste, dass es mal wieder nichts gebracht hatte.
Ich stand auf, belegte mir so schnell ich konnte ein Brot, holte mir meinen Autoschlüssel und stürzte aus dem Haus. Keine Sekunde lang hielt ich es noch mit ihm aus, deshalb seufzte ich erleichtert, als ich die Tür hinter mir zuschlug.
Wie konnte er mich nur so behandeln, er war immerhin mein Vater! Eigentlich hatte er die Aufgabe, mir zu sagen, dass ich das hübscheste Mädchen der Welt war, dass ich mich anständig anziehen sollte und gute Noten in der Schule schreiben sollte.
Aber was bekam ich?
Ich erinnerte mich noch genau an meinen zwölften Geburtstag, an dem meine beiden Elternteile anwesend waren. Meine Tante und meine Freunde waren auch anwesend und es schien eigentlich ein perfekter Tag zu werden, doch am Ende es war zu einem der schlimmsten Tage meines Lebens geworden.
Noch immer hörte ich die Stimme meiner Mutter, wie sie laut sprach, als ich die Kerzen meines Kuchens ausblies.
George, weißt du noch, als wir bei meiner Geburt beide so verzweifelt waren, weil wir so ein hässliches Kind bekommen hatten? Wir hatten doch Glück, sieht sie dir an, sie hat sich doch noch ganz gut entwickelt.
Seit diesem Tag war mein Selbstbewusstsein am Boden. Vielleicht sah ich meine Mutter deshalb nie. Weil sie zu enttäuscht von mir war und den größten Fehler ihres Lebens in mir sah und es deshalb nicht ertrug, mir zu begegnen.
Ich stieg ins Auto und machte mich auf den Weg zu Gerard. Jetzt war ich doch später dran, als ich wollte, wegen dem Gespräch mit meinem Vater, aber ich entschloss mich trotzdem noch bei ihm vorbei zu schauen, doch als ich bei ihm vorbeifuhr, war sein Auto schon weg.
Es war noch viel zu früh, um zur Schule zu gehen und Gerard kam meistens zu spät, also musste er sich noch wo anders herumtreiben.
Und ich glaubte, ich wusste wo, also fuhr ich los.
4
Ich sah die vielen Bäume, die sich vor mir aufragten. In dieser Jahreszeit sahen sie besonders schön aus. Überall war Vogelgezwitscher zu hören. Frühling war einfach wunderschön.
Ich schloss mein Auto ab und ging Richtung See. Dies war der einzige Ort, bei ich mir vorstellen konnte, Gerard anzutreffen, denn es war der Ort, wo Gerard und ich uns damals kennen gelernt hatten.
Früher wohnte er weit weg von hier, aber als sein Vater hier in der Nähe ein Job Angebot bekam, zogen sie hier her. Jedenfalls war es im Sommer, kurz bevor die Schule wieder begonnen hatte, weshalb ich ihn noch nicht kannte.
Ich wollte mich damals mit ihr hier am See treffen, doch sie kam nicht. Ihrer Mutter war etwas passiert und sie hatte mich angerufen und sich entschuldigt, dass sie nicht kommen würde. Es war aber ein schöner Tag gewesen und daher entschloss ich mich, noch ein wenig am Steg sitzen zu bleiben, um das schöne Wetter zu genießen.
Und da setzte er sich zu mir. Wir redeten ein wenig, lachten miteinander und irgendwann schubste er mich unerwartet in den See. Ich zog ihn natürlich auch mit hinein.
Seitdem waren wir wirklich gute Freunde und ein paar Monate später küssten wir uns an demselben Steg das erste Mal. Damals war Gerard noch so liebevoll gewesen. Er war der Gerard, den ich zur Zeit vermisste und der immer weniger zum Vorschein kam.
Ich fragte mich, woran das lag, warum er sich so stark verändert hatte, aber es half sowieso nichts. Er war jetzt nun mal so und man konnte nichts daran ändern.
Kurz bevor ich den See erreichte, blieb ich noch einen Moment stehen. Ich atmete die frische Luft ein und erlaubte einen Moment, dass all die alten Erinnerungen mich überkamen.
Hier hatte ich nicht nur Gerard kennen gelernt, hier hatte ich auch so viel Spaß mit meinen Freunden gehabt, mit ihr.
Langsam stiegen mit Tränen in die Augen, welche ich unterdrückte. Ich riss mich zusammen und lief weiter.
Ich hatte recht. Tatsächlich saß Gerard am Steg. Er blickte auf den See und war wohl ganz in Gedanken, denn als ich mich zu ihm setzte, erschrak er leicht.
»Weißt du noch, wie wir uns hier das erste Mal geküsst haben? Wir saßen genau hier, es war schon dunkel gewesen und meine Mutter hatte schon angerufen gehabt und mich angemotzt, dass ich gefälligst nach Hause kommen sollte, doch das war mir egal, ich wollte die Zeit mit dir verbringen und dann küssten wir uns...« flüsterte er gerade so laut, dass ich sie alle ganz genau verstand. Während er sprach, schloss ich meine Augen und erinnerte mich an diesen Moment.
Es war für uns beide der erste richtige Kuss gewesen und es war toll gewesen.
»Natürlich weiß ich das noch Gerard.« antwortete ich leise.
Ich legte meine Hand auf seinen Arm, was ihn aus seiner Starre löste. Er blickte mich nun direkt an und ich sah, wie verletzt er wirklich war.
»Was ist seitdem passiert, Elle? Wir waren so verliebt, und jetzt? Manchmal wünsche ich mir, einfach die Zeit zurück zu spulen, damit ich die Zeit mit dir wieder genauso genießen kann, wie damals. Früher war alles so viel leichter...« bemerkte er traurig.
Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief, ich wusste genau, was er damit meinte.
»...Gerard. Wir können nicht ändern, was geschehen ist. Und ich erkenne dich kaum wieder. Du hast dich verändert, Gerard.« sagte ich vorsichtig.
Plötzlich war alles Gefühl aus seinem Gesicht verschwunden. Er riss seinen Arm weg, sodass ich ihn nicht mehr berühren konnte und blickte mich kalt an.
»Ich habe mich verändert? Ich?! Dass ich nicht lache. Ich war derjenige, der sich Mühe gegeben hat, dieses ganze Schlamassel aufzuklären, ich habe dich sogar angerufen, damit wir es klären können, aber anstatt mir entgegen zu kommen, hast du einfach aufgelegt. Und da sagst du, ich hätte mich verändert! Früher hättest du so etwas niemals getan.« rief er wütend.
Er hatte recht. Alles was er sagte, stimmte, doch ich wusste nicht, wie ich erklären sollte, dass das alles nicht mein Fehler war.
»Ja ich weiß, aber es ist nicht so einfach! Mein Leben hat sich zur Zeit so stark verändert und ich kann diesen Stress mit dir jetzt einfach gerade nicht auch noch vertragen! Ich würde es dir ja gerne erklären, aber...«
Bevor ich den Satz zu Ende sprechen konnte, fiel er mir ins Wort.
»Was aber? Ich weiß schon was du sagen willst Elle. Ich tu es für dich. Es ist aus. Du brauchst mich nicht mehr anrufen und versuch dich jetzt nicht zu verteidigen. Es musste sowieso mal so kommen.« sprach er und blickte mich ernst an.
Eigentlich wollte ich noch etwas sagen, aber er stand auf, verschwand und zerstörte damit meine Chance. Er ließ mich allein am See zurück.
Mal wieder verlassen.
Plötzlich kamen alle Gefühle hoch und ich fing an zu weinen. Hatte ich nun alles verloren? Mein Leben änderte sich gerade wirklich drastisch und ich konnte es nicht mehr aushalten.
Nach einer Weile hörte ich auf zu Weinen. Wie musste es wohl aussehen, ein Mädchen, das allein am See sizt und weint. Wenn mich jetzt jemand aus der Schule hier sehen würde, müsste ich den ganzen Tag Ausreden dafür erfinden und darauf hatte ich keine Lust.
Ein Gutes gab es wenigstens. Heute Abend konnte ich Till ohne schlechtes Gewissen treffen. Ich hoffte nur, dass er mich ein wenig von Gerard ablenkte.
Da fiel mir ein, dass es ja ein Schultag war und ich stand auf, warf noch einen letzten Blick auf den See und schloss für immer mit Gerard ab.
Die Schule war an diesem Tag so schlimm wie schon lange nicht mehr. Gerard hatte wohl verbreitet, dass wir nicht mehr zusammen waren, weshalb ich den ganzen Tag durchgehend böse Blicke von den verschiedensten Leuten zugeworfen bekam. Den ganzen Tag merkte ich, wie das Geflüster immer lauter wurde, wenn ich in Gängen erschien. Doch das war nicht das einzige Problem. Ich war gezwungen, dem Direktor einen Besuch abzustatten. Zu meinem Glück bekam ich allerdings keinen Schulverweis.
Ich quälte mich durch weitere 6 Stunden Schule und hatte es am Ende doch überlebt.
Als ich von der Schule nach Hause fuhr, war ich schon fast überglücklich, weil ich mich so auf das Treffen mit Till freute. Es verwirrte mich ein wenig, weil ich diesen Jungen noch gar nicht kannte, doch ich sah es als gutes Zeichen, dass ich ihn von Anhieb so sehr mochte.
Wie immer wenn ich von der Schule kam, ging ich zuerst in die Küche, machte mir eine Suppe und meinen gewöhnlichen Erdbeer-Himbeer Tee.
Normalerweise beruhigte mich der Tee immer, doch heute war es anders. Kurz nachdem ich ihn ausgetrunken hatte, fühlte ich mich viel schlechter, ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten und musste mich eine Weile hinlegen. So ein Gefühl hatte ich bisher nie bekommen und es war ungewöhnlich, dass gerade mein Tee es verursachte.
Doch ich ließ mir meine gute Laune nicht nehmen. Kaum dass es mir besser ging, stand ich auf, flitzte in mein Zimmer und suchte das passende Outfit für heute Abend aus. Danach sprang ich unter die Dusche und schmierte mich großzügig mit meiner Kokos Bodylotion ein. Heute wollte ich besonders gut riechen.
Ich zog mir die Klamotten an, schminkte mich frisch und kaum dass ich mich versah, war es schon 17:30.
Da ich es sowieso nicht mehr Zuhause aushalten konnte, entschied ich mich, jetzt schon los zu gehen, auch wenn dann die Gefahr bestand, dass ich ziemlich lange warten musste.
Als ich die Tür hinter mir zuschlug, erwischte ich mich dabei, wie ich vor mich hin summte. So etwas passierte mir normalerweise nie, ich war wohl so gut gelaunt wie lange nicht mehr und das alles nur wegen diesem Jungen? Das kam mir seltsam vor. Aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich mit ihm alles richtig machte.
Als ich ankam, war er unerwarteterweise schon da. Ich rannte die letzten Meter und sprang förmlich in seine Arme. Ihm entfuhr ein kleines Lachen, er war wohl überrascht von meiner fröhlichen Geste.
»Da ist heute aber jemand gut gelaunt.« stellte er grinsend fest.
Das brachte mich auch zum Lachen. Seine Stimme war schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Ich schob ihn etwas zurück, sodass ich ihm in seine Augen sehen konnte und antwortete mit einem strahlenden Lächeln.
»Ja, wohl schon. Das ist eigentlich komisch, heute war ein Tag wo so ziemlich alles schief gelaufen ist, aber ich bin trotzdem fröhlich wie nie. Muss wohl an dir liegen«
Er schob mich leicht von sich weg.
»An mir? Ich kann nicht sagen, dass mir nicht gefällt was ich hier höre« gab er zu.
In seinem Gesicht erschien ein freches Lächeln, aber mir gefiel es. Es war richtig ansteckend, denn ohne es zu wollen, fing auch ich schon wieder an zu lächeln. Nach ein paar Sekunden aber hatte ich mich wieder gefunden.
»Okay und auf was hast du jetzt Lust? Ich meine, wir können unser Date auch hier im Busch verbringen, aber vielleicht hast du doch eine bessere Idee.« fragte ich und sofort hätte ich mich selbst schlagen können. Wie bescheuert war ich eigentlich? Musste ich gleich beim ersten Satz den ich sagte, etwas so zweideutiges benutzten?
»Ich würde ja gern mein erstes Date mit dir im Busch verbringen, aber ich glaube wir sollten es langsam angehen lassen und, wie wärs, erst mal ein Eis essen gehen?« gab er neckend zurück und ein Lachen konnte er sich auch nicht verkneifen. Ich war froh, dass er es mit so viel Humor nahm, so hätte sie es vermutlich auch getan.
»Hört sich gut an.« antwortete ich lächelnd.
Mit diesen Worten liefen sie los.
Die nächste Eisdiele war nicht weit von hier entfernt, aber auf dem Weg hatten wir trotzdem Zeit sich ein wenig zu unterhalten. Bei der Hälfte vom Weg nahm er überraschend meine Hand.
Ich war zuerst ein bisschen erstaunt, aber es fühlte sich so gut an, dass ich es zuließ. Als wir bei der Eisdiele ankamen, ließ er meine Hand los, um die beiden Eiswaffeln zu nehmen und gab mir mein Schokoladeneis, aber sofort danach nahm er sie wieder.
Wir gingen ein Stück weiter zu einem Park und setzten uns auf die nächste Bank.
»Weißt du, es passiert mir nicht so oft, dass ich ein Mädchen kennen lerne und mich sofort so gut mit ihr verstehe« sagte er zu mir mit strahlenden Augen.
Ich musste lachen. Genau so war es bei mir auch und ich hatte schon die ganze Zeit gehofft, dass es auch ihm so ginge.
»Da bin ich aber froh. Ich dachte schon, ich bin die Einzige hier die sich so fühlt.« gab ich lachend zu.
Er lächelte mich an. Sein Lächeln war der Traum. Schon allein für dieses Lächeln würde ich alles tun. Ich würde nie genug von diesem Anblick bekommen.
Plötzlich fing es an zu regnen. Ich verspürte die Lust, einfach aufzuspringen und mich in den Regen zu werfen und da ich mich heute so gut fühlte, entschloss ich mich dazu, es zu tun.
Als ich von der Bank aufstand, warf mir Till einen verwirrten Blick zu, aber das hielt mich davon nicht ab. Ich rannte von der Bank, sprang in den schüttenden Regen und drehte mich darin lachend.
»Till, komm auch her, es macht so Spaß!« rief ich ihm mit einem Grinsen zu.
Ich war schon klitschnass, aber das machte mir nichts. Till warf mir einen schrägen Blick zu, doch dann stand er ebenfalls auf, legte sein Eis ab und kam zu mir. Auch er war sofort durchnässt.
Ich sprang glücklich in die Luft, es fühlte sich so gut an, einfach mal verrückt herum zu springen, nachdem so viel in letzter Zeit passiert war.
Plötzlich spürte ich Tills Arme an meiner Taille, er zog mich von hinten an sich heran und drehte mich herum.
Ernst blickte ich ihm in die Augen und wir waren uns nun so nahe, dass alles um uns herum nicht mehr zählte, alles was im Moment existierte, waren wir Beide.
Ich dachte, er würde mich küssen, was mich dazu brachte, mich seinem Mund zu nähern, aber kurz bevor ich ihn erreicht hatte, schob er mich ein wenig weg von sich. Er spürte, wie weh mir das tat und fing an zu lachen.
»So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr.« versuchte er die Situation zu retten, doch selbst er schaffte es nicht mehr. Ich war gekränkt und hatte nicht mehr wirklich Lust noch etwas zu machen. Schnell sah ich mich nach irgendetwas um, mit dem ich mich ablenken konnte, aber es war nichts vorhanden, also ging ich zur Bank zurück und nahm mein schon geschmolzenes Eis wieder in die Hand.
»Oh, das wars dann wohl mit meinem Eis... naja, ich muss sowieso nach Hause, es ist schon spät und ich muss noch meine Hausaufgaben machen.« sagte ich ohne eine Miene zu machen.
Natürlich wusste ich wie einfallslos diese Ausrede war, doch zu mehr brachte ich es in diesem Moment nicht. Er merkte auch, dass ich log, aber er ließ es zu.
»Es... ich muss noch ein paar Dinge erledigen, bevor das mit uns geht, okay? Lass uns erst mal Freunde bleiben.« bat er.
Er nahm meine Hand und zwang mich dazu, ihm in die Augen zu schauen. Seine Augen schimmerten so schön, dass ich nichts anderes machen konnte, als zu lächeln.
Das reichte für ihn und so warf er sein Eis in den Müll und wir gingen klitschnass wieder zusammen nach Hause.
Ich hätte es nicht erwartet, aber es wurde doch noch ziemlich lustig. Er erzählte mir einen schlechten Witz nach dem Anderen, bis ich mich irgendwann auf dem Boden krümmte vor Lachen. Am Ende gab er mir noch seine Handynummer und ich ihm meine, damit wir uns auch wiedersehen konnten.
Vielleicht würden wir ja doch gute Freunde werden.
Zum Abschied umarmten wir uns kurz und ich ging dann etwas gekränkt, aber doch glücklich nach Hause.
Mich hatte noch nie ein Junge abgewiesen und jetzt war das mit Gerard vorbei und ich hatte Hoffnung gehabt, dass das mit Till was wird. Es kratzte schon ein wenig an meinem Selbstbewusstsein, aber es schien mir nicht so, als würde er mich nicht toll finden und außerdem, wer wusste schon, was die Zukunft für einen bereithielt. Man muss es eben manchmal einfach auf sich zukommen lassen.
Heimlich glaubte ich sogar ans Schicksal.
Als ich Zuhause ankam, machte ich sogar wirklich noch meine Hausaufgaben, schaute mir den kleinen Zettel an, wo Tills Handynummer drauf stand und malte ein Herz darauf. Danach fütterte ich Cookie und erzählte ihm alles von unserer Verabredung.
In dieser Nacht schlief ich mit einem Lächeln im Gesicht ein.
5
In der Mittagspause setzte ich mich wie gewohnt mit Trish an den letzten Tisch der Cafeteria. Er war quasi schon unser Tisch. Zu uns gesellten sich noch unsere anderen guten Freunde Carl, neben dem ich in Geschichte saß und Marien, die sich auch ziemlich gut mit uns verstand. Außerdem kamen noch ein paar Anhänger von mir zu uns, die insgeheim hofften, auch irgendwann so beliebt wie ich zu sein.
