Es war einmal in einem Land, wo Datteln wachsen und Feigen und prächtige Paläste und arme Hütten aus dem Wüstensand, über dem unablässig die Sonne flirrt und Trugbilder malt, dort herrschte ein mächtiger Sultan. Seine Karawanen durchschwankten beladen mit kostbaren Teppichen, Seiden und Gewürzen die Wüsten und mehrten täglich seinen Reichtum. Er hatte vier Hauptfrauen, neunzehn Nebenfrauen und noch viel mehr Konkubinen, siebenundvierzig Söhne und noch viel mehr Töchter, die er sich nicht die Mühe gemacht hatte, zu zählen.
Eines Tages musste ihm aber sein Hakim sagen, dass er schwer krank sei, dass es Zeit wäre, über einen Nachfolger nachzudenken. Da fiel der Sultan in eine große Traurigkeit, denn er war noch nicht alt und genoss das Leben mit allen Freuden des Morgenlandes, und bei aller Vaterliebe war ihm klar, dass die vier Erstgeborenen seiner vier Hauptfrauen das Land binnen kurzem zugrunde richten würden.
Der erste war so dumm, dass er alles glaubte, was man ihm sagte, und sich die verrücktesten Dinge einreden ließ wie etwa krügeweise kostbaren Honig in den Wüstensand zu schütten, um Honigbäume zu säen. Der zweite war so ängstlich, dass er sich sogar vor Kamelen fürchtete, der dritte war verschlagen wie ein Basardieb und stiftete überall Unfrieden, und der vierte dachte an nichts anderes als an gutes Essen, prunkvolle Kleidung und hübsche Sklavinnen. Die Söhne der Nebenfrauen und Konkubinen waren, soweit der Sultan es beurteilen konnte, nicht viel besser.
Von solcherart Sorge um den Schlaf gebracht, wanderte der Sultan allnächtlich unter dem sternklaren Wüstenhimmel umher und suchte nach einer Lösung. Eines Nachts traf er einen heiligen Derwisch, der ihn nach dem Grund seines Kummers fragte und ihm aufmerksam zuhörte. Danach machte er dem Sultan folgenden Vorschlag: „Überlege dir, welche Eigenschaften dein Nachfolger haben sollte. Dann schickst du der Reihe nach alle deine Söhne zu mir, damit ich sie daraufhin prüfe. So wirst du erkennen, welcher am besten als dein Nachfolger geeignet ist.“
Dem Sultan gefiel dieser Vorschlag ausnehmend gut, und so legte er sich zum ersten Mal seit vielen Tagen ruhig schlafen. Am nächsten Morgen ließ er alle seine Söhne rufen und verkündete ihnen seinen Entschluss: „Derjenige wird mein Nachfolger, der klug, mutig, aufrichtig und edelmütig ist und mir von seiner Reise das mitbringt, wovon er glaubt, dass es das Beste für unser Reich ist!“
Die Erstgeborenen der Hauptfrauen mit Ausnahme Hamids, des Dummen, murrten darüber, denn sie waren der Meinung, nur ein erstgeborener Sohn einer Hauptfrau könne der Nachfolger des Sultans werden, nicht aber einer der anderen dreiundvierzig Söhne, doch es half ihnen nichts. Jeden Tag schickte der Sultan einen Sohn auf die Reise, und als sich der letzte verabschiedet hatte, kam bald darauf schon der erste wieder zurück, Hammam, der Ängstliche.
