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Seit ungefähr zwei Jahren ist Wien um eine Attraktion reicher. Wir haben nicht nur Mozartkugeln, Riesenrad und Lipizzaner, sondern auch die Anti-Hundekot-Kampagne „Nimm ein Sackerl für mein Gackerl“, welche von einer herzigen Promenadenmischung den Hundehaltern dieser Stadt allgegenwärtig präsentiert wird.

Dazu ganz kurz die Vorgeschichte:

Seit Jahren erregen die Hundstrümmerln die Wiener Gemüter in zunehmendem Maße. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es daher in Wien einen eigenen „Hundstrümmerlbeauftragten“, der sich des Problems hätte annehmen sollen, diesen Auftrag aber nach kurzer erfolgloser Amtszeit wieder zurück legte.

Alles mögliche wurde überlegt und probiert, um der ungeliebten Häufchen Herr zu werden, unter anderem auch ein aus Frankreich stammendes Sauggerät, das aber hierorts nicht recht funktionieren wollte, da sich die Wiener Hundstrümmerln als weicher als ihre Pariser Pendants erwiesen.


Im Jahr 2006 war die Situation so weit eskaliert, dass eine „Hundstrümmerl-Petition“ auf einer eigenen Hundekot-Webseite von 157 631 Personen unterstützt wurde. Um die anrüchige Problematik wissenschaftlich untermauern zu können, wurde ein Hundstrümmerl-Zähltag ausgerufen. Am 14. 9. 2006 wurden alle interessierten Teilnehmer zum Trümmerl gebeten, sprich, alle Hundstrümmerln zu zählen und zu dokumentieren, die sich in einem beliebigen Gebiet auf einem Spaziergang von 5 Minuten entdecken ließen.

Ergebnis: Am „1. Wiener Hundstrümmerlzähltag“ wurden in Wien insgesamt 27 754 Hundstrümmerln gesichtet. Ob es dazu eine Auswertung bezüglich Mehrfachsichtung ein- und desselben Trümmerls gegeben hat, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Jedenfalls haben sich 954 Personen daran beteiligt, pro Person und Zählung wurden im Durchschnitt 29 Hundstrümmerln entdeckt.

Die Hundstrümmerldebatte verlief also heiß und heftig und trieb gar bunte Blüten. Exemplarisch sei hier der folgende Beitrag eines gerichtlich beeideten


Sachverständigen etwas gekürzt zitiert, der neben rechtlichen Hinweisen auch die volkswirtschaftliche Bedeutung herausstrich: „…Allerdings kann auch von einem positiven Erziehungseffekt ausgegangen werden. Menschen, die ständig in Hundekot treten (…), verunfallen durch fehlende Wachsamkeit gegenüber ihrem Umfeld auch sonst häufiger. Untersuchungen könnten auch ergeben, dass der/die ständige Hundekot-Treter/in (…) die Allgemeinheit mit seiner/ihrer auch sonst ständigen Unaufmerksamkeit im Leben vermutlich auch mehr belastet als wachere Menschen.“



All diese Ereignisse führten dann zu der im Titel genannten Kampagne, die seither das Wiener Stadtbild wesentlich mit gestaltet. Und da das weltberühmte goldene Wienerherz wie allgemein bekannt auch einen Hang zum Raunzen hat, führt dies auch weiterhin zu hitzigen Auseinandersetzungen, die unser Lokalkolorit durchaus bereichern.


In diesem Sinne möchte ich Ihnen nun eine aus dem prallen Wiener Leben gegriffene Diskussion über besagte Gackerl-Sackerl-Kampagne als neu erworbene Wiener Kuriosität vorstellen. Im Anschluss daran finden Sie für den Notfall ein Glossar, das die meisten der verwendeten Dialektausdrücke beinhaltet.