Doch jeder wusste, dass das sowieso nicht ging. Ehe ich mich versah, war jeder Platz belegt.
Ich biss in meinen Sandwich hinein und merkte erst Momente später, dass alle mich anstarrten.
»Was ist?« murmelte ich mit vollem Mund, wobei ich mir Mühe gab, das Essen nicht auszuspucken.
»Ich hab gerade gesagt, dass wir heute Abend alle noch in die Stadt gehen wollten um ein bisschen zu feiern. Du weißt schon, um ein bisschen vom Schulalltag wegzukommen und so.« sagte Carl.
Er machte sich wohl große Hoffnungen, dass ich mitging, denn er sagte es mit so viel Enthusiasmus, wie nur möglich war.
»Klar, hört sich gut an. Ich komm mit.« antwortete ich locker.
Jetzt wandten sich alle wieder ihren Pausenbroten zu. Sie hatten alle gewartet, bis ich gesagt hatte, dass ich mitging? Ich war wohl doch beliebter, als ich dachte. Sie hatten mir sogar die Aktion mit dem Schreibtisch einfach so verziehen. Und das mit Gerard? Inzwischen meinten alle schon, dass ich Schluss gemacht hatte und er war inzwischen das schwarze Schaf.
»Hast du es schon gehört? Alles ist kaputt, ALLES.«
Trish versuchte es mir zuzuflüstern, aber am Ende erhob sich ihre Stimme doch soweit, dass alle am Tisch sie anstarrten.
»Was ist denn passiert?« fragte ich mitfühlend.
»Marc. Er ist jetzt offiziell mit Emba zusammen!« stieß sie aus.
Ihr stiegen Tränen in die Augen.
Mir war klar gewesen, dass es irgendwann passieren musste, nur hatte ich gehofft, dass es nicht so bald sein würde. Jetzt würde ich den ganzen Tag sagen müssen, dass sie doch viel toller als Emba war und dass Marc wohl einen sehr schlechten Geschmack haben musste, wenn er Emba ihr vorzog.
Aber was brachte es denn? Marc mochte sie eben nicht. Und ich konnte es ihm nicht verübeln.
Er stand nun mal einfach nicht auf oberflächliche Mädchen.
»Du machst einen Witz, oder? Das kann doch gar nicht sein. Seit wann weißt du es?« fragte ich und versuchte, die Worte so geschockt wie möglich hervorzubringen, doch schaffte es nicht ganz.
»Oh hatte ja vergessen, Elle. Du kannst dich ja nur um dich kümmern. Tut mir Leid, dass ich dich so nerve, das hab ich ja im Einkaufszentrum auch schon. Wird nicht mehr vorkommen, aber dann kannst du dir auch gleich neue Freunde suchen.« gab sie giftig zurück.
Sie hatte es mir immer noch nicht verziehen, dass ich sie so einfach im Einkaufszentrum stehen gelassen hatte. Komischerweise hatte ich keine Lust mich recht zu fertigen. Diese ganze Beliebtheitssache ging mir in letzter Zeit sowieso auf die Nerven. Was brachte es, beliebt zu sein, wenn man nur falsche Freunde hatte, die sich wirklich nur für sich selbst interessierten und sofort sauer auf einen waren? Vielleicht sollte ich mir ja demnächst mal andere Freunde suchen, aber vorerst wollte ich es mir mit Trish nicht versauen. Sie war jetzt eine Freundin, die ich brauchte. Ich konnte nicht noch mehr Streit ertragen.
»Oh Trish nein, tut mir Leid. Ich weiß doch wie wichtig das für dich ist. Tut mir Leid. Erzähl mir alles, ich werde dir zuhören, okay? Und du weißt doch, dass im Einkaufszentrum tut mir auch Leid! Ich hab dir das alles doch schon erklärt. Lass uns nicht streiten...« bat ich.
Jetzt breitete sich ein leichtes Lächeln auf Trishs Gesicht aus. Ich hatte es geschafft.
»Na schön. Lass uns später darüber reden, wenn wir in die Stadt gehen, okay? Und übrigens, ich werde heute das Kleid, was ich gekauft habe, anziehen und ich will dich nur vorwarnen, ich sehe darin klasse aus! Wäre nur zu schade wenn Marc auch kommen würde...« gab sie seufzend von sich.
»Hmm ich könnte mit ihm reden. Bestimmt schaffe ich es ihn zu überreden auch zu kommen. Ach da fällt mir ein, wann treffen wir uns eigentlich in der Stadt?« fragte ich in die Runde.
Carl, der sich zeitgleich mit seinem Sandwich beschäftigt hatte, blickte jetzt auf und wandte sich mir zu.
»Ach du weißt doch, erst später, ich meine, heute ist Freitag, da wollten wir mal in die Nacht rein Party machen, oder Leute?« rief er.
Das oder Leute, sagte er lauter, sodass es alle hörten und nicken konnten.
Also hatte ich heute nichts mehr zu tun, außer zu Marc zu gehen und ihn zu überreden zu kommen. Das sollte kein Problem sein.
Als die Glocke zum Ende der nächsten Stunde läutete, rannte ich zu meinem Kurs und kam gerade noch rechtzeitig zu einer weiteren grausigen Stunde bei Herr Schuster.
Das fehlte mir gerade noch. Herr Schuster nahm mich die Stunde durchgehend dran. Das war seine Art, mir eine rein zu drücken, nachdem ich seinen Schreibtisch kaputt gemacht hatte, aber ich ließ mir das nicht gefallen. Jedes Mal wenn er mich etwas fragte, hatte ich die richtige Lösung parat und überraschte ihn damit immer wieder aufs Neue. So etwas hatte wohl selbst er nicht von mir erwartet.
Nach der Mathe Stunde fing ich Marc ab, bevor er mit Emba zur Tür hinausgehen konnte. Während der Stunde hatte er kurze Zeit mal seinen Arm um Embas Schultern gelegt, was bewies, dass sie wirklich ein Paar waren.
Als ich ihn ansprach, wirkte er fast geschockt. Ich hatte schon ewig nicht mehr mit ihm geredet, was eigentlich schade war, denn früher waren wir eigentlich richtig gute Freunde gewesen, doch irgendwann hatte er sich immer mehr von mir entfernt und seitdem habe ich mir selber auch nicht mehr die Mühe gemacht, mit ihm zu reden. Das sollte ich vielleicht einmal ändern.
»Hi Marc. Heute Abend gehen wir bisschen feiern in der Stadt. Und ja ich dachte, du hast vielleicht Lust mitzugehen? Wir haben ja schon lange nichts mehr gemacht und ich dachte, das würde unserer Freundschaft mal wieder gut tun?« fragte ich möglichst motiviert.
Als ich es aussprach, bemerkte ich allerdings, dass es wirklich stimmte. Ich vermisste Marc.
»Du lädst mich ein? Seit wann der Sinneswandel? Du hast dich doch jetzt schon ewig nicht mehr blicken lassen.« gab er schulterzuckend von sich.
Das schockte mich wirklich. So eine Antwort hatte ich nicht verdient. Oder vielleicht doch?
»Aber das lag doch nicht an mir? Du warst doch immerzu bei Emba...« versuchte ich zu erklären, doch ich kam nicht weit, denn er unterbrach mich.
»So war das nicht. Du hattest nur noch Augen für Gerard und dann wurde ich in Englisch umgesetzt. Seitdem hast du dich kein Stück mehr für mich interessiert.« erklärte er.
Jetzt erinnerte ich mich. Es war wirklich so gewesen, wie er es sagte. Ich hatte ihn wirklich vernachlässigt, seitdem ich mit Gerard zusammen gewesen war.
»Oh man, du hast recht. Aber Marc, zwischen Gerard und mir ist es doch jetzt aus und ich.. wenn ich ehrlich bin vermisse ich dich, okay? Kannst du mir noch eine Chance geben? Das zwischen uns kann doch wieder werden? Früher haben wir uns auch verstanden. Komm doch heute. Bitte. Es kann ja nur schrecklich werden, oder?« sagte ich lachend und wusste, es würde klappen. Er schüttelte leicht den Kopf, lachte schließlich aber auch.
»Du schaffst es immer wieder, Elle. So kenne ich dich doch.« gab er zu.
Sein Kichern füllte den ganzen Raum. Trish sollte mir danken, ich hatte es geschafft, aber ich hatte es nicht nur für sie getan, sondern auch für mich. Denn tief in meinem Inneren hoffte ich selber, dass wir doch wieder Freunde werden würden.
»Supi.« sagte ich erleichtert.
Ich lächelte ihn noch kurz an und verschwand dann in den Flur hinaus. Heute war eigentlich ein erfolgreicher Tag.
Während ich so über den Flur zum Ausgang der Schule lief, überlegte ich mir, ob ich Till auch einladen sollte. Wir waren zwar nur Freunde, aber würden Freunde sich zu so etwas nicht auch einladen? Oder war es doch noch zu früh, ihn jetzt schon anzurufen?
Was hätte sie wohl gemacht. Ich hätte sie jetzt wirklich gerne um Rat gefragt, sie wusste immer, wie sie mir helfen konnte. Aber ich wollte mir mit dem Gedanken an sie jetzt nicht die Stimmung ruinieren. Heute sollte immerhin ein schöner Tag werden.
Ich verließ das Schulgebäude mit dem Handy in der Hand und schrieb Till eine Nachricht.
Hi, heute Party in der Stadt, Lust zu kommen?
Als ich ins Auto einstieg wurde mir klar, dass ich nichts mehr zu essen im Haus hatte, also fuhr ich anstatt nach Hause, in den nächstgelegenen Supermarkt.
Im Radio kam das Lied »somewhere over the rainbow« bei dem ichbegeistert mitsang. Schon wieder hatte ich so gute Laune und wusste nicht, woran es lag. Am Ende des Liedes ging ich voll mit und erwischte mich dabei, wie ich lauthals lachte.
Bevor ich aus dem Auto ausstieg, als ich den Supermarkt erreicht hatte, schaute ich noch schnell auf mein Handy.
Keine neue Nachricht.
Das machte mich etwas traurig, aber ich versuchte nicht allzu geknickt zu wirken. Er würde doch wohl noch antworten. Oder hatte er schon die Schnauze voll von mir? Womöglich ging ich ihm auf die Nerven.
Bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte, warum er mir nicht antwortete, atmete ich tief durch und verscheuchte den Gedanken, dass er mich nicht mögen würde.
Ich ging also in den Supermarkt und suchte nach der Suppe, die ich eigentlich jeden Mittag aß. Natürlich wusste ich genau, in welchem Regal sie stand, also bog ich gezielt in einen Gang ein.
Als ich Till erblickte, blieb ich sofort stehen.
Er stand vor dem Regal und nahm sich die Suppe, die auch ich immer aß. Was für ein Zufall.
Ich setzte mein bezaubernstes Lächeln auf und stupste ihn an. Als er mich erblickte, erschien auch auf seinem Gesicht ein Lächeln, doch es war gezwungen. Er benahm sich meiner Meinung nach etwas komisch, denn nachdem er mich zur Begrüßung umarmt hatte, sah er sich hektisch nach rechts und links um und kratzte sich am Kopf. Das waren doch eindeutig Zeichen der Nervosität.
War er nervös, weil ich hier war? Vielleicht mochte er mich ja doch mehr als er zugab. Das brachte mich leicht zum lächeln.
»Warum lächelst du? Freust du dich so, mich zu sehen?«
Unglaublich wie er immer mit mir flirtete. Dabei war er es, der wollte, dass wir nur Freunde blieben.
»Oh da muss ich dich enttäuschen, ich hab eigentlich nur gelächelt, weil ich meine Lieblingssuppe endlich gefunden habe« sagte er grinsend.
Ich zeigte auf die Suppentüte in seiner Hand und er gab sie mir sofort. Da fiel mir wieder die Party heute Abend ein.
»Ach ja, du hast nicht auf meine SMS geantwortet.« sagte ich leise.
»SMS?«
Er sah mich verwirrt an, holte sein Handy raus und schlug sich gespielt gegen den Kopf.
»Oh ja, die hab ich wohl nicht gesehen, sorry. Klar komm ich. Naja jedenfalls wenn du kommst.« antwortete er gelassen.
Und wieder kam sein freches Lächeln zum Vorschein. Ich wollte schon antworten, als plötzlich eine Stimme hinter mir erklang.
»Till? Schatz, was machst du da? Wer ist dieses Kind? Hast du jetzt endlich meine Suppe? Ich will nach Hause!«
Ruckhaft drehte ich mich um und erblickte eine wahre Naturschönheit. Ein kleines Stück meiner Welt brach in diesem Moment zusammen. Ich warf Till einen Blick zu und sah, wie er mich verzweifelt anschaute.
Alles, was ich wollte, war verschwinden. Tränen stiegen mir langsam in die Augen und da ich nicht wollte, dass Till sie sah, drehte ich mich, um weg zu rennen, doch Till hielt meinen Arm fest. Er flüsterte mir »bitte lass mich erklären« zu, doch ich riss meinen Arm weg und rannte so schnell ich konnte aus dem Supermarkt zu meinem Auto.
Wie dumm ich nur gewesen war! Wie konnte ich mir einbilden, dass jemand wie Till mich wollte. Ich war so dumm. Jetzt machte alles Sinn. Deshalb wollte er mich nicht küssen. Weil er bereits eine Freundin hatte. Was war er nur für ein mieser Kerl. Ich hatte ihm vertraut und er hatte einfach mit mir geflirtet, obwohl er schon vergeben gewesen war. Jetzt bereute ich, dass ich ihn für heute Abend eingeladen hatte. Was wenn er auftauchen würde? Ich würde ihn einfach nicht beachten. Am besten sollte ich heute Abend gar nicht hingehen.
Während ich Auto fuhr, weinte ich mir meine Seele aus dem Leib. Ich durfte jetzt nicht schwach sein, am Ende würde ich noch einen Unfall bauen. Ich versuchte mich ein Wenig zu beruhigen, doch es half alles nichts. Es kam mir vor, als wäre ein Teil meines Herzens für immer zerstört.
Als ich Zuhause ankam, wurde mir klar, dass ich jetzt nichts zu essen hatte, doch das war mir egal. Nie im Leben würde ich erneut in diesen Supermarkt fahren.
Ich rannte ins Haus, schmiss die Tür hinter mir zu und warf mich aufs Bett. Es kam mir so vor, als ob ich stundenlang weinte, bis ich Trish anrief, um ihr alles zu erzählen. Die Einzige, die mich tröstete, war Cookie. Sie war einfach immer für mich da.
»Hi hier ist Trish, wer ist da?« fragte sie mit fröhlicher Stimme
»Ich bins, Elle. Du Trish, etwas...« begann ich, doch ich kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen.
»Ooh sorry, das hier ist übrigens nur mein Anrufbeantworten, bin gerade voll ausgebucht. Bis später!«
Fassungslos starrte ich das Telefon an und legte nach ein paar Sekunden auf. Wenn ich sie brauchte, war sie nie da. Hätte ich mich nicht zusammen gerissen, wäre ich wahrscheinlich erneut in Tränen ausgebrochen, aber ich hatte mich gut unter Kontrolle. Ich brauchte jetzt jemanden zum Reden, ich konnte das nicht alleine durchstehen.
Bevor mir klar war, wen ich anrief, wählte ich eine Nummer. Nach kurzem läuten nahm eine mir bekannte Stimme ab.
»Ja, Marc hier?« fragte er.
»Hallo, hier ist Elle... Ich weiß du hast mich wahrscheinlich als letzte erwartet, aber, aber, ich brauch jemanden zum reden...« erklärte ich und fing wieder an zu Weinen. Alles kam einfach raus, ohne, dass ich es kontrollieren konnte.
»Oh Elle, was ist passiert? Ich bin für dich da!« gab es besorgt von sich.
»K-K-K-Kann ich bei d-d-dir vorbeischauen?«
Ich fürchtete, dass es ein bisschen zu aufdringlich war, aber so wie ich Marc kannte, würde er immer für mich da sein, egal wie sehr ich ihn vernachlässigte.
»Natürlich Elle, komm vorbei. Du kannst mir alles erzählen.« sagte er.
»O-O-Okay, ich bin in 10 Minuten da. Bis gleich.« murmelte ich, legte auf, packte meine Sachen und flitzte aus dem Haus.
***
Dieses Haus hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, wie lange es her war, dass ich zuletzt hier gewesen war. Aber trotzdem kamen mit dem Anblick des kleinen, aber wunderschönen Hauses viele Erinnerungen zurück.
Schon bevor ich klingeln konnte, machte Marc die Tür auf und umarmte mich. Es war eine innige Umarmung, so eine, wie ich jetzt brauchte. Mir wurde erst jetzt klar, wie sehr ich Marc wirklich vermisst hatte.
»Alles wird wieder gut Elle, egal was passiert ist« flüsterte er mir zu.
Ich wusste gar nicht, wie ich ihm danken sollte, aber das war auch in diesem Moment nicht nötig. Ich drückte mein Gesicht nur noch mehr in den Oberkörper.
Als ich mich langsam von ihm löste, bat er mich ins Haus und wir setzten uns an den Essenstisch. Er setzte mir einen Tee auf und kam dann zu mir.
Er hatte wirklich nicht vergessen, dass Tee mir immer unheimlich half.
»Erdbeer – Himbeer ist richtig, oder?«
Mir fuhr ein kleines Lächeln übers Gesicht. Ich nickte kurz, aber dann senkte ich schon wieder das Gesicht. Es ging mir wirklich nicht gut.
Als der Tee fertig war, trank ich einen Schluck und danach brach alles aus mir heraus. Ich erzählte Marc alles. Von dem Punkt an, wie ich Till kennen gelernt hatte, bis zu dem Punkt, wo er mich im Supermarkt so enttäuscht hatte.
»Hast du dir angehört, was er zu sagen hatte?« war das Erste, was er sagte, nachdem ich mich ausgesprochen hatte.
»Nein, ich wollte einfach nur noch weg. Ich konnte ihn in dem Augenblick einfach nicht mehr sehen...«
Ich hatte immer noch das Bild im Kopf, wie er mich ansah, als ich die Frau hinter mir erblickte...