Hammam brachte von seiner Reise eine wunderschöne Braut mit, Aȉscha, die Tochter eines mächtigen Nachbarfürsten. Er beugte das Knie vor seinem Vater und stellte ihm die liebliche Aȉscha vor: „Sie ist das Beste, was ich unserem Reiche bringen konnte, denn sie bringt großen Reichtum und den Schutz ihres Vaters mit.“
Der Sultan nickte bedächtig, da erschien der Derwisch im Saal. „Dein Sohn Hammam hat klug gehandelt, er ist auch aufrichtig und edelmütig, wie ich gesehen habe, jedoch aus Angst vor Gefahren ist er nicht weiter als bis zum Palast von Aȉschas Vater gekommen. Erwäge, ob du ihn zum Nachfolger machen möchtest.“
Einige Zeit später kam Aziz, der Verschlagene, zurück. „Mein Vater!“ rief er schon vom Eingang her und eilte mit großen Schritten zum Sultansthron, wo er stürmisch auf die Knie fiel und die Arme ausbreitete: „Ich habe große Gefahren überstanden, und kluge Entscheidungen getroffen. Sieh her, was ich mitgebracht habe: eine Vorrichtung, mit der man Steinkugeln hunderte Fuß weit werfen kann, damit können wir jede Festung einnehmen, dies wird unseren Reichtum und unsere Macht grenzenlos vermehren!“ Der Derwisch jedoch sprach: „Dein Sohn Aziz ist mutig und klug, aber weder aufrichtig noch edelmütig, denn er hat den Erbauer dieser Steineschleuder darum betrogen. Erwäge, ob du ihn zum Nachfolger machen möchtest.“
Als nächster kehrte Djalil, der Genusssüchtige, zurück. „Sieh, mein Vater, ich habe einen Dschinn getroffen, der mir dieses wunderbare Geschenk gemacht hat: eine goldene Schale, die sich auf Wunsch mit allem füllt, was man nur erdenken kann, Speisen, Gold, Juwelen, erlesene Kleidung. Mit dieser Schale wird es uns niemals mehr an etwas mangeln!“ Der Derwisch sprach: „Dein Sohn Djalil ist nicht besonders mutig, aber auch nicht zu ängstlich, er ist klug und auch aufrichtig, aber in seinem Herzen denkt er nur an sich, denn er ist mit seiner Wunderschüssel an vielen Hungernden und Frierenden vorbei gezogen, ohne ihnen zu helfen. Erwäge, ob du ihn zum Nachfolger machen möchtest.“
Und dann kam Hamid, der Dumme. Fröhlich trat er ein und warf sich seinem Vater an die Brust. „Es ist wundervoll,wieder zu Hause zu sein! Schau, was ich mitgebracht habe!“ Er zog eine Laute unter seinem Umhang hervor und begann ein Lied zu spielen. Es klang wunderschön und rührte an die Herzen. Der Derwisch sprach: „Dein Sohn Hamid ist mutig, aufrichtig, und edelmütig, aber nicht klug. Er hat für diese Fiedel das Zehnfache von dem bezahlt, was sie wert ist, und hat in seinem Eifer, die Kunst des Fiedelns zu erlernen, nicht bemerkt, dass er hinter seinem Rücken bis auf den letzten Dinar ausgeraubt worden ist, sodass er sich den Weg zurück erbetteln musste. Erwäge, ob du ihn zum Nachfolger machen möchtest.“
So ging es Wochen und Monde dahin. Alle Söhne kamen zurück, aber keiner erfüllte alle vier Voraussetzungen. Dann war nur noch einer übrig, Bashir, der Sohn der unbedeutendsten Konkubine, die nur eine einzige Nacht das Lager mit dem Sultan geteilt hatte. Bashir war noch sehr jung, kaum dass ihm schon der Bart flaumte, und der Sultan setzte nicht viel Hoffnung in ihn.
Was war nun Bashir widerfahren?
Er hatte Salzseen und Wüsten gequert und durchkletterte nun ein schroffes, klüftiges Gebirge. Plötzlich hörte er ein lautes Rufen. Er ging ihm nach und entdeckte in einer tiefen Schlucht einen Mann, der in halber Höhe auf einem winzigen Vorsprung stand und sich verzweifelt an einen Ast klammerte. „Zu Hilfe, zu Hilfe!“ schrie er ein ums andere Mal und strampelte dabei so, dass er immer wieder kleine Steinchen losbrach, die in die Schlucht hinab kollerten.
