Die weiße Villa
An der Sonnenseite eines Berges liegt eine Villa. Weiß strahlen ihre Mauern in der Sonne. Unzählige Vögel fliegen und zwitschern im Park und im angrenzenden Wald.
Morgens, wenn die Sonne auf die Terrasse und die Fenster der Villa scheint, öffnet sich die Verandatür, die weißen Vorhangsschleier wehen in der Morgenbrise zur Seite; in der Tür steht eine alte, schwarzgekleidete Frau. Sie blickt über den sonnigen, taufrischen Park, lauscht nickend dem Vogelgezwitscher. Dann setzt sie sich in den Armsessel auf der weißen Terrasse.
Die Sonne steigt weiter, sie scheint hell und warm auf die Terrasse und die schwarze Alte im Armsessel. Nun ruft die Alte ins Hausinnere. Ein Frühstückstisch auf Rädern wird herausgeschoben, mit strahlend weißer Tischdecke, mit blitzendem Silberbesteck und Glasgeschirr. Die ihn herausschiebt, ist ein stämmiges Mädchen in weißer Tracht, mit leerem, unverständigem Blick und schlafwandlerischen Bewegungen. Die Alte brockt das Weißbrot in ihren Kaffee und löffelt es in ihren zahnlosen Mund. Sie isst langsam, zerdrückt mit der Zunge die Brocken am Gaumen, schluckt mit faltigem Hals.
Während sie frühstückt, schleichen leise und bedachtsam Katzen herbei; aus dem Park, aus dem Haus. Sie sind sehr groß, und ihr Fell glänzt in der Sonne, wenn sie um die Mauerecken biegen, auf der Terrassenmauer entlanggehen, unter den Büschen hervorkriechen, und sich alle um die Alte versammeln. Die Alte nickt ihnen zu und isst weiter, bis sie satt ist.
Doch immer noch ist viel Weißbrot da. Die kleinen Vögel des Parks sitzen auf den Zweigen, auf der Mauer, selbst auf den Stuhllehnen und sehen aufgeregt auf das Brot.
Die Alte nimmt jetzt eine geschliffene Glasflasche und hält sie über eine weiße Porzellanschale. Sie lässt einige Tropfen hineinfallen, gießt etwas Kaffee dazu und brockt das restliche Brot hinein. Sie lehnt sich zurück und faltet die Hände im Schoß. Um sie herum sitzen ruhig die Katzen. Manchmal leckt sich eine über die rosa Nase, zuckt mit dem Ohr, blinzelt mit den Augen.
Es ist weit über Mittag. Die Sonne steht sehr hoch, sie brennt den Katzen auf das Fell. Das weiße Tischtuch blendet; die Alte kneift die Augen zusammen und setzt eine dunkle Brille auf.
Die Vögel überwinden jetzt die Scheu. Nach einigen zögernden Runden über dem Tisch lässt sich ein Vogel auf dem Rand der weißen Schale nieder. Weitere kommen nach, schwirrend und flatternd bevölkern sie den Tisch, ballen sich zu Klumpen um die Schale. Die Katzen sitzen ruhig neben der schwarzgekleideten Frau, zucken manchmal mit dem Ohr, blinzeln, lecken sich über die Nase.
Die Schale ist leer, die kleinen Vögel sitzen satt auf dem Tisch, auf der Mauer und den Zweigen. Die Sonne steht im Westen.
Ein Vogel flattert erschreckt auf, zuckt in der Luft zusammen, fällt schreiend herunter auf die Terrasse. Andere fallen aus den Zweigen, immer weitere, flatternd und schreiend liegen sie auf der weißen Terrasse. Und die Katzen stürzen sich auf sie, krallen die Pfoten in die kleinen Körper, reißen mit den Mäulern die Flügel ab und beschmieren sich mit Blut.
Abends kommt das blöde Mädchen, führt die Alte zurück ins Haus, räumt den Tisch hinein, kehrt die Federn fort, wischt die braunrot gefleckte Terrasse weiß. Die Katzen sind alle fort. Die Sonne versinkt, das Mädchen geht ins Haus und schließt hinter sich die Verandatür.
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2009
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