»Siehst du! Vielleicht hat er eine gute Erklärung dafür! So wie du es mir erzählt hast, kommt er mir nicht als Herzensbrecher vor. Er scheint doch eigentlich ein netter Kerl zu sein, oder nicht?«
Marc wusste, wie er mich trösten musste. Er machte mir Hoffnung, aber keine Hoffnung, die nicht gerechtfertigt war. Er hatte doch irgendwie recht, oder nicht?
»Danke Marc, du weißt nicht, wie du mir gerade hilft. Und du hast recht. Ich glaube, ich sollte mir echt anhören, was er zu sagen hat. Aber weißt du, ich habe Angst, was dann seine Erklärung ist. Was wenn es seine Frau ist und er einfach eine Ablenkung wollte? Oder er ist wirklich ein Aufreißer und ich war nur sein neues Opfer? Ich hab einfach Angst Marc.«
Er nickte kaum merklich.
»Nein, ich glaube nicht, dass er so jemand ist. Aber natürlich, ich kann dich verstehen! Ich hätte an deiner Stelle auch Angst. Aber stell dir vor, es ist etwas total simples, zum Beispiel, dass es seine Schwester war? Was wäre dann? Willst du dir wirklich diesen Jungen durch die Finger gehen lassen?«
Ich konnte mir mein Lachen nicht verkneifen.
»Was?«
Durch mein unvorhersehbares Lachen war er etwas aus der Fassung gekommen, schmunzelte dann aber auch.
»Ach, ich dachte gerade nur daran, wie ich es solange ohne dich als Freund ausgehalten habe. Du bist wirklich toll und du heiterst mich gerade wirklich auf. Danke.«
Ich lächelte ihm mitfühlend zu und schaute auf die Uhr.
18:00 Uhr.
»Marc, wir sollten los oder?«
Er schien nicht zu wissen, was ich meine, schaute dann aber auch auf seine Uhr und begriff.
»Oh ja. Aber willst du dich nicht ein wenig auffrischen, Elle?«
Er grinste mich an und dadurch wurde mir klar, dass ich wohl schrecklich aussehen musste. Kein Wunder, ich hatte gefühlte 10 Stunden geweint. Ich lachte kurz auf und begab mich dann ins Bad.
Als ich zurück kam,wartete er schon an der Tür auf mich und wir fuhren mit seinem Auto in die Stadt.
Ich nahm mir vor, heute so richtig zu feiern. Ich wollte mich nicht von einem einzigen Jungen unterkriegen lassen. Ich war kein Mädchen, dass nur von einem Jungen abhängig war und deshalb wollte ich mein Leben einfach weiter genießen.
Als wir ankamen, waren alle schon da, bis auf Trish, aber das fiel sowieso keinem auf, denn als uns alle zusammen kommen sahen, blieben den meisten der Mund offen stehen.
Ich blieb in der Mitte stehen und musste mir ein Lachen verkneifen. Als ich zu Marc rüber sah, merkte ich, dass es ihm genauso ging wie mir.
»Leute entspannt euch, zwischen mir und Marc läuft nicht das Geringste!«
Sofort merkte man, wie sich die Menge entspannte. Marc und ich aber schüttelten uns vor Lachen. Wir verstanden uns wirklich gut, aber uns war beiden klar, dass nie mehr zwischen uns sein würde, als Freundschaft.
Als langsam die Nacht einbrach, gab ich schon die Hoffnung auf. Ich ließ mir davon aber nichts anmerken. Ein paar aus meiner Klasse hatten für Musik gesorgt und das reichte auch schon. Wir waren kreativ genug, um Spaß mit Musik in einem Park zu haben. Ich genoss gerade die Musik, tanzte völlig versunken, als Marc mich packte und mit sich riss.
»Was ist denn los?« schrie ich.
Die Musik war so laut, dass man sich kaum verstehen konnte, aber egal, was Marc zu sagen hatte, konnte nicht so wichtig sein, dass er mich von meinem Tanzen ablenken musste.
»Der da drüber sieht aus, wie dieser Till, den du mir beschrieben hast!«
Er schrie auch, doch ich verstand so gut wie nichts und drehte mich einfach in die Richtung um, in die er zeigte.
Dort stand Till.
Er blickte mich an und sah unglaublich gut aus, wie immer. Er hatte ein blaues Hemd an und eine kurze beige Hose, was seine Augen noch mehr strahlen ließ, als sonst. Er bewegte sich langsam auf mich zu und ich wusste nicht was ich tun sollte.
»Elle, du gehst jetzt zu ihm und klärst das, verdammt!«
Marc riss mich aus meiner Starre. Ich nickte ihm kurz zu und ging dann auf Till zu. Wir trafen uns in der Mitte, was natürlich das Aufsehen der anderen erregte. Aber das war mir in diesem Moment egal, es zählten gerade nur Till und ich.
Als ich direkt vor ihm stand und ihm in die Augen sah, sagte er etwas, doch das Einzige was ich hörte, war Musik. Es kam mir vor, als hätte jemand die Musik extra laut gestellt, damit ich ihn nicht verstehen konnte.
Till musste wohl merken, dass ich ihn nicht hörte, denn er griff sofort nach meinem Arm und zog mich mit sich hinaus aus der Masse und weg von der Musik.
Als wir an einem Baum unter einer Straßenlaterne etwas entfernt von den Anderen waren, blieb er stehen. Er drehte sich zu mir um und brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden, denn er öffnete und schloss immer wieder seinen Mund.
Mir fiel auf, was für einen tollen Mund er hatte. Er war perfekt. Perfekt, genauso, wie er selber.
Erst einige Sekunden später wurde mir klar, wie dämlich ich wohl aussehen musste. Ich konnte einfach nicht aufhören ihn an zu schwärmen. Ich musste mich konzentrieren, ich war sauer auf ihn.
»Elle, lass mich erklären, was da vorhin im Supermarkt passiert ist.«
Er erwartete eine Antwort, doch ich gab ihm keine, und so sprach er einfach weiter.
»Um das alles zu erklären, die Frau, die du im Supermarkt gesehen hast, ist meine Freundin, Ann. Und bevor du jetzt wieder gleich wegrennst, lass mich ausreden. Ich bin vor etwa einem Jahr mit ihr zusammen gekommen, aber nur, weil mein Vater mich praktisch dazu gezwungen hatte. Er hat mir gedroht, mir Jerry wegzunehmen und du verstehst doch bestimmt, dass man einen Hund nicht einfach so weggeben kann. Mein Hund ist mir wirklich wichtig und deshalb habe ich nachgegeben und mir Ann angetan.«
Ich verstand ihn wirklich. Wenn es um meinen Hund Cookie ging, hätte ich auch alles getan, damit ich ihn behalten könnte.
»Und naja, dann habe ich dich kennen gelernt... und mich verliebt. Deshalb habe ich mich auch dazu entschieden mit Ann Schluss zu machen.«
Jetzt ergab alles Sinn. Als wir ein Eis essen waren, hatte er, als ich ihn küssen wollte gesagt, dass er noch etwas erledigen musste...
»Aber ich hatte es noch nicht gemacht und dann hast du uns zusammen im Supermarkt gesehen... Es tut mir wirklich Leid Elle, dass ich dich angelogen habe, aber ich wollte damit alles richtig machen und hab alles falsch gemacht. Jetzt habe ich Schluss gemacht und ich bin gekommen, um dir das zu sagen.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Er hatte mit ihr Schluss gemacht, für mich!
Ich warf mich in seine Arme und er legte seine Hände an meine Hüfte.
»Du hast dich in mich verliebt?« flüsterte ich ihm zu.
»Ja«
Er stieß mich ein wenig von ihm weg, sodass er mir in die Augen schauen konnte, als er das sagte.
»Ich habe mich in dich verliebt, Baby.«
Normalerweise hätte ich jetzt etwas gesagt, da es eigentlich immer total arrogant klingt, wenn ein Junge seine Freundin Baby nennt, aber Till sagte es mit so viel Liebe und Funkeln in den Augen, dass mir der Spitzname auf Anhieb gefiel.
Er kam mir näher und ich wusste, er würde mich nun küssen.
Ich schloss meine Augen und dann stießen seine weichen, vollen Lippen auf meine. Sie schmeckten fantastisch.
Als wir uns küssten, sah ich förmlich die Funken sprühen. Ich wusste, ich hatte mich auch verliebt.
Langsam wurden die Küsse starker und wilder, seine Hand glitt unter mein T-shirt meinen Rücken hinauf und als wir uns dann voneinander lösten, atmete ich schwer. Ihm ging es genauso wie mir, denn auch seine Brust hieb sich öfter als normalerweise.
»Ich will jetzt wirklich nicht die Stimmung ruinieren, aber ich muss gehen.«
Ich schmiegte mich an ihn, wunderte mich dann aber und guckte ihn fragend an.
»Was, jetzt? Warum das denn?«
»Ich hab dir doch erzählt, dass mein Vater will, dass ich mit Ann zusammen bin. Naja, jetzt habe ich Hausarest und ehrlich gesagt habe ich mich raus geschlichen, um dich jetzt hier zu sehen.«
Er lächelte leicht, so als hätte er es gerne getan. Mein Herz ging auf. Wie konnte ich nur an diesem Jungen zweifeln, er war ein purer Engel.
»Okay, aber ruf mich bald an... jetzt wo ich weiß, was ich haben kann, will ich nicht darauf verzichten.«
Ich fuhr mit meinem Finger über seine Brust, er war erstaunlich muskulös.
»Alles klar. Bis bald, Baby.«
Er gab mir noch einen flüchtigen Kuss, lächelte mich noch einmal an und verschwand dann hinter den Bäumen. Ich starrte ihm nach, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte.
Plötzlich wurde mir klar, wie dunkel es hier eigentlich war und ich ging schnell zurück zu den Anderen. Seit ich weg war, hatte sich nicht viel verändert, es tanzten mehr Leute als zuvor und ein paar waren gegangen, aber die Party schien immer noch voll im Gange zu sein.
Ich suchte das Feld nach Marc ab und fand ihn auch nach kurzer Zeit. Er stand am Rand der Tanzfläche und unterhielt sich mit einem Mädchen aus unserer Schule, das mir allerdings nicht besonders bekannt war.
Ich schlenderte zu ihm hin und wartete, bis die beiden fertig mit ihrer Unterhaltung waren, bis ich mich praktisch auf ihn schmiss, um ihm zu danken und ihm zu erzählen, was passiert war.
»Na also, Elle. Ich hab dir doch gesagt, dass es eine Erklärung gibt. Jetzt ist doch alles gut«
Ich konnte mein Glück noch gar nicht fassen, aber ich wusste, dass ich heute darauf feiern wollte. Ich war vollkommen glücklich und freute mich einfach nur noch auf die nächsten Monate meines Lebens mit Till.
»Komm, lass uns darauf feiern! Ich will es heute mal so richtig krachen lassen!«
Ich riss meine Arme in die Höhe und stürmte auf die Tanzfläche.
Irgendwann wusste ich nicht mehr, wo ich war, ich wollte einfach nur noch tanzen und Spaß haben.
Ich wusste nicht, wie viel ich in dieser Nacht getrunken hatte und wie lang ich getanzt hatte, aber was ich wusste, war, dass meine Leben jetzt schön werden würde.
6
Ich öffnete meine Augen. Nichts. Um mich herum war nichts als Dunkelheit. Instinktiv versuchte ich mich aufzurichten, aber mein Kopf tat höllisch weh.
Ein Geräusch hinter mir ließ mich aufschrecken.
Ich versuchte mich umzudrehen, doch sofort bereute ich es. Jede meiner Zellen tat weh, noch nie hatte ich solch einen Schmerz empfunden. Alles was ich aus meiner Lage sehen konnte, waren noch mehr Schatten. Mein Gefühl sagte mir renn!, doch ich konnte mich nicht bewegen. Meine Beine waren schlapp und mein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand darauf geschlagen.
Das Geräusch hinter mir wurde immer lauter, bis ich es ganz intensiv wahrnahm.
Plötzlich spürte ich einen unerträglichen Schmerz in meinem Rücken. Mein Körper fiel in sich zusammen, wie eine Marionette. Ich wollte schreien, doch es ging nicht. Heraus kam nur ein lautloser Schrei, den ich zwar deutlich in meinem Kopf hörte, aber nur leise in meinen Ohren.
Erneut versuchte ich mich umzudrehen, um sehen zu können, was meinen Rücken so zum Schmerzen brachte. Kurz bevor ich ohnmächtig wurde, sah ich schwarze Augen, die mich aus der Dunkelheit direkt anblickten. Doch dann wurde ich in die tiefe Schwärze gezogen.
Meine Augenlider flatterten auf. Die Sonne blendete mich. Ich konnte sie kaum öffnen, denn sie brannte sich gefühlt bis in meine Netzhaut hinein. Um nicht mehr in die Sonne schauen zu müssen, drehte ich mich ein wenig, was auch nicht sonderlich half.
Alles schmerzte. Ich fasste an meinen immer noch dröhnenden Kopf und sofort fiel mir wieder ein, was heute Nacht passiert war.
Das Bild von den schwarzen Augen, die mich direkt anblickten, schwirrte mir noch immer im Kopf.
Ich startete einen neuen Versuch, die Augen zu öffnen und mit viel Anstrengung gelang es diesmal. Seit wann war die Sonne so grell und stechend?
Mit einer Hand tastete ich meinen Rücken nach eventuellen Verletzungen ab und wurde fündig. Es waren 2 kleine Einstichwunden oberhalb meiner Wirbelsäule zu spüren.
Als ich vorsichtig mit meinem Finger über eine der Wunden strich, durchfuhr meinen Körper ein stechender Schmerz. Ich krümmte mich zusammen, es fühlte sich an, als bohre sich mein Finger in meine Haut hinein, wie ein Messer. Nach Luft rangend, entfernte ich meine Hand vom Rücken, worauf der Schmerz vollends verschwand.
Erst jetzt fiel mir meine Umgebung auf. Die Wände einer engen Gasse ragten an mir vorbei. Um mich herum waren überall Müllbeutel, Flaschen und Sonstiges. Die Umgebung kam mir unbekannt vor, doch ich war mir sicher, dass ich nicht weit entfernt von dem gestrigen Treffpunkt war.
Es stank bestialisch. Noch nie hatte ich solch einen schrecklichen Geruch vernommen.
Ich versuchte aufzustehen, wollte überprüfen, welche meiner Körperteile noch weh taten und zu meinem Glück konnte ich stehen, auch wenn die Welt sich um mich drehte.
Was war nur passiert? Ich wusste nur noch, dass ich getanzt hatte und dann... plötzlich war ich hier gewesen.
Die Wand diente mir als guten Stützpunkt, denn ich konnte nur schwer auf meinen Beinen stehen. Kaum hatte ich mich angelehnt, kam meine Konzentration zurück.
Ich musste nach Hause. Auch wenn es mir gerade als gute Idee schien, konnte ich hier nicht bleiben, bis ich endlich wieder normal sehen konnte. Wahrscheinlich würde das sowieso nie geschehen.
Also ging ich Schritt für Schritt nach vorne, es war mühsam, aber ich kam voran.
Als ich am Ende der Gasse angelangt war und mich umsah, nahm ich plötzlich einen so wunderschönen Duft wahr, dass ich ihm sofort folgen wollte. Etwas so wohl duftendes hatte ich zuvor nie gerochen. Es war wie der Himmel auf Erden. Ich hätte alles für diesen Geruch getan, ich wäre für ihn gestorben. Alles, was ich gerade wollte, war ihm zu folgen, bis ich ihn ganz intensiv riechen konnte. Mein Kopf drehte sich sofort in die Richtung, aus der der Duft kam, während mein Körper sich in Angriffsposition begab. Ich war bereit, sofort loszurennen.
Doch ich hatte keine Wahl, meine Füße waren noch zu schwach: Beim jedem Auftreten durchfuhr mich ein unaushaltbarer Stich und so konnte ich nicht rennen. Einen kurzen Moment hätte mich das nicht aufgehalten, doch dann hatte ich mich wieder im Griff. Jetzt war nicht der perfekte Augenblick dazu. Ich versuchte mir einzureden, dass ich sonst womöglich sterben würde oder mir wenigstens für eine geraume Zeit die Beine brechen würde, doch ich erwischte mich trotzdem dabei, wie ich ein lautes Fauchen austieß.
Durch dieses Geräusch fand ich mich jedoch wieder. Ich ballte meine Fäuste und schloss die Augen. Reiß dich zusammen, Elle! rief ich mir innerlich zu.
Allerdings wurde mir eines mit diesem Geruch klar: Ich hatte fürchterlichen Hunger. Solchen Hunger hatte ich mein ganzes Leben noch nicht verspürt. Mich überkam das Gefühl, als würde ich sterben, wenn ich nicht sofort etwas essen würde.
Also ging ich Schritt für Schritt weiter, denn bis ich zu Hause war, dauerte es noch lange und ich war mir sicher, dass ich hier nicht mehr lange leben würde.
Es dauerte ewig, aber irgendwann fand ich mein Auto. Einen Moment lang fragte ich mich, wie es hier her gekommen war. Alles was ich wusste, war, dass ich mit Matt hier her gefahren war, aber dass ich mein Auto auch mitgenommen hatte? Daran konnte ich mich nicht erinnern.
Wenn ich Zuhause war, musste ich mich erst einmal hinlegen. Nachdem ich etwas gegessen hatte, natürlich.
Ich stieg ein und kurbelte ein Fenster herunter. Es war plötzlich unfassbar heiß und ich fühlte mich, als würde ich verbrennen. Sofort stellte ich die Klimaanlage auf die kälteste Stufe und fuhr los.
Als ich durch das Stadtzentrum fuhr, überkamen mich plötzlich mehrere dutzend Gerüche, die mich so ablenkten, dass ich beinahe einen Unfall gebaut hätte. Ich war sogar gezwungen, an die Seite fahren. Alles, was mein Kopf und mein Körper wahrnahm, waren die himmlischen und doch verschiedensten Duftnoten, sodass ich regelrecht blind wurde.
Am Liebsten wäre ich sofort ausgestiegen und den Gerüchen gefolgt, aber ich schrie mich selber an, dass ich mich gefälligst zusammenreißen sollte und atmete ein paar mal durch, was entsprechend half.
Vielleicht würden die Gerüche weniger werden, wenn ich das Fenster wieder hoch kurbelte. Die Hitze setzte mir jedoch so zu, dass ich mich weigerte, es wieder zu öffnen.
Ich zwang mich dann aber doch dazu, das Fenster hoch zu machen und es half wirklich ein wenig.
