Der fünfte Herzog Leopold
erhielt ein Sackel Lösegold
dafür, dass Richard Löwenherz
aus dem Verlies fuhr heimatwärts.
Der Herzog sah den Goldsack an
und überlegte sich sodann,
was damit wohl zu machen sei,
denn dies war ihm nicht einerlei.
Doch eines Tags kam wie im Sturm
Ihm die Idee: „I bau an Turm!“
Gesagt, getan, der Turm stand da,
in roter Farb‘ man ihn bald sah
hochragend an Wiens Nordeinfahrt,
wo er zum Wahrzeichen bald ward.
Wer aus den fernen deutschen Ländern
nach Wien kam, um sich zu verändern,
durchs Rotenturmtor kam er rein,
es konnte gar nicht anders sein.
So gingen Jahre hin, Jahrzehnte,
allwo der Turm die Stadt verschönte
und sich Geschichten um ihn rankten,
die sich dem „Weaner G’miat“ verdankten.
Es ward den Wienern nachgesagt,
dass Mannsbilder sehr schnell verzagt
vor ihrer Weiber Regiment,
das fürchteten sie permanent.
Der Spott verdross die Männer schließlich,
und sie beklagten sich verdrießlich,
weil niemand solchen Ruf gern hat,
beim Wiener Obermagistrat.
Der Magistrat dies Urteil sprach:
„Es ist der Wiener Männer Sach‘,
ihr’n Mut unter Beweis zu stellen,
wir können hier kein Urteil fällen.
Wir hängen einen Schweinespeck
im Roten Turm auf zu dem Zweck,
dass jener Mann, der nicht als Stoffel
steht unter seines Weibs Pantoffel,
die Schweinebacke runterschafft
zum Zeichen seiner Manneskraft!“
Zwei Tafeln sind dann dort gewesen,
auf denen stand es klar zu lesen:
„Befind’t sich irgend hier ein Mann,
der mit der Wahrheit sprechen kann,
dasz ihm sein Heirath nicht gerauen
und fürcht sich nicht vor seiner Frauen,
der mag den Backen runterhauen.“
„Welch Frau den Mann oft rauft und schlägt,
und ihn mit kalter Lauge zwägt,
der soll den Backen lassen henken
und ihr ein andern Kirch-Tag schenken.“
Dies ward in Wien laut kundgetan,
die Kunde kam zu jedem Mann,
die Männer aber blieben stumm,
das mit dem Speck war auch zu dumm,
und überhaupt und außerdem:
den Frauen war's nicht angenehm!
Doch endlich kam ein Bursch daher,
ein Flitterwöchner liebesschwer,
des Weib, so sanft und zartbesaitet,
ihn stets gehorsam nur begleitet,
sodass der rechte Mann er wäre,
Retter der Wiener Mannesehre.
Er würd‘ den Backen runterschmeißen
und so die Weiber kuschen heißen!
Vor vielen Zeugen auf der Leiter
stieg immer höher er und weiter,
doch war grad heißes Sommerwetter,
und von dem Speck troff’s fett und fetter,
da stieg der Bursche schnell herab
und legte seinen Samtrock ab.
Man fragte ihn, warum er’s tue,
die Antwort kam in schöner Ruhe:
„Fettflecke auf dem neuen Rock,
da haut die Frau mich mit dem Stock!“
Die Leute lachten hämisch, laut:
„Der Held wird von der Frau verhaut!“
Sie jagten ihn zum Tor hinaus,
der Speck blieb weiter an dem Haus,
wohl hundert Jahre oder länger,
es war ein ziemlich langer Hänger.
Und keiner kam mehr, ihn zu schlagen,
die Männerehr‘ davonzutragen.
Bis siebzehnsechsundsiebzig hing
im Roten Turm das fette Ding.
Dann hat den Turm man abgetragen,
geblieben sind nur Bild und Sagen.
Texte: Text Elisabeth Schwaha nach einer Altwiener Sage
Foto Elisabeth Schwaha: Hausfassade in der Wiener Rotenturmstraße
Tag der Veröffentlichung: 05.10.2011
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