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Kapitel 1


Heaven

Ich sah in den Spiegel und verspürte auf ein neues Hass. Alles an mir, meine schwarzen Haare, meine schwarzen Augen, meine bleiche Haut, alles schien mir falsch. Niemand hatte das verdient, nicht ich, nicht ein Fremder, niemand. Und doch war ich es, die es ertragen musste. Wie oft stand ich vor dem Spiegel und stellte mir nun schon diese Fragen: Warum ich? Konnte es nicht jemand anderes treffen? Was habe ich getan?, doch es brachte alles nichts. Dies war mein Leben, mein Schicksal, mein Verdammnis. Sich darüber aufzuregen würde sowieso nichts ändern. Nichts würde etwas ändern.
Mit trauriger Miene sah ich mich an. Meine Mundwinkel hingen herab, ein vertrauter Gesichtszug. Manchmal fragte ich mich, wie ich wohl durch die Welt ging. Keiner bemerkte meinen Schmerz, aber wer sollte auch. Ich hatte keine Freunde, niemanden, dem es auffallen könnte. Manchmal fragte ich mich, warum ich eigentlich auf diesem Planeten verweilte. Was hatte sich Gott dabei gedacht, mich zu erschaffen. Er hat mich erschaffen, damit ich leide. Damit ich fühlen konnte, wie es anderen Leuten ging, damit ich anderen Leuten Schmerz zufügen konnte. Er hat mit mir einen Fehler gemacht. Nicht das erste Mal wurde mir klar, dass Gott auch Fehler macht. Niemand war perfekt und so Gott wohl auch nicht.
Meine schwarzen Haare glänzten, sie sahen anmutig aus, fast schon atemberaubend, doch ich wollte sie nicht. Ich erinnerte mich daran, wie sie hätten sein können, wenn mein Leben nicht so verlaufen wäre. Vielleicht wären sie braun, oder vielleicht sogar blond geworden. Vielleicht hätte ich blaue Augen bekommen, oder grüne. Alles wäre erträglich gewesen, solange es nicht so wäre, wie es nun war.
Krampfhaft schloss ich meine Augen, um mir die Träne zu verkneifen, die sich meine Wange herunter schleichen wollte, doch es war zu spät. Ich spürte die warme Flüssigkeit schon auf meiner Haut. Ohne ein Laut zu machen, wischte ich sie weg und sah noch ein letztes Mal in den Spiegel. Genug Leid für heute. Mehr konnte ich an diesem Tag nicht mehr ertragen. Wer wusste, was passieren würde, wenn ich länger hier sitzen bleiben würde. Wem würde ich mein Leid als nächstes antun? Es schmerzte mir, andere Leute zu verletzten, doch ich hatte keine Wahl. Sie sollten meinen Schmerz spüren, ebenfalls leiden, denn ich wollte nicht die Einzige sein.
Langsam wandte ich mich vom Spiegel ab.
Es war früh morgens, die Sonne stand zwar schon am Himmel, doch es war noch keinerlei Wärme zu verspüren. Diese Jahreszeit war verwirrend.
Frühling. Man wusste nie, wann es warm werden würde. Manchmal ist man erstaunt über das Wetter, man kann schon T-Shirts tragen, doch wenn man nicht aufpasst, wird man sofort getäuscht. Es fängt an zu regnen und plötzlich fühlt man sich wieder wie im kältesten Winter.
Mit leisen Schritten schritt ich durch das Wohnzimmer. Man könnte meinen, ich tat das, um keinen aufzuwecken. Doch die traurige Wahrheit war, dass es niemandem gab, den ich hätte stören können. Ich war alleine in diesem gottverlassenen Haus. Wie oft schon hatte ich mir gewünscht, eine Mitbewohnerin zu haben, eine Freundin, die mir helfen konnte, doch ich wusste, es wäre falsch. Am Ende würde sie sowieso tot sein und ich würde erneut Hass auf mich verspüren. So war es besser.
Um meine Gedanken loszuwerden, schüttelte ich demonstrativ den Kopf. Ich hatte das Bad fast erreicht, mein Ziel, mein Ort der Erlösung. Er war meine Freundin, der Ort, bei dem ich mich geborgen fühlte. Jedenfalls für wenige Momente.
Endlich stand ich vor der großen, weißen Tür.
Ohne weiteres Zögern öffnete ich sie und ging schnurstracks auf die Kommode zu. Ich holte ein rotes Handtuch heraus, es sah fast schon so aus, als wäre es mit Absicht rot. Das ließ ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen.
Ich setzte mich auf den Boden und zog meine Hose aus. Meine Beine hatten viele Narben, die mich nur daran erinnerten, wie viele Tage ich schon hier gesessen war, und mich vom Schmerz erlöst hatte. Und doch hatte es nichts geholfen. Nichts würde mir helfen. Nichts. Niemals.
Aus einer Schublade nahm ich mir eine Rasierklinge. Ich blickte noch einmal auf meine Beine, nahm tief Luft und fügte mir lächelnd eine weitere Wunde zu, die früher oder später zur Narbe werden würde.
Ein einziger kleiner Bluttropfen lief an meinem Oberschenkel herunter. Ein Tropfen, der so viel beschrieb. Die Erlösung, das Brennen, wenn ich meine Hose wieder anzog, den Schmerz, der mich ablenken würde, wenn es mir erneut schlecht gehen wird. Ein Tropfen, der mich auf ein Neues von meinem Leben erlöste.