Dies war die schlimmste Fahrt meines Lebens. So mussten sich Leute vorkommen, die eine Brille oder sonstiges brauchten, denn die Sonne blendete mich so gewaltig, dass ich kaum sehen konnte.
Es war pures Glück, dass ich lebend Zuhause ankam. In dein Einfahrt angekommen, stieg ich aus dem Auto und rannte sofort ins Haus. Die Temperatur war immer unerträglicher.
Sobald ich im Haus war stürzte ich in die Küche und riss den Kühlschrank auf. Diesem unerträglichen Hunger musste ein Ende bereitet werden.
Ich nahm so viele essbare Sachen an mich, wie meine Arme zuließen, doch alles roch widerlich. Trotz des Geruches, biss ich in mindestens 20 Sachen hinein, um sie kurz darauf wieder auszuspucken und zu würgen. Sie schmeckten regelrecht verschimmelt.
Was stimmte nur nicht mit mir. Vor lauter Hunger und Verzweiflung fing ich an zu weinen. Ich schmeckte die Tränen, die meine Wangen hinunterliefen und wischte sie mir schluchzend weg. Sie fühlten sich schrecklich warm auf meinen Händen an. Aus Reflex schaute ich auf meine Hände und stellte fest, dass ich rote Tränen weinte. Einen Augenblick befürchtete ich wirklich zu sterben, doch der Hunger forderte schon wieder meine volle Aufmerksamkeit.
Ich konnte nicht glauben, was hier mit mir geschah, alles was ich wahrnahm, jedes Gefühl, das ich spürte, war die reinste Hölle.
Als wäre dieser unerträglichen Hunger noch nicht genug, hörte ich auch noch überall Stimmen, die ich nicht einordnen konnte. Sie schwirrten durch meinen Kopf, wie lästige Bienen die um mich herumschwirrten, und hörten einfach nicht auf, Lärm zu machen. Ich hielt mit den Kopf so fest, wie es mir möglich war, doch es half alles nichts. Im Gegenteil: Die Stimmen verstärkten sich nur.
Ich wollte einfach nur noch sterben, ich fühlte mich so elend.
Ich riss immer mehr Essen aus dem Kühlschrank, bis irgendwann der Kühlschrank völlig leer war. Jedes Mal bekam ich ein wenig Hoffnung, doch das richtige Essen gefunden zu haben, nur, um wieder enttäuscht zu werden. Alles, was mir früher so gut geschmeckt hatte, war jetzt einfach nur ekelig.
Bis ich fündig wurde. Ganz hinten im Kühlschrank hatte ich ein rohes Stück Fleisch übersehen und ohne, dass ich es wollte, fletschte ich mit den Zähnen. Gierig riss ich es an mich, riss mit meinen Zähnen die Folie ab und biss hinein.
Ehe ich mich versah, hatte ich es verschlungen,doch ich war noch lange nicht satt. Der Hunger war jetzt nur unerträglicher geworden.
Alles schmerzte.
Ich stand auf, öffnete sofort alle Fenster und sprang unter die Dusche. Ein eiskaltes Bad würde vielleicht die Hitze meines Körpers mildern. Mit geschlossenen Augen wartete ich auf den befreienden Strahl, aber er kam nicht. Verwirrt sah ich nach oben, um zu kontrollieren, ob die Dusche kaputt war. Der Strahl aber kam wie gewöhnlich herunter. Das Problem war nur, dass ich zu heiß war. Über mir konnte ich Dampf ausmachen, der von mir ausging.
War das wirklich ich? Ich erkannte mich nicht wieder, ich war noch nie ein Mensch gewesen, der anfällig gegen Grippen oder sonstigem war. Jedoch war wirklich fragwürdig, ob dies eine Grippe war.
Verzweifelt drehte ich den Duschhahn aus und zog mir hastig wieder meine Klamotten an.
Durchs ganze Haus waren meine verzweifelten Schreie und mein Weinen zu hören, als ich aus der Dusche stieg und mich wieder auf den Weg zum Kühlschrank machte. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als von diesen schrecklichen Gefühlen erlöst zu werden.
Ich wusste nicht, woher dieses Verlangen kam. Alles was ich wusste, war, ich konnte es nicht kontrollieren. Es ging mir schlecht und ich wusste es war das Egoistischste, das ich je getan hatte, aber es hielt mich in diesem Moment nicht davon ab. Ich nahm mein Handy aus meiner noch nassen Jacke und schrieb Till eine Nachricht.
Till mir geht’s schrecklich, kannst du kommen?
Die roten Tränen liefen mir weiterhin übers Gesicht. Als ich nach unten schaute, fiel mir auf, dass mein T-Shirt Blutgetränkt war. Hatte ich wirklich so viel geweint? Auf dem Weg zu meinem Zimmer, wo ich mir etwas anderes anziehen wollte, starrte ich durchgehend auf mein Handy. Endlich erklang der erlösende Klingelton.
Was ist denn los, Baby? Wo wollen wir uns treffen?
Sein Baby ließ mich wieder lächeln. Er schaffte es einfach jedes Mal aufs Neue, meine Stimmung zu heben.
Aber ich konnte das Haus jetzt nicht verlassen. Nicht ins Licht gehen, in die Sonne schauen.
Kannst du bitte zu mir kommen, ich will jetzt nicht nach draußen gehen...
Ich wühlte in meinem Kleiderschrank, bis ich die freizügigste Bluse fand, die ich besaß. Keine Ahnung wieso, aber ich wollte sie unbedingt anziehen. Langsam hörte ich auf zu weinen, denn ich wusste, ich könnte meine Bluse sonst auch wegschmeißen.
Okay, ich bin in 10 Minuten da, ich schleiche mich raus. Warum willst du nicht raus?
Ich starrte auf mein Handy und überlegte, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte. Doch meine Finger schrieben schon, bevor ich einen Entschluss gefasst hatte.
Zu heiß, will lieber in der Kälte bleiben. BG.
Blitzschnell zog ich mir die Bluse an und machte mich auf den Weg zu meinem Spiegel. Meine Haare mussten zerzaust sein und mein Make-Up verwischt, deshalb wollte ich lieber nochmal einen Blick in den Spiegel werfen. Doch als ich in den Spiegel sah, erschrak ich.
Mit einem lauten Geräusch bröckelte die Wand, gegen die ich vor lauter Schreck geknallt war.
Wo war mein Gesicht? Alles was ich in dem Spiegel sah, war meine – inzwischen kaputte - Wand und mein Schreibtisch, neben dem ich gerade stand, von mir war jedoch nichts zu sehen. Wahrscheinlich wurde ich verrückt, das war die einzige logische Erklärung. Mir stiegen schon wieder Tränen in die Augen, als die Klingel läutete.
Es musste Till sein.
Ängstlich schlich ich mich an die Tür heran, aus Angst, jemanden vorzufinden, der mir Schmerzen bereiten wollte, aber als ich fragte, wer da sei, antwortete Till mit einem fröhlichen Ich bin's, Baby!.
Ich zog die Tür auf und sofort ging es mir ein Stück besser. Till schaute mich mit großen Augen an, bis er ein leises »wow« hervorbrachte.
Verständnislos blickte ich ihn an, worauf er mit seinem Daumen in meine Richtung wies und erneut wow sagte.
Seine Geste brachte mich dazu, an mir herunter zu schauen.
Meine normalerweise schulterlangen Haare gingen nun bis zu meinen Hüften und hatten ein anderes, helleres blond, als zuvor. Ich ließ meine Finger durch die seidigen Haare gleiten, welche weich wie nie waren. Und natürlich trug ich das freizügigste Oberteil der gesamten Welt.
Till kam auch mich zu und gab mir einen liebevollen Kuss auf die Wange.
Als seine Lippen meine Haut berührten, spürte ich einen brennenden Schmerz. Aus Reflex, schlug ich ihm sofort ins Gesicht, womit ich bezweckte, ihn von mir weg zu scheuchen.
Jedoch wurde mir eine Sekunde später klar, was ich getan hatte und ich fing langsam wieder an zu weinen. Alle Gefühle überkamen mich, ich spürte wieder den gewaltigen Hunger, die brennende Hitze und das Stechen, das die Stimmen in meinem Kopf verursachten.
Till schaute mich verwirrt und gleichzeitig verängstigt an und hielt sich an seinem Gesicht, wo sich ein langer roter Schlitz abzeichnete.
Hatte ich das getan? Wieder einmal fragte ich mich, was mit mir los was, weshalb ich mich so verhielt. Das war nicht ich.
»Du hast mich geschlagen« flüsterte er, in seinen Augen lag Ängstlichkeit.
Er entfernte sich stolpernd ein paar Schritte von mir, doch ich nahm seinen Arm, um ihn vom Gehen abzuhalten.
»Es tut mir Leid, I-I-Ich weiß nicht, was mit mir l-l-los ist« stotterte ich unter Tränen.
»Hast du mir das mit deinen Fingernägeln angetan?«
Sofort fiel mein Blick auf meine Fingernägel, was mich erstaunt verstellen ließ, dass sie mindestens 3cm lang waren und spitz wie Messer. Ungläubig ließ ich meinen Arm von ihm ab und starrte meine Hände an.
»Was ist nur mit mir los!« schrie ich verzweifelt.
Ich konnte meinen Tränenfluss nicht mehr stoppen, alles floss nur so aus mir heraus, was nur dazu führte, dass Till mich noch geschockter anblickte.
Mir fiel wieder ein, dass ich rote Tränen weinte und ich wischte sie schnellst möglich weg.
»Bitte wende dich nicht von mir ab. Ich brauch dich gerade mehr denn je«
Vorsichtig ging ich einen Schritt auf ihn zu und merkte sofort, wie er sich innerlich zwang, nicht zurück zu weichen.
»Ich weiß nicht ob ich das kann...«
Einen Moment lang starrte er ins Leere. Dann atmete er einmal tief durch und blickte mir wieder in die Augen.
»Komm her«
Er öffnete seine Arme und ich sah ihn dankend an und lief direkt hinein. Noch immer rannen mir Tränen übers Gesicht, weshalb ich mein Gesicht in seinen Nacken drückte.
Seine Haut war weich und ich konnte seinen Puls zu hören. Mich überkam auf einmal ein erneuter Hunger, ich konnte deutlich spüren, wie sein Blut durch die Adern strömte. Ich spürte, wie ich meine Beherrschung verlor, wollte ihm meine Zähne in den Hals bohren, alles Blut aus ihm saugen. Sein Blut roch himmlisch. Im Vergleich zu diesem Duft, hatte das Fleisch widerlich gerochen. Wie würde es dann wohl im Vergleich schmecken?
»Siehst du Baby, jetzt weinst du schon nicht mehr. Alles wird wieder gut«
Seine Stimme löste mich aus meiner Starre und mir wurde sofort klar, dass ich ihn töten würde, wenn ich mich jetzt nicht von ihm abwandte.
Ich sammelte meine ganze Willenskraft und schubste ihn dann von mir weg, so aggressiv, wie ich konnte, denn ich merkte, wie mein Verlangen langsam die Überhand gewann.
»Geh weg von mir!« schrie ich.
»Was ist nur los mit dir.«
Sein Flüstern kann so traurig und verzweifelt heraus, dass ich beinahe wieder angefangen hätte zu weinen, doch ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an sein Blut. Wie ich es trinken würde, es auf meiner Zunge spüren würde, wie es meine Kehle hinunterlief.
»Geh raus hier! Sofort!«
Ein wütender Aufschrei kam aus meiner Kehle. Er warf mir einen verletzten Blick zu, stürmte dann aber wie gefordert aus dem Haus.
Sobald er durch die Tür gegangen war, drückte ich sie zu und warf mich dagegen.
Mein Verlangen wies mich an, die Tür wegzureißen, um ihm folgen zu können, doch ich umschlang mich selber, damit ich die Kontrolle über mich nicht verlor und sank dann ganz langsam zu Boden, wo ich wieder anfing zu weinen.
Langsam verschwand der Geruch und ich wusste, dass ich es geschafft hatte.
Vorerst.
Als langsam die Sonne unterging, konnte ich mich nicht mehr aufhalten. Ich brauchte etwas zu essen. Barfuß rannte ich aus dem Haus und machte mich auf den Weg Richtung Stadtzentrum.
Während ich in den Schatten der Häuser lief, roch ich die unterschiedlichsten Dinge. Ganz entfernt von hier konnte ich einen Crepe-Stand ausmachen, bei dem ich sogar hören konnte, wie die Leute bestellten. »Mit Zimt und Zucker bitte«.
Keineswegs konnte ich nachvollziehen, was mit mir geschah, doch es fühlte sich fantasstisch an. Die Kopfschmerzen waren nach kurzer Zeit verschwunden und auch sonst fühlte ich mich jetzt erstaunlich gut. Seitdem die Sonne unter gegangen war, sah ich die Dinge viel schärfer, als ich es früher getan hatte. Jede einzelne Bewegung nahm ich wahr, egal ob direkt vor mir oder am Rande meines Augenfeldes. Sogar Ameisen konnte ich auf dem Boden krabbeln sehen.
An einer Hauswand kam ich zu halt und fing an eine Gruppe von Jugendlichen zu beobachten, die etwa 500 Meter entfernt von mir stand.
Ohne jegliche Anstrengungen konzentrierte ich mich auf die Worte die sie sagten.
»Ich sags dir, ich hab noch nie so einen miesen Film gesehen. Du hast da echt nichts verpasst, glaub mir.« sagte ein blonder, großer Junge zu dem Mädchen neben sich, der inmitten von allen stand.
»Wirklich nicht? Ich hatte schon Angst, dass ich wirklich was großes verpasst hab, nur weil ich keine Zeit hatte.« antwortete sie.
»Leute, ich glaub ich fahr jetzt nach Hause, sonst bekomme ich noch Ärger von meinen Eltern. Ihr wisst ja, sie sind echt streng was die Ausgangssperre betrifft.«
Die Stimme kam von einem mittelgroßen, brünetten Jungen. Für einen Augenblick legte meinen Kopf schief und sog seinen Geruch ein.
Volltreffer.
»Okay, Sam, bis morgen.« riefen ihm die restlichen Jugendlichen zu.
Einige der Anderen verabschiedeten ihn, indem sie ihn umarmten, ihm zuschlugen oder ihm ein Küsschen gaben.
Dies war meine Chance. Mir entging keine seiner Bewegungen, ich beobachtete genau wie er sich langsam von der Gruppe entfernte und dann schließlich hinter einer Wand verschwand.
Ich rannte los.
Alles auf das ich gerade achten konnte, war die Spur, die dieser Junge setzte. Eine Sekunde lang nahm ich wahr, wie schnell ich eigentlich rannte. Die Häuser und Menschen in meinem Umfeld verschwanden, so als würde man in einem fahrenden Auto sitzen. Daran könnte ich mich gewöhnen.
Ein paar Meter hinter Sam blieb ich stehen. Er pfiff leise vor sich hin und spielte mit seinen Schlüsseln.
Armer Junge, wusste nicht einmal was ihn jetzt erwartete. Wäre er doch nur bei seinen Freunden geblieben. Obwohl. Damit hatte er wahrscheinlich nur seine Freunde gerettet. Mein Hunger war so groß und unkontrollierbar, dass ich möglicherweise ihn und seine ganzen Freunde ausgesaugt hätte.
Leise pirschte ich mich an ihn heran, bis ich kurz vor ihm stand.
»Tut mir Leid« hauchte ich ihm mitfühlend zu.
Er drehte sich blitzschnell um, doch es war zu spät. Seine Augen weiteten sich fast unmerklich, bevor ich ihm meine Zähne in den Hals schlug. Mich erfüllte ein unglaubliches Gefühl, als würde ich von der Welt abheben,in eine andere Dimension schweben, ins Paradies. Dies war der Himmel auf Erden. Nein. Es war besser. Es war das Gefühl des puren Glückes. Für dieses Gefühl würde ich immer weiter töten, das wusste ich in meinem tiefsten Inneren.
2 Sekunden später sackte sein lebloser Körper vor mir zusammen. Zufrieden wischte ich mir den Mund ab und stellte fest, dass ich immer noch hungrig war.
Erst jetzt merkte ich, was ich getan hatte. Er war unschuldig und ich hatte ihn getötet. Ich stolperte ein paar Schritte zurück, da der Anblick von ihm mich so verschreckte. Dies war mein Werk.
Ich drückte mich an die nächstgelegene Wand und sank auf den Boden. Neben mir lag seine Leiche, die mich mit leerem Blick anstarrte.
»Warum!« schrie ich so laut, dass die ganze Stadt es hätte hören können.
Ich verbarg mein Gesicht in meinen Armen, als ich plötzlich nicht weit entfernt von mir, Schritte wahrnahm.
Auf alles gefasst, blickte ich auf und suchte nach einer Bewegung in der Dunkelheit, bis aus dem Schatten eine Person erschien.
»Wow, da hast du ja ganze Arbeit geleistet. Ich hätte nicht gedacht, dass du gleich so loslegst.« stellte sie grinsend fest.
Ich erkannte ihre Stimme sofort. Als sie ins Licht trat, erblickte ich ihre wunderschönen schwarzen Haare und dieselben Augen, die ich auch hatte.
»Ich wollte das nicht.« wisperte ich.
Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
»Doch, natürlich wolltest du das.« antwortete sie mit einem schämischen Grinsen auf dem Gesicht.
Ich schüttelte bedrückt den Kopf, doch insgeheim wusste ich, dass sie recht hatte.
»Du bist doch sicher schon dahinter gekommen, was mit dir los ist, oder?« sagte sie und ich glaubte, etwas wie Mitleid in ihrer Stimme zu hören.
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Das kann einfach nicht sein.« flüsterte ich.
Sie kam näher an mich heran, bückte sich, sodass sie mir in die Augen gucken konnte und legte ihre Hand auf meinen Arm.
»Du weißt es. Aber bevor wir jetzt weiter darüber reden, lass uns erst mal diesen Jungen hier wegbringen. Es wäre nicht gut, wenn man ihn morgen früh so auffinden würde. Es wäre zu … auffällig.«
Einen Moment blickte sie ihn schief an, bis sie endgültig aufstand.
Sie wies mich an die Beine des Jungen zu nehmen, während sie ihn an den Schultern packte und ich gehorchte. Mich erschrak, wie stark ich war, denn ich spürte keinerlei Gewicht, als ich Sam trug.
