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Zu Wien war es einst schöner Brauch,
dass Reiche, wenn sie Feste gaben
wie Taufe, Hochzeit und sonst auch,
mit Geld und Speisen Arme laben.

Als wieder einmal Feiertag,
da blieb ein Bettler ohne Gabe.
Voll Zorn schrie er: „Ihr reiches Pack!
Verreckt an eurer Habe!

Ihr geizt, betrügt, verprasst und protzt,
vergesst dabei die Armen,
obwohl ihr nur vor Reichtum strotzt,
der Teufel hätte mehr Erbarmen!“

Kaum hatte es gehört ein jeder,
da stand ein Männlein vor dem Mann
mit schwarzem Hut und roter Feder,
sprach listig den Ergrimmten an:

„Ei, möchtest reich sein, Bettelbube?
Da hätte ich doch was für dich,
füllt Gold und Geld in deine Stube,
und täglich mehrt dein Wohlstand sich!

Hier, diese Raspel geb ich dir,
du ziehst sie über deinen Mund,
befiehlst dann 'Schab den Rüssel' ihr,
schon fällt ein Goldstück aus dem Schlund!“

Der Bettelmann probiert' es gleich,
die Lippen wurden ihm zwar wund,
doch war's für ihn das Himmelreich,
ein Goldstück fiel aus seinem Mund!

„Die Raspel noch was andres kann:
Wenn einer dich gewaltsam fasst,
sag 'Schab den Rüssel', und dem Mann
wird’s Maul geraspelt, wie's dir passt!“

„Das muss ich haben, werter Herr,
was willst du denn dafür?“ -
„Es ist nur eines mein Begehr,
ich wünsche deine Seele mir!

Für sieben Jahre schenkt dir Geld
die Raspel mit den Zähnchen fein,
dann musst verlassen diese Welt,
und deine Seel' ist mein!“

Der Bettler überlegt' nicht lang,
das Gold war es im wert,
vorm Ende war ihm noch nicht bang,
wer weiß,, wie sich das Schicksal kehrt!

So schlug er in den Handel ein,
das Männlein schnell von dannen ging.
Die Zauberraspel war nun sein!
Kurz in der Luft noch Schwefel hing...

Der Mann suchte ein Wirtshaus auf
und schabte sich den Rüssel,
die Lippen platzten bald ihm auf,
doch Gold füllte die Waschtischschüssel.

Er lebte nun in Saus und Braus
so recht nach seinem Herzen,
doch sah sein Mund bald furchtbar aus,
ganz dick vor Blut und Schmerzen.

Er ging nur noch mit Schal vorm Mund,
damit man es nicht sähe,
doch manche Blutspur machte kund,
es tat wohl ziemlich wehe!

Bald nannte man den Mann in Wien
„Herr Schabdenrüssel“ voller Hohn,
er nahm's jedoch gelassen hin,
denn Reichtum war sein schönster Lohn.

Wenn manchmal ihn der Spott sehr zwackte,
dann nahm er seine Raspel raus,
welche den Spötter raspelnd packte,
und so kam wieder Ruh' ins Haus.


Dann waren sieben Jahre um,
das Männlein kam genau zur Stund',
doch unser Mann, der war nicht dumm,
hetzt' ihm die Raspel an den Mund.

Die tat, wie ihr geheißen ward,
und schabte wild den bösen Zwerg,
zerriss ihm Lippen und den Bart,
erlahmte nicht bei ihrem Werk.

Da gab das Männlein fluchend auf,
dem Mann blieb Seel' und Leben
sowie die Raspel obendrauf,
er hat sie nicht zurückgegeben.

Doch ob sein Leben glücklich war,
das sollt ihr selbst entscheiden,
denn für den Reichtum wunderbar
musst' er doch Schmerzen leiden.

Und wem fiel wohl bei seinem Ende,
das ihn im gold'nen Bett erreichte,
die gier'ge Seele in die Hände?
Gelang ihm noch die letzte Beichte?

Man weiß es nicht, kann nur für sich
die Lehre daraus ziehen:
Zerfrisst die Gier dich innerlich,
kann keine Freude blühen.


Impressum

Texte: Text Elisabeth Schwaha nach einer Wiener Sage Coverbild: Teilansicht eines Holzschnitts von Wien aus der Schedel'schen Weltchronik 1493, gemeinfrei von http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei: Nuremberg_chronicles_f_098v99r_1.png&filetimestamp=20070107120507
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2011

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