Kapitel ...


Heaven

Ich konnte dabei zusehen, wie Elle und dieser Kerl sich gegenseitig die Zungen in den Hals steckten. Es war zwar stockdüster, doch mit meinen Augen konnte ich selbst in der schwärzesten Nacht Details wahrnehmen, die für einen Mensch kaum zu sehen waren. Am Rande meines Blickfeldes war zum Beispiel ein gruseliger Mann, der mit einer Wodkaflasche in der Handy zu einer brüchigen alten Bank lief, aber hinfiel, bevor er sie überhaupt annährend erreicht hatte. Meine schwarzen Klamotten und der dunkle Busch, hinter dem ich mich halb versteckte, gaben mir wunderbare Deckung und meine Aussicht war perfekt. Aber der Anblick. Er war vernichtend. Das alles hätte mir gehören können. Ich musterte Elle, ihre roten Haare, die über ihre zierlichen Schultern fielen, ihre tolle Figur und die Hand des Jungen, die an ihrem Rücken lag.
Sie war schuld daran, dass ich war, was ich nun mal bin. Ich konnte sie nicht ansehen, aber ich konnte meinen Blick auch nicht von ihr abwenden. Es tat weh. In meinem Kopf tauchten plötzlich Bilder von Till und mir auf, wie wir uns liebkost hatten, wie wir uns das letzte Mal geküsst hatten. Es kam mir vor, als wäre es gestern gewesen, als ich von meiner verlassenen Wohnung zu ihm aufbrach und fröhlich in seine Arme rannte. Es war die beste Zeit meines Lebens gewesen. Er hatte mich für wenige Monate aus meinem Loch geholt, mir geholfen. In dieser Zeit hatte ich das Bad allein für die normalen Bedürfnisse eines Menschen gebraucht. Doch diese Zeit war vorbei. Eine andere Erinnerung kam in mir hoch: Wie ich zu ihm gefahren war, um ihm einen Überraschungsbesuch abzustatten, wie ich in sein Zimmer schlenderte, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, und wie es verlosch, als ich ihn mit einem anderen Mädchen im Bett erblickte. In diesem Moment war mein Herz in tausend Stücke zerbrochen. Es war, als wäre ich in diesem Moment tief gefallen, mit dem Wissen, ich könnte nie wieder aufstehen. Till blickte mich nur an und murmelte etwas, dass sich wie »sorry« anhörte und zuckte mit den Schultern.
Das war alles, was ich nach den schönsten Monaten meines Lebens bekam? Ein einfaches sorry. Meine Gelenke waren wie erstarrt, ich stand bloß da, mit ausdrucksloser Miene. Mein Blick fiel auf das Mädchen, dass neben ihm lag. Auf ihrem Gesicht lag ein schämisches Grinsen und ich wusste, für sie war das nichts Neues, sie kannte diese Situation bereits.
Till machte keinerlei Anstalten, noch etwas zu sagen und so drehte ich mich um und stürmte aus dem Zimmer. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugeknallt, fließ mir eine blutige Träne die Wange hinunter. In diesem Augenblick hatte ich mir geschworen, ich würde mich dafür rechen.
Und das hatte ich auch getan. Für mich war es ein leichtes gewesen, das Mädchen ausfindig zu machen und so hatte ich sie getötet. Einfach so. Und es hatte mir wahrlich Freude bereitet.
Plötzlich hörte ich ein lautes Geräusch, das mich aus meinen Gedanken riss. Es war ihr Freund gewesen, der ihr ein lautes »Bis bald« zurief. Ich hatte nicht gemerkt, wie sie sich entfernt hatte und ich brauchte einige Sekunden, bis ich sie in der Dunkelheit ausmachen konnte.
Da war sie, 20 Meter weit von der vorherigen Stelle entfernt. Ich konnte mich dafür schlagen, dass ich so eingenommen von meinen Gedanken gewesen war, dass ich sie beinahe verpasst hätte. Jetzt musste ich mich beeilen.
Wie gewohnt, schlich ich wortlos auf dem Boden, bis ich dicht hinter ihr lief. Natürlich merkte sie nicht, dass ich ihr folgte, dazu war ich zu geübt. Ihre roten Haare wehten im leichten Wind und für eine Sekunde war ich neidisch. Neidisch auf ihr Leben, ihre Freunde, ihr Aussehen.
Nein.
Das war nicht ich. Ich war gefühllos, eiskalt und nicht zu beherrschen. Ja, das war ich. Schnell ermahnte ich mich, mein Ziel zu verfolgen und so tat ich es auch. Eine Alkholwolke zog sich hinter ihr her, was alles nur noch leichter für mich machte. Ein Biss und meine Aufgabe war erledigt. Ein Biss und ihr Leben wäre genau so zerstört wie meines. Nur ein Biss trennte mich von meiner Rache. Sie lief wie erwartet orientierungslos durch die Straßen, bis sie schließlich umringt von einer dunklen Gasse war. Das war perfekt für mich. Ein unachtsamer Moment würde mir genügen. Mit einem lauten Schritt blieb ich stehen. Zu meinem Überraschen rührte auch sie sich nicht mehr vom Fleck und sah sich stattdessen unruhig um, bis sie meinen Blick traf. Ihre Augen weiteten sich und sie öffnete den Mund, doch es war zu spät. Bevor sie ein Laut heraus bringen konnte, befanden sich meine Zähne schon in ihrem Hals.

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Tag der Veröffentlichung: 25.11.2012

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