»Glaub mir, bei mir war es am Anfang noch schlimmer.« sagte sie lächelnd.
»Du bist so wie ich?«
Erst verwirrte es mich, doch im Nachhinein war es die einzige sinnvolle Erklärung.
»Schau mich doch an, ich habe genau die selben Augen wie du.«
Es schien sie zu amüsieren, wie ahnungslos ich war und dass ich richtige Schwierigkeiten damit hatte, alles zu verstehen, was sie sagte.
Wir erreichten ein altes Fabrikhaus und sie führte mich hinein. Es war ziemlich alt und die meisten Fenster waren zerbrochen, doch als Schutz für eine Leiche würde es eindeutig reichen. Als wir eintraten, überkam mich ein Gefühl, als müsse ich aufstoßen. In der ganzen Halle stank es nach Verwesung.
»Das Haus dient uns schon lange als Versteck für die Opfer, die wir erledigt haben. Irgendwann wird hier bestimmt mal jemand zufällig reinkommen und alle Leichen finden, aber bis es soweit ist, werde ich es weiter nutzen.« sagte sie ganz nebenbei.
Wir legten Sam ab und sie ging voraus zu einem kleinen Tisch, an dem 2 Stühle standen. Sie setzte sich hin und wartete, bis ich es ihr nach machte. Ich wollte endlich erfahren, was mit mir geschah.
»Was willst du als erstes wissen?«
»Ich glaube, ich will zuerst wissen, was mit mir passiert ist.« fragte ich mit einem leichten Nicken.
Sie lachte auf.
»Du bist ein Vampir.« flüsterte sie mir gespielt boshaft zu. Ich allerdings fand das gar nicht lustig.
»Ein Vampir?«
Ich konnte kaum glauben, was sie mir hier erzählte. Vampire gab es nicht. Sie waren eine Erfindung von verrückten Menschen, die nichts besseres zu tun hatten, als irgendeinen Humbug zu verbreiten.
»Doch es gibt sie wirklich. Und vergiss nicht, ich kann deine Gedanken immer noch lesen.«
»Dann ist das meine 2. Frage. Warum kannst du sie lesen? Ich kann deine nicht lesen. Woran liegt das?«
Sie schaute kurz auf den Tisch, überlegte was sie sagen sollte und wandte sich mir dann wieder zu.
»Ich versuche es so leicht wie nur möglich zu erklären. Ich bin schon seit ich denken kann ein Vampir. Wir werden geboren als normale Menschen, aber manche von uns entwickeln im Laufe unseres Vampirlebens besondere Fähigkeiten. Und meine Fähigkeit ist eben das Gedankenlesen. Allerdings kann ich nicht von jedem die Gedanken lesen. Deine kann ich zum Beispiel nur lesen, weil du meine Schwester bist. Normalerweise sind andere Vampire älter als ich und das setzt voraus, dass sie wissen, dass es Gedankenleser gibt. Es gibt eine Technik, wie man sich ein Schutzschild aufbauen kann, dass mich davon abhält, ihre Gedanken zu lesen. Das ist natürlich eine Schande, aber die Gedanken der Menschen kann ich trotzdem noch einwandfrei lesen.«
Ich konnte also auch verhindern, dass sie meine Gedanken laß. Ein Glück. So war ich wenigstens in Zukunft ein wenig sicherer von ihr.
»Und habe ich eine Fähigkeit?« fragte ich neugierig.
»Das kann ich dir nicht beantworten. Du allein wirst es im Laufe der Zeit feststellen. Aber ich will dir nichts versprechen, nicht viele der Vampire haben das Glück eine Gabe zu erhalten. Ich bin ein gesegnetes Kind, Gedankenleser gibt es wirklich selten und es ist eine der stärksten Fähigkeiten.« sagte sie stolz.
»Und wie bin ich zum Vampir geworden? Es ergibt alles keinen Sinn! Ich habe doch ein ganz normales Leben geführt und plötzlich ging alles nach hinten los!«
Ich schrie schon fast, denn so langsam verlor ich die Kontrolle über mich.
»Beruhige dich. Glaub mir, alles ergibt Sinn. Erinnerst du dich an die Nacht, wo du diesen stechenden Schmerz in deinem Rücken gespürt hast?«
Ich nickte. Noch immer konnte ich mich an alles erinnern. Das Dröhnen in meinem Kopf, der stechende Schmerz, die schwarzen Augen die mich anblickten. Die schwarzen Augen!
»Richtig, die schwarzen Augen. Ich muss gestehen, das war ich. Ich habe dich gebissen, um die Verwandlung zu beenden. Tut mir Leid, aber mir blieb nichts anderes übrig.«
Sie legte ihre Hand auf meine, doch ich riss sie schnell weg. Sie hatte mir das hier angetan! Nur wegen ihr fühlte ich mich so schrecklich. Ich konnte es nicht fassen.
»Ich sagte doch, es tut mir Leid. Ich musste es tun! Er hätte mich sonst getötet! Und dich auch...« erklärte sie hitzig.
»Wer ist er?!«
Meine Stimme wurde immer lauter, die Wut hatte mich übermannt.
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Tut mir Leid.« wisperte sie.
Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Sofort stand ich auf und drehte mich demonstrativ zum Gehen um. Plötzlich stand sie vor mir, schnappte nach meinem Arm und funkelte mich böse an.
»Wie machst du das! Schon als ich das erste Mal mit dir gesprochen habe, warst du plötzlich vor mir«
»Hast du nicht schon bemerkt, dass du dich unmenschlich schnell bewegen kannst? Du könntest jetzt locker wegrennen, hätte ich dich nicht gepackt. Du bist noch so unerfahren.«
Das ließ ich mir nicht gefallen. Um ihr zu beweisen, wie stark ich war, versuchte ich meinen Arm wegzureißen, doch sie hielt mich eisern fest. Keinerlei Chance in Sicht.
»Was können wir noch alles?« fragte ich sie und versuchte mich immer noch vergeblich aus ihrem Griff zu befreien.
»Wir können unsere Fingernägel ausfahren. So können wir unsere Beute ganz leicht verletzten. Eigentlich könnten wir unseren Opfern die Kehle leicht aufschlitzen, aber dann wäre das ganz Blut ja umsonst. Glaub nicht, dass ich es nicht schon einmal ausprobiert hätte. Also dient es uns dazu, unsere Feine festzuhalten und wenn nötig umbringen zu können. Also würde ich an deiner Stelle nicht mehr versuchen, meine Hand abzuschütteln. Glaub mir Schätzchen, ich bin stärker als du.«
Mir fiel wieder ein, wie ich Till verletzt hatte, obwohl ich es gar nicht wollte. Was war ich nur für ein Monster geworden.
»Und natürlich können wir noch ziemlich hoch springen und ach ja, wir können unser Erscheinungsbild ändern. Eine echt tolle Fähigkeit. Du glaubst nicht, wie viele Vampire sich als andere Menschen tarnen, um dann die Freunde der Person auszusaugen. Und ich muss sagen, es funktioniert sogar ziemlich gut.« sie lachte laut auf.
Plötzlich erschien vor mir eine andere Person. Sie war klein und etwas kurvig, hatte blondes kurzes Haar und blaue, strahlende Augen.
Es sah wirklich überzeugend aus.
»Wieso ist mir den ganzen Tag so heiß gewesen und warum konnte ich nicht gescheit sehen? Jetzt wo die Sonne untergegangen ist geht es mir fantastisch.«
»Das ist ganz einfach. Du bist jetzt ein Nachtmensch. Und außerdem bist du ziemlich jung. Kein Wunder, dass die Sonne dir so zusetzt. Ich habe dir ja immerhin schon dein Auto gebracht, mehr konnte ich in dem Moment nicht tun. Sei froh, dass du auf dem Weg nach Hause noch keinen Menschen getötet hast. Ich hatte es damals nicht so einfach. Junge Vampire haben Schwierigkeiten mit der Sonne. Aber mit den Jahren gewöhnst du dich daran, du bist zwar nie immun dagegen, aber wenn erst einmal ein paar Wochen vergangen sind, wirst du keine Probleme mehr damit haben. Du hast es ja damals im Einkaufszentrum gesehen, ich kann auch einfach in der Sonne herumlaufen, ohne zu sterben. Und was die Hitze angeht, das macht die Verwandlung. Dein Körper hat sich noch nicht völlig gewandelt, es wird noch ein paar Tage dauern. In dieser Zeit würde ich dir übrigens empfehlen, nur wenn es dunkel ist rauszugehen.«
Das erklärte die Sache mit dem Auto. Niemals hätte ich gedacht, dass sie so etwas für mich tun würde, es schien mir fast so, als hätte sie tief in ihrem Inneren doch noch einen netten Kern. Ganz tief in ihrem Inneren.
»Okay...aber wie soll ich dann in die Schule gehen? Sonne tötet uns also nicht, aber irgendetwas wird uns töten. Was ist es?«
Auf einmal bemerkte ich, dass wir immer noch so dastanden. Ihr fiel auf, dass ich mich unbehaglich fühlte und so lies sie mich los und ging wieder zu ihrem Stuhl zurück.
»Setz dich wieder.« sagte sie und zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber.
»Gut, dass du fragst. Du kennst doch die Vampirfilme, in den gesagt wird, dass wir gegen alle möglichen Dinge empfindsam sind, oder? Ein paar Dinge stimmen, doch wir Vampire haben schon immer Dinge erfunden, damit wir im Fall, dass wir auffliegen, doch geschützt sind. Wir können zum Beispiel durch Feuer getötet werden, aber Weihwasser, Knoblauch und Kreuze bringen gar nichts. Das Einzige, was uns noch töten kann, ist Silber. Und natürlich kann man uns töten, indem man uns in Stücke reißt. Wenn dir jemand die Kehle durchschneidet, sodass dein Kopf abgetrennt ist, bist du tot. Aber wenn dir nur jemand in den Bauch sticht, hast du vielleicht Glück. Die meisten Leute haben keine Messer aus Silber, aber es kommt schon vor. Und was die Schule betrifft, da musst du wohl drauf verzichten. Was für eine Schande.« sagte sie grinsend.
»Noch eine Frage. Wenn du mich erst gestern gebissen hast, warum habe ich mich davor dann schon so komisch verhalten?«
Mir fiel wieder mein Black Out ein und wie sich meine Gesichtsfarbe geändert hatte.
»Du trinkst doch jeden Mittag einen Tee nicht wahr? Wir, ich meine, ich, habe dir ein gewisses Gift in den Tee getan, welches die Verwandlung zum Starten gebracht hat. Allein einen Mensch zu beißen reicht nicht. Du brauchst dieses Gift, damit dein Körper sich nach dem Aussaugen wieder komplett herstellt. Es sorgt dafür, dass jede Zelle sich neu bildet. Hätte ich es nicht in deinen Tee gekippt, würdest du jetzt nicht mehr hier sitzen. Hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Das einzige Problem ist nur, dass das Gift wirklich schwer zu finden ist.« sagte sie und zuckte mit den Schultern.
»Und wie ist das mit dem Ernähren? Muss ich ab heute mein ganzes Leben lang Leute aussaugen oder gibt es noch andere Möglichkeiten?« fragte ich leise.
Niemals konnte ich mein ganzes Leben lang Menschen töten, deshalb hoffte ich, dass es eine andere Möglichkeit gab. Doch sie schüttelte lediglich den Kopf.
»Nein, du hast keine Wahl. Ob du nun willst oder nicht, es gibt nur eine Option. Entweder du beißt Menschen oder der Hunger wird dich nach und nach auffressen und irgendwann wirst du es sowieso nicht mehr aushalten. Es gab schon ein paar Vampire in der Geschichte, die es mit Fleisch versucht haben, oder mit Tierblut, doch bisher sind alle gescheitert.« sagte sie unbeeindruckt.
»Glaub mir, irgendwann wirst du dich daran gewöhnen. Der Blutdurst siegt eben doch immer. Man kann sich nicht dagegen wehren.«
Nein.
Ich konnte nicht weiterhin Menschen töten. Mein Gewissen war schon schwer genug, weil ich gerade diesen unschuldigen Jungen getötet hatte. Dazu kam noch, dass ich Till angegriffen und verletzt hatte. Das konnte ich nicht noch einmal durchstehen. Dann würde ich eben nie wieder Blut trinken. Ich würde die erste sein, die es schaffen würde.
Sie lachte über mich, sagte jedoch nichts mehr zu meinen Gedanken.
Sie blickte nach draußen, was mich ebenso dazu verleitete einen Blick nach draußen zu werfen. Der Himmel färbte sich leicht orange. Die Sonne würde bald aufgehen.
»Es wird Zeit zu gehen, Elle. Ich kann dir in nächster Zeit nicht mehr helfen, aber wenn du mich brauchst, wirst du mich finden. Viel Glück, Schwester.«
Ehe ich mich versah,war sie verschwunden und ich alleine in dieser Halle voller verwester Leichen.
Jetzt war der perfekte Zeitpunkt, meine Fähigkeiten zu rennen, auszuprobieren. Ich musste sowieso irgendwie schnellst möglich nach Hause kommen und ich konnte mich nicht daran erinnern, mein Auto mitgenommen zu haben. Ich stand auf, ging in die Stellung eines Sportlers, der in der nächsten Sekunde zum Sprint ansetzten würde und rannte dann los.
5 Sekunden später stand ich vor meinem Haus.
7
Ich ging schon zum 2. Mal diese Woche in dieses gruselige Gebäude. Es gefiel mir ganz und gar nicht, doch ich hatte keine Wahl. Wenn ich nicht käme, würde er mich töten. Und Elle auch. Das durfte ich nicht zulassen.
Natürlich erwartete er mich schon. Er saß auf dem Sofa, neben ihm lag der leblose Körper einer Frau, die wohl zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Sie tat mir fast ein bisschen Leid. Von ihm geschnappt und ausgesaugt zu werden, war sicherlich nicht der schönste Tod.
»Wie ist es gelaufen, Leila?« fragte er, während er mit seiner Zunge die Lippen ableckte.
»Alles ist nach Plan gelaufen, Sir. Sie weiß nun was sie ist und wird sich bald schon eingelebt haben. Ich verstehe nur nicht, warum sie so unbedingt wollen, dass sie sich gut zurecht findet. Sie ist doch meine Schwester, nicht ihre.« fragte ich einfach heraus.
Diese Frage hatte mich schon länger beschäftigt, doch ich hatte mich bisher nie überwunden, sie zu stellen.
Berechtigt.
Er sprang auf, rannte zu mir und schlug mir gewaltsam ins Gesicht. Ich flog in hohem Bogen auf die weit entfernte Wand des Hauses und riss die Wand völlig aus den Fugen. Ich hielt meinen Kopf fest, denn jetzt schmerzte er unerträglich. Es war ein schlimmer Fehler gewesen, ihn auszufragen. Sofort wollte ich aufstehen und mich ihm stellen, doch bevor ich mich auch nur ein wenig bewegen konnte, stand er vor mir.
»Wenn du es noch einmal wagst, einen Satz mit einem Fragezeichen zu beenden, wirst du härte Konsequenzen austragen müssen, als diese. Also überlege es dir das nächste Mal besser, wenn du mir eine unangebrachte Frage stellen willst. Du hast hier nichts zu sagen, Kleine. Du kannst dir nicht vorstellen wie alt und stark ich bin. Und jetzt verschwinde. Du hast mich heute schon genug verärgert. Kümmere dich weiterhin um sie, ich will nicht, dass du den Plan zerstörst. Und ich glaube du willst das auch nicht, denn wenn du es nicht hinkriegen solltest, weißt du ja was dir drohen wird.«
Er fuhr mit seinem Finger gespielt über seinen Hals. Ich wusste, ich musste verschwinden.
Einen kurzen Moment blickte ich sein hämisches Lächeln an und verschwand dann in die Dunkelheit.
Am nächsten Tag schlief ich so lange ich konnte. Der Hunger war noch immer nicht da und ich hatte keine Lust, den ganzen Tag dagegen anzukämpfen. Zum Glück war Sonntag, denn wenn ich an einem Schultag Zuhause geblieben wäre, hätten mindestens 5 Leute bei mir angerufen, um mich zu fragen, wie es mir ginge und ob ich am nächsten Tag wieder kommen würde und das würde ich jetzt nicht durchstehen können.
Ich nutzte die Zeit, in der die Sonne am Himmel stand und suchte im Internet nach Bars für Vampire. Es hörte sich zwar dumm an, aber es konnte nie schaden, ein paar Vampirkontakte zu haben. Außerdem musste ich lernen, mit meinem neuen Ich umzugehen und möglicherweise waren wirklich ein paar Vampire zu finden, die mir bereitwillig halfen.
Nach kurzer Zeit hatte ich eine Bar gefunden, die sich ziemlich seriös anhörte und nicht all zu weit weg war.
Als die Sonne langsam unterging, schnappte ich mir entschlossen meine Autoschlüssel und fuhr los. Diesmal machte ich nicht den Fehler die Fenster herunter zu kurbeln. Auch so roch ich schmackhafte Leute, selbst wenn ich mich in einem geschlossenen Auto oder einem Raum befand.
Noch immer konnte ich kaum glauben, dass ich den Tag überstanden hatte. Der Hunger und die Hitze waren so unerträglich gewesen, dass ich meines Erachtens eigentlich schon längst hätte tot sein müssen.
Kurze Zeit später kam in eine abgelegene Stadt an. Zuerst befürchtete ich, mich verfahren zu haben, doch nach kurzer Überprüfung stellte ich fest, dass ich wirklich richtig war. Mein Navi wies mich an, rechts ab zu biegen.
Ich war angekommen.
Ein großes Haus ragte sich vor mir auf. An den Wänden reihten sich Clubnamen wie Night & Day, Louisiana und JUMP auf. Ganz rechts befand sich die Vamp Bar.
Der Name Vampire Night schien mir nicht gerade kreativ, aber es schien mir auch nicht fair, den Club gleich zu kritisieren, obwohl ich ihn noch nicht einmal angesehen hatte.
Der Türsteher zögerte einen Moment bei mir, musterte mich kurz, doch ließ mich dann hinein, ohne nach meinem Ausweis zu fragen. Es war nie ein Problem für mich gewesen in einen Club rein zu kommen, da ich schon immer älter als 16 aussah.
Als ich den Raum betrat, floss ein Strom aus Gerüchen zu mir. Es duftete nach Blut, leckerem Blut.