„Warte, guter Mann, ich werde dich heraufholen!“ rief Bashir und wickelte seinen Turban auf, um ihn als Seil zu verwenden. Als dies nicht reichte, riss er noch seinen Umhang in Streifen, kletterte dann unter Lebensgefahr in die Schlucht und holte den Mann herauf. Er gab ihm von seinen Vorräten zu essen und zu trinken. Als sich ihre Wege trennten, sagte der Mann: „Du bist sehr mutig!“ Der Mann aber war der Derwisch gewesen.
Bashir wanderte weiter und gelangte wieder in eine große, weite Wüste. Er war schon sehr erschöpft, da sah er in einiger Entfernung das Grün einer Oase. Mit neuer Kraft ging er darauf zu, aber gerade, als er sich durstig über das Wasser beugen wollte, stellte sich ihm ein Dschinn in den Weg. „Das ist meine Oase! Wenn du hier rasten willst, musst du erst ein Rätsel lösen. Bist du bereit?“ Bashir nickte, da ihm gar nichts anderes übrig blieb.
„Gut! Ich zeige dir drei Männer, einer davon ist ein Dämon, einer ein Sufi-Heiliger und einer bin ich. Du musst erraten, welcher davon ich bin!“
Schon standen drei Männer vor Bashir, ein weißbärtiger Sufi, ein graubärtiger Sufi und ein schwarzbärtiger Sufi. Der Graubärtige sagte: „Ich bin nicht der Dschinn!“ Der Weißbärtige sagte: „Das ist wahr.“ Der Schwarzbärtige aber sagte: „Ich bin der Dschinn!“
Bashir wollte schon ausrufen: „Du bist natürlich der Schwarzbärtige!“, besann sich aber noch rechtzeitig. So einfach konnte das doch nicht sein. Er überlegte fieberhaft. Dämonen logen immer, das wusste man. Sufi-Heilige sagten unter allen Umständen die Wahrheit, bei einem Dschinn wusste man nie so genau, wie man dran war.
Wenn also der Schwarzbärtige der Dschinn war, dann hätten alle drei die Wahrheit gesagt, und das konnte nicht sein, weil der Dämon auf jeden Fall log. War der Graubärtige der Dschinn? Aber dann hätten alle drei gelogen, das konnte auch nicht stimmen, denn der Sufi musste ja die Wahrheit gesagt haben. Es blieb also nur mehr eine Möglichkeit: Der Graubärtige war der Sufi und sagte somit die Wahrheit, der Weißbärtige war der Dschinn und sagte in diesem Fall ebenfalls die Wahrheit. Der Schwarzbärtige war demnach der Dämon und hatte seiner Natur gemäß gelogen.
„Du bist der Sufi mit dem weißen Bart!“ rief Bashir erleichtert, und der Graue und der Schwarze lösten sich in Sand auf. „Du bist sehr klug, die Oase ist dein!“ sagte der Dschinn und verschwand ebenfalls. Der Dschinn aber war der Derwisch gewesen.
Bashir stärkte sich mit Wasser und Datteln, schlief sich gründlich aus und wanderte noch vor dem Morgengrauen weiter, bis er vor eine größere Stadt kam. Gerade wollte er durch das Stadttor gehen, als ihn ein Mann auf seltsame Weise anrempelte. Blitzschnell griff Bashir zu und bekam unter schmutzigen Lumpen einen knochendürren Arm zu fassen und sah dünne, schmutzige Finger, die seinen Geldbeutel umkrallten. „Du hast mich bestohlen!“ rief Bashir empört und sah dem Dieb ins Gesicht. Dort aber sah er tiefste Not und Verzweiflung geschrieben, Hunger und Entbehrung hatten es ausgemergelt und Hoffnungslosigkeit die Augen getrübt.
„Warte!“ sagte Bashir, nahm seinen Beutel und leerte ihn bis auf einige Münzen in die Hand des Diebes. „Den Beutel will ich behalten, den hat mir meine Mutter eigenhändig bestickt, und etwas zu essen brauche ich auch, den Überfluss aber magst du haben, du bedarfst seiner mehr als ich!“ Der Dieb sah ihn an und sagte: „Du bist sehr edelmütig!“ Daraufhin tauchte er in der drängelnden Menge unter. Der Dieb aber war der Derwisch gewesen.