Für Wiener und Sprachverwandte


Es gehen zwei Damen am Donaukanal,
die eine mehr bunkert, die andere schmal,
die eine von Nußdorf, die andre entgegn,
jetzt werd’n sie sich bald am Schwedenplatz sehgn.
Die Bunkerte führt einen Hund an der Leine,
die Schmale erblickt’s und denkt: „Jedm des Seine!
I mechats jo ned, des grauperte Viech,
oba de passn zsaumm, so wiar i des siech.
Des nämliche Gschau und de gleiche Figur,
de haumm olle zwar a Knackwurschtstatur.“
Der Hund und sein Frauerl spazieren voll Ruh
und guten Gewissens der Hageren zu,
schön langsam, gemütlich, denn schnell geht es nicht,
die leiden halt beide am Übergewicht.
Der Hund schnüffelt hier, der Hund schnüffelt da,
sein liebendes Frauerl bleibt immer ihm nah.
Die Frau’n sind nur noch ganz wenige Schritte
voneinander entfernt, der Hund in der Mitte.
Da senkt sich auf einmal der hintere Teil
von dem Hund Richtung Boden; und zwar ist das, weil


Für Nichtwiener, vor allem jene nördlich des Weißwurstäquators


Der Donaukanal ist ein Seitenarm der Donau, der durch die Wiener Innenstadt fließt und der früher deren Kloaken aufnahm. Trotzdem gab es dort das sogenannte „Strombad“. Heute gibt es eine Kläranlage und ein Badeschiff.

„Jedem das Seine! Ich würde dieses struppige Tier ja nicht wollen, aber meiner Ansicht nach passen die beiden gut zueinander. Sie ähneln einander frappant in Gesichtsausdruck und körperlichem Erscheinungsbild.Beide sind bockwurstähnlich gebaut.“


es grummelt und zwickt in den Eingeweiden,
und wer möchte das, wenn er kann, nicht vermeiden?
So will auch das Hunderl das leidige Zwicken
nach hinten entleeren durch Pressen und Drücken.
Die Dünne denkt lauernd: „Des wü i jetz wissn,
i wett, waunn des Hundsviech oills aussegschissn,
daunn gengan de weida, ois warat nix gschegn!
Ob de des wegrammt, des mechat i segn!“

Dazu muss man wissen, seit 2007
ist auf 30 x 1000 Plakate geschrieben
in freundlichen Worten, was sich gehört:
ins Sackerl hinein, was der Hund hat entleert.
Und diese Plakate, die überall stehen,
sind gleich mit den praktischen Sackerln versehen,
so haben das Herrl, das Frauerl, der Hund
zum Stadtbildverschandeln keinerlei Grund.
Die Sackerln sind da, das Gesetz sagt es klar:
Wer die Häufchen nicht wegräumt, der zahlt es bar!
Seither ist in Wien die Debatte erhitzt,
wer in Hundekot tritt und wer Hunde besitzt.



"Das möchte ich jetzt wissen!
Ich wette, wenn der Hund seine Notdurft verrichtet hat, gehen die beiden einfach weiter, als wäre nichts geschehen! Ich glaube nicht, dass die Dame das entsorgt.“


Und nun sind wir wieder am Donaukanale,
das Geschäftchen des Hundes geht ins Finale,
die Dicke sagt launig: „Na kumm, Burli, geh,
mi reißts scho in Kreiz von den ewigen Steh!
Moch weida, da Papa, der wort scho daham,
und schau, do vurn is dei Liablingsbam!“
Das Hunderl erhebt sich, ist fertig und wedelt,
das Stadtbild ist um ein Häufchen veredelt.
Die Dicke sagt: „Gemma!“, die Dünne springt vor:
„Wos glaubn denn Se einglich? Des is do ned wohr!
Des Trimmerl ghert wegga, jetz mochn S des glei,
aunsunstn, do ruaf i de Polizei!“
Die Dicke lacht höhnisch: „Daun mochn S des hoid,
bis de Kieberer kumman, san S wuzlert und oid!
Mei Burli kaunn gacken, so oft, wiar a wü,
i siech scho, Se haumm fia den Tierschutz ka Gfüh!
A Hunderl, vastengan S, is aunderscht ois mia,
der vastehts hoid ned bessa, es is hoid a Tier!”
„Drum gehts ned, Se Ignorantin, Se blede,
von Weggaramma is do die Rede!