Ein Zeichen, dass der Club voller lebenden Wesen war. Verdammt.
Langsam drang ich zu der Menschenmasse vor. Wenn ich hier schon keine anderen Vampire fand, wollte ich wenigstens mal wieder so richtig tanzen. Doch als ich inmitten der vielen Menschen stand, spürte ich, wie mir langsam die Kontrolle von mir entglitt. Ich erwischte mich dabei, wie ich mit den Zähnen fletschte und einem dieser wohlriechenden Düfte folgte.
Blitzschnell setzte ich zum Sprung an, um mich auf einen der Tänzer zu stürzen und sein ganzes Blut auszusaugen, bis ich vollends satt war, doch ich kam nicht dazu abzuspringen.
An meinem Rücken spürte ich ein leichten Druck und plötzlich war ich außerhalb des Gebäudes an die gegenüberliegenden Wand geknallt.
Reflexartig drehte ich mich nach allen Seiten um, nahm meine Krallen nach oben und fletschte mit den Zähnen. Ein gutaussehender Mann stand vor mir und blickte mich wütend an.
»Was machst du hier?« schrie er wütend.
Seine Stimme war voller Hass.
»Ich bin so hungrig!« stieß ich hervor und ich erkannte meine eigene Stimme gar nicht wieder.
»Du kennst die Regeln!«
Er drückte mich an die Wand und kam so nah an mein Gesicht heran, dass ich ihm ganz leicht die Augen hätte auskratzen können, doch er hatte meine Handgelenke gesichert.
»Welche Regeln« murmelte ich.
Mit einem Mal war meine Wut verflogen, ich war nur noch das junge verzweifelte Mädchen, dass lieber sterben würde, als weiterhin in diesem Körper zu stecken. Ich kämpfte nicht mehr gegen ihn an, ließ ihn mich einfach halten, was ihn dazu brachte mich loszulassen.
»Du kennst sie wirklich nicht, oder?« fragte er.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Meine Handgelenke schmerzten, er hatte sie ziemlich fest gehalten, was mich zu dem Entschluss kommen lies, dass er wie ich war.
»In meiner Vamp Bar darf man nicht jagen. So lauten die Regeln.«
»Bist du ein Vampir?« war das Einzige, das ich zu Stande brachte und mir wurde sofort klar, wie dumm meine Frage war. Er nickte kurz.
»Ich wollte hier nicht jagen. Wirklich nicht. Es ist nur, ich dachte, hier treffe ich vielleicht ein paar Meinesgleichen.« erwiderte ich.
Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus.
»Das meinst du jetzt nicht Ernst. Jeder vernünftige Vampir weiß, dass man in solchen Clubs nicht fündig wird.«
»Ja, dann bin ich wohl nicht vernünftig. Tut mir Leid, ich wusste es einfach nicht. Ich wollte Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten.« murmelte ich leise.
Schnell wandte ich mich zum gehen ab, weil mir die Situation so peinlich war, doch er hielt mich auf.
»Hey, warte doch. Du meintest gerade, dass du nicht vernünftig bist. Wie alt bist du denn?« fragte er neugierig.
Diese Frage verunsicherte mich. Warum interessierte ihn, wie alt ich war? Jetzt würde heraus kommen, dass ich noch minderjährig war und ich würde wahrscheinlich zu allem Pech Hausverbot oder Sonstiges bekommen.
»Um ehrlich zu sein 16, warum?«
»Nein, ich meinte dein richtiges Alter, du musst die Vampirjahre natürlich dazu rechnen.«
Er schüttelte den Kopf, langsam schien ich ihn rasend zu machen.
»Ich bin 16...! Wenn du es genau wissen willst, ich bin erst seit letzter Nacht ein Vampir.« sagte ich und versuchte alles ein bisschen aufzulockern, indem ich dabei lachte.
Doch er lachte nicht mit. Er schaute mich lediglich an, als hätte er ein Geist gesehen.
»Das kann nicht sein.« flüsterte er kaum hörbar. Er sah sich in alle Richtungen um und fuhr sich durch seine Haare.
»Komm mit mir.« Er winkte mir zu sich und lief dann durch den Hintereingang wieder hinein in den Club. Ohne weiter nach zu fragen, folgte ich ihm.
Erneut überkam mich ein solcher Hunger, dass ich mich am liebsten auf den nächsten Menschen, der an mir vorbeilief, gestürzt hätte, doch der unbekannte Mann packte mich am Handgelenk und führte mich mit sich.
Wir gingen in den Hinterteil des Clubs, wo sich ein Raum für Angestellte befand.
Vor einem Fenster blieb der Fremde stehen und blickte nach draußen in die noch frühe Nacht.
»Du hast schwarze Augen.« sagte er mehr zu sich selber, als zu mir.
Verwirrt blieb ich hinter ihm stehen und wartete, dass er sich umdrehte, doch das tat er nicht.
»Ja, ich weiß, dass ich schwarze Augen habe. Schon seit meiner Geburt. Aber das ist doch nichts Besonderes? Du hast doch auch schwarze Augen?«
»Du verstehst nicht!« zischte er und drehte sich blitzschnell um.
»Wir bekommen erst nach 10 als Vampir verbrachten Jahren diese Augen.«
Er lief unruhig durchs Zimmer, doch ich konnte ihn nur anstarren.
»Warum bist du hier her gekommen! Du bringst uns alle in Schwierigkeiten!«
Jetzt kam er wieder zu mir, so nah, dass ich dachte, er würde mich schlagen, doch er wich zurück. Verzweifelt schüttelte er seinen Kopf.
»Du bleibst hier, ich komme gleich wieder.« sagte er düster und verschwand so schnell aus dem Zimmer, dass ich nicht hinterher schauen konnte. Da mir nichts anderes übrig blieb, ging ich ans Fenster und beobachtete das Nachtleben.
Auf der Straße waren mehrere Menschen zu sehen. Am Rande der Straße taumelte ein Betrunkener und natürlich hatte ich das Verlangen, zu ihm zu rennen und meine Zähne in seinen Hals zu rammen. Diesmal jedoch siegte mein Verstand. Ich wusste, dass es falsch war und ich würde sowieso nicht sehr weit kommen, denn der Fremde, auf den ich in diesem Moment wartete, war sehr viel älter als ich und würde nicht zulassen, dass vor seinem Club jemand einfach einen Menschen ermordete, also hatte es sowieso keinen Sinn.
Genervt fasste ich mir an die Stirn und stellte fest, dass sich Schweißtropfen gebildet hatten. Obwohl ich es in diesem Moment nicht merkte, setzte die Hitze mir ganz schön zu. Das Letzte mal, dass ich so stark geschwitzt hatte, war lange her. Es war damals im Hawaii Urlaub gewesen, den mir mein Vater großzügiger Weise spendiert hatte. Dies war eines der wenigen Geschenke, die ich je von meinen Eltern bekommen hatte. Sie hatten mir versprochen, gemeinsam mit mir in den Urlaub zu gehen, da ich ihnen eines Tages gesagt hatte, wie sehr ich sie vermisste.
Damals waren sie noch nicht ganz so verbittert wie heute gewesen. Trauriger Weise musste ich am Ende doch ganz alleine dort hin fliegen. Ich war wohl oder übel verdammt, allein zu sein.
Mein Gefühl verriet mir, dass sich 2 Personen dem Raum näherten und drehte mich um.
Wie erwartet trat der Fremde wieder ein, doch diesmal folgte ihm eine kleine, aber wunderschöne Frau. Sie hatte blonde lange Haare und natürlich auch schwarze Augen. Ein Lächeln war auf ihrem Gesicht zu sehen, doch ich wusste, es war gezwungen.
»Hi, ich bin Leslie. Entschuldige bitte, wenn mein Freund Joseph unhöflich war und dich verschreckt hat, das wollte er natürlich nicht.« erklärte die wunderhübsche Frau.
Sie warf ihm einen bösen Blick zu, worauf er gehorsam nickte.
»Joseph hat mir erzählt, du wärst erst 16, stimmt das?«
Sie schien sehr nett zu sein und ich entschied, sie zu mögen.
»Ja, das stimmt.« antwortete ich.
»Interessant. Das ist wirklich interessant.«
Sie schaute mir tief in die Augen, bevor sie vor mir hin und her lief und mich deutlich musterte.
»Du musst wissen, es ist nicht normal für einen Vampir, sofort schwarze Augen zu haben. Man muss sie sich quasi erst verdienen. Nur die Vampire, die es schaffen 10 Jahre zu überleben, werden mit diesen schwarzen Augen gesegnet.«
Sie wandte sich an Joseph und flüsterte ihm so leise, dass selbst ich es nicht hören konnte, etwas zu und schaute mich dann wieder an.
»Joseph wird sich um dich kümmern. Was uns beide angeht, wir werden uns bald wieder sehen.« sie hauchte die letzten Worte, als wolle sie es mir schmackhaft machen, doch sie erreichte damit nur das Gegenteil. Sie verließ den Raum so schnell, wie sie gekommen war.
Joseph starrte mich an, was mich sehr verunsicherte.
»Was ist hier eigentlich los?« fragte ich ihn neugierig.
»Willst du dich nicht erst einmal setzten und etwas trinken?«
Er zeigte auf ein Sofa in der Ecke und ich nahm den Vorschlag dankend an.
»Nein danke, ich will nichts... trinken...« antwortete ich gezwungen.
Einen Moment schaute er mich schräg an und schmunzelte.
»Du verweigerst doch nicht im Ernst Blut, weil du niemanden mehr töten willst?«
Plötzlich kam ich mir lächerlich vor. Nie hatte ich gedacht, dass er mich so schnell durchschauen könnte.
»Ich sehe es nicht ein, zu töten. Ich sterbe lieber, als noch einem Menschen weh zu tun.« stammelte ich.
Es hatte mich viel Überwindung gekostet, diesen Satz hervorzubringen, denn die Lust und das Verlangen plagten mich und befahlen mir, nachzugeben.
»Ja dann ist das hier ja genau das Richtige für dich. Es ist von einem unserer Blutspender. Es hat auch Vorteile einen Nachtclub mit lauter Vampirfreaks zu führen, glaub mir.« sagte er grinsend.
Er reichte mir einen Becher, der eine rote Flüssigkeit beinhaltete und eigentlich wollte ich es nicht trinken, doch bevor ich mich überhaupt entscheiden konnte, war der Becher schon leer und ich bettelte nach mehr. Wortlos füllte er meinen Becher nach und setzte sich danach neben mich.
»Also ich fange lieber ganz von vorne an. Es gibt diese Prophezeiung. Lass mich überlegen, sie lautet soweit ich weiß: Bald wird das Wesen mit den dunklen Augen auferstehen und die Welt zum Erschüttern bringen, doch wer sich kann verbinden mit dem Wesen, wird erreichen, was er begehre.«
Mit meinem Becher in der Hand saß ich da und sah ihn verständnislos an.
»Ich will jetzt wirklich nicht unhöflich sein, aber geht das auch auf deutsch?« ich lächelte verunsichert, doch als er auch lächelte, wusste ich, dass ich mich bei ihm normal verhalten konnte.
»Was ist es wohl, was alle Menschen begehren?« fragte er mich. Doch als ich nichts antwortete, fuhr er mit seiner Analyse fort.
»Unsterblichkeit. In dieser Prophezeiung wird gesagt, dass derjenige, der sich mit dem Wesen mit den dunklen, also schwarzen Augen verbinden kann, die wahrhaftige Unsterblichkeit erlangt. Und außerdem soll das Wesen angeblich die ganze Welt erschüttern. So wie es aussieht, bist du das Wesen mit den schwarzen Augen.«
Meine Mundklappe fiel nach unten.
»Ich soll was sein? Also ich soll die Welt erschüttern und durch mich soll irgendeine komische Person die Unsterblichkeit erreichen? Sind wir Vampire nicht sowieso schon unsterblich? Und was ist das bitte für eine komische Prophezeiung?« fragte ich, doch ich wusste selber nicht, ob ich die Antwort wissen wollte.
»Ja ich muss gestehen, ich finde sie auch ein wenig merkwürdig, aber es gibt sie nun mal seit dem Anfang der Vampire. Nein, wir sind nicht ganz unsterblich. Hat dir noch keiner erklärt, dass man uns mit Silber und Feuer töten kann? Du siehst, wir können sterben. Derjenige, der sich mit dir verbindet ist dann immun gegen alles und wird auch keine Probleme mehr mit Hunger oder der Sonne haben.« erklärte er mir.
»Und wie verbindet man sich?«
Langsam wurde mir wirklich mulmig zu Mute. Ich wollte niemand besonderes sein. Alles, was ich mir mein ganzes Leben gewünscht hatte, war eine Familie, die sich um mich kümmerte, ein sorgenloses Leben und jetzt das.
»Man tauscht sein Blut aus. Also kann dir eigentlich gar nichts passieren. Du musst nur aufpassen, mit was für Leuten du dich abgibst. Und solange keiner herausfindet, dass du das Wesen bist, von der in der Prophezeiung gesprochen wird, bist du vor den Vampiren sicher.«
Er schenkte mir ein leichtes Lächeln, doch es half nichts.
Solange es keiner herausfand. Solange.
»Ich will das alles nicht Joseph. Und was hat es mit dem, die Welt erschüttern auf sich?« stammelte ich unter Tränen.
»So ungern ich das auch sage, aber man kann sich sein Schicksal nicht aussuchen... genauso wenig, wie man sich seine Fähigkeiten aussuchen kann. Ich bin mir nicht sicher, aber es heißt wahrscheinlich, dass du Unheil über die Welt bringen wirst. Ich will dich nicht noch mehr kränken, aber wir Vampire haben nicht umsonst schwarze Augen. Zum einen haben wir sie, weil wir böse sind. Schwarze Augen bei Vampiren bedeuten Bosheit, rote Augen Stärke und, dass du gut bist. Es ist wie mit den Haarfarben. Wenn du rote Haare bekommst, bist du das wahrhaftig Böse. Du hast Glück, dass du in meine Bar gekommen bist, es hätte dich wirklich schlechter treffen können. Leslie und ich, wir lassen uns auf dieses ganze Bosheits Getue nicht ein. Wir sind gute Vampire. Aber es ist wirklich schwer und laut deiner Prophezeiung hast du wohl keine Chance und wirst wohl oder übel ein schwarzer Vampir.« erklärte er mir mit traurigem Gesicht.
»Verstehe ich das richtig, ich bin verflucht, böse zu sein? Nein, das kann nicht sein, ich habe das nicht verdient!«
Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte laut auf. Er rutschte näher zu mir heran und legte seinen Arm um meine Taille.
»Ssssch, alles wird gut. Du kannst es doch trotzdem noch versuchen. Ich meine, wenn es schon Prophezeiungen gibt, warum dann nicht beweisen, dass sie nicht stimmen? Und außerdem haben die schwarzen Augen auch etwas gutes. Du kannst damit die Emotionen anderer Leute beeinflussen. Natürlich nur von Menschen, aber das kann einem manchmal wirklich helfen.«
Er streichelte leicht meinen Rücken, was mir half, mich zusammen zu reißen und nicht mehr so stark zu weinen.
»Du hast recht. Ich muss nicht böse werden. Ich kann meine Zukunft selbst bestimmen, nicht wahr...«
Doch während ich dies sagte, wurde mir schmerzlich klar, dass ich selber nicht daran glaubte.
»Die Einstellung ist doch richtig. Willst du noch irgendetwas wissen, oder können wir uns jetzt auf andere Dinge konzentrieren?« fragte er und ein leichtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Was meinst du mit anderen Dingen? ...«
»Komm mit.«
Mit einem Grinsen im Gesicht nahm er meine Hand und zog mich mit sich.
8
»Mach die Augen auf.« flüsterte er mir leise zu.Ich hatte Angst. Was würde mich erwarten, wenn ich sie jetzt öffnete? Natürlich erwartet irgendetwas Atemberaubendes, denn er hatte sich so gefreut, mir das hier zu zeigen und hatte so viel Spaß daran, dass es einfach etwas Besonderes sein musste.Langsam öffnete ich die Augen.»Okay Joseph, wir stehen auf dem Dach des Clubs. Das ist … interessant.«Mühsam versuchte ich mir ein Lachen zu verkneifen, doch es gelang mir nicht ganz. Diese Situation brachte mich einfach dazu loszuprusten. So viel Aufwand für ein lausiges Dach? Da überkam es mich einfach.»Hey, mach nichts schlecht, wenn du noch nicht weißt, was auf dich zukommt, okay?« Ich nickte eifrig, musste mir aber doch noch das Lachen unterdrücken. Obwohl er es nicht wollte, fing auch er langsam an zu lachen. Nach kurzer Zeit tat mir mein Bauch weh und ich zwang mich zum Aufzuhören. Auch Joseph kicherte nur noch leise.»Okay, das war ja jetzt wirklich lustig, aber mal im Ernst, was machen wir hier auf dem Dach?« fragte ich ihn neugierig.»Ich dachte mir, du bist erst seit kurzem ein Vampir und hast bisher nur die schlechten Seiten kennen gelernt. Also wieso dir nicht deine guten Fähigkeiten zeigen?«»Und die wären?«»Weit springen!« rief er mir zu, während er Anlauf nahm und dann vom Dach zum nächsten Sprang und laut auflachte.»Komm schon, du Angsthase! Trau dich!« schrie er mir vom anderen Dach zu.Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen, also machte ich es ihm nach und sprang vom Dach ab. Das Gefühl war atemberaubend. In diesem Moment fühlte es sich an, als wäre ich unbesiegbar. Ich schwebte in der Luft, war frei von allen Sorgen, allen Problemen und fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr. Jetzt verstand ich, warum Joseph aufgelacht hatte, man verspürte einfach ein wahnsinniges Glücksgefühl, aber leider hielt es nur für einen kurzen Moment an.Als ich auf dem anderen Dach landete, wurde mir klar, dass die Welt nicht sorglos war, aber warum sollte ich nicht eine Nacht lang dieses Gefühl der Freiheit genießen. Ich nahm Josephs Hand und gemeinsam sprangen wir durch die Dunkelheit.Es war das schönste Gefühl, dass ich je verspürte und ich dankte Gott dafür.Nach gefühlt kurzer Zeit, hielt Joseph an.»Man sollte meinen, irgendwann hat man die Schnauze voll davon, aber so ist es nicht. Es ist jedes Mal aufs neue ein wunderschönes Gefühl.« sagte er mit strahlenden Augen zu mir. »Dann lass es uns weiter genießen! Ich könnte mein ganzes Leben lang so weiter machen!« schrie ich in die Nacht hinaus, für die ganze Welt hörbar, doch Joseph schüttelte nur den Kopf.»Schau zum Himmel Elle. Du bist jung, du musst jetzt nach Hause, bevor die Sonne aufgeht. Ich fürchte in deinem Zustand wirst du zu einem unkontrollierbaren Monster, wenn die Sonne scheint. Ich würde das lieber nicht miterleben.« erklärte er grinsend.Er hatte versucht einen Witz daraus zu machen, doch ich lachte nicht. »Ich will nicht gehen... es war so schön heute. Das will ich jetzt nicht aufgeben.« flüsterte ich traurig.»Komm doch morgen einfach wieder her, dann kannst du nochmal Spaß haben!« sagte er, um mich aufzuheitern.Es funktionierte. Ich fing wieder an zu lächeln und sprang dann mit ihm zusammen vom Dach in eine dunkle Gasse.»Ich werde da sein.« rief ich ihm noch zu, während ich mich auf den Weg zu meinem Auto machte.