Nun befand sich Bashir in der Stadt, in der er den Derwisch aufsuchen sollte. Er fragte nach ihm und bekam ein Haus beschrieben. Dort angekommen, begrüßte ihn ernst und feierlich der Derwisch. „Tritt ein in mein Haus,würdiger Sohn deines Vaters!“
Der Junge sah ihn erstaunt an, wagte aber keine Erwiderung, der heilige Mann schüchterte ihn ein. Auf die Frage des Derwischs antwortete er: „Ich bin auf der Suche nach etwas, was meines Vaters Reich am besten nützen würde, aber ich habe keine Ahnung, was das sein könnte! Ich habe viel zu wenig Erfahrung, um zu wissen, was gut für ein Land ist.“
Der Derwisch lächelte und sagte: „Du bist sehr aufrichtig!“ Dann führte er ihn in ein riesiges Gewölbe, in dem unzählige Dinge lagerten, große und kleine, prunkvolle und unscheinbare, komplizierte Gerätschaften und einfache Werkzeuge. „Sieh dich um und such dir etwas aus. Lass dir Zeit, du wirst hier sicher etwas finden.“
Bashir schaute verzagt auf all die Seltsamkeiten, doch plötzlich fiel sein Blick auf etwas Kleines, Unscheinbares, und im selben Augenblick wusste er, das war das Richtige! Er lief hinauf zum Derwisch, zeigte es ihm und fragte, ob er es haben könne. Der Derwisch lächelte zufrieden. „Ja, mein Sohn, nimm es, und nimm auch diesen fliegenden Teppich, er wird dich sicher nach Hause bringen!“ Bashir dankte dem Derwisch überschwänglich und flog mit freudigem Herzen zurück.
Der Sultan saß schwach und zusammengesunken auf seinem Thron und sah seinen letzten Sohn aus trüben Augen an. Bashir warf sich vor ihm auf die Knie und rief laut: „Vater, ich habe das allerbeste mitgebracht, was unser Reich benötigt!“ Mit diesen Worten zog er ein kleines Fläschchen aus seinem Kaftan und schüttete dessen Inhalt über das Haupt seines erschrockenen Vaters. Schon eilten seine Leibwächter herbei, um ihn zu schützen, da richtete sich der Sultan plötzlich auf und sah mit leuchtendem Blick auf seinen Sohn. Zugleich erschien der Derwisch und sprach: „Dein Sohn Bashir ist mutig, klug, aufrichtig und edelmütig, und er hat dir mitgebracht, was er für das Beste für sein Land hält: deine Gesundheit! Erwäge nun, ob du ihn zum Nachfolger machen möchtest.“
Da hob der Sultan seinen jüngsten Sohn auf und zog ihn an die Brust: „Ja, du sollst mein Nachfolger sein! Schon jetzt wirst du an meiner Seite sitzen und mit mir regieren, und wenn ich einst zurücktreten werde, dann kann ich es in Frieden tun, denn du wirst ein besserer Fürst sein als ich! Und nimm dir deine Brüder Hammam, Djalil und Hamid als Wesire, denn jeder von ihnen kann dir auf seine Weise eine wertvolle Stütze sein. Und nun wollen wir ein großes Fest feiern!“
Es wurde im ganzen Land drei Wochen lang gefeiert, Hammam tanzte mit seiner geliebten Aȉscha, Djalil belieferte das ganze Land mit Köstlichkeiten aus seiner goldenen Schale, Hamid spielte so schön auf seiner Fiedel, dass alle davon glücklich wurden, und Bashir führte seine errötende Mutter zum Sultan, der sie liebevoll und dankbar in die Arme schloss.
Texte: Alle Rechte bei Elisabeth Schwaha
Tag der Veröffentlichung: 18.01.2011
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