Also komm, Jungchen, beeil dich, ich habe schon Schmerzen in der Lendenwirbelsäule auf Grund der langen Stehzeiten. Leg einen Zahn zu! Herrchen wartet schon zu Hause auf uns. Und guck mal, da vorne ist noch dein Lieblingsbaum!“
„Lass uns gehen!“
„Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Das darf doch nicht wahr sein! Diese Exkremente müssen sofort beseitigt werden, widrigenfalls sehe ich mich gezwungen, die Polizei zu verständigen!“
„Tun Sie, was Sie nicht lassen können! Bis zum Eintreffen der Polizei wird die Zeit nicht spurlos an Ihnen vorübergegangen sein! Mein Jungchen kann seiner Notdurft jederzeit nachgehen, wenn es erforderlich ist! Aber ich sehe schon, dass Sie kein Herz für Tiere haben. Verstehen Sie doch bitte, dass Tiere ein anderes Toiletteverhalten haben als wir und artgerecht gehalten werden wollen!“
„Es geht hier nicht um artgerechte Tierhaltung, sondern darum, dass Sie laut Gesetzt dazu verpflichtet sind, den Hundekot zu entfernen!


Jetz nemman S a Sackerl,
haun S eine des Gackerl,
hebn S as auf von dar Erd,
so wia si des ghert!“
„Se Bißgurrn, Se oide, von nix habn S an Tau,
i zoi jo gnua Steia fia den klanen Wauwau!
Wos schern S Ihna ned um Ihrn eiganen Dreck?
Kumm, Burli, mia gengan, des hod do kan Zweck!“
Die Dicke geht weg, den Hund an der Leine,
das Häufchen ziert weiter die Pflastersteine.
Die Dünne, empört, in hilfloser Wut
schreit ihr nach: „Se Krätzn, des merk i ma gut!
Ob murgn, do pock i de Kamera ei
und moch a Büd fia de Polizei,
daunn moch i a Aunzeige gaunz gewiss,
wann S wieda ned weggatan den Schiss!“
Dann geht sie nach Nußdorf, die andre entgegn,
wir hoffen, dass sie sich nie wieder sehgn!


Nehmen Sie also ein Tütchen, um diese Hinterlassenschaft vom Gehsteig zu entfernen, so wie es vorgeschrieben ist.“


„Sie zänkische, alte Person, sie haben ja keine Ahnung, wieviel Hundesteuer ich zahlen muss. Kehren Sie doch vor Ihrer eigenen Tür! Komm, Jungchen, gehen wir, das hat hier keinen Sinn!“



„Sie sind wie eine unappetitliche Hautkrankheit! Ich werde mir das gut merken, und ab morgen gehe ich nur noch mit Fotoapparat aus, um ein Beweisfoto für die Polizei zu machen. Falls Sie den Hundekot wieder nicht ordnungsgemäß entsorgen, sehe ich mich gezwungen, Anzeige zu erstatten!“


Begegnungen dieser Art machen unter anderem unsere Stadt liebens- und lebenswert.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass zwei weitere Wahrzeichen und Berühmtheiten unserer Stadt, Sisi und Franz , dem Gackerl-Sackerl-Gedanken ihr kaiserliches Wohlwollen sicher nicht verwehrt hätten.

Noch mehr angetan wären sie aber vermutlich von den "Apfeltaschen" gewesen, die unsere Fiakerpferde neuerdings unterm Schweif tragen; aber das ist eine andere Geschichte...


Anbei noch ein kleines Glossar für Fremdsprachler

:

bunkert, auch punkert:

wohlgefällig gerundet, mollig, von mhd. bunke, bünke (Bündel), daher wohl auch der Ausdruck Binkerl für einen kleinen Beutel. Aussprache bunkad, wobei das k etwas in Richtung g geht
Nußdorf:

Teil des 19. Wiener Gemeindebezirkes, beliebt wegen seiner zahlreichen Heurigenlokale
mechat:

Konjunktiv von mögen. Hier im Sinne von „ich würde es nicht haben wollen“
ned:

nicht, Aussprache need
des:

das. Aussprache dääs
graupert:

hässlich, ungepflegt. Von Graupe (ungeschälte Gerste), Aussprache graupat
oba:

aber, das o wird als Mischlaut zwischen a und o gesprochen
zsaumm:

zusammen
siech:

hat nichts mit Siechtum zu tun, sondern ist die 1. Person Einzahl von sehen
nämlich:

hier: dasselbe
Gschau:

Geschau, die Art und Weise des Blickes
olle:

alle
zwa, zwar:

zwei, hier wird das ei zum a, das muss aber nicht immer so sein, bei drei z.B. bleibt das ei ein ei. Das hinten angefügte r dient dem leichteren Sprachfluss, wie etwa bei der Liaison im Französischen
Knackwurscht:

Wortbildung aus dem 16. Jahrhundert nach dem knackenden Geräusch beim Zerbeißen des Darms. In Österreich wird die Knackwurst auch gelegentlich Beamtenforelle oder Maurerforelle genannt.Nach Peter Wehle wurde die Knackwurst erstmals 1553 bei Hans Sachs erwähnt.
waunn:

wenn
oills:

alles
aussegschissn:

herausgesch … na ja, Sie wissen schon
daunn:

dann
gengan:

gehen, 3. Person Mehrzahl
weida:

weiter
ois:

als
warat:

wäre
gschegn:

geschehen
wegrammt:

wegräumt
segn:

sehen
Sackerl:

kleiner Sack, Tüte
kumm:

Imperativ von kommen, 2. Person Einzahl
Burli:

von Bub, Bua, beliebter Kosename vor allem für Kanarienvögel
mi reißts:

es reißt mich; hier: es tut weh
in Kreiz:

im Kreuz, also im unteren Rückenbereich
von den ewigen Steh:

vom langen Stehen
moch weida:

mach weiter, hier im Sinne von beeile dich
da Papa:

gerne liebevoll für den langjährigen Ehemann verwendet, auch wenn die Kinder längst aus dem Haus sind
wort:

wartet, wird in dieser Form sowohl für die erste als auch für die dritte Person Einzahl verwendet
scho:

schon
daham:

daheim
do vurn

da vorn
gemma

gehen wir
Se:

Sie in der Anrede
einglich:

eigentlich


Trimmerl, Trümmerl:

von Trumm (großer Brocken), in dieser Form nur in der Bedeutung als Hundstrümmerl verwendet
ghert:

gehört
wegga:

weg
aunsunstn:

ansonsten
S:

Sie (Anrede)
hoid

halt
Kieberer:

Polizist, vermutlich von mhd. kiben = schelten
kumman:

kommen
san:

sind
wuzlert:

knittrig, hier im Sinn von faltig
oid:

alt
kaunn:

kann
gacken, auch kacken:

Stuhlgang haben, ansonsten fallen mir nur unanständige Wörter dafür ein
wiar a wü:

wie er will, auch hier das r nach dem wia zur flüssigeren Aussprache
vastengan S:

verstehen Sie
aunderscht ois mia:

anders als wir
bled:

blöd, dumm
nemman S

: nehmen Sie
haun S eine:

hier im Sinne von „werfen Sie hinein“, kann aber im gleichen Wortlaut auch als freundliche Aufforderung zum Essen gebraucht werden mit der Bedeutung „langen Sie zu“.
von dar Erd:

vom Boden
Bißgurrn:

zänkisches Weib, möglicherweise von bissige gurre, mhd. für Stute
von nix ham S an Tau:

von nichts haben Sie einen Tau, damit soll zum Ausdruck gebracht werden: „Die Morgenröte der Erkenntnis ist nicht über Ihnen aufgegangen und der Tau des Wissens hat Sie nicht benetzt.“ Der Wiener ist im tiefsten Inneren ein Poet, man muss ihn nur richtig verstehen.
i zoi:

ich zahle
Steia:

Steuer
schern S Ihna um:

Scheren, kümmern Sie sich um. „Schern S Ihna weg“ wäre hingegen als Aufforderung, sich zu entfernen, zu verstehen.


Krätzn:

unangenehmer Mensch. Evt. von der Hautkrankheit Krätze (Scabies) her, hat auch mit Kratzen zu tun. „Des krotzt mi ned“ = das ist mir egal. Wenn einen etwas „krotzt“, dann ärgert man sich meist darüber.
ob murgn:

ab morgen


Generell ist zum Wienerischen zu sagen, dass sich hier sehr viele Worte aus dem Alt- und Mittelhochdeutschen lebendig gehalten haben, man sollte unsere Mundart nicht unterschätzen!


Impressum

Texte: Copyright Text und alle Fotos incl. Cover: Elisabeth Schwaha
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet allen Hundebesitzern, die ein Sackerl für das Gackerl verwenden.

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