Kurz nachdem ich Zuhause ankam, ging die Sonne auf. Erleichtert atmete ich auf, ich hatte es nach Hause geschafft ohne jemanden anzufallen. Einen Moment überlegte ich, ob es vielleicht daran lag, dass Joseph mir Blut gegeben hatte, doch es erschien mir nicht als die richtige Erklärung. Nachdem ich in der Gasse diesen unschuldigen Jungen ausgesaugt hatte, war ich immer hin auch noch hungrig gewesen.Mir fiel wieder ein, dass ich das Haus zerstört zurück gelassen hatte. Das Essen war noch immer auf dem Boden verteilt und in der Wand meines Zimmers war ein riesiges Loch. Mir war klar, dass ich jetzt sowieso nicht schlafen konnte und so machte ich mich an die Arbeit, alles wieder auf Vordermann zu bringen, schließlich sollte mein Vater dieses Schlachtfeld nicht zu sehen bekommen.Ich räumte das Essen wieder in den Kühlschrank und machte mich danach auf den Weg in mein Zimmer. Stutzig betrachtete ich das etwa 1 Quadratmeter große Loch an meiner Zimmerwand. Es war eindeutig unmöglich, es zu reparieren und so beschloss ich, einfach eine Pappwand darüber zu kleben. Das würde mir vorerst genügen und mein Vater würde sowieso nie einen Blick in mein Zimmer werfen. Kurze Zeit später hatte ich mein Werk getan und war sogar ein bisschen stolz darauf.Unruhig blickte ich auf meinen Wecker.6:49 Uhr.Die Sonne war nun vollends aufgegangen, eigentlich sollte mein Blutdurst jetzt immer stärker werden, doch ich fühlte nichts, was ich als gutes Zeichen abstempelte. Heute war Montag, Schule. Trish würde sicherlich mosern, wenn ich nicht kam und außerdem wollte ich noch mit Marc sprechen und so entschloss ich mich, doch in die Schule zu gehen. Natürlich war mir klar, dass ich nicht so wie immer gehen konnte, weswegen ich mir den dunkelsten Kapuzenpullover aus meinem Schrank, eine lange, schwarze Hose und meine neu gekaufte Sonnenbrille schnappte und mich auf den Weg machte.Vor der Schultür blieb ich einen Moment stehen und atmete tief durch und öffnete dann langsam die Tür.Alle starrten mich an. Es kam mir vor, als wäre ich ein Magnet, der den Blick jedes Schülers auf sich zog. Egal, in welcher Aktivität die Leute gerade steckten, sie stoppten sie, als ich die Schule betrat.Langsam, aber sicher, bewegte ich mich vorwärts. Bis jetzt hatte ich mich gut im Griff, der Hunger hatte noch nicht zugeschlagen. In meinem Kopf hörte ich die Stimmen meiner geschockten Mitschüler, wie sie ihren Freunden zuriefen, lachten und sich über mich unterhielten.Ich war gezwungen, mir Dinge wie »Was hat die denn an!«, »Hast du schon Elle Rise gesehen? Die ist jetzt so etwas von out!« und »Schau mal, sie macht jetzt einen auf Emo!« anzuhören, doch das kümmerte mich gerade recht wenig. Mein Ziel für heute war, den Tag ohne jemanden anzufallen zu überstehen und nicht, beliebt zu sein. Die Schulglocke läutete. Mist.Natürlich hatte ich zu erst die schlimmste Stunde des Tages, Mathe bei Herr Schuster und ich durfte nicht zu spät kommen. Aufgrund dessen rannte ich zu meinem Schließfach und vergaß dabei ganz in Menschentempo zu laufen. Schnell drehte ich mich in alle Richtungen, doch ich hatte Glück. Die Gänge waren bereits leer, mich hatte keine Menschenseele gesehen.Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich saß in der Falle. Instinktiv griff ich nahm dem Arm an meinem Rücken und schleuderte die Person vor mir auf den Boden. Zu spät begriff ich, dass es Marc war.Er gab einen erstickten laut von sich und schloss seine Augen. Nein. Das durfte nicht sein. Sofort schmiss ich mich zu ihm auf den Boden und fing an, Luft in ihn hinein zu blasen. Jetzt war ich froh, dass ich letztes Jahr eine Sanitätsausbildung gemacht hatte, sonst wäre in in diesem Augenblick völlig hilflos gewesen.Ich presste meine Hände auf seine Brust, drückte meinen Mund an seinen und blies ihm in den Mund. Diesen Vorgang wiederholte ich gefühlte tausend Mal, doch es hatte keinen Sinn. Er war tot.Erschüttert stoppte ich meine Bewegungen und setzte mich still neben ihn. Warum hatte es Marc erwischt? Er hatte das nicht verdient. Er war einer der Guten und nur, weil ich heute so leichtsinnig gewesen war, lag nun sein lebloser Körper neben mir.Ich kämpfte mit den Tränen, als plötzlich ein Geräusch von ihm ausging.Er krümmte sich kurz und atmete dann hektisch ein und aus. Um mich jedoch war es geschehen. Stürmisch warf ich mich in seine Arme und murmelte immer wieder seinen Namen.»Ich habe dich nicht getötet!« rief ich erleichtert aus.»Was bist du!« stieß er mühsam hervor. Seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen, doch ich konnte die Worte ganz genau verstehen.»Nicht hier.« antwortete ich leise und drehte mich in alle Richtungen um. »Tut mir Leid Marc, aber ich fürchte, wir müssen heute die Schule schwänzen.« gestand ich ihm.Alles sagend steckte ich ihm meine Hand hin, um ihm aufzuhelfen und gemeinsam verließen wir das Schulgebäude.Wir liefen durch einen Park, mehrere Straßen und eine Einkaufspassage, bevor wir zum Stoppen kamen. Es war schwer einen passenden Ort zu finden, um ihm alles zu erklären, denn auch schon so früh morgens waren die Straßen voller Leute und es war schwer, ein großes Gebäude zu finden, das nicht gerade unter Beobachtung stand.»Marc, was ich dir jetzt sagen werde, ist streng vertraulich und muss unter allen Umständen unter uns bleiben. Hast du das verstanden?« frage ich ihn mit ernster Miene.Er nickte kurz.»Ich meine es ernst! Kann ich auch dich vertrauen?« »Elle, du weißt, du kannst mir alles sagen.« antwortete er gefühlvoll.»Das reicht nicht. Verspreche es mir.« drängte ich ihn.Er schaute mich leicht irritiert an, antwortete dann aber doch.»Okay, wie du willst. Ich verspreche dir, dass egal, was du mir jetzt erzählst, unter uns bleiben wird.« Das war genügend. Grinsend klemmte ich meinen Arm unter seinen und sprang in die Luft. Sofort spürte ich wieder das Gefühl der Freiheit, des Glücks, des Lebens.Als wir auf dem Hausdach landeten, hörte ich Marc kichern, doch als er seine Augen aufriss, war es verklungen.Er drehte sich ängstlich zu mir um, rannte zum Rand des Daches und starrte verwirrt zum Boden. Mit langsamen Schritten ging ich auf ihn zu.»Matt, glaubst du an Unmenschliches?« fragte ich ihn mysteriös.»Wie meinst du das? Und wie sind wir zum Teufel nochmal hier hoch gekommen?!« stieß er hervor und zeigte nervös hinunter in die Straße.»Du hast es doch selbst gespürt Marc. Wir sind gesprungen.«Ein Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus, doch er erwiderte es nicht.»Ich glaube du musst mir einiges erklären.« murmelte er abwesend.Und genau das tat ich. Ich erzählte ihm, was nach der Party geschehen war, wie ich nachts in der Gasse aufgewacht war und gebissen wurde und wie ich dann am nächsten Tag aufgewacht war und nicht wusste, was mit mir geschah. Darauf stieß er einen kleinen Schrei aus und sagte »Wie konnte dir das nur jemand antun!« , worauf ich nur zustimmend nickte. Außerdem erzählte ich ihm die Geschichte mit meiner Schwester, wie ich ihr das erste Mal im Einkaufszentrum begegnet war, wie sie mich mit sich geführt hatte und mir aufgetischt hatte, mit ihr verwandt zu sein und wie sie mir dann eine Nacht später erklärt hatte, was ich war und wie ich damit umgehen konnte.»Du bist also ein... Vampir?« stammelte er ungläubig.Zum Beweis fuhr ich meine Zähne und Krallen aus. Seine Augen weiteten sich geschockt und er brachte ein tonloses »wow« heraus.»Aber das ist noch nicht alles.« erklärte ich und fuhr mit meine Geschichte fort. Als nächstes erzählte ich ihm, wie ich in die Vamp Bar gegangen war und Joseph und Leslie begegnet war, wie mir gesagt wurde, dass ich die wichtigste Rolle in einer Prophezeiung spielte und dass ich dazu verdammt war, böse zu sein. Als letztes erzählte ich ihm noch, wie Joseph und ich von Dach zu Dach gesprungen waren und erwischte mich dabei, wie ich leise vor mich hin kicherte.Als ich fertig erzählt hatte, starrte mich Marc wortlos an.»Ich weiß, das ist viel zum Verdauen, aber ich hoffe, du grenzt mich deshalb jetzt nicht von dir ab... Mehr denn je brauche ich jetzt einen Freund wie dich.« flüsterte ich leise. Er schüttelte den Kopf und sah mich mit aufgerissenen Augen an.»Wie könnte ich! Ich hab einen Vampir als Freundin, wie cool ist das denn!« rief er lächelnd aus. Schockiert blickte ich ihn nun an, doch nach kurzer Zeit musste auch ich lachen und umarmte ihn kurz.»Die Reaktion hätte ich nun nicht von dir erwartet.« sagte ich.»Tja, ich bin eben eine vielfältige Person.« erläuterte er schnippisch.»Aber weißt du was wirklich komisch ist?« fragte ich ihn, worauf hin er leicht den Kopf schüttelte. Mein Blick glitt am Dach vorbei zum Himmel, ich betrachtete die Sonne, die mir noch immer in den Augen stach und fuhr deshalb wieder zu Marc herum.»Bei dir komme ich nicht in Verlangen. Bisher hätte ich gerne jeden Menschen angefallen und ihm sein Blut ausgesaugt. Bis auf dich.« gestand ich ihm und musste lächeln.»Da kann ich nur sagen, dass das unserer Freundschaft wirklich weiterhilft!« antwortete er spöttisch.»Aber kommen wir zu wichtigeren Themen. Was läuft da verdammt noch mal zwischen dir und diesem Joseph?« erkundigte er sich.»Nichts. Wir sind nur Freunde. Glaube ich. Ich weiß nicht, vielleicht sind wir nicht mal das.« antwortete ich, doch ein Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen.»Wir verstehen uns, und ich mag ihn wirklich sehr, aber ich fürchte, ich bin nur eine Art Objekt für ihn, das er beschützen muss. Du weißt schon, wegen der Prophezeiung...« flüsterte ich.Marc schüttelte wissend den Kopf und sah mich ernst an.»Das glaube ich kaum. Wie kann man dich denn nicht mögen? Und außerdem, es ist doch gut, wenn er dich beschützen will, oder nicht? Dann bist du wenigstens sicher!«»Ja, du hast recht. Aber mehr als Freunde ist wirklich nicht drin.«Plötzlich fiel mir die Sache mit Till wieder ein.»Oh nein!« rief ich aus.»Was ist los?« antwortete Marc verwirrt und drehte sich ängstlich in alle Richtungen um.»Keine Sorge, hinter dir steht kein böser Vampir. Die einzige mögliche Gefahr für dich besteht gerade aus mir...« besänftigte ich ihn lächelnd.»Ich hab mich nur gerade an etwas erinnert... ich hab Mist gebaut, Marc.«Also erzählte ich ihm, wie ich mich mit Till nach der Party am nächsten Tag verabredet hatte, wie dumm ich war, ihn zu mir eingeladen hatte und wie ich ihn dann angegriffen hatte.»...Ich weiß nicht mal, ob er jetzt im Krankenhaus liegt, weil ich ihn so verletzt habe!« stammelte ich unter Tränen.»Wenn ich schon dabei bin zu weinen, warne ich dich lieber, es sind rote Tränen. Und genau das hat Till auch gesehen und außerdem noch meine langen Fingernägel. Ich fürchte, ich muss ihm auch alles erzählen... hoffentlich nimmt er es so gut an, wie du.« Doch insgeheim wusste ich, dass er es nicht tun würde. Der Schock in seinen Augen, als ich ihn angegriffen hatte, war zu groß gewesen. Er würde mir wahrscheinlich nie wieder verzeihen, womöglich würde er mich nicht einmal ausreden lassen.»Das ist doch kein Grund zu weinen. Der Typ ist für dich auf diese Party gekommen, obwohl er von seinem Vater Hausarrest bekommen hat, Elle! Er empfindet etwas für dich! Wenn er der Richtige ist, wird er es verstehen... vertrau mir.« besänftigte er mich.»Wenn es doch nur so einfach wäre...« sagte ich und nickte leicht.Marc legte einen Arm um mich, worauf hin ich mich an ihn kuschelte. So blieben wir liegen, bis langsam die Sonne unterging. Der Sonnenaufgang war atemberaubend und das Zeichen für mich, zu gehen. Ich wandte mich aus seinen Armen und schaute ihn an.»Ich muss noch wo hin.« erklärte ich und stand auf.»Joseph?« war alles, was er wissen wollte. Wortlos nickte ich und nahm seine Hand, die er mir entgegenstreckte.So wie wir gekommen waren, verließen wir dieses Hausdach auch wieder. Wir sprangen hinunter und uns beiden entfuhr ein Freudenschrei. Schnell flitze ich mit ihm zur Schule zurück, verabschiedete mich und rannte so schnell ich konnte Richtung Vamp Bar.
Mürrisch machte ich mich auf den Weg zu ihm. Was forderte er denn jetzt schon wieder? Ich hatte nicht erwartet, ein drittes Mal diese Woche in dieses verfluchte Haus zu müssen.
Nachdem ich mich angezogen hatte, rannte ich los und stand einige Sekunden später hinter ihm, er blickte wie meistens durchs Fenster.
»Fantastisch, dass es dir gelegen kam, mich zu besuchen«
Seine Worte klangen förmlich, enthielten aber viel Spott. Natürlich erwiderte ich dies mit einer untertänigen Verbeugung.
»Natürlich, Sir. Was darf ich heute für sie tun?« fragte ich ihn vorsichtig.
»Es geht mir um ein kleines Anliegen. Wusstest du, dass sie heute in der Schule war?« erkundigte er sich und drehte sich lächelnd um. Kein gutes Zeichen.
»Nein, ich, ich wusste nicht. Es tut mir Leid, ich war unvorsichtig.«
Er stieß ein lautes Lachen aus.
»Unvorsichtig! Das ist ja die Untertreibung des Jahres! Ihr hätte alles passieren können, meine Liebe! Du hattest Glück, dass ich ein Auge auf sie geworfen hatte! Das wird Konsequenzen haben! Du hast mich erneut verärgert!« rief er spöttisch aus.
Plötzlich erklang hinter mir eine Stimme.
»Liebling, lass doch das arme Mädchen in Frieden. Du hast ihr letztes Mal schon genug zugesetzt. Du weißt nicht, ob du sie tötest, wenn du so verärgert bist und wir brauchen sie doch noch. Gib ihr noch eine Chance.« sagte die Stimme lieblich.
Ich drehte mich um und sah die Gefährtin/ Freundin/ Frau meines Meisters. Sie lief oder schwebte, wie man es bezeichnen würde, an mir vorbei, was ihre langen Haaren zum flattern brachte, direkt in seine Arme und streichelte sanft seine Wange, worauf hiner nickte.
»Glück gehabt. Und nun geh!« flüsterte er mir zu.
Als ich ankam,wartete Joseph bereits auf mich. Während er im üblichen Raum auf dem Sofa saß, starrte ich ihn an und wartete, dass er etwas sagte.
»Pünktlich wie auf die Minute.« sagte er grinsend, was auch mich zum Lächeln brachte.
»Bist du gut klar gekommen heute?« fragte er neugierig und reichte mir den bereits hingerichteten Becher mit Blut, welchen ich dankend annahm. Hastig trank ich ihn aus und nickte dabei abwesend.
»Super.« murmelte ich, während ich trank.
»Das erstaunt mich. So wie es aussieht hast du ziemlichen Durst, ich hätte erwartet, dass du aus Versehen einen Menschen getötet hättest.« erläuterte er mit zu Schlitzen gewordenen Augen. Das ließ mich von meinem Drink aufschauen. Mit einem Lächeln im Gesicht, schüttelte ich stolz den Kopf und erklärte.
»Ich war heute sogar in der Schule. Naja, fast. Wirklich, ich war auf dem Weg, doch im Schulgebäude wurde ich abgefangen.«
»Du wurdest was? Ist dir etwas passiert!« schrie er mehr, als er fragte.
»Nein, im Gegenteil. Ich hatte einen tollen Tag.«
Ein gezwungenes Lächeln huschte mir übers Gesicht. Ich hatte keine Lust, ihm mehr zu erzählen, was er begriff und daher das Thema wechselte.
»Ich hatte gestern noch eine gute Idee...« äußerte er sich.
»... Mir war nicht nach Schlafen und deshalb blätterte ich eins meiner Bücher durch.«
Er begab sich zu einem Bücherregal in der Ecke und nahm ein altes, gruselig aussehendes Buch heraus. Auf dem Einband stand Sprüche der Vampire. Sprüche der Vampire? Joseph nahm meinen verwirrten Blick wahr, worauf hin er mir das Buch gab. Sofort öffnete ich es und blätterte die Seiten durch, doch alles was darauf stand waren komische Zeichen und Schriften, die ich nicht lesen konnte.
»Meine Fähigkeit. Ich kann sozusagen zaubern. Halb Hexe, wenn du verstehst was ich meine.« sagte er mit einem Grinsen.
»Ein Vampir, der halb Hexe ist?«
Mit Bemühung konnte ich mir gerade noch so ein Lachen verkneifen, doch er lächelte selber auch.
»Ganz genau. Hört sich zwar total bescheuert an, ist aber echt nützlich. Aber kommen wir zum Punkt. Ich hab mich ein bisschen an die Arbeit gemacht und habe tatsächlich einen Spruch gefunden, der den Blutdurst etwas einschränkt. Ich dachte, dir käme das vielleicht ganz gelegen.« erzählte er.
Meine Augen weiteten sich und ich sprang zu ihm und umarmte ihn stürmisch.
»Oh danke Joseph, das ist wirklich toll. Du bist mir so eine große Hilfe, lass es uns gleich durchziehen.« rief ich.
Er grinste, befahl mir die Augen zu schließen und tat es selbst auch. Einen Moment später spürte ich seinen Atem an meinem Gesicht und öffnete die Augen. Er stand direkt vor mir und blickte mich lächelnd an.
»Erschrecke dich nicht.« flüsterte er und trat zur Seite.
Der Raum hatte sich vollständig verändert. Er kein Büro mehr, nein, er war zum Zaubersaal einer Hexe geworden. Die Wände waren alle schwarz, die Decke war voller Spinnenweben und in der Mitte stand ein riesiger Kochtopf und daneben ein kleiner Tisch. Ich kam mir vor, wie in einem dieser Fantasyfilme und kicherte leise vor mich hin.
»Hey, das ist nicht lustig!« verteidigte er sich, doch konnte sich das Lachen selbst nicht verkneifen.
»Okay kommen wir zur Sache.« sagte er mit einem Nicken. Er nahm mir das Buch aus der Hand, was mich aufschrecken ließ. Ich hatte völlig vergessen, dass ich es immer noch in der Hand hielt.
Fast schwebend begab er sich zum Tisch und legte es darauf ab. Mit grübelnder Miene, hob er seine geöffneten Handflächen darüber und das Buch öffnete sich auf magische Weise an einer bestimmten Stelle. Angeberisch schaute er mich einen Moment an. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Doch cool, oder?« fragte er spielerisch, worauf ich hastig nickte.
Sein Blick glitt wieder auf das Buch unter ihm und er las konzentriert jede Zeile. Langsam ging ich auf ihn zu, um ihm besser zugucken zu können, aber ihn nicht zu erschrecken. Gebannt murmelte er einige undeutliche Worte wie Schlungenkraut und Abermehl und sobald er es aussprach, erschienen kleine Gefäße mit bunten Flüssigkeiten darin neben dem Buch auf dem Tisch. Dieser Vorgang wiederholte sich solange, bis 10 kleine Gefäße vor ihm aufgereiht waren.
Er schenkte mir einen Blick und fragte dann ernst.
»Bereit?«
»Leg los.« antwortet ich gebannt.
Er fing an, die Zeilen in dem Buch laut zu lesen und die Tränke nacheinander in den nun kochenden Topf zu schütten. Ich verstand kein einziges Wort, doch es überzeugte mich völlig.
Schließlich hatte er jedes einzelne Gefäß geleert und stellte sich über den Topf.
»Salomono Graziosano Blabazio Snarrados Enis.« rief er in den Topf hinein und plötzlich kamen tausende kleiner Funken aus dem Topf und flogen direkt auf mich zu. Aus Reflex wollte ich mich ducken, doch ich konnte mich nicht bewegen. Als der Funkenregen schließlich vor meinem Körper war, schloss ich ängstlich die Augen.
Doch anstatt Schmerzen zu bekommen, spürte ich ein Gefühl der Erleichterung. Mich durchfuhr eine Art Licht, ich spürte wie es von meinem Kopf zu meinen Füßen durchfloss und anschließend wieder meinen Körper verließ. Das Gefühl allerdings blieb. Fast schon erlöst stoß ich einen Seufzer aus, es schien mir, als wäre eine schwere Last von mir abgefallen. Der Hunger und das Verlangen, die mich in meinem Hinterkopf dazu gedrängt hatten, Leute anzugreifen, war vollends verschwunden. Seit Tagen fühlte ich mich das erste Mal wieder richtig gut. Ich genoss dieses Gefühl noch einige Minuten lang, bis ich meine Augen anschließend langsam öffnete.
Der Raum war wieder der alte.
Joseph stand vor mir und lächelte triumphierend.
»Ich rate mal, es hat funktioniert?« fragte er stolz.
»Oh Joseph, es fühlt sich toll an! Ich muss dir wirklich danken!« rief ich überglücklich aus.
»Da bin ich aber froh. Sonst wäre der ganze Kraftaufwand umsonst gewesen.«
Erst jetzt bemerkte ich, wie die Farbe aus seinem Gesicht gewichen war. Seine sonst gesund aussehende Haut, war nun blass wie Mamor.
»Geht es dir gut?« erkundigte ich mich besorgt.
»Ja, keine Sorge. Ich bin dieses Gefühl gewohnt. In 2 Stunden bin ich wieder so gut wie neu.« antwortete er und versuchte dabei zu lächeln.
»Okay. Wie wärs mit ein bisschen Blut?« fragte ich, worauf hin er wirklich lachen musste.
»Was ist daran so lustig?«
»Naja, bisher war ich es immer, der dir Blut angeboten hat und jetzt ist es umgekehrt.« neckte er mich, ging aber zum Kühlschrank und nahm sich einen Blutbeutel. Kaum hatte er ihn aufgemacht, war er auch schon komplett leer und seine Gesichtsfarbe war etwas mehr zurück gekehrt.
»Und was machen wir jetzt?« fragte ich ihn neugierig.
»Wir? Ich eher sagen du gehst jetzt nach Hause und schläfst dich eine Runde aus! So weit ich es verstanden hab, hast du seit wir uns das erste Mal getroffen haben, nicht mehr geschlafen! Du musst unglaublich müde sein.«
Sobald er es sagte, spürte ich, dass ich wirklich eine Runde Schlaf vertragen könnte.
»Wir Vampire brauchen zwar nicht viel Schlaf, aber nach 2 Tagen Abenteuern brauche selbst ich mal meine Ruhe. Wir können uns morgen Abend wieder treffen, beide frisch ausgeschlafen und fit.« sagte er zu mir.
»Morgen Abend kann ich nicht. Ich hab noch etwas zu erledigen. Aber ich werde wieder kommen, ich verspreche es dir!« erklärte ich ihm lächelnd.
Zuerst musste ich die Sache mit Till klären. Zwar machte es wirklich Spaß mit Joseph abzuhängen, aber Till ging mir trotzdem nicht aus dem Kopf und solange ich die Sachen nicht geklärt hatte, egal ob es gut oder schlecht ausging, würde ich nicht vollends glücklich sein.
Er nickte mir verständnisvoll zu und mir schien es fast so, als könnte auch er meine Gedanken lesen.
Winkend verließ ich den Raum.
Als ich aufwachte, war die Sonne schon untergegangen. Mir war nicht klar gewesen, dass ich so müde war, doch der Schlaf hatte mir gut getan.
Ich blieb noch einige Minuten liegen, aus Angst, mich Till zu stellen. In Gedanken ging ich nochmal meinen Plan durch. Da ich fürchtete, dass er nicht antworten würde, wenn ich ihm eine SMS schrieb, würde ich im Telefonbuch seine Adresse ausfündig machen. Sicher war er dort verzeichnet. Dann würde ich mich zu seinem Haus begeben und mich im Garten verstecken, bis ich herausgefunden hatte, welches sein Zimmer war. Sobald ich dies wusste, würde ich zu ihm hinaus springen und an seiner Scheibe klopfen. Beim Gedanken daran musste ich leicht lächeln. Er würde sich vermutlich zu Tode erschrecken, wenn er mich dort sah, doch das hielt mich nicht davon ab. Diesmal ließ ich es darauf ankommen.
Ich sprang aus dem Bett und duschte mich schnell. Keine Ahnung, wann ich mich das letzte Mal gewaschen hatte, aber ich fühlte mich sowieso nicht schmutzig, doch für Till wollte ich lieber auf Nummer sicher gehen. Nachdem ich mich sauber gemacht hatte, suchte ich mir ein passendes Outfit aus, das nicht zu freizügig, aber auch nicht zu brav aussah und versuchte mich dann ein wenig zu schminken, was ohne Spiegel leichter gesagt als getan war. Als ich schließlich an mir hinunter sah, war ich zufrieden und suchte das Telefonbuch. Nach kurzer Zeit hatte ich Tills Adresse ausgemacht, schlug es zu und kramte nach meinen Autoschlüssel, bis mir einfiel, dass ich ihn ja sowieso nicht brauchte.
In der Dunkelheit schien mein Körper fast unsichtbar. Ich verharrte in einem Schatten hinter dem Haus und spähte hinein.
In der Küche waren eindeutig Schritte zu hören, allerdings war ich mir nicht sicher, ob es Till war. Eine Stimme aus dem Wohnzimmer rief »Till, bring mir bitte die Zeitung!«, worauf hin eine Person im Gang zu sehen waren. Das musste Till gewesen sein.
Er gab seinem Vater die verlangte Zeitung und stieg dann die Treppe zum nächsten Stockwerk hinauf. Ein Raum wurde erleuchtet und Till war klar und deutlich zu erkennen. Zu meinem Glück beinhaltete sein Zimmer auch einen Balkon, auf dem ich landen konnte. Langsam trat ich aus dem Schatten und sprang auf ihn hinauf.
Als Till mich sah, fuhr er erschrocken auf. Sein Schrei war so laut, dass sogar ein Mensch ihn durch die Fensterscheibe hätte hören können. Die Stimme seines Vaters erklang erneut.
»Sohn, alles in Ordnung? Ich habe dich schreien hören!«
»Nichts passiert!« antwortete Till, der es zwar an seinen Vater gerichtet hatte, seine Augen aber nicht von mir abwandte.
Schüchtern stand ich da, blickte ihn an und winkte schließlich. Über sein Gesicht zog sich eine lange Wunde, die wahrscheinlich zur Narbe werden würde und sie war allein meine Schuld.Im Nachhinein schien es mir doch etwas gewagt einfach vor seinem Zimmer aufzutauchen.
»Kann ich reinkommen?« fragte ich vorsichtig.
Er löste seinen Blick von mir, lief zur Balkontür und öffnete sie. Mit einem Handzeichen lud er mich ein.
Sein Zimmer war ziemlich geräumig, in der Mitte stand ein großes Doppelbett und an den Wänden ragten sich Bücherregale auf. Neben der Tür hing eine Dartscheibe, in der sich bereits drei Pfeile befanden, die alle perfekt im Feld der dreifach zwanzig lagen.
Schweigend setzte er sich auf sein Bett und sah mich erwartungsvoll an.
»Tut mir Leid« flüsterte ich ihm zu, näherte mich ihm langsam und strich leicht über seine Wange.
»Ah, es tut noch weh!« fauchte er und schlug mir die Hand weg.
Es wunderte mich nicht, dass er noch sauer war, doch heimlich hatte ich mir das Gegenteil erhofft.
»Was war da nur mit dir los? Hattest du etwa... naja... deine... Tage?« fragte er leise, da ich keine Anstalten gemacht hatte, die Situation zu erklären. Fast fing ich an zu lachen, es war einfach zu erheiternd, wie schwer es ihm gefallen war, diese Frage zu stellen, doch der Ernst der Situation hielt mich davon ab.
»Wenn es doch nur das wäre.« murmelte ich kopfschüttelnd.
Seufzend ließ ich mich ebenfalls auf sein Bett plumpsen.
»Willst du es wirklich wissen? Es ist nicht gerade schön und wenn du es nicht hören willst, werde ich sofort wieder verschwinden. Es ist allein deine Entscheidung.« begann ich.
»Du bist ein Vampir.« sagte er wissend.
Meine Mundklappe fiel nach unten.
»Woher weißt du es!« stieß ich überrascht aus.
»Ich war nicht sicher, sonst hätte ich doch nicht gefragt, ob du... naja, du weißt schon was hast.« sagte er und ein leichtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
»Wie hast du es herausgefunden?« fragte ich immer noch fassungslos.
»Mich hat dein Verhalten damals echt aus der Fassung gebracht, die roten Tränen, die du geweint hast und die Krallen, mit den du mich geschlagen hast. Deine aggressive Art hat mich ins Grübeln gebracht und als ich Zuhause angekommen war und die Wunde verarztet hatte, habe ich mich an die Arbeit gemacht im Internet zu recherchieren.« begann er.
Niemals hatte ich geahnt, was für ein schlaues Köpfchen Till doch war.
»Ich bin auf einige Internetseiten gestoßen, wo wirres Zeug über Blut und Unsterblichkeit aufgereiht war und den Rest habe ich mir dann eben zusammen gereimt.« fuhr er fort.
»...Und was hältst du von der ganzen Sache?« fragte ich vorsichtig.
Er blickte mich einen Moment an, schnaufte aus und stand auf. Immer wieder schritt er vor mir auf und ab.
»Ich weiß es nicht.« brachte er schließlich hervor.
»Vielleicht, wenn ich dir alles erzähle?« stammelte ich verzweifelt. Auf keinen Fall gab ich so leicht auf.
»Am Ende wirst du mich vielleicht verstehen. Gib mir eine Chance.« bat ich. Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens nickte er einverstanden.
»Danke.« sagte ich lächelnd und fing an, die Geschichte erneut von vorne zu erzählen. Den Punkt mit Joseph und der Prophezeiung ließ ich allerdings weg, da ich ihn nicht eifersüchtig machen wollte und er sich keine Sorgen um mich machen sollte.
»... aber jetzt habe ich mich unter Kontrolle, Till. Ich spüre kein Verlangen mehr! Vertrau mir, ich bin keineswegs mehr gefährlich für dich.« erklärte ich, während ich auf die von mir entstandene Wunde starrte. Einen Moment legte er den Kopf schief und strich schließlich sanft über meine Wange.
»Ich hab dich vermisst, Baby.« flüsterte er liebevoll und gab mir einen leichten Kuss. Wenn ich mich nicht irrte, konnte ich Tränen in seinen Augen sehen.
Seine Lippen waren flammend heiß und fühlten sich im Gegensatz zu meiner federweich an. Das Feuerwerk, das ich bei unserem ersten Kuss gespürt hatte, erschien erneut.
»Also, nun habe ich wohl eine unsterbliche Freunden,was?« fragte er grinsend, doch ich machte mir noch immer Sorgen.
»Und für dich ist das wirklich okay? Ich meine, es könnte gefährlich für dich werden...« murmelte ich und erwartete, dass sein Lächeln nun schwand, was allerdings nicht geschah.
»Mehr als nur okay. Ich hab dich wirklich gern und würde dir sogar vertrauen, wenn du der Teufel wärst. Da ist Vampir im Vergleich doch schon viel besser, nicht wahr? Also hör auf dir Sorgen zu machen!« sagte er spitz und hofften, damit ein Lächeln von mir zu erhalten. Eigentlich war ich nicht in Stimmung dazu, aber es geschah trotzdem. Er hatte mal wieder gewonnen. Mit einem Grinsen im Gesicht warf ich mich in seine Arme.
»Du bist der beste Freund, den man haben kann!« stieß ich freudig aus, worauf er den Arm fester an mich drückte. Dieses Gefühl war wunderschön, die Wärme, die von seinem Körper ausging und sein Geruch. Mir wurde klar, dass er der Richtige war.
»Weißt du, dass du eiskalt bist?« flüsterte er in mein Ohr.
»Dafür bist du warm.« antwortete ich kichernd. Langsam schob er mich von sich weg. Dieser Moment war meines Erachtens viel zu schnell vorbei.
»Du hast vorhin von speziellen Fähigkeiten gesprochen. Welche hast du?« fragte er neugierig.
»Bis jetzt keine... Wahrscheinlich habe ich einfach nicht das nötige Glück welche zu bekommen.« sagte ich mehr zu mir selbst, als zu ihm.
»Sicher hast du eine, du bist viel zu besonders, um keine Gabe zu bekommen!« heiterte er mich überzeugt auf. Um ihn zufrieden zu stellen, nickte ich.
»Wenn ich doch eine erhalte, bist du der Erste, der davon erfährt.« versprach ich ihm, legte meine Hand auf seine Brust und drückte ihn auf sein Bett. Er grinste mich an, legte seine Hände an meine Taille und zog mich an sich. Bevor er allerdings die Chance hatte, fortzufahren, kuschelte ich mich in seine Arme.
»Lass es uns langsam angehen.« flüsterte ich und hatte Angst vor seiner Reaktion. Er streichelte meine Haare und antwortete.
»Das wollte ich sowieso. Vorfreude ist doch bekanntlich die schönste Freunde.« gestand er grinsend. So blieben wir liegen bis spät in die Nacht hinein. Als ich irgendwann leichte Schnarchgeräusche wahrnahm, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und machte mich auf den Weg zur Tür.
»Was machst du da?«
Hörte ich ihn plötzlich fragen. Ich drehte mich zu ihm um und lächelte ihn an. Er sah mich müde an.
»Es ist Zeit zu gehen.« sagte ich.
»Schon? Willst du nicht noch ein bisschen bleiben?« fragte er traurig.
»Es ist doch noch reichlich Zeit.« fuhr er fort.
»Schau auf die Uhr, Till, es ist schon fast sechs Uhr. Wir müssen doch beide in die Schule.«
Er gab ein Grummeln von sich, nickte dann aber widerwillig.
»Komm bald wieder, Baby.« flüsterte er mir zum Abschied zu. Ich war ihm einen Handkuss zu, öffnete die Balkontür und sprang mit einem Satz herunter.
Tag der Veröffentlichung: 28.09.2014
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